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Neunzehntes Kapitel.

In dem alten Schlosse der Fürsten von Dietrichstein zu Nikolsburg war das Hauptquartier des Königs von Preußen aufgeschlagen. Ein glänzendes und buntes Bild entfaltete sich in dem kleinen Städtchen Nikolsburg, das in seiner stillen und einfachen Einsamkeit wohl kaum jemals früher dazu bestimmt geschienen hatte, der Mittelpunkt so großer, welthistorischer Ereignisse zu werden. Vor dem Schlosse hielt die unter dem Gewehr stehende Stabswache des Königs, in mannigfaltigen Gruppen bewegten sich die in dem Städtchen einquartierten Truppen durch die Straßen, marschirende Kolonnen schoben sich dazwischen hindurch, Artillerie rasselte über das holperige Pflaster, von draußen her ertönte das vielstimmige Geräusch der Bivouaks und es war rings ein Leben und Bewegen, als wollte das Heer noch ein Heer gebären. Die Einwohner standen scheu an den Thüren der Häuser und an den allgemach wieder geöffneten Fenstern, die Furcht vor all' den Feinden lastete auf ihnen, aber sie begann sich schon mit Vertrauen zu mischen, – waren diese feindlichen Schaaren doch nicht so fürchterlich, als man sie sich vorgestellt, sah man doch hie und da preußische Soldaten in wetterverblaßten Uniformen mit mächtigen, wilden Bärten freundlich den Gruppen der Landbewohner, welche die zerstörende Kriegsnoth aus den verbrannten und verwüsteten Dörfern der Umgegend hieher getrieben hatte, sich nähern und den schüchtern zurückweichenden Kindern Brod oder andere Nahrungsmittel darbieten, oder einem schwachen Alten – einer kranken und matten Frau gutmüthig die Feldflasche zu einem stärkenden Schluck reichen.

Es entfaltete sich hier das Bild des Krieges in all' seinem Glanz, in all' seiner berauschenden Größe, welche mit der Erinnerung von Tagen lange, stille Jahre des Friedens ausfüllt, – in all' seinem Elend, welches in dem schrecklichen Schlage eines Augenblicks das Glück von Jahren zerstört, in all' seiner mächtigen Erschütterung der Menschennatur, welche unter dem Eindruck des großen, unaufhaltsam daherrollenden Völkergerichts ihre wilden Instinkte entfesselt, aber auch daneben die edelsten und reinsten Blüten der Hingebung und Aufopferung erschließt.

Hatte schon die vielfach hervortretende gutmüthige Freundlichkeit der feindlichen Soldaten das Vertrauen der Einwohner wieder hervortreten lassen, so wuchs dasselbe mehr und mehr unter dem Eindruck der von Mund zu Mund getragenen Nachrichten über die Friedensverhandlungen. Sah man doch zwischen den Generalen und Adjutanten, welche in wechselnder Eile und Geschäftigkeit im Schlosse aus und ein gingen, auch Diplomaten in einfachen Civilanzügen erscheinen, wußte man doch, daß der französische Botschafter angekommen und nach kurzem Aufenthalt nach Wien gereist war, eine vorläufige kurze Waffenruhe war für fünf Tage geschlossen und der Frieden schwebte in der Luft, von Niemand heißer ersehnt und inbrünstiger erfleht, als von den unglücklichen Bewohnern der Länder, welche das Theater des blutigen Kriegsdramas bildeten.

Inmitten all' dieses Lärms, all' dieser brausenden Stimmen, all' dieser Signale von Trommeln und Trompeten saß der preußische Ministerpräsident Graf Bismarck in dem geräumigen Zimmer seines Quartiers.

In der Mitte dieses Zimmers stand ein großer Tisch mit dunkelgrüner Decke belegt und bedeckt mit Haufen von Briefen und Papieren. Am Boden lagen geöffnete und zerrissene Briefcouverts in bunter Unordnung durcheinander. Eine große Landkarte war mitten auf dem Tisch ausgebreitet und vor ihr saß der Ministerpräsident auf einem einfachen Stuhl von Rohrgeflecht. Auf einem kleinen Tisch zur Seite stand eine Flasche mit hellgelbem böhmischen Bier und ein großes Glas. Durch einen geöffneten Fensterflügel drang die laue Luft herein.

Der Minister trug die Majorsuniform seines Kürassierregiments, bequem aufgeknöpft, hohe Reiterstiefel, den Pallasch an der Seite.

Ihm gegenüber saß der Legationsrath von Keudell in der Uniform der Landwehrreiter, beschäftigt mit der Durchsicht eingegangener Briefe.

»Benedetti bleibt lange aus,« sagte der Minister, von der Karte aufblickend, in deren Anschauen vertieft er lange dagesessen hatte – »es scheint, daß man in Wien noch große Hoffnungen hegt – oder vielleicht ein Doppelspiel spielen will. – Nun, lange soll man uns damit nicht hinhalten!« rief er lebhaft, indem er das Glas vollschenkte und es mit einem kräftigen Zug leerte, – »denn das lange Stillliegen hier kann nur unsere Position verschlimmern. Wenn auch langsam,« fuhr er fort, »wie Alles in Oesterreich, so kommt die Südarmee doch mehr und mehr herauf und die Cholera fängt an uns lästig zu werden. – Ich bedaure,« sagte er nach einem kurzen Stillschweigen, »daß der König in seiner gewohnten Milde den Einzug in Wien aufgegeben hat, – nichts hatte uns aufgehalten und dieser österreichische Dünkel müßte in seiner eigenen Residenz gebrochen werden, – nun, wenn man sich nicht schnell zum Frieden bequemt, so wird hoffentlich die Langmuth des allergnädigsten Herrn erschöpft sein! – Ist ein Bericht aus Petersburg da?« fragte er sich unterbrechend Herrn von Keudell.

»Soeben habe ich einen Bericht des Grafen Redern geöffnet, Excellenz,« sagte Herr von Keudell.

»Geben Sie,« rief Graf Bismarck lebhaft und ergriff in rascher Bewegung über den Tisch hinüber das Schreiben, welches der Legationsrath ihm reichte.

Aufmerksam las er es durch und merkwürdig kontrastirte die unmittelbare tiefe Stille des Zimmers, in welchem man die Athemzüge der beiden Personen hören konnte, mit dem von draußen hereintönenden verworrenen Lärm.

Der Graf warf das Schreiben auf den Tisch.

»Es ist richtig,« rief er, »es zieht da eine Wolke herauf, welche eine peinliche Verlegenheit in sich bergen kann. – Wird man dort etwas thun,« sagte er halb zu sich selber sprechend, – »wird die Verstimmung zur Thal werden? – – ich glaube es nicht – immer aber ist das sehr unangenehm, – findet Oesterreich irgend eine Stütze, so wird man von Neuem alle Hebel ansetzen. – Zwar für Oesterreich,« fuhr er fort, »wird man in Petersburg nichts thun, – aber die notwendigen Veränderungen in Deutschland, und diese französische Vermittlung mit ihren Hintergedanken, – die Situation ist ohnehin schwierig genug und es wird vielleicht ebensoviel Mühe kosten, dieses Spinnennetz von diplomatischen Fäden zu zerreißen, mit welchen man uns umspinnen möchte, – als die österreichischen Linien zu sprengen. – Jedenfalls muß diese russische Wolke zerstreut werden,« rief er – »für jetzt und für die Zukunft! Denn der Zukunft wird noch Manches zu thun übrig bleiben,« sagte er sinnend.

Er stand auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, tief nachdenkend und hin und wieder die Lippen bewegend. Widerstreitende, mächtig arbeitende Gedanken drückten sich in den bewegten Zügen seines Gesichts aus.

Endlich schien die Gewalt seines Willens klare Ordnung und Ruhe in die sich kreuzenden Ideen gebracht zu haben, – er athmete befriedigt auf, trat zum Fenster und sog die frische Luft mit tiefen Zügen ein, bei denen seine breite mächtige Brust sich weit ausdehnte.

Ein Sekretär des auswärtigen Ministeriums trat ein.

Der Graf wandte sich nach ihm um.

»Der bayerische Minister von der Pfordten ist angekommen und bittet Eure Excellenz um eine Unterredung. Hier ist sein Brief!«

Graf Bismarck ergriff schnell das kleine, versiegelte Billet, erbrach es und überflog den kurzen Inhalt.

»Sie kommen alle,« sagte er mit stolzem Ausdruck – »alle diese großen Jäger, welche das Fell des Bären schon vertheilt hatten, und jetzt seine Tatzen fühlen. – Aber so schnell sollen sie nicht gutes Wetter finden.– Außerdem sehe ich noch nicht klar genug. – Sagen Sie dem Minister von der Pfordten,« rief er dem wartenden Sekretär zu, »daß Sie mir seinen Brief gegeben hatten und daß ich ihm meine Antwort senden würde.«

Der Sekretär entfernte sich.

Nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück und sagte:

»Der französische Botschafter!«

»Ah!« rief Graf Bismarck.

Herr von Keudell stand auf.

»Haben Sie die Güte, lieber Keudell,« sagte der Minister nach einem augenblicklichen Nachdenken, »zu Herrn von der Pfordten zu gehen und ihm zu sagen, daß ich ihn als bayerischen Minister nicht empfangen könne, da wir noch im vollen Kriege mit Bayern begriffen seien, – ich sei indeß gern zu einer persönlichen Unterredung ohne alle Konsequenzen bereit und würde ihn bald die Stunde dafür wissen lassen.«

Herr von Keudell verneigte sich und ging hinaus.

Einen Augenblick später öffnete der Sekretär auf einen Wink des Ministers dem französischen Botschafter die Thüre.

Der Ausdruck auf dem Gesicht des Grafen Bismarck hatte sich völlig verändert, kalte Ruhe und höfliche Freundlichkeit lag auf seinen Zügen, – artig ging er dem Vertreter des Kaisers Napoleon entgegen und reichte ihm die Hand.

Herr Benedetti bildete in seiner Erscheinung einen merkwürdigen Gegensatz zu der kräftigen Gestalt und der festen, soldatischen Haltung des preußischen Ministers. Er stand in den fünfziger Jahren, sein dünnes Haar ließ die Stirn weit hinauf völlig frei und bedeckte nur spärlich den obern Theil des Kopfes, sein bartloses, glattes Gesicht gehörte zu den Physiognomieen, deren Alter sich schwer erkennen und bestimmen läßt, die in der Jugend älter, im Alter jünger erscheinen als sie sind. Es wäre schwer zu sagen gewesen, welcher Charakterzug, welche Eigenthümlichkeit sich in seinen Zügen ausdrücken möchte, – es lag eben nichts darin, als der glatte Ausdruck einer rezeptiven, intelligenten Empfänglichkeit für alle Eindrücke, – was hinter dieser gleichmäßig ruhigen und freundlichen Außenseite sich verbergen mochte, hätte man schwer zu erkennen vermocht. Sein Auge war offen und frei, scheinbar sorglos und gleichgültig und nur der außerordentlich schnelle und scharfe Blick, mit welchem er zuweilen alle Gegenstände seiner Umgebung in einem einzigen Griff zusammenzufassen schien, konnte vermuthen lassen, daß ein lebendiges Interesse ihn bewegte. Sein Gesicht sagte nichts, drückte nichts aus – und doch fühlte man unwillkürlich, daß hinter diesem Nichts etwas liegen müsse, das sich sorgfältig zu verbergen Veranlassung und Fähigkeit hätte.

Die Haltung seiner schlanken, mittelgroßen Gestalt war elegant, seine Bewegungen lebhaft wie die des Italieners, geschmeidig, elastisch wie die des Levantiners, seine leichte Sommertoilette von der äußersten Einfachheit, aber trotz der Reise, von der er unmittelbar zurückkehrte, von makelloser Frische.

»Ich habe Sie mit Ungeduld erwartet,« sagte Graf Bismarck, indem der scharfe, durchdringende Blick seines stahlgrauen Auges sich fest auf das ruhige Gesicht des Botschafters richtete, – »was haben Sie in Wien gefunden – bringen Sie den Frieden?«

»Ich bringe wenigstens den Anfang dazu – ich bringe die Annahme des vom Kaiser vorgeschlagenen Programms für die Friedensverhandlungen –«

»Ah, so hat man sich in Wien entschlossen?« rief Graf Bismarck.

»Ich habe einen schweren Stand gehabt,« sagte Herr Benedetti, »und es war wahrlich nicht leicht, die Zustimmung Oesterreichs zu erlangen.«

Graf Bismarck zuckte die Achseln.

»Was kann man denn dort noch hoffen,« rief er, – »will man uns in Wien erwarten?«

»Man hofft auf den Eintritt der Südarmee in die Aktion, – auf eine große militärische Erhebung Ungarns,« sagte der Botschafter. –

»Vielleicht auch auf einen neuen Johann Sobiesky?« fragte Graf Bismarck mit leichtem Lächeln.

»Und ich muß in der That gestehen,« fuhr Benedetti ruhig fort, »daß ich nicht im Stande war, jenen Hoffnungen jede Berechtigung abzusprechen.«

Graf Bismarck sah ihn erstaunt und fragend an.

»Die Südarmee,« sagte Benedetti, »steht fast zu zwei Drittheilen in der Umgebung von Wien, – der Prater ist ein Bivouak und das verschanzte Lager bei Floridsdorf bildet eine feste Widerstandsposition, die Truppen der Südarmee sind voll Siegeszuversicht und vom besten Geiste beseelt – der Erzherzog Albrecht ein entschlossener General und der Chef seines Generalstabes, Feldmarschalllieutenant von John, ein Offizier von feiner und scharfer Intelligenz.«

Graf Bismarck hörte ruhig zu. Ein feines kaum merkbares Lächeln spielte um seine Lippen.

»Und Ungarn?« fragte er leichthin.

»Man hat mit dem Grafen Andrassy und der Deakpartei unterhandelt, und wenn man die autonome Landesverfassung gewährt und die Bewaffnung der Honveds zugesteht, – so ist eine mächtige Erhebung der Ungarn zu erwarten.«

»Wenn man das zugesteht,« sagte Gras Bismarck, »die Ungarn, sind oft getäuscht – übrigens,« fuhr er fort, »stehen unsere Truppen nach dem Gefecht von Blumenau vor Preßburg, das sie nur in Folge der dazwischengetretenen Waffenruhe nicht besetzt haben, – der Schlüssel Ungarns gehört uns.«

»Man hat in Wien die Ueberzeugung,« fuhr Benedetti fort, »daß auch die preußische Armee durch den gewaltigen Zusammenstoß schwer erschüttert ist und von Krankheiten leidet –«

»Sie leidet am meisten vom Stillliegen,« rief Graf Bismarck lebhaft.

»Aus allen diesen Gründen,« sagte der Botschafter ruhig, »war es nicht leicht, die Zustimmung zu dem Friedensprogramm meines Souveräns zu erlangen. Der Kaiser Franz Joseph war sehr schwer zu bestimmen, die Ausschließung Oesterreichs aus Deutschland zu acceptiren. Er hat indeß den dringenden Vorstellungen nachgegeben, welche ich im Namen des Kaisers und welche der Kaiser selbst ihm gemacht hat, und um Oesterreich nicht länger den Wechselfällen und Bedrückungen des Krieges auszusetzen, um nicht länger den europäischen Frieden zu gefährden, hat der Kaiser in die Annahme des Programms gewilligt.«

Graf Bismarck biß sich in den Schnurrbart.

»Und dieß Programm heißt nun definitiv? – mit der Zustimmung Oesterreichs?« fragte er. – Er lud den Botschafter mit einer Handbewegung ein, sich zu setzen, und nahm dann ebenfalls ihm gegenüber Platz.

»Es ist nichts daran geändert worden,« erwiederte Herr Benedetti: »Erhaltung der Integrität Oesterreichs – aber Ausscheiden desselben aus dem neu zu gestaltenden Deutschland; Bildung einer norddeutschen Union unter Preußens militärischer Führung; Berechtigung der süddeutschen Staaten zu einer völkerrechtlich unabhängigen Union, – aber Erhaltung des durch freies, gemeinsames Einverständniß der deutschen Staaten zu regelnden nationalen Bandes zwischen Nord- und Süddeutschland.«

Graf Bismarck hatte jeden Satz dieses Programms, welches der Botschafter langsam und deutlich aussprach, mit kurzem Kopfnicken begleitet, indem er leicht die Fingerspitzen beider Hände aneinander schlug.

»Das ist die Regelung der Stellung Oesterreichs und der unsrigen zu Deutschland,« sagte er, – »wie wir sie bereits genehmigt haben. – Als Grundlage der Verhandlungen – nachdem Oesterreich zugestimmt, ist sie genügend – als Basis für den definitiven Frieden indeß wird eine weitere Verständigung nöthig sein. Der Frieden mit Oesterreich berührt nicht und darf nicht berühren unsere Dispositionen in Betreff der übrigen Staaten Deutschlands, mit denen wir im Kriege sind.«

»Oesterreich überläßt jedem dieser Staaten, seinen Frieden zu schließen,« sagte Benedetti.

»Frieden zu schließen!« rief Graf Bismarck – »es wäre in der That sehr leicht für diese Regierungen, jetzt Frieden zu schließen, um bei der ersten Gelegenheit das alte Spiel von Neuem zu beginnen!«

Nach einer kurzen Pause fuhr er in ruhigem Tone fort:

»Schon vor einigen Tagen hat der König dem Kaiser, Ihrem Herrn, telegraphisch mitgetheilt, daß ein bestimmter Machtzuwachs Preußens durch territoriale Vergrößerung nothwendig geworden sei. Sie haben unter uns gelebt,« fuhr er fort, – »und wissen genau, was Preußen in diesem Kriege eingesetzt hat, Sie kennen die Opfer, welche wir gebracht haben, und die Wunden, welche der Krieg dem Lande geschlagen. Das preußische Volk erwartet, – verlangt die Früchte dieser Opfer, nachdem der Sieg sich für uns entschieden hat, – es verlangt, und mit vollem Recht, daß das Blut preußischer Soldaten, der Söhne des Volkes nicht umsonst vergossen sei, und daß der Zustand definitiv beseitigt werde, welcher die gegenwärtigen Kämpfe als naturgemäße Folge herbeiführen mußte und herbeigeführt hat. – Die schweren Hemmnisse, welche Preußen seine geographische Lage, seine Einengung in unvernünftige, weder natürlich noch politisch richtig gezogene Grenzen bereitete, muß beseitigt, – für immer beseitigt werden; – soll Preußen die Stellung, welche die Friedensbasis ihm in Deutschland anweist, richtig erfassen und kräftig ausfüllen, so muß es vor Allem in sich selbst stark und richtig abgerundet sein. Die Einverleibung von Hannover, Hessen und Sachsen ist nothwendig, um die beiden Hälften der Monarchie fest und unauflöslich zu verbinden und um uns gegen Oesterreich militärisch zu sichern.«

Kein Zug auf dem platten Gesicht des Botschafters veränderte sich.

»Ich finde es sehr natürlich, daß das preußische Volk die möglichst reichlichen Früchte des Krieges, in welchem es – seine ganze Kraft,« sagte er mit leichter Betonung – »auf das Schlachtfeld sendete, zu pflücken wünscht. Anders sind indeß die Wünsche der Völker und die Rücksichten, welche die Fürsten und Regierungen zu nehmen haben. Sie sind,« fuhr er mit etwas leiserer Stimme fort, – »ebensosehr wie ich überzeugt, daß jede Zeit ihre besonderen politischen Grundsätze und Rücksichten hat. Heute sind diese andere, als z. B. zur Zeit Friedrichs des Großen; damals war es gut, zu behalten, was man genommen hatte. Die Solidarität der Interessen und der Verträge war damals nicht so maßgebend wie heute.«

Eine leichte Falte zeigte sich zwischen den Augenbrauen des Grafen Bismarck.

»Nun,« sagte er mit ruhiger Stimme und leichtem Lächeln, – »ich glaube, Friedrich dem Großen wurde es nicht so ganz leicht, zu behalten, was er genommen hatte, – diese politische Praxis wurde im Anfange dieses Jahrhunderts von Napoleon I. in größerem Maßstabe ausgeübt.«

»Dieß war der Fehler des Gründers unserer kaiserlichen Dynastie,« sagte Benedetti, »welcher zuletzt das ganze Europa in Waffen gegen ihn aufstehen ließ – ich darf dieß wohl aussprechen im Hinblick auf die weise Mäßigung, welche der Kaiser, mein Souverän, stets an der Spitze siegreicher Armeen bewiesen hat, und auf die Sorgfalt, mit welcher er es vermieden hat, in jenen Fehler seines großen Oheims zu verfallen.«

Graf Bismarck blickte einen Augenblick nachdenkend vor sich hin.

»Sie wissen,« sagte er dann mit einer gewissen freien Offenheit, »wie sehr hohen Werth ich stets auf ein gutes Verhältniß mit Frankreich gelegt habe, – der Kaiser weiß es auch, – und besonders in diesem Augenblick möchte ich um keinen Preis auch nur den Schein erregen, als wollte ich die Wünsche und Interessen Frankreichs vernachlässigen, seinen guten Rath überhören. – Das gute Einvernehmen Preußens, – Deutschlands, – mit Frankreich, die Ausgleichung der beiderseitigen politischen Bedürfnisse und Nothwendigkeiten, die friedliche und freundliche internationale Verkehrsverbindung zwischen beiden Ländern ist nach meiner Ansicht die erste Bedingung für das Gleichgewicht und die Ruhe Europas. – Lassen Sie uns also mit Offenheit und Ruhe die Lage diskutiren. – Ich kann Ihnen,«, sagte er, seinen vollen durchdringenden Blick auf den Botschafter heftend, »nur wiederholen, daß die Machtvergrößerung Preußens durch die erwähnten Gebiete der feindlichen Staaten mir als eine unbedingte Nothwendigkeit erscheint. – Glauben Sie,« fuhr er fort, »daß der Kaiser es für das Interesse Frankreichs für geboten erachten könnte, dieser Machtvergrößerung ernstlich zu widersprechen?«

Herr Benedetti zögerte dieser direkten Frage gegenüber einen Augenblick mit der Antwort.

»Der Kaiser hat bereits früher anerkannt,« sagte er dann, »daß die Herstellung einer Verbindung zwischen den beiden Hälften der preußischen Monarchie eine Nothwendigkeit für Sie sei, er wird diese Nothwendigkeit nach meiner Ueberzeugung jetzt weniger als jemals verkennen. Ob dazu die vollständige Annexion deutscher Staaten, – welche doch auch unter der Garantie des europäischen Völkerrechts stehen, nöthig sei, – darüber müssen die Ansichten verschieden sein, – indeß glaube ich nicht, daß der Kaiser irgend die Absicht haben könne, sich der Ausführung Ihrer Ansicht, – auch wenn er sie nicht theilt, zu widersetzen.«

Gras Bismarck neigte zustimmend den Kopf.

»Was Sachsen betrifft,« fuhr Benedetti fort. –

Der preußische Minister blickte ihn gespannt und erwartungsvoll an.

»Was Sachsen betrifft,« – sagte der Botschafter, »so habe ich in Oesterreich den Entschluß gefunden, seine territoriale Integrität unbedingt zu erhalten, – man sieht dieß dort als eine Ehrenpflicht an gegen seinen Verbündeten, der mit Oesterreich auf denselben Schlachtfeldern gekämpft hat.«

Graf Bismarck biß sich auf die Lippen.

»Ich glaube,« fuhr Benedetti fort, »daß der Kaiser Franz Joseph eher die äußersten Chancen einer Fortsetzung des Kampfes wagen würde, als von dieser Bedingung zurückstehen.«

Graf Bismarck schwieg einen Augenblick.

»Und wie steht Frankreich, – wie steht der Kaiser Napoleon zu dieser Bedingung – – Oesterreichs?« sagte er mit festem Blick und leichtem Lächeln.

»Ich glaube annehmen zu dürfen,« sagte Benedetti, »daß der Kaiser sich diese österreichischen Wünsche in Betreff Sachsens wesentlich aneignet.«

»Im vollsten Ernste?« fragte Graf Bismarck.

»Im vollsten Ernste,« antwortete der Botschafter ruhig.

»Gut denn!« rief Graf Bismarck – »die Einverleibung Sachsens ist für uns keine unbedingte Nothwendigkeit, wie diejenige der unseren Staat durchschneidenden Gebiete – ich werde dem Könige des Kaisers Napoleon – und Oesterreichs – Wünsche in Betreff Sachsens mittheilen und sie befürworten. Selbstverständlich wird Sachsen der norddeutschen Union zugezählt werden.«

»Das ist eine innere Angelegenheit der neuen Organisation Deutschlands,« sagte Benedetti mit leichter Verbeugung, »in welche sich einzumischen der Kaiser nicht entfernt die Absicht haben kann.«

»So ist also das Programm, wie Sie es hier nochmals ausgesprochen haben, als definitive Friedensbasis anzusehen, – mit dem Zusatz, daß von Oesterreich alle Veränderungen, welche in Norddeutschland in territorialer Beziehung vorgenommen werden, gutgeheißen und acceptirt sind, – das heißt die Einverleibung von Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt –«

Das gleichmäßig ruhige Gesicht des Botschafters zeigte eine leichte Ueberraschung.

»Ich erinnere mich nicht,« sagte er, »daß wir von Nassau und Frankfurt gesprochen haben –«

»Es gehört zur vollständigen Arrondirung – namentlich wenn wir Sachsen aufgeben« – sagte Graf Bismarck.

Benedetti schwieg.

»So würden also auf dieser Basis die Friedensverhandlungen beginnen können?« fragte der preußische Minister mit einem forschenden Blick auf den Botschafter.

»Ich sehe keine Schwierigkeiten weiter,« sagte dieser – »und« – fügte er dann ohne besondere Betonung hinzu, »daß auch die Ausgleichung zwischen den gegenseitigen Interessen des neuen Deutschlands und Frankreichs sich leicht wird machen lassen bei dem Geist der Mäßigung und des Entgegenkommens, den der Kaiser bewiesen hat und von dem auch Sie und Ihre Regierung sich stets beseelt gezeigt haben.«

Der Blick des Grafen Bismarck senkte sich tief und durchdringend in das ganz ausdruckslose Auge des französischen Diplomaten, – er schien jedes von demselben gesprochene Wort sorgfältig abzuwägen.

»Und wie glauben Sie, daß diese gegenseitigen Interessen durch die neuen Verhältnisse berührt werden, – wie glauben Sie, daß sie ausgeglichen werden könnten?«

Benedetti lehnte sich ein wenig in seinen Sessel zurück und sprach dann:

»Ich glaube, Sie werden die Bereitwilligkeit anerkennen, mit welcher der Kaiser Napoleon die Einverleibung deutscher Staaten in Preußen acceptirt, – obwohl – wie ich wiederhole, dieselbe mit seiner Ansicht nicht übereinstimmend ist, und vielleicht bei andern europäischen Kabinetten ernstes Mißvergnügen erregen könnte.«

Welche Macht sollte dagegen etwas zu erinnern finden,« rief Graf Bismarck, »wenn Frankreich mit uns einverstanden ist –?«

»Vielleicht England wegen Hannover,« sagte Benedetti.

Graf Bismarck zuckte die Achseln.

»Vielleicht Rußland« – fuhr der Botschafter fort. – »Sollte der Kaiser Alexander mit seinen Anschauungen über Legitimität und monarchisches Fürstenrecht die Beseitigung der Dynastieen billigen –?«

Graf Bismarck schwieg.

»Doch dieß nur beiläufig,« sagte Benedetti, – »jedenfalls scheint es mir, daß Sie ein großes Interesse haben, mit Frankreich im vollsten Einverständniß zu handeln, und ich glaube, daß dem Entgegenkommen des Kaisers Napoleon gegenüber Sie nicht minder bereitwillig sein werden, anzuerkennen, daß gewisse territoriale Modifikationen der gegenseitigen Begrenzung notwendig sein dürften, um das Gleichgewicht und damit die guten Beziehungen dauernd zu erhalten.«

Die leichte Wolke, welche bei den ersten Worten des Botschafters, von diesem nicht unbemerkt, auf der Stirn des Grafen Bismarck erschienen war, verschwand schnell, sein Gesicht nahm eine gleichmüthige Ruhe an, und mit freundlicher, entgegenkommender Höflichkeit fragte er:

»Und können Sie mir die Ansichten des Kaisers über diese territorialen Modifikationen mittheilen?«

» Meine Ansicht,« antwortete Benedetti mit leichter Betonung, – »ist die, daß den schwer wiegenden Veränderungen in Deutschland gegenüber Frankreich gewisse, lediglich nach militärischen Nothwendigkeiten bemessene Kompensationen beanspruchen dürfe. – Sie werden nicht verkennen,« fuhr er fort, »daß die Grenzen, welche man im Jahre 1815 Frankreich gegeben, weder den natürlichen, noch den militärischen Verhältnissen entsprechen – und daß die Wiederherstellung derjenigen Grenze, welche im Jahre 1814 das siegreiche Europa dem überwundenen Frankreich darbot, gewiß jetzt eine billige und gerechte Forderung ist, wo das mächtige Frankreich sich mit dem siegreichen Preußen über die große Verstärkung der preußischen Macht bereitwillig und freundschaftlich verständigt.«

Graf Bismarck schwieg, ohne daß einen Augenblick der lächelnde, höfliche und zuvorkommende Ausdruck von seinem Gesicht verschwand.

»Auch werden Sie,« fuhr Benedetti fort, »es gewiß natürlich finden, wenn der Kaiser wünscht, in die so verbesserten – wiederhergestellten Grenzen Frankreichs Luxemburg aufzunehmen, das nach natürlicher Lage und Sprache zu uns gehört und das uns militärisch bei der so bedeutend verstärkten Macht Deutschlands den drohenden Rheinfestungen gegenüber nothwendig ist. – Sie verzeihen,« fuhr er lächelnd fort – »man muß auch daran denken, daß Zeiten kommen könnten, in denen nicht so friedensliebende, die gegenseitige Freundschaft zu so hohem Werthe anschlagende Regierungen in Paris und Berlin sein dürften. – Das Arrangement in dieser Beziehung dürfte nicht schwer sein, – natürlich würde dem König von Holland, der ja ohnehin auf diesen lose verbundenen Besitz keinen großen Werth legen kann, volle Entschädigung zu gewähren sein.«

Graf Bismarck schwieg fortwährend, lächelnd und freundlich.

»Endlich,« sagte Benedetti – Graf Bismarck erhob aufhorchend das Haupt.

»Endlich dürfte als Schlüssel der defensiven Position Frankreichs – ich spreche immer von Zeiten einer möglichen Verstimmung, die gewiß sehr fern liegen – für Frankreich der Besitz von Mainz –«

Ein Blitz sprühte aus den Augen des Grafen.

Rasch erhob er sich und stand mächtig aufathmend in der vollen Höhe seiner reckenhaften Gestalt da. Langsam folgte der Botschafter seinem Beispiel.

»Lieber würde ich von der politischen Bühne abtreten,« rief der preußische Minister – »als daß ich jemals die Abtretung von Mainz unterzeichnete!«

Und er that rasch einige Schritte durch das Zimmer.

Der Botschafter stand unbeweglich da. Seine klaren, ruhigen Augen folgten beobachtend den lebhaften Bewegungen des Grafen.

»Wenn meine Ansichten,« sagte er mit dem Tone der einfach fortgeführten Konversation, – »mit den Ihrigen nicht übereinstimmen – so –«

Graf Bismarck hatte das Gesicht einen Augenblick nach dem Fenster gewendet und wie in heftiger Willensanstrengung die Lippen fest aufeinandergepreßt.

»–So werden wir uns bei ausführlicherer Diskussion gewiß verständigen,« sagte er im ruhigsten und verbindlichsten Ton, indem er sich zu dem Botschafter zurückwendete und den von diesem begonnenen Satz ergänzte.

Sein Gesicht war wieder gleichmäßig freundlich und höflich wie zuvor.

»Diese Diskussion aber,« fuhr er fort, »sollten wir jetzt nicht antizipiren. – Haben Sie,« fragte er, »den Auftrag, jene Wünsche, welche Sie aussprachen, im Namen des Kaisers zu formuliren und eine Antwort darauf zu verlangen, oder dieselben in irgend eine Verbindung zu den Friedensverhandlungen mit Oesterreich zu bringen?«

»Ich hatte die Ehre,« sagte Herr Benedetti – »schon beim Beginne unserer Unterhaltung über diesen Punkt zu bemerken, daß ich meine Ansichten ausspräche, ich habe keinen Auftrag, irgend etwas zu fordern, noch eine bestimmte Antwort zu erbitten, noch weniger diese Konversation mit den österreichischen Friedensverhandlungen in Beziehung zu setzen.«

»So sind Sie mit mir einverstanden,« erwiederte Graf Bismarck, »daß wir diese Unterredung fortsetzen, wenn das zunächst Liegende geschehen und der Friede mit Oesterreich unterzeichnet ist, – Sie begreifen, daß dazu tiefe und ruhige Ueberlegung gehört, um ganz objektiv die beiderseitigen Interessen abzuwägen, – und dann,« fuhr er lächelnd fort, »ist es auch nicht leicht, über Kompensationen zu diskutiren, bevor die Objekte, deren Aequivalent die Kompensationen bilden sollen, in unseren Händen sind. – Ich zweifle übrigens nicht,« fuhr er fort, »daß wir uns verständigen werden, wenn wir dann ernstlich an die Sache gehen und Sie bestimmte Aufträge haben. – Sie wissen, wie sehr ich wünsche, die Beziehungen zu Frankreich nicht nur in der bisherigen Freundlichkeit zu erhalten, sondern so dauernd und sicher zu konsolidiren, daß die Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland zur Basis des europäischen Friedens werde. – So ist denn Alles, was für den Augenblick abzumachen ist, erledigt?« fragte er nach einer kurzen Pause.

»Vollkommen,« erwiederte Herr Benedetti.

»Die österreichischen Bevollmächtigten –?«

»Werden morgen oder übermorgen ankommen, – ich aber will mich nach der anstrengenden Reise etwas ausruhen.« Und er ergriff seinen Hut.

Graf Bismarck reichte ihm die Hand und geleitete ihn nach dem Ausgang des Zimmers.

Kaum hatte die Thüre sich hinter dem Botschafter geschlossen, als der Ausdruck in dem Gesicht des Grafen Bismarck sich vollständig veränderte. Das freundliche und verbindliche Lächeln verschwand von seinen Lippen, flammender Zorn blitzte aus seinen Augen.

»Einen guten Handel wollen sie machen,« rief er, »diese geschickten Spieler – aber sie sollen sich täuschen, – sie verrechnen sich in mir. Deutschland bezahlt die Schritte zu seiner Einigung nicht mit seinem eigenen Fleisch und Blut – wie Italien – wenigstens nicht so lange ich Einfluß auf die Geschicke der Nation habe. – Mögen sie herankommen an den Rhein – wenn es nicht anders möglich ist, – rückwärts werde ich nicht weichen;– die einzige Konzession, die ich machen kann, ist – langsam vorwärts zu gehen; – mir wäre es nicht unlieb, wenn sie den Kampf aufnähmen,« rief er mit funkelnden Augen, »ich bin noch einmal bereit zu sagen: Ich hab's gewagt! – und dießmal würde der König nicht zögern und warten. – Doch,« fuhr er ruhiger fort, – »es ist viel erreicht und tollkühn soll das Gewonnene nicht aufs Spiel gesetzt werden, – sie glauben das Spiel in der Hand zu haben, – nun wohl, ich werde die Karten ein wenig von meiner Seite mischen.«

Er bewegte eine kleine Glocke. Eine Ordonnanz trat herein.

»Suchen Sie Herrn von Keudell und bitten Sie ihn, den Herrn von der Pfordten zu mir zu führen!«

Die Ordonnanz entfernte sich.

Graf Bismarck setzte sich wieder vor die auf dem Tische ausgebreitete Landkarte und betrachtete dieselbe aufmerksam, zuweilen mit dem Finger der rechten Hand über dieselbe hinfahrend, bald die Lippen in leisem Flüstern bewegend, bald das Auge sinnend nach der Decke des Zimmers richtend.

Nach einer Viertelstunde führte Herr von Keudell den bayerischen Minister von der Pfordten in das Kabinet.

Die volle und große Gestalt dieses Staatsmannes war gebeugt und zeigte in ihrer Haltung Spuren großer körperlicher Ermattung. Sein längliches, volles und weiches Gesicht, von dem dunklen glatten Haar umrahmt, war blaß und erschöpft, trübe blickte das Auge durch die Gläser seiner Brille.

Graf Bismarck hatte sich hoch aufgerichtet, – ein Ausdruck eisiger Kälte lag auf seinen Zügen; in straff militärischer Haltung, aber mit strengster formeller Höflichkeit trat er dem bayerischen Minister entgegen und erwiederte dessen Gruß. Dann lud er ihn mit einer eben so kalten und eben so höflichen Bewegung, ein, auf dem Stuhle Platz zu nehmen, den vor Kurzem Herr Benedetti verlassen hatte, und setzte sich ihm gegenüber, seine Anrede erwartend.

»Ich bin gekommen,« sagte Herr von der Pfordten mit leicht bewegter Stimme in seinem südlich anklingenden Dialekt, »um weiteres Blutvergießen und Kriegsunglück zu verhüten. Der Feldzug ist im Wesentlichen entschieden – zu Ihren Gunsten entschieden, und Bayern darf nicht zögern, den Krieg zu beenden – den es,« fügte er leise hinzu – »vielleicht besser gar nicht begonnen hätte.«

Graf Bismarck sah ihn einen Augenblick mit seinem harten, klaren Blick streng an.

»Wissen Sie,« sagte er, »daß ich im vollen Recht wäre, Sie als Kriegsgefangenen zu behandeln?« fragte er.

Herr von der Pfordten fuhr zusammen. Er war einen Augenblick sprachlos und blickte voll tiefen Erstaunens den preußischen Minister an.

»Bayern ist im Kriege mit Preußen, – es finden keine Verhandlungen statt,« sagte Graf Bismarck, – »ein bayerischer Minister kann nur als Gefangener im preußischen Hauptquartier sein – der einzige Weg völkerrechtlichen Verkehrs geht durch die Parlamentärs.«

Herr von der Pfordten neigte traurig das Haupt. »Ich bin in Ihrer Gewalt,« sagte er ruhig, – »und daß ich es bin, beweist, wie sehr ich den Frieden wünsche – was würden Sie gewinnen, wenn Sie mich arretirten?«

Graf Bismarck schwieg.

»Ich bewundere Ihre Kühnheit, hieher zu kommen,« sagte er nach einer Pause, – »sie beweist in der That, daß Sie des Friedens bedürftig sind.«

Herr von der Pfordten schüttelte leicht den Kopf. »Ich fürchte,« sagte er, »daß mein Schritt umsonst sein wird.«

»Ein guter Schritt ist nie umsonst, selbst wenn er spät, – zu spät kommt,« sagte Graf Bismarck mit einer leicht freundlicheren Nüancirung des Tons seiner Stimme, – »welche Stellung hätte Bayern haben können, wenn Sie diesen Schritt vor vier Wochen gethan, wenn Sie vor vier Wochen zu mir nach Berlin gekommen wären!«

»Ich habe an dem von ganz Europa sanktionirten deutschen Bunde festgehalten,« erwiederte Herr von der Pfordten – »und habe geglaubt, meine Pflicht gegen Deutschland und gegen Bayern zu erfüllen; und habe ich mich geirrt – ewig still steht die Vergangenheit, – ich bin gekommen, über die Zukunft zu sprechen.«

»Die Zukunft liegt in unserer Hand,« rief Graf Bismarck – »Oesterreich schließt seinen Frieden und kümmert sich weder um den Bund noch um seine Bundesgenossen!«

»Ich weiß es,« sagte Herr von der Pfordten tonlos.

»Deutschland sieht jetzt,« fuhr Graf Bismarck fort, »wohin es im österreichischen Schlepptau gekommen ist, – besonders für Bayern thut es mir leid, denn Bayern habe ich stets für berufen gehalten, eine besonders wichtige und bedeutungsvolle Stellung in der nationalen Entwicklung Deutschlands einzunehmen und mit Preußen vereint an der Spitze der Nation zu stehen.«

»War es ein falscher Weg,« sagte Herr von der Pfordten, – »den Bayern unter meiner Leitung gegangen ist, – und der Erfolg hat entschieden, daß er falsch war, – so läßt sich jeder Fehler verbessern – wenn auch spät. Meine Thätigkeit ist nach der gefallenen Entscheidung beschlossen, mir bleibt noch eine Pflicht zu erfüllen, das ist, Alles aufzubieten, um von meinem Lande und meinem jungen König die schweren Folgen – meines Fehlers – abzuwenden. Um diese Pflicht zu erfüllen, bin ich hier, und gerade weil ich von der Zukunft nichts verlange und nichts erwarte, glaubte ich um so unbefangener und objektiver mit Ihnen, Herr Graf, über diese Zukunft sprechen zu können.«

Graf Bismarck schwieg einen Augenblick und spielte leicht mit den Fingern auf dem Tisch.

»Ich bin nicht in der Lage,« sagte er dann, »als preußischer Minister mit dem Minister Bayerns zu sprechen, – dazu fehlt die Grundlage, dazu fehlt die Genehmigung des Königs. – Doch soll diese Stunde nicht unfruchtbar sein,« fügte er mit milderem Tone hinzu, »ich will Ihnen beweisen, wie sehr ich persönlich bedaure, daß wir uns nicht haben verständigen, nicht haben zusammengehen können, Ihr Rath, Ihre Erfahrungen hätten Deutschland so nützlich sein können! Sprechen wir,« fuhr er fort, – »Baron von der Pfordten und Graf Bismarck, ein bayerischer und ein preußischer Patriot, über die Lage der Dinge – – vielleicht,« fügte er lächelnd hinzu, »kann der bayerische und der preußische Minister demnächst etwas von uns lernen.«

Das Gesicht des Herrn von der Pfordten hellte sich auf. Mit freudigem Ausdruck sah er durch die Brille zu dem Grafen hinüber.

»Was denken Sie denn,« fragte dieser, »daß mit Bayern geschehen soll, daß Preußen mit Bayern machen könne?«

»Ich setze voraus,« sagte Herr von der Pfordten, »daß Preußen seine unbedingte Hegemonie in Norddeutschland beanspruchen wird –«

»Wer wollte sie bestreiten?« fragte Graf Bismarck.

»Ich möchte dann darauf aufmerksam machen, daß eine Annexion süddeutscher Gebiete, so heterogen in Allem, kaum im preußischen Interesse liegen kann – und daß es mehr in Ihrem Vortheil ist, mit dem selbstständigen und ungeschwächten Bayern in Freundschaft und Verständniß die Zukunft Deutschlands zu gestalten –«

»Um bei jeder Gelegenheit neuen Schwierigkeiten zu begegnen?« fragte Graf Bismarck.

»Nach den Erfahrungen dieser Tage,« begann der bayerische Minister –

»Mein lieber Baron,« unterbrach ihn Graf Bismarck – »ich will ganz offen mit Ihnen sprechen. Die Zukunft gehört nicht mir und nicht Ihnen. Worte und Versprechungen, so ernst Sie dieselben auch meinen mögen, können nicht die Grundlage sein, auf der die zukünftige Ruhe und Stärke Preußens und Deutschlands beruhen. – Wir brauchen Garantieen. Preußen darf den Gefahren, die es jetzt überwunden hat, nicht noch einmal ausgesetzt sein, es darf die Opfer, die es gebracht, nicht noch einmal bringen. – Bayern ist stets – sehr zu seinem eigenen Nachtheil, wie ich jederzeit überzeugt war – uns feindlich gewesen. Wir müssen volle Sicherheit haben, daß dieß künftig nicht geschieht. Dafür gibt es zwei Wege.«

Herr von der Pfordten horchte gespannt auf.

»Entweder,«, fuhr Graf Bismarck fort, »wir nehmen von Ihrem Gebiete so viel fort, daß Bayern völlig ohnmächtig ist, uns jemals zu schaden –«

»Haben Sie an die Schwierigkeiten gedacht, bayerisches Gebiet und bayerische Bevölkerungen zu assimiliren?« fragte Herr von der Pfordten.

»Dieselben würden groß sein,« sagte Graf Bismarck ruhig, – »ich gebe es zu – allein wir würden sie überwinden und für die Sicherheit Preußens kenne ich keine Schwierigkeiten.«

Herr von der Pfordten seufzte.

»Die Verwickelungen, die ein solches Vorgehen hervorrufen könnte!« – sagte er mit halber Stimme, indem er einen forschenden Blick auf das Gesicht des preußischen Ministers warf.

Graf Bismarck sah ihn starr an.

»Woher sollten die kommen?« fragte er, – »von Oesterreich? – Und,« fuhr er fort, indem er sein Auge scharf und stolz über die ganze Gestalt des bayerischen Ministers gleiten ließ, – »da, wo sonst noch an Verwickelungen gedacht werden könnte, – würde man einen Theil an der Beute nicht verschmähen.«

Herr von der Pfordten neigte das Haupt.

»Sprechen wir also nicht davon,« sagte Graf Bismarck, – »wir sind Deutsche – machen wir deutsche Angelegenheiten ohne Seitenblicke ab.«

»Und der andere Weg?« fragte Herr von der Pfordten zögernd.

»Das innere Leben Bayerns,« sagte Graf Bismarck, nachdenklich vor sich hinblickend, »ist uns fremdartig und wir können darin nicht eingreifen wollen. Was Deutschland bedarf zu seiner Macht und Stärke, was Preußen bedarf zu seiner Sicherheit – das ist das einige Zusammenfassen der nationalen Wehrkraft in der Hand des mächtigsten Kriegsherrn der deutschen Nation, – ihres natürlichen Feldherrn. – Sollte Bayern dieser nationalen Notwendigkeit sich fügen, – sie durch einen festen Vertrag anerkennen, – mit einem Wort dem König von Preußen im Fall des nationalen Krieges die Feldherrnschaft seiner Militärmacht übertragen, so wäre die nöthige Garantie für Deutschlands Wehrhaftigkeit und Macht, – für Preußens Sicherheit vorhanden.«

Das Gesicht des bayerischen Ministers klarte sich mehr und mehr auf.

»Die Feldherrnschaft im nationalen Kriege?« fragte er.

»Natürlich mit den nöthigen Vereinbarungen, um eine gemeinsame Führung, eine Einfügung des bayerischen Korps in den Organismus der preußischen Armee möglich zu machen,« sagte Graf Bismarck.

»Ohne Eingriff in die Kriegsherrlichkeit des Königs?« fragte Herr von der Pfordten.

»Eine weitere Beschränkung derselben würde ich nicht für nöthig halten,« erwiederte der Graf.

Herr von der Pfordten athmete tief auf.

»Dieß also würden Ihre Friedensbedingungen sein?« fragte er.

»Nicht die Friedensbedingungen, sondern die Vorbedingungen für den Frieden,« erwiederte Graf Bismarck.

»Wie soll ich das verstehen?« fragte Her von der Pfordten.

»Sehr einfach,« sagte der Graf, – »wenn ein solcher Vertrag, wie ich ihn eben skizzirt habe, und den ich in seinen Detailbestimmungen sogleich von militärischer Fachseite entwerfen lassen will, geschlossen wird, ein Vertrag, der übrigens vorläufig geheim bleiben kann, – ja,« fügte er wie nachdenkend hinzu, »wohl besser geheim bleibt, um Ihnen keine Verlegenheiten bei Ihren antipreußischen Parteien im Innern zu schaffen, – wenn ein solcher Vertrag, sage ich, angenommen wird, dann wird sich der Frieden sehr leicht schließen lassen. Preußen hat durch diesen Vertrag dann die Garantie, daß Bayern wirklich und aufrichtig mit uns an dem Werk der nationalen Einigung arbeiten will und allen Fehlern seiner früheren Politik entsagt, mit dieser Garantie werden wir die Friedensbedingungen sehr leicht stellen können, – ja es liegt in unserem Interesse, Bayern dann so kräftig und selbstständig als möglich in Deutschland zu erhalten. Es würde sich dann nur um die Kriegskosten handeln, die wir voll erstattet haben müssen, und vielleicht um einige ganz unbedeutende Gebietsabtretungen zur Abrundung unserer Grenzen.«

»Herr Graf,« sagte Herr von der Pfordten bewegt, – »ich danke Ihnen, – Sie zeigen mir einen Weg, auf dem Bayern mit Ehren und zum Wohle des deutschen Vaterlandes aus der traurigen Lage herauskommen kann, in der es sich befindet – ich danke Ihnen im Namen meines Königs!«

»Ich habe für Ihren jugendlichen König die tiefste Theilnahme,« sagte Graf Bismarck, »und ich hoffe, daß Bayern im Bunde mit Preußen noch zu der Stellung in Deutschland gelangen wird, welche es so lange – nicht hat einnehmen wollen,« sagte Graf Bismarck mit milder Stimme. – »Doch nun, mein lieber Baron,« fuhr er fort, indem er sich erhob, – »vergessen wir nicht, daß hier eine Unterredung zwischen zwei Privatpersonen stattgefunden hat. Eilen Sie zu Ihrem Könige zurück und bringen Sie so bald als möglich die Zustimmung zu dem Vertrage hieher, – sobald derselbe unterzeichnet ist, sollen die Feindseligkeiten eingestellt werden, und ich verspreche Ihnen, daß der Friedensschluß schnell und ohne Schwierigkeiten erfolgen wird. – Und,« sagte er mit verbindlichem Ton – »seien Sie überzeugt, daß ich Ihren Rücktritt von den Geschäften nicht wünsche.«

»Ich weiß,« sagte Herr von der Pfordten, »was mir zu thun übrig bleibt, – eine neue Hand muß Bayern in die neuen Bahnen leiten, – meine Wünsche aber werden stets dem neuen Deutschland gehören, wie sie für das alte lebendig waren!«

»Noch eins,« sagte Graf Bismarck – »da wir uns so gut verstanden haben, könnten Sie auch Ihren Verbündeten in Stuttgart und Darmstadt einen Dienst leisten – vielleicht auch mir, – denn ich wünschte auch Württemberg und Hessen schonend behandeln zu können. Würden die dortigen Höfe einen Vertrag in ähnlichem Sinne schließen, wie wir ihn besprochen haben, so würde eine solche Schonung möglich sein. Mit der Vollmacht, jenen Vorvertrag zu schließen, – dem ich auch dort gern das Geheimniß verspreche – werden mir die Herren von Varnbüler und von Dalwigk willkommen sein und billige und leichte Friedensbedingungen finden.«

»Ich zweifle nicht, daß sie in Kurzem erscheinen werden,« sagte Herr von der Pfordten.

»Nun, mein lieber Baron – eilen Sie,« rief Graf Bismarck, – »auf baldiges Wiedersehen, – und machen Sie, daß Graf Bismarck so schnell als möglich den bayerischen Minister und Friedensbevollmächtigten hier begrüßen könne.«

Er reichte Herrn von der Pfordten die Hand, – die dieser bewegt und herzlich drückte – und geleitete ihn dann zur Thüre. – Im Vorzimmer war Herr von Keudell und der Graf ersuchte ihn, für die schleunige und unbehelligte Reise des bayerischen Ministers Sorge zu tragen.

Als Graf Bismarck in sein Zimmer zurückgekehrt war, rieb er sich zufrieden die Hände, indem er mit großen Schritten auf und nieder ging.

»So, meine Herren in Paris!« rief er lächelnd, »Sie wollen Deutschland spalten und theilen und sich Kompensationen bezahlen lassen, – nun, die Pfeiler zu seiner künftigen Einigungsbrücke sind geschlagen – und Ihre Kompensationen? – wohlan – wiegen Sie sich noch einige Zeit in der Hoffnung auf dieselben. – Doch jetzt zum Könige.«

Er knöpfte die Uniform zu, nahm seine Feldmütze und verließ das Zimmer, um sich nach dem Quartier des Königs Wilhelm zu begeben.

In seinem Vorzimmer erblickte er einen älteren Herrn mit grauem Haar und Bart in der Uniform des hannöverischen Flügeladjutanten.

Ein preußischer Offizier hatte denselben hereingeführt und näherte sich dem Ministerpräsidenten in dienstlicher Haltung:

»Oberstlieutenant von Heimbruch, Flügeladjutant des Königs von Hannover, wünscht Eure Excellenz zu sprechen, – ich habe ihn hieher geführt und wollte ihn soeben melden lassen.«

Graf Bismarck wendete sich zu Herrn von Heimbruch, legte grüßend die Hand an die Mütze und blickte ihn fragend an.

Der Oberstlieutenant näherte sich ihm und sagte: »Seine Majestät der König, mein allergnädigster Herr, welcher seit Kurzem in Wien angekommen ist, hat mich, da die Friedensverhandlungen begonnen haben, hieher gesendet, um Seiner Majestät dem König von Preußen ein Schreiben zu überreichen. Zugleich habe ich Eurer Excellenz diesen Brief des Grafen Platen zu bringen.«

Und er reichte dem Ministerpräsidenten ein versiegeltes Schreiben.

Dieser öffnete dasselbe und durchlas schnell den Inhalt.

Ernst wendete er sich zu Herrn von Heimbruch.

»Wollen Sie die Güte haben, mich hier zu erwarten, ich gehe zu Seiner Majestät und werde bald zurückkehren.«

Und er schritt mit militärischem Gruß weiter.

Im Vorzimmer des Königs waren mehrere Generale, verschiedene Ordonnanzoffiziere. Alle erhoben sich beim Eintritt des Majors Grafen Bismarck, welcher in militärischer Haltung die Generale begrüßte.

Der dienstthuende Flügeladjutant Major Freiherr von Loë trat dem Ministerpräsidenten entgegen.

»Ist Seine Majestät allein?« fragte Graf Bismarck.

»General von Moltke ist beim König,« antwortete Herr von Loë, – »doch hat Seine Majestät befohlen, Eure Excellenz sogleich zu melden.«

Und er trat nach einem kurzen Schlage in das Kabinet des Königs, aus welchem er sogleich zurückkehrte und die Thüre für den Ministerpräsidenten öffnete.

König Wilhelm stand vor einer großen über den Tisch gebreiteten Landkarte, auf welcher mit langen farbigen Nadeln die Stellung der Armeen bezeichnet war.

Er trug den Ueberrock der Campagne-Uniform, das eiserne Kreuz im Knopfloch, den Orden pour le mérite um den Hals.

Des Königs Blick folgte aufmerksam den Linien, welche der General von Moltke mit einem Bleistift, den er in der Hand hielt, über der Karte durch die Luft zog, bald hier, bald dort einen Punkt bezeichnend zur Erläuterung des Vortrags über seine Dispositionen. Die hohe, schlanke Gestalt des Generals war leicht vornüber geneigt, um die Karte zu überblicken, sein ruhiges, gleichmäßig stilles Gesicht mit den feinen, ernsten, an die Porträts Scharnhorst's erinnernden Zügen war leicht animirt, indem er seine Gedanken dem Könige entwickelte, welcher schweigend und nur von Zeit zu Zeit durch eine Neigung des Hauptes billigend zuhörte.

»Gut, daß Sie kommen,« rief der König dem eintretenden Ministerpräsidenten entgegen, – »Sie werden mir Aufklärung geben können, Moltke theilt mir so eben mit, daß General Manteuffel berichtet, der Prinz Karl von Bayern habe eine achttägige Waffenruhe und die Schonung des von Manteuffel bedrohten Würzburg proponirt, da der Abschluß eines Waffenstillstandsvertrages und die Friedensverhandlungen mit Bayern unmittelbar bevorstünden. General Manteuffel, der darüber ohne Mittheilungen ist, hat zwar die Verhandlungen nicht zurückgewiesen, indeß die Uebergabe Würzburgs als Bedingung der Waffenruhe gestellt und fragt nun an, was er thun solle. – Was sind das für Verhandlungen mit Bayern?«

Graf Bismarck lächelte.

»So eben verläßt mich Herr von der Pfordten, Majestät,« antwortete er.

»Ah,« rief der König, – »also bittet man doch um Frieden? – Was haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Majestät,« erwiederte Graf Bismarck, – »das steht im Zusammenhange mit der ganzen augenblicklichen Situation, über welche ich mir erlauben wollte, Eurer Majestät Vortrag zu halten und Allerhöchstere Entscheidungen zu erbitten.«

General von Moltke steckte seinen Bleistift in ein großes Notizbuch, das er in der Hand hielt, und sagte: »Eure Majestät haben wohl augenblicklich keine weiteren Befehle für mich?«

»Darf ich Eure Majestät bitten,« sagte Graf Bismarck schnell, – »daß der General hier bleibe, – seine Ansicht wird wichtig sein bei den vorliegenden Fragen!«

Der König neigte zustimmend das Haupt, der General richtete den ernsten Blick fragend auf den Ministerpräsidenten.

»Majestät,« sagte Graf Bismarck, »Benedetti ist zurück und bringt die Zustimmung Oesterreichs zu dem Friedensprogramm des Kaisers Napoleon.«

»So können die Verhandlungen beginnen?« fragte der König.

»Ohne Verzögerung, Majestät,« sagte Graf Bismarck. »Benedetti,« fuhr er fort, »machte sich ein großes Verdienst daraus, Oesterreich zur Annahme des Programms bewogen zu haben, er sprach von großem Widerstand, den er in Wien gefunden habe, und suchte mir die Lage Oesterreichs als noch sehr hoffnungsreich darzustellen.«

Moltke lächelte.

»Sie können nichts mehr machen in Wien,« sagte der König ruhig. »Sie haben geglaubt, uns nach Olmütz zu locken und dort festzuhalten, Wien zu decken und Ungarn zur Erhebung zu bringen. Das Alles ist vorbei. Wir haben auf Moltke's Rath sie ruhig vor Olmütz stehen lassen und sind geradeaus gegangen, – wir stehen vor Wien – das sich nicht halten kann, – die Schanzen, die sie bei Floridsdorf gemacht haben, werden uns nicht aufhalten, – übrigens halten wir den Schlüssel von Ungarn in Händen und die Ungarn sind auch gar nicht geneigt, Oesterreich aus seiner Verlegenheit zu helfen –«

»Ich weiß, Majestät,« sagte Graf Bismarck – »und weiß auch, was ich von den Versicherungen Benedetti's zu halten habe, – seine Taktik muß es sein, uns überall Schwierigkeiten zu zeigen, um uns die Notwendigkeit immer einleuchtender zu machen, uns mit Frankreich zu arrangiren und ihm den Preis seiner Vermittlung zu zahlen.«

»Und hat man jetzt einen Preis genannt?« fragte der König mit gesteigerter Aufmerksamkeit.

»Ich habe dem Botschafter,« erwiederte Graf Bismarck, »wie Eure Majestät bereits am 18. von Brünn aus dem Kaiser Napoleon telegraphirt, unumwunden ausgesprochen, daß ein bestimmter Machtzuwachs Preußens durch territoriale Gebietserwerbungen eine Notwendigkeit sei, und ich habe ihm die zwischen unsern Staatshälften liegenden feindlichen Gebiete und Sachsen bezeichnet.«

»Und hat er Widerspruch erhoben?« fragte der König.

– 193 –

»Er hat,« erwiederte Graf Bismarck, »einige Redensarten über Verträge und europäisches Gleichgewicht gemacht, welche im Munde eines napoleonischen Diplomaten etwas eigentümlich klingen, – indeß hat er nichts eingewendet, – nur was Sachsen betrifft –«

»Nun?« fragte der König.

»Was Sachsen betrifft,« fuhr Graf Bismarck fort, »hat – wie Benedetti sich ausdrückt, der Kaiser Napoleon sich die unbedingte österreichische Forderung angeeignet, die territoriale Integrität Sachsens zu erhalten.«

Der König blickte nachdenkend zu Boden.

»Das heißt« – fuhr Gras Bismarck fort, – »man schiebt von Paris aus Oesterreich vor, – aber gleichviel, die Erhaltung Sachsens wird ernstlich verlangt. – Eure Majestät müssen sich also nun entscheiden, – ob Sie in diesem Punkte eine Konzession machen wollen, oder nicht.«

»Was ist Ihre Meinung?« fragte der König.

»Auf die Einverleibung Sachsens zu verzichten, Majestät, um die augenblickliche Lage nicht zu kompliziren, eine absolute Nothwendigkeit zur Einverleibung Sachsens liegt nicht vor, – ich glaube auch in militärischer Beziehung –«

Und er richtete den Blick fragend auf den General von Moltke.

»Wenn Sachsen in den Militärverband des norddeutschen Bundes tritt und seine Verpflichtungen ernstlich erfüllt – nein!« sagte der General.

»Der König Johann wird sein Wort unverbrüchlich halten!« sagte der König, indem ein warmes Licht in seinem Auge glänzte, – »so sei denn die Erhaltung Sachsens zugestanden, – es thut mir ungemein wohl, in diesem Falle die harten Folgen des Krieges für einen hochachtungswerthen Fürsten mildern zu können.«

Graf Bismarck verneigte sich.

»Frankreich acceptirt also,« fuhr er fort, »ebenso wie Oesterreich alle in Norddeutschland vorzunehmenden Gebietsveränderungen – doch nun beginnt eine besondere Verhandlung über die Kompensationen.«

Des Königs Antlitz verfinsterte sich.

»Hat man Forderungen gestellt?« fragte er.

»Nein – doch hat mir Benedetti sehr bestimmt diejenigen bezeichnet, die man stellen wird, – und auf die ich übrigens gefaßt war,« – erwiederte Graf Bismarck.

»Und die heißen?« fragte der König.

Ruhig und lächelnd antwortete Graf Bismarck:

»Die Grenzen von 1814, Luxemburg und – Mainz!«

Der König fuhr zusammen, wie von einem elektrischen Schlage berührt. Ueber das blasse feine Gesicht des Generals von Moltke flog eine dunkle Röthe und ein sarkastisches Lächeln umspielte seinen Mund.

»Und was haben Sie geantwortet?« fragte der König, die Zähne aufeinander pressend.

»Ich habe die Verhandlungen über diese Punkte vertagt, – bis nach dem Friedensschluß mit Oesterreich – um so mehr, da Benedetti sie nur als seine Ansicht aussprach, – ich also gar nicht gezwungen war, eine bestimmte Antwort zu geben.«

»Sie wissen doch,« sagte der König mit strengem Ausdruck und Ton, »daß ich niemals einen Fuß breit deutscher Erde abtreten werde?«

»So gewiß,« erwiederte Graf Bismarck, »als Eure Majestät, wie ich hoffe, überzeugt sind, daß meine Hand niemals einen solchen Vertrag unterzeichnen würde! – Doch,« fuhr er fort, »unnütz einen Bruch und vorzeitige Verlegenheiten und Verwickelungen hervorzurufen, halte ich nicht für richtig; – wenn jetzt Frankreich kriegerisch aufträte –«

»So würden wir nach Paris gehen,« sprach General Moltke gelassen. »Napoleon hat keine Armee!«

»Graf Goltz glaubt das nicht,« sagte der Ministerpräsident, – »wenn ich darüber Gewißheit haben könnte – – doch« – fuhr er fort, – »in jedem Fall ist es besser, den Frieden mit Oesterreich zu schließen und die Verhandlungen über die Kompensationen, welche jetzt von Frankreich nicht offiziell eingeleitet sind, nicht zu provoziren. – Sind wir hier fertig, dann soll den Herren in Paris die Antwort werden, die ihnen gebührt und eine kleine Ueberraschung dazu – ich komme jetzt auf Herrn von der Pfordten, Majestät!«

Der König blickte ihn fragend an.

»Eure Majestät erinnern sich,« sagte Graf Bismarck, »der Stellung, welche das Friedensprogramm den süddeutschen Staaten gibt –«

»Gewiß,« erwiederte der König – »und diese Stellung erregt mir noch immer große Bedenken für die Zukunft!«

»Die Absicht dabei ist klar,« erwiederte der Ministerpräsident, »in Paris will man Deutschland spalten und die eine Hälfte durch die andere im Schach halten, – in Wien will man die Wiederaufnahme des jetzt verlorenen Spieles für die Zukunft vorbereiten. Ich hoffe, man wird sich verrechnen. – Ich habe,« fuhr er fort, »Herrn von der Pfordten sehr milde Friedensbedingungen in Aussicht gestellt, wenn Bayern in einem besondern geheimen Vertrage die Oberfeldherrnschaft Eurer Majestät über das bayerische Heer im Kriegsfälle acceptirt.«

Des Königs Augen leuchteten.

»Dann würde ja Deutschland einig sein!« rief er. – »Und er hat angenommen?« fragte er weiter.

»Mit Dank und freudiger Bewegung,« erwiederte Gras Bismarck, – »und auch Württemberg und Hessen wird ihm folgen, wie er mich versicherte. Ich möchte nun bitten, daß General Moltke die Güte hatte, den betreffenden Vertrag zu entwerfen, damit wenn Herr von der Pfordten mit der Genehmigung des Königs zurückkehrt, Alles schnell abgemacht werden kann, – auch für Württemberg und Hessen. Bis dahin müßte auch der General Manteuffel die definitive Erklärung über die Waffenruhe verschieben, um eine heilsame Pression auszuüben. – Ich hoffe,« fuhr er lächelnd fort, »der Kaiser Napoleon wird nach dem Friedensschluß bemerken, daß die Atouts in dem von ihm so fein gemischten Spiel in unserer Hand sind, – und dann soll auch die Kompensationsfrage erledigt werden.«

»Sehen Sie, Moltke,« sagte der König lächelnd und mit einem freundlichen Blick auf den Ministerpräsidenten – »diese Diplomaten bleiben sich doch immer gleich – auch wenn sie Uniform tragen! – Doch,« fuhr er ernster fort, »Benedetti darf mit mir nicht über die Kompensationen sprechen, – ich würde meine Antwort nicht vertagen können!«

Graf Bismarck verneigte sich.

»Doch, Majestät,« sagte er, »wir müssen die Aufmerksamkeit noch nach einer andern Seite richten. – Die Stimmung am russischen Hofe ist nicht günstig, – ich fürchte, daß dort unsere neuen Erwerbungen sehr verstimmen werden.«

»Ich fürchtete es,« sagte der König.

»Es ist nothwendig,« fuhr Graf Bismarck fort, »nach jener Seite die Luft völlig rein zu machen, die Einflüsse und Anschauungen, die dort vorwiegen könnten, zu paralysiren und Rußland darauf aufmerksam zu machen, wie hohes Interesse es an der Freundschaft Preußens und Deutschlands hat, – jetzt – und für die Zukunft. Es wird nothwendig sein, eine geschickte Person nach Petersburg zu senden. Ich werde Eurer Majestät eine Darlegung meiner Gesichtspunkte in dieser Richtung vorlegen, welche, wenn sie die Allerhöchste Genehmigung finden, dem Abgesandten als Instruktion dienen können.«

»Thun Sie das,« – sagte der König lebhaft, – »mir liegt nicht nur politisch, sondern auch persönlich sehr viel daran, die ungetrübte Freundschaft Rußlands zu erhalten. – Ich werde Manteuffel hinschicken,« sprach er nach kurzem Nachdenken, »er ist ganz der Mann dafür – sobald die Aktion gegen Bayern beendet ist.«

Gras Bismarck verneigte sich schweigend.

Dann sagte er:

»So eben, Majestät, ist ein hannöverischer Flügeladjutant mit einem Briefe des Königs hier eingetroffen. Er hat mir ein Schreiben des Grafen Platen gebracht.«

Ein tief schmerzlicher Ausdruck zeigte sich auf dem Gesicht des Königs.

»Was schreibt er?« fragte er.

»Der König erkenne Eure Majestät als Sieger in Deutschland an und sei bereit, die Bedingungen anzunehmen, welche Eure Majestät für den Frieden stellen würden.«

Der König schwieg lange.

»O,« rief er, »wenn ich ihm helfen könnte! Der arme Georg! – Könnte man nicht ein eingeschränktes Hannover ohne militärische Selbstständigkeit bestehen lassen?«

Graf Bismarck's Augen blickten mit eiserner Ruhe und Festigkeit in das bewegte Antlitz des Königs.

»Eure Majestät haben es für Preußens Sicherheit und Macht für nothwendig erachtet, Hannover einzuverleiben. Was sollte ein Schein-Königreich – eine einfache fürstliche Domäne den Welfen nützen? – uns aber könnte eine solche Enklave, umgeben von widerspenstiger Bevölkerung, sehr gefährlich werden. Bedenken Eure Majestät, welches Unheil diese hannöverische Diversion hätte herbeiführen können, wenn man Gablenz dort behalten hätte, oder wenn nur der hannöverische Generalstab etwas weniger unglaubliche Märsche gemacht hätte. Eine solche Gefahr muß für die Zukunft auf immer beseitigt werden!«

»Die Königin Friederike war die Schwester meiner Mutter!« sagte der König mit leicht zitternder Stimme.

»Ich verehre die Beziehungen fürstlichen Blutes, welche Eure Majestät mit dem Könige Georg verbinden,« sagte Graf Bismarck, – »und ich habe persönlich die achtungsvollste Sympathie mit diesem unglücklichen Fürsten, – aber,« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »Eurer Majestät innigste und nächste Verwandtschaft ist die zum preußischen Volk, zu dem Volk, dessen Blut auf diesen Schlachtfeldern geflossen, zu dem Volk Friedrichs des Großen, dem Volk von 1813. Diesem Volk müssen Eure Majestät den Preis seines Blutes geben. Verzeihen Eure Majestät, wenn ich mich erkühne, im Namen dieses Volkes zu sprechen, – ich weiß, daß meine Worte nur der Ausdruck dessen sind, was Eurer Majestät königliches Herz selbst tief und klar empfindet. – Wenn Eure Majestät den Brief des Königs annehmen,« fuhr er fort, »so binden Sie sich die Hände – so beginnen Sie Verhandlungen, die – nicht begonnen werden dürfen!«

Der König athmete tief auf.

»Gott ist mein Zeuge,« sagte er, »daß ich Alles versucht habe, um den Bruch mit Hannover zu vermeiden und den König vor dem schweren Verhängniß zu behüten, das nun über ihn hereinbrechen muß. – Glauben Sie mir,« fuhr er fort, – »mein Herz bringt Preußen, seiner Größe und seinem deutschen Beruf ein schweres Opfer, indem ich mit meiner Hand diese Notwendigkeit vollziehe!«

Und ein feuchter Schimmer überzog das klare Auge des Königs.

»So lehnen Sie denn die Annahme des Schreibens ab!« sagte er mit bewegter Stimme, traurig den Kopf neigend.

»Gott segne Eure Majestät!« rief Graf Bismarck mit leuchtendem Blick – »um Preußens und Deutschlands willen!«

General von Moltke blickte ernst mit dem Ausdruck inniger Liebe und Bewunderung zu seinem königlichen Kriegsherrn hinüber.

Schweigend winkte der König mit der Hand und wendete sich zum Fenster.

Graf Bismarck und der General verließen das Kabinet.


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