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Elftes Kapitel.

König Georg von Hannover saß am Vormittag desselben 15. Juni in seinem Kabinet in Herrenhausen. Die frische Lust drang durch die geöffneten Fenster herein, die Blumen im Zimmer verbreiteten einen leichten milden Duft, die Springbrunnen plätscherten leise in dem vor den Zimmern des Königs befindlichen reservirten Garten. Alles athmete Ruhe und tiefen Frieden in dieser königlichen Residenz, welche fern vom geräuschvollen Treiben der Stadt in vornehmer Stille dalag.

Der Geheime Kabinetsrath Lex saß neben dem Könige am Tisch, beschäftigt, die eben eingegangenen Sachen vorzulesen.

So eben hatte der Kammerdiener dem Könige eine Cigarre in einer langen hölzernen Spitze gebracht und Georg V. lehnte sich behaglich in seinen Sessel zurück, die feinen, bläulichen Wolken des duftigen Havannahblattes langsam von sich blasend.

»Der Bericht aus Frankfurt über die gestrige Abstimmung ist da, Majestät,« sagte der Geheime Kabinetsrath.

»Nun?« fragte der König.

»Die Mobilmachung der Bundesarmee ist mit neun gegen sechs Stimmen beschlossen.«

»Das ist ein österreichischer Antrag, der nicht besonders klug erdacht ist,« sagte der König. »Wir sind dadurch in große Verlegenheit gebracht, – indeß mit der Modifikation, welche die hannöverische und hessische Abstimmung der Sache geben, wird wohl dem Antrag die Spitze abgebrochen sein.«

»Ich darf Eure Majestät untertänigst aufmerksam machen, daß diese Modifikation, welche die preußischen Armeekorps mit mobil macht und die österreichischen Motive zurückweist, nicht die Majorität erlangt hat – und außerdem scheint sie mir nach meiner bescheidenen Ansicht wenig bedeutungsvoll, – die Dinge sind auf einem Punkte angekommen, wo keine juristischen Subtilitäten mehr, sondern nur noch die Thatsachen in's Gewicht fallen.«

»Aber Graf Platen war der Ansicht,« sagte der König, »daß mit unserer Abstimmung nach Wien und Berlin hin gleich vorsichtige Rücksicht genommen sei –«

»Preußen scheint diese Auffassung nicht zu theilen,« sagte der Kabinetsrath, in die vor ihm liegende Depesche blickend, – »denn der preußische Gesandte hat die Bundesversammlung sofort nach der Abstimmung verlassen und die Erklärung abgegeben, daß seine Regierung den Bund als aufgelöst betrachte, dagegen auf der Basis ihres Reform-Entwurfs mit den einzelnen Regierungen einen neuen Bund zu schließen bereit sei.«

»So weit ist es?« rief der König betroffen und richtete sich empor. – »So ist also dieser deutsche Bund, dieses Bollwerk des deutschen und europäischen Friedens, gesprengt, – welchen Zeiten gehen wir entgegen! – Aber,« rief er nach augenblicklichem Nachdenken, – »wie kann Preußen den Bund als aufgelöst betrachten, – das ist gegen die Fundamentalgesetze und ganz Deutschland muß um so mehr an ihm festhalten!«

»Ich fürchte, daß der Bund, der, auf Oesterreich und Preußen gestützt, mächtig und sicher war, ohne Preußen keine Lebenskraft haben werde« – sagte der Kabinetsrath.

Der König schwieg.

»Ich bin in großer Besorgniß wegen der Zukunft,« sprach der Geheime Kabinetsrath weiter, – »und« – fügte er seufzend hinzu – »würde unendlich mehr befriedigt sein, wenn Eure Majestät den Neutralitätsvertrag in Händen hätten.«

»Aber mein Gott!« rief der König, »ich habe ja meinen Entschluß, neutral zu bleiben, fortwährend ausgesprochen –«

»Aber der Vertrag ist nicht geschlossen,« sagte der Kabinetsrath.

»Der Kurfürst von Hessen wollte sich auch nicht fest binden« – sagte der König, »man hat Wimpffen von Wien aus zu ihm geschickt, wie meinen Bruder Karl zu mir, – Sie wissen, daß er mir durch Meding geantwortet hat, er glaube definitive Entschlüsse erst fassen und Verträge erst schließen zu können, wenn wirklich das beklagenswerthe Faktum der Sprengung des deutschen Bundes eingetreten sei. Uebrigens ist er eben so entschlossen, wie ich, neutral zu bleiben. – Sollte ich da mit einem Vertrag vorangehen, von dem mir Graf Platen sagte, er würde die ganze Bundesversammlung allarmiren und in Wien tief verletzen?«

»Ich würde der bescheidenen Ansicht sein, daß Eure Majestät den Neutralitätsvertrag unbekümmert um allen Allarm in Frankfurt hätten abschließen können – und, wenn es noch möglich ist, daß Sie ihn so schnell als möglich jetzt abschließen und keine ausweichenden Bedenken des Grafen Platen mehr anhören. Es ist besser, auf einem Stuhl zu sitzen, als zwischen zweien.«

»Sie haben Recht,« rief der König, – »es muß ein Ende gemacht werden, die Neutralität entspricht ganz meiner Auffassung und selbst der traurige und beklagenswerte Vorgang in Frankfurt kann nichts in meiner Ueberzeugung ändern, welche mir verbietet, an einem Kriege zwischen zwei Gliedern des deutschen Bundes mich irgendwie zu betheiligen. Ich will Platen kommen lassen und ihm die sofortige Aufnahme der Verhandlungen behufs des Neutralitätsabschlusses befehlen.«

»Ich bin überzeugt,« sagte der Kabinetsrath mit Befriedigung, – »daß Eure Majestät sehr wohl daran thun, und werde erst ruhig sein, wenn der Vertrag in unserem Archiv liegt.«

Der Kammerdiener trat ein.

»Staatsminister Graf Platen bittet in dringenden Angelegenheiten um Audienz!«

»Er soll kommen!« rief der König verwundert.

Das Gesicht des Geheimen Kabinetsraths legte sich in bedenkliche Falten.

Graf Platen trat ein. Die gleichmäßige, selbstbefriedigte Ruhe, welche sonst den Ausdruck seines Gesichts bildete, hatte einem Anflug von nachdenklichem Ernst Platz gemacht.

Der Kabinetsrath sah ihn forschend und unruhig an.

»Was bringen Sie so eilig, Graf Platen?« rief der König.

»Majestät,« erwiederte der Minister, an den Schreibtisch des Königs tretend, – »eine Note, die mir Prinz Ysenburg so eben übergeben, zwingt mich, sofort Eurer Majestät allergnädigste Entscheidung zu erbitten.«

»Nun?« rief der König gespannt, – »was will man in Berlin? – So eben,« fuhr er fort, »sprach ich mit dem Geheimen Kabinetsrath über die Neutralität und es scheint mir, daß jetzt, nachdem der Bund leider tatsächlich gesprengt ist, nunmehr Ihren mündlichen Abmachungen gemäß der Vertrag geschlossen werden kann.«

»Majestät,« sagte Graf Platen, indem er ein gefaltetes Papier aus der Tasche zog, – »es scheint, daß man in Berlin jetzt weiter geht!«

»Weiter?« rief der König und ein Zug von Befremdung und Unmuth zeigte sich in seinen zusammengezogenen Augenbrauen, – »was kann man denn noch mehr verlangen?«

»Man verlangt ein Bündniß auf Grund der preußischen Reformvorschläge, wogegen man die Sonveränetät und den Besitz Eurer Majestät gewährleisten will!«

»Aber das ist ja ganz etwas Neues!« rief der König.

»Zu spät!« sagte der Geheime Kabinetsrath leise vor sich hin und senkte traurig den Kopf.

»Jene Reformvorschläge,« fuhr der König lebhaft fort, »welche mir den größten und wesentlichsten Theil meiner Souveränetät nehmen, – habe ich ein- für allemal zurückgewiesen und werde sie niemals annehmen. – Welche Souveränetät will man mir dann noch garantiren, nachdem ich die wesentlichsten Bedingungen der Souveränetät aufgegeben? – Sagen Sie dem Prinzen Ysenburg –«

»Wollen Eure Majestät die Gnade haben,« sagte Graf Platen, »die Note des Prinzen anzuhören? Die Situation ist ernst, – er verlangt Antwort bis heute Abend und wenn dieselbe nicht befriedigend ausfällt, d. h. wenn Eure Majestät das Bündniß nicht annehmen – so betrachtet sich Preußen als im Kriegszustand mit Hannover.«

Der König fuhr auf.

»So weit sind wir?« rief er, – »doch lesen Sie!«

Und er bedeckte das Gesicht mit der Hand, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnte; Graf Platen entfaltete das Papier, welches er in der Hand hielt, und las die preußische Sommation, von demselben Tage datirt.

Der König sprach während der Vorlesung kein Wort und bewegte sich nicht.

Als Graf Platen geendet, erhob er den Kopf, – tiefer Ernst lag auf seinen Zügen.

»Und was ist Ihre Ansicht?« fragte er kalt und ruhig.

»Majestät,« sagte Graf Platen zögernd mit etwas unsicherer Stimme, – »ich glaube in der That noch nicht, daß die Dinge ganz so weit sind, wie diese Note sie erscheinen läßt, – man will eine starke Pression ausüben, und ich glaube, wenn man nur etwas Zeit gewinnt –«

»Aber es wird eine Antwort bis heute Abend verlangt!« warf der Kabinetsrath mit einem leisen Klang von Ungeduld in der Stimme ein.

»Gewiß,« sagte Graf Platen, »eine Antwort müssen Eure Majestät auch geben, aber es läßt sich da doch immer ein moyen terme finden, wenn man erwiederte, daß Eure Majestät zu einem Vertrage mit Preußen – das Wort Bündniß müßte vermieden werden – bereit seien und daß derselbe sogleich verhandelt werden sollte, – die Bedingungen aber müßten diskutirt werden, – damit lassen sich einige Tage gewinnen – inzwischen können Ereignisse eintreten – Graf Ingelheim erwartet stündlich die Nachricht vom Einrücken der österreichischen Armee in Sachsen, – und wir können dann nach den Ereignissen handeln –«

»Meine Ansicht steht fest!« sagte der König, indem ein unbeugsamer Entschluß aus seinen stolzen Zügen leuchtete und er das Haupt mit einer Bewegung voll Hoheit und Würde zurückwarf, – »die Reformbedingungen, auf Grund deren ich dieß Bündniß eingehen soll, greifen die Selbstständigkeit und die heiligsten Rechte der Krone an, welche ich von meinen Ahnen ererbt habe, welche von ganz Europa garantirt ist und welche ich meinem Sohne in voller Selbstständigkeit wieder zu hinterlassen verpflichtet bin. Sobald ich davon überzeugt bin, gibt es für mich nur Eine Antwort auf den preußischen Vorschlag – und diese Antwort ist: Nein! – Dann aber,« fuhr er fort, »keine Unklarheit, keine dilatorischen Negoziationen, ich will, daß man über diesen Punkt ganz klar sei in Berlin, – die Neutralität, die ich versprochen, werde ich halten und will sie völkerrechtlich abschließen, – diesen Vertrag niemals!«

Der Kabinetsrath schwieg.

Graf Platen faltete die Note des Prinzen Ysenburg und entfaltete sie wieder, – er schien nach einem Ausweg zu suchen, um dem so bestimmt ausgesprochenen Entschluß des Königs eine Modifikation zu geben.

Georg V. erhob sich.

»Die Lage aber,« sprach er, »in welcher ich, mein Haus und mein Königreich uns in diesem Augenblick befinden, ist so ernst und was jetzt geschieht, greift in unberechenbaren Konsequenzen so weit in die Zukunft, daß ich bei dem zu fassenden Entschluß mein Gesammtministerium hören will.«

Graf Platen seufzte erleichtert auf und nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Fahren Sie, mein lieber Graf,« fuhr der König fort, »sofort zur Stadt zurück und rufen Sie meine sämmtlichen Minister auf der Stelle hieher!«

»Zu Befehl, Majestät!« sagte Graf Platen schnell.

»Zugleich aber,« sprach der König weiter, »müssen sofort Maßregeln getroffen werden, um die Armee, welche zerstreut im Lande sich befindet, zu konzentriren. Ich will alles unnütze Blutvergießen hier im Lande für alle Fälle vermeiden und mit der Armee nach Süddeutschland gehen, um dort im Verein mit meinen nunmehrigen Bundesgenossen zu handeln. So wird wenigstens mein Land von den Schrecken des Krieges verschont bleiben, wenn ich es auch vor feindlicher Okkupation nicht schützen kann.«

»Eure Majestät wollen selbst –« rief Graf Platen.

»Ich will thun, was meine Pflicht ist« – unterbrach ihn der König mit Hoheit, – »und wenn meine Armee im Felde steht, so ist mein Platz in ihrer Mitte. – Senden Sie reitende Ordonnanzen zu meinem Generaladjutanten, dem Chef des Generalstabs und dem Kommandeur des Ingenieurkorps,« sagte er dem Geheimen Kabinetsrath, »und Sie, mein lieber Graf, – eilen Sie und kommen Sie bald mit den übrigen Herren zurück!«

Graf Platen und der Geheime Kabinetsrath entfernten sich.

Der König blieb allein.

Er saß da vor seinem Tisch in tiefes Sinnen versunken. Das Haupt sank tief herab und von Zeit zu Zeit drang ein schwerer Athemzug aus der arbeitenden Brust – dann hob er den Kopf empor und das blicklose Auge richtete sich nach Oben wie in stummer Frage.

Der Kammerdiener öffnete schnell beide Flügel der Thüre und rief:

»Ihre Majestät die Königin!«

Georg V. fuhr aus seinem Sinnen empor und stand auf.

Die Königin trat eilig in das Kabinet und ging auf ihren Gemahl zu, der ihr die Hände entgegenstreckte und sie auf die Stirn küßte.

Die Königin Marie war damals etwa fünfundvierzig Jahre alt, groß und von jugendlich elastischer Gestalt, anmuthig in Haltung und Bewegung. Ihr Gesicht, von dunkelblondem reichem Haar umrahmt, hatte nicht mehr die frischen, rosigen Farben und die kindlichen Züge, welche das neben dem Schreibtisch des Königs hängende große Brustbild der eben vermählten Kronprinzessin zeigte, – aber ein jugendlicher Hauch lag noch immer auf diesem reinen, wohlwollenden und heitern Gesicht, und aus den Augen von dunklem Grau strahlte ein heller, klarer Blick voll Herzensgüte und Lebensfreudigkeit. Heute jedoch war dieser Blick voll Unruhe und Sorge, und mit aufgeregter Stimme rief die Königin, indem sie zu ihrem Gemahl emporblickte:

»Ich sah aus meinem Fenster Graf Platen eilig zu Dir gehen und in dieser Zeit der Angst und Aufregung fürchte ich immer, es könne eine schlimme Nachricht kommen,« sagte sie mit ihrer wunderbar tiefen und biegsamen Altstimme. »Ist es etwas Ernstes?« fügte sie nach einigen Augenblicken hinzu, indem sie ängstlich forschend in das ernste, fast feierliche Gesicht des Königs sah.

Georg V. antwortete:

»Es wäre thöricht, Dir zu antworten, es sei Nichts – Du würdest die Wahrheit doch bald genug erfahren und – eine Königin muß auch die großen Krisen zu überwinden wissen.«

Er legte sanft die Hand auf ihr Haupt.

»Ja, es ist Ernst,« sagte er, – »heute Abend haben wir den Krieg mit Preußen.«

»O mein Gott!« rief die Königin bebend, – »wie ist das möglich – Du wolltest ja für alle Fälle neutral bleiben!« –

»Man stellt mir Bedingungen, die ich nicht annehmen kann, ohne die Würde und Ehre meiner Krone zu verletzen, – ich werde sie ablehnen und dann ist der Krieg erklärt!« sagte der König mit weicher Stimme, wie um seiner Gemahlin diese harte Nachricht milder zugänglich zu machen.

»Entsetzlich!« rief die Königin, – »ist denn gar keine Transaktion möglich, – könnte ich vielleicht etwas thun zur Verständigung!« rief sie, wie von einer plötzlichen Eingebung erfaßt, »die Königin Augusta wird wie ich vor einem solchen wahren Bruderkriege zurückschrecken.«

»Ja, ein Bruderkrieg ist es im eigentlichsten Sinne des Wortes,« sagte der König, – »denn aus manchen Familien steht ein Bruder in meinem, der andere in preußischem Dienst, – aber zu thun ist da nichts mehr, – glaube es mir, – ich bin dessen gewiß und das Einzige ist, daß ich so viel als möglich suchen werde, Blutvergießen hier im Lande zu vermeiden. Graf Platen glaubt zwar noch vermitteln zu können –«

»O hätte er nicht so lange vermittelt!« rief die Königin lebhaft, – »dann wären wir jetzt nicht in dieser schweren Lage, – nach beiden Seiten ohne Halt, – hätte er dann wenigstens nicht Gablenz und seine Truppen fortgehen lassen. Glaube mir, Männchen,« rief sie in innigem Ton, »diese lächelnde Zweiseitigkeit Platen's stürzt uns Alle in's Unglück!«

Der König blickte finster vor sich hin.

»Jetzt ist jedenfalls nichts zu ändern,« sagte er, – »die Situation muß erfaßt werden wie sie ist. – Ich gehe diese Nacht mit Ernst zur Armee, die ich nach dem Süden des Königreiches zusammenberufen will, um wo möglich die süddeutschen Truppen zu erreichen.«

»Und wir, – wohin gehen wir?« rief die Königin ängstlich.

Der König nahm ernst ihr Haupt in beide Hände, drückte einen Kuß auf ihre Stirn und sprach mit unendlicher Milde und Weichheit, aber eben so großer Entschiedenheit:

»Du und die Prinzessinnen – ihr bleibt hier!«

»Hier?!« rief die Königin, in rascher Bewegung einen Schritt zurücktretend, indem ihr Auge erschreckt zu ihrem Gemahl emporsah, – »hier? während der feindlichen Okkupation? – Nimmermehr! das kann Dein Ernst nicht sein!«

»Es ist mein Ernst,« sagte der König, – »und Du, meine Engelskönigin, wirst bei ruhiger Prüfung ganz meiner Meinung sein, – davon bin ich überzeugt.«

Die Königin blickte ihn fragend an und schüttelte leicht den Kopf.

»Ich will meinem Lande,« fuhr der König fort, »die Schrecken des Krieges, meiner Armee einen, der Uebermacht gegenüber vielleicht unnützen Kampf ersparen und sie deßhalb zu den süddeutschen Armeen führen, wo sie Gelegenheit haben wird, mit an der großen Entscheidung theilzunehmen. Mein Platz und der des Kronprinzen ist inmitten der Armee. – Die feindliche Okkupation mit ihren Bedrückungen, Leiden und Schmerzen kann ich aber meinen Unterthanen, den Familien meines Landes nicht ersparen. Sie werden die feindlichen Truppen in der Heimat sehen, sie in ihren Häusern aufnehmen müssen, während ihre Söhne im Felde stehen. – Wie ich mit meinem Sohne das Schicksal meines Heeres theile, so mußt Du, die Königin, mit unsern Töchtern das Schicksal des Landes theilen, das ist unsere königliche Pflicht, – es soll in keiner Familie Hannovers gesagt werden, daß die Familie des Königs anders handelt, als es von den Unterthanen verlangt wird – wir sind mit dem Lande durch tausendjährige Bande verwachsen, wir sind Fleisch von seinem Fleisch und Blut von seinem Blut, – wolltest Du, daß man sagen sollte, die Königin säße fern in ruhiger Sicherheit, während die schwere Zeit auf dem Lande lastet?«

Und seine ausgestreckte Hand suchte seine Gemahlin, während sein Haupt sich nach der Seite richtete, wo er das leise Rauschen ihres Kleides vernahm.

Die Königin hatte die Hände gefaltet, – ihr Auge, auf ihren Gemahl geheftet, hatte den Ausdruck der Angst und des Schreckens verloren und in feuchtem Glanz strahlte es dem Könige entgegen.

Als er geendet, ergriff sie seine suchende Hand, legte seinen Arm um ihre Schultern und schmiegte sich innig an ihn.

»Du hast Recht!« rief sie, – o Du hast Recht wie immer, – Dein großes, edles Herz findet ja immer das Rechte und Wahre. Ja, mein König und Gemahl, ich bleibe hier, getrennt von Dir – aber vereint durch unser Land, unsere Liebe, unsere Pflicht!«

»Ich wußte, daß Du meinen Entschluß billigen würdest,« sagte der König ruhig und freundlich, – »meine Königin konnte nicht anders denken und empfinden wie ich.«

Und in stummer Umarmung standen die königlichen Gatten lange umschlungen, in stillem Weinen legte die Königin ihr Haupt an die mächtige Brust des Königs, und mit leiser Hand fuhr der König sanft hin und her über ihr reiches Haar.

Die Blumen dufteten, die Wasser rauschten draußen, – die Vögel sangen in den Bäumen und die ganze Natur athmete glücklichen Frieden.

Und über all' dem sonnigen Licht, über all' dem Frühlingsduften und Singen stand unsichtbar die finstere Wetterwolke, deren zuckender Strahl bereit war, herabzufahren und all' dieß stille Glück, all' diesen königlichen Glanz zu zertrümmern für immer.

Ein Schlag an die Thür ertönte.

Der König drängte die Königin sanft von sich.

»Die Minister stehen zu Befehl,« meldete der eintretende Kabinetsrath.

»Nun,« sprach der König sanft zu seiner Gemahlin, »laß mich mit den Ministern das Nöthige abmachen, – wir sehen uns nachher!«

»Gott segne Deine Entschlüsse!« sagte die Königin innig.

»Es sind schwere Zeiten, lieber Lex,« fügte sie freundlich hinzu, indem sie an dem tief sich verneigenden Kabinetsrath vorüberschritt – »wäre erst Alles glücklich vorüber!«

Und sie verließ langsam das Kabinet des Königs.

Die Minister traten ein und setzten sich um den Tisch.

Außer Graf Platen, Bacmeister und dem General von Brandis waren hier noch um den König versammelt der Hausminister und Oberhofmarschall von Malortie, ein alter Herr mit kurzem grauen Haar und kleinem faltigen Gesicht, das mit seinem stets unzufriedenen Ausdruck in Verbindung mit der gebückten Haltung, der hohen schwarzen Binde und dem bis zum Halse zugeknöpften Frack weit eher einen unterleibskranken Kanzleirath hätte vermuthen lassen, als den geistvollen Verfasser des an allen Höfen als Autorität geltenden Buches: »Der Hofmarschall wie er sein soll.«

Es war da ferner der Justizminister Leonhardt, der berühmte Gesetzesverfasser, ein einfacher, schlichter Mann mit dünnem Haar und scharfen, intelligenten Zügen, dessen ausdrucksvolles, lebhaftes und durchdringendes Auge von einer silbernen Brille verdeckt war, – der Kultusminister von Hodenberg, ein noch junger, blonder Mann, früher Diplomat und Ministerresident im Haag, und der ebenfalls noch junge Finanzminister Dietrichs, den Graf Platen zum Generalsekretär für einen Minister mit hocharistokratischem Namen vorgeschlagen und den der König mit den Worten ernannt hatte: »Wenn er fähig ist, die Arbeiten zu machen, so soll er auch selbst Minister sein!«

Alle diese Herren traten in tiefem, ernsten Schweigen in das Kabinet des Königs.

Als sie Platz genommen hatten, sprach Georg V.:

»Meine Herren Minister! Seine Majestät der König von Preußen hat mir durch seinen Gesandten an meinem Hofe einen Vorschlag übermachen lassen, um mit ihm ein Bündniß zu schließen, nachdem der deutsche Bund aufgelöst sei. Sie kennen den Vorgang in Frankfurt a. M. Ich vermag zunächst nicht die Auflösung des Bundes durch die Erklärung des preußischen Gesandten als rechtlich vollzogen anzusehen, – leider muß ich aber anerkennen, daß der deutsche Bund tatsächlich gebrochen ist. Ich würde, wie ich hier vor Ihnen wiederhole, bei dem nunmehr zum Unglück Deutschlands unvermeidlich erscheinenden Kriege zwischen Oesterreich und Preußen bereit sein und mich für berechtigt halten, einen Neutralitätsvertrag mit der Krone Preußen abzuschließen. Allein das ist es nicht, was Seine preußische Majestät von mir verlangt. – Graf Platen, ich bitte Sie, die Note des Prinzen Ysenburg zu verlesen.«

Graf Platen las die preußische Sommation langsam vor.

Als er geendet, sprach der König:

»Ich darf voraussetzen, meine Herren, daß Ihnen sämmtlich die preußischen Reformbedingungen, auf Grund deren ich dieß Bündniß eingehen soll, bekannt sind?«

Die Minister bejahten sämmtlich.

»Ich soll also,« sagte der König weiter, »die Kriegsherrlichkeit und das Kommando über meine hannöverische Armee, die Armee von Minden, von Peninsula, von Garcia Hernandez, von Waterloo abgeben und diese Armee würde dann gegen die mit Oesterreich verbündeten deutschen Truppen marschiren müssen. – Ich frage Sie nun, meine Herren Minister, vor Gott, Ihrem Gewissen und auf den mir und dem Lande geleisteten Eid: Kann ich diese Proposition annehmen? Kann ich es als Vertreter der königlichen Rechte meines Hauses? Kann ich es als Vertreter meines Landes? Kann ich es nach der Verfassung des Königreichs? – Antworten Sie zuerst, Graf Platen, als Minister der auswärtigen Angelegenheiten!«

Graf Platen rieb sich leicht die Hände, neigte sich ein wenig vor und zurück – und antwortete: »Nein, Majestät, – es wäre vielleicht –«

Der König unterbrach ihn:

»Und Sie, Herr von Malortie? als Minister meines Hauses?«

Der Oberhofmarschall, welcher noch tiefer als gewöhnlich in seine schwarze Binde und seinen zugeknöpften Frack zusammengezogen dasaß, sagte mit leiser Stimme: »Nein, Majestät.«

»Und Sie, mein Justizminister?«

Der Justizminister Leonhardt antwortete kurz und fest mit klarer Stimme: »Nein!«

»Herr Minister des Innern?«

»Nein, – niemals!« antwortete der Minister Bacmeister.

Die gleiche Antwort gaben die Minister des Kriegs, des Kultus und der Finanzen.

Der König erhob sich. Sämmtliche Minister mit ihm.

»Es ist mir eine große Freude, meine Herren Minister,« sprach Georg V., »zu vernehmen, daß Sie alle auf die preußischen Propositionen nur eine und dieselbe Antwort haben, welche ich nach meiner Auffassung der Rechte meiner Krone und meines Landes sogleich dem Grafen Platen gegeben habe, als er mir die Sommation vorlas. Es ist mir eine große Beruhigung, mich bei diesem wichtigen Entschluß eins zu wissen mit meinem Gesammtministerium, – nicht, meine Herren, daß ich die Verantwortung scheute oder auf Ihre Schulten: zu laden wünschte,« – der König erhob stolz den Kopf, – »aber es ist mir diese übereinstimmende Antwort von Ihnen Allen eine Bürgschaft, daß die Leiden, welchen mein Land in Folge der Ablehnung der preußischen Proposition vielleicht ausgesetzt sein wird, eine unabänderliche und unvermeidliche Schickung Gottes sind. – Wenn Sie aber,« fuhr er fort, »Alle mit mir darüber einig sind, daß ich das mir angetragene Bündniß auf dieser Basis nicht annehmen kann, – so müssen sogleich und ohne Zögern diejenigen Maßregeln getroffen werden, welche die nunmehr sehr ernste Lage erheischt. Ich will die Armee nach Süddeutschland führen und sie zu diesem Zweck sofort im Süden des Königreichs konzentriren. Das Nähere werde ich sogleich mit meinen Generalen festsetzen. Die Königin und die Prinzessinnen bleiben hier und werden das Schicksal des Landes theilen!«

Ein Flüstern der Zustimmung machte sich hörbar.

»Majestät,« sagte der Minister Bacmeister, »darf ich sogleich eine hieher gehörende Entscheidung erbitten?«

»Was ist's?« fragte der König.

»Der General von Manteuffel steht in Harburg,« sagte der Minister, »und verlangt Eisenbahnwaggons, um die preußischen Truppen der ertheilten Erlaubniß zufolge nach Minden transportiren zu können. Die Eisenbahndirektion fragt an, was sie thun soll?«

Der König biß die Zähne zusammen.

»Er will bei der Kriegserklärung mitten im Lande sein!« rief er. »Geben Sie Ordre, daß alle Wagen sofort hieher gesendet werden. Wir werden sie für den Truppentransport gebrauchen.«

»Auch müßten,« sprach der Minister weiter, »unter diesen Umständen die noch versammelten Stände des Königreichs aufgelöst werden, – ich habe, als Graf Platen mir die Lage mittheilte, die Ordre aufgesetzt.« –

»Geben Sie!« rief der König.

Und der Minister legte die Ordre auf den Tisch.

»Der Generalsekretär ist draußen,« sagte er.

»Lassen Sie ihn kommen!«

Der Minister eilte hinaus und kehrte sofort mit dem Generalsekretär des Gesammtministeriums zurück, in dessen Gegenwart der König das Auflösungsdekret vollzog.

»Und nun, meine Herren,« rief er, »jetzt gehen Sie Jeder an's Werk in Ihrem Ressort, den schweren Zeiten entgegenzutreten, und der dreieinige, allmächtige und gerechte Gott gebe, daß ich Sie Alle hier glücklich wieder um mich versammeln könne. Graf Platen und General Brandis bitte ich noch zu bleiben!«

Die übrigen Minister verneigten sich ernst und schweigend und verließen das Kabinet.

»Wollen Sie nun, Graf Platen,« sagte der König, »dem Prinzen Ysenburg die Antwort geben – klar und bestimmt – wie Sie Alle sich ausgesprochen haben!«

»Zu Befehl, Majestät!« sagte Graf Platen, – »Eure Majestät befehlen aber doch, daß die Form verbindlich sei, damit die Möglichkeit von weiteren Verhandlungen nicht ausgeschlossen bleibe –«

»Sie glauben noch an Verhandlungen?!« rief der König, – »artig und höflich soll die Antwort sein,« fuhr er dann fort, – »auch meine Bereitwilligkeit zur Neutralität soll nochmals auf das Bestimmteste ausgesprochen werden, – aber über den Punkt der Reformbedingungen darf kein Zweifel bestehen!«

»Wenn Eure Majestät einverstanden sind,« sagte Graf Platen, »so könnte der Regierungsrath Meding die Antwort abfassen, er wird gewiß keine schroffe Form wählen und bei seiner Gewandtheit in der Wahl der Ausdrücke –«

»Gewiß soll der Regierungsrath Meding die Antwort machen, und ich zweifle nicht, daß er die besten Ausdrücke wählen wird, – wohl aber zweifle ich, daß hier auch die besten Worte einen Erfolg haben können. Senden Sie mir Meding mit der Antwort, sobald sie fertig ist!«

»Zu Befehl, Majestät!« sagte Graf Platen und entfernte sich eilig.

»Sie, mein lieber General,« sprach der König zum Kriegsminister gewendet, »bleiben hier, um mit dem Generaladjutauten und dem Chef des Generalstabes mir die Maßregeln zur Konzentration der Armee vorzuschlagen.«

»Herr Geheimer Kabinetsrath, – sind die Herren Generale da?«

»Sie stehen zu Eurer Majestät Befehl!« erwiederte der Geheime Kabinetsrath.

»Lassen Sie sie eintreten!«

»Ich werde noch einmal wieder jung, Majestät,« sagte der General von Brandis, während der Geheime Kabinetsrath hinausging, »bei dem Gedanken, daß ich mit Eurer Majestät und der Armee in's Feld ziehen soll. Mein Herz schlägt wieder wie zur Zeit des großen Wellington!«

»Damals war Deutschland einig!« sagte der König tief seufzend. –

Während die Generale in Herrenhausen saßen, die Adjutanten in der großen Allee nach der Stadt hin und her flogen und der Telegraph die Ordres an alle Truppenkommandanten im Königreiche trug, war die Stadt Hannover in fieberhafter Aufregung. Auf den sonst so ruhigen Straßen sammelten sich Gruppen von Neugierigen, und lebhaft wurde die Lage der Dinge diskutirt. Tiefe Bestürzung malte sich auf den Gesichtern, wenn irgend ein Eingeweihter die große Nachricht mittheilte: Die Armee marschirt nach Süddeutschland, der König geht fort. – Seit lange war die Stimmung im höchsten Grade antipreußisch gewesen, man hatte es laut getadelt, daß der König die Brigade Kalik und den General von Gablenz fortgehen ließ, man hatte den österreichischen Truppen alle möglichen Ovationen gebracht – und nun, – als man mit einem Male so vor dem wirklichen Kriege stand, als der gewaltige Ernst der Lage an Jeden herantrat, da überkam Unruhe und Besorgniß die Bevölkerung. Und daß der König fortgehen wollte, das machte die guten Hannoveraner vollständig bestürzt.

Sie hatten stets Opposition gemacht, sie hatten stets zu tadeln und zu kritisiren gehabt an Allem, was gethan und nicht gethan war, – aber die »Residenz« ohne den König – das vermochten sie nicht zu fassen, das war etwas Unglaubliches, und schon begannen sich Stimmen zu erheben, welche abermals zu tadeln anfingen: »Der König flieht und läßt uns allein,« – hörte man sagen, »der Feind wird dann gar keine Rücksichten nehmen, man wird uns brandschatzen!«

Freilich hörte man dann wieder: »Die Königin bleibt hier mit den Prinzessinnen, sie wird die Residenz durch ihre Anwesenheit beschützen, eine fürstliche Frau wird man respektiren,« – und Viele fühlten sich beruhigter durch diese Nachricht.

So wogte die Stimmung hin und her, die Verzagten eilten zum Bürgermeister und den Bürgervorstehern, um sie zu einem Schritt beim Könige zu veranlassen, der Seine Majestät bewegen solle, die Stadt nicht zu verlassen, – Andere verlangten eine Konzentration der Truppen um die Residenz, noch Andere wollten die Eisenbahnen zerstören, kurz, man konnte auf den Straßen eine reiche Menge politischer und militärischer Rathschläge hören, von deren jedem Der, welcher ihn ertheilte, überzeugt war, daß seine Befolgung die Stadt und das Land retten würde.

Dazwischen marschirten die Truppen der Garnison von Hannover nach dem Bahnhof und wurden eingeschifft, andere Bataillone und Schwadronen kamen an und wurden nach kurzem Aufenthalt weiter befördert, – Alles geschah im tiefen Geheimniß und das zahlreich den Bahnhof umstehende Publikum erfuhr nichts über die militärischen Dislokationen.

Auf dem großen Platz vor dem Bahnhof stand eine Gruppe Bürger in eifrigem Gespräch, ein kleiner schwarzer Mann mit blassem Gesicht und funkelnden Augen schien die Umstehenden zu beruhigen, kräftige Gestalten aus jener alten mannhaften niedersächsischen Bourgeoisie, welche so unerschrocken ist im Handeln, klar gegebenen Verhältnissen gegenüber, aber welche so leicht Muth und Besonnenheit verliert, wenn unklare, außergewöhnliche und verworrene Zustände sie umgeben. Der norddeutsche und der niedersächsische Charakter insbesondere bedarf der Zeit, um sich zurechtzufinden in neuen und ungewohnten Verhältnissen, er bedarf einer gewissen Gewöhnung, um seine Eigenschaften zur Geltung zu bringen, das Plötzliche, Neue und Ungewohnte erstarrt ihn und lähmt seine Thätigkeit.

So war es auch hier; jene kräftigen Männergestalten mit den groben charaktervollen Zügen standen völlig gebrochen und rathlos da, tiefe Unzufriedenheit und Mutlosigkeit lag auf ihren Gesichtern und diese Unzufriedenheit war völlig bereit, sich gegen die Regierung zu ergießen, denn man war eben gewohnt, die Regierung für Alles verantwortlich zu machen und mit ihr zu schmollen, wenn irgend etwas den langsamen, gewohnten Gang der Tagesstunden störte.

»Aber so seid doch vernünftig!« rief der kleine blasse Mann, lebhaft gestikulirend, »ihr seid doch wahrhaftig keine Kinder mehr, und daß es in Deutschland zu etwas Anderem kommen würde, als zu Reden und Resolutionen beim Bierseidel, das konnte doch in der That jeder vernünftige Mensch voraussehen. – Ueberdem wißt ihr ja noch gar nichts Gewisses von dem, was vorgeht –«

»Das ist eben unrecht!« sagte ein großer korpulenter Mann mit tiefer Baßstimme, »das ist eben unrecht, daß wir nichts wissen, – man könnte uns doch wenigstens bekannt machen, was geschieht, damit der Bürger sein Haus bestellen kann und sich einrichten auf die Zukunft –«

»So wartet doch!« rief der kleine Mann heftig, – »ihr habt gehört, daß die Generale beim König in Herrenhausen sind und die Minister sind noch nicht lange zurück, wollt ihr die Sachen eher erfahren, als sie beschlossen sind? – Es thäte wirklich noth,« sagte er zornig lachend, »daß der König die ganze Stadt und ganz Calenberg in seinen Rath riefe!« –

»Sonntag hat Recht!« sagte ein alter hagerer Mann in einfacher Bürgertracht, mit ausdrucksvollem, verwetterten Gesicht, in jenem kräftigen niedersächsischen Plattdeutsch, das in den mittleren und unteren Klassen der Städte und des Landes noch allgemein gesprochen wird, – »Sonntag hat Recht, – wir müssen abwarten, was geschieht, der König wird uns schon zur rechten Zeit mittheilen, was nöthig ist, – er wird uns so ohne Weiteres nicht verlassen, – es ist ja Ernst August's Sohn,« – sagte er wie beruhigend zu den andern Bürgern, welche ihm aufmerksamer und augenscheinlich mit größerem Vertrauen zuhörten, als dem kleinen, blassen, beweglichen Kaufmann Sonntag.

»Doch,« rief dieser plötzlich, – »da steht der Wagen des Grafen Wedel vor dem Bahnhof!« – und er deutete auf eine offene elegante Equipage, welche vor dem großen Eingange des Bahnhofsgebäudes hielt und deren schöne Pferde das Pflaster scharrten, – »erwarten wir den Grafen, der muß wissen, was vergeht!«

Und mit schnellem Schritt eilte er zu dem Wagen hin, die Andern folgten ihm.

Nach kurzer Zeit trat der Schloßhauptmann Graf Alfred Wedel in der kleinen Dienstuniform aus dem Bahnhofsgebäude.

Erstaunt blickte er auf die dichte Gruppe von Bürgern, welche seinen Wagen umstellt hatte und ihm den Weg versperren zu wollen schien.

»Nun, was gibt es hier?« fragte er freundlich. – »Sie, Herr Sonntag? und sieh' da – auch Ihr, alter Konrades?« – und er trat auf den alten verwetterten Mann zu, der mit Sonntag die Gruppe verlassen und sich ihm genähert hatte, und reichte ihm die Hand.

»Herr Graf,« sagte der alte Hofsattler Konrades, ein Veteran aus den großen Kriegen und besonderer Günstling des Königs Ernst August, der es besonders liebte, sich mit ihm zu unterhalten, und den seine oft äußerst unceremoniösen, ja groben, aber immer treffenden und den Geist des Volkes wiederspiegelnden Antworten stets sehr ergötzten, – »Herr Graf,« – und er drückte den Kaufmann Sonntag, welcher ebenfalls reden wollte, mit kräftiger Hand bei Seite, – »wir sind hier in großer Unruhe und Besorgniß über das, was da werden soll. Wir hören da, hier und dort, daß der Krieg losgehen wird und daß der König fortgeht, und – da sind denn die Bürger unruhig über das Schicksal der Stadt und möchten gern etwas Gewisses wissen.«

»Ja,« rief der Kaufmann Sonntag, indem er sich von des alten Konrades zurückhaltender Hand befreite und hervortrat, »ja, Herr Graf, diese Herren hier sind alle unruhig, beängstigt und bereit, den Muth zu verlieren, ich habe mir alle Mühe gegeben, sie zu beruhigen, – aber es will nicht helfen, ich bitte Sie, Herr Graf, sagen Sie ihnen, was vorgeht und was sie thun sollen.«

Mit gespanntem Ausdruck hingen alle Blicke an dem schönen, kräftigen jungen Mann, der einen Augenblick seinen klaren, ruhigen Blick über die Gruppe schweifen ließ.

»Was vorgeht?« sagte er dann mit lauter, fester Stimme, – »das ist einfach, der Krieg steht vor der Thür und der König rückt mit der Armee in's Feld.«

»Und läßt uns hier in der offenen Stadt zurück?!« murmelte es in der Gruppe.

Ein leichtes Roth flog über die Stirn des Schloßhauptmanns, und ein zorniger Blitz flog aus seinem Auge über die Umstehenden hin.

»Marschirt der hannöverische Soldat etwa nicht in's Feld und läßt seine Familie zu Haus?« rief er, – »die Königin und die Prinzessinnen bleiben hier unter euch – und ich bleibe bei Ihrer Majestät.« –

»Ah!« ertönte es aus der Gruppe, – »wenn die Königin hier bleibt, dann kann es wohl nicht so schlimm um die Stadt aussehen.« –

»Schlimm oder nicht schlimm, die Königin theilt euer Schicksal, wie der König das seiner Soldaten, ist das recht oder nicht? – Antwortet!« rief Graf Wedel.

»Ja!« rief der alte Konrades laut und »ja, ja« tönte es leiser aus der Gruppe.

»Aber,« fuhr Graf Wedel mit ernster und lauter Stimme fort, »ihr habt mich auch gefragt, was ihr zu thun habt!«

Er trat einen Schritt näher an die Bürger heran, so daß er fast umringt von ihnen dastand, und ließ sein Auge blitzend von einem zum andern fliegen.

»Was?« rief er, »hannöverische Bürger sollten nicht wissen, was sie thun sollen, wenn das Land in Kriegsgefahr ist und der König und die Armee in's Feld ziehen? Der alte Konrades hätte es euch sagen können, besser als ich, denn der hat die alten Zeiten gesehen, von denen ich nur erzählen gehört habe. – Die Armee ist auf dem Friedensfuß,« fuhr er lebhaft fort, – »da fehlt es überall, an Bespannung, an Hülfe und Handreichung, die Kanonen vom Zeughause müssen nach dem Bahnhofe geschasst werden – und hannöverische Bürger stehen hier still und zagen und klagen? – Schafft Pferde und Arbeiter, und wo die Pferde nicht ausreichen, da werden wir selbst angreifen, denn ich werde unter euch sein, sobald mein Dienst es erlaubt. – Die Armee soll in's Feld rücken,« fuhr er fort, »und die Verpflegung muß organisirt werden, – sollen die Soldaten hungern? Bildet Komites, schafft herbei, was ihr in Küche und Keller habt, hieher zum Bahnhof, damit es in die Magazine gesendet werde, den ersten Bedürfnissen abzuhelfen. – Und,« rief er weiter, »heute oder morgen können die Truppen auf den Feind stoßen, Verwundete und Kranke wird es genug geben, .– und ihr wollt euren Frauen etwas vorklagen und vorjammern! Laßt sie Bandagen machen und Charpie zupfen, – man wird sie brauchen, – geht zu meiner Frau, sie wird euch Rath geben und sagen, wie Alles einzurichten ist! – Und weiter – wie oft habt ihr Soldaten gespielt mit euren Schützenbataillonen, – jetzt gehen die Truppen fort, – soll die Königin unbewacht in Herrenhausen bleiben? Werden keine hannöverischen Bürger da sein, um die Wache bei ihrer Königin zu beziehen, die der König seiner Residenz anvertraut? – So,« fuhr er langsam fort, – »jetzt habe ich euch gesagt, was ihr zu thun habt, – und es ist so viel zu thun, daß wahrhaftig Niemand Zeit hat, hier müßig zu stehen und ängstliche Gesichter zu machen!«

Die Bürger standen schweigend. Mit triumphirenden, glänzenden Blicken musterte sie der kleine Kaufmann Sonntag.

Der alte Konrades kratzte sich hinter dem Ohr.

»Donnerwetter,« brach er endlich los, – »der Graf hat Recht und eine Schande ist's, daß wir alten Kerls uns das hier von dem jungen Herrn erst sagen lassen müssen. – Aber nun vorwärts!« rief er laut, – »thun wir, was noth thut, vertheilen wir uns und sammeln wir die Bürger, – hier der Sonntag, der versteht das, – er soll die Komites machen, – ich gehe zum Zeughaus.« – Und er trat an den Grafen Wedel heran: »Sie sind echtes hannöverisches Blut, Herr Graf!« sagte er derb, »und Sie haben uns ordentlich die Meinung gesagt, aber es war recht – und Sie sollen sehen, daß die hannöverischen Bürger auf dem Fleck sind – und Du Alter da oben!« rief er, indem er seine Mütze abnahm und zu dem hohen Erzbilde des Königs Ernst August emporsah, das in der Mitte des Platzes dastand, – »Du sollst sehen, daß der alte Konrades und die hannöverischen Bürger zu Deinem Sohne stehen.«

Er reichte dem Grafen die Hand, der sie herzlich schüttelte.

Alle die Bürger umher waren wie durch einen Zauberschlag verwandelt. Verschwunden war aus ihren Gesichtern alle Unruhe und Bangigkeit, hoher Muth und Entschlossenheit leuchtete ans ihren Blicken.

Alle umdrängten den Grafen Wedel, als er in seinen Wagen stieg, und streckten ihm die derben, kräftigen Hände entgegen.

Schnell zogen die Pferde an, der Wagen rollte dahin, der Straße nach Herrenhausen zu. Nach kurzem Gespräch trennten sich die Bürger.

Eine Stunde später war die Physiognomie der Stadt eine völlig veränderte.

Keine flüsternden und zagenden Gruppen standen mehr auf den Straßen, – überall sah man lebhafte, freudige, geordnete Bewegung; Bürger aller Klassen, Arbeiter und Dienstmänner fuhren auf Wagen und Handkarren Waffen aus dem Zeughause zur Bahn, Andere brachten Ladungen von Viktualien aller Art, theils zur Stärkung der durchpassirenden Truppen, theils zur Einschiffung für die Magazine. Die Frauen eilten über die Straßen mit leichtem Schritt und geschäftigen Mienen, um sich zu versammeln und ihre Wirksamkeit zu besprechen; die einflußreichsten Bürgerinnen gingen hinaus vor das Thor zu dem neuen prachtvollen Hause des Grafen Wedel, wo die Gräfin sie empfing und zu einem großen Komite vereinigte.

Der alte Konrades stand am Zeughause, half die Waffen verladen, bald ordnend, bald mit derbem Fluch einen Ungeschickten znrückweisend – und überall, sich vervielfältigend, heiser vom vielen Sprechen, noch blasser als sonst vor Aufregung, aber überall ermuthigend, ordnend, anregend, sah man den Kaufmann Sonntag in hastiger, aber fruchtbarer Geschäftigkeit.

So senkte sich der Abend auf die Stadt hernieder und die Sonne sank herab, welche zum letzten Male dem welfischen König in dem Schlosse seiner Väter geleuchtet hatte.

Es war neun Uhr, als der Regierungsrath Meding ernst und nachdenkend mit der Antwort auf die preußische Sommation in die große, durch zwei Reihen Gaslaternen hell erleuchtete Allee einbog und schnell dem Schloß Herrenhausen entgegenfuhr.

Als er am Portal des Schlosses ausstieg, zeigte nichts die Unruhe und Bewegung, welche überall in der Stadt herrschte. Der Portier stand vor seiner Loge, die Lakaien in den scharlachrothen Livreen gingen mit leisen, unhörbaren Schritten auf dem weiten Vestibüle umher, – nur auf allen Gesichtern lag tiefer Ernst.

Draußen auf dem Hof aber standen bespannte Fourgons mit angezündeten Laternen, welche von Unterbedienten mit Koffern beladen wurden.

Mit ängstlicher Spannung sah die Dienerschaft den ihnen bekannten Vertrauten des Königs zu dieser ungewöhnlichen Stunde in's Schloß treten, aber die strenge Gewohnheit des Dienstes verhinderte jedes Wort, jede hastige Bewegung und nur die besorgten, ängstlichen Blicke tauschten die unruhigen Befürchtungen aus, welche Jeden bewegten.

»Ist der König in seinem Kabinet?« fragte der Regierungsrath.

»Seine Majestät ist bei Ihrer Majestät der Königin.«

Der Regierungsrath stieg schweigend die Treppe zum oberen Stockwerk hinan, auf welcher so oft um diese Stunde glänzende Uniformen und duftige Damentoiletten sich gedrängt hatten und welche jetzt so einsam und still im Lichte der strahlenden Kandelaber dalag.

Vor der Thür zu den Gemächern der Königin saß der alte schneeweiße Kammerdiener Ihrer Majestät in seinem weiten Lehnstuhl, neben ihm stand der Kammerdiener des Königs.

»Melden Sie Seiner Majestät, daß ich da bin!« sagte Herr Meding.

Der Kammerdiener zögerte einen Augenblick.

»Verzeihen Sie, Herr Regierungsrath,« sagte er, »wenn ich mir die Frage erlaube, ob wirklich der Krieg ausbricht und wir die Feinde hier haben werden?«

Der Regierungsrath Meding sah ihn traurig an.

»Es ist Ernst, mein lieber Mahlmann,« sagte er, – »doch melden Sie mich schnell, es ist keine Zeit zu verlieren.«

»O mein Gott, welche Zeiten!« rief der Kammerdiener des Königs, indem er hineinging, und der alte greise Diener der Königin bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Der Regierungsrath folgte dem Kammerdiener durch einen großen Vorsaal und trat unmittelbar darauf in den Salon der Königin.

Hier saß die königliche Familie um den Theetisch.

Der König trug die Generals-Campagne-Uniform und saß freundlich lächelnd und heiter neben der Königin, welche sich alle Mühe gab, die immer von Neuem hervorbrechenden Thränen zurückzudrängen. Neben der Königin saß die junge siebenzehnjährige Prinzessin Marie, eine schmächtige Gestalt mit schön und edel geschnittenen Zügen und großen, blauen, schwärmerischen Augen, – weniger geübt in der Selbstbeherrschung als ihre Mutter, hielt sie die strömenden Thränen nicht zurück und führte oft das Batisttuch an die rothgeränderten Augen. Zur andern Seite des Königs saß seine ältere Tochter, die Prinzessin Friederike; blond, schlank und hochgewachsen wie ihre Schwester, trug sie des Vaters edlen, fürstlichen Ausdruck, und obgleich bescheiden und fern von aller Selbstschätzung, trug sie unwillkürlich in ihrem ganzen Wesen, in jeder Bewegung den Stempel der königlichen Würde ihrer Geburt. Sie weinte nicht, ihr großes, reines, blaues Auge blitzte kühn und stolz, und zuweilen biß sie die schönen Zähne auf die volle, frische Lippe, und wer in ihr Herz hätte sehen können, der hätte gewiß darin den Wunsch gefunden, lieber mit dem Vater hinauszuziehen in's Feld, als hier in Untätigkeit zu Hause zu bleiben und in trauriger Einsamkeit die Nachrichten abzuwarten über das Schicksal der Armee und des Landes.

Gegenüber saß oder lehnte halb zurückgebogen der Kronprinz Ernst August, ein großer, lang aufgeschossener junger Mann von einundzwanzig Jahren. Kein Zug seines Gesichts erinnerte an seinen königlichen Vater. Eine schmale, zurücktretende Stirn war fast ganz von glattem, glänzendem, dunkelblondem Haar bedeckt. Die Nase, an der Wurzel tief eingedrückt, lag fast platt auf dem Gesicht und der große frische Mund öffnete sich mit einer gewissen Schwierigkeit bei den mühsam und langsam gesprochenen Worten. Schöne Zähne, glänzende und gutmüthige Augen gaben der ganzen Erscheinung des jungen Prinzen etwas Sympathisches.

Der Kronprinz trug die Uniform des Gardehusarenregiments, einen blauen Waffenrock mit silbernen Schnüren und biß mit den Zähnen die Nägel der linken Hand, während seine Rechte mit einem kleinen Dachshund spielte, der sich schmeichelnd an ihm aufgerichtet hatte.

Dieß war das Bild, welches sich dem Regierungsrath Meding bei seinem Eintritt darstellte.

Seufzend überblickte er die königliche Familiengruppe und näherte sich dem Könige.

»Guten Abend, mein lieber Meding,« rief Georg V. in seinem gewöhnlichen Ton. – »Sie bringen die Antwort an Preußen, hoffentlich ist sie deutlich und bestimmt?« –

»Ich hoffe Eurer Majestät Willensmeinung wiedergegeben zu haben,« sagte der Regierungsrath sich verneigend.

»Willst Du, daß wir Dich allein lassen?« fragte die Königin.

»Nein!« rief der König, – »euch Alle interessirt diese Sache ebensosehr wie mich. Der Regierungsrath wird die Güte haben, den Entwurf hier vorzulesen. Setzen Sie sich, mein lieber Meding, und lesen Sie.«

»Zu Befehl, Majestät!«

Herr Meding setzte sich dem König gegenüber, öffnete das zusammengefaltete Papier und las den Entwurf.

Der König lehnte sich zurück und bedeckte das Gesicht mit der Hand, wie es seine Gewohnheit war, wenn er aufmerksam einem Vortrag folgte.

Die Königin und Prinzeß Marie weinten leise, Prinzessin Friederike folgte mit gespannter Aufmerksamkeit und leuchtenden Augen jedem Wort.

Der Kronprinz spielte mit seinem Dachshund.

Langsam und mit scharfer Betonung las der Regierungsrath, nach jedem Satz anhaltend, den Entwurf vor.

Derselbe setzte in sehr ruhigen, gemäßigten Ausdrücken die Gründe auseinander, aus denen der König das auf die Reformbedingungen des Bundes gestützte Bündniß nicht annehmen könne, wiederholte die bestimmteste Versicherung der Neutralität, fügte die Erklärung hinzu, daß der König niemals gegen eine deutsche Macht fechten werde, es sei denn, daß die Grenzen des Königreichs angegriffen und er zur Vertheidigung gezwungen werde, und fügte den Ausdruck der Hoffnung hinzu, daß das so erwünschte bundesfreundliche Verhältniß zwischen Preußen und Hannover auch in diesen Tagen ungetrübt bestehen bleiben werde.

Schweigend hatte der König bis zu Ende zugehört.

Als der Regierungsrath geendet, erhob er das Haupt und sagte:

»Sie haben meine Gedanken auch dießmal vortrefflich wiedergegeben. Ich wüßte nichts hinzuzufügen und nichts davonzunehmen. – Müßte aber nicht,« sagte er nach einem augenblicklichen Nachdenken, »die Ablehnung noch etwas bestimmter und schärfer ausgedrückt werden, damit man nicht etwa auf die Idee kommt, ich wolle noch über jene Reformvorschläge in Verhandlungen treten? Das wäre nicht würdig und nicht ehrlich gegen Preußen!«

»Ich glaube, Majestät,« erwiederte der Regierungsrath, »daß über diesen Punkt die Fassung der Antwort keinen Zweifel übrig läßt. Den versöhnlichen und ruhigen Ton im ganzen Ausdruck werden aber Eure Majestät gewiß billigen, denn Allerhöchstdieselben wollen ja, wenn es irgend möglich ist, den Frieden erhalten.«

»Ja gewiß,« rief die Königin lebhaft.

»Wenn es möglich ist,« fügte der König hinzu, indem er tief Athem holte.

»Ich bitte, mein lieber Regierungsrath, lesen Sie den Entwurf noch einmal; verzeihen Sie, daß ich Sie so sehr quäle – aber die Sache ist ja wichtig genug, um sie zweimal zu überlegen.«

»O ich bitte, Majestät,« sagte der Regierungsrath und las die Antwort nochmals langsam vor.

»Es ist gut so,« rief der König, als er geendet, – »ich habe nichts auszusetzen. – Was sagst Du dazu,« fuhr er fort, sich zur Königin wendend, – »hast Du etwas zu bemerken? – ich bitte Dich – und euch Alle um eure Meinung, – ihr seid ja Alle im höchsten Grade dabei interessirt!«

»Es muß ja sein« – sagte die Königin mit ersticktem Weinen.

»Und Du, Ernst,« fragte der König, »hast Du etwas zu bemerken?«

»Nein!« erwiederte der Kronprinz seufzend, indem er seinen Dachshund auf den Schooß hob und ihm den Kopf streichelte.

»Und ihr Beiden?« fragte der König.

»Nein!« erwiederte Prinzeß Friederike, indem sie stolz den Kopf erhob, – und »nein« hauchte schluchzend ihre jüngere Schwester.

»Nun also ist die Sache erledigt!« rief der König fast heiter. »Ich habe,« fuhr er, sich an den Regierungsrath Meding wendend, fort, »auf den Vortrag meiner Generale befohlen, daß die Armee sich in Göttingen konzentriren soll, um von da nach dem Süden zu marschiren, und werde um zwei Uhr dahin abgehen. Ich bitte Sie, mein lieber Meding, zum General Brandis und zum Grafen Platen zu fahren und dieselben aufzufordern, um zwei Uhr zur Abreise bereit auf dem Bahnhof zu sein. Sie selbst bitte ich, sich ebenfalls bereit zu machen und mich zu begleiten, – ich werde Ihrer bedürfen, – Sie werden wenig Zeit haben?« fügte er freundlich hinzu.

»O vollkommen genug, Majestät,« erwiederte der Regierungsrath.

»Ich glaube,« sagte der König zu seinem Sohne, »Du wirst die nöthigen Befehle geben müssen, daß nichts von Deiner Feldadjustirung vergessen wird. – Und Sie, mein lieber Regierungsrath, – geben Sie die Antwort, damit ich sie paraphire.«

Der Regierungsrath Meding nahm von dem nebenstehenden Schreibtisch der Königin eine Feder, reichte sie dem König und legte dessen Hand auf den weißen Rand des gebrochenen Papiers.

Mit festem, kräftigen Zug schrieb der König seine Chiffre G. R.

»Setzen Sie darunter,« sagte er, »die genaue Zeitangabe, damit man später sich erinnern könne, wann ich dieß entscheidende und bedeutungsvolle Schriftstück vollzogen habe.«

Der Regierungsrath sah nach seiner Uhr. Sie zeigte zwölf Uhr zehn Minuten.

Er schrieb den Vermerk unter den Namen des Königs.

»Und nun bitte ich Eure Majestät um die Erlaubnis, zurückzukehren,« sagte er, »denn die Zeit ist gemessen. – Erlauben nun Eure Majestät,« fügte er hinzu, sich an die Königin wendend, »Ihnen meine treuesten und innigsten Wünsche für die schweren bevorstehenden Tage auszusprechen. Gott segne Eure Majestät und führe Alles glücklich vorüber!«

Die Königin neigte das Haupt, indem sie das Gesicht mit dem Tuch bedeckte.

»Auf Wiedersehen!« rief der König, und mit tiefer Verneigung verließ der Regierungsrath das Zimmer.

Im großen Vorsaal begegnete er einem jungen Mann in der Uniform der Garde du Corps, groß und schlank gewachsen, mit freundlichen, lächelnden Zügen und offenen, klaren Augen, – es war der Prinz Georg von Solms-Braunfels, des Königs Neffe.

Er reichte dem Regierungsrath die Hand und rief:

»Nun, lieber Meding, ist Alles entschieden, ist der Krieg beschlossen?«

»Ich trage die Antwort auf die preußische Note zurück!« sagte der Regierungsrath ernst, indem er auf das gefaltete Papier in seiner Hand deutete.

Der Prinz blickte einen Augenblick nachdenklich zu Boden.

»Wissen Sie,« sagte er dann, – »wie Sie mir vorkommen? – Wie Dawison, der Sekretär der Königin Elisabeth, der das Todesurtheil fortträgt!«

Wehmüthig lächelnd antwortete der Regierungsrath: »Allerdings ist es ein schweres Blatt Papier, das da in meiner Hand liegt, – ein Todesurtheil vielleicht für viele tapfere Herzen, die heute noch fröhlich schlagen, – aber Gott sei Dank ist es nicht in meine Verantwortung gegeben, – ich habe nur meine Pflicht zu erfüllen, welche mich schmerzlicher berührt, als irgend Jemand. – Auf Wiedersehen in Göttingen, Prinz,« sagte er, sich mit schnellem Händedruck verabschiedend, – eilte die Treppe hinab und stieg in seinen schnell vorfahrenden Wagen.

Als er aus dem hellerleuchteten, goldverzierten Gitterthor des äußern Hofes fuhr, begegnete ihm eine lange Reihe Wagen, die nach dem Schlosse zu fuhren.

Es waren der Magistrat und die Bürgervorsteher der Residenz, welche kamen, um von dem König Abschied zu nehmen. Als die lange Wagenreihe aus der Allee her heranfuhr, dunkel abstechend gegen die Beleuchtung des Thors, machte sie den Eindruck eines langen schwarzen Leichenzuges – und unwillkürlich unter diesem Eindruck zusammenschauernd, lehnte sich der Regierungsrath in seinen Wagen zurück und fuhr in tiefen Gedanken der Stadt zu.

Während dieß im Schlosse zu Herrenhausen vorging, saß der Staatsminister Graf Platen in seinem Kabinet in dem großen Seitenflügel des königlichen Marstalls, den er bewohnte.

Eine kleine Lampe erleuchtete den mit Papieren und Briefen bedeckten Schreibtisch, vor welchem der Graf saß und das Haupt sinnend in die Hand gestützt hatte.

»Sollte es wirklich keinen Ausweg mehr geben?« rief er endlich, indem er aufstand und das Zimmer durchschritt, – »sollte die schöne Position, welche wir hatten, nicht wiederzugewinnen sein?«

Er blickte nachdenkend zum Fenster hinaus in die warme, sternenklare Sommernacht.

»Die Konzentration der Armee ist gut,« sagte er, – »das zeigt unseren ernsten Willen, uns nicht unbedingt zu unterwerfen, – daß der König abreist, ist auch gut, – das erleichtert die Unterhandlungen. – Nun, ich glaube,« rief er mit leichterem Ton, »man wird sich besinnen in Berlin, nachdem man diesen Schreckschuß abgefeuert hat, und wird zufrieden sein, wenn wir die Neutralität annehmen. – Jetzt sind wir ja auch gezwungen, – man kann uns in Wien nichts vorwerfen – und wenn Oesterreich siegt!« – Ein freudiges Lächeln flog über seine Züge und vor seinem Geiste schienen sich weite und lachende Bilder der Zukunft zu entrollen. –

Die Uhr auf seinem Schreibtisch schlug mit hellem Ton zwölf Schläge.

»Prinz Ysenburg!« meldete der eintretende Kammerdiener.

»Jetzt, um diese Stunde?« rief Graf Platen zusammenfahrend.

Und schnell aufstehend trat er dem preußischen Gesandten entgegen, welcher langsam und ernst in der geöffneten Thür erschien.

»Was bringen Sie Gutes zu später Stunde, lieber Prinz?« fragte er.

»Ob ich Gutes bringen kann, weiß ich nicht!« antwortete der Prinz, ein kleiner, schmächtiger Mann von zweiundfünfzig Jahren, mit feinem, zierlich geschnittenen Gesicht und kleinem schwarzen Schnurrbart – indem er seine schwarzen Augen mit traurigem und fragendem Ausdruck auf den Grafen Platen richtete. – »Zunächst,« fuhr er fort, »muß ich mir Ihre Antwort auf meine heute Vormittag übergebene Note erbitten, die ich angewiesen bin, bis zum Abend des heutigen Tages mitzutheilen. – Sie sehen,« sagte er, seine Uhr hervorziehend, »daß ich meiner Instruktion die weitest mögliche Ausdehnung gebe, – es ist zwölf Uhr, der Tag ist zu Ende.«

»Mein lieber Prinz,« sagte Graf Platen, »ich habe die Note sogleich dem Könige mitgetheilt und die Antwort ist in diesem Augenblick bei Seiner Majestät; ich erwarte sie jeden Augenblick zurück und zweifle nicht, daß wir uns leicht verständigen werden.«

Der Prinz schüttelte leicht den Kopf.

»Wenn die Antwort noch bei Seiner Majestät ist, so müssen Sie dieselbe doch kennen und ich muß« – er betonte dieß Wort – »Sie dringend bitten, mir den Inhalt mitzutheilen. – Ist die Proposition angenommen, sind Sie beauftragt, das vorgeschlagene Bündniß abzuschließen?«

»Sie werden einräumen,« sagte Graf Platen, »daß tiefgreifende Vorschläge, wie die Reformbedingungen des Bundes, eine Diskussion verlangen, zu welcher die Zeit –«

»Ich bitte Sie dringend, Graf Platen,« sagte der Prinz, – »geben Sie mir nur auf den einen Punkt eine bestimmte Antwort, – auf Erörterungen mich einzulassen, habe ich keine Befugniß – hat der König das Bündniß angenommen oder nicht?«

»Nein –« sagte Graf Platen etwas zögernd, – »aber –«

»Dann erkläre ich Ihnen den Krieg!« sagte Prinz Ysenburg mit feierlichem Ernst.

Graf Platen blickte ihm starr in's Gesicht.

»Aber mein lieber Prinz –« rief er.

»Sie werden begreifen,« sagte Prinz Ysenburg, »daß mir nach der eben abgegebenen Erklärung einzig und allein nur übrig bleibt, mein tiefes persönliches Bedauern auszusprechen, daß unsere langjährigen Beziehungen, an welche ich stets mit Freude zurückdenken werde, ein so trauriges Ende haben nehmen müssen. – Leben Sie wohl und bewahren Sie mir, wie ich Ihnen, ein freundliches Andenken!«

Und er reichte dem Grafen Platen die Hand, die dieser mechanisch ergriff, und ehe der Minister sich noch von seinem Erstaunen erholt, hatte der Gesandte bereits das Zimmer verlassen.

Kurze Zeit darauf trat der Regierungsrath Meding bei ihm ein und fand ihn noch unter dem Eindruck dieser Szene. Er brachte dem Minister den Befehl des Königs zum Aufbruch nach Göttingen und dieser theilte ihm die Kriegserklärung mit.

»Haben Sie noch immer daran gezweifelt?« fragte der Regierungsrath.

»Ich hielt es für unmöglich!« sagte Graf Platen, »doch hoffe ich, daß sich in Göttingen noch etwas thun lassen wird.«

»Es wird sich nichts thun lassen, als so schnell als möglich nach Süddeutschland zu marschiren!« sagte der Regierungsrath, überließ den Minister seinen Reisevorbereitungen und entfernte sich schnell, um den General Brandis aufzusuchen.

Mit dem berliner Kurierzug war Herr Beckmann in Hannover angekommen und erfuhr zu seinem großen Mißvergnügen, daß er die durch Truppentransporte schon sehr verzögerte Reise erst fortsetzen könne, nachdem verschiedene Militärzüge, welche auf dem Bahnhofe formirt wurden, abgelassen sein würden.

Es war zwei Uhr Morgens.

Mißmuthig schlenderte er auf dem Perron hin und her, wickelte sich fröstelnd in seinen weiten Reisemantel, rauchte seine Cigarre und blickte auf das geschäftige Treiben der Bahnhofsbeamten.

Da fuhr ein rangirter Zug mit pfeifender Lokomotive dicht am Perron vor, von wenigen Wagen gebildet, in der Mitte der große, in reicher Vergoldung glänzende königliche Salonwagen, von der Krone überragt.

»Was ist das?« fragte Herr Beckmann einen der geschäftig hin und her eilenden Schaffner.

»Der König geht nach Göttingen,« antwortete dieser und eilte weiter.

Herr Beckmann trat an den Salonwagen und betrachtete denselben.

»Also richtig,« sagte er, »der König geht wirklich fort, – aber,« fuhr er fort, »wie eine Flucht sieht das noch nicht aus, – die Soldaten wenigstens scheinen gar keine Lust zum Fliehen zu haben.«

Der Perron füllte sich trotz der frühen Morgenstunde mehr und mehr mit Menschen, welche still und ruhig daher kamen und erwartungsvoll auf den königlichen Zug blickten.

Da öffneten sich die großen Thüren der königlichen Wartezimmer und man konnte in denselben die Minister, eine Anzahl von Generalen, die Hofchargen, den Geheimen Kabinetsrath und den Regierungsrath Meding erblicken.

Alles verhielt sich schweigend und ernst.

Man hörte das Heranrollen mehrerer Wagen.

Eine Bewegung entstand unter den Herren in den Wartesälen und das Publikum auf dem Perron drängte sich zu den offenen Thüren.

Man sah den König eintreten in der Generalsuniform, gestützt auf den Arm des Kronprinzen, in der Uniform der Gardehusaren. Ihm folgten die Flügeladjutanten Oberstlieutenants von Heimbruch und von Kohlrausch, und der Rittmeister Graf Wedel.

Der König begrüßte ernst die zum Abschiede Versammelten, unterhielt sich mit den einzelnen Herren und reichte ihnen die Hand.

Der Generaldirektor der Eisenbahn trat ein und meldete, daß der Zug bereit stehe.

Der König und der Kronprinz traten auf den Perron und schritten zu dem geöffneten Wagen.

Alle Häupter entblößten sich und ein dumpfes Murmeln ging durch die versammelte Menge.

Dem Könige folgten die Herren seiner Begleitung. Die Menge drängte dicht an den Wagen heran.

Da erschien Georg V. am mittelsten Fenster, beugte sich heraus und sprach mit seiner lauten, klaren Stimme:

»Ich sage den Bürgern meiner Residenz Lebewohl, indem ich zu meiner Armee mich begebe, um einen ungerechten Angriff zurückzuweisen. Meine Königin und die Prinzessinnen vertraue ich eurem Schutze an, sie werden euer Schicksal theilen. Gott sei mit euch und unserer gerechten Sache!«

»Hoch lebe der König!« rief es aus der Menge, »auf Wiedersehen, auf Wiedersehen! Gott segne Eure Majestät!« – Tücher wehten und die Hüte hoben sich hoch in die Höhe.

In der vordersten Reihe aber stand Herr Beckmann, Thränen glänzten in seinen Augen, hoch erhob er seinen Hut und seine Stimme fiel laut in den allgemeinen Ruf ein, den die Bürger Hannovers dem scheidenden Könige nachriefen.

Langsam setzte sich der Zug in Bewegung, die Lokomotive pfiff, – schneller rollten die Räder, – noch ein allgemeiner lauter Ruf: »Auf Wiedersehen!« und dahin brausten die Wagen, – der König hatte die Residenz verlassen.

Langsam entfernten sich die Generale und Hofchargen, langsam und schweigend zerstreute sich die Menge und nachdenklich schritt Herr Beckmann wieder auf dem einsamen Perron hin und her.

» Tiens, tiens,« sagte er zu sich selbst, – » voilà revers de la medaille. Was wird dieser Krieg Alles zerstören, – wie tief schneidet er in das menschliche Leben in seinen Höhen und Tiefen! – Große Entscheidungen liegen im Schooße der heranrollenden Zukunft – ja, – aber auch Thränen, – ist doch selbst mein Auge feucht geworden bei diesem Abschied des Königs von seinem Volk. – Nun, was geschehen soll, wird geschehen, der Einzelne kann nichts dazu und nichts davon thun, – das Verhängniß reißt uns Alle fort!«

»Der Zug nach Köln wird abgelassen,« sagte ein Schaffner, an ihn herantretend.

»Endlich!« rief Herr Beckmann freudig aufathmend, und bald führte ihn die zischende und pfeifende Lokomotive davon.


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