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Der Herzog von Gramont nahm auf einen Wink des Kaisers neben demselben Platz.
»Nun, lieber Herzog,« sagte Napoleon mit heiterem Ausdruck und im ruhigsten Tone, »Sie haben hier die Lage der Dinge gesehen, und ich wünsche nun noch einmal, dieselbe ernstlich zu überlegen, damit Sie vollständig klar über die Situation und meine Auffassung derselben nach Wien zurückkehren.«
Der Herzog verneigte sich.
»Sire,« sagte er, »die äußere politische Lage scheint mir klar zu sein, Eure Majestät befinden sich in der Luxemburger Frage in einer isolierten und verschobenen Stellung. – Der schnellste Rückzug, sobald er ehrenvoll geschehen kann, ist der beste, und dazu habe ich, wie ich die Ehre hatte, Eurer Majestät mitzuteilen, den Auftrag, im Namen Österreichs dringend zu raten, das jetzt nicht handeln kann, wohl aber alles tun wird, um den Rückzug so ehrenvoll als möglich zu machen. – Weniger klar,« fuhr der Herzog achselzuckend fort, »scheint mir die Lage der inneren Verhältnisse, und dieselbe läßt sich nicht ganz von der äußeren Politik trennen.«
»Leider nicht,« sagte der Kaiser, langsam den Kopf schüttelnd, »nun,« fuhr er fort und richtete das halbgeschlossene Auge auf den Herzog, »und wie denken Sie über diesen Einfluß der inneren Lage auf die auswärtige Politik?«
»Sire,« erwiderte der Herzog, »mir scheint, daß hier ein Doppelspiel stattfindet. Das französische Gefühl, die eigentliche nationale Fiber, klingt sehr kriegerisch an, immer aber noch nicht genug, um einen mächtigen Aufschwung zu veranlassen, die Presse, die der Regierung im Heizen feindliche Presse spricht friedlich, diese Leute möchten die Regierung zu einer unpopulären Politik veranlassen und würden demnächst die eisten sein, welche über dieselbe das bitterste Urteil fällen.«
Der Kaiser nickte langsam mit dem Kopf. »Sie haben scharf beobachtet, lieber Herzog,« sagte er mit verbindlichem Lächeln.
Der Herzog fuhr fort:
»Dem nationalen Gefühl muß der Rückzug daher als ein Sieg erscheinen, und ich glaube, Sire, daß sich das wird machen lassen. Das Wiener Kabinett hat sich vergewissert, daß die Forderung einer vollständigen Neutralisierung des Großherzogtums Luxemburg von England aus auf das Lebhafteste und Ernstlichste unterstützt weiden würde.«
»Mit Aufhebung der preußischen Besatzung?« fragte der Kaiser.
»Mit Schleifung der Festung,« erwiderte der Herzog.
Der Kaiser wiegte den Kopf hin und her und drehte langsam den Schnurrbart.
»Es wäre besser, die Festung bliebe stehen – mit luxemburgischer Besatzung,« sagte er halb für sich, »man könnte, indes,« fuhr er fort, »immerhin mit Schleifung der Festung – man wird dies der öffentlichen Meinung ja leicht als eine Niederlage Preußens darstellen können, und das ist für den Augenblick die Hauptsache. – Nun aber,« fuhr er fort, »mein lieber Herzog, eine Frage, die wichtiger ist als der Moment, was soll künftig aus dem allen werden?«
»Sire,« antwortete der Herzog von Gramont, sich stolz aufrichtend, mit funkelnden Augen, »das französische Gefühl empört sich unter dem Drucke der Schlacht von Sadowa und ihren Folgen, dieser Druck muß aufhören, Frankreich sich freimachen von dem Alp, der auf ihm lastet, es muß diesen drohenden Degen Zerbrechen, der bis jetzt gegen uns gezückt war, und dessen Spitze jetzt schon in unser Fleisch zu dringen beginnt!«
»Sie haben auch meine Politik im vorigen Jahre getadelt?« fragte der Kaiser mit leichtem Lächeln.
»Sire,« erwiderte der Herzog, »mein Bedauern hat es nie gewagt, sich in Worte des Tadels zu kleiden.«
»Ich war allein,« sagte der Kaiser nachdenklich, »was sollte ich tun? – ich war allein – und ich bin es noch! – Sie wollen handeln,« fuhr er fort, »und wer möchte es nicht, der französisches Blut in den Adern und im Herzen hat, aber um handeln zu können, muß man zunächst Allianzen haben!«
»Sie sind gegeben, Sire,« sagte der Herzog, »Österreich –«
»Österreich,« sagte der Kaiser sinnend, »ja – aber da liegen viele ernste Fragen in diesem Wort. Wird Österreich die Kraft haben, sich von den Schlägen, die es getroffen, zu erholen, um jemals ein wirklich mächtiger Alliierter zu sein?«
»In einem bis zwei Jahren, Sire,« sagte der Herzog, so hofft Herr von Beust.«
»Herr von Beust,« sagte der Kaiser langsam, »er ist stets ein wenig sanguinisch gewesen. – Sie haben ja nun Gelegenheit gehabt, ihn zu beobachten, was halten Sie von ihm?«
Der Herzog lächelte. »Sire,« sagte er, »man pflegte früher in der diplomatischen Welt zu sagen, Herr von Beust habe eine zu enge Jacke an – und man hatte vielleicht recht, nun – er hat diese enge Jacke ausgezogen und ich glaube, man könnte jetzt sagen, der Mantel, der jetzt um seine Schultern hängt, sei ein wenig zu groß, er läuft Gefahr, sich in den Falten zu verwickeln.«
Der Kaiser lachte. »Das heißt?« fragte er.
»Wie es mir scheint,« sagte der Herzog, »war Sachsen zu klein für Herrn von Beust – und Österreich ist ihm zu groß.«
»Aber er hat viel Geist.« sagte der Kaiser.
»Vielleicht zu viel, Sire, was Österreich bedarf, ist ein Charakter, eine starke Hand, um alle die verschiedenen Elemente zu einen, nicht ein feiner, dialektischer Geist, der damit beginnt, sie zu trennen.«
Der Kaiser richtete einen forschenden Blick auf den Herzog. »Was Sie sagen,« sprach er, »ist aber wenig ermutigend für eine Allianz mit Österreich!«
»Ich bitte Eure Majestät,« erwiderte der Herzog, »meine Worte nicht in diesem Sinne aufzufassen, ich zweifle,« fuhr er fort, »ob es Herrn von Beust jemals gelingen werde, die innere Organisation Österreich in feste, sichere und dauernde Formen zu bringen, wobei seine Stellung als Protestant und als Fremder ihm ganz besondere Schwierigkeiten macht, auf der anderen Seite bin ich aber überzeugt, daß er die äußere Politik Österreichs zu kräftiger und wirkungsvoller Aktion befähigen wird, indem er die militärischen Kräfte entwickeln, besonnenes und vorsichtiges Vorgehen veranlassen und alle die von ihm sehr wohl erkannten – und in der Katastrophe des vorigen Jahres schmerzlich empfundenen – Fehler des früheren österreichischen Systems verbessern wird. – Will er seine Aufgabe erfüllen, will er sich dauernd in seiner Stellung erhalten,« fuhr der Herzog lebhafter fort, »so muß er ja die äußere Erstarrung Österreichs, seinen glänzenden Wiedereintritt in die Reihe der maßgebenden Mächte Europas – und auch seine historische Stellung in Deutschland wiedererringen, Österreich, Sire,« sagte der Herzog, während der Kaiser aufmerksam zuhörend den Kopf zur Seite neigte, »Österreich kann überhaupt nur durch die Wiedererringung seiner äußeren Machtstellung von seinen inneren Schäden geheilt werden. Diese vielen heterogenen und untereinander feindlichen Elemente, aus denen der Kaiserstaat besteht, beugen sich einer siegreichen, machtvoll in Europa dastehenden Regierung, die zerrütteten Finanzen, deren Grund nicht im Mangel innerer Hilfsquellen, sondern in dem Mangel an Vertrauen in die Existenzfähigkeit des Staates beruht, werden nur wiederhergestellt werden durch die Wiedererlangung einer großen europäischen Stellung, welche Österreich den internationalen Kredit wiedergibt. Die Schlacht von Novara, Sire, heilte alle inneren Schäden Österreichs mit einem Schlage, nur ein großer, äußerer Erfolg also kann Herrn von Beust die innere Regeneration Österreichs möglich machen und seiner persönlichen Stellung die feste Grundlage geben, denn diese Grundlage, Sire, ist die Bedingung: Österreich von dem Schlage von Sadowa wieder aufzurichten, um diesen Preis, Sire, wird man Herrn von Beust vielleicht verzeihen, daß er nach Österreich gekommen ist und dort auf dem Stuhle Metternichs sitzt – als ein lebendiges testimonium paupertatis für die österreichische Aristokratie und die österreichischen Staatsmänner. Herr von Beust muß also handeln – und um handeln zu können, braucht er unsere Allianz.«
Der Kaiser neigte den Kopf ein wenig.
»Und wird Herr von Beust handeln können, wie er will?« fragte er dann. »Die aktionsfähige Macht Österreichs,« fuhr er fort, »liegt in Ungarn, und diese selbständige Macht wird sich vielleicht nicht nach den Wünschen der Wiener Hofburg richten. – Graf Andrassy,« sagte er nachdenklich, »steht schweigend und mit verschränkten Armen hinter dem Herrn von Beust – und es will mir den Anschein haben, als ob dieser schweigende und entschlossene Repräsentant der wirklichen Macht des heutigen Österreichs die letzte Instanz sei in dem künstlichen Getriebe dieses Staatsmechanismus, als ob er jeden Augenblick bereit sei, mit fester Hand in die Zügel zu fallen, sobald der Wagen nicht dem Wege folgt, der ihm genehm ist.«
»Ich glaube, Eure Majestät überschätzen die Bedeutung des Grafen Andrassy.« sagte der Herzog, »er hat nicht die politische Gewandtheit des Herrn von Beust.«
»Die Magyaren sind sehr fein und geschmeidig,« sprach der Kaiser kopfschüttelnd, »dabei von festem Mark und zäh, ich fürchte, ich habe von Herrn von Beust zu viel erwartet.«
»Doch,« warf der Herzog ein, »ich weiß nicht, Sire, wenn auch der Einfluß des Grafen Andrassy ein so bedeutsamer sein sollte, als er dem Blick Eurer Majestät erscheint, so sehe ich nicht ein, warum der ungarische Minister einer Allianz mit Frankreich entgegenstehen sollte, Frankreich hat stets Sympathien in Ungarn gehabt, während das deutsche Element dort stets und traditionell verhaßt war, ich zweifle nicht, daß Graf Andrassy hierin mit Herrn von Beust ganz einig sein werde.«
Der Kaiser schüttelte hartnäckig den Kopf. »Ungarn haßte das deutsche Element in Österreich, weil dieses Element seine nationale Selbständigkeit unterdrückte, Deutschland, das preußische Deutschland, kann den Ungarn nur sympathisch sein, denn ihm verdanken sie jetzt ihre nationale Autonomie, und wenn Österreich je seine Stellung in Deutschland wiedergewinnen sollte, glauben Sie, daß Ungarn seine heutige Stellung und Bedeutung behielte? – Doch,« fuhr er fort, »das alles sind Bedenken, die uns nicht hindern dürfen zu handeln, nur bitte ich Sie, diese ungarische Richtung in Österreich sehr scharf im Auge zu behalten, ich werde daran denken, einen tüchtigen Diplomaten nach Budapest zu schicken, um Ihnen, lieber Herzog, zur Seite zu stehen,« fügte er verbindlich hinzu, »und nach Ihren Instruktionen dort zu wirken und zu beobachten. – Wissen Sie eine geeignete Persönlichkeit dafür?« fragte er, »ich möchte, daß der Delegierte Ihrer Botschaft in Budapest Ihnen vollkommen genehm sei und ganz in Ihrem Sinne handle.«
Der Herzog dachte nach.
»Der junge Graf Castellane, Sire,« sagte er nach einigen Augenblicken, »möchte vielleicht eine sehr passende Wahl sein, er ist vortrefflicher Kavalier, sehr geschmeidig und intelligent und wird sich mit großer Gewandtheit in diese etwas delikate Stellung zu finden wissen.«
»Castellane?« sagte der Kaiser, »ich werde mich informieren, man muß ein diplomatisches Generalkonsulat in Budapest errichten, die neue Selbständigkeit Ungarns macht das ganz natürlich. – Doch,« fuhr er fort, »nun die Hauptsache, mein lieber Herzog! – Soll die Allianz mit Österreich wirksam werden, so muß Italien voll und ganz in die Kombination eintreten, so allein wird Frankreich und Österreich die volle Aktionsfreiheit gegeben, und außerdem schließt diese dreifache Allianz die Südstaaten Deutschlands in einen zwingenden Ring, bei sie vor dem Einfluß Preußens schützen und sie nötigenfalls zwingen kann, mit uns zu gehen. – Glauben Sie, daß eine Verständigung, eine innige und aufrichtige Verständigung zwischen Österreich und Italien möglich sei, eine Verständigung mit voller Vergessenheit alles dessen, Was geschehen ist?«
»Soweit Herr von Beust dabei in Frage kommt,« sagte der Herzog, »unbedenklich, die Kombination, welche Eure Majestät soeben als notwendig bezeichnet haben, liegt vollständig in seinen Ideen, auch zweifle ich nicht, daß der Kaiser, so sehr seine Gefühle auch, wie natürlich, gegen Italien erregt und erbittert sein mögen, die politische Notwendigkeit einer solchen Vergessenheit des Vergangenen erkennen werde, wenn Italien –«
»Was Italien betrifft,« sagte der Kaiser, »so hoffe ich, daß man dort leicht in meine Ideen eingehen wird, dort liegt die Schwierigkeit in der revolutionären Partei, deren Einfluß in; Sinken ist, in Österreich liegt sie in dem Schmerz über die Verluste, in dem gekränkten Stolz, in den tief verwundeten Familieninteressen, das ist schwieriger, doch,« sagte er mit artigem Lächeln, »dafür liegt die Aufgabe dort auch in um so geschickteren Händen.«
Der Herzog verneigte sich und sprach:
»Ich werde alles tun, um Eurer Majestät großen Gedanken zur Ausführung zu bringen.«
»Es ist die größte Aufgabe,« sagte der Kaiser, indem er mit dem vollen Blick seines geöffneten Auges den Herzog ansah, »welche dem Kaiserreiche bisher gestellt wurde, von ihrer Erfüllung hängt die Stellung Frankreichs für die Zukunft ab, es handelt sich hier in der Tat darum, das Gebäude zu krönen, dessen Grundstein bei Sebastopol gelegt wurde. Ich hoffe, mein lieber Herzog, daß, wenn die stillen Vorbereitungen getroffen sind, und wenn die Kombination, an welche wir jetzt herantreten, in kräftiger Vollendung einst mächtig eingreift in die schwankenden Verhältnisse Europas, daß Sie dann neben mir stehen werden, um die Aktion zu leiten, welche Sie vorbereitet haben werden.«
Der Herzog neigte das Haupt, indem ein Lächeln der Befriedigung seine Lippen umspielte.
»Sire,« sagte er, »Eure Majestät wissen, daß ich nicht danach strebe, die Leitung der Geschäfte zu erlangen, um einen gewöhnlichen Ehrgeiz zu befriedigen, die Stellung, welche das Vertrauen Eurer Majestät mir gegeben hat, bietet mir größere Annehmlichkeiten und weniger Verantwortung, als ein Portefeuille, wenn aber in einem Augenblicke einer so großen Zukunft, als Eurer Majestät Worte sie enthüllen, mir die Ehre werden sollte, Ihre großen Gedanken. Sire, auszuführen, so wird es mein höchster Stolz sein, alle meine Kräfte im Dienste Eurer Majestät und Frankreichs aufzubieten.«
»Wir verstehen uns also vollkommen,« sagte Napoleon, indem er dem Herzog die Hand reichte, »die Losung heißt jetzt: warten und arbeiten. Bereiten Sie das Terrain vor, wenn der Kaiser Franz Joseph zur Ausstellung kommt, so wird hoffentlich alles so weit klar sein, daß wir feste Grundlagen schaffen können. – Jetzt aber müssen wir uns diese luxemburgische Sache vom Halse schaffen,« fuhr er fort, »der Marquis de Moustier wird da sein, er ist sehr kriegerisch, unterstützen Sie mich ein wenig,« fügte er lächelnd hinzu, indem er die Glocke bewegte.
»Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten,« befahl er dem Kammerdiener.
Der Marquis de Moustier trat ein.
Der Kaiser hatte sich erhoben und trat dem Minister einen Schritt entgegen.
»Der Herzog von Gramont,« sagte er, indem er sich wieder niederließ und die beiden Herren einlud, ihm gegenüber Platz zu nehmen, »hat mir soeben nochmals die Lage Österreichs geschildert und mir alle Vorstellungen wiederholt, welche Herr von Beust für die friedliche Lösung dieses luxemburgischen Konflikts zu machen ihn ersucht hat.«
Der Marquis zuckte fast unmerklich die Achseln.
»Und ich muß gestehen,« fuhr der Kaiser fort, »daß ich ein wenig befolgt geworden bin, bei reiflicher Überlegung der Gründe des Herrn von Beust und bei genauer Erwägung der Situation.«
»Sire,« fügte der Marquis, »die Gründe des Herrn von Beust resümieren sich alle in dem einen Wort: ›Österreich bedarf Frieden!‹ Nun wohl,« rief er, »wenn Österreich des Friedens bedarf, so mag es versuchen, wie weit es damit kommt, nach meiner Überzeugung nicht weit; darf uns das abhalten, unseren Interessen zu folgen? Wie Österreich den Frieden bedarf nach der Theorie des Herrn von Beust, so bedarf – ich spreche dies nach meiner vollen Überzeugung aus – Frankreich den Krieg, das heißt,« setzte er hinzu, »wenn eine Wiederherstellung seines Prestige ohne Krieg nicht zu erreichen ist, denn dies Prestige muß um jeden Preis wieder erworben werden. – Ich für meine Person aber,« sagte er nach einer kleinen Pause, als der Kaiser schweigend seinen Schnurrbart drehte, »ich für meine Person glaube aber, daß der Krieg nicht nötig sein wird, wenn man nur sehr fest auftritt und sehr deutlich zeigt, daß man den Krieg nicht fürchtet.«
Er warf einen fragenden Blick auf den Herzog von Gramont. Dieser senkte die Augen zu Boden und schwieg.
»Mein lieber Marquis,« sagte der Kaiser nach einem minutenlangen Stillschweigen, »ich teile Ihr Gefühl, es ist dasjenige eines französischen Herzens, ich teile auch Ihre Ansicht, aber nur bis auf einen gewissen Punkt – denn ich kann nicht glauben, daß ein übereilt begonnener Krieg, ein Krieg ohne Bundesgenossen uns die Garantie der Wiederherstellung des französischen Prestige gibt. Bis jetzt erheben sich mir leise Zweifel gegen dasselbe, ein kriegerisches Mißgeschick, oder ein nicht vollständiger Erfolg würde dasselbe vernichten. Nur der wirkliche durchschlagende Erfolg kann uns nützen, und um diesen zu erreichen, scheint es mir unerläßlich, daß wir wenigstens die Bundesgenossenschaft Österreichs haben.«
»Dann ist der Krieg unmöglich,« sagte der Marquis de Moustier, »denn nach der Auffassung des Herrn von Beust werden wir diese Bundesgenossenschaft niemals haben.«
»Warum nicht?« warf der Kaiser ein, »der Hauptgrund, welcher Herrn von Beust bestimmt, zum Frieden zu raten, ist die Nichtbereitschaft Österreichs, wenn man nun Österreich zu Hilfe käme in wesentlichen Punkten der Aktionsfähigkeit – was meinen Sie, Herr Herzog, sollten sich die Ansichten des Wiener Kabinetts nicht modifizieren lassen?«
Der Herzog sah den Kaiser erstaunt an.
»Ich weiß nicht, Sire,« sagte er, »in welcher Weise –«
»Ich meine,« sprach der Kaiser weiter, »daß es Österreich wesentlich an zwei zum Kriegführen notwendigen Dingen fehlt, erstens an dem Arkanum des alten österreichischen Generals Montecuculi, am Gelde, und sodann an Waffen, an Artillerie, sie haben viel eingebüßt im letzten Feldzuge – in beiden Richtungen könnten wir aushelfen. – Wenn wir,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort, »eine österreichische Anleihe an unserer Börse unterstützten und zugleich unseren Überschuß an Kriegsmaterial zur Verfügung stellten, – ich werde eine Aufstellung dessen, was wir entbehren könnten, machen lassen – glauben Sie nicht, daß Österreich sich zu einer ernsten Aktion aufraffen könnte?«
Er wandte den Kopf dem Herzog von Gramont zu, ohne daß sein Blick aus dem Schleier seiner tief gesenkten Augenlider hervortrat.
»Es wäre möglich, Sire,« sagte der Herzog, »es käme auf den Versuch an.«
»Wohlan,« rief der Kaiser, »so machen wir diesen Versuch, bieten Sie, Herr Herzog, sobald Sie zurückkommen, Österreich die finanzielle und militärische Unterstützung an, ich werde meinerseits durch das Kriegsministerium alle Vorbereitungen zur militärischen Aktion und zur Konzentrierung der Armeen an den Grenzen treffen lassen, damit man in Berlin sich nicht dem Gedanken an eine unbedingte Nachgiebigkeit unsererseits hingeben könne, und während dies alles geschieht, führen Sie die diplomatischen Verhandlungen mit Festigkeit und im Sinne Ihres französischen Gefühls, mein lieber Marquis. – Sie haben mich vollkommen verstanden, lieber Herzog,« sagte der Kaiser, sich zum Herzog von Gramont wendend, indem ein scharfer Blick eine Sekunde lang aus seinem Auge hervorbrach.
»Vollkommen, Sire,« erwiderte der Herzog sich verneigend.
Der Marquis schwieg.
»Wir haben die Konferenz angenommen,« sagte der Kaiser, »und müssen auf derselben alles vermeiden, was wie eine Provokation aussieht und den Machten Gelegenheit geben könnte, uns eine Störung des Friedens vorzuwerfen. Ich bitte Sie, lieber Marquis, in den diplomatischen Besprechungen durchaus die Frage der Erwerbung Luxemburgs für Frankreich beiseite zu lassen, dagegen lebhaft und bestimmt zu betonen, daß dieser unseren Grenzen so drohend nahe Platz unmöglich in den Händen eines Deutschlands bleiben könne, das nicht mehr das ruhige, inoffensive Deutschland von 1815 sei. – Lassen Sie deutlich fühlen, daß über diesen Punkt hinaus wir nicht zurückgehen würden, und instruieren Sie unsere Diplomaten in gleichem Sinne.«
»Zu Befehl, Sire,« sagte der Marquis mit einer leisen Nuance von Unzufriedenheit auf seinem vornehmen bleichen Gesicht.
»Sie sind nicht ganz zufrieden, mein lieber Minister,« sagte der Kaiser lächelnd, »aber lassen Sie mir meine Vorsicht, wir haben zu viel zu wagen, um nicht mit äußerster Klugheit zu Werke zu gehen, die Hauptsache ist, daß das Ziel endlich erreicht wird.«
Der Marquis verneigte sich.
»Sire,« sagte er dann, dem Kaiser ein Papier überreichend, »erlauben Eure Majestät mir, Sie auf diesen Bericht aus St. Petersburg aufmerksam zu machen; die Eröffnungen, welche ich auf Eurer Majestät Befehl über die Abtrennung von Kandia, Thessalien und Epirus von der Türkei und über die Vereinigung dieser Länder mit Griechenland habe machen lassen, sind auf das freundlichste aufgenommen worden, und das russische Kabinett hat den Wunsch ausgedrückt, daß Eure Majestät Ihre so entgegenkommenden Intentionen durch eine Anregung der Frage in Konstantinopel der Ausführung entgegenführen möchten.«
Der Kaiser sann nach.
»Das wäre ein sehr schneller Schritt,« sagte er, »würden wir dabei auf Österreich rechnen können?« fragte er zum Herzog von Gramont gewendet.
»Es ist mir lieb, Sire,« sagte dieser, »daß ich hier die Gelegenheit finde, über diesen Gegenstand zu sprechen, über welchen ich mich noch am Tage vor meiner Abreise mit Herrn von Beust unterhalten habe. Ich fand ihn sehr unangenehm berührt durch die Mitteilung, welche ich ihm über Eurer Majestät Gedanken machte, er erklärte, daß er durch seine Vorschläge über die Ausführung des Hat Humaym die fortwährend gärende Gefahr der orientalischen Frage habe beruhigen wollen, daß aber so weitgehende und so tiefgreifende Veränderungen der Verhältnisse im Orient gerade geeignet seien, diese für Österreich so gefährliche Frage zu einem akuten Ausbruch zu treiben.«
Der Kaiser drehte langsam den Schnurrbart, wie unwillkürlich spielte ein seines Lächeln um seine Lippen.
»Zugleich,« fuhr der Herzog fort, »machte mich Herr von Beust darauf aufmerksam, daß der Fürst Michael von Serbien, der sich einen Augenblick zu einer Einschränkung seiner Forderungen bereit gezeigt habe, sich plötzlich wieder zu sehr weitgehenden Ansprüchen erhebe und sich mit dem Abzüge der türkischen Besatzungen aus den serbischen Festungen nicht mehr begnügen wolle, sondern die volle Unabhängigkeit Serbiens und dazu noch Bosnien, Montenegro und die Herzegowina verlange. Herr von Beust sprach die bestimmte Vermutung aus, daß der Fürst zu einem solchen weitgehenden Verlangen von Rußland ermuntert sei, und deutete zugleich an, daß er die von Eurer Majestät kundgegebenen, für das russische Kabinett so günstigen Intentionen als die eigentliche und letzte Ursache dieser erneuten und lebhaften Bewegung im Orient betrachten Zu müssen glaube.«
Abermals flog jenes seine eigentümliche Lächeln schnell über das Gesicht des Kaisers.
»Und was war die Ansicht des Herrn von Beust über diese Lage der Dinge?« fragte er.
»Herr von Beust,« erwiderte der Herzog, »sprach sich mit einer ihm sonst nicht in solchem Grade eigenen Energie gegen alle diese Pläne aus, er erklärte sehr bestimmt, baß Österreich die Bildung eines großserbischen Reiches an seiner Grenze unter keiner Bedingung dulden könne, daß es ihm als eine Lebensfrage gelten müsse, jeden derartigen Versuch mit allen Mitteln zu bekämpfen, daß er aber auch in die gänzliche Abtrennung Thessaliens und Epirus' von der Türkei nicht willigen könne, weil er darin den eisten Schritt zur völligen Zerstückelung des türkischen Reiches erblicken müsse. Herr von Beust fügte hinzu,« fuhr der Herzog fort, »daß, so lange solche die Ruhe des Orients bedrohenden Absichten beständen, Österreich gezwungen sei, an der serbischen Grenze militärische Vorsichtsmaßregeln zu treffen, er bat mich zugleich, Eurer Majestät die dringendsten Vorstellungen über die Gefahren einer Erweckung der orientalischen Frage in diesem Augenblick zu machen und Eure Majestät zu beschwören, Österreich nicht in so schwere und unberechenbare Verwicklungen zu stürzen.«
»Herr von Beust denkt also nicht an die Aufrichtung einer östlichen Koalition im Sinne der alten heiligen Allianz?« fragte der Kaiser rasch, wie unwillkürlich seinen inneren Gedanken aussprechend.
Der Herzog sah ihn erstaunt an.
»Ich habe nie Veranlassung gehabt, einen solchen Gedanken zu fassen,« sagte der Herzog, »wie kommen Eure Majestät darauf?«
»Es schien mir einen Augenblick so etwas in der Luft zu liegen, Sie schrieben mir von gewissen Sondierungen durch einen Herrn von der Recke, auch der Graf Tauffkirchen –«
»Ich glaube nicht,« sagte der Herzog, »daß diese Sondierungen in Österreich irgendwelche ernste Folge gehabt haben, Herr von Beust hat vielleicht in seiner Vorliebe, alles zu hören – und über alles ein wenig zu sprechen, Gedanken erweckt, denen er wohl kaum die Absicht haben kann, Folge zu geben.«
»Um so besser,« sagte Napoleon, »nun,« fuhr er fort, »Frankreich hat, wie ich glaube, keinen Grund, sich allein in diese orientalische Frage hinein zu engagieren.«
»Gewiß nicht,« sagte der Marquis de Moustier.
»Lassen wir also unsere Ideen fallen,« fuhr der Kaiser fort, »oder beschränken wir sie ein wenig, die Vereinigung Kandias mit Griechenland würde ja schon die flagrantesten Beschwerden der christlichen Bevölkerung heben, würde Österreich so weit mit uns gehen?« fragte er den Herzog.
»Vielleicht, Sire,« erwiderte dieser, »was Österreich am nächsten und unmittelbarsten berührt – und beängstigt, ist die serbische Frage. Herr von Beust hofft übrigens dort beruhigend einwirken zu können. Er hat den Grafen Edmund Zichy, der seit lange mit dem Fürsten Michael persönlich befreundet ist, nach Belgrad geschickt, um dem Fürsten Vorstellungen zu machen, und er hofft auf deren Erfolg, wenn die russischen Absichten nicht zu sehr durch Eure Majestät unterstützt werden.«
»Also,« sagte der Kaiser, »beschränken wir unsere Proposition auf die Abtretung Kandias an Griechenland. – Sie werden, mein lieber Herzog, in Wien diese Modifikation meiner Anschauungen als einen besonderen Beweis meiner Rücksicht auf Österreich hervorheben und betonen, daß es mir vor allem daran liege, auch in dieser Frage die Interessen Österreichs zu den meinigen zu machen. – In Petersburg,« sagte er, sich an den Marquis de Moustier wendend, »muß man das lebhafte Bedauern ausdrücken, daß unsere ersten Intentionen in Wien auf so entschiedenen Widerstand gestoßen seien. Lassen Sie dabei hervorheben, daß bei der mutmaßlich feindlichen Haltung Englands die Mitwirkung Österreichs bei jedem Schritt im Orient notwendig und es daher nicht ratsam sei, weiterzugehen, als man es in voller Gemeinsamkeit mit Österreich tun könne. Wenn Österreich aber zustimme, so sei ich bereit, mit dem Wiener Kabinett und Rußland gemeinschaftlich die Abtretung Kandias in Konstantinopel zu beantragen.«
»Ich glaube nicht, daß England irgendeiner Veränderung des Status quo im Orient zustimmen wird,« sagte der Marquis. »Nach Äußerungen, welche mir Lord Cowley gestern machte, scheint man dort mit besonders aufmerksamen Augen auf den Orient zu blicken.«
Des Kaisers Auge blitzte einen Augenblick forschend zu dem Minister hinüber.
»Und haben Sie Lord Cowley von den Ideen gesprochen, welche wir hier diskutiert und in St. Petersburg angedeutet haben?« fragte er.
»Ich hatte keinen Grund dazu,« erwiderte der Marquis, »es ist diesen Ideen ja noch nach keiner Richtung eine offizielle Folge gegeben, ich habe mich in großer Reserve gehalten.«
»Wohlan,« rief der Kaiser aufstehend, »wir haben also die Grundzüge für die nächste Behandlung der wesentlichen Fragen festgestellt, ich freue mich,« sagte er mit verbindlichem Lächeln, »daß wir Ihre Ansicht und Ihren Rat, Herr Herzog von Gramont, dabei haben hören und in Betracht ziehen können, Sie werden sich mit dem Herrn Marquis über die Details der Ausführung unserer Politik in Wien verständigen. Ich sehe Sie noch vor Ihrer Abreise.«
Und mit freundlicher Neigung des Hauptes grüßte er die beiden Herren, welche das Kabinett verließen.
Ein heiteres Lächeln umspielte die Lippen des Kaisers, als er allein war. Behaglich lehnte er sich in seinen Lehnstuhl zurück, nahm aus einem kleinen Etui Seidenpapier und türkischen Tabak, bereitete sich mit großer Aufmerksamkeit eine Zigarette und zündete sie vorsichtig an.
»Wenn man einen Fehler begangen hat,« sagte er, den Kopf mit halbgeschlossenen Augen an den Rücken seines Fauteuils lehnend und langsam die seinen, blauen Ringe des aromatischen Rauches von sich blasend, »wenn man einen Fehler begangen hat, so ist es die große Aufgabe, ihn so zu verbessern, daß er sich zum Nutzen wendet. – Nun,« fuhr er fort, »ich glaube, ich habe diese Aufgabe einigermaßen gelöst. Die luxemburgische Frage war ein Fehler, es war ein Fehler, diesen preußischen Minister überrumpeln zu wollen, nun, sie wird gelöst werden in einer Weise, die sich als ein Sieg darstellen laßt – und das ist die Hauptsache, denn in Wahrheit bedeutet die Räumung der Festung nichts, darüber kann man sich nicht tauschen. – Diese heißblütige Kriegspartei, deren Unterstützung ich im Innern bedarf, wird mich zu den Ihrigen zählen, indem sie glaubt, daß ich wider Willen nachgebe, und ihr Zorn und ihre Erbitterung wird in steigender Progression wachsen bis zu dem Augenblick, wo ich ihrer bedarf, die Kabinette aber werden mir für meine Mäßigung Dank wissen, welche den Frieden erhält. – Rußland bedarf ich nicht mehr,« fuhr er nach einigem Nachdenken fort, indem er aufstand und langsam auf und nieder ging, »doch aber ist es gut, daß man dort an meinen guten Willen glaubt und Österreich die Schuld gibt, wenn man im Orient leinen Schritt vorwärts kommt. – Nun,« sagte er lächelnd, »mag Herr von Beust Pläne haben, welche er will, er wird in Petersburg die Türen verschlossen finden und Österreich wird die Wege gehen müssen, die ich ihm vorzeichne. Vor allem aber,« rief er tief aufatmend, »werde ich noch den Frieden behalten, jene äußerste Entschließung, jenes rohe Würfelspiel der Kanonen wird hinausgeschoben, und ich werde Frankreich das große, berauschende Schauspiel der Souveräne und Nationen Europas vorführen können, welche sich um meinen Thron versammeln, um den Glanz von Paris, dieses farbenschimmernden Prismas der Welt, zu bewundern.«
Er richtete sich stolz auf und ein Blitz jugendlichen Feuers leuchtete in seinem Auge auf.
Dann aber ließ er seufzend das Haupt sinken und flüsterte: »Mein schlimmster Feind ist in mir selber, das Alter, das meine Kraft bricht, die Schmerzen, welche die Spannkraft meiner Nerven Zerstören, ich darf mich nicht mehr dem Genuß des glänzenden Augenblicks hingeben, ich muß arbeiten, arbeiten, daß mein Werk nicht mit mir zerfalle, oh,« rief er tieftraurig, den Blick fragend emporrichtend, »werden die Sterne auch alt wie die Menschen, oder liegt es nur an dem getrübten Blick meines alternden Auges, daß mir mein Stern, der einst so hell über meinem Haupte leuchtete, jetzt sich in Nebel zu hüllen scheint?«
Er blieb still und nachdenkend stehen. »Das Alter bringt anderen die Ruhe,« seufzte er, »den Genuß der Früchte ihrer Jugendarbeit, mir bringt jeder Tag neue Kämpfe, während er mir die Kraft nimmt, sie zu führen, und doch habe ich so tiefe Sehnsucht nach Ruhe!«
Der Kammerdiener trat ein und meldete: »Herr Conti.«
Leicht neigte der Kaiser das Haupt, und der Staatsrat Conti, Chef des kaiserlichen Kabinetts, der Nachfolger jenes alten Vertrauten des Kaisers, Herrn Mocquard, trat ein.
Die Erscheinung dieses Mannes trug den Stempel südlicher Abstammung. Sein intelligentes, feines Gesicht zeigte bei allem in seinen Zügen liegenden Scharfsinn, bei aller beobachtenden Kälte in den dunklen Augen, bei aller listigen Klugheit in den Linien des Mundes einen gewissen Hauch von Schwärmerei, von fatalistischem Glauben. Herr Conti hatte fast die Schärfe des Verstandes seines Vorgängers, fast seine divinatorische Geschicklichkeit, die wahren Triebfedern in den menschlichen Charakteren zu erkennen und in Tätigkeit zu setzen, fast seine gewandte Unerschöpflichkeit im Auffinden von Auswegen aus verlegener Situation, nur in einem Punkte unterschied er sich wesentlich von jenem alten Freunde aus der Jugend- und Verschwörungszeit Napoleons III. – er glaubte an das Kaiserreich und seine Zukunft, ein Glaube, welcher Herrn Mocquard stets ferngelegen hatte, der bis zu seinem Tode gegen intime Vertraute oft seine Verwunderung ausgedrückt hatte, daß die Sache so lange dauere. Und vielleicht hatte gerade der Mangel dieses Glaubens ihm die Fähigkeit gegeben, durch seine Vorsicht, Unermüdlichkeit und seine stets guten Ratschläge so wesentlich zur Erstarkung und zur Dauer des Kaiserreichs beizutragen.
»Sire,« sagte er, den Kaiser mit einer tiefen Verbeugung seiner geschmeidigen Gestalt begrüßend, »ich habe, wie Eure Majestät befahlen, den Mr. Douglas hergeführt, von welchem der Fürst Metternich Eurer Majestät gesprochen, und von welchem Herr von Beust meint, daß man sich seiner bedienen könne, um die Stimmungen zu sondieren und gewisse Gedanken zu verbreiten, ohne sich zu engagieren und zu kompromittieren.«
»Ah,« sagte der Kaiser, »dieser Engländer mit der fixen Idee, welche Art von Mensch ist es?«
»Ich habe wenig mit ihm gesprochen,« sagte Herr Conti lächelnd, »kann also nur über den äußeren Menschen urteilen – und der,« fügte er achselzuckend hinzu, »ist von einer niederschmetternden Häßlichkeit.«
»Um so besser,« sagte der Kaiser, »die häßlichen Menschen verfolgen ihre Ideen mit großer Hartnäckigkeit, weil sie sich mehr in sich selbst zurückziehen und von der Außenwelt zurückgestoßen werden, ich will ihn sogleich sehen. – Apropos, mein lieber Conti,« fuhr er fort, näher zu seinem Kabinettschef herantretend, »was macht die Arbeiterbewegung, die Internationale, ich habe seit einiger Zeit nichts davon gehört?«
»Die Organisation breitet sich immer mehr aus, Sire,« erwiderte Conti, »die Arbeitersektionen gliedern sich eine an die andere, sie sind gebildet unter der Firma der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung, der Krankenkassen, ja selbst unter dem Vorwande der Herstellung von Bibliotheken zur Belehrung und Fortbildung, und alle diese Sektionen gipfeln in einer Art von internationalem Großmeistertum. – Aber es ist keine Sektion in Frankreich, in welcher nicht einer unserer Agenten als Mitglied sich befindet. – Ich habe Eurer Majestät früher eine Übersicht darüber gegeben, seitdem hat die Organisation der Sache und,« fügte er lächelnd hinzu, »unseres Einflusses auf dieselbe Fortschritte gemacht, ich behalte mir vor, Sire, Ihnen genaue Listen darüber vorzulegen. Wir lenken die Feinde aller höheren Klassen an unsichtbaren Fäden und können diese letzteren jederzeit durch einen nützlichen und wohltätigen Schrecken beherrschen.«
»Vortrefflich, vortrefflich, mein lieber Conti,« sagte der Kaiser, sich leicht die Hände reibend, »ich freue mich, daß Sie in diesem Punkt so vollkommen meine Gedanken verstehen, die Furcht vor der Revolution muß die europäischen Kabinette sowie Frankreich jeden Tag von neuem von der Notwendigkeit überzeugen, daß das Kaiserreich erhalten werde, welches allein imstande ist, die drohende Gefahr zu beschwören.«
Er blickte vor sich nieder und indem seine Züge einen ernsten Ausdruck annahmen, fuhr er fort:
»Es ist das im Grunde kein macchiavellistisches Spiel, sondern wirklich ehrliche und wahre Politik, denn nur indem ich diese furchtbaren, von unten herauf gärenden Elemente selbst in meine leitende Hand nehme, kann ich die Gesellschaftsordnung erhalten und diese Revolution des vierten Standes, welche sich langsam vollzieht, vor den entsetzlichen Ausbrüchen bewahren, welche die Revolution des dritten Standes begleiteten, die man in törichter Verblendung sich selbst überließ. Nur durch ein vorsichtiges Erfassen und Überwachen dieser Bewegung kann man die berechtigten Forderungen, welche in ihr liegen, zur Geltung bringen und zugleich den bedrohten Klassen heilsame Winke geben, um sie zu verhindern, daß sie nicht an dem Umsturz aller Ordnung und Autorität mitarbeiten. – Doch, mein lieber Conti,« fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, »es ist mir wünschenswert, daß meine gute Bourgoisie von Paris sich nicht zu viel mit der auswärtigen Politik beschäftige und in die richtige Stimmung gebracht werde, um die Lösung der schwebenden luxemburgischen Frage, wie sie wahrscheinlich nach der Lage bei Verhältnisse notwendig werden wird, so zu akzeptieren, wie ich es wünsche. Die Presse wird das ihrige tun, indes wäre es immerhin gut, wenn die Dankbarkeit gegen das Kaiserreich, welches die Ordnung schützt und erhält, ein wenig aufgefrischt würde. Könnte man,« sagte er mit seinem Lächeln, indem er langsam über seinen Knebelbart strich und aus dem Winkel seines Auges einen schnellen Blick auf seinen Kabinettschef warf, »könnte man das rote Gespenst einen Gang über die Bühne machen lassen? – aber leise auftretend und in nicht zu erschreckender Gestalt, um die Fremden nicht abzuhalten und die Ausstellung nicht zu stören, vor allem muß es das Stichwort genau kennen, auf welches hin es in der Versenkung zu verschwinden hat.«
»Ich habe schon daran gedacht, Sire,« erwiderte Herr Conti, »Eure Majestät wissen, wie sehr ich von der Zweckmäßigkeit des Systems durchdrungen bin, die Pariser in Augenblicken, wo die auswärtige Politik vielleicht eine übelwollende Kritik hervorrufen könnte, rechtzeitig an ihre eigenen Angelegenheiten zu erinnern, ihnen ins Gedächtnis zu rufen, wie sehr sie des Schutzes einer starken Regierung bedürfen. – Ich glaube,« fuhr er fort, »das Geeignete wird sich sehr leicht machen lassen, es werden während der Ausstellung vor allen anderen die Schneider ein großes Geschäft machen, denn alle Fremden, die hierher kommen, werden einen Pariser Anzug mitnehmen wollen, es ist bereits eine Verstimmung unter den Gesellen und Arbeitern vorhanden, daß dieser Gewinn den Meistern und Magazinen allein zufallen soll, ein klein wenig Nachhilfe und Direktion, und eine Arbeitseinstellung der Schneider wird da sein.«
Napoleon lachte laut.
»Das ist vortrefflich – ganz vortrefflich,« rief er, »Paris in der Gefahr, sich nicht mehr ankleiden zu können, welch ein Gegenstand für die Presse, die Cafés, die Feuilletons, man wird von nichts anderem sprechen!«
»Die Sache müßte gerade in dem Moment eklatieren,« bemerkte Herr Conti, »in welchem diese luxemburgische Frage beendet wird, und niemand wird von dieser sprechen, die Frage der Gilets und Pantalons wird alles andere absorbieren.«
»Aber man wird doch die Sache vollständig in der Hand behalten?« fragte der Kaiser, ein wenig bedenklich.
»Vollständig, Sire,« erwiderte Herr Conti, »Eure Majestät weiden sie dauern lassen, so lange Sie wollen, dann wird die Regierung intervenieren, die Meister werden eine Lohnerhöhung bewilligen, die Arbeiter werden zufrieden sein, daß sie dieselbe erhalten, die Meister, daß sie nicht mehr geben müssen, Paris wird glücklich sein, sich von der Gefahr befreit zu sehen, im Kostüme der Wahrheit zu erscheinen, alle Welt wird Eurer Majestät dankbar sein, und – die Fremden werden alles bezahlen! – Hinterher aber wird Luxemburg und die ganze auswärtige Politik längst von der Tagesordnung verschwunden und völlig aus der Mode sein.«
»Nun denn,« sagte der Kaiser noch immer lächelnd, »arrangieren Sie mir diese ,Frage der Schneider', die Fäden aller dieser Arbeiterbewegungen laufen doch noch immer im Palais Royal zusammen?« fragte er dann mit ernstem Tone.
»Gewiß, Sire!« sagte Herr Conti.
»Es ist aber doch dafür gesorgt,« sagte der Kaiser, »daß die Fäden, welche dorthin gehen, nicht die eigentlich leitenden sind, und daß mein teurer Vetter, indem er seine Mußestunden mit kleinen konspiratorischen Unterhaltungen ausfüllt, nicht imstande sei, irgend wirklich Unheil anzurichten?«
»Eure Majestät können vollständig außer Sorge sein,« erwiderte Herr Conti, »die Lunte, welche im Palais Royal liegt, führt zu keinem Pulvermagazin.«
»Nun wohl,« sagte der Kaiser, »so bereiten Sie das vor, aber nicht zu früh, die luxemburgische Konferenz muß erst an dem entsprechenden Punkte ihrer Arbeiten angekommen sein. – Auf Wiedersehen, mein lieber Conti,« fuhr er mit freundlichem Lächeln fort, indem er seinem Kabinettschef die Hand reichte, »lassen Sie den sonderbaren Engländer eintreten.«
Herr Conti entfernte sich, und unmittelbar darauf öffnete der Kammerdiener die Tür für Mr. Douglas.
Dieser trat in das Kabinett des Kaisers in derselben geraden, selbstbewußten Haltung, in welcher er vor dem Herrn von Beust gestanden hatte.
Er näherte sich dem Kaiser bis auf einige Schritte, neigte den Kopf und blieb dann stehen, den doppelt geteilten Blick seiner Augen gerade vor sich hin gerichtet.
Napoleon blickte einen Augenblick ganz erstaunt in dieses so eigentümliche Gesicht, welches mit der Unbeweglichkeit einer Maske sich ihm gegenüber befand.
Dann setzte er sich, deutete artig auf einen Sessel gegenüber und sprach, indem ein leichtes, kaum merkbares Lächeln um seine Lippen spielte:
»Ich bin mit Vergnügen bereit gewesen, Sie zu empfangen, mein Herr, da der Fürst Metternich mir viel von Ihren eigentümlichen und neuen Anschauungen über die Lage Europas erzählt hat.«
»Ich bitte Eure Majestät, mir zu erlauben,« sagte Mr. Douglas, »daß ich in meiner Muttersprache rede, ich weiß, sie ist Eurer Majestät geläufig – und ich bin des Französischen nicht genug mächtig, um meine Ideen zu entwickeln.«
»Es macht mir immer Freude,« sagte der Kaiser in fließendem Englisch, »mich in der Sprache Ihres Vaterlandes zu unterhalten, dessen edle und großmütige Gastfreundschaft ich so lange genossen habe.«
»Ich bin von England aufgebrochen,« sagte Mr. Douglas, den Blick starr auf den Kaiser gerichtet, mit lauter Stimme und monoton pathetischem Ausdruck, »weil die Ereignisse, welche sich vollzogen haben und welche die Ordnung in Europa verwirren, zugleich dem Christentum den Untergang bereiten, wenn sich diejenigen Mächte nicht vereinigen, welche berufen find, das christliche Prinzip zu vertreten und zu verteidigen.«
Der Kaiser sah ihn schweigend und erwartungsvoll an, er schien nicht recht zu wissen, was er mit diesem Eingang machen sollte.
»Diese Mächte sind,« fuhr Mr. Douglas fort, »England, welches die positive evangelisch-protestantische Kirche vertritt, Frankreich und Österreich, die Schutzmächte der katholischen Kirche, und Rußland in der Vertretung des griechischen Christentums. Alle diese Mächte,« sagte er, die drei Finger der rechten Hand erhebend, »haben das dringende Interesse, sich zu verbinden, um diese preußische Macht zu brechen, welche Deutschland unterwerfen will, diese preußische Macht, welche den negativen, kritisierenden Protestantismus vertritt, dessen Sieg das Ende des Christentums sein wird.«
Napoleon drehte langsam seinen Schnurrbart.
»Alle diese Mächte haben ihre Aufgabe nicht erkannt,« fuhr Mr. Douglas fort, »sie stehen erstaunt und untätig den vollzogenen Ereignissen gegenüber und wagen es nicht zu handeln, obgleich sie doch stark genug wären, ihren Willen zur Ausführung zu bringen. England, geleitet von einer schwachen Regierung, welche unter der Herrschaft einer Partei steht, die in rohem Materialismus den Frieden um jeden Preis erhalten will, wagt sich nicht zu rühren und hüllt seine unwürdige Untätigkeit in das Prinzip der Nichtintervention, Frankreich – Eure Majestät hat den großen Fehler gemacht, Italien Zu unterstützen und in Deutschland nicht zu intervenieren.«
Das Auge des Kaisers hüllte sich in undurchsichtigen Schleier, kein Muskel seines Gesichts bewegte sich, und mit der Hand seinen Bart streichend, verdeckte er ein unwillkürliches Zucken seiner Lippen.
»Rußland,« fuhr Mr. Douglas immer in demselben Tone fort, »verblendet durch die Hoffnung, im Orient vorzuschreiten, erzürnt über die frühere Undankbarkeit Österreichs, begeht den großen Fehler, Preußen zu unterstützen, indem es ihm den Rücken deckt. – Österreich allein kann jetzt nichts tun, nachdem es den Fehler gemacht hat, im vorigen Jahre den Kampf ohne Alliierten aufzunehmen. Herr von Beust ist indes vollkommen durchdrungen von der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns, um das Geschehene wieder gut zu machen, und ich bin fest überzeugt, daß Eure Majestät ebenfalls jetzt klar erkennen, welche Gefahren Frankreich aus den Ereignissen des letzten Jahres erwachsen, welche Sie nie hätten sich vollziehen lassen sollen.«
Er hielt einen Augenblick inne, wie eine Antwort erwartend, indem der doppelte Blick seiner Augen sich starr auf den Kaiser richtete.
Dieser sah unbeweglich, sein undurchdringliches Auge erwiderte müde und ausdruckslos den forschenden Blick des Engländers.
»Um nun ein gemeinsames Handeln Frankreichs und Österreichs zu ermöglichen,« fuhr dieser nach einigen Augenblicken fort, »ist die erste Bedingung, England aus seiner Lethargie aufzurütteln und – Rußland von Preußen zu trennen.«
»Und Sie glauben, daß diese Bedingung erfüllbar ist?« fragte der Kaiser in ruhigem Tone.
»Ich bin davon überzeugt,« erwiderte Mr. Douglas, »und um sie zu erfüllen, bin ich entschlossen, alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Ich habe,« fuhr Mr. Douglas fort, »nach beiden Richtungen zum Ausgangspunkt meiner Bemühungen den König von Hannover gewählt, welcher in seiner Person die englische Nationalität und das legitime Recht vereinigt, diese beiden Prinzipien, durch welche man das Volk und die öffentliche Meinung in England – und das kaiserliche Kabinett von St. Petersburg bewegen kann. – Es sind viele in England,« fuhr er fort, »welche empört sind, daß die Regierung so stillschweigend und gleichgültig die Entthronung eines englischen Prinzen angesehen hat, wenn alle diese Elemente vereinigt werden, wenn in richtiger Weise durch die Presse, vielleicht von der Tribüne herab auf die öffentliche Meinung in England gewirkt wird, wenn vor allem der König selbst dorthin käme, so –«
»Sie glauben, daß der König Georg Sympathien, das heißt tätige Sympathien, mehr als bloßes Bedauern, dort erregen würde?« fragte der Kaiser ein wenig aufmerksamer.
»Ich bin davon überzeugt,« sagte Mr. Douglas.
»Doch,« fragte der Kaiser, den Kopf leicht auf die Seite neigend. – »Sie sprachen von Rußland –« »Dies ist die größte Aufgabe Eurer Majestät,« sagte Mr. Douglas, »in meinem Plan – Rußland von Preußen zu trennen, und,« fuhr er fort, »ich bin überzeugt, daß ich sie lösen werde.«
»Ah!« rief der Kaiser unwillkürlich.
»Ja, Eure Majestät,« sagte Mr. Douglas, die Hand erhebend, »ich werde in Rußland die Gefahren zeigen, welche die deutsche Bewegung dem russischen Reich später bringen muß, die Gefahren, welche sie dem legitimen Recht schon gebracht hat, ich werde zeigen,« fuhr er lebhafter fort, »daß Rußland Preußens nicht bedarf, wenn es sich mit Österreich über die Frage der Donauländer und mit England über den Handel des schwarzen Meeres verständigt.«
Eine urplötzliche Bewegung zuckte über die Gesichtszüge des Kaisers, ebenso schnell aber nahmen dieselben wieder ihre frühere Ruhe an und noch tiefer senkten sich die Lider auf seine Augen herab.
»Ich weiß,« fuhr Mr. Douglas fort, »es gibt viele, die diesem Gedanken in St. Petersburg zugänglich sind, und auch hier wird mir die Sache des Königs von Hannover als Einführung dienen, der Kaiser selbst ist in seinem inneren Gefühl unangenehm berührt durch die Entthronung des Königs, mehr noch der Hof des Großfürsten Konstantin, und der Großfürst-Thronfolger erblickt in dem preußischen Deutschland große Gefahren für Rußland.«
»Ist man in Wien davon unterrichtet?« fragte der Kaiser leichthin.
»Es war in Wien,« sagte Mr. Douglas, »wo ich darauf besonders aufmerksam gemacht bin.«
»Und Herr von Beust teilt Ihre Anschauungen?« fragte der Kaiser.
»Er hat mir alle Unterstützung versprochen und der österreichische Vertreter wird mich dort – neben den Empfehlungen des Königs von Hannover einführen.«
Der Kaiser schwieg.
»Ich bitte nun Eure Majestät,« sagte Mr. Douglas, »auch um Ihre Unterstützung und um eine Empfehlung an Ihren Gesandten, in der Hoffnung, daß Sie meine Ansichten richtig finden, und meine Bemühungen zu ihrer Durchführung fördern wollen.«
»Es ist mir sehr interessant gewesen,« sagte der Kaiser verbindlich, »Ihre weiten und durchdachten Anschauungen über die europäische Politik gehört zu haben,« er drehte leicht die Spitze seines Schnurrbarts, »ich werde mit nicht geringem Interesse vernehmen, welche Aufnahme dieselben in St. Petersburg finden werden, mein Gesandter wird Sie gewiß freundlich empfangen, allein, Sie begreifen, schon der Nationalität wegen – kann eine eigentliche Einführung durch ihn nicht stattfinden.«
»Es ist auch nicht die formelle Einführung, die ich wünsche,« sagte Mr. Douglas, »wenn ich nur die Gewißheit habe und dort aussprechen kann, daß Eure Majestät meine Auffassungen und Bestrebungen teilen.«
»Herr von Beust,« antwortete der Kaiser, »wird wissen, wie große Sympathie ich für Österreich hege und wie sehr ich von dem Wunsche durchdrungen bin, mit dem wiener Kabinett im Einverständnis zu handeln, alle Ansichten, die er zu den seinigen macht, haben deshalb für mich die größte Bedeutung.«
»Aber –« sagte Mr. Douglas.
»Doch,« sprach der Kaiser rasch mit dem Ausdruck verbindlicher Aufmerksamkeit, »Sie sprachen von einem Einfluß auf die englische Presse zugunsten Ihrer Ideen – und der Sache des Königs von Hannover. Haben Sie die Fäden bereits angeknüpft, um einen solchen Einfluß zu begründen? – ich kenne England genau und weiß vollkommen die Macht zu schätzen, welche die englische Presse dort über das Volk und die Regierung ausübt.«
»Ich werde die mir gleichgesinnten englischen Geistlichen zu vereinigen suchen,« sagte Mr. Douglas, »sie werden ihren bedeutenden Einfluß auf unsere Aristokratie, welche große Teilnahme für den König von Hannover hat, anwenden und ich bin gewiß, daß sie eine sehr wirksame Propaganda für meine Ideen machen werden – bis zur Königin hinauf.«
Abermals zuckten die Lippen des Kaisers in unwillkürlichem Lächeln, er beugte den Kopf herab und fuhr mit der Hand über den Bart.
Dann erhob er sich und sagte im artigsten Tone:
»Ich danke Ihnen, daß Sie die Freundlichkeit gehabt, hierher zu kommen und mir Ihre Ideen mitzuteilen, einem so überzeugungsvollen Eifer muß man den besten Erfolg wünschen, und ich kann nur wiederholen, daß es mich sehr interessieren wird, zu erfahren, welche Aufnahme Ihre Gedanken in England und Rußland finden werden.«
Mr. Douglas, der sich ebenfalls erhoben hatte, öffnete den Mund mit einem Ausdruck, als sei er mit der Beendigung der Unterredung noch nicht ganz einverstanden.
»Sie gehen von hier nach St. Petersburg?« fragte der Kaiser immer in demselben verbindlichen Tone.
»Ich habe es so mit Herrn von Beust verabredet,« erwiderte Herr Douglas, »ich will sogleich nach meiner Rückkehr nach Wien dorthin gehen, wenn meine Ansichten bei Eurer Majestät –« »Ich bitte Sie, wenn Sie nach Wien zurückkehren, Herrn von Beust meine Komplimente zu machen,« sagte der Kaiser, »und auch den König von Hannover meiner freundschaftlichsten Sympathie zu versichern, ich habe diesen liebenswürdigen Fürsten in Baden-Baden kennen gelernt und beklage aufrichtig das unglückliche Schicksal, das ihn betroffen hat. – Vor allem bitte ich Sie nochmals, überzeugt zu sein, wie sehr es mich freut, Sie kennen gelernt zu haben, ich hoffe, Sie später noch wiederzusehen und weiter mit Ihnen über Ihre Ideen zu sprechen.«
Und mit anmutiger Höflichkeit neigte er das Haupt.
Mr. Douglas, immer die weitgeöffneten Augen starr auf den Kaiser gerichtet, zog sich langsam zur Tür zurück, verbeugte sich und verließ das Kabinett.
Der Kaiser blickte ihm eine Weile schweigend nach.
»Was will Herr von Beust,« sagte er sinnend, »mit diesem neuen Peter von Amiens, der den allgemeinen Kreuzzug gegen Preußen predigt – und mit der Miene eines Inquisitors meine Erklärung über sein originelles Programm fordert, ist das ein ballon d'essai – oder eine Propaganda für wirkliche Pläne? – Metternich hat mir so dringend empfohlen, diesen sonderbaren Engländer zu hören, es muß doch irgendetwas dahinter sein. – Ich glaube,« sagte er nach einigen Augenblicken nachdenklichem Sinnens, »ich habe sehr wohl getan, diese orientalische Frage ein wenig auf die Spitze zu treiben, Herr von Beust wollte Rußland die Hand reichen, wie dieser politische Clergyman in seinem Eifer ausgeplaudert, nun,« fügte er lächelnd hinzu, »daraus wird nun wohl nichts werden, und im Orient wird alles beim alten bleiben. – Jede auch nur provisorische Lösung jener Frage würde mir ein wirksames Mittel rauben, um dem Spiel meines Einflusses in London und St. Petersburg Nachdruck zu geben.«
Er ging nachdenkend einigemale im Kabinett auf und nieder.
Der geheime Sekretär Pietri trat durch die Portiere der innern Türe.
Napoleon blieb stehen und nickte ihm freundlich zu.
»Haben Eure Majestät Zeit, einige Korrespondenzen zu erledigen?« fragte Pietri.
Der Kaiser neigte zustimmend das Haupt.
Pietri näherte sich dem Tische, seine Papiere in der Hand.
»Schreiben Sie eine vertrauliche Notiz an Baron Talleyrand nach Petersburg,« sagte der Kaiser, »es wird ein englischer Geistlicher, Mr. Douglas, dorthin kommen und ihn aufsuchen, er möge ihn freundlich empfangen, aber äußerst vorsichtig in seinen Äußerungen sein und sich in nichts engagieren.«
Pietri notierte den Namen mit seinem Crayon auf ein Blatt Papier.
»Avisieren Sie zugleich,« fuhr der Kaiser fort, »unsern geheimen Agenten dort –«
»Madame de Ronqueur?« fragte Pietri.
»Dieselbe,« sagte Napoleon. – »Sie ist sehr gewandt und nützlich?« fragte er sich unterbrechend.
»Ungemein gewandt, Sire,« sagte Pietri, »sie leistet große Dienste und weiß jeden Schein einer politischen Tätigkeit zu vermeiden –«
»Schreiben Sie ihr also: es läge mir sehr viel daran, genau zu wissen, was dieser Mr. Douglas dort tut, wen er sieht, wenn es möglich ist, – was er mit den politischen Persönlichkeiten spricht und wie weit er durch die österreichische Vertretung souteniert wird, er muß sehr genau überwacht werden.«
»Zu Befehl, Sire,« sagte Herr Pietri.
Der Kaiser trat einen Schritt näher zu ihm.
»Haben Sie einen Weg in die englische Presse?« fragte er.
»Gewiß, Sire,« erwiderte der geheime Sekretär, »Chronicle, – Herald –«
»Ein Blatt, in welchem niemand irgendwie einen hiesigen Einfluß vermuten könnte, wäre mir lieber, könnte nicht Daily News –?«
Pietii sann nach.
»Auch das würde sich machen lassen,« sagte er, »es müßte nur kein Gegenstand von spezifisch französischem Interesse sein.«
»Nein, nein,« rief der Kaiser, »das ist es nicht. – Sie wissen,« fuhr er fort, noch näher zu Herrn Pietri tretend und die Stimme ein wenig dämpfend, »Sie wissen, daß ich in Petersburg ein wenig weitgehende Ideen habe aussprechen lassen – in betreff des Orients, ich wünsche jetzt aber dieser Sache keine weitere Folge zu geben, ohne meinerseits offiziell und spontan meine Ansichten zu modifizieren, es wäre der Augenblick, daß England intervenierte und sich gegen jede Änderung des Status quo erhöbe, um jede weitere Erörterung dieser bedenklichen Frage abzuschneiden und zugleich dem Petersburger Kabinett gegenüber die Gehässigkeit auf sich zu nehmen, von welcher Herr von Beust schon einen Teil bereitwilligst übernommen hat,« fügte er lächelnd hinzu.
»Ich verstehe,« sagte Pietri, »eine kleine diplomatische Indiskretion –«
»Welche aber dem Anschein nach aus Wien kommen müßte,« warf der Kaiser ein, »oder aus Berlin,« sagte er nach einem augenblicklichen Nachdenken, den Schnurrbart drehend. »Dann einige Winke über die Gefahren, welche dem europäischen Frieden aus einem gegenwärtigen Antasten der orientalischen Frage erwachsen könnten,« fuhr Pietri fort, »über die Aufgabe Englands, dem Vordringen Rußlands im Orient entgegenzutreten –«
Der Kaiser nickte mehrmals mit dem Kopf.
»Die englische Presse wird Feuer fangen und die englische Diplomatie wird sofort ihre Schuldigkeit tun,« sagte Pietri.
»Schreiben Sie den Artikel und zeigen Sie ihn mir französisch,« sprach der Kaiser, »Sie glauben ihn in Daily News erscheinen lassen zu können?«
»Einen solchen Artikel unbedenklich,« erwiederte Pietri, »und ohne daß die Redakteure selbst ahnen sollen, woher er kommt.«
»So lesen wir denn die Briefe,« sagte der Kaiser, »aber nur das Notwendigste, ich möchte ein wenig ausfahren.«
Und er setzte sich an seinen Schreibtisch, während Pietri die Papiere auseinander breitete, welche er in der Hand hielt.