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Neuntes Kapitel.

Eine freundliche Nachmittagssonne schien auf das stille Pfarrhaus zu Blechow. Die Rosen blühten in den von Buchsbaum umrahmten Beeten des sorgfältig gepflegten Gartens, dessen weißgestrichene Lauben sich zu beranken begannen.

Die geräumige Vorflur, deren Thüren weit offen standen, war mit Sand bestreut und mit kurzen Tannenreisern umlegt.

In dem großen Wohnzimmer des Pfarrhauses, dessen einfache Einrichtung den guten Geschmack bewies, welcher hier waltete, dessen schneeweiße Fenstergardinen zugleich Zeugniß ablegten von der Sauberkeit und Ordnung des Haushalts, saß um den mit blendendem Leintuch bedeckten Kaffeetisch der Pastor Berger, seine Tochter und der Kandidat Behrmann.

Helene Berger war beschäftigt, auf einer hübschen Maschine von weißem Porzellan das braune Getränk der Levante zu bereiten, dessen duftiges Aroma das Zimmer erfüllte, – und keine Dame in den Salons der ersten Gesellschaft hätte mit mehr natürlicher Anmuth die kleinen komplizirten Operationen dieses wichtigen Geschäfts vornehmen können.

In einem großen, bequemen Lehnstuhl ihr gegenüber saß der Pastor Berger in seiner gewöhnlichen schwarzen Tracht, welche er nach der Sitte der guten alten Zeit auch zu Hause niemals mit einem Schlafrock vertauschte. Die einzige Bequemlichkeit, die er sich erlaubte, war ein kleines, schwarzes Sammtkäppchen, das er auf dem Haupte trug und das seiner Erscheinung den Stempel häuslicher Behaglichkeit aufdrückte.

Zwischen ihnen saß der junge Kandidat, ebenfalls schwarz gekleidet, ebenfalls in weißem Halstuch, aber sein Rock hatte nicht den alten Schnitt, wie der seines Oheims, und seine Erscheinung war, obgleich in den Farben der des alten Herrn vollkommen ähnlich, dennoch eine durchaus verschiedene.

Der Pastor hatte sich behaglich in die Tiefe seines Lehnstuhls zurückgelegt und die Hände ineinander gefaltet.

Er sprach, – wie das seit seiner letzten Anwesenheit in Hannover im Pfarrhause so oft geschah – von seiner Begegnung mit dem Könige.

»Es ist doch etwas Herrliches,« sagte er mit bewegter Stimme, »um so einen gottgesalbten Herrn, der mit einem Wort so glücklich machen kann und der es so gern thut, wie unser allergnädigster König. Die Unterthanen seines Königreiches sind für ihn keine Steuerzahler, sie sind fühlende Wesen, schlagende Herzen, – und wo sein königliches Herz dem Menschen begegnet, sein Leid und seine Freude fühlt, da antwortet es mit menschlichem Verständniß. – O wie anders ist das in den Republiken,« fuhr er fort, »da herrscht das Gesetz, der todte Buchstabe, die kalte Majorität, der Zufall! – Auch in den großen Monarchien steht der Herrscher so fern auf unnahbarer einsamer Höhe – aber hier bei uns in dem schönen, reichen, stillen und einfachen Hannoverland, – da wissen wir, daß der König, wenn er auch mit freiem Blick von der Höhe weit hinaus das Allgemeine umfaßt, – doch im menschlichen Herzen menschlich mit uns fühlt.«

Helene hatte den Kaffee kunstgerecht vollendet und brachte ihrem Vater die große Tasse mit der von Rosenguirlanden gebildeten Inschrift: »Dem lieben Vater.«

Der alte Herr nahm sie und that einen kurzen Schluck daraus, wobei seine Mienen die Zufriedenheit mit der Kunstfertigkeit seiner Tochter ausdrückten.

»Ich bitte um etwas Wasser in meine Tasse,« sprach der Kandidat mit ruhiger, salbungsvoller Stimme, – »ich kann den starken Kaffee nicht vertragen.«

»Was diese jetzige Generation Alles nicht vertragen kann – und wie sie das Wasser liebt!« rief der Pastor eifrig. »Wasser ist gewiß eine sehr gute Gottesgabe, aber da wo es hingehört, – ein ordentlicher Kaffee muß stark sein, wenn er das Herz erfreuen soll – gießt ihr doch jetzt auch gar Wasser in den edlen Wein – dafür hört man aber auch so viel wässerige Worte! Ich hoffe, mein lieber Hermann, Deine Predigt am nächsten Sonntage wird durch kein Wasser verdünnt sein, denn unsere Bauern sind an ein kräftiges, unverblümtes Wort gewöhnt – wie unser großer Reformator es erschallen ließ zum Schrecken der Heuchler, zur Freude der Gerechten.«

Helene hatte inzwischen des Vaters großen Meerschaumkopf mit dem auf zinnernem Teller geschnittenen Rollentabak gefüllt und brachte denselben mit einem angezündeten Fidibus.

»Du wirst wohl die alte ehrliche Pfeife nicht mehr zu rauchen verstehen,« sagte der alte Herr zu seinem Neffen, indem er mit großem Behagen auf seinen regelrecht angerauchten Kopf, den Gefährten mancher Jahre, herabblickte und mit besonderem Wohlbehagen die ersten Wolken in die Luft blies, – »dort stehen vortreffliche Cigarren, die ich mit dem Oberamtmann aus Hamburg kommen ließ.«

»Ich danke,« sagte der Kandidat abwehrend, – »ich rauche gar nicht.«

»Gar nicht?« sagte der alte Herr erstaunt, – »nun freilich, das paßt zum Wasser; doch,« fuhr er ernster fort, »jede Zeit hat ihre Sitten, und ich fürchte, sie werden nicht besser. – Hat man Dir,« fragte er, »Deine Bestellung zum Adjunkten ausgefertigt und mitgegeben?«

»Nein,« erwiederte der Kandidat, »man hat mir versprochen, sie so bald als möglich nachzusenden; – ich mochte nicht darauf warten, da es mich drängte, meinen Wirkungskreis so bald als möglich kennen zu lernen und im Kreise meiner lieben Verwandten mich einzurichten.«

Sein Blick streifte nach der Tochter des Pfarrherrn hinüber, welche sich mit einer weißen Nähterei an einem kleinen Tisch vor dem Fenster niedergelassen hatte.

»Die Herren Konsistorialräthe waren übrigens, wie es mir schien, nicht sehr erbaut über den Kabinetsbefehl Seiner Majestät, der mich hier zum Adjunkten mit der Aussicht auf die Nachfolge im Pfarramts bestimmte,« bemerkte der junge Geistliche.

»Kann mir's denken,« sagte der alte Herr, – »Jeder will gern selbst der Höchstregierende sein und ärgert sich, wenn er die höhere Autorität fühlt, – vor Allem, wenn der tiefer Stehende es erfährt, – das stört den Nimbus. – Hatten sie an Deiner Qualifikation etwas auszusetzen?« fragte er weiter.

»Nicht das Mindeste,« erwiederte der Kandidat, – »das wäre auch kaum möglich,« fügte er mit zufriedenem Lächeln hinzu, – »meine Zeugnisse sind in der besten Ordnung!«

»Nun, dann mögen sich die Herren beruhigen und Seiner Majestät das schöne Recht nicht bemängeln, glücklich zu machen und eines alten treuen Dieners Herz zu erfreuen, wenn ja doch Niemandem Unrecht geschieht und Niemand zurückgesetzt wird. – Gott gebe nur, daß diese schweren Zeiten glücklich überstanden wären und daß diese Kriegswetter vorüberziehen! Wie viel Blut wird es kosten, wenn wirklich der Kampf entbrennt!«

Helene ließ ihre Arbeit in den Schooß sinken und blickte sinnend durch das offene Fenster über die blühenden Rosen hinweg in die lachende Landschaft.

Ein hastiger Schritt näherte sich dem Pfarrhause.

Man klopfte an die Thür des Wohnzimmers.

Ein junges, ärmlich gekleidetes Mädchen trat auf des Pfarrherrn Ruf herein.

»Nun, was bringst Du, Margarethe?« fragte der alte Herr freundlich.

»Ach, Herr Pastor,« erwiederte die Kleine mit zitternder Stimme, indem große Thränen über ihre Wangen liefen, – »der Vater, ist so heftig krank geworden – und er sagt, er fürchte, daß es zu Ende gehe, und da wünscht er so sehr, den Herrn Pastor zu sprechen – um Trost zu haben und Rath – was aus unserem Haus und aus mir werden soll, wenn er wirklich sterben sollte –«

Lautes Schluchzen erstickte die Stimme der Kleinen.

Ernst stand der Pastor auf und lehnte die Pfeife an seinen Lehnstuhl.

»Was fehlt dem Vater?« fragte er.

»Er hat sich heiß gearbeitet – gestern –« antwortete das Mädchen, von Weinen unterbrochen, – »und sich erkältet, – jetzt ist sein Husten die Nacht so heftig wiedergekommen und er ist ganz verzagt und meint zu sterben!«

»Sei unbesorgt, mein Kind,« antwortete der Pfarrer, – »es wird so schlimm nicht sein, – ich komme und werde sehen, was zu thun ist.«

Und einen großen Eichenschrank öffnend, nahm er aus einem darin befindlichen Kasten einige kleine Flaschen, steckte sie in die Tasche und ergriff sein Baret.

»Man muß hier auf dem Lande ein wenig Arzt sein,« sagte er zu seinem Neffen, »um so einige kleine Linderungsmittel geben zu können, bis die ärztliche Hilfe kommt, wenn sie wirklich nöthig ist. Ich glaube, daß ich schon manches Leben mit meiner kleinen Apotheke gerettet habe,« fügte er mit glücklichem Lächeln hinzu.

»Armer Papa,« sagte Helene, – »Deine frische Pfeife!«

»Glaubst Du, daß dem armen Kranken mein Erscheinen nicht mehr Erquickung bringt, als mir die paar Züge Tabak?« fragte der Vater ernst.

»Aber lieber Oheim, könnte ich nicht den Gang für Dich thun?« fragte der Kandidat, »ich würde mich allmälig mit den Pflichten des Amtes bekannt machen –«

»Nein, mein Lieber,« erwiederte der Pastor, – »ich halte in Allem auf Ordnung, – noch bist Du nicht ernannt, auch muß Dich die Gemeinde erst kennen, ehe Du solche Gänge machen kannst; das Erscheinen eines Fremden würde den Kranken noch mehr aufregen. – Wartet ruhig, – ich komme bald wieder.«

Und mit dem Kinde, dessen Thränen versiegten, sobald es sah, daß der Pastor seinen kranken Vater besuchen wollte, verließ der alte Herr das Haus.

Der Kandidat trat an das Fenster, sein Blick fiel auf Helene, welche ihre Arbeit wieder ausgenommen hatte und über dieselbe gebeugt dasaß, dann schweifte er zum Fenster hinaus über die Rosenbeete hin nach dem waldumkränzten Horizont.

»Es ist wirklich schön hier,« sprach er, – »und im Sommer muß es sich hier sehr angenehm wohnen lassen –«

»Ja, es ist wunderschön,« erwiederte das junge Mädchen in unbefangenem Tone und dem Ausdruck jener natürlichen Ueberzeugung, welche jungen Herzen den Ort, der ihre Jugend erblühen sah, als den reizendsten der Welt erscheinen läßt, – »Du wirst es noch schöner finden, Vetter, wenn Du erst die weiter liegende herrliche Gegend mit ihren stillen Spaziergängen kennen lernst. Selbst die eintönigen dunklen Föhrenwälder haben ihren Reiz und ihre Sprache –« und ihr Auge schweifte hinüber nach den dunkelgrünen Waldzügen, welche wie ein Rahmen die sonnige Landschaft einschlossen.

Ein leichtes Lächeln, halb mitleidig, halb ironisch, zuckte um den Mund des Kandidaten.

»Ich wundere mich nur,« sagte er, »daß der Oheim mit seinem so reichen Geist, der aus seiner Unterhaltung so oft hervorleuchtet und den seine Jugendfreunde an ihm rühmen, es so lange Jahre hier hat aushalten können, so fern von allem geistigen Leben und vom Verkehr mit der fortschreitenden Bildung der Welt. – Es ist eine der ersten Pfarrstellen im Lande, und bei seiner überall anerkannten musterhaften Verwaltung derselben, bei seinen reichen Kenntnissen und seinen Verbindungen hätte es ihm ein Leichtes sein müssen, längst im Konsistorium zu sitzen. Für einen Mann wie ihn hätte diese Stelle der Uebergang zu Größerem, der Ausgangspunkt einer bedeutenden Carrière sein müssen. Ich begreife nicht, wie er es hier unter den Bauern aushält.«

Helene blickte mit ihren großen Augen ihren Vetter erstaunt an, – aus seinen Worten klang ein ganz fremdes, unbekanntes Element in ihr Leben hinein. –

»Wie wenig kennst Du den Vater!« rief sie, – »ihm geht diese schöne, friedliche Heimat, dieser stille, segensreiche Wirkungskreis weit über alle hohen Würden mit ihrem Zwang und ihren Sorgen!«

»Aber je höher und einflußreicher die Stellung,« sagte der Kandidat, »um so größer ist der Wirkungskreis, um so reicher der Segen, den eifrige Arbeit verbreiten kann!«

»Das mag wohl sein,« erwiederte das junge Mädchen, – »aber man sieht die Früchte nicht so vor sich, der Verkehr mit den Menschen fehlt und der Vater hat oft gesagt, die höchste Zufriedenheit, die er kenne, sei, unmittelbar Trost und Frieden in ein bekümmertes Menschenherz zu gießen, der größte Stolz, ein verirrtes Herz zu Gott zurückzuführen. – Aber Du selbst, Vetter,« fuhr sie fort, »willst ja hier bleiben und Dich,« fügte sie lächelnd hinzu, »ebenfalls in diese Einsamkeit begraben?«

»Ich habe meine Laufbahn zu beginnen,« antwortete er, – »ich muß arbeiten, um emporzusteigen, und die Jugend ist die Zeit der Arbeit, – aber als endliches Ziel meines Lebens möchte ich mir einen höheren Beruf stellen.« Und ein scharf aufleuchtender Blick seines Auges schien in der Ferne ein Ziel zu suchen, das weit ab lag von der stillen Landschaft, welche sich vor dem Fenster des einfachen Pfarrhauses ausbreitete.

»Und Du, Helene,« fragte er nach einer augenblicklichen Pause, »hast Du nie das Bedürfniß eines regeren geistigen Lebens empfunden, nie die Sehnsucht nach einer bewegteren Welt?«

»Nein,« antwortete sie einfach. – »Eine solche Welt würde mich beengen, erschrecken. Erst neulich wieder, als wir in Hannover waren – da war mir zu Muthe, als ob alles Blut mir nach dem Herzen zurückströmte, ich verstand nicht, was man zu mir sprach, und empfand eine unendliche Einsamkeit. – Hier verstehe ich Alles, – die Menschen, die Natur, – hier fühle ich das Leben so reich und so warm, – dort, in der großen Stadt ist es kalt und eng. – Ich würde sehr unglücklich sein, wenn der Vater jemals hier fortginge, – aber davon ist ja auch keine Rede!« sagte sie mit überzeugtem Tone.

Ein leiser Seufzer drang aus dem Munde des Kandidaten, während er nachdenklich vor sich hin sah.

»Aber im Winter,« sagte er dann, »wenn Du Deine Spaziergänge nicht hast und die Reize der Natur – da muß es doch oft öde und traurig hier sein?«

»Nein,« rief sie lebhaft, – »niemals, – niemals ist es öde hier, Du glaubst nicht, wie schön und angenehm hier die langen Abende vergehen, wenn der Vater liest und mir erzählt von so vielen Dingen, wenn ich ihm vorspiele und singe und er dann so glücklich ist nach der Arbeit des Tages!«

Der Kandidat seufzte abermals.

»Uebrigens,« fuhr sie fort, »sind wir ja auch nicht ohne Gesellschaft. Da ist die Familie des Oberamtmanns von Wendenstein auf dem Schlosse, und wir bilden schon einen ganz hübschen Kreis. – So ganz vom Verkehr abgeschnitten, wie Du glaubst, sind wir hier auch nicht. Im letzten Winter haben wir sogar recht oft im Schlosse getanzt.«

»Getanzt!?« rief der Kandidat und faltete die Hände über der Brust.

»Gewiß,« rief Helene, »die Gesellschaft von Lüchow kam oft herüber, – und wir waren eben so vergnügt, als man es in Hannover nur sein kann.«

»Und der Oheim hat nichts dagegen, daß Du Dich an solchen rauschenden, rein weltlichen Vergnügungen beteiligst?« fragte der Kandidat.

»Nicht das Geringste,« erwiederte sie, – »warum sollte er auch?«

Der Kandidat schien etwas antworten zu wollen, – doch hielt er zurück und sagte nach einer kleinen Pause mit sanftem und bescheidenem Ton:

»Man kommt doch in den maßgebenden Kreisen jetzt immer mehr zu der Ansicht, daß derartige Vergnügungen für die Stellung der Familie eines Geistlichen nicht passen.«

»Nun, dann ist es ja vortrefflich, daß wir hier recht fern von den maßgebenden Kreisen sind!« sagte Helene in kaltem Tone, durch welchen die Verstimmung über die Beurtheilung ihres Vaters und der von ihm gebilligten Zerstreuung hindurchklang.

Der Kandidat schwieg.

»Woraus besteht denn die Gesellschaft auf dem Schlosse?« fragte er nach einer Pause. – »Ich werde mich dort doch auch so bald als möglich vorstellen müssen.«

»Außer dem Oberamtmann, seiner Frau und Tochter ist da noch der Auditor von Bergfeld,« erwiederte Helene.

»Ist der schon lange hier?« fragte der Kandidat schnell, indem ein rascher Blick auf das Gesicht seiner Cousine herüberflog.

»Ein Jahr,« erwiederte diese mit vollster Unbefangenheit – »und er wird jetzt bald wieder fort gehen, – es ist immer ein junger Auditor auf dem Amte beschäftigt.«

»Aber Herr von Wendenstein hat auch Söhne?« fragte er.

»Die sind nicht mehr hier,« antwortete sie, »der eine ist im Ministerium in Hannover, der andere Offizier in Lüchow. – Doch, da kommt der Vater zurück!« rief sie und deutete auf den sich nach der großen Landstraße herabziehenden Weg, an dessen Einbiegung die Gestalt des Pfarrherrn sichtbar wurde, – »ich will ihm eine neue Tasse Kaffee machen. – Aber mein Gott!« entfuhr ihr fast unwillkürlich und dunkle Röthe übergoß ihr Gesicht.

Der Kandidat folgte der Richtung ihres Blickes und sah auf der Landstraße in schnellem Trabe einen Reiter in der blauen Uniform der Dragoner herannahen. Er mußte den Pfarrer angerufen haben, denn dieser blieb stehen, ging die wenigen Schritte bis zur Landstraße zurück und reichte dem Offizier, der sein Pferd schnell parirte, die Hand.

Nach einer kurzen Unterhaltung ritt der Offizier weiter, grüßte jedoch vorher mit der Hand nach dem Pfarrhause herauf, an dessen Fenster er Helene erblickt haben mußte.

Helene neigte das Haupt zur Erwiederung des Grußes.

»Wer ist der Offizier?« fragte der Kandidat.

»Der Lieutenant von Wendenstein,« antwortete sie und verließ das Fenster, um auf dem Tisch die Spirituslampe von Neuem anzuzünden und den unterbrochenen Nachmittags-Kaffee für ihren Vater neu zu bereiten.

Der Kandidat folgte ihren Bewegungen mit forschendem Blick.

Nach wenigen Augenblicken trat der Pastor in's Zimmer.

»Gott sei Dank!« rief er, »es war nicht schlimm, – eine sehr heftige Erkältung mit starkem Fieber, – aber es ist eine Eigentümlichkeit der Leute hier, welche in ihrem einfachen Leben und ihrer urkräftigen Konstitution so wenig mit der Krankheit bekannt sind, daß sie jede Krankheit für tödtlich halten.«

Er vertauschte sein Baret mit dem Käppchen, setzte sich wieder in den Lehnstuhl und blickte ernst vor sich hin.

»Der Lieutenant ist soeben gekommen,« sagte er.

»Ich habe ihn gesehen,« erwiederte Helene, indem sie die neue Tasse Kaffee dem Vater brachte, »was führt ihn so eilig und zu so ungewohnter Zeit her, – er pflegte doch sonst nur am Sonntage zu kommen?«

»Es sieht trübe aus,« sagte der Pastor, – »der Krieg scheint unvermeidlich, es soll für die nächste Zeit kein Urlaub mehr gegeben werden, und da hat denn der Lieutenant sich noch für heute Nachmittag frei gemacht, um zu Hause Abschied zu nehmen. – Er bittet, daß wir auch hinüber kommen, – er will früh wieder reiten, um in der Nacht noch zurück zu sein.«

Helenens Hände zitterten, während sie dem Vater die Pfeife von Neuem zurecht machte.

»Mein Gott,« fuhr der alte Herr fort, »wenn ich an den alten braven Oberamtmann denke und an seine liebe, stillsinnige Frau und mir vorstelle, daß dieser entsetzliche Krieg ihnen den Sohn rauben könnte, der da heute vor ihnen steht in der Blüte der Jugend!« – Und nachdenklich nahm er die Pfeife, auf welche Helene, sich tief bückend, den brennenden Fidibus hielt.

Dann eilte sie der Thüre zu.

»Wohin gehst Du, mein Kind?« fragte der Pastor.

»Wenn wir auf das Schloß gehen wollen,« erwiederte sie hastig und mit leise vibrirender Stimme, – »so habe ich noch nach der Wirthschaft zu sehen,« – und ohne sich umzublicken, verließ sie das Zimmer.

Der Kandidat sah ihr mit eigentümlich forschendem Blicke nach.

Dann setzte er sich neben den Pastor und sprach, indem er die Hände vor sich übereinander faltete:

»Mein lieber Oheim, ich möchte vom ersten. Augenblicke an, da ich Dein Haus betrete, um so Gott will, der helfende Gefährte Deines heiligen Amtes zu werden, meine Stellung hier nehmen auf dem Grunde der Wahrheit, welche die Richtschnur, im Leben jedes Menschen sein muß, vor Allem aber im Leben des Geistlichen.«

Der alte Herr blies einige starke Wolken aus seiner Pfeife und sah ihn an, als wisse er nicht so recht, was er aus dieser Anrede machen solle.

»Meine Mutter,« fuhr der Kandidat fort, »hat mir oft den Gedanken ausgesprochen, wie sehr es sie beglücken würde, wenn wir noch durch ein anderes Band als das der schon bestehenden Verwandtschaft verknüpft werden könnten, – sie hoffte in ihrem Herzen, daß die Fügung des Himmels mir geben möge, Deine Tochter Helene als mein christliches Eheweib dereinst heimzuführen.«

Der Pastor rauchte schweigend, – aber seine Mienen bewiesen, daß ein solcher Gedanke ihm weder fern lag, noch mißliebig war.

»Oft sagte sie zu mir,« fuhr der Kandidat fort, – »›wie würde ich mich freuen, wenn Du meinem Bruder in seinem Alter eine Stütze sein könntest und wenn es sich fügen wollte, daß Du, wenn Gott ihn einst abruft, seiner Tochter einen Halt im Leben bieten könntest. – Zwar,‹ sagte sie,« – fuhr er fort und sein scharfer Blick richtete sich durchdringend auf die Züge seines Oheims, – »›zwar wird die äußere Sorge des Lebens nicht an sie herantreten‹ –«

»Nein,« rief der alte Herr lebhaft, indem er mit zufriedenem Ausdruck eine, große Rauchwolke von sich blies, – »nein, Gott sei Dank! in dieser Beziehung kann ich ruhig heimgehen, wenn mein himmlischer Herr mich ruft, das kleine Vermögen, das mein verstorbener Oheim mir vermachte, hat sich mit Segen vermehrt, ich habe die reichen Einkünfte meiner Pfarre kaum zur Hälfte verzehrt, und so Gott mir nicht wieder nimmt, was er gegeben, so kann meine Tochter aller Sorge ledig durch's Leben gehen!«

»›Aber,‹« fuhr der Kandidat fort, indem ein fast unmerkliches Lächeln der Zufriedenheit seine dünnen Lippen umspielte, – »›aber immer bedarf sie des stützenden Armes und wenn Du ihr den bieten könntest, vielleicht dereinst in demselben Pfarrhaus, in welchem ihre Kindheit verfloß – so würde mich das hoch beglücken‹ – So sprach meine Mutter oft zu mir.«

»Ja, ja, meine gute Schwester,« – sagte der Pastor, indem er mit freundlichem Lächeln vor sich hin blickte, »das Schicksal hat uns weit auseinander geführt, – weit zwar nicht für die heutigen Verhältnisse, denn die Grenze von Braunschweig läßt sich ja in einem Tag erreichen, – aber in unserem Berufe reist man schwer – ein treues Herz aber hat sie immer für mich bewahrt.«

Der Kandidat fuhr fort:

»Mir schien der Gedanke meiner Mutter schön und gut, – aber ich habe ihn stets zurückgelegt als eine offene Frage, – denn ein Ehebündniß ist nach meiner Auffassung eine Sache, die nur aus der Zuneigung, aus dem Verständniß der Herzen entspringen kann, Und dazu muß man sich kennen. – Jetzt nun bin ich hieher gekommen, und die wenigen Tage, welche ich in Hannover in eurer Gesellschaft zubrachte, haben den Wunsch meiner Mutter zu meinem eigenen werden lassen. Ich finde an Helene alle Eigenschaften, welche ich erforderlich halte, um den Beruf als die christliche Ehefrau eines Geistlichen zu erfüllen und einen Mann glücklich zu machen, und deßhalb, um Alles klar und wahr zwischen uns zu machen, frage ich Dich, lieber Oheim, ob Du mir erlaubst, um die Neigung Deiner Tochter zu werben, und wenn sie mir dieselbe nach näherer Bekanntschaft schenkt, ob Du sie mir für's Leben anvertrauen willst?«

Der alte Herr nahm die Pfeife aus dem Munde und reichte seinem Neffen die Hand.

»Es ist brav und redlich von Dir,« sprach er, »daß Du so mit mir gesprochen, – aufrichtig und ehrlich, – und eben so aufrichtig und ehrlich will ich Dir antworten. – Sieh',« fuhr er fort, »was Deine Mutter gedacht und gesagt hat, das ist auch mir wohl durch den Kopf gegangen und ich will es nur gestehen, als ich Dich aufforderte, hieher zu kommen und mir zur Seite zu treten, da habe ich mir wohl gedacht, wie schön es wäre, wenn eure Herzen sich finden könnten, und habe mir auch so im Stillen ausgemalt, wie ich, wenn die Kräfte immer schwächer werden, resigniren könnte und noch mit eigenen Augen meine liebe Tochter als Pfarrfrau in dem lieben Hause walten sehen, in welchem sie groß geworden und in welchem einst ihre gute Mutter so freundlich und milde mir zur Seite stand.«

Der alte Mann schwieg einen Augenblick und Thränen traten in seine Augen.

Ueber die Züge des Kandidaten flog der Ausdruck innerer Befriedigung.

»Von ganzem Herzen, mein lieber Neffe,« sprach der Pastor weiter, – »erlaube ich Dir daher, um Helene zu werben, – und wenn eure Herzen sich finden, so werde ich mit Freuden den priesterlichen und väterlichen Segen zu eurem Bunde geben. – Aber,« fuhr er fort, – »übereile, nichts, – laß ihr Zeit, – sie ist eine eigene, sinnige Natur und sie schreckt vor allem Neuen, Plötzlichen zurück. Lernt euch kennen, – ihr habt Zeit!«

Der Kandidat drückte die Hand seines Oheims.

»Ich danke Dir innig und aufrichtig,« sprach er, »für Deine Erlaubniß – gewiß werde ich ihr Herz nicht bestürmen – für eine christliche Ehe taugt das plötzlich auflodernde Feuer nicht, in ruhiger, reiner Flamme müssen sich die Herzen finden.«

Helene trat ein. Sie hatte ein leichtes Tuch um, ein Strohhut mit kleinen Blumen bedeckte ihr Haupt. Ihre Wangen strahlten in frischem, rosigem Schimmer und in ihren Augen lag ein feuchter, schwärmerischer Glanz wie Thränenduft, aber ihr Mund lächelte.

Sie war wunderschön so und freundlich nickte ihr der alte Herr zu, während der Kandidat ihre Gestalt mit einem Blicke umfaßte, vor dem sie das Auge senkte.

»Ich bin fertig, Papa« sagte sie.

»Gut, mein Kind, dann können wir gehen.« – Und er stand auf und nahm sein Käppchen ab.

»Du kannst uns begleiten,« sagte er zu seinem Neffen, – »ich werde Dich dem Oberamtmann vorstellen!«

»Müßte ich aber nicht erst meinen Besuch im Schlosse machen?« fragte der Kandidat.

»Den machst Du jetzt mit mir!« erwiederte der Pfarrer, »wir sind hier nicht so förmliche Leute, ich stehe Dir dafür, daß Du bei unsern Freunden zu jeder Zeit gut ausgenommen wirst!«

Er setzte sein Baret auf, der Kandidat nahm seinen glatt gebürsteten schwarzen Hut – und alle Drei verließen das Pfarrhaus. –

*

Auf dem alten Amtshause zu Blechow war die Familie des Oberamtmanns von Wendenstein in dem großen Gartensalon versammelt.

Frau von Wendenstein saß in ihrer schneeigen Spitzenhaube und ihrem faltigen, dunklen Seidenkleid auf dem großen Sopha, – ihre Tochter bereitete den Theetisch zu früherer Stunde als gewöhnlich. Der Lieutenant hatte einen niedrigen Lehnstuhl neben seine Mutter gezogen und versuchte durch heiteres Geplauder die alte Dame zu zerstreuen, welche auf seine Bemerkungen zuweilen mit einem trüben Lächeln antwortete, ohne verhindern zu können, daß hie und da eine Thräne auf die feinen weißen Finger fiel, welche mechanisch die Nadel an ihrer Arbeit führten. Der Oberamtmann ging schweigend im Zimmer auf und ab, – zuweilen blieb er an der weit geöffneten Thür stehen und blickte über die Terrasse auf die im sommerlichen Abendlicht vor ihm ausgebreitete Landschaft.

»Verdirb dem Jungen nicht den Humor!« sagte er, vor seiner Frau stehen bleibend, mit einem forcirt barschen Ton, »ein guter Soldat muß frisch und fröhlich in den Krieg ziehen, wenn es denn einmal zum Kriege kommen soll, es ist ja sein Metier – und er muß sich ja eigentlich freuen – wenn er dazu kommt, seinen Beruf und seine Pflicht im Ernst zu erfüllen. – Uebrigens ist's ja auch noch nicht ganz sicher,« fügte er in einem Tone hinzu, dem man nicht recht anhören konnte, ob er zum Troste für seine Frau oder zu seiner eigenen Beruhigung dienen sollte, – »es ist ja nur eine Vorbereitung für alle Fälle und das Wetter kann noch vorüberziehen.«

»Ich will ihm gewiß nicht den freudigen Muth zur Erfüllung seiner Pflicht nehmen,« sagte Frau von Wendenstein mit ihrer sanften Stimme, – »aber die Wehmuth ist doch nicht zu unterdrücken in solchen schweren und ernsten Stunden. Wir müssen ja hier zu Hause sitzen, – allein mit unsern Gedanken und Sorgen, während er draußen in der freien Luft und im bunten Wechsel der Ereignisse sich herumtummelt. Er wird den fröhlichen Muth schon wieder finden. – Wie steht es mit Deiner Wäsche?« fragte sie abbrechend ihren Sohn, gleichsam als wollte sie die Bangigkeit ihres Herzens verscheuchen durch die materielle Sorge für das Kind, das so großen Gefahren entgegen gehen sollte.

»Meine Wäsche ist im vortrefflichsten Zustande, Mama,« erwiederte der Lieutenant heiter, »übrigens, wenn wir wirklich ausrücken, kann ich nicht zu viel davon mitnehmen, unser Gepäck darf nicht groß sein. – Aber wo bleibt der Pastor?« unterbrach er sich, »er hatte mir versprochen, bald zu kommen und die letzten Stunden bei uns zu bleiben. – Apropos,« fuhr er fort, »ist Besuch im Pfarrhause? Ich sah einen Herrn in geistlicher Tracht neben Helene am Fenster stehen.«

»Es ist sein Neffe, der ihm auf seinen Wunsch zum Adjunkten bestellt ist,« sagte der Oberamtmann, – »und dem er später die Pfarre übergeben mochte; ich freue mich für den guten Berger, daß der König ihm sogleich so gnädig seine Bitte gewährt – übrigens glaube ich auch, daß das Konsistorium sie ihm nicht abgeschlagen hätte. – Vielleicht macht sich da eine Partie für die gute Helene.«

Der Lieutenant warf einen schnellen Blick zu seinem Vater hinüber, stand auf und blickte stumm auf die Terrasse hinaus.

Ein Geräusch im Vorzimmer ließ sich hören.

Der alte Diener trat herein und sagte:

»Fritz Deyke ist da und wünscht den Herrn Lieutenant zu sprechen.«

Der junge Mann wandte sich rasch um und rief:

»Er soll kommen, er soll kommen, der gute Fritz, – was bringst Du, mein Junge?« sagte er, freundlich dem Eintretenden sich nähernd, der die Mütze in der Hand in strammer Haltung neben der Thür stehen blieb.

»Der Herr Lieutenant werden verzeihen,« sagte er, »ich möchte eine Bitte aussprechen!«

»Bitte frisch von der Leber weg!« rief der Lieutenant fröhlich, – »es ist schon im Voraus gewährt.«

»Ich höre im Dorf,« – sagte der junge Bauer, »daß der Krieg nun ausbrechen soll, und daß der König in's Feld ziehen wird. Da muß ich denn auch mit – und da wollte ich den Herrn Lieutenant bitten, da wir nun doch uns von Jugend auf kennen, daß der Herr Lieutenant mich zu seinem Burschen nehmen wollte, damit wir auch im Felde zusammen sind.« –

»Halt, mein guter Junge,« rief der Offizier, »so weit sind wir noch nicht, wir marschiren noch nicht, vielleicht gar nicht – bis jetzt sind noch keine Urlauber eingezogen und die Armee ist in der einfachen Friedensstärke. Also kann ich Dich beim besten Willen nicht brauchen. – Aber,« fuhr er fort – »wenn es wirklich losgeht, dann verspreche ich Dir, Dich zu nehmen, – nicht als meinen Burschen, – ich habe einen tüchtigen und ordentlichen Menschen und,« fuhr er lächelnd fort, »der Sohn des alten Deyke ist auch zu vornehm zum Bedienten.« –

»Nicht für den Herrn Lieutenant!« sagte Fritz mit einem gewissen, stolzen Ausdruck, aus welchem deutlich zu hören war, daß er sich allerdings jedem Andern gegenüber für bei Weitem zu vornehm zum Bedienten gehalten hätte.

»Nun sei ruhig,« sagte der Lieutenant, »zu mir sollst Du jedenfalls kommen – wenn die Zeit da ist, will ich dafür sorgen, daß Du in meinen Zug eintrittst, dann wollen wir zusammen von den Dragonern reden machen!«

»Also der Herr Lieutenant versprechen mir, daß ich mit soll, und bei Ihnen bleiben?« fragte der junge Bauer.

»Ich verspreche es Dir,« sagte der Lieutenant, »meine Hand darauf!«

Und er reichte seinem Jugendgespielen mit natürlicher Herzlichkeit die Hand, welche dieser mit Ehrerbietung ergriff und herzlich drückte.

»Dann Gott befohlen, Herr Lieutenant,« sagte er, »hoffentlich nicht auf lange!«

Während der junge Bauer sich von seinem Offizier verabschiedete, hatte der Diener stillschweigend die Thür geöffnet und der Pfarrherr mit seiner Tochter und seinem Neffen waren in den Saal getreten.

Der geistliche Herr stellte den Kandidaten dem Oberamtmann vor, der ihn mit herzlichem Händedruck begrüßte und ihn dann zu seiner Frau führte, welche ihn mit freundlichen Worten willkommen hieß.

Helene hatte sich bald zu Fräulein von Wendenstein gesellt und half ihr, nachdem sie ihren Hut abgelegt, die letzte Hand an das Arrangement des Theetisches zu legen.

Der Lieutenant trat zu den jungen Damen.

»Nun, Fräulein Helene,« rief er, »jetzt wird es Ernst – jetzt bitte ich Sie ernstlich um gute Wünsche, denn vielleicht bald werde ich die nöthig haben. Nicht wahr,« sagte er mit Herzlichkeit, indem ein tiefer, warmer Blick ihr Auge traf, – »Sie werden zuweilen an mich denken, wenn wir wirklich ausrücken, und mir auch einen guten Wunsch senden?«

Sie schlug ihr Auge eine Sekunde zu ihm auf und senkte es dann wieder, indem sie mit leicht zitternder Stimme sagte: »Gewiß werde ich an Sie denken und Gott bitten, daß er Sie behüten möge!«

Er sah sie betroffen an. Die Worte waren so einfach und natürlich und doch klang etwas aus denselben zu seinem Herzen, das ihn heute zum ersten Mal empfinden ließ, daß er bei dem bevorstehenden Ausmarsch zum frischen, fröhlichen Krieg noch Etwas hinter sich zurücklassen müsse.

»Ich erinnere mich noch sehr gut,« sagte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen, »der dunkeln Wolke, die wir am Abend vor meines Vaters Geburtstag sahen, wie sie aus dem Licht des Mondes weit und weiter hinauszog. Jetzt denke ich wieder so recht daran, da ich selbst für lange Zeit, vielleicht zum letzten Mal im freundlichen Licht der Heimat stehe. – Sie sehen, Fräulein Helene,« fuhr er leicht und heiter fort, als wolle er die in ihm aufsteigenden Gefühle zurückdrängen, – »ich lerne von Ihnen, – ich bin schon so weit, Ihre schönen Gedanken zu behalten, – noch einen Schritt und ich werde vielleicht schon eigene haben.«

Sie antwortete weder auf seine ernste noch auf seine scherzende Bemerkung, sondern sah still vor sich hin.

»Der Thee ist fertig, liebe Mama,« sagte Fräulein von Wendenstein, nachdem sie einen letzten prüfenden Blick auf den großen runden Tisch geworfen hatte, der heute ausnahmsweise in den Salon gebracht war und ein improvisirtes Souper trug.

Frau von Wendenstein erhob sich und näherte sich der Tafel mit dem Pastor und dem Oberamtmann, denen der Kandidat folgte.

»Sie setzen sich zu mir, nicht wahr?« sagte der Lieutenant halb leise zu Helene, – »wie in alter Zeit.«

Sie antwortete nicht, stellte sich aber schweigend vor das Couvert neben ihm.

Der Kandidat warf einen prüfenden Blick zu den jungen Leuten hinüber und setzte sich neben Fräulein von Wendenstein.

Es war nicht der Geist heute im alten Amtshause zu Blechow, der sonst am Tische des Oberamtmanns herrschte. Die Konversation war gezwungen. Niemand sprach aus, was er dachte und Niemand dachte, was er sprach. Die Scherze, welche der Oberamtmann zuweilen gewaltsam versuchte, fielen matt nieder, wie verfehlte Raketen, und auf den Teller der Frau von Wendenstein fiel mancher stille Thränentropfen.

Der Lieutenant zog die Uhr.

»Es wird Zeit,« sagte er, »Du erlaubst, Mama, daß ich aufstehe. – Johann, mein Pferd!«

Alle erhoben sich.

»Nun noch eine Bitte,« sagte der Lieutenant, »singen Sie mir noch ein Lied zum Abschied, Fräulein Helene, – Sie wissen, ich höre Sie so gern singen – und heute möchte ich eine freundliche Erinnerung an die liebe Heimat mitnehmen.«

Ein leichtes Zittern flog durch die zarte Gestalt des jungen Mädchens. Sie machte wie unwillkürlich eine leicht abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Ich bitte,« sagte er mit halblauter Stimme.

Der Oberamtmann war an den Flügel getreten und hatte ihn geöffnet, und Helene saß bald, von dem Fräulein von Wendenstein geführt, vor dem Instrument, während der Lieutenant sich an die Thüre nach dem Garten lehnte, durch welche die helle Dämmerung hereindrang, welche in den Junitagen so lange nach dem Untergang der Sonne in die Nacht hinein dauert.

Helene hatte die Hände auf die Tasten gelegt und blickte vor sich hin.

Dann schlug sie einige Akkorde an und ohne den Blick zu erheben begann sie, wie unwillkürlich einer inneren Bewegung folgend, nach der wunderbar schönen Mendelssohn'schen Melodie das Lied zu singen:

»Es ist bestimmt in Gottes Rath,
Daß man vom Liebsten, was man hat,
Muß scheiden.«

Ihre schöne reine Stimme hatte einen tief ergreifenden Ton und füllte den Saal wie mit magnetischem Strom. Der Lieutenant trat einen Schritt hinaus in den Schalten der Abenddämmerung, Frau von Wendenstein beugte ihr Haupt tief herab und man hörte ihr leises Weinen.

Immer tiefer und inniger erklangen die Töne, obgleich das Gesicht der Sängerin in fast starrer Gleichgültigkeit blieb, und als sie zum Schluß kam, da zog es wie eine wunderbare Zuversicht, wie ein heiliger Glaube durch ihren Gesang:

»Wenn Menschen auseinandergeh'n,
So sagen sie: auf Wiederseh'n!«

Alle schwiegen unter dem mächtigen Eindruck, den das Lied und sein Vortrag gemacht hatte.

Der Lieutenant trat von der Terrasse herein. Sein Gesicht war tief ernst, – einen langen innigen Blick richtete er auf das junge Mädchen, welches aufgestanden war und, die Augen gesenkt, mit demselben ruhigen, fast starren Gesicht neben dem Flügel stand; dann ging er zu seiner Mutter und küßte ihr die Hand.

Die alte Dame stand auf, nahm seinen Kopf in ihre Hände und drückte einen heißen Kuß auf seine Stirn. Dann sagte sie leise: »Gott schütze Dich, mein Sohn!« und drängte ihn sanft von sich, als wolle sie der Bewegung des Abschieds ein Ende machen.

Der Oberamtmann drückte seinem Sohne die Hand und sprach:

»Geh' mit Gott und wenn es sein muß, so handle Deines Standes und Deines Namens würdig! – Doch nun kein Abschiednehmen weiter,« rief der alte Herr, indem er einen besorgten Blick auf seine Gattin warf, welche in das Sopha zurückgesunken war und das Gesicht mit ihrem Tuche bedeckte. – »Zu Pferde! wir begleiten Dich hinaus.«

Und er schritt durch die Thür der Vorhalle, welche der Diener geöffnet hatte.

Der Pfarrer und der Kandidat folgten ihm.

Der Lieutenant wendete sich noch einmal, umarmte seine Schwester und trat dann zu Helene.

»Ich danke von Herzen für das Lied,« sagte er, ihre Hand ergreifend und, halb als ob das Abschiedslied in ihm nachklänge, halb als spräche er zu ihr, fügte er hinzu:

»Wenn Menschen auseinandergeh'n,
So sagen sie: auf Wiederseh'n!«

»Auf Wiedersehen!« wiederholte er, hob ihre Hand an seine Lippen und drückte einen Kuß darauf.

Dann eilte er seinem Vater nach.

Eine helle Röthe schlug in dem Gesicht des jungen Mädchens auf, ihre Züge belebten sich und ihr Auge folgte ihm mit einem wunderbar schimmernden Blick. Dann sank sie aus den Stuhl vor dem Flügel nieder und eine heiße Thräne fiel in ihren Schooß, unbemerkt von Frau von Wendenstein, welche noch immer das Gesicht mit dem Taschentuch bedeckt hielt, unbeachtet von ihrer Tochter, welche die Mutter sanft umschlungen hielt und mit der Hand leicht ihr graues Haar streichelte.

Draußen aber stand Fritz Deyke, der es sich nicht hatte nehmen lassen, das Pferd des Lieutenants vorzuführen, und ungeduldig scharrte Roland mit den Hufen im Sande.

Der Lieutenant umarmte seinen Vater und den Pastor und reichte dem Kandidaten die Hand, welche dieser mit einer Verbeugung ergriff, wobei man, wenn die Dämmerung weniger vorgeschritten gewesen wäre, einen stechenden, feindlichen Blick hätte bemerken können, den er auf den Offizier warf.

Dieser sprang leicht und gewandt in den Sattel. – »Gott befohlen, Herr Lieutenant, ich komme bald nach!« rief Fritz Deyke – und in sausendem Galopp flog der junge Mann in die herabsinkende Nacht hinein.


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