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Achtzehntes Kapitel.

Napoleon III. saß in seinem Kabinet in den Tuilerieen. Die schweren dunklen Vorhänge waren weit von den großen Fenstern zurückgezogen und das Morgenlicht fiel in hellen Strahlen herein. Der Kaiser trug einen leichten Morgenanzug, sein Haar und sein langer Schnurrbart waren frisch geordnet und sein gealtertes, müdes und abgespanntes Gesicht zeigte jenen Ausdruck der Frische, welchen selbst kranken Zügen die Ruhe der Nacht und eine sorgfältige Toilette verleiht.

Neben ihm auf einem kleinen Tisch stand eine brennende Kerze und das einfache Geschirr von Silber und Sèvresporzellan, in welchem er sich seinen Thee selbst bereitet hatte; er rauchte eine große dunkelbraune Havannahcigarre, deren blaue Wölkchen das Kabinet durchzogen und vermischt mit dem Aroma des Thees und einem leichten Duft von Eau de Lavande in dem vor dem Eintritt des Kaisers sorgfältig mit frischer Luft erfüllten Zimmer einen angenehmen und leichten Parfüm verbreiteten.

Der Kaiser hielt einige Briefe und Telegramme in der Hand und auf seinem Gesicht zeigte sich ein heiterer und zufriedener Ausdruck.

Vor ihm stand sein vertrauter Sekretär Pietri.

»Alles fällt Dem zu, der zu warten versteht,« sagte der Kaiser mit leichtem Lächeln. – »Man hat mich zum Eingreifen in diesen deutschen Krieg veranlassen wollen – zum plötzlichen, eiligen Handeln – und jetzt? – ich glaube, mehr und Besseres hätte ich nicht erreichen können, wenn ich – ganz meiner Neigung und Ueberzeugung entgegen – in die natürliche Entwicklung der Ereignisse eingegriffen hätte.

»Der Kaiser von Oesterreich« – fuhr er fort, »tritt mir Venetien ab und ruft meine Vermittlung an, um den siegreich vordringenden Feind aufzuhalten – damit habe ich Italien gegenüber die Situation in der Hand, – das geschlagene Italien wird mir die Erwerbung der letzten Provinz danken und mein Wort: frei bis zur Adria, wird erfüllt werden!« – Er seufzte erleichtert auf. »Damit habe ich viel gewonnen an Einfluß und an Prestige – was,« fügte er lächelnd hinzu, – »noch mehr wiegt als Macht und Einfluß. – Der König von Preußen,« fuhr er fort, – »nimmt meine Vermittlung – im Prinzip freilich und für den Waffenstillstand zunächst – an, – aber daraus wird das Uebrige folgen und ich bin damit zum Schiedsrichter in Deutschland geworden! – Hätte ich mehr erreichen können« – fragte er mit einem langen Zug aus seiner Cigarre, indem er wohlgefällig die weiße Asche betrachtete und den bläulichen Rauch langsam in einzelnen Absätzen von sich blies, – »hätte ich mehr erreichen können, wenn die Armeen Frankreichs im Felde stünden?«

»Gewiß nicht,« erwiederte Pietri, »und ich bewundere den Scharfblick Eurer Majestät – ich muß gestehen, daß ich selbst nicht ohne Bedenken war bei der Enthaltung Frankreichs von aller Mitwirkung bei diesen großen Ereignissen. Indeß möchte ich Eure Majestät doch darauf aufmerksam machen, daß – wie ich glaube, die Situation klarer ist Italien gegenüber – wenn auch jetzt eine leise Abneigung des Königs sich zeigt, Venetien als Geschenk anzunehmen, – als den deutschen Mächten gegenüber. Die Annahme der Vermittlung im Prinzip –«

»Wird noch zu weiten Verhandlungen führen in der praktischen Ausführung,« unterbrach der Kaiser, – »ich weiß das, – beide Theile haben dabei ihre Hintergedanken – nun wohl,« sagte er lächelnd, »so habe ich die meinigen.«

»Es ist jedenfalls eine große Sache,« fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, »daß die Kanonen schweigen, sobald mein vermittelndes Wort ertönt und daß die leise und freundliche Stimme Frankreichs die Macht hat, jene beiden gewaltigen Gegner augenblicklich wenigstens die Waffen senken zu lassen, um mit achtungsvoller Aufmerksamkeit meinem Wort zu lauschen. Das gibt mir immer die Stellung eines Schiedsrichters in Deutschland. – So muß die Sache,« fuhr er fort, »auch der öffentlichen Meinung dargestellt werden – es ist sehr wichtig, daß dieselbe in keine Bahnen einlenkt, welche meine vorsichtige und ruhige Aktion verwirren könnten.«

»Das ist geschehen, Sire,« sagte Herr Pietri, – »ganz in diesem Sinne hat der Moniteur die Vermittlung Eurer Majestät dargestellt und so wird, die Situation von den ergebenen Blättern weiter behandelt.«

»Gut, gut,« sagte der Kaiser, – »und wie nimmt die souveräne öffentliche Meinung meiner guten Pariser die Sache auf?«

»Vortrefflich« – erwiederte Pietri, »alle Organe der Presse fassen die Stellung Frankreichs in diesem Konflikt als eine der nationalen Würde entsprechende und schmeichelhafte auf.«

Der Kaiser nickte zufrieden mit dem Kopf.

»Ich kann Eurer Majestät aber nicht verbergen,« sagte Pietri, »daß sich eine starke Thätigkeit in preußischem Sinne in dem Journalismus bemerkbar macht, – der preußische Konsul Bamberg, der, wie Eure Majestät wissen, diese Angelegenheiten bei der Botschaft besorgt, wird seit einiger Zeit sehr kräftig und geschickt unterstützt durch den Temps, den Siècle und andere Blätter.«

Der Kaiser schwieg nachdenkend.

»Es fragt sich nun,« fuhr Pietri fort, – »ob dieser Agitation entgegengewirkt werden solle –«

»Nein,« sagte der Kaiser entschieden, – »es wäre mir in diesem Augenblick sehr wenig erwünscht, wenn die öffentliche Meinung eine entschiedene Parteinahme für Oesterreich verlangte, – das würde mich geniren. – Ich muß Ihnen aufrichtig sagen,« fuhr er nach einem minutenlangen sinnenden Schweigen fort, »daß ich sehr wenig Vertrauen in Oesterreich setze, welches mir dem Prozeß der Auflösung zu verfallen scheint, – ich glaube, es wird möglich sein, sich mit Preußen zu arrangiren. Der große Kaiser hatte diesen Gedanken,« fuhr er, halb zu sich selber sprechend, fort, »man verstand ihn in Berlin nicht und büßte dafür bei Jena. – Graf Bismarck aber ist kein Haugwitz und – wird denn,« fuhr er sich unterbrechend fort, – »von österreichischer Seite nichts gethan, um auf die öffentliche Meinung hier zu wirken?«

Pietri zuckte die Achseln.

»Der Fürst Metternich,« sagte er, »ist zu sehr grand seigneur, um sich darum zu kümmern und von dem Olymp herabzusteigen zu den allerdings dunkeln und trüben Regionen des Journalismus, für welche man in Oesterreich überhaupt noch eine souveräne Verachtung hat.«

»Ja, ja,« sagte der Kaiser nachdenkend, – »diese legitime Diplomatie lebt und webt auf ihren olympischen Höhen, ohne sich zu kümmern um das, was da unten vorgeht im irdischen Staub, – und doch wird sie da unten gemacht, diese öffentliche Meinung, diese unfaßbare Macht mit der Proteusgestalt, welche die Fäden zieht an dem verhängnißvollen Webestuhl des ewigen Fatums, jener dunkeln Gewalt, deren Richterspruch die stolzen Götter des Olymps in den Tartarus schleudert!«

»Uebrigens,« sagte Pietri lächelnd, »wird doch etwas österreichische öffentliche Meinung gemacht – in sehr langen, sehr vornehmen und diplomatischen Artikeln plaidirt das Mémorial diplomatique –«

»Debraux de Saldapenha?« fragte der Kaiser lächelnd.

»Zu Befehl, Majestät!«

»Uebrigens,« sagte Napoleon, indem er die herabgefallene Cigarrenasche von seinem Beinkleide stäubte, »kann doch ein kleines Gegengewicht nicht schaden, – lassen Sie,« fuhr er fort, »einige Artikel hie und da erscheinen, welche auf die Nothwendigkeit aufmerksam machen, die Stellung Oesterreichs in Europa nicht schwächen und zu sehr herabdrücken zu lassen. – Hören Sie wohl – in Europa – von Deutschland darf keine Rede sein, – und die Artikel müssen in ihrer ganzen Art und Weise den Stempel offiziösen österreichischen Ursprungs tragen – der Journalismus selbst muß glauben, daß sie dorther kommen. – Sie wissen das zu machen?«

»Vollkommen, Sire,« erwiederte Pietri.

»Da hat mir Laguerronière,« fuhr der Kaiser fort, »von einem sehr geschickten kleinen Journalisten gesprochen – Escudier– er hat Relationen in Oesterreich, – verwenden Sie ihn dazu, – überhaupt,« fuhr er fort, »müssen wir unser journalistisches Kontingent verstärken, – unsere Cadres haben sich gelichtet – und wir werden eine Campagne machen müssen. Denken Sie darüber nach!«

Pietri verneigte sich.

Der Kammerdiener meldete: »Seine Excellenz Herr Drouyn de Lhuys.«

Der Kaiser neigte den Kopf, – warf nach einem letzten Zug seine Cigarre fort und sagte zu seinem Sekretär: »Bleiben Sie in der Nähe – ich werde Ihrer noch bedürfen.«

Pietri entfernte sich durch die große schwere Portière, welche zu der nach seinem Zimmer herabsteigenden Treppe führte.

Kaum hatten sich die Falten des Vorhangs hinter ihm geschlossen, so trat Herr Drouyn de Lhuys in das Zimmer des Kaisers, ernst und ruhig wie immer, sein Portefeuille unter dem Arm.

»Guten Morgen, mein lieber Minister,« rief Napoleon III., langsam aufstehend und ihm die Hand reichend, – »nun, sind Sie zufrieden mit dem Gang der Dinge und der Stellung, welche uns die Politik des Abwartens geschaffen hat?«

»Nicht zu sehr, Sire,« erwiederte Drouyn de Lhuys ernst und ruhig.

Eine Wolke flog über die Stirn des Kaisers. Dann sagte er mit freundlichem Lächeln:

»Sie sind der unverbesserliche Pessimist, mein lieber Minister, – was können Sie denn noch mehr verlangen, – sind wir nicht in diesem Augenblick der Schiedsrichter von Europa?«

»Ein Schiedsrichter, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys unerschütterlich, »der noch nicht weiß, ob die Parteien seinen Spruch acceptiren. Der beste Schiedsrichter ist der, der sein Schwert in die Wagschale wirft, und Brennus, der Ahnherr der Gallier, hat uns dazu das Vorbild gegeben!«

»Fast müßte ich glauben, den feurigsten meiner Marschälle zu hören und nicht meinen Staatssekretär der auswärtigen Angelegenheiten,« sagte der Kaiser lächelnd, – »doch,« fuhr er fort, »ernsthaft gesprochen, – warum sind Sie nicht zufrieden, – ich weiß wohl, daß wir uns da vor einer Reihe schwieriger und verwickelter Negoziationen befinden, aber –« sagte er verbindlich, »sollte Sie das erschrecken, den vielgewandten Staatsmann, der für alle solche Labyrinthe den Faden der Ariadne zu finden weiß? – Ich glaube« – und er rieb sich vergnügt die Hände – »daß wir gewonnenes Spiel haben, sobald wir die Dinge nur auf das Feld langer Negoziationen bringen können. Was ich am meisten fürchte, das sind die plötzlich daherstürzenden Ereignisse. Sie schließen die Logik, die Kombination, die Waffen des Geistes aus.«

Drouyn de Lhuys schwieg einen Augenblick und ließ sein Auge ruhig auf dem lebhafter als sonst bewegten Gesicht des Kaisers ruhen.

»Ich weiß,« sagte er dann, »daß Eure Majestät es lieben, gordische Knoten zu schürzen, – aber Sie vergessen, daß wir es hier mit einem Manne zu thun haben, der sehr geneigt ist, solche künstlichen Gewebe mit dem Schwerte zu durchhauen, und – der ein sehr scharfes Schwert in der Hand hat!«

»Aber mein lieber Minister,« sagte der Kaiser – »Sie werden doch nicht wollen, daß ich in diesem Augenblick, – wo meine Vermittlung acceptirt ist, mit dem Degen in der Hand zwischen die Parteien treten soll?«

»Nicht in der Hand, Majestät,« erwiederte Drouyn de Lhuys, – »aber jedenfalls mit einem scharfen Schwert an der Seite! – Sire,« fuhr er fort, »der Augenblick ist ernst, die französische Vermittlung kann keine platonische sein, – Eure Majestät müssen sich klar machen, was Sie durch Ihre Intervention erreichen wollen.«

»Zunächst jedenfalls, daß dieser unangenehme Lärm der Kanonen in Deutschland aufhört, – der alle ruhige und vernünftige Diplomatie unmöglich macht. Cedant arma togae! – Und dann – doch was ist Ihre Meinung über die Lage und das, was wir thun sollen?« unterbrach er sich, indem seine halbgeschlossenen Augen sich öffneten und der volle Blick seiner phosphorisch leuchtenden Pupille auf den Minister fiel.

Und er setzte sich, indem er mit der Hand Drouyn de Lhuys einen Fauteuil bezeichnete.

»Sire,« sagte dieser, indem er sich niederließ – »Eure Majestät müssen sich klar machen, was Sie den bereits vollzogenen Ereignissen in Deutschland gegenüber thun wollen. Zwei Wege sind möglich, und ich werde mir erlauben, sie vor Eurer Majestät zu analysiren. – Nach den Mittheilungen Benedetti's, nach den Andeutungen des Grafen Goltz ist es zweifellos, daß Preußen den ungeheuren Erfolg seiner Waffen, bei welchem – man muß es anerkennen – die Monarchie der Hohenzollern viel – vielleicht ihre Existenz – eingesetzt hat, vollständig ausnützen will.« –

Der Kaiser nickte zustimmend.

»Nach meinen Informationen und meiner Ueberzeugung von dem Charakter des Grafen Bismarck wird man nicht nur die Ausschließung Oesterreichs aus den deutschen Angelegenheiten, nicht nur die preußische Führung in Deutschland, wenigstens bis zum Main, verlangen, – man wird auch eine territoriale Vergrößerung beanspruchen, man wird Hannover, Hessen und Sachsen annektiren wollen.«

Der Kaiser richtete den Kopf in die Höhe.

»Hessen,« sagte er, – »das berührt mich nicht, – Hannover, – ich habe Achtung vor dem König Georg und wahrhafte Sympathie für ihn, seit ich ihn in Baden-Baden kennen gelernt, – indeß das mag man mit England ausmachen, – Sachsen,« sagte er, leicht mit den Fingerspitzen seinen Schnurrbart drehend, »das ist etwas Anderes, – das berührt die Tradition meines Hauses – doch,« unterbrach er sich, »fahren Sie fort!«

»Oesterreich,« sagte Drouyn de Lhuys, ruhig seinen Vortrag wieder aufnehmend – »wird diese Forderungen zugestehen müssen, denn es ist außer Stande, den Kampf wieder aufzunehmen und fortzuführen. Die Südarmee rückt zu langsam herauf, und auf Ungarn – alle meine Agenten bestätigen das – kann man sich nicht verlassen, – es wird also nur von dem Entschluß Frankreichs abhängen, ob die preußischen Forderungen gewährt werden oder nicht.«

Der Kaiser schwieg.

»Eure Majestät können,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »dieser Lage der Dinge gegenüber zwei Wege einschlagen.«

Napoleon III. horchte gespannt auf.

»Einmal,« sagte Drouyn de Lhuys, »können Eure Majestät sagen: der deutsche Bund, welcher unter der völkerrechtlichen Garantie Europas stand, ist aufgelöst und alle deutschen Fürsten sind damit einfach europäische Souveräne geworden, welche die Alliirten Frankreichs sind. Frankreich verbietet eine durchgreifende und das deutsche und europäische Gleichgewicht störende Veränderung ihres Besitzstandes und ihrer Souveränetät. Eure Majestät können eine Scheidung des deutschen Bundes in eine norddeutsche und eine süddeutsche Gruppe, – die erste unter preußischer, die zweite unter österreichischer Führung gestatten, jede weitere Veränderung aber verbieten. – Dieß ist der Weg,« fügte der Minister hinzu, »welchen ich Eurer Majestät einzuschlagen rathen würde.«

Der Kaiser bog sich sinnend zusammen.

»Und wenn Preußen diesen Vorschlag – oder diesen Schiedsspruch nicht annimmt?« fragte er.

»Dann müßten Eure Majestät an den Rhein marschiren und dem Beispiel des Brennus folgen,« sagte Drouyn de Lhuys.

»Was würde ich gewinnen?« fragte der Kaiser. »Würde dieß zweigetheilte Deutschland nicht stets bereit sein, sich gegen Frankreich zu einigen, vielleicht stärker organisirt in seinen zwei Hälften, als es jemals im alten deutschen Bunde gewesen? – Und der andere Weg?« – fragte er dann.

»Wenn Eure Majestät nicht wollen, was ich so eben vorgeschlagen,« sagte Drouyn de Lhuys, – »dann muß nach meiner Ueberzeugung Frankreich thun, Deutschland gegenüber, was es Italien gegenüber gethan hat, – es muß den Ereignissen ihren Lauf lassen, die ganze oder theilweise nationale Einigung unter Preußen sich vollziehen, die territorialen Vergrößerungen Preußens geschehen lassen – und seinerseits – Kompensationen fordern.«

Die Augen des Kaisers leuchteten auf.

»Und welche Kompensationen würden Sie fordern?« fragte er.

»Benedetti behauptet,« sagte Drouyn de Lhuys, »daß in Berlin große Geneigtheit bestände, uns die Erwerbung Belgiens zuzugestehen.« –

Der Kaiser nickte zustimmend.

»Ich würde,« fuhr der Minister fort, »für eine Politik in dieser Richtung nicht stimmen – wir würden dadurch an militärischen Positionen wenig gewinnen und uns große Verwickelungen mit England aufbürden.«

Der Kaiser zuckle leicht die Achseln.

»Aber Belgien ist französisch,« sagte er.

»Sire,« erwiederte Drouyn de Lhuys, – »mit demselben Recht ist der Elsaß deutsch!«

»Ah bah!« machte der Kaiser wie unwillkürlich, – »doch,« sagte er, »wo würden Sie Ihre Kompensationen suchen?«

»Sire,« erwiederte Drouyn de Lhuys, »wenn Deutschland sich in militärischer und politischer Einigung unter Preußens Führung konstituirt, so ist es in seiner neuen Macht eine ernste Drohung gegen Frankreich, eine Gefahr für unsere Macht, ja für unsere Sicherheit. – Wir müssen also unsererseits Garantieen gegen eine aggressive Politik des neukonstituirten Deutschlands verlangen. – Zunächst,« fuhr er fort, als der Kaiser schwieg, – »müssen wir, – und das ist in der That eine billige und mäßige Forderung, die Herstellung der französischen Grenzen in denjenigen Linien verlangen, wie sie der wiener Kongreß im Jahre 1814 gezogen.«

Der Kaiser neigte lebhaft das Haupt.

»Dann, Sire,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, indem er sein klares Auge fest auf den Kaiser richtete, »müssen wir Luxemburg und Mainz haben.«

»Das ist viel!« sagte der Kaiser ohne aufzublicken.

»Aber gewiß nicht zu viel!« erwiederte Drouyn de Lhuys. – »Luxemburg ist außerdem nur eine Frage zwischen uns und Holland und bedarf nur der stillschweigenden preußischen Zustimmung, – Mainz – nun – man kann darüber transigiren, jedenfalls ist es besser, mehr zu fordern, als man unbedingt haben will. – Das ist meine Ansicht über die Kompensationen,« sagte er nach einem kurzen Stillschweigen.

»Und sie ist die meinige!« sprach der Kaiser, sich erhebend – und mit seinem langsamen, in den Hüften wiegenden Gang machte er einige Schritte im Zimmer.

Dann blieb er vor Drouyn de Lhuys stehen, der sich ebenfalls erhoben hatte, und sprach:

»Ich bedaure, mein lieber Minister, daß ich mich nicht entschließen kann, den ersten der von Ihnen bezeichneten Wege zu gehen, – obgleich derselbe Ihnen der richtigste scheint.«

»Ich habe die beiden Wege als vorgezeichnete Alternative hingestellt, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys sich verneigend, »und – obwohl ich den ersteren vorziehen würde – doch dem zweiten die vollste Berechtigung zuerkannt!«

»Gehen wir also den zweiten,« sagte der Kaiser, »lassen wir Herrn von Bismarck Deutschland so gut er kann einigen, und stärken wir die Macht Frankreichs so sehr wir es vermögen. Schreiben Sie also sogleich an Benedetti, daß er sich in das preußische Hauptquartier begebe und zunächst einfach einen Waffenstillstand vermitteln solle – damit nur erst einmal diese Kanonen schweigen und Raum für eine ruhige Verhandlung wird. Dann soll er in vertraulicher Unterredung mit Herrn von Bismarck die Kompensationsfrage anregen und Luxemburg und Mainz dabei erwähnen.«

Drouyn de Lhuys verneigte sich.

»Aber ohne sich zu sehr zu engagiren – ohne irgend ein Ultimatum zu stellen, – ich will die Hand frei behalten« – fuhr der Kaiser lebhaft fort. –

»Unsere Interessen können nur gewahrt werden, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys, »wenn unsere Sprache fest und unsere Haltung entschlossen ist –«

»Das soll sie auch sein,« rief der Kaiser, – »aber man muß doch nicht mit dem Ultimatum anfangen. Lassen Sie Benedetti sondiren und schleunigst berichten, wie seine Aeußerungen ausgenommen sind!«

»Und was wollen Eure Majestät Oesterreich sagen?« fragte Drouyn de Lhuys.

»Daß wir uns die größte Mühe geben würden, den Frieden so günstig als möglich zu vermitteln, und daß der Territorialbestand und die europäische Stellung Oesterreichs gewahrt werden solle. Man muß,« fügte er hinzu, »in Wien rathen, für alle Fälle die Maßregeln zum ferneren Widerstand auf dem militärischen Gebiet fortzusetzen, – wer weiß – es kann da immer noch eine Wendung eintreten und jedenfalls kann eine feste Haltung Oesterreichs und die Vermehrung der Schwierigkeiten, welche Preußen nach jener Seite noch findet, uns nur vortheilhaft sein.«

»Ich bin ganz der Meinung Eurer Majestät und werde sogleich in diesem Sinne an den Herzog von Gramont schreiben. – Nun aber,« fuhr er fort, »muß ich Eurer Majestät noch mittheilen, daß soeben Herr von Beust angekommen ist und um eine Audienz bittet.«

»Herr von Beust, der sächsische Minister?« fragte der Kaiser erstaunt.

»Er ist in Paris seit heute Morgen und war bei mir, ehe ich hierher kam,« sagte Drouyn de Lhuys.

»Und was will er?« fragte der Kaiser.

»Eurer Majestät Schutz für Sachsen anrufen.«

»Ich will ihn sogleich sehen,« sagte Napoleon nach kurzem Nachdenken – »aber ohne Ceremoniell!«

»Das wünscht auch Herr von Beust, Majestät!«

»Bitten Sie ihn, sich durch den Oberst Favé, der den Dienst hat, melden zu lassen, – ich werde den Obersten instruiren, daß er ihn ohne Aufsehen hierher führt.«

»Sehr wohl, Sire, – ich erwarte heute oder morgen den Prinzen Reuß, welchen der König von Preußen mit einem Briefe an Eure Majestät vom Hauptquartier zu Pardubitz abgesendet hat.«

»Von wo?« fragte der Kaiser.

»Von Pardubitz, Sire,« wiederholte Drouyn de Lhuys mit langsamer Betonung.

»Welche Namen!« rief Napoleon, – »und wissen Sie, was er bringt?«

»Die Grundzüge des Friedens,« sagte Drouyn de Lhuys, »ohne deren vorgängige Genehmigung der König keinen Waffenstillstand schließen will. So sagte mir Graf Goltz, der durch ein Telegramm von der Absendung des Prinzen avertirt ist.«

»Und waren dem Grafen Goltz jene Grundzüge bekannt?« fragte der Kaiser weiter.

»Nach seiner vorläufigen und allgemeinen Instruktion nehme ich an, daß es diejenigen sind, welche ich Eurer Majestät vorhin mittheilte. Ausschließung Oesterreichs aus Deutschland, preußische Führung und Annexion der zwischen den beiden Theilen der preußischen Monarchie liegenden Gebiete,« erwiederte Drouyn de Lhuys.

»Nun dann wird seine Ankunft in unserer Politik nichts ändern können,« – sagte der Kaiser, – »warten wir ihn ab.«

»Ich erlaube mir nochmals, Eure Majestät darauf aufmerksam zu machen,« sprach der Minister mit entschiedenem Tone, indem er seinen Blick durchdringend auf dem Kaiser ruhen ließ, »daß, welche Politik Frankreich auch befolgen möge, unsere Interessen nur dann gewahrt werden können, wenn unsere Sprache sehr fest und unsere Haltung sehr entschlossen ist.«

»Das soll sie sein,« sagte der Kaiser, »im Grunde der Dinge, – die Form der Anbahnung der Negoziation muß aber vorsichtig gemacht werden, – lassen Sie das Benedetti wissen.«

»Es ist um so mehr Grund vorhanden, fest aufzutreten,« sagte Drouyn de Lhuys, »als für Preußen vielleicht eine neue Verlegenheit emporsteigt, welche den berliner Hof um so mehr wird wünschen lassen, sich mit uns zu arrangiren. – Man hat mir,« fuhr er fort, »einen Artikel des offiziösen Journal de St. Petersburg gesendet, in welchem ausgeführt ist, daß ein Waffenstillstand wohl eine definitive Versöhnung bringen könne, wenn nicht Jemand in Deutschland wäre, der sich stark genug glaubte, Europa die Zustimmung zu seiner Eroberung Deutschlands aufzudrängen, indem er vergißt, daß noch in Europa starke gesammelte Mächte existiren, welchen das europäische Gleichgewicht kein leerer Wortklang ist.«

Und Drouyn de Lhuys nahm aus seinem Portefeuille ein Zeitungsblatt, das er dem Kaiser reichte.

Dieser nahm es, warf einen flüchtigen Blick darauf und legte es auf den Tisch.

»Das ist deutlich!« sagte er lächelnd – »und die Adresse, an welche die Mahnung gerichtet ist, kann nicht zweifelhaft bleiben!«

»Baron Talleyrand berichtet, daß dieser Artikel der Ausdruck der Gesinnung in den Hofkreisen ist,« sagte Drouyn de Lhuys, »und daß, wenn auch der Kaiser und Fürst Gortschakoff große Reserve beobachten, sie doch unverkennbar mit großer Besorgniß die tief einschneidende Katastrophe in Deutschland beobachten.«

»Vortrefflich, vortrefflich,« rief der Kaiser, – »instruiren Sie Talleyrand, daß er diese Stimmung auf jede Weise unterhalte. – Er muß,« fügte er nach einigem Nachdenken hinzu, »besonders darauf hinweisen, daß das Interesse Rußlands und Frankreichs gemeinsam sei, zu verhindern, daß Deutschland sich zu einer konzentrirten Militärmacht in der Hand Preußens einige.«

»Ich habe eine Instruktion in diesem Sinne vorbereitet, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys, »indem ich glaubte, diese Intentionen Eurer Majestät voraussetzen zu dürfen.«

»Und,« sagte der Kaiser, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen – doch unterbrach er sich schnell und sprach lächelnd:

»Sie sehen, mein lieber Minister, wie sich Alles vereint, um die Fäden der europäischen Situation wiederum in unsere Hände zu legen, – wir haben ja wirklich fast die Resultate einer gewonnenen Schlacht, und das ohne einen Schuß gethan und einen Franken ausgegeben zu haben!«

»Ich werde mich freuen, wenn Alles zu einem glücklichen Ende geführt ist,« erwiederte Drouyn de Lhuys, indem er sein Portefeuille schloß.

»Und vergessen Sie nicht,« sagte der Kaiser in verbindlichem Tone, indem er die Worte seines Ministers wiederholte, – »daß unsere Sprache fest und unsere Haltung entschlossen sein muß!«

Er reichte dem Minister die Hand.

»Ich werde also Herrn von Beust sogleich hierher senden, Sire,« sagte der Minister, indem er sich zum Fortgehen anschickte.

»Thun Sie das« – erwiederte der Kaiser, »und sobald etwas Neues sich ereignet, erwarte ich Sie.«

Und mit verbindlichem Lächeln that er einen Schritt nach der Thür, durch welche Drouyn de Lhuys sich mit tiefer Verneigung entfernte.

Der Kaiser ging einige Male nachdenkend im Kabinet auf und nieder. Dann näherte er sich der Portière, welche die geheime Treppe maskirte, und rief:

»Pietri!«

Unmittelbar darauf erschien der Gerufene.

»Kennen Sie diesen Artikel des Journal de St. Petersbourg?« fragte der Kaiser, seinem Sekretär das Zeitungsblatt reichend, welches er von Drouyn de Lhuys erhalten.

»Ich kenne ihn,« erwiederte Pietri, indem er einen flüchtigen Blick darauf warf, »und er lag bereit, um ihn Eurer Majestät mitzutheilen.«

»Alles geht vortrefflich,« sagte der Kaiser sich die Hände reibend, – »wir müssen diese Schwierigkeit, welche sich da vom Osten her für die Sieger von Königgrätz erhebt, so sehr als möglich verstärken. – Ich habe Talleyrand anweisen lassen, die Identität der französischen und russischen Interessen zu betonen.«

Pietri verneigte sich.

Der Kaiser drehte ein wenig die Spitze seines Bartes.

»Sie können ihm ganz vertraulich schreiben,« fuhr er dann fort, »daß es kein Bedenken habe, in geeigneter und sehr vorsichtiger Weise die Idee transpiriren zu lassen, daß seit 1854 und 56 die europäische Lage sich sehr verändert habe und daß eine Verständigung Frankreichs und Rußlands über die orientalischen Angelegenheiten jetzt vielleicht möglich und erwünscht wäre. – Sollte sich aus gemeinsamer Behandlung der deutschen Angelegenheiten eine nähere Verständigung entwickeln, so würde eine Revision des pariser Vertrages hier vielleicht keinen Widerstand finden. – Aber ganz privatim,« fuhr er mit Betonung fort, – »ohne sich irgend zu engagiren und in strengster Diskretion.«

»Sehr wohl – es wird sogleich geschehen,« sagte Pietri.

»Sire,« fuhr er nach einem Augenblick des Wartens fort, als der Kaiser schwieg, »Herr Klindworth ist da und wünscht Eure Majestät zu sehen.«

»Klindworth?« rief der Kaiser lächelnd,– »dieser alte Sturmvogel konnte ja auch in der großen Krise nicht fehlen, welche so mächtigen Wellenschlag in die europäische Politik gebracht hat! Was bringt er?«

»Er kommt von Wien und will Eurer Majestät viel Interessantes mittheilen.«

»Interessantes bringt er immer und gute Gedanken hat er sehr oft,« rief der Kaiser, – »führen Sie ihn sogleich her!«

Pietri stieg die Treppe hinab und wenige Augenblicke darauf erschien der Staatsrath Klindworth unter der schweren, dunklen Portière, welche der geheime Sekretär nach seinem Eintritt wieder zufallen ließ.

Der Kaiser und Klindworth waren allein. Der Staatsrath stand da in derselben Haltung, in demselben braunen Rock und derselben weißen Kravatte, wie im Kabinet des Kaisers Franz Joseph, – den Blick gesenkt wartete er nach tiefer Verneigung auf die Anrede des Kaisers.

»Seien Sie willkommen, mein lieber Herr Klindworth,« sagte Napoleon mit dem ihm eigenen, so gewinnenden und liebenswürdigen Ausdruck, – »kommen Sie und setzen Sie sich zu mir, damit wir über diese merkwürdigen und stürmischen Ereignisse plaudern, welche die ganze Welt in Unruhe versetzen.«

Er ließ sich in seinen Lehnstuhl nieder und der Staatsrath setzte sich mit einem schnellen Aufblick, der den Ausdruck der Physiognomie des Kaisers prüfend überflog, ihm gegenüber.

Napoleon öffnete ein kleines Etui, drehte mit großer Geschicklichkeit eine Cigarrette von türkischem Tabak und zündete sie an der auf dem Tisch stehenden Kerze an.

»Ich freue mich,« sagte der Staatsrath, »in dieser großen Katastrophe Eure Majestät so wohl und so heiter zu finden. Seine Majestät der Kaiser Franz Joseph wird sehr erfreut sein, wenn ich ihm berichten kann, wie vortrefflich sich Eure Majestät befinden.«

»Sie kommen vom Kaiser Franz Joseph?« fragte Napoleon aufhorchend.

»Sie wissen, Sire,« sagte der Staatsrath, die Hände über der Brust faltend, – »ich bin kein Ambassadeur, – ich bin kein Mann der Repräsentation, – ich bin eben nur der alte Klindworth, der das Glück hat, daß die allerhöchsten Herrschaften ihm ihr Vertrauen schenken und der dann so viel als möglich seinen alten, gesunden Menschenverstand in dieser diplomatischen Welt zur Geltung zu bringen sucht, in der ja leider so viel unreifer Unsinn geschieht.«

Der Kaiser lachte, indem er dicke Wolken aus seiner Cigarrette blies.

»Und darum kommen Sie, ein wenig den Unsinn zu korrigiren, den man in den Tuilerieen machen könnte?« fragte er.

»Wenn Eure Majestät von den Tuilerieen sprechen,« sagte Klindworth, »so muß ich schweigen, sagen Sie aber am Quai d'Orsay, – so sage ich nicht nein, – dort könnte man ein wenig guten Rath immer brauchen!«

Der Kaiser lachte noch mehr. »Nun,« fragte er, »welchen Rath würden Sie denn am Quai d'Orsay geben, vielleicht kann ich ihn unterstützen?«

Ein scharfer Blick schoß aus dem Auge des Staatsraths herüber. Er trommelte leicht mit den Fingern der rechten Hand auf der äußern Fläche der linken und sprach:

»Ich würde Eurer Majestät Ministern und Diplomaten das alte Wort zurufen: Videant Consules ne quid detrimenti capiat res publica

Der Kaiser wurde plötzlich ernst, sein Auge trat scharf und glänzend aus der verschleierten Hülle der Lider hervor und richtete sich mit brennendem Ausdruck auf den Staatsrath, der ohne eine Muskel zu bewegen da vor ihm saß.

Dann lehnte er sich in seinen Fauteuil zurück, blies langsam eine dichte Rauchwolke von sich und fragte in ruhigem Ton:

»Glauben Sie denn, daß die Sachen so schlimm stehen? – Nachdem sich der Kaiser zur Abtretung von Venetien entschlossen hat, werden alle seine Streitkräfte frei und das Kriegsglück kann sich wenden.«

»Ich glaube nicht, daß es sich wendet, Sire,« sagte Klindworth ruhig, – »und Eure Majestät müssen meiner Ueberzeugung nach Sorge tragen, daß diese Niederlage später wieder ausgeglichen werde.«

»Diese Niederlage?« fragte Napoleon, sich stolz aufrichtend, indem er den Schnurrbart durch die Finger gleiten ließ.

»Sire, bei Königgrätz ist Frankreich eben so sehr geschlagen als Oesterreich,« sagte der Staatsrath.

Der Kaiser schwieg.

»Glauben Eure Majestät,« fuhr der Staatsrath fort, »daß es dem Prestige Frankreichs, – des kaiserlichen Frankreichs nützlich sein kann, wenn ohne sein Zuthun mitten in Europa alle Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden, wenn sich da eine große, preußischdeutsche Militärmonarchie erhebt ohne Frankreichs Einschreiten? – Die Kabinette Europas werden dadurch lernen, ihre Angelegenheiten ohne Frankreich zu besorgen, und Eure Majestät werden besser als ich ermessen, welchen Eindruck das auf die französische Nation machen wird.«

Der Kaiser sann nach. Dann fragte er ernst und ruhig:

»Was denkt der Kaiser Franz Joseph zu thun und was erwartet er von mir?«

Der Staatsrath zeigte nicht die mindeste Verwunderung über diese plötzliche direkte Frage, welche der ganzen Unterhaltung einen so vollständig andern Ton gab.

»Der Kaiser,« sagte er, »ist entschlossen, den Kampf auf das Aeußerste fortzusetzen. Er hofft durch das Heraufziehen der Südarmee die nöthigen Kräfte zu gewinnen, um die Aktion wieder aufzunehmen, – er hofft auf Ungarn –«

Napoleon schüttelte leicht den Kopf.

»Er hofft,« fuhr Klindworth fort, »daß die Verhandlungen über den Waffenstillstand ihm die nöthige Zeit zur Erholung gewähren werden und daß dann die Höhe der preußischen Forderungen den Frieden unmöglich machen werde, – er erwartet, daß dann Eure Majestät an den Rhein rücken, Oesterreich degagiren und Preußen von der durch den Sieg bei Königgrätz plötzlich erklommenen Höhe herabstürzen werden.«

Der Kaiser schwieg einen Augenblick.

»Sollten,« fragte er dann, ohne aufzublicken, »in dieser Reihe von Erwartungen nicht einige erhebliche Schwierigkeiten liegen?«

»Wenn Eure Majestät sie sieht,« sagte Klindworth, – »so sind sie gewiß da.«

»Und sehen Sie sie nicht?« fragte der Kaiser.

»Sire,« erwiederte Klindworth, »ich habe den Befehl erhalten, Eure Majestät zum schnellen Einschreiten mit gewaffneter Hand zu bewegen, – das ist mein Auftrag, – wenn Eure Majestät mir darauf eine Antwort gegeben haben, so werde ich, – wenn Sie es befehlen, meine Meinung sagen.«

»Sie unterscheiden scharf,« sagte der Kaiser lächelnd, – »nun wohl,« fuhr er fort, langsam seine Cigarrette zwischen den Fingern drehend, – »ich will ohne Rückhalt sprechen, – der Kaiser kann überzeugt sein, daß ich ein starkes Oesterreich für die Ruhe und das Gleichgewicht Europas unerläßlich halte und daß ich jede Störung dieser europäischen Stellung Oesterreichs mit der ganzen Macht Frankreichs verhindern werde, – wenn dieß nöthig sein sollte. Ich glaube indeß, daß vorläufig dieser äußerste Moment noch nicht eingetreten ist und daß es vielleicht mehr schädlich als nützlich wäre, wenn meine bewaffnete Einmischung – zu der in diesem Augenblick kein Grund vorhanden ist, die deutsche Frage zu einer europäischen Krisis hinaufschrauben würde.«

Klindworth hatte aufmerksam zugehört, jedes der langsam gesprochenen Worte des Kaisers mit einem stummen Neigen des Kopfes begleitend.

»Eure Majestät wollen abwarten,« – sagte er dann, – »und sich möglichst lange die freie Hand erhalten, jedenfalls aber Gebietsabtretungen Oesterreichs selbst verbieten.«

Der Kaiser nickte leicht mit dem Kopf.

»Doch bleibt ein Eingreifen in die Verhältnisse durchaus nicht ausgeschlossen,« sagte er, – »man muß vor Allem in Wien jede Anstrengung machen, um die militärische Lage der Dinge zu Gunsten Oesterreichs zu ändern.«

»Ich verstehe vollkommen, Sire,« sagte der Staatsrath.

»Doch nun, mein lieber Herr Klindworth,« fuhr der Kaiser fort, indem er den Rest seiner Cigarrette in eine kleine Porzellanvase warf und sich mit großer Aufmerksamkeit und Sorgfalt an die Herstellung einer neuen machte, – »Sie wollten mir Ihre Meinung sagen, nachdem Sie meinen Entschluß gehört haben!«

Und er neigte den Kopf leicht auf die Seite und. blickte Klindworth erwartungsvoll an.

»Meine Meinung, Sire,« sagte der Staatsrath, »ist die, daß Eure Majestät vollkommen Recht haben!«

Ein gewisses Erstaunen zeigte sich im Gesicht des Kaisers.

»Eure Majestät haben ganz Recht,« wiederholte, der Staatsrath, indem er einen kurzen lauernden Blick hinüberschießen ließ, »denn erstens,« sagte er in fast gleichgültig hingeworfenem Ton, »gibt Ihnen das Abwarten die Chance, Kompensationen für Frankreich zu erlangen.«

Die Augenlider des Kaisers schlossen sich fast ganz – er hatte seine Cigarrette vollendet, zündete sie an der Kerze an und blies eine dichte Rauchwolke vor sich in die Luft.

»Dann aber,« fuhr der Staatsrath fort, seine erste Bemerkung fallen lassend und die Stimme etwas erhebend, »haben Eure Majestät doppelt Recht, daß Sie in diesem Augenblick ein brüskes Eingreifen zurückweisen, – Sie würden Frankreich und auch Oesterreich damit wenig nützen.«

Der Kaiser hörte gespannt zu.

»Wenn Eure Majestät jetzt mit gewaffneter Hand in die deutschen Angelegenheiten eingreifen,« sagte Klindworth mit den Fingern trommelnd, »so sind zwei Fälle möglich. – Entweder Preußen fügt sich und die Dinge bleiben – abgesehen von der Theilnahme Preußens am Präsidium des Bundes und von einigen Territorialvergrößerungen – im Wesentlichen so wie sie waren, – nur wird Preußen eine ungeheure moralische Waffe in die Hand gegeben. Man wird dem deutschen Volke unausgesetzt erzählen, daß die Einigung Deutschlands durch Frankreich verhindert ist, daß Oesterreich den Nationalfeind zu Hülfe gerufen, und da man ja jetzt in Deutschland schreiben und reden und singen darf, was man will, und die Schriften und Reden und Lieder in Berlin gemacht werden, so wird Oesterreich beim deutschen Volke moralisch vollständig vernichtet werden und bei einer künftigen Gelegenheit, – wenn Frankreich vielleicht in anderer Richtung beschäftigt ist, wird die vollständig reife Frucht den Hohenzollern in die Hände fallen.«

Der Kaiser drehte leicht den Schnurrbart und nickte mehrmals leicht mit dem Kopf.

»Oder,« fuhr der Staatsrath fort, – »und dieß ist bei dem Charakter der leitenden Personen das Wahrscheinlichere, – Preußen fügt sich nicht und nimmt den Kampf trotz der ungeheuren Dimensionen desselben auf. Dann befürchte ich, daß es Herrn von Bismarck gelingt, einen Nationalkrieg zu entflammen und das vereinte Deutschland gegen Frankreich zu führen.«

»Sollte das bei der Stimmung in Deutschland möglich sein?« fragte der Kaiser.

»Sire,« sagte Klindworth, – »wenn ein bewegtes Wasser im Winter nicht zusammenfrieren will, – so wirft man Eisenstäbe hinein und sofort bildet sich die Eisrinde. Das französische Schwert in die deutsche Bewegung geworfen, würde bewirken, was jene Eisenstäbe thun, die Wellen würden still stehen und sich zu fester Masse vereinigen.«

»Aber die Süddeutschen?« fragte der Kaiser, – »Völker und Regierungen?«

»Sie haben jetzt schon die Hoffnung auf Oesterreich verloren,« sagte Klindworth – »sie fühlen sich in der Hand Preußens, mit einigen Versprechungen, mit einigen freundlichen und drohenden Worten wird es nicht schwer sein, sie auf jene Seite hinüberzuziehen, zu der sie – davon bin ich überzeugt – jetzt schon den anständigen und ehrenvollen Uebergang suchen.«

Der Kaiser schwieg.

»Dagegen,« fuhr Klindworth sich belebend fort, »wenn jetzt Preußen erreichen darf, was es will, – das heißt zunächst und wesentlich territoriale Vergrößerungen, – die vollständige Annexion von Hannover, von Hessen u. s. w., – wenn dann nur durch mäßig angewandten Druck die souveräne Selbstständigkeit der Süddeutschen gewahrt wird, – so ist das Resultat nicht die Einigung der deutschen Nation, dieß populäre Ideal aller Turner, Sänger und Biertrinker, – sondern im Gegentheil die Spaltung derselben und es bleibt als Preis so vielen Blutes nur die Vergrößerung Preußens. Die sittliche Entrüstung, diese Emotion, welche der Deutsche so sehr liebt, wird sich gegen Preußen richten und die Sympathie der Nation Oesterreich wieder zugewendet werden können.«

»Wird das möglich sein?« fragte der Kaiser.

»Gewiß,« antwortete Klindworth, – »wenn Oesterreich sich mit einem andern Geist durchdringt und eine vernünftige Politik macht mit Benutzung derjenigen Faktoren, die heute nun einmal bewegend und mächtig geworden sind, – leider sage ich – aber man muß mit den wirklichen Größen rechnen!«

»Das heißt?« fragte Napoleon.

»Sire,« sagte Klindworth, »wenn Preußen sich durch Annexionen vergrößert und die Führung in Norddeutschland übernimmt, so wird es gezwungen werden zu einem starren, rücksichtslosen Regiment, – denn leicht werden sich die deutschen Stämme nicht assimiliren – es wird seine eiserne Hand auf Norddeutschland legen und dieselbe zugleich in fortwährender Drohung gegen Süddeutschland erheben müssen. – Dann muß Oesterreich sich erheben in innerlich gekräftigter Macht, als der Hort der partikularen Autonomie und Selbstständigkeit – und der Freiheit.«

Napoleon lächelte.

»Der Freiheit?«

»Warum nicht?« rief der Staatsrath, »man heilt die schwersten Krankheiten durch Anwendung der gefährlichsten Gifte.«

»Wer wird der geschickte Arzt sein,« fragte der Kaiser lachend, »dessen Hand der kranken Austria dieses Gift in richtigen Dosen einflößen kann? – Graf Mensdorff? oder Metternich?«

»Ich glaube diesen Arzt gefunden zu haben,« sagte Klindworth ernst und ohne sich irre machen zu lassen.

Der Kammerdiener trat ein.

»Oberst Favé ist im Vorzimmer, Sire!«

Der Kaiser erhob sich.

»Einen kleinen Augenblick!« sagte er.

Klindworth stand auf und trat dem Kaiser näher.

»Dieser Arzt,« sagte er mit gedämpfter Stimme – »ist Herr von Beust!«

Betroffen und erstaunt blickte der Kaiser ihn an.

»Herr von Beust?« rief er, – »der Protestant? Glauben Sie, daß der Kaiser –«

»Ich glaube es,« sagte Klindworth, – »übrigens ist Herr von Beust hier,« sagte er, indem sein scharfes Auge länger und fester als sonst sich mit durchdringendem Blick auf den Kaiser richtete, »Eure Majestät können ja selbst sondiren, ob meine Meinung begründet ist.«

Napoleon lächelte.

»Wer mit Ihnen spielt,« sagte er, »muß die Karten auf den Tisch legen, – warten Sie bei Pietri, ich möchte Sie noch sehen, nachdem ich mit Ihrem Arzte des künftigen Oesterreichs gesprochen.«

Ein befriedigtes Lächeln umzog die breiten Lippen des Staatsraths, der sich mit tiefer Verbeugung durch die Portière zurückzog.

Der Kaiser schellte.

»Oberst Favé!«

Der Oberst, ein mittelgroßer magerer Mann mit kurzem schwarzen Haar und kleinem Schnurrbart, im schwarzen Ueberrock – halb Militär, halb Hofmann in seiner Haltung, erschien in der Thür. Er hielt den Flügel derselben für den sächsischen Minister geöffnet und entfernte sich wieder, nachdem dieser eingetreten.

Herr von Beust trug einen grauen, weit zurückgeschlagenen Ueberrock von leichtem Sommerstoff über dem schwarzen Frack, auf welchem der weißglänzende Stern der Ehrenlegion sichtbar war. Sein leicht ergrautes Haar war sorgfältig frisirt und gelockt, – das weite schwarze Beinkleid bedeckte fast ganz den auffallend kleinen Fuß im zierlichen Stiefel. Sein feines und geistreiches Gesicht mit dem fast durchsichtigen Teint, dem beredten Munde und den lebhaften, klaren Augen war blasser als gewöhnlich und zeigte heute nicht das ihm sonst eigentümliche freundliche und gewinnende Lächeln. Ein schmerzlicher Zug spielte um seinen Mund und tiefe Abspannung lag auf seinem nervös gezogenen Antlitz.

Er näherte sich dem Kaiser mit jener leichten und sichern Eleganz des vornehmen Hofmannes und verneigte sich schweigend.

Napoleon trat ihm mit verbindlichem Lächeln entgegen und reichte ihm die Hand.

»So schmerzlich auch die Veranlassung sein mag,« sagte er mit sanfter Stimme, – »ich freue mich, den bedeutendsten und geistvollsten Staatsmann Deutschlands bei mir zu sehen!«

»Den unglücklichsten, Sire,« sagte Herr von Beust traurig.

»Der Unglücklichste ist nur der, der die Hoffnung verliert,« antwortete der Kaiser, indem er sich niederließ und Herrn von Beust durch eine Geberde voll anmuthiger Höflichkeit zum Sitzen einlud.

»Sire – ich bin gekommen, um aus Eurer Majestät Munde zu vernehmen, ob ich noch Hoffnung hegen und meinem Souverän bringen kann?«

Der Kaiser ließ die Spitze seines Schnurrbartes durch die Finger gleiten.

»Sagen Sie mir,« sprach er dann, »wie Sie die Lage der Dinge in Deutschland ansehen, – ich bin begierig, ein Bild davon aus Ihrem Munde zu vernehmen, – dem Munde des Meisters in Auffassung und Darstellung –« fügte er mit verbindlichem Lächeln und leichter Neigung des Hauptes hinzu.

Das blasse Gesicht des Herrn von Beust belebte sich.

»Sire,« sagte er, »ich habe mein Spiel verloren! – Ich hoffte,« fuhr er fort, »eine neue föderative Gestaltung des nationalen Lebens in Deutschland zu schaffen, den Ehrgeiz Preußens definitiv in seine Schranken zurückzuweisen und den deutschen Bund zu neuer Kraft und Autorität in freier Entwicklung den Forderungen der Zeit entsprechend hinüberführen zu können, – ich habe mich getäuscht – ich habe ohne die Zerrissenheit Deutschlands, ohne die Schwäche Oesterreichs gerechnet. – Das Spiel ist verloren,« wiederholte er seufzend, – »wenigstens hat Sachsen alles Seinige gethan, um es zu gewinnen.«

»Und ist keine glückliche Wendung des Spiels mehr möglich?« fragte der Kaiser.

»Ich glaube nicht daran,« sagte Herr von Beust. »Man hofft in Wien noch auf die Südarmee, auf eine Wiederaufnahme der Offensive – ich glaube an das Alles nicht, – von einem Schlage, wie der bei Königgrätz, erholt sich ein Staat nicht leicht, selbst wenn sein inneres Leben nicht solcher Stagnation und Fäulniß verfallen ist, wie dasjenige Oesterreichs. – Preußen ist Sieger in Deutschland,« fuhr er fort, »und es wird das Recht des Siegers mit eiserner Hand geltend machen, – wenn nicht ein mächtiges Veto ihm entgegentritt.«

Sein klares Auge richtete sich forschend auf den Kaiser.

»Und Sie glauben, daß ich dieß Veto sprechen sollte, – daß ich es könnte?« fragte Napoleon.

»Sire,« erwiederte Herr von Beust, – »ich spreche zu Eurer Majestät zunächst als Minister Sachsens, als der Diener meines unglücklichen Herrn, der mit dem Verlust des Erbes seines Hauses bedroht ist, – soweit ihm dasselbe noch geblieben ist.«

»Glauben Sie,« warf der Kaiser ein, »daß man wirklich im preußischen Hauptquartier an die Entfernung deutscher Fürsten denkt?«

»Die Einverleibung von Hannover, Hessen und Sachsen ist beschlossen, Sire,« sagte Herr von Beust bestimmt, – »und,« fügte er mit leichtem Achselzucken hinzu, – »man hat in Berlin viel auf's Spiel gesetzt, – es ist vielleicht natürlich, daß man sich nicht mit dem Einsatz begnügen, sondern den Vortheil im Hinblick auf die Zukunft ausnützen will. – Doch,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort – »Hannover und Hessen theilen die preußische Monarchie – Sachsen im Gegentheil scheidet Preußen von Oesterreich und verhindert die unmittelbaren Reibungen, – vor Allem aber sind Hannover und Hessen ihre eigenen Wege gegangen, sie haben sich den wahren Interessen Deutschlands gegenüber in kalter Passivität verhalten, – sie haben endlich im gegenwärtigen Kampf kein Bündniß mit Oesterreich geschlossen, – wenn das Verhängniß sie ereilt, so haben sie zum großen Theil es sich selbst zuzuschreiben. – Die Erhaltung Sachsens ist aber eine Ehrenfrage für Oesterreich – und,« fügte er mit vollem Blick auf den Kaiser hinzu – »vielleicht auch für Frankreich, für das kaiserliche Frankreich, – für den Erben der Macht und des Ruhmes Napoleon I.«

Der Kaiser neigte das Haupt und strich langsam seinen Schnurrbart.

»Sire,« fuhr Herr von Beust fort, indem der Schimmer einer feinen Röthe sein bleiches Gesicht überzog und sein klares, lichtes Auge unablässig auf dem Kaiser ruhte, – »als die Macht Ihres großen Oheims bei Leipzig unter der Hand des Schicksals zusammenbrach, – als so Viele von ihm abfielen, die er erhoben und groß gemacht hatte, da stand der König von Sachsen neben ihm, – ein treuer Freund, der Verbündete des Unglücks. Und schwer hat er diese Treue büßen müssen, mit fast der Hälfte seiner Länder bezahlte er das Festhalten an seinem kaiserlichen Freunde. – Niemals hat der Kaiser das vergessen und noch auf Sankt Helena erinnerte er sich mit Rührung und Schmerz seines edlen Bundesgenossen.«

Der Kaiser neigte das Haupt tiefer und tiefer. Herr von Beust fuhr mit erhöhter Stimme fort:

»Jetzt, Sire, ist der Erbe jenes Fürsten, der Ihrem großen Oheim in seinem Unglück treu zur Seite stand, in Gefahr, den letzten Rest dessen zu verlieren, was ihm von den früheren Besitzungen seines Hauses noch geblieben ist, – der König Johann, der Eurer Majestät stets ein aufrichtiger Freund war, ist in Gefahr, aus dem Erbe seiner Väter vertrieben zu werden, – und – nicht er, Sire, – ich, sein Diener, der die hohen Rücksichten fürstlichen Zartgefühls nicht zu nehmen nöthig hat, wie er, – ich frage Eure Majestät: wird der Erbe der Macht, des Ruhmes und des Namens jenes großen Titanen es schweigend dulden, daß der Nachkomme seines treuesten und letzten Freundes, seines Freundes in Noth und Gefahr, entthront und vertrieben werde?«

Herr von Beust schwieg und blickte in athemloser Spannung auf den Kaiser.

Napoleon erhob das Haupt. Seine Augenlider waren geöffnet. Groß und klar leuchteten seine Pupillen in schimmerndem Glanz, ein eigentümlicher Ausdruck von Stolz und Hoheit lag auf seiner Stirn, ein weiches, melancholisches Lächeln umspielte seinen Mund.

»Mein Herr,« sagte er mit weicher, metallischer Stimme, – »die Freunde meines Oheims sind die meinigen bis in die dritte und vierte Generation und kein Fürst soll es bereuen, dem unglücklichen Kaiser zur Seite gestanden zu haben, so lange ich das Schwert Frankreichs in meiner Hand halte! – Sie haben Sachsen gerettet,« fuhr er mit anmuthigem Lächeln fort, »sagen Sie dem König, Ihrem Herrn, daß er in seine Residenz und sein Königreich zurückkehren wird. Mein kaiserliches Wort darauf!«

Und mit einer Bewegung, in welcher sich die Hoheit und Würde des Souveräns mit der eleganten Höflichkeit des Weltmanns vereinigte, reichte er Herrn von Beust die Hand hinüber.

Dieser ergriff sie ehrerbietig, indem er sich schnell erhob, und rief mit bewegter Stimme:

»Wenn der Geist des großen Kaisers in diesem Augenblick zur Erde herabblicken kann, Sire, so muß er Eurer Majestät freundlich zulächeln. – Sie beweisen, daß Seine Freundschaft noch heute schwer wiegt in der Schale der Geschicke Europas!«

Eine kurze Pause trat ein. Der Kaiser blickte nachdenkend vor sich hin. Herr von Beust hatte sich wieder gesetzt und wartete.

»Sie sind also der Meinung,« sagte der Kaiser endlich, »daß ein Aufraffen Oesterreichs jetzt unmöglich ist?«

»Ich habe in Wien dringend ermahnt,« erwiederte Herr von Beust seufzend, »alles Mögliche zu thun und die äußersten Anstrengungen zu machen, – aber ich glaube, es wird erfolglos sein. Die österreichische Staatsmaschine ist rostig geworden und selbst ein großer Geist könnte sie nur schwer in Bewegung setzen. – Dieser Geist aber ist nicht da, – und,« fügte er traurig hinzu, »dürfte auch nicht mehr zu finden sein in der Heimat der Kaunitz und Metternich.«

»Dann müßte man ihn importiren,« warf der Kaiser leicht hin.

Die Augen des sächsischen Ministers richteten sich voll Erstaunen und Verwunderung fragend auf das wieder ganz ruhige und verschlossene Gesicht des Kaisers.

»Glauben Sie denn,« fuhr dieser fort, »daß es unmöglich wäre, Oesterreich zu regeneriren, wenn jener fehlende Geist gefunden würde?«

»Unmöglich?« rief Herr von Beust, – »gewiß nicht, Oesterreich hat eine immense innere Kraft, nur fehlt dieser Kraft der Nerv, der sie bewegt!«

»Sie haben in Ihrem politischen Leben über so Vieles nachgedacht – und mit großem Erfolg,« sagte der Kaiser mit liebenswürdigem Ausdruck und leichter Neigung des Hauptes, – »sollten Sie nicht auch darüber nachgedacht haben, wie diese schlummernde Kraft zu bewegen, – zu beleben sein möchte?«

Ein heller, plötzlicher Strahl blitzte im Auge des Herrn von Beust auf.

»Sire,« sagte er lebhaft, – »der erste und tiefste Grund der Schwäche Oesterreichs liegt darin, daß seine eigenen Kräfte sich binden, daß die eine Hälfte dieser Monarchie die andere bewachen und im Schach halten muß. Ungarn mit seiner gewaltigen Militärkraft, mit seinem reichen, unerschöpflichen Produktionsgebiet liegt todt da, und statt es zu beleben, wird vielmehr jede Lebensäußerung dieses Landes von Wien aus niedergehalten. – In dieser Krisis zum Beispiel,« fuhr er fort, »könnte Ungarn allein alles Verlorene retten, – aber auch jetzt wird man sich nicht entschließen, das belebende Wort zu sprechen, denn dieß Wort heißt: Freiheit, nationale Selbstständigkeit, – und bei diesem Worte zittern die staubigen Aktenrepositorien der Staatskanzlei,– und die staubigen Menschen noch mehr! – Und im Innern der Monarchie, der österreichischen Länder selbst, da muß wieder die starre Bureaukratie jede Lebensregung des Volkes bewachen, und wo das Volk nicht denkt, nicht fühlt, nicht mitarbeitet am staatlichen Leben, da ist es auch keiner Opfer, keines großartigen.Aufschwungs fähig, um den Staat zu erhalten und zu retten. – O,« fuhr er immer lebhafter fort, – »wenn Oesterreich in neuem Leben erstehen könnte, wenn seine reichen Kräfte sich entfalten und stählen könnten in natürlicher Bewegung, – dann würde Alles wieder gewonnen werden können für Oesterreich – und für Deutschland; wenn Oesterreich moralisch seinen Platz in Deutschland behauptet, wenn es die Führung übernimmt auf dem Gebiete des geistigen Fortschrittes und durch diesen Fortschritt seine materielle Kraft neu erstehen laßt, – dann würde – und nicht zu spät – der Tag erscheinen, an welchem die heutige Niederlage glänzend gerächt würde. – Die Formel, um dahin zu gelangen, ist einfach, – sie heißt: Freiheit und Selbstständigkeit für Ungarn, Freiheit und öffentliches Leben für die ganze Monarchie, – Reform der Verwaltung und Reform der Armee! – Aber um diese Formel anzuwenden und durchzuführen – dazu gehörte« – fügte er mit traurigem Lächeln und leichter Verneigung hinzu – »ein Geist und ein Willen, wie Eure Majestät ihn besitzen.«

»Sie schmeicheln,« sagte der Kaiser lächelnd und leicht den Finger erhebend, – »in diesem Augenblick lerne ich. – Sie werden nach den vollzogenen Ereignissen vielleicht nicht sächsischer Minister bleiben?« sagte er dann.

»Ich werde meinem Könige in dieser Krisis zur Seite stehen,« sagte Herr von Beust, »dann aber – ich glaube, daß ein unglücklicher Staatsmann am besten von der Bühne verschwindet.«

»Oder,« sagte der Kaiser, »auf größeren Gebieten seine Kraft versucht, welcher in den zu kleinen Verhältnissen der Erfolg versagt blieb.«

Er erhob sich.

Herr von Beust stand auf und ergriff seinen Hut.

»Ich hoffe,« sagte der Kaiser, »daß Ihre Ansichten über die Regeneration Oesterreichs sich einst zum Leben gestalten werden, – jedenfalls bitte ich Sie, sich stets zu erinnern, daß Sie hier einen Freund haben und daß Frankreich mit Oesterreich gemeinsam das Interesse hat, der deutschen Nation die freie Entwicklung zu wirklich nationalem Leben zu garantiren. – Bringen Sie Ihrem König meinen Gruß und bitten Sie ihn, meinem Wort zu vertrauen.«

In lebhafter Bewegung ergriff Herr von Beust die dargebotene Hand des Kaisers.

»Dank, Sire, innigen Dank!« rief er, »und wohin die Zukunft mich führen möge, – ich werde dieser Stunde nie vergessen.«

Und mit tiefer Verneigung verließ er das Kabinet.

Der Kaiser rief Pietri.

»Ist Klindworth da?« fragte er.

»Zu Befehl, Sire!«

»Ich bitte ihn, zu kommen.«

Der Staatsrath erschien.

Lächelnd ging ihm der Kaiser entgegen.

»Sie haben Recht,« sagte er, »der Arzt ist gefunden, um die kranke Austria zu heilen.«

Der Staatsrath verneigte sich.

»Ich wußte es,« sagte er, »daß Eure Majestät mir Recht geben werden.«

»Versuchen Sie also, ihm die Behandlung des Kranken anzuvertrauen, – meiner ganzen Unterstützung können Sie sicher sein.«

Er sann nach.

»Und sagen Sie dem Kaiser,« sagte er dann, »daß ich thun würde, was in meinen Kräften stünde, um so energisch, als es die Verhältnisse irgend gestatteten, zu seinem Beistande einzuschreiten, – – die wesentlichste Hülfe müßte aber Oesterreich aus sich selbst und der Regeneration seiner Kraft gewinnen.«

»Ich verstehe vollkommen, Sire,« sagte Klindworth.

»Halten Sie mich au fait – über – Herrn von Beust!«

Klindworth verneigte sich.

»So darf ich zurückkehren?« fragte er.

»Sie müssen sich an's Werk machen,« sagte der Kaiser, »denn Ihre Aufgabe ist nicht leicht. – Auf Wiedersehen!« Und er grüßte freundlich mit der Hand.

Der Staatsrath verschwand unter der Portière.

»So mischen sich die Karten mehr und mehr,« sagte der Kaiser, indem er sich bequem in seinen Lehnstuhl sinken ließ, – »und es kommt nur darauf an, sie mit fester Hand zu halten und mit klarem Blick das Spiel zu lenken. – Es wird gehen,« – fuhr er fort, den Kopf in die Hand stützend, – »und es öffnet sich da zugleich eine weite Perspektive für die Zukunft. – Wenn Oesterreich wirklich sich zu neuem Leben erheben kann, – Italien eingefaßt von beiden Seiten, – die Allianz ist gegeben, – Ungarn, Polen halten Rußland im Schach–«

Sein Auge leuchtete.

»Nun,« sagte er leise lächelnd – »warten wir ab, im Warten liegt ja meine Stärke. Doch immerhin kann eine kleine vorbereitende Hülfe nützlich sein – vor Allem darf ich Sachsen nicht vergessen.«

Er stand auf und rief Pietri.

»Fahren Sie zu Drouyn de Lhuys,« sagte er, »und bitten Sie ihn, der Instruktion für Benedetti die sehr bestimmte Weisung hinzuzufügen, der Annexion Sachsens auf das Ernstlichste zu widersprechen – auf das Ernstlichste,« – wiederholte er mit Nachdruck.

»Zu Befehl, Sire!«

»Und,« fragte der Kaiser – »wissen Sie, wo der General Türr in diesem Augenblick ist?«

»Bei der Armee in Italien,« antwortete Pietri – »doch kann ich es sogleich genau erfahren.«

»Schreiben Sie ihm,« sagte der Kaiser, – »nein,« unterbrach er sich, »senden Sie ihm eine vertraute Person – ich lasse ihn bitten, so bald als möglich hieher zu kommen.«

Pietri verneigte sich.

»Durch ihn,« sagte der Kaiser halb zu sich selber sprechend, »halte ich die Hand ein wenig in Turin – und in Pest, – das könnte von Wichtigkeit werden.«

»Sonst haben Eure Majestät keine Befehle?« fragte Pietri.

»Nein, ich danke Ihnen,« sagte der Kaiser und der geheime Sekretär entfernte sich.

Napoleon lehnte sich behaglich in seinen Lehnstuhl zurück, drehte sorgfältig eine neue Cigarrette und rauchte in großen Zügen, in tiefes Nachsinnen verloren.


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