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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Prachtvoll liegt das langgedehnte mächtige Schloß Schönbrunn da, – umgeben von dem mächtigen uralten Park mit den künstlichen Ruinen, den allegorischen Wasserfällen, den tiefen Schatten und den lichten, sonnigen Rasenplätzen, hoch überragt von dem luftig und leicht auf der Höhe des Berges hinter dem Schlosse erbauten Triumphbogen, der sogenannten Gloriette, von welcher die große Kaiserin Maria Theresia hinüberblickte nach Wien, das mit seinem weitragenden Thurme von St. Stephan am Horizont sich erhebt.

An das große kaiserliche Residenzschloß, voll von Erinnerungen an die Kaiserin-Königin – und – an Napoleon I., dessen Adler noch heute auf den beiden Obelisken der großen Einfahrt stehen, – und um den weiten Park her liegt das freundliche Hietzing, jene beliebte Sommervilleggiatur der Wiener. Villa reiht sich an Villa, an schönen Sommernachmittagen strömt die elegante Welt von Wien hinaus, um die Konzerte in den großen Gärten der »neuen Welt« oder des »Kasinos« von Dommayer zu hören und sich in den schattigen Gängen des Parks von Schönbrunn zu ergehen, welche dem Publikum stets offen stehen.

Seit Napoleon I. in der Lieblingsresidenz Maria Theresia's sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte und in dem weiten Schloßhofe seine alte Garde paradiren ließ, hatte aber in dem freundlichen Hietzing nicht ein so reges, bewegtes Leben geherrscht, als im Herbste 1866.

Die sächsische Armee lag in Kantonnements in und um Hietzing, der König Johann bewohnte den sogenannten Stöckl, jenes kleine Palais am Eingange des großen Parks, welches Maria Theresia einst für ihren berühmten Leibarzt van Swieten erbauen ließ, und der König von Hannover, welcher zuerst nach seiner Ankunft in Wien im Hause seines Gesandten, des Generals von Knesebeck, abgestiegen war, hatte die am entgegengesetzten Ende des eleganten Dorfes belegene Villa des Herzogs von Braunschweig bezogen, welche, nach der Straße hin durch eine lange, einfache Mauer abgegrenzt, in ihrem Innern und in dem sie umgebenden Park Wunder an Kunstschätzen und Seltenheiten birgt.

Die sächsischen Truppen, – das Gefolge der fürstlichen Herrschaften, die Equipagen der Erzherzoge und der österreichischen Aristokratie, welche in Aufmerksamkeiten gegen die beiden durch Oesterreichs Politik so schwer getroffenen Könige wetteiferte, füllten in bunter und glänzender Bewegung die Straßen von Hietzing, – zahlreicher als je strömten die Wiener hinaus, und wenn Jemand Grund hatte, mit der großen Katastrophe von 1866 zufrieden zu sein, so war es sicherlich die »neue Welt« und »Dommayer's Kasino«.

An einem Vormittage jener merkwürdigen und bewegten Zeit befanden sich zwei Personen in dem großen Mittelsalon der Villa Braunschweig.

Die Wände dieses Saales waren mit seidenen chinesischen Tapeten überzogen, die gestickten Gestalten der Bewohner des Reiches der Mitte blickten mit ihren eingelegten Gesichtern von gemaltem Porzellan ruhig und gleichgültig von den Wänden herab, – das ganze Mobiliar war von kostbarster chinesischer Arbeit, lebensgroße Pagoden standen in der Ecke, chinesische Malten vom feinsten Reisstroh deckten den Boden, die großen Glasthüren standen weit geöffnet und ließen aus dem wunderbar sauber gepflegten Park die laue Luft einströmen. Alle Seltenheiten und Merkwürdigkeiten, welche diesem Zimmer mehr das Ansehen eines chinesischen Museums als eines bewohnten Salons gaben, zogen jedoch den Blick jener Personen nicht auf sich, welche vielmehr traurig und ernst auf und nieder gingen.

Die eine der beiden Personen war der Schloßhauptmann und Hofmarschall Graf Alfred Wedel, welchen wir bereits in Hannover während der Katastrophe des Monats Juni gesehen haben. Er trug die kleine Hofuniform, den blauen Frack mit scharlachrothem Kragen – neben ihm ging ein kleiner, schmächtiger Mann von etwa 36 Jahren, dessen blasses, scharfgeschnittenes Gesicht mit dünnen blonden Haaren und langem hellen Schnurrbart den Ausdruck fester Energie und lebhafter, intelligenter Bewegung zeigte. Er trug die Hauptmannsuniform der hannöverischen Infanterie.

»Ja, mein lieber Düring,« sagte der Graf Wedel in traurigem Ton, – »es ist Alles vorbei, – Hannover hört auf, – Ihr seid der Letzte, der die Fahne hochgehalten hat, – wollte Gott,« fügte er seufzend hinzu, – »daß unsere Generale eben so energisch gewesen wären, wie Ihr, – es stünde besser um uns –«

»Ich begreife in der That nicht,« sagte der Hauptmann von Düring, »wie Alles so hat kommen können, – ich habe den ganzen Feldzug nur nach ungenauen Nachrichten verfolgen können, – aber ich begreife die Operationen weder militärisch noch politisch!«

»Wer begreift sie denn?« rief Graf Wedel mit bitterem Ton, – ich glaube, Diejenigen am wenigsten, die sie gemacht haben!«

»Glaubt Ihr denn aber, daß die Annexion von Hannover wirklich geschehen wird?« fragte Herr von Düring.

»Ich glaube es bestimmt,« sagte Graf Wedel, – »die Aeußerungen der preußischen Beamten in Hannover lassen darüber keinen Zweifel, – wir dürfen uns die traurige Wahrheit nicht verhehlen, – doch,« unterbrach, er sich, – »wir werden gerufen werden!«

Eine helle Glocke ertönte aus dem Nebenzimmer.

Einen Augenblick später erschien der Kammerdiener des Königs.

»Seine Majestät lassen die Herren bitten!«

Er öffnete die Thüre zu dem Kabinet des Königs.

Graf Wedel und Herr von Düring traten ein.

Das Kabinet, welches Georg V. bewohnte, war mit schottischen Seidentapeten bekleidet, prachtvoll gearbeitete schottische Waffen hingen an den Wänden, daneben meisterhafte Gemälde, Szenen aus Walter Scott's Romanen darstellend. Vor einem großen Tisch in der Mitte des Zimmers stand der König hoch aufgerichtet; tiefer Ernst lag auf dem schönen, ausdrucksvollen Gesicht. Er trug den weiten grauen Ueberrock der Uniform seines österreichischen Regiments.

»Gott grüße Sie, meine Herren,« sagte Georg V. mit mildem, freundlichem Lächeln zu den Eintretenden, indem er ihnen die Hand entgegenstreckte, welche Graf Wedel und Herr von Düring an die Lippen drückten, – »es ist viel geschehen, seit ich Sie nicht gesehen, – lieber Alfred!«

»Majestät,« sagte Graf Wedel und seine Stimme zitierte vor Bewegung, – »was auch geschehen sein möge – und was noch geschehen möge, – mein Herz ist dasselbe und wird dasselbe bleiben!«

»Sie bringen mir Nachricht von der Königin?« fragte der König.

»Zu Befehl, Majestät,« erwiederte der Graf, indem er mehrere Briefe hervorzog und sie dem König überreichte, – »ein Schreiben Ihrer Majestät, Briefe von den Prinzessinnen, – und einen Bericht des Herrn von Malortie über die Verwaltung des Vermögens.«

Der König legte die Briefe vor sich auf den Tisch.

»Wie geht es der Königin?« fragte er, – »wie trägt sie die schwere Zeit?«

»Ihre Majestät ist würdig und ruhig,« sagte der Graf, – »aber tief traurig, – die Königin wünscht dringend, so bald als möglich mit Eurer Majestät vereinigt zu werden.«

Ein tiefer Schatten zog über die Stirn Georg's V.

»Wann Gott uns wieder zusammenführen wird,« sprach er, »das liegt im dunklen Schooß der Zukunft, – jetzt muß die Königin dort bleiben und nur der Gewalt weichen, – das ist mein Wille.«

Graf Wedel schwieg.

»Wie geht es der Gräfin?« fragte der König. »Ich danke unterthänigst, Majestät,« erwiederte der Graf, – »sie ordnet das Haus und wird mir so bald als möglich folgen.«

»Ihnen folgen?« fragte Georg V.

»Majestät,« sagte Graf Wedel mit bewegter Stimme, – »ich bin nicht gekommen, um Nachrichten zu bringen und zurückzukehren, – ich bin gekommen, um zu bleiben, – wenn Eure Majestät mich nicht fortschicken!«

Der König blickte ihn fragend an.

»Majestät,« sagte der Graf, – »nach Allem, was ich sehe und höre, werden Allerhöchstdieselben jetzt nicht – lange nicht – nach Hannover zurückkehren, – Eure Majestät haben mich zu Ihrem Hofmarschall ernannt, und ich habe mit Stolz meinen Dienst bei Allerhöchsterer Person erfüllt, – Eure Majestät sind im Exil,« – fuhr er fort und seine Stimme erstickte fast vor innerer Bewegung, – »ich bitte Eure Majestät um die hohe Ehre, dieß Exil zu theilen und mein Amt weiter zu führen!«

Der König schwieg einen Augenblick. Er biß leicht auf seinen Schnurrbart, ein schmerzlicher Zug legte sich um seinen Mund.

»Mein lieber Alfred,« sagte er dann mit weicher Stimme, »Sie haben so eben Ihr Haus gebaut und neu eingerichtet, die Gräfin ist leidend, – ich bin von Ihrer Treue und Ergebenheit überzeugt, – aber Sie haben an Ihre Familie zu denken, – Sie werden sich Verfolgung zuziehen, – lassen Sie den Dienst an meinem Hofe, – dem Hofe der Verbannung,« sagte er mit schmerzlichem Lächeln, »Denen, die allein stehen und nur für sich zu sorgen haben –«

»Majestät,« rief Graf Wedel lebhaft, fast den König unterbrechend, – »es wäre eine harte Kränkung, wenn Sie mir nicht erlaubten, meinen Dienst zu übernehmen, – wenn Sie mir die Ehre versagten, meinem Könige im Unglück zur Seite zu stehen, – fort gehe ich nicht,« fuhr er mit einer gewissen derben Freimüthigkeit fort, – »und wenn Eure Majestät mir nicht erlauben, Ihr Hofmarschall zu sein, so werde ich wenigstens der Höfling des Unglücks sein.«

Ein freudiger Schimmer flog über das Gesicht des Königs.

»Auch das Unglück hat seine Freuden,« sagte er mit sanftem Lächeln, – »es lehrt uns die treuen Freunde kennen. – Wir sprechen weiter darüber.« –

»Nun, mein lieber Hauptmann von Düring,« sagte er, sich zu diesem wendend, – »ich habe von Ihrem wunderbaren Zug gehört, – erzählen Sie mir davon, – ich bin begierig zu hören, wie Sie es möglich gemacht haben, bis zum Ende die Fahne der hannöverischen Armee wehen zu lassen, – nachdem ich sie habe senken müssen,« fügte er mit schmerzlichem Seufzer hinzu.

»Majestät,« antwortete Herr von Düring, – »ich stand mit meiner Kompagnie in Emden, – starke feindliche Uebermacht forderte mich zur Kapitulation auf, ich erklärte, mich unter den Trümmern der Stadt zu begraben, ehe ich die Waffen strecken würde; – man gestand mir freien Abzug zu. – Ich zog aus,« fuhr er fort, »und begab mich mit meinen Leuten nach der holländischen Grenze. Eine große Anzahl junger Leute stieß in allen Ortschaften zu mir. Ich verschaffte mir auf einigen Aemtern halb durch Ueberredung, halb durch List Paßformulare, füllte sie aus und vertheilte sie unter meine Leute. Diese mußten ihre Uniformen und Waffen in Reisekoffer packen und so fuhr ich mit ihnen nach dem Haag. Hier fand ich bei Eurer Majestät Ministerresidenten, dem Grafen Georg Platen –«

»Ein vortrefflicher junger Mann!« rief der König.

»Ein treuer Diener Eurer Majestät, – voll Energie und Eifer,« sagte Herr von Düring, – »ich fand bei ihm die herzlichste Aufnahme und die kräftigste Unterstützung. Dort erreichte mich die Nachricht von der Schlacht bei Langensalza und mit hoher freudiger Begeisterung feierten wir den Sieg, – denn nun mußte ja, wie ich überzeugt war, unsere Armee nach Süden durchdringen.«

»Sie hätte es müssen,« sagte der König düster.

»Wir überlegten,« fuhr Herr von Düring fort, »wie es möglich sei, mit meinen Leuten die Armee zu erreichen, – es blieb kein anderer Weg, als der durch Frankreich.«

»Durch Frankreich?« rief der König erstaunt.

»Ja, Majestät,« sagte Herr von Düring, – »es war ein Wagniß, – aber ich unternahm es. Als einfache Reisende bestiegen wir die Bahn und glücklich gelangten wir Alle, ohne von den französischen Behörden behelligt zu werden, in getrennten Abtheilungen auf diesem sonderbaren Umwege über Thionville, Metz, Karlsruhe nach Frankfurt. Die Leute waren musterhaft an Ordnung, Vorsicht und Pünktlichkeit.«

»Ein unglaublicher Zug!« rief der König.

»In Frankfurt,« fuhr Herr von Düring fort, »wendete ich mich an den Bundestagspräsidenten, der mir die Mittel zur neuen Uniformirung der Leute zur Verfügung stellte, – der Herzog von Nassau gab die Waffen, ein Komite der Bürgerschaft schaffte Leinenzeug und sonstige Equipirung, und in vierzehn Tagen hatte ich ein Korps von 350 Mann ausgerüstet und schlagfertig. Ich ernannte die tüchtigsten Unteroffiziere zu Offizieren und wir wurden der Garnison von Mainz zugetheilt, wo ich, um mein so schnell organisirtes Korps durch Thätigkeit zu bilden, mich vorzugsweise zu Ausfällen verwenden ließ. – In Frankfurt erfuhr ich die Kapitulation von Langensalza, – Eure Majestät verzeihen mir, – ich begriff sie nicht –«

»Ich befand mich von Uebermacht umgeben,« sagte der König, – »ich konnte meine Truppen nicht nutzlos dem sichern Untergang opfern.«

»Ich begriff vollkommen, daß Eure Majestät so handeln mußten,« sagte Herr von Düring, – »was ich nicht begriff, waren die Operationen, durch welche Eure Majestät in jene Lage gebracht waren –«

Der König schwieg.

»Für mich konnte jene Kapitulation nicht bindend sein,« fuhr Herr von Düring fort, – »sie bezog sich nur auf die bei Langensalza stehende Armee, und ich hatte keine Nachricht, keinen Befehl erhalten, – ich blieb unter den Waffen – bis zum Ende.«

Dann fuhr er mit dumpfer, trüber Stimme fort: »Als Alles zu Ende war, löste ich mein Korps auf und entließ die Leute nach der Heimat, – ich aber bin hieher gekommen, um mich bei Eurer Majestät zu melden und Bericht abzustatten über meinen erfolglosen Versuch.«

»Nicht erfolglos, – mein lieber Hauptmann von Düring,« sagte der König freundlich, – »Sie konnten für meine Sache keinen Erfolg mehr erkämpfen, – das lag in den Verhältnissen, – aber Sie haben unter den schwierigsten Umständen bis zur äußersten Grenze der Möglichkeit Ihre Pflicht gethan – und damit allen Offizieren meiner Armee ein schönes Beispiel gegeben, das nie verloren gehen wird.«

Der König schwieg einen Augenblick.

»Und was haben Sie jetzt die Absicht zu thun?« fragte er dann.

»Majestät,« sagte Herr von Düring in düsterem Tone, – »in preußische Dienste will ich nicht treten, – man sucht in der Türkei – auch beim Vizekönig von Egypten Offiziere, – ich kenne die orientalischen Verhältnisse, da ich mit Eurer Majestät Erlaubniß zwei Jahre bei der französischen Armee in Algier Dienste gethan, – ich beabsichtige mir dort eine Carriere zu suchen –«

»Wollen Sie bei mir bleiben?« fragte der König.

»Majestät,« rief Herr von Düring, – »von einem Wollen kann dabei keine Rede sein, Eure Majestät haben zu befehlen, – es wäre mir ein hohes Glück, – doch,« fügte er etwas zögernd hinzu, – »ich muß Eurer Majestät offen bekennen, daß die Unthätigkeit meiner ganzen Natur widerstrebt –«

»Sie sollen nicht unthätig sein, mein lieber Düring,« sagte der König, indem er stolz das Haupt erhob, – »ich beabsichtige nicht zu verzichten auf die Wiederherstellung meines Rechts und ich brauche Männer, welche im Stande sind, mir dereinst, wenn die politische Lage der Welt erlaubt zu handeln, – eine Armee zu bilden und zu führen.«

Herrn von Düring's Blicke leuchteten.

»Majestät,« rief er, – »hienach habe ich nur meinen Degen und mein Leben für jetzt und die Zukunft meinem Könige zu Füßen zu legen.«

»Ich ernenne Sie zu meinem Flügeladjutanten,« sagte der König, – »bleiben Sie hier, – Sie sollen keinen Hofdienst thun,« fügte er lächelnd hinzu, – »auf Wiedersehen, – ich erwarte Sie um fünf Uhr zur Tafel.«

Herr von Düring verneigte sich tief.

»Ich kann Eurer Majestät meinen Dank nicht so aussprechen, wie ich ihn fühle,« sagte er, – »möge mir Gelegenheit werden, ihn durch die That zu beweisen!«

Und er verließ das Kabinet.

»Haben Eure Majestät noch Befehle für mich?« fragte Graf Wedel.

»Hat Ihnen die Königin keine Aufträge für mich gegeben?« fragte der König mit forschendem Tone.

»Aufträge,« sagte der Graf, – »nein, außer der Ueberbringung der Briefe, welche ich die Ehre hatte Eurer Majestät zu übergeben, – indeß –«

»Indeß?« fragte der König gespannt.

Die Königin hat den dringenden Wunsch, wie ich voraussetze,« sagte der Graf, – »daß Eure Majestät den Rathschlägen folgen möchten, welche von verschiedenen so wohlmeinenden Seiten ihr gegeben worden, – und –«

»Und daß ich abdiziren möge?« sagte der König lebhaft.

»Ihre Majestät glaubt, daß dadurch die Krone dem Königlichen Hause erhalten werden könne,« sagte der Graf, – »und bedauert, daß Eure Majestät dieß – allerdings schmerzliche und traurige Mittel der Rettung nicht ergriffen haben, – die Königin glaubt, daß es vielleicht noch Zeit wäre, – daß nur Eurer Majestät Umgebung Sie abhielte.«

»Und was meinen Sie davon? – ich will aufrichtig Ihre Meinung wissen!« fragte Georg V.

»Eure Majestät,« sagte Graf Wedel langsam, – »sind von meiner persönlichen Anhänglichkeit an Allerhöchstere Person überzeugt, – da aber Eure Majestät mich fragen, – so muß ich ehrlich und offen sagen, – wenn durch die Abdikation Eurer Majestät die Krone dem Welfenhause gerettet werden könnte –«

»– Wenn sie das könnte!« – sagte der König mit ernster Betonung.

Er trat einen Schritt vor und mit der Hand tastend ergriff er den Arm des Grafen.

»Es liegt mir daran,« sagte er, »daß auch Sie über diesen Punkt genau aufgeklärt werden, – denn kein Vorwurf würde mich tiefer schmerzen, als der, daß ich die Zukunft meines Hauses persönlichen Rücksichten untergeordnet habe. Ich weiß nicht,« fuhr er fort, »von welchen Seiten und aus welchen Gründen fortwährend der Königin und dem Lande erzählt wird, meine persönliche Abdankung könne die Selbstständigkeit Hannovers vor der Annexion bewahren, – nur mit mir wolle man keinen Frieden schließen; – ich will nicht untersuchen, welche Motive die verschiedenen Personen bewegen, die alle in gleichem Sinne sprechen.«

»Graf Münster, – Windthorst« – sagte Graf Wedel, – »sie hoffen allerdings unter des Kronprinzen Regierung die omnipotenten Minister zu sein –«

»Gleichviel, wer es ist,« – fuhr der König fort, – »ich kann es verstehen, daß die Königin, daß viele dem Welfenhause ergebene Personen diese Ausführungen für wahr – annehmen, nur schmerzt es mich, daß man glauben kann, ich hätte nicht längst die Rettungsmittel ergriffen, – wenn es eben ein Rettungsmittel wäre. – Als von allen Seiten die Einwirkungen in diesem Sinne kamen, – als die Königin sogar telegraphisch mich dringend bat, zu abdiziren,« fuhr der König langsamer fort, – »da beschloß ich, mit einem Schlage klar zu werden über das, was meine Pflicht sei. Konnte meine Abdankung die Krone meinem Hause retten,« sprach er mit Betonung, »so war es meine Pflicht, zu abdiziren, – that sie dieß nicht, so war es meine Pflicht, alle jene Vorschläge zurückzuweisen; ich sendete deßhalb den Kultusminister von Hodenberg, der sich gerade hier befand, nach Berlin mit dem Aufträge, dem Grafen Bismarck geradezu die Frage zu stellen, ob meine Abdikation meinem Sohne die Krone erhalten könne.«

»Ah!« machte Gras Wedel.

»Herr von Hodenberg,« fuhr der König fort, »hatte am späten Abende eine lange und eingehende Unterredung mit dem Grafen Bismarck. Dieser erklärte ihm mit einer durchaus loyalen und anerkennenswerthen Offenheit, daß die Einverleibung Hannovers eine beschlossene Sache sei, welche das Interesse der künftigen Sicherheit Preußens unbedingt nöthig mache und auf welche meine Abdikation ohne jeden Einfluß sein würde. – Herr von Hodenberg stellte dem Grafen vor, daß die Bevölkerung Hannovers der Einverleibung in Preußen widerstrebe und unendliche Schwierigkeiten schaffen werde; der Graf aber erwiederte, daß er das wohl wisse, dadurch aber nicht irre gemacht werden könne in dem, was er für seine Pflicht gegen seinen König und sein Land halte. – Doch,« sagte er, sich unterbrechend, – »das ist hier Nebensache, ich werde Ihnen durch Lex den Bericht des Herrn von Hodenberg geben lassen, – damit Sie ihn ganz lesen, – er ist sehr interessant,– vor Allem aber mußten Sie die Antwort kennen, welche ich auf meine direkte Frage erhalten habe, – jetzt sagen Sie mir – was Sie denken?«

»Eure Majestät haben tausendmal Recht,« rief Graf Wedel, – »ich sehe von Neuem, wie leicht man vorschnell und falsch urtheilt, wenn man die Verhältnisse nicht kennt.«

Der Kammerdiener öffnete beide Flügel der Thüre und rief:

»Seine Majestät der König von Sachsen!«

Georg V. legte seinen Arm in den des Grafen.

Rasch schritt er, auf den Arm des Hofmarschalls gestützt, durch das chinesische Vorzimmer.

An der äußern Thüre desselben erschien die etwas gebückte, schlanke Gestalt des Königs Johann mit dem geistreichen, scharf gezeichneten Profil, dem lebhaften klaren Auge und dem ergrauten Haar. Hinter dem Könige schritt der Flügeladjutant Oberst von Thielau. Der König trug die sächsische Campagne-Generalsuniform.

Schnell eilte er dem König Georg entgegen und ergriff lebhaft dessen Hand. Graf Wedel trat zurück.

König Georg nahm den Arm des Königs von Sachsen und schritt, von diesem geführt, in sein Kabinet zurück. Der Kammerdiener verschloß die Thüren.

Der König Johann führte den König von Hannover zu dem Sessel vor seinem Tisch und zog dann einen in der Nähe stehenden Lehnstuhl heran. Beide Fürsten setzten sich.

»Ich habe sogleich zu Dir kommen wollen,« sagte der König von Sachsen, – »um Dir mitzutheilen, daß die Grundlagen meines Friedens mit Preußen festgestellt sind.«

»So wirst Du zurückkehren?« fragte der König Georg.

»Noch nicht,« erwiederte der König von Sachsen, – »die Ausführungsbestimmungen bedürfen noch längerer Arbeiten und die Truppen können nicht früher zurückkehren, als bis alle neuen Verhältnisse definitiv geordnet sind.«

– »Und bist Du zufrieden?« fragte der König von Hannover.

König Johann seufzte.

»Ich bin zufrieden,« sagte er, »daß mein Haus nicht von meinem Lande getrennt wird, – – im Uebrigen – die Sache, für welche ich mit Ueberzeugung eintrat, ist besiegt, – der Besiegte muß sich dem Schicksal fügen.«

»Mein Schicksal ist ebenfalls besiegelt,« sagte der König Georg mit trüber Stimme.

Der König von Sachsen ergriff mit tiefer Bewegung seine Hand.

»Glaube mir,« sagte er innig, »daß Niemand tiefer und herzlicher mitfühlen kann, was Dich bewegt, – aber,« fuhr er fort, »glaube mir auch, daß ich – wenn ich nur meinem persönlichen Gefühl folgte – weit lieber in Deiner Lage wäre, als in der meinigen. – Lieber – weit lieber – würde ich abtreten vom Schauplatz, mich zurückziehen in ruhige Einsamkeit, der Wissenschaft und den Künsten den Rest meines Lebens widmen, als jetzt einzutreten in neue und fremde, – drückende und demüthigende Verhältnisse,« fügte er seufzend hinzu.

Der König Georg neigte mit düsterem Ausdruck das Haupt.

»Und,« fuhr der König Johann lebhaft fort, – »dabei bleibt Deutschland getheilt, statt des einigen, föderalen Deutschlands werden wir zwei streitende Hälften haben, – o,« rief er, »für Deutschland, für seine Größe und Macht wollte ich jedes Opfer bringen, – aber wird dieß Ziel auf diesem Wege erreicht werden?«

Und sinnend blickte er vor sich hin.

»Was sagen die Sachsen zu diesem neuen Verhältniß, – wird es nicht große Schwierigkeiten hervorrufen?« fragte der König von Hannover.

»Das sächsische Volk wird manche schmerzlichen Empfindungen durchzumachen haben,« – erwiederte der König Johann ernst, – »ebenso wie ich, – aber wenn ich meinen Namen unter den Friedenstraktat gesetzt haben werde, so wird mein Wort unverbrüchlich und unter allen Verhältnissen gehalten werden, – und mein Volk wird darin hinter mir stehen. – Ich habe nur den einen Wunsch,« fügte er mit tiefem Seufzer hinzu, – »daß die schmerzlichen Opfer, die ich bringen muß, dereinst wenigstens beitragen möchten, Deutschland groß und einig zu machen!«

»Auf diesem Wege wird Deutschland nicht zum wahren Heil und zur rechten Größe kommen!« rief der König von Hannover.

König Johann schwieg.

»Meinen Minister von Beust muß ich aufgeben,« sagte er nach einer Pause.

»Fordert man das von Berlin aus?« fragte der König von Hannover.

»Nicht eben geradezu, – indeß legt man es unabweislich nahe, – außerdem würde seine Lage eine fast unmögliche sein, – ich bedaure es, denn seine Gewandtheit hätte mir das Einleben in die neuen Verhältnisse wesentlich erleichtert. – Vielleicht steht ihm,« fuhr der König fort, »noch ein weiteres Feld offen, auf welchem er seine Fähigkeiten erproben kann, – der Kaiser machte mir Andeutungen, – er scheint die Idee zu haben, ihn demnächst an Mensdorff's Stelle zu sehen, der ja auch hier weder bleiben kann noch will!«

»Herr von Beust hier in Oesterreich?« rief der König Georg in lebhaftem Erstaunen.

»Ja,« sagte der König von Sachsen nachdenklich, – »es wird viele Schwierigkeiten haben, – der Erzherzog Albrecht und die Erzherzogin Sophie scheinen eine tiefe Abneigung gegen die Idee zu haben, selbstverständlich muß die Sache bis zur vollständigen Abwickelung aller schwebenden Verhältnisse das tiefste Geheimniß bleiben.«

»Gewiß,« sagte König Georg. – »Was denkt denn Beust mit Oesterreich zu beginnen?« fragte er sodann, – »er tritt da eine schwere Erbschaft an, – um so schwerer, als er mit vielen feindlichen Elementen im eigenen Hause zu kämpfen haben wird.«

»Ein wesentliches Element denkt er sich zur Seite zu stellen und es mit dem Hause Habsburg zu versöhnen, – den Ungarn, deren Verstimmung so sehr dazu beitrug, die Fortsetzung des Widerstandes jetzt unmöglich zu machen, würde er zunächst die von ihnen stets geforderte Autonomie wiedergeben.«

»Den Schwerpunkt nach Pesth verlegen,« sagte der König Georg mit einer gewissen Bitterkeit, – »wie es Graf Bismarck gerathen.«

»Es würde ein zweiter Schwerpunkt in Wien bleiben,« erwiederte der König von Sachsen, »und aus dem Gleichgewicht beider würde die künftige Stärke Oesterreichs hervorgehen.«

»Aber die Kirche,« fragte der König von Hannover, – »würde sie Beust gut aufnehmen?«

»Ueber kirchliche Fragen vermeide ich zu sprechen,« sagte König Johann ernst, – »ich bin glücklich, daß die Verhältnisse und die Verfassung Sachsens mich nie in die peinliche Lage bringen, zwischen den politischen Nothwendigkeiten und meinen religiösen Gefühlen entscheiden zu müssen. – Hast Du gute Nachrichten von der Königin?« fuhr er abbrechend fort.

»Ich danke Dir,« antwortete König Georg, »es geht ihr so gut, als es unter den obwaltenden Verhältnissen möglich ist.«

»Ich bewundere ihren Heldenmuth und ihre würdige Haltung,« sagte der König von Sachsen, – nach einem kurzen Stillschweigen fragte er:

»Wirst Du hier bleiben? – oder nach England gehen?«

»Nach England?« rief König Georg, – »nach England, das keinen Finger rührt, um mich zu schützen, um das Land zu vertheidigen, das ihm eine Reihe glorreicher Könige gegeben, dessen Söhne in Englands Kriegen geblutet haben? Nein, – ich bleibe hier, hier im Hause meines Vetters, das er mir so freundlich zur Verfügung gestellt hat,« er trat mit dem Fuße leicht auf den Teppich, – »hier bin ich wenigstens auf welfischem Boden, hier will ich bleiben, bis die Tage des Unglücks sich wenden!«

»Du glaubst an eine mögliche Wendung des jetzigen Schicksals?« fragte der König Johann mit einem gewissen Erstaunen.

»Ich glaube daran,« sagte der König von Hannover mit fester Stimme.

»Aber,« fuhr König Johann fort, – »hier in Oesterreich, das uns so schwer im Vertrauen auf seine Macht getäuscht, – wir sind ihnen jetzt schon eine Verlegenheit, – die Lage wird peinlich werden –«

»Hier im stillen Hietzing,« erwiederte König Georg, »werde ich die politische Welt von Wien nicht in Verlegenheit setzen, – vielleicht aber,« fuhr er ernst fort, »eine lebendige Erinnerung an Verpflichtungen sein, die man doch nicht abstreifen kann!«

Der König von Sachsen stand auf, – König Georg erhob sich ebenfalls.

»Ich erwarte meinen Sohn,« sagte König Johann, –»er wird Dir seinen Respekt bezeugen.«

»Ich werde mich von Herzen freuen, den Kronprinzen zu sehen,« sagte König Georg.

Der König von Sachsen drückte ihm die Hand, – König Georg schellte, die Flügelthüren öffneten sich und Arm in Arm durchschritten beide Fürsten das Vorzimmer. König Georg geleitete seinen Gast bis an den Ausgang des Hauses und kehrte dann, auf den Arm des Grafen Wedel, der ihm gefolgt war, gestützt, in sein Kabinet zurück.

Inzwischen war Graf Platen und der Regierungsrath Meding im Vorzimmer erschienen.

Der Kammerdiener meldete sie dem Könige.

»Rufen Sie den Kronprinzen und den Geheimen Kabinetsrath,« befahl Georg V.

Nach einigen Minuten trat der Kronprinz Ernst August und der Kabinetsrath in das Kabinet des Königs, Graf Platen und der Regierungsrath Meding folgten ihnen, – Alle setzten sich auf einen Wink des Königs um den Tisch.

Der König begann mit ernster Stimme:

»Die Einverleibung Hannovers in Preußen ist unwiderruflich beschlossen,« sagte er, »und ich stehe vor einem ernsten Entschlusse, zu dem ich Ihren Rath, meine Herren, hören will. – Wie Sie wissen, hat die englische Regierung sich erb0ten, ihre Vermittlung eintreten zu lassen für die Regelung der Vermögensverhältnisse meines Hauses, und zugleich den Wunsch ausgesprochen, daß ich meine Armee von ihrem Fahneneide entbinde, – wodurch jene Vermögensverhandlungen sehr erleichtert werden würden. – Nach meiner persönlichen Neigung würde ich einfach jede Verhandlung ablehnen und die Wendung des unglücklichen Schicksals abwarten, – indeß es kommen dabei nicht nur die Interessen meines Hauses, sondern auch die Existenzen vieler meiner Offiziere in Frage, – was meinen Sie, daß geschehen könne, Graf Platen?«

»Majestät,« sagte der Graf, sich leicht verneigend, »ich bin der Meinung, daß Eure Majestät in den jetzigen Verhältnissen danach trachten müssen, so viel Geld als möglich zu haben, – denn die verfügbaren Mittel sind sehr beschränkt. Wenn nun, wie ich annehme, die preußische Regierung einen großen Werth auf die Entbindung der Armee vom Fahneneide legt, so läßt sich damit viel erreichen, – ich glaube, daß Eure Majestät nicht zögern dürfen, die Verhandlungen einzuleiten, jedoch dürfte die Fahneneidsfrage nicht erledigt werden, bevor ein günstiges Resultat erreicht ist!«

– »Vor Allem,« sagte der Kronprinz, »müßte man die Domänen unseres Hauses mit den Jagden zu erhalten suchen.«

»Was meinen Sie, lieber Regierungsrath?« sagte der König und richtete den Kopf mit gespanntem Ausdruck nach dem Regierungsrath Meding hin.

»Majestät,« erwiederte dieser, – »ich bin durchaus der Ansicht, daß Eure Majestät in diese Verhandlungen eintreten müssen, – doch möchte ich nicht ganz die Meinung Seiner Excellenz des Grafen Platen, auch nicht diejenige Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen theilen. – Nach Eurer Königlichen Majestät fest und bestimmt ausgesprochenem Willen,« fuhr er fort, »muß ich voraussetzen, daß Allerhöchstdieselben das Schicksal, welches der Krieg für Hannover gebracht hat, nicht anerkennen, sondern mit allen Mitteln Ihr Recht verteidigen wollen –«

»Das will ich,« rief der König lebhaft, mit der Hand leicht auf den Tisch schlagend, – »und wenn mein Exil zwanzig, – wenn es dreißig Jahre dauern soll, so werde ich nie aufhören, für mein Recht zu streiten!«

»Eure Majestät haben dazu die vollständigste Berechtigung,« sagte der Regierungsrath Meding, – »es ist Ihnen der Krieg erklärt und kein Frieden mit Ihnen geschlossen, – Eure Majestät sind also im Kriegszustande und können demgemäß handeln, – müssen aber dann auch erwarten, daß von der andern Seite in gleicher Weise wird verfahren werden. Für uns, Eurer Majestät Diener, ist hienach die Pflicht klar vorgezeichnet,« fuhr er sich verneigend fort, – »da Eure Majestät den Kampf aufnehmen wollen, so müssen auch alle Maßregeln diesem Willen Eurer Majestät gemäß getroffen werden. – Der Besitz von Domänen im Königreiche Hannover macht Eure Majestät vollständig von der preußischen Regierung abhängig, – jeder Grundbesitz muß außerdem fast täglich durch konkludente Handlungen die Autorität der Behörden des Landes anerkennen, das Alles paßt nicht zu der Stellung, welche Eure Majestät einnehmen wollen. – Außerdem, – verzeihen Eure Majestät, aber ich kann mich von einem Grundsatz nicht trennen, der für meinen großen Meister in der Politik, den Herrn von Manteuffel, maßgebend war –«

»Ein preußischer Grundsatz,« sagte der Kronprinz lächelnd.

»Königliche Hoheit,« erwiederte der Regierungsrath Meding ernst, – »die Grundsätze, welche ich im preußischen Dienste gelernt und befolgt habe, werde ich nie verleugnen – und in Befolgung eines der unerschütterlichsten dieser Grundsätze habe ich in diesem Augenblick die Ehre, an der Seite meines Königs im Unglück zu stehen, – ich kann durch die Verhältnisse, die Pflicht und die Liebe zu meinem Herrn dem Lande meiner Geburt feindlich entgegenzutreten gezwungen werden, – verleugnen und gering achten werde ich es nie!«

Der Kronprinz schwieg.

»Sie haben vollkommen Recht,« sagte der König lebhaft, – »Sie würden mir kein treuer Diener sein, wenn Sie Ihren früheren Herrn verleugneten. – Herr von Manteuffel also –«

»Herr von Manteuffel,« sagte der Regierungsrath Meding, »pflegte zu sagen: Ein kluger General denkt vor Allem an den Rückzug. Auch bei dem Kampf, den Eure Majestät unternehmen, möchte ich oft und sorgfältig den Rückzug in's Auge fassen, – und wenn derselbe jemals angetreten werden muß, so scheint es mir nicht würdig, daß die Welfen Grundbesitzer in dem Lande sind, in welchem sie die Krone getragen, ein unabhängiges Kapitalvermögen wird dann die Basis zur Erwerbung von neuem Besitz in dem Lande geben, in welchem auch nach dem Verlust der Krone von Hannover den Fürsten des Welfenhauses eine große und schöne Zukunft sich öffnet: – in England.«

»Aber sollen wir denn alle Besitzungen unseres Hauses, die so voll Erinnerungen sind, aufgeben?« rief der Kronprinz.

»Erlangt Seine Majestät die Krone von Hannover wieder,« sagte der Regierungsrath, »so tritt er auch wieder in den Besitz der königlichen Domänen, – wo nicht – so können jene Erinnerungen nur schmerzlich sein. – Ich glaube übrigens,« fuhr er fort, – »daß Preußen gar keine Domänen zugestehen wird, ohne ausdrückliche Anerkennung seiner Souveränetät.«

Der König schwieg nachdenkend.

»Majestät,« sagte Graf Platen, »die Bemerkungen des Regierungsraths sind gewiß beachtenswert – allein eben so sehr berechtigt ist doch gewiß auch der Wunsch Seiner Königlichen Hoheit, – man könnte ja beide Ansichten vereinigen und einen Theil des Vermögens in Domänen – etwa ein Drittel, das Uebrige in Kapital verlangen.«

»Das würde ja die ganzen Verhandlungen auf eine schiefe Basis stellen und unendlich in die Länge ziehen,« sagte der Regierungsrath.

»Lassen Sie uns diesen Ausweg ergreifen,« sagte der König, – »was meinen Sie, lieber Lex?«

»Ich bin ganz mit dem Grafen Platen einverstanden,« sagte der Geheime Kabinetsrath.

Der Regierungsrath schwieg.

»Sie hatten aber noch ein Bedenken,« sagte der König, sich zu ihm wendend.

»Majestät,« sagte der Regierungsrath Meding, »mein zweites und sehr ernstes Bedenken bezieht sich auf den Zusammenhang, in welchen der Graf Platen die Vermögensverhandlungen mit der Entbindung vom Fahneneide bringen zu wollen schien. Ein solcher Zusammenhang mag wirkungsvoll sein können, – ich glaube indeß nicht, daß er der Würde Eurer Majestät entsprechend ist.«

Lebhaft richtete der König das Haupt empor.

»Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde!« rief er lebhaft. »Niemals – niemals, niemals werde ich das Schicksal meiner Offiziere, meiner treuen und tapfern Armee, von Vermögensfragen meines Hauses abhängig machen. – Ich will,« fuhr er mit bestimmtem Ton fort, – »daß diese beiden Fragen vollständig von einander getrennt werden, und daß dieß der englischen Regierung klar und unzweideutig gesagt werde. – Was die Armee betrifft,« – sagte er nach einer Pause, – »so ist mein Entschluß gefaßt. Ich werde niemals die Armee vom Fahneneide entbinden, aber ich werde Jedem, der darum bittet, den Abschied bewilligen, – ich werde keinen meiner Offiziere tadeln, der ohne Vermögen gezwungen ist, sich den Verhältnissen zu fügen, – aber ich werde auch diejenigen nicht von mir lösen, welche mir treu bleiben können und wollen. Ich will militärisch Kommissarien nach Berlin senden, welche in diesem Sinne verhandeln und dafür günstige materielle Bedingungen für diejenigen Offiziere erwirken sollen, welche nicht in preußischen Dienst treten wollen. Arbeiten Sie die Instruktionen in diesem Sinne aus, meine Herren,« fuhr er fort, »und legen Sie mir dieselben vor. – Vor Allem aber: keine Vermengung meiner Vermögensangelegenheiten mit dem Schicksal der Armee! – Es wird auch nöthig sein,« fuhr er nach einigem Nachdenken fort, – »eine Protestation gegen die Einverleibung Hannovers zu entwerfen und bereit zu halten, um sie den europäischen Höfen zuzusenden, sobald die Annexion proklamirt wird, – auch muß ein Plan entworfen werden für ein energisches und thätiges Handeln, um den Kampf für die Wiedererlangung meiner Rechte vorzubereiten.«

»Mit dem Entwurf der Protestation in französischer Sprache habe ich bereits den Legationsrath Lumé de Luine beauftragt,« sagte Graf Platen, – »die Data und staatsrechtlichen Ausführungen dazu finden sich in der bereits versendeten Denkschrift über die hannöverische Politik! – Was nun,« fuhr er fort, – »die Thätigkeit betrifft, die wir entwickeln können, so wird sich dieselbe wohl auf die Agitation im Lande beschränken, – und auf die scharfe Beobachtung der europäischen Politik, – die wesentlichste Chance zur Wiedererlangung der Krone Hannovers kann demnächst doch nur in dem Schutze und dem guten Willen derjenigen Großmächte liegen, welche etwa einen Krieg gegen Preußen führen.«

»Ich möchte doch der Ansicht sein, Majestät,« sagte der Regierungsrath Meding, »daß der Plan für die nächstliegende Thätigkeit, – welche ja heute hier nicht ausführlich diskutirt und definitiv festgestellt werden kann, in etwas größerem Maßstabe und auf weiteren Grundlagen entworfen werden müßte. – Was die Agitation in Hannover selbst betrifft, so ist dabei die größte Vorsicht nöthig, – um nicht unglückliche Opfer in's Verderben zu stürzen, aus dem wir keine Macht haben sie zu retten. – Der wesentliche Schwerpunkt scheint mir anderswo zu liegen,« fuhr er fort. – »Eine Wiederherstellung der Rechte Eurer Majestät und der Krone Hannovers ist nur dann möglich, wenn dasjenige Prinzip, welches heute unterlegen ist – das Prinzip der föderativen Einigung Deutschlands mit autonomischer Selbstständigkeit seiner Stämme – jemals den Kampf wieder aufnimmt und siegreich wird. Das wird aber nur geschehen können, wenn in diesem Prinzip die Monarchie mit dem Fortschritt, – mit der Demokratie sich verbindet.«

»Sie wollen doch nicht den König durch die Demokratie auf den Thron zurückführen?« rief Graf Platen.

»Wenn dieß überhaupt möglich ist,« erwiederte Herr Meding, »so ist es nur die Macht des wahren Vernünftigen Geistes der reinen Demokratie, welche uns unterstützen kann, – nicht jener Demokratie, welche alles Erhabene und Hochragende herabzieht in den schmutzigen Brei der Masse, – sondern der Demokratie, welche in Uebereinstimmung mit dem Fortschritt der geistigen Entwickelung des Volkes dieses immer mehr und mehr erhebt zur Theilnahme an seinen gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten. – Eure Majestät erlauben mir,« sagte er nach einer kurzen Pause, während der König mit gespanntem Ausdruck zuhörte, – »mich noch etwas deutlicher auszudrücken; die einfache Legitimität, so heilig und ehrwürdig sie für mich ist, bildet heute keinen Faktor mehr im öffentlichen Leben, – sie bewegt nicht mehr das Gefühl der Völker, nicht mehr die Politik der Kabinette. Die Monarchie, – wenn sie in ihre weise, segensreiche und durch das Recht der Jahrhunderte geheiligte Form die lebendige Entwickelung der Zukunft einschließen und begrenzen will, muß diese Form der lebendigen Bewegung anpassen – sie muß sich vermählen mit der Freiheit. Der Boden, der Grund des Rechts muß der alte sein, verwachsen mit dem Felsengrund der Jahrtausende, – aber auf diesem Boden müssen wir die Früchte der Freiheit erwachsen lassen – so allein kann die Monarchie Dauer – und Berechtigung für die Zukunft haben. – Das ist der Zug der ganzen Welt, – in Deutschland insbesondere schließt sich an das Weltbedürfniß der Freiheit die Liebe zur Autonomie und Eigenart des gesonderten Stammes; diese beiden Grundsätze, diese beiden tiefen bewegenden Kräfte sind es, welche in Kampf und Gegensatz stehen zu dem, was sich jetzt vollzogen hat, soweit sich heute die Entwickelung der Verhältnisse übersehen läßt. Die logische Folge wird für das Erste sein, daß Autonomie und Freiheit mehr beschränkt werden, als vorher, – deßhalb wird, wenn jemals eine Aenderung der heutigen Zustände möglich ist, diese nur dadurch erfolgen können, daß der im Geist des deutschen Volkes lebende Drang nach Autonomie und Freiheit sich gegen die angestrebte militärische Centralisation erhebt. – Wollen Eure Majestät daher wirksam kämpfen, so müssen Sie Allerhöchstsich und die hannöverische Sache zu einer Verkörperung jener nationalen Prinzipien Deutschlands machen, Sie müssen an sich heranziehen alle Kräfte, welche das Volk bewegen in seinen edlen Elementen, Sie müssen die Gewalt der Waffen mit der Gewalt des Geistes bekämpfen. Kommt dann ein Augenblick, in welchem der Sturm das unvollendete Gebäude dieser Tage erfaßt, dann werden Eure Majestät die Fahne erheben und Deutschlands Volk für die föderative Autonomie und die Freiheit zum Kampfe rufen. – Wie aber so in geistiger Arbeit die Vorbereitungen getroffen werden müssen, so ist es auch nöthig, für den wirklichen Kampf zu rüsten, – nicht durch Agitationen und Demonstrationen, sondern in Herstellung wirklicher Organisationen, aus denen sich dereinst die Cadres einer Armee bilden lassen, und durch wachsames und unablässiges Verfolgen der Fäden der großen europäischen Politik, damit Eure Majestät den richtigen Augenblick zum Handeln zu wählen im Stande sind und damit Sie auch so viel als möglich auf den Gang der Ereignisse einwirken können. – Ein bloßes Agitiren und Demonstriren ist völlig zweck- und erfolglos nach meiner Ueberzeugung, – ein bloßes Anschließen an diese oder jene Kabinetspolitik höchst gefährlich – denn Eure Majestät werden doch gewiß nicht als König von des Kaisers von Oesterreich oder gar Napoleon's III. Gnaden wieder auf den Thron von Hannover steigen wollen. Die vollste Selbstständigkeit des Handelns, geistig und materiell, ist nothwendig; – wir müssen womöglich die Sympathie aller europäischen Kabinette für uns gewinnen, aber von keinem abhängig sein. In dieser Selbstständigkeit allein liegt die Möglichkeit eines Erfolges – selbst unter gewissen Voraussetzungen, welche durchaus nicht außerhalb der logischen Möglichkeit liegen, durch einen ehrenvollen Frieden mit dem Gegner; – ohne diese Selbstständigkeit und ohne das feste Bündniß mit den geistigen Kräften des deutschen Volkes werden alle Bestrebungen unnütz sein, sie werden der Würde Eurer Majestät nicht entsprechen und« – fügte er mit leiserer, aber fester Stimme hinzu, »Eure Majestät werden keine Organe dafür finden.«

Eine augenblickliche Pause trat ein.

»Mit einem Wort also,« sagte der Regierungsrath Meding, – »Eure Majestät müssen den Kampf mit Waffen aufnehmen, welche schneidig und wirksam sind – und edel und würdig zugleich, damit auch die Gegner uns achten – damit, wenn Alles vergeblich ist – das Welfenhaus seiner tausendjährigen Vergangenheit gemäß endet und die Geschichte einst sagen könne: Sie sind gefallen, aber nicht gesunken – Ich habe,« fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, »nur in großen Zügen die Ideen entwickeln können, welche nach meiner unmaßgeblichen Ansicht die Richtschnur für unsere Thätigkeit bilden müssen, – ich muß mir vorbehalten, näher darauf zurückzukommen, wenn Eure Majestät es befehlen werden.«

»Eine solche Thätigkeit wird aber viel Geld kosten,« sagte der Kronprinz.

»Es läßt sich auch mit geringen Mitteln viel erreichen, Königliche Hoheit,« erwiederte der Regierungsrath Meding, – »wie ich aus Erfahrung sagen kann – indeß, wenn man um Kronen spielt, darf man den Einsatz nicht zu ängstlich zählen.«

Der König erhob das Haupt.

»Ich bin mit Ihren Ansichten vollkommen einverstanden, mein lieber Meding,« sagte er, »das legitime Recht verträgt sich vollkommen mit der Freiheit – mit der wahren und vernünftigen Freiheit, – ich scheue wahrlich den Strom des Geistes nicht, und an meiner Thätigkeit und meinem Willen soll es nicht fehlen. – Wir kommen auf die Sache zurück, – ich bin begierig, näher darauf einzugehen.«

»Es wäre gewiß sehr zweckmäßig, mit den Männern der Volkspartei in Verbindung zu treten,« sagte Graf Platen, – »und der Regierungsrath Meding könnte ja immer solche Beziehungen anknüpfen, – persönlicher Natur,« fügte er hinzu, »Eure Majestät müßten die Möglichkeit und Freiheit behalten, die Sache zu desavouiren –«

Lebhaft erwiederte Herr Meding:

»Wenn ich mit irgend einer Regierung verhandle, so gibt es Fälle, wo jeder Diplomat von vornherein bereit sein muß, sich desavouiren zu lassen, – sollte ich aber mit Organen des Volkes verhandeln, so würde beim ersten Desaveu meine Ehre und Ueberzeugung mir gebieten, auf die Seite Jener zu treten und ihre Sache zu der meinigen zu machen. – Uebrigens,« fügte er mit einer Verneigung gegen den König hinzu, – »weiß ich, daß das von Seiten Eurer Majestät niemals geschehen wird.«

Der König ließ seine Uhr repetiren.

»Es ist Zeit zum Diner,« sagte er, »ich sehe die Herren ja alle bei mir. Bereiten Sie also die Instruktionen vor, – und dann werden wir den Plan für unsere Aktion feststellen.«

Er erhob sich. Sämmtliche Anwesenden standen auf. Graf Platen, der Geheime Kabinetsrath und der Regierungsrath Meding verließen das Kabinet und kehrten in den chinesischen Salon zurück.

Hier war die zum Diner des Königs befohlene Gesellschaft schon versammelt. Sie bestand außer dem Adjutanten vom Dienst aus dem Feldmarschall-Lieutenant von Reischach, dem Prinzen Hermann von Solms und dem Hauptmann von Düring.

Graf Wedel hatte seinen Dienst angetreten und trug den Stab des Hofmarschalls.

Baron Reischach sprach mit dem Prinzen Hermann.

»Wie stolz dieser vortreffliche kleine Prinz ist,« sagte er, freundlich lächelnd, »über den ersten Pulverdampf, den er gerochen – ja, ja,« fuhr er seufzend fort, »das sind schöne Zeiten, – die nicht wiederkommen, – ein alter zerschossener Krüppel, wie ich, kommt nicht mehr dazu, die Musik der Kanonen zu hören –«

»Wenn man Sie aber sieht,« sagte der Prinz, »so frisch, so rosig, sollte man wahrlich nicht denken, daß diese Zeit Ihnen so fern läge, – wäre das weiße Haar nicht, so würde man Sie für einen jungen Mann halten.«

»Die Damen in Wien nennen meinen Kopf eine bezuckerte Erdbeere,« sagte der General lachend, – »aber diese Frucht lockt sie doch nicht mehr, – die Zeit des Kriegs und der Liebe ist vorbei, – aber das alte Herz da bleibt doch jung und freut sich stets über einen so vortrefflichen kleinen Prinzen, der sich so tapfer geschlagen hat!«

Und der alte General klopfte dem Prinzen freundlich auf die Schulter.

Graf Platen trat heran und begrüßte Herrn von Reischach.

»Was gibt es Neues in Wien?« fragte er.

»Wenig,« sagte Herr von Reischach achselzuckend. »Doch,« – fuhr er fort, »ein halber Landsmann von Ihnen, ein Mecklenburger, entführt uns eine unserer schönsten Damen.«

»Wer?« fragte Graf Platen.

»Der Baron Stielow heirathet in vierzehn Tagen die kleine Gräfin Frankenstein.«

»Ah,« sagte Graf Platen, »Herr von Stielow, der Ordonnanzoffizier bei Gablenz war?«

»Derselbe.«

»Er hat sich konvertirt, wie ich gehört habe.« sagte der Prinz Hermann.

»Ans Liebe zu seiner Braut,« erwiederte Herr von Reischach, – »und aus Dankbarkeit für ihre Rettung aus großer Lebensgefahr, – sie hatte sich bei der Pflege der Verwundeten eine Blutvergiftung zugezogen. – Sie werden nach der Hochzeit längere Zeit reisen –«

Der Haushofmeister öffnete die Thüren des Speisesaales.

Graf Wedel trat in das Kabinet des Königs.

Unmittelbar darauf öffneten sich dessen beide Flügelthüren, Graf Wedel stieß seinen Stab auf den Boden und der König erschien in der Oberstenuniforin seines österreichischen Regiments, den Stern des St. Stephansordens auf der Brust, das Maria-Theresienkreuz um den Hals, am Arm des Kronprinzen.

Er grüßte die Gesellschaft mit einem leichten Neigen des Kopfes und schritt in den Speisesaal, wohin Alle ihm folgten.


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