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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Gräfin Frankenstein saß in dem Empfangssalon ihres Hauses in der Herrengasse zu Wien; Nichts hatte sich in diesem Salon verändert, die großen erschütternden Ereignisse, welche draußen in mächtigen Stürmen vorübergebraust waren und die tiefsten Wurzeln der habsburgischen Macht erschüttert hatten, hätte man nicht geahnt, wenn man allein in diesem Raum gewesen wäre, der den Stempel aristokratischer Unveränderlichkeit und vornehmer Ruhe trug. Aber da waren nicht nur jene alten Möbel, auf welchen bereits jene vergangenen Generationen gesessen hatten, die jetzt dort aus den mattglänzenden Rahmen von Goldbronze heruntersahen auf das Treiben ihrer Enkel und Urenkel, nicht nur jene hohen, weiten Kamine, deren Flammen sich in den jugendlich funkelnden Augen der jetzt längst dahin geschiedenen Großmütter gespiegelt hatten, nicht nur jene Uhren mit Schäfergruppen, welche schon so manchem Sprossen des Hauses die Geburts- und die Sterbestunde, die Stunden des Glückes und des Kummers in gleicher Ruhe Sekunde an Sekunde reihend geschlagen hatten, – zwischen allen diesen leblosen und doch so erinnerungsreichen Gegenständen, welche in souveräner Ruhe auf die vergänglichen Leiden und Freuden der Generationen herabzusehen gewohnt waren, saßen die Menschen von heute, tief bewegt und erschüttert von dem entsetzlichen und unerwarteten Schlage, mit welchem das Geschick das Haus Habsburg und Oesterreich getroffen hatte.

Die alte Gräfin Frankenstein, in ernster und vornehmer Würde wie immer, aber mit schmerzlichem Ausdruck in dem stolzen, ruhigen Gesicht, saß in dem weiten Sopha, – neben ihr in dunklem Anzug die Gräfin Clam-Gallas, die thränenden Augen oft mit dem feinen Spitzentuch bedeckend. Den Damen gegenüber saß der General von Reischach; in frischer Gesundheit glänzte sein Gesicht wie sonst, scharf und lebendig blickten die dunklen Augen unter dem kurz geschnittenen, dichten weißen Haar hervor, aber über dem Ausdruck unzerstörbarer jovialer Heiterkeit, welcher ihm eigentümlich war, lag ein Schleier wehmüthigen Schmerzes. In einen Fauteuil zurückgelehnt, saß Comtesse Klara neben ihrer Mutter, – auch auf ihrem schönen jugendlichen Gesicht lag ein Hauch ernster Trauer, war sie doch eine echte Tochter jener stolzen Aristokratie Oesterreichs – empfand sie doch tief und brennend die Demüthigung, welche auf dem Schlachtfelde von Königgrätz den alten Fahnen des Kaiserstaats zugefügt war, – aber diese Trauer lag nur wie ein leichter Schleier über dem Ausdruck des Glückes und der Freude, welche das träumerisch blickende Auge erfüllten. War doch der Lieutenant von Stielow, trotz schwerer Gefahren, die ihn bei Trautenau und Königgrätz umringt hatten, unverwundet geblieben, – war doch jetzt der Krieg so gut wie zu Ende und neue Gefahren nicht mehr für ihn zu besorgen – und – sollte doch gleich nach Beendigung des Krieges an die Vorbereitungen zur Hochzeit gedacht werden!

Die junge Gräfin saß da, in sinnender Träumerei der anmuthigen Bilderreihe folgend, in welcher sich die Zukunft vor ihr aufrollte – und hörte wenig von dem Gespräch, das neben ihr geführt wurde.

»Dieß Unglück ist die Folge der unglaublichen. Rücksicht, welche man auf das Geschrei von unten her genommen hat,« rief die Gräfin Clam mit vor Schmerz und Zorn bebender Stimme, – »da ist diesem Benedek das Oberkommando gegeben, bloß weil er ein Mann des Volkes war! – da wurden alle adeligen Offiziere gekränkt, beleidigt, zurückgesetzt – nun sieht man, wohin das geführt hat! – Ich habe gewiß nichts gegen das Recht des Verdienstes und des Talents,« fuhr sie fort, – »die Geschichte lehrt ja, daß große Feldherren aus dem gemeinen Soldatenstand hervorgegangen sind, aber man soll nicht Leute hervorziehen, die keine Talente und kein anderes Verdienst als Tapferkeit haben, bloß weil sie nicht vornehmer Geburt sind! Und nun soll noch die Aristokratie für das Unglück verantwortlich gemacht werden, – die Behandlung des Grafen Clam ist eine unerhörte Schmach für den ganzen österreichischen Adel!«

»So müssen Sie die Sache nicht ansehen, Gräfin,« sagte Herr von Reischach, »ich glaube, umgekehrt wird das Verfahren gegen Graf Clam alle bösen Mäuler stopfen, denn es gibt keine bessere Gelegenheit, um die wahren Ursachen der Niederlage klar zu stellen. Nachdem einmal die öffentliche Meinung, angeführt durch ein paar Journalisten, den Grafen mit Vorwürfen überhäuft hat, war es ganz richtig von ihm, strenge Untersuchung zu fordern, und Mensdorff mußte beim Kaiser darauf dringen. Warten wir den Erfolg ab, er wird zeigen, daß man dem österreichischen Adel gewiß keinen Vorwurf machen kann!«

»Es ist mir sehr hart,« rief die Gräfin Clam, »unter dem allgemeinen Unglück noch so besonders persönlich getroffen zu sein!« Und sie trocknete die hervorbrechenden Thränen mit ihrem Tuch.

»Erzählen Sie uns, Baron Reischach,« sagte die Gräfin Frankenstein nach einer kurzen Pause, um dem Gespräch eine ablenkende Wendung zu geben, – »erzählen Sie uns doch vom König von Hannover – Sie sind ja zum Dienst bei ihm kommandirt, – ich habe so große Bewunderung für diesen heldenmütigen Fürsten, und so tiefe Theilnahme für sein trauriges Schicksal!«

»Es ist wunderbar,« sagte der General, »mit welcher Fassung und Heiterkeit der König sein Schicksal und die schwere Lage erträgt, in der er sich befindet, – übrigens ist er noch immer voll Hoffnung – ich fürchte, sie wird ihn täuschen!«

»Glauben Sie denn, daß man wagen wird, ihn einfach zu entthronen?« rief die Gräfin Frankenstein.

»Ich bin leider dessen ganz gewiß,« sagte Herr von Reischach.

»Leider kann ich auch nach den Mittheilungen Mensdorff's nicht daran zweifeln,« sagte die Gräfin Clam.

»Und das muß Oesterreich dulden!« rief die Gräfin Frankenstein – über ihr sonst so ruhiges Gesicht flog eine helle Röthe des Zorns, ihre Augen blitzten vor Erregung.

»Oesterreich duldet Alles und wird noch viel mehr dulden!« sagte der General achselzuckend, – »ich sehe eine lange Reihe von Unglück heraufziehen, man wird wieder experimentiren – und jedes neue Experiment wird der Krone ein Juwel und ein Lorbeerblatt kosten. Ich fürchte, man wird in die Bahnen Joseph's II. einlenken –«

»Gott schütze Oesterreich!« sagte die Gräfin Frankenstein die Hände faltend. »Wird der König von Hannover hier bleiben?« fragte sie nach einer Pause.

»Es scheint so,« erwiederte Herr von Reischach, – »er wohnt im Hause des Baron Knesebeck in der Wallnerstraße, wo ihm die Gräfin Wilczek ihre Etage abgetreten hat, – ich habe aber gehört, daß er bald nach Hietzing in die Villa des Herzogs von Braunschweig ziehen will. – Ich würde es viel richtiger halten,« fuhr er fort, »daß der König nach England ginge, – er ist doch englischer Prinz von Geburt, und wenn es ihm dort gelingt, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, was bei seiner liebenswürdigen Persönlichkeit nicht schwer sein kann, so ist England die einzige Macht, die vielleicht etwas für ihn thut – und thun kann, – aber er ist nicht dazu zu bewegen – und Graf Platen scheint mir sehr wenig geeignet, den König zu festen Entschlüssen zu bewegen.«

»Graf Platen war bei mir,« sagte die Gräfin Clam, – »er glaubt nicht an die Annexion von Hannover.« –

»Dieß Völkchen spürt den Teufel nie, – bis daß er sie am Kragen hat,« rief Herr von Reischach, – »da ist der General Brandis, ein einfacher alter Soldat mit scharfem, klarem Verstand, er wäre wohl der beste Rathgeber für den König in einer Lage, in der nur feste und schnelle Entschlüsse zu Etwas führen können, – aber er findet keine Unterstützung bei Platen.« – »Wie viel Unglück haben diese wenigen Tage geboren!« rief die Gräfin Frankenstein.

»Nun,« sagte Herr von Reischach aufstehend, – »Sie müssen sich mit dem Glück trösten, das in Ihrem Hause erblüht, – ich wette, daß die Gedanken der Comtesse Klara,« fügte er lächelnd hinzu, »sich mit recht heitern Bildern beschäftigen.«

Die junge Gräfin fuhr aus ihren Gedanken auf, ein flüchtiges Erröthen flog über ihr Gesicht und lächelnd sagte sie:

»Was wissen Sie von den Gedanken junger Damen?«

»Ich weiß soviel davon,« erwiederte Herr von Reischach, »daß ich meiner kleinen Comtesse jetzt keine Puppe mehr mitbringen dürfte, sie müßte denn eine grüne Uniform mit rothen Aufschlägen tragen –«

»Ich will weder Puppen noch sonst etwas von Ihnen,« – antwortete mit lächelndem Schmollen die junge Gräfin.

Herr von Reischach und die Gräfin Clam brachen auf.

Gräfin Frankenstein und ihre Tochter geleiteten sie bis zur Thüre und waren kaum einige Augenblicke allein gewesen, als ein Diener eintrat und sagte:

»Es ist ein Herr da, welcher die Frau Gräfin dringend um einen Augenblick Gehör bittet.«

»Wer ist es?« fragte die Gräfin erstaunt, denn sie hatte wenig Beziehungen außerhalb der abgeschlossenen Welt ihrer Gesellschaft.

»Hier ist seine Karte!« sagte der Diener, der Gräfin eine Visitenkarte reichend, »er versichert, es wäre von größtem Interesse für die Frau Gräfin, ihn zu hören.«

Die Gräfin Frankenstein nahm die Karte und las mit erstauntem Ausdruck: »E. Balzer, Wechselagent.«

Ein dunkles Roth flog über das Gesicht der Comtesse Klara, ängstlich blickte sie zu ihrer Mutter herüber und drückte ihr Taschentuch an die Lippen.

»Ich verstehe nicht,« sagte die Gräfin, »was die so völlig unbekannte Persönlichkeit von mir wollen kann, – indeß – führen Sie ihn herein!«

Einige Augenblicke darauf trat Herr Balzer in den Salon.

Er war schwarz gekleidet und sein gemeines Gesicht trug den Ausdruck einer gewissen ernsten Würde, die durchaus nicht recht daraus haften wollte.

Er näherte sich den Damen mit einer Bewegung, in welcher sich die kecke Sicherheit des Habitués der Kaffeehäuser mit der verlegenen Befangenheit vermischte, welche jeder an schlechte Gesellschaft gewöhnte Mensch beim Eintritt in einen wirklich vornehmen Salon empfindet.

Die Gräfin Frankenstein sah ihn mit stolzem und kaltem Blick an, während Klara ihr großes Auge nach einem schnellen Blick auf diese gemeine Erscheinung niederschlug und zitternd erwartete, was die Ursache dieses außergewöhnlichen Besuches sein würde.

»Ich habe eingewilligt, Sie zu empfangen, mein Herr,« sagte die Gräfin mit vornehmer Ruhe, – »und bitte Sie, mir zu sagen, was Sie mir für mich Wichtiges mitzutheilen haben.«

Herr Balzer verneigte sich mit affektirter Würde und sprach:

»Es ist eine sehr traurige Angelegenheit, gnädigste Gräfin, welche mich zu Ihnen führt, – eine Angelegenheit, in welcher wir, Sie und ich, – oder eigentlich Ihr Fräulein Tochter ein gleiches – ein gemeinsames Interesse haben.«

Klara's Augen richteten sich mit dem Ausdruck tiefen Erstaunens und peinlicher Erwartung auf ihn, die klaren, hochmüthigen Blicke der Gräfin fragten deutlicher als Worte: welches Interesse kann ich mit einem Mann wie Sie gemeinsam haben?

Herr Balzer sah diesen Blick und ein fast unmerkliches höhnisches Lächeln spielte um seine Lippen.

»Ein allerdings sehr schmerzlicher und trauriger Fall,« sagte er langsam und zögernd, »zwingt mich, Frau Gräfin, Ihnen meine Ehre anzuvertrauen und mit Ihnen zu berathen, was für alle Theile am besten zu thun ist.«

»Ich bitte Sie, mein Herr,« sagte die Gräfin mit eisigem Ton, »zu dem Inhalt Ihrer Mittheilung zu kommen – meine Zeit ist gemessen.«

Ohne sich durch diese Mahnung irre machen zu lassen, fuhr Herr Balzer, in scheinbarer Verlegenheit seinen Hut zwischen den Fingern drehend, fort:

»Ihr Fräulein Tochter ist mit dem Lieutenant von Stielow verlobt?«

Die Gräfin sah ihn nunmehr wirklich starr vor Erstaunen an. Sie fing an zu fürchten, daß sie es mit einem Wahnsinnigen zu thun habe. Ein leichtes Zittern durchflog die zarte Gestalt der jungen Gräfin, tiefe Blässe überzog ihr Gesicht, sie wagte nicht das Auge zu diesem Menschen zu erheben, von dem eine instinktmäßige Ahnung ihr sagte, daß er ihr Böses bringen müsse.

Herr Balzer zog jetzt ein Taschentuch hervor und fuhr sich damit über die Augen. Er ging in theatralischer Bewegung einige Schritte gegen die Gräfin vor und rief, indem er die Hand beschwörend gegen sie ausstreckte:

»Frau Gräfin – Sie werden mich sogleich begreifen – Sie werden verstehen, warum ich mich an Sie wende, – ich vertraue mein Schicksal Ihrer Diskretion an, nur mit Ihnen gemeinsam kann diese traurige Verwicklung gelöst werden –«

»Ich muß Sie wirklich dringend bitten, mein Herr,« sagte die Gräfin Frankenstein, indem sie einen ängstlichen Blick nach dem Glockenzug warf, von welchem sie durch Herrn Balzer getrennt war – »ich muß wirklich dringend bitten, mit Ihrer Mittheilung zu beginnen –«

»Herr von Stielow« – sagte Herr Balzer, seine Augen von Neuem mit dem großen gelbseidenen Taschentuch bedeckend.

Klara faltete die Hände und hing in athemloser Spannung an seinen Lippen.

»Herr von Stielow,« wiederholte Herr Balzer in einem Tone, als ob er mühsam nach Fassung ränge – »dieser leichtfertige junge Mann, der so glücklich ist im Besitz einer so liebenswürdigen, vortrefflichen Braut,« – er verneigte sich gegen Klara, welche sich mit Widerwillen von ihm abwendete, – »dieser leichtsinnige junge Mann schreckt nicht davor zurück, mich um mein häusliches Glück zu betrügen, meinen Frieden zu zerstören, – er hat ein strafbares Verhältniß mit meiner Frau!«

Mit einem leichten Schrei sank Klara auf den Fauteuil, vor welchem sie stand, und brach in stilles Weinen aus.

Die Gräfin Frankenstein blieb hoch aufgerichtet stehen. Ihr Blick ruhte stolz und fest auf diesem ihr so widerwärtigen Unglücksboten, und mit einer Stimme, in welcher kaum eine Bewegung zu hören war, fragte sie:

»Und woher wissen Sie das, mein Herr? Sind Sie Ihrer Sache gewiß?«

»Leider nur zu gewiß!« rief Herr Balzer pathetisch, indem er abermals das Taschentuch vor die Augen hielt, welche durch das wiederholte Reiben bereits roth geworden waren.

»Seit einiger Zeit bereits,« sagte er, »hatten Freunde mich gewarnt, – aber im Vertrauen auf meine Frau, – ich liebe meine Frau, gnädigste Gräfin, – ach, sie war mein ganzes Glück, – wollte ich diesen Warnungen nicht glauben, – und als die Verlobung des Herrn von Stielow mit der liebenswürdigen Comtesse« – er verneigte sich abermals gegen Klara – »in Wien bekannt wurde, da hielt ich mich für ganz sicher, weil ich in meinem einfachen Sinn« – er legte die Hand auf sein Gilet von schwarzem Maß – »eine solche Verworfenheit nicht für möglich hielt.«

»Nun?« fragte die Gräfin.

»Bis ich endlich durch einen Zufall – o mein ganzes Herz bebt noch, wenn ich daran denke, – bis ich endlich gestern die schreckliche Wahrheit entdeckte.«

Die Gräfin machte eine Bewegung der Ungeduld.

Er warf einen Seitenblick auf die in ihrem Fauteuil bewegungslos, das Gesicht mit dem Tuch bedeckt, dasitzende junge Dame, mit der Bosheit gemeiner Naturen schien er die Qual dieser auf den Höhen der Gesellschaft lebenden Personen, die er instinktmäßig haßte, verlängern zu wollen.

»Unter den Briefen, die an mich abgegeben wurden,« fuhr er nach einigem Zögern fort, »befand sich auch einer für meine Frau. Ich beachtete die Adresse nicht und in der Ueberzeugung, daß er an mich gerichtet sei, öffnete ich ihn. – Er enthielt die schreckliche, unwiderlegliche Bestätigung meines Unglücks.«

Comtesse Klara schluchzte leise.

Die Gräfin fragte kalt und ruhig:

»Wo ist dieser Brief?«

Herr Balzer griff mit einem tiefen, stark hörbaren Seufzer in die Brusttasche seines Rockes, zog ein zusammengefaltetes Billet hervor und reichte es der Gräfin.

Diese nahm es, schlug es auseinander und las langsam den Inhalt. Dann warf sie es auf den Tisch und fragte:

»Was haben Sie gethan?«

»Frau Gräfin,« rief Herr Balzer immer in demselben pathetischen Ton, – »ich liebe meine Frau – sie hat sich schwer vergangen, – es ist wahr, – aber ich liebe sie dennoch, – und ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, sie zu mir zurückzuführen –«

Die Gräfin zuckte fast unmerklich die Achseln, mit einem Blick voll Verachtung maß sie die Gestalt des Wechselagenten. –

»Ich möchte sie nicht von mir stoßen, – ich möchte ihr verzeihen,« fuhr dieser mit weinerlicher Stimme fort, »und deßwegen bin ich hergekommen, um mit Ihnen zu sprechen, Frau Gräfin, mit Ihnen zu überlegen, – Sie zu bitten –«

»Um was?« fragte die Gräfin.

»Sehen Sie, – ich habe gedacht,« sagte Herr Balzer, seinen Hut hin und her drehend, – »wenn Sie – es ist ja doch hier in Wien jetzt ein trauriger Aufenthalt, – wenn Sie auf Ihre Güter, – oder in die Schweiz, oder an die italienischen Seen gehen wollten, – recht weit von hier, – und wenn Sie den Lieutenant von Stielow mitnehmen würden, – dann müßte er von hier fort, – und könnte das Verhältniß mit meiner Frau nicht fortsetzen, – ich würde sie dann auch einige Zeit von hier entfernen, – nach der Hochzeit mit der liebenswürdigen Comtesse würde das junge Paar ja doch wohl auf die Familiengüter des Herrn von Stielow gehen, – er würde meine Frau vergessen, – und Alles würde wieder in Ordnung kommen, – wenn wir so gemeinsam nach demselben Plan handeln!« –

Er hatte langsam und zögernd gesprochen, oft sich unterbrechend, und mit lauernden Blicken bald die Mutter, bald die Tochter angesehen. Schon während seiner Rede war Klara aufgesprungen, die vom Weinen gerötheten Augen hatten sich mit flammender Entrüstung auf ihn gerichtet und mit ängstlicher Spannung sah sie ihre Mutter an, als er geendet, die Lippen halb geöffnet, als wolle sie sprechen, als fürchte sie, daß ihre Mutter nicht die rechte Antwort geben könne.

Die Gräfin Frankenstein richtete sich mit einer Geberde voll hohen Stolzes empor und sprach mit dem Tone eiskalter Verachtung:

»Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilung, mein Herr, welche mir noch zur rechten Zeit die Augen geöffnet, – doch bedaure ich, Ihnen in der von Ihnen gewünschten Weise nicht zur Wiederherstellung Ihres ehelichen Glückes behülflich sein zu können. Sie werden begreifen, daß es nicht die Aufgabe der Comtesse Frankenstein sein kann, in der von Ihnen gedachten Weise den Baron Stielow von einer unter diesen Verhältnissen jedenfalls unwürdigen Passion abzuwenden und eine Verbindung fortzusetzen, für welche der Baron so wenig Rücksichten gezeigt hat. Es wird Ihnen also überlassen bleiben müssen, in welcher Weise Sie Ihre Frau zu sich zurückführen wollen und können.«

Klara's Augen drückten die vollständigste Billigung der Worte ihrer Mutter aus, in stolzer Bewegung wendete sie Herrn Balzer den Rücken und blickte schweigend und gewaltsam ihre Thränen zurückdrängend durch die großen Scheiben eines der hohen Fenster des Salons.

Herr Balzer schlug wie in höchster Bestürzung die Hände zusammen und rief in ziemlich gut gespielter Verwirrung:

»Mein Gott, Frau Gräfin, – verzeihen Sie mir, wenn ich in meinem Kummer und meiner Sorge nur an mich und meine Frau gedacht und nicht überlegt habe, daß für Sie – ich glaubte, Sie wünschten diese Partie, die ja so gut ist, – und hoffte, Sie würden deßhalb mit mir gemeinschaftlich handeln wollen, um Alles zum Besten zu lenken.« –

»Die Comtesse Frankenstein ist nicht in der Lage, eine Partie zu wünschen, welche ihrer nicht würdig ist und welche ihrem Herzen nicht zusagen könnte,« sagte die Gräfin in unveränderlicher kalter Ruhe, – »ich glaube, mein Herr,« fuhr sie dann mit einer fast unmerklichen Neigung des Hauptes fort, »daß eine Fortsetzung unserer Unterredung kaum noch nothwendig sein möchte.« –

Herr Balzer rang die Hände und rief im Tone der Verzweiflung:

»O mein Gott, mein Gott, Frau Gräfin, – was habe ich da gethan! ich verstehe ja jetzt vollkommen, daß Ihr Fräulein Tochter unter solchen Verhältnissen diese Verbindung nicht eingehen kann, – daß ich thöricht war in meiner Hoffnung, mit Ihrer Hülfe Frieden und Glück nach allen Seiten schaffen zu können. O mein Gott! – hätte ich doch lieber geschwiegen!«

Die Gräfin sah ihn fragend an.

»Dann hätte ich,« fuhr er in demselben Ton fort, »vielleicht noch Alles zum Guten wenden können, – jetzt, – ach Gott, jetzt ist Alles vorbei! – Sie werden das Verhältniß mit Herrn von Stielow auflösen, – die ganze Welt wird mein Unglück erfahren, – es wird einen unendlichen Skandal in Wien geben und ich werde meine Frau verstoßen müssen – ach, und ich liebe meine Frau, – ich möchte ihr so gern verzeihen und sie zu mir zurückführen, ich werde sie für immer verlieren –«

Er hielt eine Sekunde inne und warf einen lauernden Blick auf die Gräfin, deren Züge den Ausdruck tiefen Nachdenkens annahmen.

Dann fuhr er noch lauter sprechend und noch mehr die Hände ringend fort:

»O meine gnädigste Gräfin, haben Sie Mitleid mit mir, – ich habe in vollem Vertrauen Ihnen das schreckliche Geheimniß meines Unglücks mitgetheilt, – ich sehe ein, daß Sie mir nicht so helfen können, wie ich es hoffte, seien Sie barmherzig und machen Sie es mir nicht unmöglich, meinerseits auf Wege zu sinnen, um das Schlimmste abzuwenden. Bewahren Sie mein Geheimniß. Herr von Stielow würde in seiner Wuth und Entrüstung sich an mir rächen, – er hat ja nichts zu besorgen, – es würde einen großen, großen Skandal, – das kann zwar Ihnen und Ihrer Tochter gleichgültig sein, – aber ich – und meine Frau! – O haben Sie Mitleid mit mir!« Und er machte eine Bewegung, als wolle er sich der Gräfin zu Füßen werfen. Diese war, wie gesagt, nachdenklich geworden.

»Mein Herr,« sagte sie, »es kann durchaus nicht mein oder meiner Tochter Wunsch sein, diese – unangenehme – Angelegenheit mit dem Baron Stielow zu erörtern.«

Klara hatte den Kopf ihrer Mutier zugewendet und dankte ihr mit einem Blick.

»Ich werde das Verhältniß der Comtesse Klara mit Herrn von Stielow unter dem möglichst wenig auffallenden Grunde lösen, und es bleibt Ihnen dann überlassen, zu thun, was Sie für das Beste halten. Ihr Geheimniß soll bei mir gewahrt bleiben. Nochmals danke ich Ihnen für Ihre Mittheilung, die, so schmerzlich sie uns getroffen, nothwendig war und jedenfalls Schlimmeres für die Zukunft verhütet hat!«

Und sie neigte den Kopf, indem sie unverkennbar Herrn Balzer seine Entlassung andeutete.

Dieser hielt das Taschentuch abermals an die Augen und sagte mit weinerlicher Stimme:

»Ich danke Ihnen, Frau Gräfin, – ich werde Ihnen immer und ewig dankbar sein, – verzeihen Sie mir – ich bitte auch das Fräulein, mir zu verzeihen, – daß ich Ihnen so traurige Botschaft gebracht. – O, mein Loos ist doch das traurigste, – wenn Sie wüßten, wie ich meine Frau geliebt habe!«

Und als würde er überwältigt von dem Uebermaß seines Schmerzes, verneigte er sich stumm und verließ den Salon.

Schnell eilte er an dem im Vorzimmer stehenden Diener vorüber die Treppe hinab, und als er das Haus verlassen, verschwand der ernste und schmerzliche Ausdruck von seinem Gesicht, ein gemeines Lächeln des Triumphs spielte um seine Lippen und vergnügt sprach er zu sich selber:

»Nun, ich glaube, ich habe meine Sache sehr gut gemacht und die tausend Gulden redlich verdient, die meine so innig geliebte Gattin mir versprochen, wenn ich ihren theuren Stielow dort losmachte. Jetzt kann sie ihn sich wieder fangen, – das wird ihr gelingen, denn das versteht sie vortrefflich, – und dann« – fuhr er mit immer vergnügterem Lächeln fort – »werde ich ein Recht haben, mit etwas volleren Händen aus dem Goldstrom zu schöpfen, den dieser junge Millionär in ihren Schooß strömen lassen wird.«

Raschen Schrittes eilte er zu seiner Frau, um ihr Bericht über den Erfolg seiner Sendung abzustatten.

Klara aber hatte sich, als er den Salon verlassen, ohne Worte und laut schluchzend in die Arme ihrer Mutter geworfen. Nachdem der Zwang, den ihr die Gegenwart des widerwärtigen Fremden auferlegt, vorüber, war, strömten ihre Thränen reichlich und lösten den starren Krampf, der ihr das Herz zusammengeschnürt hatte.

»Sei stark, meine Tochter,« sagte die Gräfin, ihr sanft über das glänzende Haar streichend, – »es ist eine harte Prüfung, welche Gott Dir auflegt, – aber es ist besser, daß Du jetzt von jenem unwürdigen Verhältniß Dich losreißest, als daß dieser Schlag Dich später getroffen hätte!«

»O, meine Mutter,« rief die junge Gräfin mit tiefem Schmerz, – »diese Liebe machte mich so glücklich, – er hat mich so fest versichert, daß er ganz frei sei – und ich glaubte ihm so vertrauensvoll –«

Und sich plötzlich aus den Armen ihrer Mutter erhebend, eilte sie nach dem Tische hin, auf welchem noch der Brief lag, welchen Herr Balzer ihrer Mutter gezeigt hatte.

Sie ergriff mit leichtem Zusammenschauern das verhängnißvolle Blatt und las mit großen starren Augen den Inhalt.

Dann warf sie es mit einer Bewegung des Abscheues fort und sank schluchzend in einen Lehnstuhl.

»Geh' auf Dein Zimmer, mein Kind,« sagte die Gräfin, – »Du bedarfst der Ruhe! – Ich werde überlegen, wie am besten und ohne großes Aufsehen die Sache behandelt werden kann. Die Abwesenheit des Barons erleichtert das – wir werden auf's Land gehen, – ich werde das Alles ordnen, – beruhige und sammle Dich, damit die Welt nichts merkt, – es ist unsere Pflicht, unsere Schmerzen allein zu tragen, – nur gemeine Seelen zeigen ihren Kummer der Welt, – Gott wird Dir Trost geben, und am Herzen Deiner Mutter wirst Du immer einen Platz haben für Deine Thränen.«

Und sanft ihre Tochter aufrichtend, führte sie dieselbe aus dem Salon nach den innern Gemächern der Damen.

In dem großen weiten Raum tönte wieder der gleichmäßige Pendelschlag der alten Uhren durch die tiefe Stille und die Bilder der Urgroßeltern blickten wieder mit dem unveränderlichen, vornehmen Lächeln aus den Rahmen herab, – auch die Augen, die dort so ruhig und freundlich herabschauten, hatten geweint in vergangenen Tagen, und hatten mit stolzer Kraft ihre Thränen zurückströmen lassen zum eigenen Herzen, damit sie nicht das Mitleid oder die hämische Freude der Welt hervorrufen sollten, – und die ewig dahinrollende Zeit hatte nach den Stunden der Trauer und Pein wieder die Augenblicke des Glücks erscheinen lassen – es war das Alles nichts Neues in dem alten Hause des alten Geschlechtes.

Dann wurde es laut im Vorzimmer, Säbelklirren ertönte draußen, der Diener öffnete die Thüre und herein trat der Lieutenant von Stielow, frisch blühend und heiter, mit leuchtenden Augen das Zimmer durchforschend. Befremdet blickte er den Diener an.

»Die Damen waren soeben noch hier,« sagte dieser – »die Frau Gräfin hatte einen Geschäftsagenten empfangen, – sie müssen sich eben zurückgezogen haben, – ich will ihnen sogleich melden lassen, daß der Herr Baron –«

»Nein, mein Freund,« rief der junge Offizier, – »lassen Sie nichts melden, – die Damen werden ja wohl bald wiederkommen und ich möchte sie ein wenig überraschen – sagen Sie nichts!«

Der Diener verneigte sich und ging hinaus.

Der junge Offizier ging einige Male im Salon auf und ab. Ein glückseliges Lächeln ruhte auf seinen Zügen, die Freude des Wiedersehens nach dieser verhängnißvollen Trennung, während welcher der Tod in so vielen Gestalten ihn drohend umringt hatte, die Aussicht auf den Ausdruck glücklicher Ueberraschung in den Augen der Geliebten – das Alles erfüllte sein jugendlich frisches Herz mit Wonne und Entzücken.

Er näherte sich dem tiefen Fauteuil, in welchem Comtesse Klara gewöhnlich neben ihrer Mutter zu sitzen pflegte, und drückte seine Lippen auf die Lehne, an welcher ihr Kopf geruht haben mußte.

Dann setzte er sich in diesen Lehnstuhl, schloß halb die Augen und überließ sich einer sanften, süßen Träumerei – und die Pendel der Uhren maßen die Zeit, welche über diese glücklichen, hoffnungsseligen Träume des jungen Mannes hinzog, mit demselben gleichmäßigen Schlag, wie die Augenblicke der Qual, welche hier soeben noch das Herz Derjenigen erfüllt hatte, deren Bild in jenen Träumen lebte.

Während der junge Offizier hier träumend saß und sein Glück erwartete, war Klara in ihr Zimmer gegangen, – ein viereckiges Gemach mit einem großen Fenster, in grauer Seide dekorirt, vor dem Fenster ein Schreibtisch, daneben eine pyramidenförmig aufsteigende Etagère mit blühenden Blumen, deren feiner Duft den Raum erfüllte. Ueber dem Schreibtisch stand auf einem eleganten Bronzegestell ein großes photographisches Bild ihres Verlobten, das er noch vor seiner Abreise zur Armee ihr gegeben hatte; in einer Nische, die in der Ecke des Zimmers hergestellt war, sah man einen Betpult mit einem schönen, in Ebenholz und Elfenbein gearbeiteten Kruzifix, – eine kleine, an der Wand hängende Schale mit Weihwasser daneben.

Das Zimmer enthielt Alles, was vornehme Eleganz und Reichthum zur Verschönerung des Lebens bieten können, – dieser Raum war so erfüllt gewesen von Glück und Hoffnung, als die junge Gräfin ihn verlassen hatte, – und jetzt? Die Blumen dufteten wie vor einer Stunde, der Sonnenschein fiel durch das Fenster herein wie vorher, – aber wo war das Glück, – wo war die Hoffnung?

Klara warf sich auf die Kniee vor dem Bilde des Gekreuzigten, wo sie so oft Trost gefunden hatte in den kindlichen Bekümmernissen ihres früheren Lebens, sie rang die schönen weißen Hände in inbrünstigem Gebet, ihre thränenschimmernden Augen hingen an dem Bilde des Erlösers, ihre Lippen bewegten sich in halblauten, flehenden Worten, – aber nicht wie sonst senkte sich Frieden und Ruhe in ihre Seele.

In wilden Stürmen wogten ihre Gefühle durcheinander, es war tiefer, trauriger Schmerz über das verlorene Glück, es war zornige Entrüstung über das falsche Spiel mit ihrer Liebe, es war hochaufwallender Stolz über die Verachtung ihrer Gefühle, – es war endlich bitterer, eifersüchtiger Haß gegen die Unwürdige, der sie aufgeopfert war – das Alles wogte und wallte in ihrem Kopfe, in ihrem Herzen, in ihrem Blute durcheinander, und das Gebet, welches die Lippen sprachen, wollte nicht emporsteigen zum Himmel, das ruhige Licht gläubiger Ergebung wollte sich in ihrem Innern nicht entzünden.

Sie stand wieder auf und seufzte tief – es war nicht mehr Schmerz, es war Zorn, was aus ihren Augen flammte, – sie biß die weißen Zähne auf die Lippe und ging im Zimmer hin und her, indem sie die Hände auf die Brust drückte, gleich als wollte sie den wogenden Strom der Gefühle niederhalten, die ihr das Herz zu zersprengen drohten.

Dann blieb sie vor ihrem Schreibtische stehen und blickte mit zornigem, feindlichem Ausdruck auf das Bild des Herrn von Stielow.

»Warum mußtest Du in meinen Lebenskreis eintreten,« rief sie, – »um mir meinen Frieden zu rauben und mich einige Augenblicke trügerischen Glückes mit so tiefen, furchtbaren Qualen erkaufen zu lassen!«

Ihr Blick ruhte lange auf dem Bilde, langsam und allmälig verschwand der Ausdruck des Zorns aus ihren Zügen, ein milder, wehmüthiger Schimmer glänzte in ihrem Auge.

»Und dieß kurze Glück war so schön!« flüsterte sie, – »ist es denn möglich, daß diese offenen, treuen Augen lügen können, ist es möglich, daß zu gleicher Zeit –«

Sie sank auf den Sessel vor ihrem Tische nieder und halb unwillkürlich einer süßen Gewohnheit der letzten Zeilen folgend, öffnete sie eine Schatulle von Ebenholz, wunderbar schön in Perlmutter und Gold ausgelegt.

In dieser Schatulle lagen die Briefe ihres Geliebten, die er ihr aus dem Lager geschrieben, Alles kleine, flüchtige Zettel, viele stark beschmutzt von den vielen Händen, durch welche sie gegangen waren, um bis zu ihr zu gelangen – sie kannte sie alle auswendig, diese Liebesgrüße, welche so wenig und doch so viel sagten, welche sie mit so vieler Sehnsucht erwartet, mit so viel jubelnder Freude empfangen, mit so viel stiller Glückseligkeit gelesen und wieder gelesen hatte.

Wie mechanisch einer Gewohnheit folgend, nahm sie einen dieser Briefe und ließ ihr Auge langsam über die Zeilen gleiten.

Dann aber warf sie das Papier mit einer Bewegung des Abscheus fort.

»Und mit derselben Hand,« rief sie, »welche diese Worte schrieb –« sie vollendete nicht und blickte düster vor sich hin. – »Aber ist es denn wahr?« rief sie plötzlich, – »kann nicht die Bosheit, der Neid, – o ich wußte es ja, daß ihm diese Frau nicht fremd war – ich habe die Schriftzüge nicht nebeneinander gesehen, nicht verglichen – – mein Gott!« schrie sie erschrocken auf, »jener unglückselige Brief liegt noch im Salon, – wenn einer der Domestiken –!« und schnell aufspringend eilte sie aus ihrem Zimmer, durchschritt eilig die dazwischen liegenden Räume, trat in den Salon und näherte sich in rascher Bewegung dem Tisch, auf welchem das verhängnißvolle Blatt zwischen zwei Blumenvasen und einer Tapisseriearbeit lag.

Das Geräusch ihrer Schritte weckte den jungen Offizier aus seiner Träumerei. Schnell fuhr er aus der halb liegenden Stellung empor, in welcher ihn die hohe Rücklehne des Fauteuils verborgen hatte, und sah Diejenige, deren Bild seine Gedanken erfüllt hatte, in wirklicher Erscheinung und unbeschreiblicher Verwirrung vor sich stehen.

Es würde unmöglich sein, die Gefühle in Worten auszusprechen, welche die Brust des jungen Mädchens in diesem Augenblick erfüllten. Ihr Herz schlug zuerst hoch empor in freudigem Entzücken, so plötzlich den Geliebten vor sich zu sehen, mit schneidendem, erschütterndem Weh durchfuhr sie im nächsten Augenblick die Erinnerung an das, was sie für immer von dem verkörpert vor ihr stehenden Glücke trennte – ihre Gedanken schwirrten unklar durch einander, sie hatte weder die Kraft zu sprechen, noch sich zu entfernen, unbeweglich blieb sie stehen, die großen Augen starr auf die unerwartete Erscheinung gerichtet.

Mit einem Satz war der junge Mann bei ihr, er öffnete die Arme, als wollte er die Geliebte umschlingen, aber schnell einhaltend ließ er sich vor ihr auf ein Knie nieder, ergriff ihre Hand, die sie ihm willenlos überließ, und drückte einen langen, feurigen und innigen Kuß darauf.

»Hier,« rief er, »mein holdes Glück, süße Freude meines Herzens, Stern meiner Liebe, – hier ist Dein treuer Ritter wieder, Dein Talisman hat mich beschützt, und das heilige Licht meines Sterns war stärker und mächtiger als alle die drohenden Wolken, die mich umringten.«

Und mit leuchtenden Blicken, ganz erfüllt von Glück, Liebe und anbetender Bewunderung, sah er zu ihr empor.

Sie starrte ihn an, fast ohne Ausdruck in den weit geöffneten Augen, es schien, als ob alles Blut nach ihrem Herzen zurückgeströmt sei, als ob alle ihre Gedanken, alle ihre Willenskraft gebannt wäre unter dem überwältigenden Eindruck dieser letzten Augenblicke.

Er freute sich fast dieser starren Bewegungslosigkeit, welche er dem unerwarteten, überraschenden Wiedersehen zuschrieb, und sagte:

»Der General Gablenz ist zum Kaiser gerufen und hat mich mit hieher genommen, wodurch mir früher als sonst vergönnt ist, mein süßes Glück zu begrüßen!« – und indem er ein goldenes Etui mit einem verschlungenen 0 in Brillanten aus seiner Uniform zog, fügte er mit glücklichem Lächeln hinzu: »Hier ist der von der Hand meiner Dame geweihte Talisman, welcher mich in allen Gefahren beschützt hat, – er hat stets auf meinem Herzen geruht und kann Dir erzählen, daß alle seine Schläge meiner Liebe gehörten.« –

Er öffnete das Etui und ließ in demselben auf einer Unterlage von blauem Sammet unter gläserner Einfassung eine trockene Rose sehen.

»Jetzt,« rief er, »bedarf ich des todten Talismans nicht mehr, da die lebendige Rose meines Glücks blühend vor mir steht!«

Er stand auf, legte sanft den Arm um ihre Schultern und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.

Ein leichter Schauer flog durch ihre Gestalt, ihre Augen schleuderten einen Blitz voll Zorn und Verachtung, flammende Röthe erglühte auf ihren Wangen.

Mit rascher Bewegung riß sie sich von ihm los.

»Herr Baron,« rief sie – »ich muß Sie bitten, – Sie haben mich überrascht!«

Sie stockte – ihre Lippen zitterten, sie konnte die Worte nicht finden, sie konnte nicht aussprechen, was sie dachte und fühlte, nicht sagen, was sie sagen wollte.

Nach einem sekundenlangen Schweigen wendete sie sich, um das Zimmer zu verlassen.

Der junge Offizier stand da wie vom Blitz getroffen, – dieß fremde Wort, mit welchem sie ihn anredete, dieser Ausdruck in den Zügen seiner Geliebten sagte ihm, daß etwas vorgegangen sein müsse, daß ein Unheil aufgestiegen sei zwischen ihm und seiner Liebe, aber es war ihm unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken darüber zu fassen, in starrem Entsetzen blickte er sie an. Als sie sich aber abwendete und ihre Schritte nach der Thüre richtete, da breitete er beide Arme nach ihr aus und rief mit einem Tone, so voll Liebe und Sehnsucht, voll Schmerz und voll banger Frage, wie er nur aus dem tiefsten und wahrsten Gefühl hervordringen kann: »Klara!«

Sie zuckte zusammen bei diesem Ton, der die innersten Tiefen ihres zuckenden Herzens traf; sie blieb stehen, ihre Kräfte drohten sie zu verlassen, sie wankte.

Herr von Stielow war im Augenblick neben ihr, er stützte sie und führte sie zu einem Lehnstuhl, in den er sie sanft niederließ.

Dann kniete er vor ihr nieder und rief mit flehendem, angstvollem Ton:

»Um Gotteswillen, Klara, was ist geschehen, – was bewegt Dich?«

Sie hielt das Tuch vor die Augen und weinte leise, gewaltsam nach Fassung ringend.

Die Thür öffnete sich und die Gräfin Frankenstein trat ein.

Sie blickte in starrem Erstaunen auf die Gruppe, welche sie vor sich sah.

Herr von Stielow sprang auf.

»Frau Gräfin!« rief er, »können Sie mir das Räthsel lösen, dem ich hier gegenüberstehe, – was ist mit Klara vorgegangen?«

Die Gräfin sah ihn mit ernster, ruhiger Miene an.

»Ich erwartete Sie nicht in diesen Tagen, Herr von Stielow,« sagte sie, »sonst würde ich Befehl gegeben haben, Ihnen sogleich zu sagen, daß meine Tochter sehr leidend und angegriffen ist. – Wir müssen auf längere Zeit Wien verlassen und ich glaube, daß es unter diesen Umständen besser ist, auf die Pläne zu verzichten, welche wir für die Zukunft gebaut hatten. – Mein Kind,« fuhr sie fort, sich zu ihrer Tochter wendend, welche noch immer leise weinend auf dem Lehnstuhl saß, – »geh' auf Dein Zimmer!«

»Klara krank?« rief der junge Mann im Tone des höchsten Schreckens, – »mein Gott, seit wann? – doch nein, nein, es ist etwas Anderes, das hier vorgegangen – ich bitte Sie –«

Mit einer raschen Bewegung stand die junge Gräfin auf. Stolz erhob sie das Haupt und ihren Blick klar und voll auf Herrn von Stielow richtend, sprach sie zu ihrer Mutter gewendet:

»Der Zufall – oder die Vorsehung hat ihn jetzt gerade hieher geführt, – nun sei Wahrheit zwischen uns, – ich wenigstens will auch die Schuld schweigender Unwahrheit nicht tragen –«

Und ehe die Gräfin antworten konnte, ging sie mit festem Schritt auf den Tisch zu, ergriff den Brief, welcher dort noch lag, und reichte ihn mit einer Bewegung voll stolzer Würde dem jungen Offizier. Dann brach sie von Neuem in Thränen aus und warf sich in die Arme ihrer Mutter.

Herr von Stielow warf einen Blick auf das Papier.

Eine dunkle Röthe flog über sein Gesicht.

Er überflog mit den Augen die Schriftzüge, – dann sprach er, den Blick zu Boden gesenkt:

»Ich weiß nicht, wie dieser Brief hieher kommt, – doch glaubte ich – aus einigen Worten Klara's zu schließen, daß ihr eine Verirrung bekannt sei, der ich verfallen war, – ich glaubte, daß sie trotz der Vergangenheit mir ihr Herz geschenkt habe, und ich begreife nicht –«

Klara richtete sich auf und sah ihn mit flammendem Blick an.

»Trotz der Vergangenheit!« rief sie, – »ja, – weil ich Ihrem Worte glaubte, daß dieß Alles der Vergangenheit angehöre, – ich wußte nicht, daß ich mit dieser Vergangenheit mich in die Gegenwart theilen sollte!« –

»Aber mein Gott!« rief Herr von Stielow, sie erstaunt anblickend, – »ich verstehe nichts mehr, – – kann ein alter Brief –«

»Ein alter Brief?« sagte die Gräfin Frankenstein streng, – »er ist acht Tage alt.«

»– Und trägt das Datum des letzten Briefes an mich!« rief Klara mit flammenden Blicken.

Herr von Stielow blickte erstaunt auf das Papier.

Seine Augen öffneten sich weit. Stumm starrte er lange auf den Brief, den er unbeweglich vor seine Augen hielt.

Endlich wendete er sich mit blitzenden Augen und hochgeröthetem Gesicht zu den Damen.

»Ich weiß nicht, welcher Dämon hier sein Spiel hat – ich weiß nicht, wer zwei Herzen von einander reißen will, die Gott für einander bestimmt hat; – Frau Gräfin,« fuhr er fort, »Sie sind mir Wahrheit schuldig, ich fordere Sie von Ihnen, – wer gab Ihnen dieß Papier?«

Klara's Augen hafteten gespannt auf dem Gesicht des jungen Mannes. Ihr Busen wogte auf und nieder.

Das Gesicht der Gräfin zeigte den Widerwillen, den ihr dieß ganze Gespräch einflößte, – kalt antwortete sie:

»Ihr Ehrenwort, über die ganze Sache zu schweigen!«

»Ich gebe es,« sagte Herr von Stielow.

»Nun denn,« sagte die Gräfin, »dieser Brief ist irrthümlich an den Mann der – Dame – gelangt, und er –«

»Betrug! schändlicher Betrug!« rief Herr von Stielow halb zornig, halb frohlockend, – »ich durchschaue den Grund desselben noch nicht ganz, – aber sei er, welcher er wolle – Frau Gräfin, – Klara, – dieser Brief ist ein Jahr alt, – sehen Sie hier, – wenn Sie genau zusehen, werden Sie es bemerken, das Datum ist frisch geschrieben, – es ist eine schändliche Intrigue!« –

Und er reichte das Blatt der Gräfin.

Diese streckte die Hand nicht aus, um es zu berühren. Ein kalter Blick traf den jungen Mann. In Klara's Augen leuchtete ein Strahl der Hoffnung auf, – ein liebendes Herz ist so geneigt zum Glauben und Vertrauen.

Herr von Stielow warf das Papier fort.

»Sie haben Recht, Frau Gräfin,« sagte er, stolz sich aufrichtend, – »das ist eine Beweisführung für Advokaten!«

Und er trat zu Klara, ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, zog das Etui mit der trockenen Rose aus seiner Uniform und legte die Hand.darauf.

»Klara,« sprach er mit innigem, liebevollem Tone, welcher aus der Tiefe seiner Seele hervorklang, »bei diesem heiligen Andenken an die erste Stunde unserer Liebe, bei diesem Talisman, der mich begleitet hat in die Schrecken der Schlacht, schwöre ich Dir: Dieser Brief ist geschrieben vor einem Jahr, ehe ich Dich gesehen,« – er erhob seine Hand und berührte leicht mit den Fingerspitzen ihre Brust. »Bei diesem reinen, edlen Herzen schwöre ich Dir, daß kein Gedanke an jenes Irrlicht, dessen Lockung ich früher gefolgt war, in mir gelebt hat, seit ich Dir gehöre, seit in Deiner Liebe mir der reine Stern meines Lebens aufgegangen ist, dem ich treu bleiben werde bis zum Tode!«

Er stand auf.

»Frau Gräfin,« sagte er mit ernster, ruhiger Stimme, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Edelmann, bei meinem Namen, der von Geschlecht zu Geschlecht ehrenvoll durch die Jahrhunderte getragen ist, bei meinem Degen, den ich ohne Vorwurf in diesen furchtbaren Tagen gegen die Feinde Oesterreichs getragen, – daß das Datum dieses Briefes gefälscht ist und daß ich, seit Klara mir ihre Liebe geschenkt, mit jener Frau keine Sylbe gewechselt habe, daß keiner meiner Gedanken bei ihr gewesen ist, es sei denn in reuiger Erinnerung an eine vergangene Verirrung meines Herzens! – Ich frage nicht, ob Sie meinen Worten glauben,« fuhr er fort, – »die Gräfin Frankenstein kann keinen Zweifel in das Wort eines Edelmanns und eines österreichischen Offiziers setzen, der das Glück seines Lebens nicht um den Preis einer Lüge erkaufen würde. – Dich aber frage ich,« sagte er in warmem Tone, sich zu der Comtesse wendend, deren strahlende Augen mit glücklichem Ausdruck an ihm hingen, – »ob Du glaubst, daß mein Herz Dir gehört ohne Rückhalt und Zweifel, ob Du nun, da die Vergangenheit einmal klar und unverhüllt zwischen uns zur Sprache gekommen ist, der Stern meines Lebens bleiben willst, oder ob ich in dunkler Einsamkeit den Weg gehen soll, den meine Hoffnung mir sonnig und blütenreich gezeigt hat!«

Er senkte die Augen und wartete schweigend.

Mit dem Ausdruck unendlicher Liebe sah ihn die junge Gräfin an. Ein glückliches Lächeln schwebte um ihre Lippen. Mit leisem Schritt schwebte sie zu ihm hin; dicht vor ihm blieb sie stehen, in reizender Bewegung streckte sie ihm die Hand hin.

Er schlug die Augen empor und begegnete ihrem sanften, schimmernden Blick, sah ihr liebliches Lächeln, ihr leichtes Erröthen. Schnell öffnete er weit seine Arme und sie lehnte sich an ihn und barg das Haupt an seiner Brust.

Mit glücklichem, mildem Lächeln sah die Gräfin auf das schöne Paar und eine lange Stille herrschte in dem hohen Gemach.

Die alten Uhren aber maßen mit ihrem ruhigen Pendelschlag auch diese Augenblicke – die Augenblicke, die in ewigem Gleichmaß sich folgen – und sich nimmer gleichen im steten Wechsel des kurzen Glückes und der langen Schmerzen, welche das Leben der Menschen auf Erden bilden.

Als am späten Abend Klara in ihr stilles Zimmer zurückkehrte, da legte sie das goldene Etui mit der trockenen Rose auf ihr Betpult zu den Füßen des Christusbildes nieder, und dießmal stieg ihr Gebet so leicht beschwingt zum Himmel empor, wie die Blumendüfte des Frühlings, und in ihrem Herzen tönte es in so reinen, wunderbaren Melodieen, wie der Lobgesang der Engel, welche den Thron der ewigen Liebe umringen.


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