Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

König Georg saß in dem schottischen Kabinett der Villa Braunschweig in Hietzing, bequem eingehüllt in seinen weiten österreichischen Militärüberrock. Durch die geöffneten Fenster drang die laue Morgenluft hinein, und der König atmete tief die Düfte ein, welche die Blumen des Gartens in das Kabinett des verbannten Königs sendeten. – Die Blumen duften ja ihren süßen Trost den Menschen entgegen, ohne zu fragen nach Glück oder Unglück, nach Macht oder Unmacht; was die Liebe des Schöpfers ihnen gab, das geben sie wieder den glücklichen Herzen zur Verschönerung der Freude – den bekümmerten zur Erquickung in Trübsal und Sorge.

Der Kammerdiener trat ein und meldete den Geheimen Kabinettsrat Lex.

Der König richtete sich in seinem Stuhl auf und reichte dem alten, treuen Geheimsekretär, den er schon als Kronprinz bei sich gehabt hatte, die Hand hinüber, die dieser ehrerbietig an seine Lippen führte.

»Mr. Douglas ist von Petersburg zurückgekehrt, Majestät,« sagte der Geheime Kabinettsrat mit seiner feinen, dünnen Stimme, »und bittet Eure Majestät um Gehör!«

»Ah!« rief der König, »das ist mir sehr interessant, ich bin gespannt, zu hören, was er dort gesehen und erfahren hat, in seinen Briefen hat er mich auf seinen mündlichen Bericht verwiesen, er hatte recht, man darf so diskrete Dinge nicht der Post anvertrauen, ich will ihn sogleich empfangen. Nachher will ich einen Brief an die Königin schreiben, ich habe lange darüber nachgedacht –«

Er hielt einen Augenblick inne.

»Und Eure Majestät sind entschlossen, die dringende Bitte Ihrer Majestät der Königin zu erfüllen und Allerhöchstderselben zu erlauben, daß sie die Marienburg verlasse und hierher komme?« fragte der Kabinettsrat, mit Spannung in das Gesicht seines königlichen Herrn blickend.

»Nein, mein lieber Lex,« sagte der König mit tiefem Ernst, »ich kann diesen Wunsch meiner Königin nicht erfüllen, so schmerzlich es mich berührt, sie dort in dieser peinlichen und leidensvollen Lage zu wissen. Sie muß ausharren und muß sich ihrer Stellung opfern, das ist das Schicksal und die Pflicht der Fürsten, und wem Gottes Hand den schweren Reif der Krone auf die Stirn legte, der muß der Freiheit zu entsagen wissen, nach den Wünschen und Neigungen des eigenen Herzens zu handeln. Noblesse oblige – das dürfen die Könige vor allem nicht vergessen, denn nur dadurch, daß wir unser Wollen und Denken, unser Hoffen und Wünschen den großen Prinzipien, dem Wohl des Ganzen rückhaltslos opfern, nur dadurch, daß wir an uns selbst immer zuletzt denken, alle Pflichten, alle Lasten und Schmerzen auf uns nehmen, haben wir das Recht, über die anderen zu herrschen und die Schicksale der Völker zu lenken.«

Er fuhr mit der Hand über die Augen und sprach dann mit ruhiger, fester Stimme weiter:

»Die Königin muß dort bleiben und die peinlichen Leiden ihrer Lage ertragen. Sie muß warten, bis sie gewaltsam von der Marienburg entfernt wird, ich kann ihr das nicht ersparen. Würde sie freiwillig, ohne die äußerste Nötigung das Land verlassen, das auf sie blickt, das in ihr den letzten Zusammenhang mit seinem Herrscherhause sieht, so würde damit auch freiwillig das Recht aufgegeben, das Recht, dessen erste Vertreterin nach mir meine königliche Gemahlin ist.«

»Aber,« sagte der Kabinettsrat mit leicht zitternder Stimme, »die Gesundheit Ihrer Majestät leidet darunter –«

»Die Könige müssen für ihr Recht und ihre Kronen, wenn es sein muß, zu sterben wissen!« sagte der König mit dumpfer Stimme. »Lassen Sie Mr. Douglas kommen,« fuhr er nach einem augenblicklichen Schweigen fort, »ich bin gespannt, ihn zu hören, nachher werde ich Ihnen den Brief an die Königin diktieren.«

Der Geheime Kabinettsrat verließ das Kabinett und einen Augenblick darauf trat der englische Geistliche ein, unverändert in seiner Erscheinung. Ruhig verneigte er sich vor dem König, nachdem die Tür des Kabinetts wieder geschlossen war, und die zwei Finger der rechten Hand erhebend, sprach er mit seiner vollen, pathetisch anklingenden Stimme:

»Gott segne Eure Majestät!«

»Setzen Sie sich, mein lieber Mr. Douglas,« rief der König, »ich bin unendlich erfreut, Sie wieder hier zu wissen, und sehr gespannt auf alles, was Sie mir über Ihre Reise erzählen werden. Sie werden viel gesehen und gehört haben und mir viel zum Verständnis der politischen Lage mitteilen können. Ich hoffe, daß die Reife Ihre Gesundheit nicht angegriffen hat?« fügte er mit verbindlichem Tone hinzu.

»Ich bin stark, alle Anstrengungen zu ertragen,« sagte Mr. Douglas, »wenn es eine große und gute Sache gilt, und für die Sache Eurer Majestät würde ich die Welt durchreisen.«

»Warum denken nicht alle Engländer wie Sie!« rief der König, »England hat kein Gefühl mehr für das Blut seiner großen Könige!«

»Weil England von den großen ewigen Prinzipien abgewichen ist, auf welchen das Reich Gottes erbaut werden soll,« sagte Mr. Douglas, »weil England in den Dienst des bösen Geistes, das heißt des Materialismus, versunken ist, aus dessen Herrschaft es befreit werden muß, wenn es seiner Vergangenheit würdig in der Zukunft erhalten bleiben soll.«

Der König schwieg einen Augenblick.

»Nun,« sagte er dann, »erzählen Sie mir viel von Rußland, Sie waren in Petersburg und Moskau?« –

»In Petersburg und Moskau, vorher in Warschau,« erwiderte Mr. Douglas, »ich bin überall sehr freundlich aufgenommen worden, der Kaiser und Fürst Gortschakoff haben mich freundlich empfangen und gütig angehört, die Großfürsten waren sehr gnädig, ganz besonders hat mir der Herzog Georg von Mecklenburg-Strelitz beigestanden, um mich überall einzuführen und mir das Verständnis der Verhältnisse zu erleichtern.«

»Ein vortrefflicher Herr,« sagte der König.

»Ein Fürst von großer Liebenswürdigkeit und Intelligenz, und trotz seiner russischen Stellung hat er sich deutschen Geist und deutsches Gefühl bewahrt.«

»Nicht wahr,« fügte der König, »Sie haben die Überzeugung gewonnen, daß die Idee des Herrn von Beust: Rußland von Preußen zu trennen, großen Schwierigkeiten begegnet, ja, wie ich überzeugt bin, unausführbar ist?«

Mr. Douglas richtete sich gerade, mit vorgestreckter Brust auf seinem Stuhle auf und begann in dem langsamen, scharf akzentuierten Tone eines Kanzelvortrages:

»Nein, Eure Majestät, diese Überzeugung habe ich nicht gewonnen, im Gegenteil, ich bin tiefer als je von der Überzeugung durchdrungen zurückgekommen, daß die ganze Aufgabe der österreichischen Politik und damit auch der Politik Eurer Majestät, darin bestehen muß, die Allianz zwischen Rußland und Preußen zu verhindern und die Lösung der orientalischen Frage im engen Verein von Österreich und Rußland herbeizuführen.«

Der König warf den Kopf mit dem Ausdruck des Erstaunens und der Befremdung empor.

»Die Allianz zwischen Rußland und Preußen zu verhindern?« fragte er. »Glauben Sie denn, daß diese Allianz nicht längst besteht? Und,« fuhr er fort, »die orientalische Frage anregen, heißt das nicht gerade Rußland und Preußen noch enger zueinander führen, diese beiden einzigen Mächte, welche im Orient keine kollidierenden Interessen haben?«

»Erlauben mir Eure Majestät,« sagte Mr. Douglas, »meine Beobachtungen Ihnen in großen Zügen mitzuteilen, Sie werden dann vielleicht meine Auffassung billigen, später werde ich Eurer Majestät ein ausführliches Memoire darüber Zusammenstellen.«

»Sprechen Sie, ich bin unendlich gespannt,« sagte der König, indem er sich in seinen Fauteuil zurücklehnte und mit der Hand die Augen bedeckte.

»In diesem Augenblick, Majestät,« sprach Mr. Douglas langsam und mit der Betonung eines geistlichen Vortrages, »in diesem Augenblick ist das ganze russische Reich auf das tiefste bewegt durch die plötzliche Freilassung der Leibeigenen, welche das Vermögen des an orientalischen Luxus gewöhnten russischen Adels so empfindlich verringert hat, daß man überall laute Klagen hört.«

»Die natürliche Folge aller großen reformatorischen Maßregeln, welche naturgemäß tief in die Verhältnisse einschneiden müssen,« warf der König ein, »die zunächst Beteiligten werden immer unzufrieden sein, dennoch aber war die Maßregel nötig, Kaiser Nikolaus hatte sie schon ins Auge gefaßt, und ich bewundere die Festigkeit, Weisheit und Ruhe, mit welcher der Kaiser Alexander sie durchgeführt hat. Die Aufhebung der Leibeigenschaft wird die Grundlage für die künftige Größe Rußlands sein. Durch diese große Reform hat der Kaiser Alexander ein russisches Volk geschaffen, wie Peter der Große einst Rußland als politische Nation in den Kreis der europäischen Staaten einfühlte. Die damals geschaffene Staatsmaschine wird jetzt Fleisch und Blut bekommen, sie wird zum lebendigen Organismus werden, und damit wird Rußland in schnellem Wachstum sich zu einem ökonomischen und politischen Riesen entwickeln, der aber doch Europa niemals gefährlich sein wird, wenn man ihn nicht angreift, da dies gewaltige Reich alles in sich trägt, was es bedarf und wünschen kann, da es keine Vergrößerung wünschen muß und damit die sichere Bedingung der Ruhe und des Friedens in sich trägt.«

Der König hatte schnell und lebhaft gesprochen und mit bewegten Zügen schien er die Antwort zu erwarten.

Mr. Douglas schwieg einen Augenblick. Auf seinem Gesicht stand deutlich geschrieben, daß er des Königs Auffassung nicht teile.

»Der Irrtum, Majestät,« sagte er dann langsam, »den ich in der Manumission erblicke, liegt nicht in der Sache selbst, sondern darin, daß sie so plötzlich geschah. Sie traf den russischen Adel wie ein Donnerschlag aus hellem Himmel, und was noch trauriger ist, sie fand den Bauer sehr roh und der Freiheit unfähig.«

Der König hatte wieder den Kopf in die Hand gestützt und hörte aufmerksam zu.

»Die Bauern sind faul, bearbeiten natürlich ihre eigenen Güter zuerst, und da die Bevölkerung überall sehr wenig dicht ist, so werden die ohnehin schon verringerten Güter des Adels nur spärlich bearbeitet, und für diese Bearbeitung fordern die Bauern dann noch ganz exorbitanten Lohn von ihren früheren Herren, sie sind übermütig und zügellos und erinnern unwillkürlich an die Worte:

»Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzitt're nicht!«

Mr. Douglas, welcher die ganze Konversation mit dem Könige in englischer Sprache führte, sprach die letzten Worte deutsch mit jenem eigentümlichen Gutturalton des englischen Akzents.

Georg V. lächelte fast unmerklich.

»Aber die auswärtige Politik Rußlands?« fragte er.

»Ich habe von der Freilassung der Leibeigenen gesprochen, Majestät,« sagte Mr. Douglas, »weil die Gärung, welche diese Sache durch das ganze russische Reich verbreitet, einen sehr wesentlich bestimmenden Einfluß auf die auswärtige Politik Rußlands ausüben muß und wird.«

Der König richtete sein Gesicht mit dem Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit nach dem Sprechenden hin, dann ließ er den Kopf wieder in die Hand sinken.

Mr. Douglas fuhr fort:

»Eure Majestät können sich keine Vorstellung davon machen, mit welchem uneingeschränkten Absolutismus in Rußland die öffentliche Meinung regiert, es –«

»Die öffentliche Meinung,« fragte der König erstaunt, »eine öffentliche Meinung in Rußland, trotz der Zensur, bei der geringen Bildung des Volkes?«

»Die Zensur kann nicht alles unterdrücken,« sagte Mr. Douglas, »und je geringer die Bildung des Volkes, um so unbedingter ist der Einfluß des gedruckten Wortes. Der Adel nun hat sich dieser öffentlichen Meinung zu bemächtigen gewußt, ganz im Gegensatz zu dem Adel in anderen Ländern; und da man in diesen Kreisen die Neuerungen in den Verhältnissen des Grundbesitzes allgemein dem Einfluß deutscher, das heißt preußischer Ideen zuschreibt, so predigen alle Organe der öffentlichen Meinung den Haß gegen Preußen, und das Volk, ohne den Zusammenhang zu ahnen, folgt dieser Leitung; die untere Bureaukratie und Polizei übt die Zensur gegen solche Artikel, welche ja nichts gegen Rußland enthalten, kaum aus. Der Kaiser und der Hof beugen sich vor dem Tyrannen der öffentlichen Meinung, und Fürst Gortschakoff, so unumschränkt er sonst seinen Willen durchsetzt, mit so großer Feinheit er auch seine Wege zu seinen Zielen zu verfolgen versteht, würde es doch nicht wagen, auch nur eine Woche lang eine Politik zu verfolgen, welche bei der öffentlichen Meinung unpopulär geworden. – An bei Spitze dieser öffentlichen Meinung steht nun das Organ der Altrussen, der Jorics, die Moskauer Zeitung, welche der seit der letzten polnischen Revolution wohlbekannte Katkoff redigiert.«

»Katkoff – Katkoff,« sprach der König, »was ist das für ein Mann, haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Ich habe seine Bekanntschaft gemacht,« sagte Mr. Douglas, »als ich in Moskau war, und habe dann auch auf dem Landgute des Grafen Tolstoi, des gefeierten Autors »Iwans des Schrecklichen«, eine ganze Gesellschaft von Mitarbeitern der Katkoffschen Zeitung kennen gelernt. Katkoff ist ein Mann von großem Geiste und feurigem Sinn, der es versteht, zu den Russen zu sprechen und allen seinen Mitarbeitern seinen Geist einzuhauchen. Der Moskauer Zeitung und der von ihr der ganzen Presse gegebenen Richtung ist es besonders zu danken, daß die innige Allianz Rußlands mit Preußen, welche sowohl der Kaiser als auch besonders Fürst Gortschakoff dringend wünschen, noch nicht Tatsache geworden ist.«

Der König schüttelte schweigend leicht den Kopf.

»Zwar hat, wie ich sehr bestimmt weiß,« fuhr Mr. Douglas fort, »der Oberst von Schweinitz, der preußische Militärbevollmächtigte, sich sehr viel Mühe gegeben, Katkoff für Preußen und die preußische Allianz günstiger zu stimmen.«

»Die preußische Diplomatie ist immer geschickt und tätig,« sagte der König, »wollte Gott, daß ihre Gegner von ihr lernen möchten.«

»Die Bemühungen des Obersten von Schweinitz waren aber vergeblich,« sagte Mr. Douglas, »Katkoff predigt nach wie vor den Haß gegen Preußen und die preußischen Ideen, und er selbst würde auch kaum eine Wendung machen können, wenn er nicht von der Partei der Altrussen, welche ihn emporgehoben hat, vernichtet werden wollte.«

»Und die Regierung tut gar nichts?« fragte der König, »um ihrerseits einen Einfluß auf die öffentliche Meinung zu gewinnen?«

»Sie hat einige offiziöse Organe,« sagte Mr. Douglas, »die aber in der Tat ohne Bedeutung sind, auf Katkoff und die Organe seiner Farbe kann sie aber leinen Einfluß gewinnen, so lange sie mit der Partei der Altrussen nicht Frieden macht, und diesen Frieden würde sie nur durch große Konzessionen schließen können. Es ist daher für jeden, der Rußland zum Freunde haben will, von höchster Wichtigkeit, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen und durch Kalkoffs Zeitung sich die Gunst dieser maßgebenden und tyrannischen Macht zu erwerben. Auch Eure Majestät müssen nach meiner Überzeugung nach dieser Richtung handeln, wenn die russische Macht in einem gegebenen Augenblick ernstlich für Ihre Interessen eintreten soll, in dem Augenblick,« fügte er mit erhobener Stimme und die zwei Finger der rechten Hand ausstreckend, hinzu, »in welchem die Männer in den weißen Kleidern sich erheben werden, um den Dämon des Abgrundes wieder von dem angemaßten Thron seiner Macht herabzustürzen. Eure Majestät müssen in dieser Richtung mit Österreich gemeinsam arbeiten, denn die innige Verbindung Österreichs und Rußlands ist der erste Schritt zu der großen christlichen Koalition gegen das Heidentum!« »Und glauben Sie,« fragte der König, »daß es möglich sein könne, eine innige Beziehung zu Österreich in Rußland populär zu machen? Sieht man in Österreich nicht ebensogut das Prinzip der deutschen Nationalität, das, wie Sie mir sagen, so verhaßt ist, und kann irgendein Russe Österreich seine Mitschuld an dem Verlust des Schwarzen Meeres verzeihen? Kann,« fügte er etwas leiser, wie zu sich selber sprechend, hinzu, »kann dies Schwarze Meer für Rußland wiedergewonnen werden ohne Preußen?«

»Ich habe in den Kreisen der Altrussen viel über das Verhältnis zu Österreich gesprochen,, Majestät,« sagte Mr. Douglas, »und ich schmeichle mir, daß ich nicht wenig dazu beigetragen habe, namentlich auch bei Kalkoff persönlich und bei seinen Freunden, jene Anschauungen zu bekämpfen, welche Eure Majestät soeben anzudeuten die Gnade hatten; ich habe mich überzeugt, daß bei meiner Abreise die Ansichten über Österreich und eine österreichische Allianz wesentlich andere waren, als bei meiner Ankunft.«

Abermals glitt ein leichtes, kaum bemerkbares Lächeln über das Gesicht des Königs.

»Erzählen Sie mir das ausführlicher,« sagte er, das Gesicht mit der Hand bedeckend.

»Um das ganze Verhältnis klarzumachen, Majestät,« fuhr Mr. Douglas fort, »muß ich noch einiges über die zweite Macht bemerken, welche neben der öffentlichen Meinung in Rußland herrscht, und welche ebenso wie jene innig mit der Partei der Altrussen verbunden ist. Diese Macht ist die Kirche.«

»Aber an der Spitze der Kirche steht der Kaiser,« warf der König ein.

»Er steht an der Spitze als das höchste irdische Oberhaupt,« sagte Mr. Douglas, »und aus dieser Stellung fließt die tiefe, liebevolle Ehrfurcht, welche jeder Russe für den Kaiser hegt, dennoch aber ist der Kaiser nicht im eigentlichen Sinne Priester und die innere gewaltige Macht der Kirche beherrscht er nicht, er hat nicht jene tausend seinen, aber so festen und gewaltig bewegenden Fäden in der Hand, durch welche die Geistlichkeit die Gefühle und Gesinnungen des Volkes leitet. Die wahre Herrschaft über die Kirche liegt in den Händen des Metropoliten, Monseigneur Philorites. Dies ist ein alter Mann von fast neunzig Jahren, ich habe ihn nicht persönlich kennen gelernt, aber ich habe seine Schriften gelesen und sie zeugen von hohem Geist und tiefer Bildung. Er lebt im Rufe der Heiligkeit und vor ihm beugen sich der Kaiser und das ganze Volk, auf jedes Wort von ihm hört man wie auf ein Orakel. Dieser Metropolit ist ebenfalls ein erbitterter Preußenfeind.«

»Weshalb?« fragte der König.

»Man sagt mir,« erwiderte Mr. Douglas, »daß er durch eine Verbindung mit Preußen das Eindringen des biblisch kritischen Geistes der deutsch-protestantischen Theologie fürchtet, oder vielmehr des sich hinter wissenschaftlicher Forschung verbergenden Unglaubens, welcher die Negation des eigentlichen Kerns des Christentums bildet. Das Eindringen dieses Geistes würde aber für Rußland eine entsetzliche Gefahr sein, denn die russische Geistlichkeit – namentlich in den unteren Graden – ist noch so sehr roh und ungebildet, daß sie einer solchen Propaganda nicht entgegenzutreten vermöchte, und es würden die preußischen Ideen unaufhaltsam Kirche, Thron und Staat zugrunde richten. – Daher unterstützt der Metropolit und der ganze mächtige Einfluß, der in seinen Händen ruht, die öffentliche Meinung Katkoffs und seiner Partei in der Verbreitung des Hasses gegen Preußen, und wer einen unwiderstehlichen Einfluß auf die Politik Rußlands ausüben will, muß diese beiden mächtigen Faktoren auf seine Seite bringen und den schon in hohen Wogen gehenden Preußenhaß benützen, dann wehe dem Minister, der ihm feindlich entgegentreten wollte!«

Der König schwieg einen Augenblick.

»Man hat mir aber von einer anderen, sehr fest organisierten und sehr einflußreichen Partei gesprochen,« sagte er dann, »den Nihilisten, wie man sie nennt, welche auch durch einzelne Fäden mit den internationalen Verbindungen in der Schweiz, England und Frankreich zusammenhängen. Diese müßten doch andere Anschauungen haben.«

»Die Nihilisten, Majestät,« sagte Mr. Douglas, »haben nach meiner Beobachtung gar keinen Einfluß, Katkoff hat sie lächerlich gemacht und vollständig vernichtet, was übrigens kaum nötig war, dagegen gibt es allerdings noch eine Partei oder eigentlich mehr eine Klasse von Menschen, denen Stücke von unverdauter moderne, Bildung im Kopfe liegen; ich meine die sogenannten Jungrussen ich habe wenige von ihnen kennen gelernt, doch viel mit einsichtiger und klar denkenden Männern über sie gesprochen, namentlich auch mit dem Grafen Berg, dem Gouverneur in Warschau. – Sie sind die Lafayettes und Mirabeaus von Rußland, sind große Anbeter Nordamerikas und der dortigen Zustände, träumen von einer konstitutionellen Monarchie und arbeiten bewußt oder unbewußt auf eine Republik, zunächst vielleicht mit dem Zar an der Spitze, hin – Sie aber auch hassen die Preußen ebenso sehr als die Altrussen und die Orthodoxen. Eigentlich wissen sie wohl selbst nicht recht, was sie wollen, sie repräsentieren jene Richtung in allen Staaten und Völkern, welche in dem dunklen Wunsch des Fortschritts vorandrängt, ohne das Ziel zu sehen und zu begreifen wohin ihre Wege führen. Aber in diesen Jungrussen ist dennoch das nationale Gefühl so mächtig, daß ihre Devise heißt: Alles für Rußland, aber nur durch Rußland; den fremden preußischen Einfluß, den eine Allianz mit Preußen ihnen bringen würde, verabscheuen sie.«

»Wie aber,« fragte der König, »soll aus alledem eine Allianz mit Österreich hervorgehen, und zwar eine solche Allianz, die das Werk von 1866 wieder zerstören könnte?«

»Es wird nur darauf ankommen,« sagte Mr. Douglas, »dem russischen Volke zunächst klar zu machen, wie Österreich im natürlichen und notwendigen Antagonismus zu Preußen steht, dann wird schon ein gewisses sympathisches Gefühl als Basis der weiteren Operation entstehen. Rußland sucht einen und bedarf eines Alliierten. Nur deshalb, weil es keinen anderen hatte, hat es sich zu Preußen gewendet. Als ich dem Fürsten Gortschakoff sagte, daß er durch seine Freundschaft für Preußen sich zum Mitschuldigen einer Politik der gewaltsamen Annexionen machte, hat er mir einfach, indem er mich scharf durch seine Brille ansah, geantwortet ›Was können wir sonst machen? – Auf Frankreich kann sich niemand verlassen, noch weniger auf England, Österreich ist zu schwach und uns nicht hold, – verfeinden wir uns mit Preußen, so stehen wir allein da.'«

»Als russischer Minister hat er vollkommen recht,« flüsterte der König fast unhörbar.

»Rußland könnte jetzt die Allianz Frankreichs sehr bald haben, indes nur durch große Konzessionen,« fuhr Mr. Douglas fort, »und außerdem wird Frankreich immer, wie schon Napoleon I. es war, unzuverlässig in bezug auf die orientalischen Angelegenheiten sein. Dazu kommt, daß die öffentliche Meinung in diesem Augenblick sehr kühl gegen Frankreich und Louis Napoleon ist. Man glaubt, wie mir der Herzog von Mecklenburg sagte, daß der Stern Napoleons im Sinken sei. Und in Rußland liebt man nur den, der Erfolg hat. Nun hat zwar Napoleon dadurch, daß seine Freunde mit einer gewissen Geschicklichkeit die Lösung der Luxemburger Frage als einen Erfolg darzustellen gewußt haben, ein wenig an seinem Prestige gewonnen, auch hat er es geschickt so eingerichtet, daß er den Kaiser Alexander in Paris einige Tage allein und ungestört für sich hatte, aber das Attentat auf den Kaiser hat, wie ich glaube, seine Pläne vernichtet.«

»Aber Sie wünschten doch,« warf der König ein, »die Verständigung zwischen Frankreich und Rußland?«

»Ich wünsche sie auch noch,« sagte Mr. Douglas, »nur soll sie durch Österreich gemacht werden. Wenn Rußland sich mit Österreich fest und innig alliiert, so muß Napoleon, wenn er nicht allen Halt in Europa verlieren will, sich dieser Verbindung anschließen, und er wird es tun, er muß aber verhindert werden, sich allein und ohne Österreich Rußland zu nähern, denn sonst würde er Preußen, das mit großer Klugheit alle diese Bewegungen beobachtet und seine Stellung dazu nimmt, mit in diese Kombination hineinziehen und dieselbe würde dann den ganz entgegengesetzten Erfolg haben. Rußland und Österreich,« fuhr er fort, die Hand erhebend und seine Worte scharf betonend, »müssen Hand in Hand die Welt reformieren, die Türken aus Europa vertreiben und die Herrschaft der christlichen Prinzipien wieder aufrichten!«

Der König erhob den Kopf. Ein Ausdruck fragenden Erstaunens lag auf seinen Zügen, es schien, als wolle er eine Bemerkung machen, doch bald stützte er wieder schweigend den Kopf in die Hand.

»Es kommt nun darauf an,« fuhr Mr. Douglas in demselben erhöhten Pathos fort, »den möglichst festen Einfluß auf Katkoff und die öffentliche Meinung zu gewinnen, um durch dieselbe jede Allianz mit Preußen und eine einseitige Allianz mit Frankreich trotz der Neigungen des Kaisers und des Fürsten Gortschatoff unmöglich zu machen, zugleich aber zu zeigen, baß Österreich die einzig richtige und nützliche Allianz für Rußland ist. Dazu müssen vor allem diejengen Motive entkräftet werden, welche in dem russischen Nationalgefühl der Annäherung an Österreich noch entgegenstehen.«

»Die Erinnerung an den Krimkrieg?« fragte der König, ohne aufzublicken.

»Nicht diese besonders,« sagte Mr. Douglas, »es ist ein naheliegender Grund, der das öffentliche Gefühl gegen Österreich aufgereizt hat, und dieser ist das Konkordat.«

»Das Konkordat?« rief der König, sich erstaunt aufrichtend, »was kümmert man sich in Rußland um das österreichische Konkordat?«

»Die Russen, Majestät,« sagte Mr. Douglas, »wissen einmal, daß Österreich nicht innerlich erstarken, also kein kräftiger Alliierter sein kann, so lange ihm durch die engherzigen Führer der Ultramontanen Hände und Füße gebunden sind, wie ja ganz Europa dies ebenfalls weiß. Dann aber erblicken gerade die Altrussen in dem durch das Konkordat gefesselten Österreich das willenlose Werkzeug des ehrgeizigsten und herrschsüchtigsten Teiles der ganzen römischen Hierarchie. Diese römische Hierarchie hat aber durch die Stellung, welche sie in Polen, namentlich während der letzten Revolution eingenommen, sich den tiefsten und unversöhnlichsten Haß der Russen zugezogen, und so lange das Konkordat besteht, trägt Österreich und die österreichische Regierung in den Augen Rußlands einen Teil der Mitschuld jener beklagenswerten Exzesse, – Ebenso hat die frühere Behandlung der Ruthenen eine tiefe Erbitterung gegen Österreich erregt. Während des jüngsten Slavenkongresses hat nichts auf die Russen so erbitternd und zündend gewirkt, als die wenigen Worte des Metropoliten von Moskau, durch welche er die orthodoxen Gläubigen ermahnte, für ihre unterdrückten Glaubensbrüder in Galizien zu beten, ein Echo des Schmerzes und Zornes folgte ihnen durch das ganze Land. – Löst sich Österreich von den Banden des Konkordats und beseitigt dadurch die Furcht, daß es als Werkzeug der Ultramontanen am Unglück Rußlands arbeite, sieht man dann in Rußland, daß die Ruthenen mit Toleranz und freundlicher Milde behandelt werden, so wird die ganze Stimmung in der russischen Nation eine andere werden, die öffentliche Meinung wird ihr Urteil sprechen, und kein Minister wird es wagen dürfen, sich mit dem Feinde Österreichs zu alliieren. – Dann,« fuhr er mit noch erhöhter Stimme fort, »wird der Mut der Süddeutschen erwachen, wenn sie Österreich Hand in Hand mit der gewaltigen Macht des Ostens erblicken, Frankreich wird sich anschließen, England wird nicht wagen dürfen, allein zu bleiben, Schweden und Dänemark werden folgen und dieser großen Koalition gegenüber wird die letzte Stunde der Pläne des Grafen Bismarck geschlagen haben. – Dann wird Deutschland verlangen, daß Österreich sein Stellung in Deutschland wieder einnehme und Österreich wird die Führung wieder ergreifen, die Einheit Deutschlands wird sich vollziehen durch die Unifikation in Verfassung, in Gesetzgebung und Militär –«

Der König fuhr empor und biß in seinen Schnurrbart.

»Und,« fuhr Mr. Douglas fort, »die einzelnen Fürsten mit ihren Höfen und dem Adel ihrer Länder werden die Stätten schaffen für die vielseitige und selbständige Bildung der Nation. Dann werden auch Eure Majestät und die übrigen verbannten Fürsten in ihre Länder zurückkehren, und das alles wird sich vollziehen ohne Krieg und Blutvergießen!«

»Ohne Krieg?« rief der König. »Sie glauben, daß Preußen ohne die äußerste Gewalt seine Stellung aufgeben werde?«

»Ich bin dessen gewiß,« sagte Mr. Douglas, »der Druck der Koalition wird so gewaltig, so übermächtig sein, daß das eigene preußische Volk eine Regierung perhorieszieren würde, die tollkühn genug sein möchte, sich dieser überwältigenden Macht zu widersetzen, alles wird ohne Krieg geschehen und das Wort wird sich erfüllen, das Lamm wird den Sieg davontragen über die schuppengepanzerten Drachen, die Männer in den weißen Kleidern werden, mit den Palmzweigen das Schwert überwinden.«

»Aber erinnern Sie sich,« sagte der König, »daß Friedrich II., als Preußen noch viel weniger mächtig war, um viel geringeren Preis sieben Jahre lang gegen die ganze Welt gefochten hat.«

»Friedrich war Despot,« erwiderte Mr. Douglas, »was er konnte, kann keine preußische Regierung heutzutage, das Volk in Preußen würde sich einem solchen Kampfe gegen die Welt heute widersetzen, und,« fügte er hinzu, indem ein sarkastisches Lächeln sein häßliches Gesicht verzog, »die Berliner Börse würde heute keine ephraimitischen Münzen und kein Ledergeld mehr akzeptieren.«

Der König erhob sich. »Haben Sie Ihre Auffassungen dem Herrn von Beust mitgeteilt?« fragte er.

»Ich habe ausführlich mit ihm gesprochen und werde ihm das Resultat aller meiner Beobachtungen noch in einem besonderen Memoire mitteilen; er war, wie ich glaube, ganz in derselben Ideenrichtung, welche ich soeben Eurer Majestät entwickelt habe. Auch ist Herr von Beust der Ansicht, daß ich jetzt wieder nach Paris gehen möge, um dort die Situation zu beobachten und auf den Kaiser Napoleon einzuwirken, damit er keine anderen Wege einschlage.«

»Ich glaube, daß es vielleicht besser wäre,« sagte der König leichthin, »wenn Sie jetzt Ihre Propaganda in England beginnen würden, um die dortige öffentliche Meinung in Ihrem Sinne zu stimmen, was vielleicht nicht so ganz leicht sein wird.«

Mr, Douglas sah den König erstaunt an, erhob die Hand und schien etwas erwidern zu wollen.

»Doch,« fuhr der König rasch fort, »über alles das werden wir noch sprechen, ich will Ihre Zeit jetzt nicht länger in Anspruch nehmen,« sprach er, indem er seine Uhr repetieren ließ, »ich habe noch einige Sachen zu erledigen, auf Wiedersehen bei der Tafel, mein lieber Mr. Douglas!«

Mr. Douglas verbeugte sich schweigend und verließ das Kabinett.

Der König schellte und befahl, den Geheimen Kabinettsrat zu rufen. Dann setzte er sich wieder und blieb in tiefes Nachdenken versunken in seinen Sessel zurückgelehnt sitzen, bis sein vertrauter Sekretär eintrat.

Derselbe legte seine Mappe auf den Tisch und blieb dem Könige gegenüber stehen.

»Ich habe soeben den Bericht des Mr. Douglas über seine Reise in Rußland angehört, mein lieber Lex,« sagte Georg V., »und er hat mir seine Anschauungen über die politische Lage und die Zukunft entwickelt, ich glaube, er hat ein wenig aus der Schule geschwätzt und ich habe da die innersten und letzten Gedanken des Herrn von Beust gehört.«

»Ich bin immer überzeugt gewesen, Majestät,« erwiderte der Geheime Kabinettsrat mit seiner dünnen, scharfen Stimme, »daß dieser Mr. Douglas von Herrn von Beust ganz besonders benützt wird, um Propaganda für diejenigen Ideen zu machen, welche der Minister nicht auf dem Wege der Diplomatie verbreiten kann oder will –«

»Und welche ich wahrlich nicht unterstützen werde,« fiel Georg V. lebhaft ein, »denn sie sind die Vernichtung desjenigen Prinzips, für welches ich kämpfe, und außerdem find sie so konfus und auf so falsche Voraussetzungen basiert, daß ich nicht begreife, wie man glauben kann, auf solche Weise die Politik Europas leiten und gestalten zu können. Er will,« fuhr er fort, »Rußland von Preußen trennen und mit Österreich alliieren, das ist schon eine Voraussetzung, welche ich für eine Unmöglichkeit halte, so lange in Preußen und Rußland Staatsmänner am Ruder sind, welche die Interessen beider Länder richtig verstehen. Hat Rußland und der Kaiser Alexander die Verletzung des Prinzips der Legitimität durch die Annexionen geduldet um der Kraft willen, welche es aus der preußischen Allianz schöpft, wie würde es jemals von dieser Allianz abfallen, um in Gemeinschaft mit Österreich Ziele zu verfolgen, zu deren Erreichung ihm die Rückendeckung durch Preußen notwendig ist? – Wenn aber,« fuhr der König, mit der Hand auf den Tisch schlagend, fort, »schon die Grundlage der Ideenfolge des Mr. Douglas eine falsche ist, so sind seine Ziele geradezu verwerflich. Er will die Mediatisierung der deutschen Fürsten, das heißt ihre Entkleidung der Militärhoheit, nur mit dem Unterschied, daß das Kommando statt in der Hand Preußens in derjenigen Österreichs liegen soll. – Soll dies das Ziel der politischen Aktion sein,« rief Georg V. lebhaft, »so werde ich an derselben nicht mitwirken. Ich will, daß in Deutschland das rein föderative Verhältnis zwischen selbständigen Fürsten wieder hergestellt werde, wie es im Prinzip die sonst so mannigfach verbesserungsfähige Bundesakte enthielt. Aber die Welt in Unruhe zu versetzen, die Gefahr eines großen, blutigen, unübersehbaren Krieges heraufzubeschwören, denn ohne einen solchen Krieg läßt sich ja das alles nicht verwirklichen, nur um Österreich an die Stelle von Preußen zum Zwingherrn Deutschlands zu machen, das würde ich für ein schweres Verbrechen halten.«

Der König hatte rasch und lebhaft gesprochen, schweigend, mit einem seinen Lächeln auf den Lippen, hörte der Geheime Kabinettsrat zu.

»Wissen Sie, lieber Lex,« fuhr Georg V. fort, »wie mir dieser Clergyman vorkommt? Wie Rodie in dem ewigen Juden von Eugen Sue; er spielt ein finsteres Spiel, um seinen Ehrgeiz im Dienste Österreichs zu befriedigen, aber mich soll er nicht zum Werkzeug seiner Pläne machen, – Gehen Sie sogleich zum Grafen Platen und sagen Sie ihm, daß er unverzüglich an Meding schreibe und ihm auftrage, den Kaiser Napoleon wissen zu lassen, daß dieser Douglas nichts mit mir zu tun habe, und daß es mir erwünscht sein werde, wenn der Kaiser ihn nicht mehr empfangen wolle.«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte der Geheime Kabinettsrat aufstehend.

Der Kammerdiener öffnete die Türe mit den Worten:

»Ihre Königliche Hoheit Prinzeß Friederike.«

Die Prinzessin trat ein, schwarz gekleidet, das Auge von Tränen verschleiert.

Schnell eilte sie auf den König zu, der sie in seine Arme schloß und zärtlich auf die Stirn küßte.

»Du erlaubst, Papa,« sagte die Prinzessin mit zitternder Stimme, »daß ich nach Hetzendorf fahre, die arme Mathilde hat mich bitten lassen, sie wünscht mich noch einmal zu sehen.« »Noch einmal zu sehen?« rief der König bestürzt, »mein Gott, geht es ihr denn schlechter? Was ist vorgefallen, man, hatte ja gestern noch so gute Hoffnung!«

»Es scheint,« sagte die Prinzessin, in Schluchzen ausbrechend, »daß die Kräfte der armen Erzherzogin nicht ausreichen, man fürchtet das Schlimmste, ach mein Gott,« rief sie, den Kopf an die Brust ihres Vaters lehnend, »sie wird sterben, ich fühle es in meinem Herzen.«

»Geh' hin, mein Kind,« sagte der König sanft, »und vertraue bis zuletzt auf die Hilfe Gottes, bringe dem Erzherzog und seiner Tochter meine innigsten Grüße und Wünsche.«

Die Prinzessin küßte die Hand ihres Vaters, und, mit wehmütigem Lächeln den Kabinettsrat, den alten Vertrauten der königlichen Familie begrüßend, ging sie hinaus.

»Wie schwer ruht Gottes Hand auf diesen beiden Kindern,« sagte der König, »meine arme Tochter ist von ihrer Heimat, dem Lande bei tausendjährigen Herrschaft ihrer Ahnen, verbannt, und ihre Freundin, auf den Stufen des Kaiserthrons, muß aus dem blühenden, glänzenden Leben in das Grab steigen, um durch das Grab zum ewigen Leben zu gehen,« fügte er hinzu, das Auge nach oben richtend. – »Welches Los ist das härtere?« flüsterten leise seine Lippen.

»Haben Eure Majestät noch weitere Befehle?« fragte der Geheime Kabinettsrat nach einem längeren Stillschweigen.

»Nein,« sagte der König aufatmend, »veranlassen Sie schnell den Avis nach Paris, damit dieser Douglas dort nicht schaden kann, ich will etwas allein bleiben.« Und freundlich das Haupt neigend, entließ er den Kabinettsrat.


Mit raschem Trabe fuhr die Prinzessin, von der Gräfin Wedel begleitet, durch die dunkelgrünen Schatten der weiten Alleen des Parkes von Schönbrunn, nach dem stillen kaiserlichen Schlosse nach Hetzendorf. Diensteifrig eilten die kaiserlichen Lakaien an den Schlag, als der offene Wagen mit der scharlachroten Livree des Königs von Hannover in den Schloßhof einfuhr.

Atemlos sprang die Prinzeß Friederike aus dem Wägen.

»Wie geht's der Erzherzogin?« fragte sie, schnell in das große Portal eintretend, während die Gräfin Wedel langsam folgte.

Die tiefernsten Mienen der Lakaien waren die einzige Antwort auf die angstvolle Frage der Prinzessin, und in düsterem Schweigen schritt der auf die Nachricht von der Ankunft Ihrer Königlichen Hoheit schnell herbeigeeilte Graf Braida der Prinzessin nach den für die leidende Erzherzogin eingerichteten Gemächern voran.

Fast zögernd trat die Prinzessin durch die geöffnete Tür. In banger Erwartung richtete sich der tiefe Blick ihres großen Auges unter dem Schatten der langen Wimpern empor in das Innere des durch die geschlossenen Vorhänge tief verdunkelten Zimmers.

In einer großen Badewanne, mit einer Decke von dunklem Samt verhüllt, lag die Erzherzogin Mathilde. Der bekannte Doktor Hebra hatte dieses Bad verordnet, um die entsetzlichen Schmerzen der Brandwunden zu lindern und den Zutritt der Luft abzuhalten.

Nur das schöne Gesicht der Erzherzogin war sichtbar. Totenbleich und marmorähnlich lag sie da, schmerzhaft zuckten die geschlossenen Lippen, und der Blick des sonst so fröhlichen, dunklen Auges schien Bildern zu folgen, welche nicht mehr der irdischen Welt angehörten.

Neben seiner Tochter saß der Erzherzog Albrecht, in sich zusammengesunken und mit aller Anspannung seiner Willenskraft den furchtbaren Schmerz niederdrückend, der die weichen Züge seines Gesichts durchzuckte.

Bei dem leisen Rauschen der Robe der Prinzessin wendete die Erzherzogin langsam den Blick der Tür zu. Ein freudiger Schimmer erleuchtete ihr durchsichtiges, blasses Gesicht und kaum hörbar hauchten ihre Lippen:

»Meine süße Friederike, meine einzige Freundin!«

In einem Augenblick war die Prinzessin zu ihrer Freundin geeilt, während der Erzherzog sich langsam und ernst erhob. Sie sank neben der Badewanne auf die Knie nieder, breitete die Arme über die Samtdecke und drückte ihre frischen Lippen in zärtlichen Küssen auf die bleiche Stirn und das glänzende Haar ihrer Freundin.

Ihre mühsam erhaltene Fassung verließ sie, und ohne ein Wort hervorbringen zu können, sank sie in leisem Schluchzen in sich zusammen.

Mit leiser, zitternder Stimme sprach die Erzherzogin:

»Ich danke dir, daß du gekommen bist, meine liebe, einzige Freundin, um mir den letzten Blick auf dieser schönen Welt zu verklären. Siehst du,« fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, »als wir im Garten der Villa Braunschweig über die Zukunft sprachen, da fürchtete ich, einer Krone dieser Welt geopfert zu werden, Gott hat mich gehört und ruft mich empor zu seiner ewigen Welt, und doch – hoch – o, es ist so schön, zu leben, und fast will mein Herz verzagen, die Welt voll Blumen und Sonnenschein zu verlassen, und gerade jetzt zu verlassen, wo ich die schönste Blüte des Lebens in meiner einzigen geliebten Freundin gefunden habe.«

Der Erzherzog war an ein Fenster getreten. Fest umspannte seine Hand die Lehne eines Sessels, er biß die Zähne auf die weit hervorstehende habsburgische Unterlippe und sein Blick richtete sich mit dem Ausdruck der Frage, fast des düsteren Vorwurfs, zum Himmel.

Die Prinzessin Friederike machte eine gewaltige Anstrengung, um die Herrschaft über sich selbst zu gewinnen, und indem sie ihren schmerzbewegten Zügen einen heiteren Ausdruck zu geben versuchte, sagte sie mit einer durch die gewaltige Willensanstrengung fast rauh klingenden Stimme:

»Du wirst leben, meine teure Mathilde. Deine Schmerzen zeigen dir alles im schwärzeren Licht, die Ärzte haben die beste Hoffnung.«

Sie konnte nicht vollenden, ein Schluchzen unterdrückte ihre Stimme.

»Nein,« sagte die Erzherzogin mit sanftem und ergebenem Lächeln, »meine irdische Laufbahn ist beendet, ich sehe von Zeit zu Zeit bereits den Himmel sich öffnen, ich sehe auf weißer Wolke die große Märtyrerin unseres Hauses, Marie Antoinette, erscheinen, eine weiße Lilie, mit roten Blutstropfen besprengt, in der Hand, sie winkte mir, und dann,« fuhr sie flüsternd fort, »sah ich auch meinen Oheim Maximilian; auch er grüßte mich, er lebt noch, aber er wird bald mit mir dort oben sein im ewigen Reich des Friedens.«

Die Prinzessin hatte ihre Fassung völlig verloren. Laut weinend lag sie auf ihren Knien, den Kopf auf den Rand der Badewanne gelehnt.

»Und du, meine süße Freundin,« sprach die Erzherzogin leise weiter, »du wirst vielleicht bestimmt sein, das zu vollenden, wozu man mich ersehen hatte, um die weiten Kombinationen der Politik zu erfüllen, du hast den großen Geist, das feste Herz, den hohen Mut, du wirst –«

»Um Gotteswillen,« rief die Prinzessin, das Haupt erhebend und tief erschrocken in das fast überirdisch verklärte Gesicht der Erzherzogin blickend, »welche Ideen, du wirst nicht glauben –«

Ehe die Erzherzogin antworten konnte, öffnete sich rasch die Tür und der Kaiser Franz Joseph trat in das Zimmer.

Die Prinzessin erhob sich rasch, und während der Kaiser, der ihr stumm die Hand geküßt und den Erzherzog mit einer Neigung des Hauptes begrüßt hatte, seinen Platz neben der Badewanne einnahm, verließ sie nach einem langen Blick, den Finger auf die Lippen legend, das Zimmer, stieg mit der Gräfin Wedel, welche sie draußen erwartet hatte, in den Wagen und fuhr, die Augen mit dem Taschentuch bedeckend, schweigend nach Hietzing zurück.


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