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Viertes Kapitel.

In das dichte Menschentreiben, welches auf dem Quai Voltaire zu Paris die Ufer der Seine entlang wogte und wie die Bilder des Kaleidoskops sich in ewig wechselnden bunten Bildern erneute, bog an einem hellen Morgen um die zehnte Stunde ein Mann ein, welcher eiligen Schrittes aus der Rue Bonaparte kam und sich über die Brücke nach den Tuilerien zu wendete.

So einfach die äußere Erscheinung dieses schmächtigen und kaum mittelgroßen Mannes war, so zog er doch die Blicke manches Vorübergehenden auf sich – allerdings nur einen Augenblick, denn länger als einen Augenblick richtet der Pariser selten seine Aufmerksamkeit auf etwas – durch die eigentümliche nervöse Geschäftigkeit und Eile seines Schrittes und durch die sichtliche nachdenkliche Voreingenommenheit, in der er, ohne rechts und links zu blicken, durch die Menge eilte mit jener Sicherheit des Ausweichens, ohne den Schritt zu mäßigen, welcher den langjährigen Bewohner der großen Weltstadt erkennen läßt.

Der Mann, welcher so dem mächtigen Bau des Königs- und Kaiserschlosses von Frankreich zueilte, war mehr als einfach gekleidet, man hätte ihn seinem Anzuge und seiner gebückten Haltung nach für den Lehrer einer Elementarschule oder den Schreiber eines Advokaten halten können, wenn nicht der schlaue, geistig bewegte Ausdruck seines scharf geschnittenen Gesichts mit dem rothweißen Teint der Nordländer, der scharfe, durchdringende Blick, der aus dem hellgrauen Auge hervorschoß, der ganzen Erscheinung einen Stempel aufgedrückt hätte, der den ersten flüchtigen Eindruck in Zweifel stellte und mehr hinter dieser unscheinbaren Gestalt vermuthen ließ, als das anspruchslose Exterieur anzeigte.

Der Mann war auf das andere Ufer der Seine gelangt und trat in das zum innern Hofe der Tuilerien führende Portal.

Er zeigte dem Posten, welcher ihm entgegentrat, ein Papier, bei dessen Anblick der Voltigeur de la Garde, welcher die Wache hatte, zurücktrat und den Eintretenden mit einem kurzen: »Es ist gut, mein Herr,« in jenen innern Hofraum der kaiserlichen Residenz einließ, den kein unberechtigter Fuß betreten durfte und in welchen nur die Equipagen des Hofes und der Großwürdenträger des Reiches einzufahren das Recht hatten.

Ohne seinen Schritt zu mäßigen, eilte der kleine Mann über den Hof vorüber an dem großen kaiserlichen Eingang, vor welchem unter dem breiten, von vergoldeten Lanzen getragenen Zeltdach eine Gruppe von Hausoffizianten und Lakaien vom Dienst sich flüsternd unterhielten, einem kleineren Portal zu, in welches er mit der Sicherheit eines mit den Lokalitäten Bekannten eintrat. Er stieg eine Treppe hinauf und trat in ein Vorzimmer, in welchem ein Huissier des Palastes, in einem großen Lehnstuhl sitzend, ruhig und würdevoll den gleichmäßigen Dienst der Antichambre verrichtete.

Der Eintretende fragte kurz: »Monsieur Pietri?«

»Monsieur Pietri ist in seinem Kabinet,« erwiederte der Huissier, sich halb in seinem Lehnstuhl erhebend.

»Fragen Sie, ob er Herrn Hansen empfangen wolle, er hat mir Rendezvous für diese Stunde gegeben.«

Der Huissier erhob sich ohne weitere Frage und trat in das Kabinet des kaiserlichen Privatsekretärs, dessen Thür er nach einigen Augenblicken mit den halblaut gesprochenen Worten öffnete: »Treten Sie ein, mein Herr!«

Der ehemalige dänische Rechtskandidat Hansen, jener unermüdliche Agitator für die Sache Dänemarks, trat in das Kabinet des vertrauten Sekretärs Napoleons III.

Dieß Kabinet war ein großer heller Raum voll von Tischen und Repositorien mit Papieren, Aktenfascikeln und Landkarten. Im Hintergrunde befand sich eine Wendeltreppe, welche in einen oberen Raum führte und deren Mündung durch eine Portière von dunklem Seidendamast verhängt war.

Vor einem großen Schreibtisch saß Herr Pietri, ein noch junger Mann von schlanker Gestalt, mit länglichem Gesicht von jenem hellen, ruhigen, geistig klaren Ausdruck, welchen die an logisch geordnete gleichmäßige Thätigkeit gewöhnte Intelligenz verleiht.

Er verneigte sich leicht gegen den Eintretenden, schob ein Paket Briefschaften zurück, mit dessen Durchsicht er sich eben beschäftigt hatte, und deutete verbindlich auf einen Lehnsessel, der in kurzer Entfernung neben dem Schreibtische stand.

»Nun,« – begann Herr Pietri die Unterhaltung indem er sein klares Auge mit einer gewissen Spannung auf den ihm Gegenübersitzenden richtete, – »Sie kommen aus Deutschland – was haben Sie gesehen und gehört? Sind die Dinge reif? Wie ist die Stimmung der Bevölkerung? Erzählen Sie mir viel, – wir müssen genau wissen, was dort vorgeht, um unsere Position zu nehmen.«

»Lassen Sie mich mit dem Mittelpunkt der Situation beginnen,« erwiederte Herr Hansen, – »ich war zunächst in Berlin und habe dort nichts versäumt, um mich über die Gesinnungen der Staatsmänner und die Stimmung der Bevölkerung zu vergewissern, und ich glaube, daß das Resultat meiner Beobachtungen ein richtiges ist.«

In diesem Augenblick ließ sich ein Geräusch am oberen Ende der Treppe im Hintergrunde des Kabinets hören, die weite, faltige Portière öffnete sich langsam, aus derselben hervor trat ein Mann und setzte den Fuß auf die oberste Stufe der Treppe.

Es war Napoleon III., der auf diesem Wege aus seinem Kabinet zu seinem Geheimsekretär herabstieg.

Bei dem Geräusch am Eingang der Treppe und dem Auseinanderschlagen der Portière erhob sich Pietri und blieb vor seinem Tische stehen.

Herr Hansen that das Gleiche.

Der Kaiser stieg langsam die Treppe herunter.

Es war nicht mehr jener schlanke Mann, den man auf den lebensgroßen Bildern über den verhüllten Thronsesseln der kaiserlichen Botschafter erblickte, der, die Hand gebieterisch auf die Krone und den Szepter Frankreichs gelegt, so stolz dasteht im wallenden Kaisermantel, die schlanke und elegante Gestalt hoch aufgerichtet.

Es war ein alter Mann, der da die Treppe herabstieg, das Embonpoint hatte die Eleganz der Gestalt zerstört, Kränklichkeit und Schmerzen die Haltung unsicher und schwankend gemacht, das ergraute Haar umfloß nicht mehr wie früher in vollen Locken die Stirn, sondern fiel matt an den Schläfen herab, und das sonst schon verschleierte und nur zuweilen in wetterleuchtendem Scheine aufblitzende Auge blickte jetzt in glanzloser, trüber Müdigkeit vor sich hin.

Der Kaiser, in einfachem schwarzen Morgenüberrock, eine Cigarrette rauchend, deren starker und feiner Duft in leichten blauen Wolken vor ihm her zog, war vorsichtig die Treppe herabgestiegen und in das Kabinet getreten.

Er kam langsam mit jenem ihm in den spätem Jahren eigentümlichen schwerfälligen und in den Hüften wiegenden Gange aus dem Hintergrunde herauf.

Vor seinem Geheimsekretär stehen bleibend, warf er einen aus dem schleierhaften Schatten seines Auges hervorleuchtenden Blick auf den sich tief verbeugenden Herrn Hansen. Er schien die ganze Erscheinung desselben in einer augenblicklichen scharfen Forschung zu erfassen und wandte dann das Haupt mit dem leichten Ausdruck einer Frage gegen Pietri.

»Sire,« sagte dieser, »Herr Hansen, ein Däne, der seinem Vaterlande ohne allen Rückhalt ergeben ist und auch uns viele Dienste geleistet hat, weil er als Däne Frankreich liebt, hat eine Reise durch Deutschland gemacht, manche Personen gesehen und war im Begriff, mir die Resultate seiner Beobachtungen mitzutheilen.«

Der Kaiser neigte das Haupt leicht gegen Herrn Hansen; jener Zug liebenswürdiger und wohlwollender Freundlichkeit, durch welche er stets eine wahrhaft bezaubernde Wirkung in der Unterhaltung hervorzubringen verstand, zog wie ein lichter Sonnenschimmer über die müde und träge Gleichgültigkeit seines Gesichts.

»Ich weiß,« sagte er mit seiner leisen, aber klaren und eindringenden Stimme, die so meisterhaft die feinsten Nüancirungen des Ausdrucks zur Geltung zu bringen verstand, »ich weiß, daß alle Dänen ihr Vaterland lieben und deßhalb auch ein warmes Herz für Frankreich, die Freundin ihres Vaterlandes, haben. Ihr Name, mein Herr, ist mir bekannt als der eines Mannes, der durch seinen glühenden und thätigen Patriotismus sich auszeichnet, – selbst in einer so patriotisch fühlenden Nation, wie die Ihrige.«

Herr Hansen verneigte sich tief, während die freudige Genugthuung über die Worte des Kaisers ihn erröthen ließ.

»Sire,« sagte er, »eine solche gnädige Anerkennung aus Eurer Majestät Munde läßt mich fast vergessen, daß der Eifer meiner Bemühungen für mein Vaterland bisher erfolglos war. Wenn Eurer Majestät mein bescheidener Name bekannt geworden ist, so wissen Sie auch, wie sehr ich Frankreich liebe und seinen Kaiser verehre, von dessen mächtigem Willen es abhängt, ob Dänemark den ihm gebührenden Platz unter den Nationen Europas wiedergewinnen und behaupten soll.«

Der Kaiser neigte leicht das Haupt. Ein eigentümlich scharfer, tief einschneidender Blick schoß aus seinen halb geschlossenen Augen auf den dänischen Agitator, dessen wieder emporgerichtetes Antlitz keinen andern Ausdruck zeigte, als die tiefste Ehrerbietung.

»Mein lieber Pietri,« sagte Napoleon III. zu seinem Sekretär gewendet, »ich kam herab, um die eingegangene Korrespondenz dieses Morgens einzusehen, haben Sie dieselbe geordnet?«

»Hier ist sie, Sire,« erwiederte Pietri, indem er einige Papiere vom Tische nahm und dieselben dem Kaiser reichte.

Napoleon nahm sie und rollte mit einem Ueberrest von jugendlicher Leichtigkeit einen Sessel in die Nähe des Fensters, auf den er sich niederließ, indem er eine neue Cigarrette aus seinem Etui nahm und dieselbe an dem Rest der früheren entzündete.

»Ich will Ihre Unterredung nicht stören,« sprach er dann mit verbindlichem Lächeln. »Thun Sie, als ob Niemand hier wäre, ich will ruhig meine Briefe lesen.«

Pietri setzte sich wieder vor seinen Schreibtisch und winkte Herrn Hansen, ebenfalls Platz zu nehmen.

Der Kaiser blickte aufmerksam auf das erste der Papiere, welche er in der Hand hielt und auf welchem man blaue Zeichen bemerken konnte, welche dazu dienten, die markantesten Stellen hervorzuheben.

»Sie waren also zunächst in Berlin?« fragte Pietri, indem er seinen klaren Blick erwartungsvoll auf Herrn Hansen richtete.

»Ich war dort,« erwiederte dieser, »und ich habe die Ueberzeugung mitgebracht, daß der große deutsche Konflikt unvermeidlich ist.«

»Will man ihn dort durchaus?«

»Man will den Konflikt nicht, – aber man will das, was ohne Konflikt nicht zu erreichen ist.«

»Und das ist?«

»Die vollständige Reform des deutschen Bundes, die militärische Hegemonie Preußens bis zum Main; die vollständige Beseitigung der Tradition des Metternich'schen Deutschlands. Graf Bismarck ist rücksichtslos entschlossen, dieß Ziel zu erreichen, und ich glaube auch, er ist überzeugt, daß es ohne Kampf nicht zu erreichen ist.«

Pietri schwieg einige Sekunden; dann erhob er seinen Blick, der einen Augenblick zu dem völlig in seine Lektüre vertieften Kaiser hinübergeglitten war, voll zu Herrn Hansen und fragte:

»Und würde man durch den alleinigen Besitz von Holstein und Schleswig nicht zufriedengestellt werden? Ich glaube, daß man geneigt war, gegen die Cession des österreichischen Kondominats in den Herzogthümern sogar eine Grenzregulirung in Schlesien zuzugestehen.«

Herrn Hansen's Gesicht überflog eine leichte Röthe – er erwiederte aber ohne Bewegung in. der Stimme:

»Nein, auf dieser Basis läßt sich der Konflikt nicht beschwören. Ich glaube zwar, daß man große Zugeständnisse zu machen geneigt wäre, um von Oesterreich den Alleinbesitz der Herzogthümer zu erlangen, – auch würden die dänischen Distrikte Nordschleswigs, wenn Frankreich ernstlich diese Forderung stellt, restituirt werden, – aber der Konflikt wird nicht durch das Palliativ beschworen werden. – Glauben Sie mir, mein Herr,« fuhr er lebhafter fort, »dieser Konflikt ist nicht ein Streit um die deutschen Herzogthümer, – daß diese schließlich an Preußen fallen müssen, weiß man in Berlin genau, und die Resolutionen des Herzogs von Augustenburg fürchtet man nicht. Der Konflikt beruht in der historischen Entwickelung Deutschlands und Preußens. Preußen ist in der That nicht der zweite deutsche Staat, sondern der erste, und der deutsche Bund weist ihm die zweite Stelle an und drückt seine natürliche Machtentfaltung durch einen Mechanismus nieder, dessen Federn von Wien aus in Bewegung gesetzt werden. – Dieß ist der wahre Konflikt, Preußen will den Platz, der ihm in Deutschland naturgemäß gehört und den Oesterreich ihm vorenthält. Dieser Konflikt ist Jahre und Jahre alt und er hätte vielleicht noch jahrelang in latenter Form weiter bestanden, zum Spiel der europäischen Diplomatie, –wenn nicht Herr von Bismarck an die Spitze dieses merkwürdig expansiven preußischen Staates berufen wäre. – Dieser Staatsmann ist die Inkarnation des preußischen Wesens, verstärkt durch eine seltene und originelle Genialität. Er versteht die reichen und wohlgegliederten Kräfte des Landes zur höchsten Entwickelung anzuspannen, und hat den festen Entschluß, dem bisherigen Zustande ein Ende zu machen. – Er wird nie nach Olmütz gehen, – er wird Preußen seinen Platz in Deutschland erkämpfen, – oder untergehen.«

Der Kaiser hatte die Hand mit den Briefschaften langsam auf den Schooß niedersinken lassen und seine plötzlich groß geöffneten und in dunklem Feuer strahlenden Augen hafteten mit sinnendem Ausdruck auf Herrn Hansen's Antlitz.

Pietri entging die Aufmerksamkeit seines Herrn nicht; er sagte leicht lächelnd:

»Es ist in der That erstaunlich, über diesen preußischen Minister hier in Paris in so warmen Ausdrücken von einem Dänen sprechen zu hören.«

»Warum nicht?« sagte Herr Hansen ruhig. »Der Mann, der weiß, was er will, und alle Kräfte aufbietet, um seinen Willen durchzusetzen, der sein Vaterland liebt und demselben zur richtigen Größe und Macht verhelfen will, imponirt mir – und hat gewiß ein Recht auf Achtung für sein Streben – auf Bewunderung, wenn er reüssirt. Zwischen mir und dem Herrn von Bismarck steht mein Vaterland Dänemark. Was deutsch ist in den Herzogtümern, wollen wir nicht und können es in Dänemark nicht brauchen, – aber wir wollen, was dänisch ist und was Dänemark braucht, um seine Grenzen zu schützen. – Wird uns dieß gegeben, so haben wir keinen Grund, Preußens oder Deutschlands Feinde zu sein. Enthält man uns dieß vor, so wird Preußen das kleine Dänemark überall und zu jeder Zeit auf der Seite seiner Feinde finden, und zwar in Folge derselben Gesinnung, welche Herrn von Bismarck's Handlungen zu Grunde liegt.«

Napoleon III. horte mit Aufmerksamkeit zu.

Herr Pietri fragte:

»Haben Sie denn den Eindruck gewonnen, daß auf eine Bereitwilligkeit Preußens zu rechnen wäre, den dänischen Wünschen entgegenzukommen?«

»Ich halte dieß nicht für unmöglich,« erwiederte Hansen mit Sicherheit, – »besonders wenn« – fügte er mit Betonung hinzu, »Preußen in seiner immerhin schwierigen Lage durch ein solches Arrangement eine Großmacht sich verbinden könnte. Es würde sich dann nur darum handeln, die Grenzlinie deutscher und dänischer Interessen festzustellen.«

Er hatte bei diesen Worten langsam den Blick dem Kaiser zugewendet. Napoleon erhob den Brief, den er in der Hand hielt, zur Sehweite und sein verschleiertes Auge haftete ohne Ausdruck auf dem Papier.

Herr Pietri forschte weiter:

»Wenn Herr von Bismarck nach Ihren Beobachtungen und Eindrücken den Konflikt will, oder vielmehr das Ziel erreichen will, welches ohne Konflikt unerreichbar ist, – wird der König bis zum Aeußersten gehen und nicht vielleicht seinen Minister fallen lassen? – Ich darf ohne Rückhalt mit Ihnen sprechen,« fügte er mit einer scheinbar rückhaltslosen Offenheit hinzu, – »Sie leben in der politischen Welt und wissen wie ich, wie man in den Kreisen spricht, welche mit der preußischen Botschaft zusammenhängen. – Haben Sie in Berlin den Eindruck empfangen, daß eine Ersetzung des Herrn von Bismarck durch den Grafen Goltz möglich sei?«

»Nein,« erwiederte Herr Hansen mit Bestimmtheit. »Der König von Preußen scheut bis zum höchsten Grade vor dem Kriege zurück, – das heißt nicht vor dem Kriege als solchem, sondern vor dem Kriege mit Oesterreich, vor dem Kriege mit Deutschland. Der König faßt einen solchen Kampf sehr ernst auf und wünscht ihn dringend zu vermeiden. Würde man ihm von Wien aus im Prinzip entgegenkommen, so würde er vielleicht im Einzelnen manche Konzessionen machen, die Herrn von Bismarck nicht recht wären. – Aber im Prinzip wird auch der König, nachdem einmal die Frage gestellt ist, nicht nachgeben. Er hat die neue Armeeorganisation geschaffen, die nach dem Urtheil aller Verständigen musterhaft sein soll, er hat diese Schöpfung trotz des Widerwillens des Parlaments durchgesetzt, – er wird nicht bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, um Preußens Machtstellung in Deutschland zu vertheidigen und zu erweitern, zurückweichen. – Der König wird mit schwerem Herzen schlagen, aber er wird schlagen, – und wenn der erste Kanonenschuß gefallen ist, wird er nur General sein. – Ich habe selbstverständlich Seine Majestät den König Wilhelm nicht gesehen,« fügte Herr Hansen hinzu, »indeß, was ich gesagt habe, ist das Resumé aller Unterhaltungen gewesen, die ich mit Personen geführt habe, welche die Situation und die Persönlichkeiten genau kennen. – Was nun die Stellung des Herrn von Bismarck betrifft,« fuhr er fort, »so ist dieselbe vollständig fest. Herr von Bismarck wird im Vertrauen des Königs nicht erschüttert werden.«

»Warum nicht?« warf Herr Pietri lebhaft ein.

»Weil er Soldat ist.«

»Das heißt, er trägt die Landwehruniform.«

»Das ist die Aeußerlichkeit – welche hier nicht Schein ist. Herr von Bismarck ist Soldat, er ist Mann der Aktion, der scharfen und klaren Thätigkeit, seine diplomatische Feder zittert nicht beim Klang der Kanonen und beim Waffenlärm – er wird eben so ruhig über ein Schlachtfeld reiten, als er am grünen Tisch sitzt. – Das fühlt der König, der selbst Soldat ist, und deßhalb vertraut er ihm. Ich weiß, daß Graf Goltz manche Freunde hat – allein diese Freunde machen sich gewiß Illusionen und ich kann versichern, daß wenn man hier in Paris von ihm spricht, – man es in Berlin nicht thut.«

Es trat eine kurze Pause ein.

Herr Pietri, nachdem er einen Blick nach dem Kaiser hinüber geworfen, fragte weiter:

»Was aber sagt die Bevölkerung? Nach den Stimmen der Presse zu urtheilen, ist der Krieg nicht populär.«

»Er ist es in der That nicht,« erwiederte Herr Hansen. »Man fürchtet eine Niederlage – und die parlamentarische Opposition in ihrer Kurzsichtigkeit glaubt, Herr von Bismarck wolle den Krieg nur beginnen, um sich einen Ausweg aus der Sackgasse zu schaffen, in welche man glaubt ihn gedrängt zu haben. Wie wenig kennen die Herren den Mann, mit dem sie zu thun haben!«

»Aber,« fuhr Pietri fort, »wird es nicht eine sehr gefährliche Lage für die preußische Regierung werden, einen Krieg gegen Oesterreich und Deutschland zu beginnen, während sich im Innern die Opposition erhebt und diesen Krieg verurtheilt?«

»Ich glaube,« entgegnete Herr Hansen, »diese Schwierigkeit der Lage ist nur eine scheinbare. Die Armee – und auf diese kommt es allein an – wird trotz aller Opposition in voller Kraft dastehen, und Alle, die heute gegen den Krieg sprechen und schreiben, werden nach dem ersten Erfolg Herrn von Bismarck zu Füßen liegen, – der innere Konflikt wird nach der ersten gewonnenen Schlacht gelöst sein, – jede Vergrößerung Preußens, jeder Schritt zur Einigung Deutschlands wird den Krieg, der dazu geführt, nachträglich populär machen.«

»Der Erfolg« – warf Herr Pietri ein – »wird aber der Erfolg kommen?«

»Ich glaube, er wird kommen,« sagte Hansen ruhig. »Oesterreich täuscht sich sowohl über seine eigenen und Deutschlands Kräfte, als über diejenigen, welche Preußen zu Gebote stehen. – Die preußische Macht ist ungeheuer, scharf konzentrirt und homogen. Die österreichische ist schwach, ohne festen Verband, ohne einheitliches Kommando. Süddeutsche Militärs, welche die Zustände in Oesterreich kennen und die ich sprach, haben keinen Zweifel in den preußischen Sieg. Darum wird auch die süddeutsche Kriegführung eine sehr laue sein, schon weil man dort auch nicht einmal mit den ersten Anfängen der militärischen Vorbereitung fertig ist – In Hannover und Hessen will man neutral bleiben, hat aber keine Verträge geschlossen und wird über all' der Unsicherheit überrascht werden. – Die einzige energische Unterstützung wird Oesterreich in Sachsen finden, wo Herr von Beust – die Seele der ganzen antipreußischen Bewegung – es verstanden hat, die Armee wirklich auf einen schlagfertigen Kriegsfuß zu bringen.«

»Sie glauben also einfach an den Sieg Preußens?« fragte Pietri in einem Tone, welcher bewies, daß er nicht geneigt sei, diesen Glauben unbedingt zu theilen.

»Ich glaube daran,« erwiederte Herr Hansen, »und ich halte dafür, daß eine richtige und vorsichtige Politik mit dieser Chance rechnen müsse.«

»Sie sprachen vorhin,« fragte Pietri nach einer kurzen Pause, »von Vergrößerungen Preußens – was glauben Sie, daß Preußen fordern oder nehmen wird, wenn der Erfolg ihm zur Seite steht?«

»Alles, was es bedarf und erhalten kann.«

»Das heißt, in Namen und Zahlen ausgedrückt?«

»Den ganzen Norden Deutschlands unbedingt.«

Herr Pietri machte eine Bewegung des Unglaubens.

»Sein Sie versichert, daß ich mich nicht täusche,« sagte Herr Hansen. »Das Volk selbst wird die weitesten Eroberungen verlangen, sobald einmal preußisches Blut geflossen ist, – was man von Preußen erlangen kann, muß vor dem Kriege erlangt werden, nach einem Siege wird man in Berlin nichts mehr konzediren.« –

Der Kaiser stand auf.

Pietri und Hansen erhoben sich gleichfalls.

Napoleon legte das Paket Papiere, welches er vorhin von seinem Sekretär empfangen, wieder auf dessen Tisch.

Er neigte leicht das Haupt gegen Herrn Hansen und sprach:

»Es freut mich, mein Herr, hier Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und es wird mir stets eine Freude sein, mich einer Nation nützlich zu zeigen, welche allen ihren Mitgliedern so viel Patriotismus einzuflößen weiß.«

Herr Hansen verneigte sich tief und verließ das Zimmer.

Als die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, richtete sich der Kaiser lebhaft auf, sein Auge belebte sich und indem er rasch einen Schritt auf Pietri zutrat, fragte er:

»Glauben Sie, Pietri, daß der Mann scharf beobachtet und daß er gut informirt ist?«

»Ich kenne ihn als sehr scharfen Beobachter, und was seine Information betrifft, so weiß ich, daß Herr von Bismarck ihn empfangen hat, daß er mit verschiedenen politischen Personen in Deutschland verkehrte und daß er es außerdem sehr gut versteht, sich über die Richtung der öffentlichen Meinung zu vergewissern. – Indeß glaube ich, daß er die Macht Preußens überschätzt. Herr von Bismarck hat ihm imponirt und der Eindruck, den er auf ihn gemacht, spiegelt sich in seinem Referat wieder. Wir haben ja Aehnliches schon erlebt – dieser preußische Minister versteht es, wenn er will, die Leute zu nehmen und sie für sich zu gewinnen.«

Der Kaiser blickte nachdenklich vor sich hin.

»Ich fürchte oft,« sagte er dann halb leise, »der Mann hat Recht und wir stehen hier vor einem großen historischen Problem. Kann man Oesterreich unterstützen – ohne Italien zu beleidigen, das schon zu stark ist, um es zu ignoriren? Kann man Preußen gewähren lassen, Deutschland sich konstituiren lassen, ohne das Prestige von Frankreich zu gefährden, ja selbst unsere Grenzen – Elsaß und Lothringen – jene alten deutschen Länder?« –

Pietri lächelte.

»Eure Majestät beliebt zu scherzen!«

»Pietri, Pietri,« sagte der Kaiser, indem er seine Hand halb als Bekräftigung seiner Worte, halb wie eine Stütze suchend auf die Schulter seines Sekretärs legte – »Sie kennen die Deutschen nicht – ich kenne sie und verstehe sie, denn ich habe unter ihnen gelebt. Dieß deutsche Volk ist ein Löwe, der seine Kraft nicht kennt, ein Kind kann ihn lenken an einer Blumenkette – aber er hat in seinen Pranken die Kraft, die morsche europäische Welt in Trümmer zu schlagen, wenn er zum Bewußtsein seiner Natur kommt und wenn er Blut leckt. – Und Blut wird er lecken in diesem Kampf – der alte Scherz l'appetit vient en mangeant kann hier zu furchtbarem Ernst werden. Vielleicht wird dieser deutsche Löwe auch seinen preußischen Bändiger einst verschlingen, – aber vorher wird er uns ein schrecklicher Nachbar sein.«

Der Kaiser hatte dieß Alles halb zu sich selbst sprechend in einzelnen Absätzen hervorgestoßen, während seine Augen, wie einer Vision folgend, vor sich hin in das Leere starrten.

Um Pietri's Lippen spielte fortwährend ein ruhiges Lächeln.

»Eure Majestät hat eine schwarze Stunde,« sagte er mit jenem sichern kalten Ton, in dem man zu einem aufgeregten Kranken spricht – »ich glaube, das Lebenselement jenes deutschen Löwen ist der Schlaf – sollte er jemals aufwachen und so gefährliche Gelüste haben, wie Eure Majestät ihm zuschreiben, so steht an unsern Grenzen die große Armee und die kaiserlichen Adler werden jenem impertinenten Löwen seine Stellung anzuweisen wissen.«

Der Kaiser, dessen Arm noch immer auf der Schulter seines Sekretärs ruhte, ließ das Haupt fast auf die Schulter sinken, seine ganze Gestalt brach zusammen, seine Augen traten glühend, aber starr aus der schleierhaften Umhüllung der Wimpern hervor, sein Athem drang mit leisem Geräusch durch die geöffneten Lippen, wie in steigender Gradation formte sich dieß Geräusch zu Worten, und als ob unwillkürlich aus dem Innersten heraus der schwarze Gedanke, der den mächtigen Imperator mit dunklem Fittig umrauschte, sich Bahn brach, hörte man, ohne daß der Kaiser die Lippen bewegte, in leisem Tone, aber das ganze tief stille Gemach wie mit zitternden Schauern erfüllend, die Worte:

»Ich bin nicht mein Oheim!«

Der Ton dieser Worte war so tief traurig, so eisig, so schmerzerfüllt, daß der Sekretär, dessen Antlitz so ruhig, heiter und lächelnd blickte, davor erbleichte, wie vor einem kalten Frosthauch.

Er wollte etwas erwiedern, – da hörte man ein Geräusch aus dem obern Theil der Treppe, die Portière öffnete sich, auf der ersten Stufe erschien der Kammerdiener des Kaisers und meldete:

»Herr Drouyn de Lhuys bittet Eure Majestät um Audienz.«

Schon bei dem ersten Geräusch hatte der Kaiser seinen Arm von Pietri's Schulter zurückgezogen, sein Gesicht hatte den ruhigen, kalten Ausdruck angenommen, den es immer trug, in seiner gewöhnlichen Haltung nahm er die Meldung entgegen und erwiederte:

»Es ist gut, ich komme.«

Der Kammerdiener zog sich zurück.

»Ich weiß, was er will,« sagte Napoleon, – »er will mich bestimmen, in das rollende Rad einzugreifen, den Konflikt zu beschwören. – Oft möchte ich es – aber ist es möglich? Soll ich die große Entscheidung auf diese Stunde fixiren? – denn greife ich ein und mein Wort findet kein Gehör, so ist der Weltbrand entzündet, indem ich meine und Frankreichs Existenz einsetzen muß. Lasse ich die Dinge gehen, so ist vor Allem Zeit gewonnen, die Zeit bringt günstige Chancen und die Möglichkeit, ohne Kampf die Macht und den Einfluß Frankreichs zu stärken. – Wohlan, – hören wir, was er bringt.«

Und langsam schritt er der Treppe zu.

An der untersten Stufe hielt er an und trat einige Schritte in das Kabinet zurück.

»Pietri,« sagte er halb leise, »was denken Sie von Drouyn de Lhuys?«

»Sire,« entgegnete der Gefragte, »ich bewundere seine tiefen und gründlichen Kenntnisse und habe alle Achtung vor seinem Charakter.«

Der Kaiser schwieg einen Augenblick.

»Er stand dem Hause Orleans sehr nahe,« sagte er dann fast zögernd.

»Sire,« entgegnete Herr Pietri mit fester Betonung, »er hat Eurer Majestät seinen Eid geschworen – und wie ich Herrn Drouyn de Lhuys zu kennen glaube, ist sein Eid ihm heilig.«

Der Kaiser schwieg abermals einige Sekunden, grüßte dann Pietri leicht mit der Hand und stieg langsam die Treppe zu seinen Appartements hinauf.

Pietri kehrte zu seinem Schreibtisch und zur Durchsicht seiner Korrespondenzen zurück.

In sein einfaches Arbeitskabinet zurückgekehrt, schritt Napoleon III. auf seinen nicht zu großen Schreibtisch zu und bewegte eine Glocke, auf deren hellen, scharfen Ton der Kammerdiener hereintrat.

»Herr Drouyn de Lhuys!« sagte der Kaiser.

Wenige Augenblicke darauf trat der Minister der auswärtigen Angelegenheiten in das Kabinet seines Souveräns.

Herr Drouyn de Lhuys war zu jener Zeit ein Mann von fast sechzig Jahren, hoch und voll von Gestalt. Das dünne graue Haar und der ebenfalls graue, englisch geschnittene Backenbart umrahmten ein Gesicht, dessen gesundes rothes Kolorit und ruhige Züge von einer gleichmäßigen höflichen Freundlichkeit erhellt wurden.

Die ganze Erscheinung dieses so viel genannten Mannes hätte eher einen vornehmen englischen Landlord vermuthen lassen, als den vielgewandten Staatsmann, der schon dreimal und unter schwierigen und verwickelten Verhältnissen Minister der auswärtigen Angelegenheiten war.

Das Auge allein, das scharf, klar und beobachtend unter der breiten Stirn hervorblickte, konnte die Annahme hervorrufen, daß dieser so fest, würdig und vornehm dastehende Mann gewohnt sei, von den Höhen der Welt herab die sich kreuzenden Fäden der europäischen Politik zu verfolgen und zu lenken.

Der Minister trug einen schwarzen Morgenüberrock, – die große Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch.

Der Kaiser ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand.

»Ich freue mich, Sie zu sehen, mein lieber Minister,« sagte er mit verbindlichem Lächeln, – »was bringen Sie mir, – wie geht es in Europa?«

»Sire,« erwiederte Drouyn de Lhuys mit der ihm eigentümlichen langsamen und etwas an das Pedantische anklingenden, scharf accentuirten Ausdrucksweise, »Europa ist krank und wird bald in einem gefährlichen Paroxysmus sich befinden, wenn Eure Majestät nicht ein beruhigendes Mittel anwenden.«

»Trauen Sie mir nicht zu viel zu,« sagte der Kaiser lächelnd, »wenn Sie glauben, daß ich das könnte? Doch,« fuhr er ernst fort – »ohne Metapher gesprochen, Sie wollen mir sagen, daß der deutsche Konflikt vor seinem Ausbruche steht, – nicht wahr?« Und indem er sich auf einen Fauteuil niederließ, forderte er seinen Minister durch eine leichte Handbewegung auf, sich ebenfalls zu setzen.

»Ja wohl, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys, indem er sich setzte, sein Portefeuille öffnete und aus demselben einige Papiere nahm, »dieß ist es, was ich Eurer Majestät sagen wollte. Hier ist ein Bericht aus Wien, der konstatirt, daß man dort – in unglaublicher Verblendung – entschlossen ist, den Konflikt aufzunehmen und auf die Spitze zu treiben. Man wird in den Herzogtümern die Stände einberufen, ohne Preußen zu fragen, und Graf Mensdorff hat eine Depesche nach Berlin gerichtet, welche fast eine Sommation an Preußen ist und die sofortige Einstellung aller militärischen Vorbereitungsmaßregeln in sehr hohem Tone verlangt.«

Der Minister reichte dem Kaiser den Bericht, welchen dieser flüchtig ansah und auf seinen Tisch legte.

»Hier,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »ist ein Bericht von Benedetti, welcher auf das Bestimmteste konstatirt, daß Herr von Bismarck entschlossen ist, den entscheidenden Schritt zu thun, um Preußen zu der Stellung zu verhelfen, welche er für sein Land in Deutschland in Anspruch nimmt. Die Reformvorschläge, welche er an die deutsche Bundesversammlung in Frankfurt gebracht hat, sind eine moralische Kriegserklärung gegen die bisherige präponderirende Stellung Oesterreichs, welche die Wiener Verträge dieser Macht gegeben haben. – Auch ist die Depesche des Grafen Mensdorff, von welcher ich so eben die Ehre hatte Eurer Majestät zu sprechen, bereits in Berlin angelangt und durch den Grafen Karolyi übergeben. Sie hat tief verletzt – Benedetti bezeichnet sie als ein Schriftstück, wie es vor Zeiten der deutsche Kaiser gegen den Markgrafen von Brandenburg hätte erlassen können, und sie wird erheblich dazu beitragen, den Widerwillen, welchen der König von Preußen gegen den Krieg hegte, zu beseitigen. – Die Dinge gehen also von beiden Seiten mit beschleunigter Eile dem Kriege zu, und in wenig Wochen vielleicht können die Armeen einander gegenüberstehen, um die ganze Lage von Europa in Frage zu stellen, wenn Eure Majestät nicht Halt gebieten.«

Der Minister hielt inne und blickte den Kaiser fragend an.

Napoleon III. lehnte wie träumend etwas zur Seite geneigt in seinem Lehnstuhl.

»Und was rathen Sie mir zu thun, mein lieber Minister?« fragte er nach einer kurzen Pause, sich ein wenig aufrichtend und mit Spannung in das klare, ruhige Antlitz des Herrn Drouyn de Lhuys blickend.

»Eure Majestät kennt meine Meinung über diesen Punkt,« erwiederte dieser, »wenn ich auch fürchten muß, daß sie nicht von Ihnen getheilt wird. Der deutsche Krieg muß im Interesse Frankreichs und im Interesse der Ruhe Europas verhindert werden. – Ich täusche mich nicht,« fuhr er fort, »wie ich glaube, wenn ich die Ueberzeugung ausspreche, daß Preußen mächtiger und furchtbarer aus diesem Kriege hervorgehen wird – denn ich glaube an keinen militärischen Erfolg des schwachen und innerlich morschen Oesterreichs, – was das übrige Deutschland betrifft, so will ich gar nicht davon reden, das sind einzelne kleine Armeen ohne militärischen und politischen Zusammenhang. – Preußen aber mächtiger werden zu lassen, – ihm gar die Führung in Deutschland zu lassen – ist ganz gegen das Interesse Frankreichs. – Erlauben mir Eure Majestät zu bemerken, daß nach meiner Ansicht das heutige Frankreich, – das napoleonische Frankreich« – fügte er sich leicht verneigend hinzu, »Preußen und dem Hause Hohenzollern gegenüber dieselbe Politik verfolgen muß, welche das bourbonische Frankreich Oesterreich und dem Hause Habsburg gegenüber befolgt hat. – Wie damals Oesterreich die Tendenz verfolgte, die deutsche Nation militärisch und politisch zu einigen, wie Frankreich überall, wohin es die Hand legte, das Haus Habsburg sich gegenüber fand, so steht heute Preußen überall unserem legitimen Ehrgeiz entgegen, und wenn es ihm durch diesen Krieg gelingen sollte, wirklich die militärischen Kräfte Deutschlands in seiner Hand zu einigen, so wird es alle unsere Wege kreuzen und uns in dem Einfluß beschränken, den wir auf die Angelegenheiten Europas zu nehmen mit Recht berufen sind.«

»Wenn aber Preußen besiegt wird?« warf der Kaiser ein.

»Ich glaube nicht an diese Eventualität,« erwiederte Drouyn de Lhuys, »nehmen wir sie indeß an, – was würde dadurch gewonnen? Oesterreich würde dann in unumschränkter Macht an die Spitze von Deutschland treten, und die alten Traditionen des Hauses Habsburg würden, verstärkt durch den Groll über den italienischen Krieg, mit neuer Energie sich zu unserem Schaden geltend machen. – Es gibt nur eine richtige Politik für Frankreich, das ist: den jetzigen Zustand in Deutschland bestehen zu lassen, den Antagonismus von Preußen und Oesterreich zu nähren, zu verschärfen, aber ihn nie bis zum Konflikt und bis zur Entscheidung zu bringen, die Furcht vor den beiden übermächtigen Bundesgliedern aber zu benutzen, um unserem Einfluß an den kleineren deutschen Höfen Eingang und Geltung zu verschaffen. – So werden wir in unscheinbarer Weise, mit leiser Hand das erreichen, was der Kaiser Napoleon I. durch den gewaltsam konstituirten Rheinbund erreichte: – das eigentliche föderirte Deutschland gegen die beiden Großmächte zu unseren Zwecken zu benutzen. – Ich kann nicht glauben, daß es Deutschland gegenüber irgend eine andere Politik für Frankreich geben kann. – Das preußische – oder selbst das österreichische Deutschland muß und wird stets unser Feind sein, – und zwar ein sehr gefährlicher Feind, – halten wir dagegen die beiden deutschen Großmächte auseinander und treiben wir zwischen sie den Keil der auf ihre Souveränetät eifersüchtigen deutschen Königreiche und Herzogthümer, so wird Deutschland – sobald wir nur leise und vorsichtig handeln und nicht geradezu das Nationalgefühl herausfordern – stets von unserem Willen abhängig bleiben.«

»Sie meinen also –?« fragte der Kaiser nochmals.

»Daß Eure Majestät den Ausbruch des deutschen Krieges mit aller Energie verhindern müssen, wenn nicht Frankreichs Stellung in Europa den größten Gefahren ausgesetzt werden soll.«

Der Kaiser schwieg abermals einige Augenblicke und trommelte mit den Fingern auf der Lehne seines Fauteuils. Dann sagte er:

»Glauben Sie denn aber, daß ich es vermag, den Krieg zu verhindern, glauben Sie, daß ich stark genug bin, um die bereits halbgezogenen Schwerter wieder in die Scheiden zurückzutreiben? Ja, wenn Palmerston noch lebte« – fügte er sinnend hinzu – »mit ihm wäre es möglich gewesen – aber mit dem heutigen England, das nur große Worte, aber keine Thaten mehr hat? Glauben Sie, daß man meine Stimme allein hören wird? Und wenn man sie nicht hörte? Müßte ich nicht fürchten, daß die Geschichte Jason's umgekehrt sich erfüllte, und daß die beiden Gegner, bereit, über einander herzufallen und sich zu zerfleischen, sich schnell vereint gegen Denjenigen kehren würden, der sich zwischen sie zu stellen unternähme? Ein solches Spiel würde Bismarck ähnlich sehen. – O! ich habe diesen Mann zu groß werden lassen!«

Drouyn de Lhuys erwiederte ruhig:

»Ich theile die Bedenken und Besorgnisse nicht, welche Eure Majestät mir anzudeuten so gnädig sind. Ein einfaches Wort von Ihnen wird genügen, um den Krieg zu verhindern. – Ich darf Eure Majestät eine Unterredung mittheilen, welche ich mit Herrn von Bismarck das letzte Mal hatte, als wir uns sahen. – Er setzte mir mit einer großen Offenheit und mit der freiesten Rückhaltslosigkeit auseinander, welche Stellung er für Preußen in Deutschland anstreben müsse und wolle. Den Kampf mit Oesterreich erklärte er für eine in der historischen Entwickelung Deutschlands tief begründete Nothwendigkeit, da Oesterreich niemals freiwillig Preußen die ihm gebührende Stellung zugestehen werde. – ›Ist aber dieser Kampf nothwendig‹ – sagte mir der preußische Minister weiter, – ›und muß ich ihn – wie jede preußische Regierung – als etwas in der logischen Folge der Ereignisse Bedingtes in's Auge fassen – so ist doch der Augenblick, in welchem er stattfinden muß, von dem Willen der Regierungen und von der Staatskunst abhängig. Ich werde gewiß nicht so thöricht sein, einen Krieg auf zwei Kriegstheatern zu unternehmen und gegen Frankreich und Oesterreich zugleich zu schlagen. Wollen Sie also ernstlich den Austrag des chronischen deutschen Konflikts jetzt nicht, so sprechen Sie es klar und offen aus; – ich werde dann warten können?‹ – So Herr von Bismarck. Ich bitte nun Eure Majestät,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »mich autorisiren zu wollen, diese von ihm selbst geforderte deutliche und kategorische Erklärung dahin abgeben zu dürfen, daß Frankreich einen Krieg in Deutschland nicht wolle, und im Falle es dennoch dazu käme, seine Armeen an die Grenzen rücken lassen werde.«

Der Minister blickte gespannt in das Antlitz des Kaisers, welcher sinnend vor sich hin sah.

Nach einigen Augenblicken sagte Napoleon:

»Ich kann Ihre Ansicht nicht vollständig theilen, mein lieber Minister. Ich sehe wie Sie die großen Gefahren, welche aus einem deutschen Kriege für Frankreich erwachsen können; ich verstehe auch vollkommen die Richtigkeit Ihrer Anschauung, daß das alte deutsche Bundesverhältniß uns erlaubt, unsern bestimmenden Einfluß auf sehr bequeme und leichte Weise in Deutschland geltend zu machen. – Aber,« – fuhr er nachdenklich fort, – »läßt sich ein solches Verhältniß erhalten? – Es geht ein Zug durch die Welt, welcher die Nationen treibt, sich zu gemeinsamer Thätigkeit und Arbeit zu agglomeriren – und es scheint mir hoch gefährlich, diesem Zuge der Zeit sich entgegen zu stellen. – Ich weiß, Sie billigen nicht, was ich in Italien gethan – und vielleicht noch thun muß – und doch glaube ich Recht zu haben. Das Leben der Gesellschaft pulsirt heute zu mächtig, als daß sich das Gleichgewicht der Welt durch jene kleinen Gewichtstückchen erhalten ließe, mit denen die alte Politik spielte, indem sie bald eines, bald das andere in diese oder jene Schale der Wage legte. – Die nationalen Agglomerationen müssen sich vollziehen, und unsere Aufgabe ist es nur, auch in unsere Schale das nöthige Gewicht zu bringen, um nicht in die Höhe geschnellt zu werden. – Deutschland übrigens wird sich nicht so bedrohlich für uns gestalten, als Sie fürchten. Zunächst liegt in den germanischen Rassen nicht der Drang nach Centralisation; sie sind nicht offensiv und strebten stets nach föderativer Gestaltung. – Ich sehe auch den Ausgang des Krieges anders an, als Sie. Ich glaube nicht, daß einer der beiden Gegner vollständig und absolut über den andern triumphiren wird, sie werden sich schwächen, – wir werden dem Sieger mäßigend entgegentreten und, wie ich glaube, wird das Resultat das sein, daß Deutschland in drei Theile zerfallen wird: Preußen und Norddeutschland, – Oesterreich – und Süddeutschland. – Dann« – fügte er lächelnd hinzu – »haben Sie die beste Gelegenheit, mein lieber Minister, Ihren Grundsatz: Divide et impera, zur Geltung zu bringen – und Sie werden nicht so viele Detailarbeit haben, als bisher.«

»Eure Majestät will also den deutschen Krieg nicht verbieten?« fragte Drouyn de Lhuys.

»Ich glaube es weder zu sollen noch zu können,« antwortete der Kaiser, – »auch Italien drängt mich, mein Wort zu erfüllen: Frei bis zur Adria!«

»Ein Wort, das Eure Majestät niemals hätten aussprechen sollen,« warf Drouyn de Lhuys mit festem Tone ein.

»Vielleicht,« sprach Napoleon – »indeß es ist gesprochen – und ich kann nicht alle Fragen offen lassen – schon Mexiko lastet schwer auf mir.«

Napoleon seufzte lief. Nach einer Pause fuhr er fort:

»Ich will indeß noch einen Versuch machen, Ihre Ansicht und die meinige vielleicht zu vereinen. – Lassen Sie in Wien anfragen, ob man geneigt sei, Venetien an mich zur Uebergabe an Italien abzutreten. Das würde die Basis einer möglichen Allianz mit Oesterreich bilden, welche uns erlaubte, mit wirklicher Macht und Aussicht auf Erfolg in die komplizirten deutschen Angelegenheiten einzugreifen. – Dann haben wir ja je nach dem Erfolg dieser Negoziation noch immer die freie Entschließung.«

»Ich glaube nicht an einen Erfolg dieses Schrittes,« sagte Drouyn de Lhuys, »das Haus Habsburg hängt zu sehr an Venetien – obgleich es nur Last und Nachteile davon gehabt – auch wünschte ich diese pomme de discorde zu erhalten, denn ohne dieselbe könnte sich eines Tages eine österreichisch-italienische Allianz gegen uns erheben. – Auch möchte ich bezweifeln, daß uns später noch die Wahl und Entscheidung offen steht. Die Ereignisse sind im Rollen und es läßt sich weit eher annehmen, daß sie uns überraschen. – Indeß im Prinzip habe ich nichts gegen den Schritt zu erinnern, und da Eure Majestät ihn befiehlt, soll er sogleich ausgeführt werden.«

Der Kaiser ergriff einen Brief, welcher auf seinem Schreibtisch lag, und sprach, indem er einen flüchtigen Blick darauf warf:

»Von Sachsen aus bin ich dringend ersucht, den preußischen Bestrebungen keinen Vorschub zu leisten. Ich möchte mich nicht bestimmt erklären. Wollen Sie den Gesandten in Dresden vertraulich instruiren, daß er in ganz diskreter Weise andeute, es werde nur von dem wiener Kabinet abhängen, ob der nur ausgesprochene Wunsch die volle Wirkung haben werde, welche ich demselben sehr gern zu geben wünsche.«

Drouyn de Lhuys verneigte sich.

»Dennoch aber wird es nöthig sein,« fuhr der Kaiser fort, – »auch in Berlin in vertraulicher Weise über die Garantieen zu sprechen, welche Herr von Bismarck für den Fall, daß er seine Pläne in Deutschland erreicht, uns zu geben geneigt wäre. – Sie wissen, wie evasiv und dilatorisch man diesen Punkt in Berlin stets behandelt hat. Man will von mir Forderungen hören, die ich nicht direkt stellen will und kann.«

Drouyn de Lhuys verneigte sich abermals schweigend.

Der Kaiser stand auf.

Der Minister erhob sich ebenfalls.

Napoleon trat einen Schritt näher zu ihm und sprach mit verbindlichem Lächeln, indem ein Ausdruck unendlich anmuthigen Wohlwollens seine Züge erhellte: »Sie sind nicht zufrieden, mein lieber Minister – aber glauben Sie mir, diese Politik ist die beste. Sie läßt uns Zeit gewinnen und die Zeit ist ein Faktor im politischen Leben, der Alles Demjenigen gibt, welcher ihn richtig zu benützen versteht.«

»Ich kenne den Werth der Zeit,« antwortete der Minister – »aber vielleicht werden wir, indem wir Zeit gewinnen, den Augenblick verlieren.«

»Nun,« sagte der Kaiser, indem er sich aufrichtete und eine Haltung annahm, welche an seine früheren Jahre erinnerte, »so vertrauen wir auf meinen Stern und auf den Frankreichs.«

»Diese Sterne sind zu mächtig und zu hell leuchtend, um nicht Vertrauen einzuflößen,« erwiederte Drouyn de Lhuys sich verneigend, ohne daß indeß in seinen Mienen der Glanz dieses fatalistischen Vertrauens sichtbar wurde.

Er nahm sein Portefeuille und fragte:

»Eure Majestät hat keine weiteren Befehle?«

»Ich darf Sie nicht länger zurückhalten,« sagte Napoleon und verabschiedete seinen Minister, indem er ihm herzlich die Hand drückte.

Als derselbe das Kabinet verlassen, blieb der Kaiser eine Zeitlang in tiefem Sinnen verloren stehen.

»Ich kann nicht direkt in die Dinge eingreifen,« sagte er dann halblaut vor sich hin, – »ich muß die Ereignisse ihren Lauf gehen lassen. Würde mein Veto nicht gehört werden, so müßte ich einen furchtbaren Kampf aufnehmen, und dann –? Ich muß versuchen, durch geschicktes und vorsichtiges Eingreifen in die Ereignisse sie zu meinen Gunsten zu wenden.«

Er trat vor eine Marmorbüste Cäsar's, die auf einem schwarzen Fuße in seinem Kabinet stand, und blickte lange in die schön gemeißelten Züge des römischen Weltherrschers.

»Du großes Vorbild meines Hauses,« sprach er, indem der elektrisch leuchtende Stern seines Auges hell emporstrahlte – »ich muß noch einmal auch in diesem Augenblick sprechen wie Du: Jacta est alea!– Aber,« fügte er düster hinzu, »Deinen Würfel warfst Du Dir selber und zwangst ihn mit mächtiger Hand zu fallen, wie Du es wolltest. – Meinen Würfel aber wirft mir des Schicksals unerbittlich eherne Hand – und ich muß ihn annehmen, wie er fällt!« –

Der Kammerdiener trat ein und meldete:

»Das Frühstück des Kaisers ist servirt.«

Napoleon verließ sein Kabinet.


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