Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Sechzehntes Kapitel.

In der Rue de Cambacérès, gegenüber dem hinteren Ausgang des Ministeriums des Innern, liegt ein kleines Haus von zwei Stockwerken, im Parterre ein Einfahrtstor nach dem Hofe.

Ein kleiner Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren mit scharf geschnittenem Gesicht vom olivenfarbenen Teint der Südfranzosen, mit kleinem, schwarzem Schnurrbart und glänzenden, klugen Augen, näherte sich mit raschen Schlitten dem Tore und zog den an der Seite desselben befindlichen Glockenknopf.

Schnell öffnete sich das Tor, der kleine Mann trat ein und fragte den öffnenden Concierge, indem er sich zu einer in den oberen Stock führenden Treppe wendete:

»Der Herr Herzog ist zu Hause?«

Auf die bejahende Antwort stieg der Eingetretene die mit einem dicken Teppich belegte Treppe hinauf und sagte dem in einem kleinen Vorplatz ihm entgegentretenden Kammerdiener:

»Fragen Sie, ob der Herzog Herrn Escudier empfangen wolle.«

Der Kammerdiener trat in die inneren Räume und öffnete einige Augenblicke darauf die Tür mit den Worten:

»Treten Sie ein, mein Herr.«

Herr Escudier, der intelligente und gewandte Redakteur des Journals »La France«, trat in einen kleinen, vollständig im Stil Louis XV. möblierten und ausgestatteten Salon, welcher mit den Vergoldungen seiner Möbel, mit seinen Pendulen, den alten Familienbildern an den Wänden, den bunten Teppichen, welche den Boden bedeckten und hier und da das zierlich gearbeitete Parkett sehen ließen, einen ebenso reichen als behaglichen Anblick darbot.

Diese ganze elegante und altertümlich vornehme Ausstattung harmonierte vollständig mit der hohen, aristokratischen Gestalt und den seinen, altfranzösischen Zügen des Herzogs von Gramont, welcher, trotz der frühen Morgenstunde, völlig angekleidet Herrn Escudier entgegentrat.

»Ich habe gehört, daß Sie hier sind, Herr Herzog,« sagte dieser, »und wollte nicht verfehlen, Ihnen sogleich meinen Besuch zu machen. Sie kommen aus Wien und einige Renseignements können Ihnen vielleicht nützlich sein, ich war im Hotel de Gramont,« fuhr er fort, »dort hat man mich hierher gewiesen.«

Der Herzog deutete auf einen Sessel und sagte lächelnd umherblickend, indem er sich in einen weiten Faulem! niederließ:

»Ich ziehe die behaglichen Räume dieses kleinen Hauses, das ich bewohnte, als ich noch Guiche war, dem großen, schallenden Palais im Faubourg Saint Germain vor, wenn ich allein in Paris bin, doch ich freue mich vor allem, Sie zu sehen, mein lieber Herr Escudier, wie steht es hier, was sagt die öffentliche Meinung – und die politische Welt? – Niemand kann über alles das so gut unterrichtet sein wie Sie,« fügte er mit leichtem Neigen des Kopfes hinzu.

»Die politische Welt, Herr Herzog,« sagte Escudier, »ist in diesem Augenblick ein Chaos, in welchem die widerstreitendsten Elemente miteinander kämpfen – leider, leider,« fügte er seufzend hinzu, »denn niemals war ein Moment glücklicher gewählt als jetzt, um mit einem Schlage das Prestige wiederherzustellen, welches wir – wir mögen sagen was wir wollen – durch die Schlacht von Sadowa eingebüßt haben.«

Der Herzog zuckte die Achseln.

»Ich habe getan, was ich konnte, um damals eine andere Politik einschlagen zu lassen,« sagte er leichthin.

»Gewiß, gewiß,« rief Herr Escudier, »aber was hilft der Rückblick in die Vergangenheit, wir müssen wiedergewinnen, was wir verloren haben!«

»Nun, und was denkt der Kaiser?« fragte der Herzog im Konversationston, indem ein schneller Blick seines Auges forschend über die lebhaften Züge des kleinen Journalisten flog. – »Herr von Laguerronière Pflegt dafür ein seines Verständnis zu haben –«

»Herr von Laguerroniere ist überzeugt,« rief Escudier, »daß der Kaiser eine ernste Aktion will und nur einen Anstoß bedarf, um über alle Hindernisse hinwegzugehen, mit welchem man ihn umringt.«

»Man ihn umringt?« fragte der Herzog, »wer, ich glaubte, daß hier alles kriegerisch wäre.«

»Durchaus nicht,« sagte Herr Escudier eifrig, »der Marquis de Moustier will den Krieg, ich bin davon fest überzeugt, er spricht sich ziemlich unverholen darüber aus, noch mehr der Graf von Saint Ballier, sein Kabinettschef, aber Rouher und Lavalette – und alles, was dazu gehört,« fügte er achselzuckend hinzu, »arbeiten eifrig und unermüdlich am Frieden, das heißt,« sagte er mit bitterem Tone, »an einer neuen Erniedrigung Frankreichs.«

Der Herzog hörte aufmerksam zu.

»Rouher und Lavalette?« fragte er, »hat denn Herr Rouher wieder so großen Einfluß, man hörte eine Zeitlang, daß sein Stern im Sinken sei?«

»Er steht höher am Himmel als je,« rief Herr Escudier, »denn,« fuhr er leiser, den Kopf ein wenig zum Herzog hinüberneigend, fort, »die Kaiserin unterstützt ihn mit allen Kräften.«

»Die Kaiserin?« rief der Herzog erstaunt, »Ihre Majestät arbeitet für den Frieden?«

»Mit aller Macht,« sagte Herr Escudier, »niemand weiß sich das zu erklären, Ihre Majestät hat plötzlich einen so großen Abscheu vor dem Schall der Kanonen, eine solche Furcht vor vergossenem Blut –«

»Ah!« machte der Herzog und senkte nachdenkend den Kopf.

»Das bouleversiert alle Welt,« sagte Herr Escudier eifrig, »Herr von Laguerronière ist in großer Verlegenheit, es ist eine bedenkliche Sache, die Wege Ihrer Majestät der Kaiserin zu durchkreuzen, wir alle hier, die wir auf eine männliche und mutige Wiedererhebung Frankreichs hoffen und für dieselbe arbeiten, sind vollständig décontenanciert, und wir erwarten,« fügte er sich verneigend hinzu, »kräftigen Beistand von Ihnen, Herr Herzog, und von Österreich.«

»Österreich?« sagte der Herzog langsam und achselzuckend.

»Ich habe in meinen Korrespondenzen,« sagte Herr Escudier schnell – »Sie wissen, Herr Herzog, daß ich regelmäßige Korrespondenzen dorthin sende –«

Der Herzog nickte leicht mit dem Kopf.

»Ich habe in diesen Korrespondenzen,« fuhr Herr Escudier fort, »auf das lebhafteste die Notwendigkeit betont, schnell und ohne Zögern jede Gelegenheit zu ergreifen, um das unvollendete Weil des vorigen Jahres zu zertrümmern, bevor die Konstituierung Deutschlands unter Preußens Militärherrschaft sich vollzieht und konsolidiert, denn ist dies einmal geschehen, so wird Österreich für immer und ewig aus Deutschland ausgeschlossen sein.«

»Wird diese Konstituierung aber verhindert, wenn man jetzt eine Kompensation fordert und vielleicht erzwingt?« sagte der Herzog halb für sich.

»Ist nur einmal der Krieg ausgebrochen,« rief Herr Escudier, »ist einmal diese preußische Macht gebrochen, dann wird es sich nicht mehr um Konpensationen handeln, es kommt nur darauf an, den ersten Schritt zu tun, um aus der Lethargie herauszukommen, in welche wir seit dem vorigen Jahre versunken sind, seit Drouyn de Lhuys nicht mehr Minister ist.«

»Ist Herr Drouyn de Lhuys in Paris?« fragte der Herzog, »ich will ihn besuchen, wie steht er mit dem Kaiser?«

»Äußerlich sehr gut,« sagte Herr Escudier, »der Kaiser überhäuft ihn mit Aufmerksamkeiten, und Herr Drouyn de Lhuys ist zu sehr Patriot und vornehmer Herr, um den Unzufriedenen zu spielen, allein im Innern ist er sehr böse – und sieht sehr schwarz.«

»Er steht also mit dem gegenwärtigen Ministerium auf gutem Fuß?« fragte der Herzog.

»Vollkommen,« erwiderte Herr Escudier, »die einzige kleine Malice, die er sich erlaubt hat, ist, daß er seinen Empfang in seinem Hotel der Rue de François I. am gleichen Tage mit dem auswärtigen Minister halt –«

»Und?« fragte der Herzog lächelnd.

»Und,« sagte Herr Escudier, »alle Welt ist bei Drouyn de Lhuys, selbst die Beamten des auswärtigen Ministeriums, und die Salons am Kai d'Orsay bleiben leer.«

Der Herzog lachte.

»Das ist ja eine eigentümliche Situation,« sagte er. – »Sie glauben also, daß der Kaiser im Innern für den Krieg ist und mit dem Gedanken des Herrn Drouyn de Lhuys übereinstimmt?«

»Ich bin überzeugt,« sagte Herr Escudier, »daß der Kaiser den Krieg will, er hat vielleicht irgendein Hindernis gefunden, man sprach viel von den Mängeln der Armeeorganisation, und daß er die Idee hat, im Moment der Aktion, die er vorbereitet, Herrn Drouyn de Lhuys wieder zur Leitung der Geschäfte zu berufen, aber Seine Majestät täuscht sich darin, denn Drouyn de Lhuys, der im vorigen Jahre um jeden Preis den Krieg machen wollte, will ihn jetzt nicht mehr, er sagt, der rechte Moment ist versäumt – und unwiederbringlich, Sie wissen, Herr Herzog, er ist etwas eigensinnig, ich glaube nicht, daß er jemals sich dazu verstehen wird, eine Aktion zu leiten.«

»Das alles ist mir sehr interessant Zu hören, mein lieber Herr Escudier,« sagte der Herzog aufstehend, »Sie wissen, man verliert ein wenig den Faden der Situation, wenn man lange im Auslande gelebt hat. Ich hoffe Sie noch öfter zu sehen, machen Sie mein Kompliment an Herrn von Laguerronière, ich werde ihn sehen, wie ich hoffe.«

Und mit artiger Verbeugung entließ er Herrn Escudier, ihn einige Schritte bis zum Ausgang des Zimmers begleitend.

»Die Situation ist kompliziert,« sagte der Herzog, nachdenklich vor sich hinblickend, »die Kaiserin, der Kaiser, Moustier, der offizielle Minister mit der reservation mentale Drouyn de Lhuys, das alles erfordert große Vorsicht. – Nun,« sagte er lächelnd und einige Schritte durch das Zimmer gehend, »ich komme vielleicht gerade recht, um jedem gefällig zu sein und die verwickelten Fäden in einer allseitig befriedigenden Weise zu lösen.«

Ein Geräusch wurde auf dem Vorflur hörbar. Rasch öffnete sich die Tür, und an dem meldenden Kammerdiener vorbei trat eine Dame von ungefähr achtundzwanzig Jahren in den Salon.

Diese Dame trug einen kleinen, mit Pelz verbrämten Hut mit kurzem Federstutz auf den reichen Flechten ihres ebenholzschwarzen Haares, das scharfgeschnittene Gesicht von frischen und lebhaften Farben mit den roten, etwas starken Lippen würde Intelligenz, Feuer und Leben ausgedrückt haben, auch wenn in demselben nicht so wunderbar eigentümliche Augen geleuchtet hätten, Augen, welche schwer zum zweiten Male in ähnlicher Farbe und ähnlichem Schnitte zu finden sein möchten. Die Pupille dieser merkwürdig großen, von scharfgezeichneten dunklen Brauen überwölbten Augen war vom tiefsten Schwarz, dabei aber leuchtend und schimmernd wie schwarze Edelsteine, das Weiße glänzte in bläulich angehauchtem Perlmutterschimmer und war von einer Klarheit und Reinheit ohnegleichen, diese Augen aber, welche man auf einem Bilde für eine Erfindung des Malers gehalten hätte, blickten nicht sinnend und schmachtend, sie funkelten und blitzten von Geist, Leben und Willenskraft, voll Feuer und flimmernder Bewegung.

Diese Dame, welche, in einen eleganten, mit Pelz und Schnüren besetzten Mantel gehüllt, in den Salon des Herzogs trat, war Madame Marie Alexandre Dumas, die Tochter des berühmten Romanciers, welche nach einer kurzen, unglücklichen Ehe mit einem Spanier den Namen ihres Vaters wieder angenommen hatte und bei ihm lebte, mit aufopfernder Sorgfalt sein Alter pflegend und seine genialen ökonomischen Unordnungen mit unermüdlichem Eifer wieder in das Geleise häuslichen Komforts und ruhiger, eleganter Behaglichkeit zurückführend.

»Guten Tag, mein teurer Herzog,« rief sie lebhaft mit wohlklingender, metallischer Stimme, »ich höre, daß Sie angekommen sind, und eile, Sie zu begrüßen – als guter Kamerad, Sie wissen, ich bin ein Mann für meine Freunde, ich beanspruche nicht jene lächerlichen, faden Redensarten, die man den Frauen machen zu müssen glaubt, also ohne Umschweife und Redensarten – seien Sie herzlich willkommen in Paris, unter Ihren Freunden!«

Und sie ergriff die Hand des Herzogs und schüttelte sie mit ungezwungener Herzlichkeit.

Der Herzog führte sie mit anmutiger Artigkeit zu einem Kanapee mit vergoldeter Lehne und sagte lächelnd: »Ich würde glücklich sein, wenn alle meine Freunde hier mir ein ebenso freundliches Andenken bewahren und mich ebenso herzlich begrüßen, wie geht es Ihrem Vater? – ich werde ihn besuchen, sobald ich frei bin.«

»Mein armer Vater wird älter und älter,« sagte Marie Dumas seufzend, indem sich ihr reines, glänzendes Auge mit leichter Wolle trübte, »nicht sein Herz und sein Kopf, die bleiben immer jung, aber er geht selten aus und seine Kräfte vermindern sich, es ist für mich eine schöne Pflicht, den Abend dieses glänzenden und reichen Lebens so friedlich und freundlich als möglich zu gestalten.«

»Es ist traurig,« sagte der Herzog, »daß die Unsterblichkeit des Geistes – und des Ruhms,« fügte er mit artiger Verneigung hinzu, »die Herrschaft des Alters über den Körper nicht besiegen können.«

»Doch ist das Bewußtsein der Unsterblichkeit ein hoher Trost für die Leiden des Alters,« sagte Marie Dumas mit leuchtendem Blick, »aber,« fuhr sie dann abbrechend mit lebhaftem Tun, ihre Hand auf die des Herzogs legend, fort, »aber, mein lieber Herzog, nicht wahr, Sie bringen uns einen schönen, guten Krieg mit, die Rache für den Schlag, unter dem Österreich – mein liebes Österreich im vorigen Jahre zusammengebrochen ist?«

Der Herzog wurde ernst. Nach einem kurzen Schweigen hob er den Blick zu dem bewegten Gesicht der Dame empor und sagte mit einem halben Lächeln:

»Sie, meine schöne Freundin, eine Dame, eine Frau aus der Welt der Dichtung und Kunst, wünschen den Krieg?«

»Gewiß wünsche ich ihn,« rief Madame Marie Dumas lebhaft, »und zwar so schnell als möglich und so kräftig als möglich. – Soll Frankreich länger ruhig mit ansehen, daß dies Preußen, dem ich einen guten und tüchtigen Haß geschworen habe, ganz Deutschland in seine Regimenter einreiht und Österreich, das Land der Poesie – der Religion – der historischen Erinnerung, hinausdrängt, um es in den Sümpfen der Moldau und Walachei zu ertränken? – Wir haben viel verbrochen an Österreich,« fuhr sie schnell und erregt sprechend fort, »wir haben es aus Italien hinausgeworfen, mag das sein,« sagte sie achselzuckend, »mag dafür ein politischer Grund gewesen sein, obgleich wir noch sonderbare Beweise von Italiens Dankbarkeit erhalten werden, wir haben den edlen, ritterlichen, herrlichen Maximilian in jene mexikanische Räuberwüste gelockt, in der sie ihn vielleicht morden werden,« rief sie schmerzlich, indem eine Träne ihr Auge erfüllte, »wir haben Sadowa mit untergeschlagenen Armen angesehen, sollen wir denn jetzt, wo die Gelegenheit sich darbietet, nicht endlich ihm die Hand reichen, um es wieder zu erheben – und um uns einen Alliierten zu schaffen, den einzigen, den wir haben können? – Sie wissen, Herzog,« sagte sie, leicht mit dem Taschentuch die feuchtgewordenen Augen trocknend, »daß ich für Herrn Napoleon niemals große Liebe empfunden habe, und für Madame Napoleon noch weniger –«

Der Herzog lachte.

»Aber, meine teure Freundin,« rief er, die Hand erhebend, »Sie sprechen zu einem Ambassadeur des Kaisers!«

»Was frage ich danach,« sagte sie, mit den Fingern schnippend, »ich habe wohl das Recht, zu sagen, was ich will, bin ich ein Diplomat – ich?« –

Der Herzog lachte noch mehr.

»Ich liebe also Ihren erhabenen Kaiser nicht,« fuhr sie fort, sich lächelnd gegen der Herzog verneigend, »ja, ich gestehe, daß ich ihn recht von Herzen verwünscht habe wegen seiner törichten und treulosen Expedition nach Mexiko, wegen seines unwürdigen Komparsenspiels auf der Bühne des Herrn von Bismarck, aber,« sagte sie, sich etwas zurücklehnend und das glänzende Auge fest auf den Herzog richtend, »ich bin bereit, ihm zu vergeben, ich will für ihn arbeiten, da wir ja am Ende doch nichts an seine Stelle zu setzen haben, wenn er dem maßlosen Ehrgeiz dieses unersättlichen Preußens ein Ziel setzt, wenn er Österreich wieder aufrichtet, wenn er an Franz Joseph gutmacht, was er an Maximilian verbrochen hat. – Apropos,« rief sie nach einem Augenblick, »was glaubt man in Wien, wird dieser arme Maximilian wenigstens sein edles Leben aus diesem blutigen Schlamm retten, in den er immer tiefer und tiefer versinkt?«

»Man ist sehr besorgt um ihn,« sagte der Herzog, »man hat versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen, er will durchaus den Kampf bis zu Ende führen, übrigens ist auch die Rückkehr für ihn schmerzlich und schwer, er hat auf alle seine Rechte als österreichischer Erzherzog verzichtet, sein Vermögen verloren –«

»Während alle anderen aus dieser Expedition Gold geschöpft haben!« rief Marie Dumas, »Gott schütze den armen, unglücklichen, edlen Fürsten,« fügte sie hinzu, die Hände faltend und den ausdrucksvollen Blick nach oben richtend. – »Aber nicht wahr, Sie weiden uns den Krieg machen?« rief sie dann, »Österreich –«

»Österreich ist sehr schwach,« sagte der Herzog achselzuckend, »was sagt denn aber hier die öffentliche Meinung?« fragte er, »das ist doch von großer Wichtigkeit für die Entschlüsse des Kaisers.«

»Die öffentliche Meinung?« rief Madame Marie Dumas, indem sie den Kopf zurückwarf, »was ist die öffentliche Meinung? Wir haben zunächst zwei öffentliche Meinungen, das ist diejenige, welche man druckt und in den Zeitungen liest, und dann diejenige, welche man wirklich im Herzen trägt, welche die ernsthaften und ehrenwerten Franzosen hegen und aussprechen in den Salons, in den privaten Konversationen, diese letztere ist für den Krieg – nicht für den Krieg quand même, aber man ist überzeugt, daß weder das Kaiserreich, noch Frankreichs Stellung in Europa auf die Dauer auf diese Weise erhalten werden können. Entweder muß man mit Preußen sich verständigen, um zu erhalten, was uns gebührt, oder man muß dieses neue Deutschland wieder zerschlagen und die Föderation unter Österreich wiederherstellen. So sprechen,« fuhr sie fort, »alle vernünftigen Personen, und sie wünschen vor allem irgendeinen festen und klaren Entschluß, statt dieses ewigen Schwedens in einem bewaffneten Frieden, welcher tausendmal schlimmer ist als der Krieg.«

Der Herzog hörte aufmerksam zu.

»Diejenige öffentliche Meinung aber,« fuhr Madame Dumas fort, »welche in den Journalen erscheint, teilt sich in zwei Kategorien: die dem Kaiserreich und dem Kaiser ergebenen und die demselben feindlichen Blätter; die ersten wagen aus lauter diplomatischen Rücksichten nicht vom Krieg zu sprechen, aus Furcht, daß man der Regierung die Störung des Friedens vorwerfen möchte, und die anderen – nun sie predigen den Frieden, weil sie überzeugt sind, daß, je mehr das Prestige Frankreichs unter dem Kaiser sinkt, je weniger die Armee ins Feld geführt wirb, und je mehr sie dagegen, den zersetzenden Wühlereien im Innern ausgesetzt, sich vom Kaiser und der kaiserlichen Tradition loslöst, bah nur desto schneller der Moment kommen wirb, in welchem man – Seine Majestät Napoleon III. einladen wird – zu gehen, woher er gekommen. – Sie sehen also, mein lieber Herzog,« rief sie lachend, »wenn Sie Ihren sehr erhabenen und sehr gnädigen Souverän auf seinem Thron erhalten wollen, so müssen Sie uns schnell für einen guten Krieg sorgen.«

Der Herzog saß tief nachdenkend.

»Apropos,« rief Madame Marie Dumas, »Sie haben ja in Wien den König von Hannover, diesen armen Fürsten, für den ich so viel Sympathie habe, mein Vater schreibt einen Roman über dieses unglückliche Jahr 1866, darin soll auch der König von Hannover eine Rolle spielen; wie ist er, wie trägt er sein trauriges Schicksal?«

»Sehr würdig und mutig,« sagte der Herzog, augenscheinlich etwas präokkupiert, »der König ist eine sympathische Erscheinung, wenn Sie nach Wien kommen, müssen Sie ihn kennen lernen.«

»Ich werde kommen!« rief sie lebhaft, »aber der König hat einen Vertreter hierher geschickt, wie man mir sagt, ich möchte –«

»Ich bin mit ihm von Wien hierher gereist,« sagte der Herzog, »er ist hier – er wird noch nicht installiert sein –«

Der Kammerdiener trat ein und brachte eine Karte auf einer silbernen Platte.

Der Herzog lächelte.

»Sie sollen sogleich die Bekanntschaft Ihres Hannoveraners machen,« sagte er, »und zu dem Kammerdiener gewendet fügte er hinzu: »Lassen Sie den Herrn eintreten.«

Er stand auf und trat einem mittelgroßen, blonden Mann mit leicht gebogenem Schnurrbart im schwarzen Morgenanzug, mit der weih und gelben Schleife der Medaille von Langensalza im Knopfloch, entgegen, welcher in der Tür erschien.

»Ich freue mich, Sie in Paris wiederzusehen,« sagte der Herzog, dem Regierungsrat Meding, dem vertrauten Diener des Königs Georg von Hannover, die Hand reichend, »haben Sie sich von den Strapazen der Reise erholt?«

»Ich danke, Herr Herzog,« erwiderte Herr Meding, »ich bin vorläufig noch im Hotel und überladen durch eine Flut von Besuchen und Besorgungen, indes habe ich jetzt etwas Atem geschöpft und komme, mich nach Ihrem Befinden Zu erkundigen.«

»Erlauben Sie mir vor allem,« sagte der Herzog, »Sie mit einer warmen Freundin Ihrer Sache bekannt zu machen« – er wandte sich zu der Dame, welche den Blick ihrer großen Augen forschend auf den Geschäftsträger des Königs von Hannover richtete, »Madame Marie Dumas, die Tochter unseres großen Romandichters,« fügte er, »welche ganz besondere Sympathie für Ihren König hegt, Herr Meding –«

Der letztere verneigte sich artig gegen die Tochter Alexander Dumas', und sagte: »Ich bin glücklich, Madame, Ihre Bekanntschaft zu machen, ich hoffe, daß die Sympathie für das Unglück meines ritterlichen Herrn, welche bei einer Dame, die Ihren Namen trägt, so natürlich ist, sich ein wenig auf mich übertragen werde.«

Madame Marie Dumas war aufgestanden und reichte Herrn Meding die Hand.

»Nehmen Sie einen herzlichen Händedruck, mein Herr,« rief sie, »ich bin ein guter Freund meiner Freunde, wie der Herzog hier bestätigen wird, ich hoffe, wir werden uns öfter sehen und gute Freunde werden.«

Herr Meding verbeugte sich.

»Nun, mein lieber Herzog, leben Sie Wohl!« rief Madame Dumas, »ich wollte Ihnen nur guten Tag sagen – und Sie ein wenig in Feuer setzen,« fügte sie lächelnd hinzu, »also – bald einen guten, tüchtigen Krieg. – Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, mein Herr,« sagte sie, sich zu Herrn Meding wendend, und schnell eilte sie aus der Tür.

»Nun,« sagte der Herzog, »wie sind Sie zufrieden hier?«

»Ich habe soeben dem Marquis de Moustier meinen ersten Besuch gemacht,« sagte Herr Meding, neben dem Herzog Platz nehmend, »und habe bei ihm ein volles und richtiges Verständnis für die delikate, rein persönliche Natur meiner Mission gefunden, ich habe nur Grund, in jeder Beziehung zufrieden zu sein, man kommt mir mit allen Aufmerksamkeiten und Rücksichten entgegen, während ich doch vollständig den privaten Charakter meiner Anwesenheit in Paris behalte, es ist nicht ganz leicht,« fügte er mit einem traurigen Lächeln hinzu, »die so zarten Grenzen der Stellung eines Gesandten in partibus infidelium zu ziehen, übrigens habe ich den Marquis sehr kriegerisch gefunden, er glaubt an den Ausbruch des Konflikts und rechnet auf sympathische Strömungen und Aktionen in Süddeutschland und den annektierten Ländern.«

Der Herzog blickte nachdenklich zu Boden.

»An der holländischen Grenze soll sich ein hannoverisches Korps sammeln,« sagte er.

»Es findet dort allerdings eine Emigration von hannöverischen Offizieren und Soldaten statt, über welche ich jedoch nur äußerlich und ungenügend informiert bin,« sagte Herr Meding,« »ich habe indes dem Marquis de Moustier nicht verhehlt, daß mir sowohl der jetzige Augenblick als auch die Veranlassung des Konflikts erhebliche Bedenken einflößt.«

Der Herzog erhob den Blick mit dem Ausdruck forschender Spannung.

»Diese luxemburgische Frage,« fuhr Herr Meding fort, »ist, wie es mir scheint, eine ganz spezifisch französische Frage, und wenn auch die Aussicht auf einen Krieg die unzufriedenen Elemente in Hannover und vielleicht noch in anderen Teilen Deutschlands in Unruhe und Bewegung versetzt, so glaube ich doch kaum, daß die nationalen Interessen der föderativen Parteien Deutschlands dabei irgendwie ihre Rechnung finden können. – Die Frage,« sagte er nach einer augenblicklichen Pause, als der Herzog schwieg, »ist wesentlich eine Kompensationsfrage, bei welcher die definitive Anerkennung alles Geschehenen zugrunde liegt, und dann, wenn dieselbe zum kriegerischen Konflikt vorschreitet, handelt es sich dabei einfach um eine Eroberung deutschen Gebietes, das heißt um eine Sache, bei welcher allen denen, die durch die letzten Ereignisse betroffen sind und eine andere Konstituierung Deutschlands wünschen, das nationale Gefühl jede aktive Beteiligung schwer – fast unmöglich machen wird.«

»Aber die Hannoveraner wollen schlagen,« sagte der Herzog.

»Einzelne junge Offiziere und Soldaten,« erwiderte Herr Meding; »würde aber hinter einer solchen Erhebung bei dieser Veranlassung Deutschland stehen, stehen können? – Frankreich muß sich vor allem hüten,« fuhr er fort, »die Frage zu stellen: Deutschland gegen Frankreich, denn bei einer so gestellten Frage bin ich überzeugt, daß alle, auch die heterogensten Elemente Deutschlands einig werden würden, und Sie selbst, Herr Herzog – jeder Franzose müßte uns verachten, wenn es anders wäre.«

Der Herzog stand auf und tat einige Schritte durch das Zimmer.

»Es ist eine sehr schwierige Situation,« sagte er.

»Die die äußerste Vorsicht erfordert,« sprach Herr Meding, sich ebenfalls erhebend, »doch Sie werden sehen, Herr Herzog,« fügte er hinzu, »wie die Verhältnisse sich entwickeln, vor allem aber muß ich hier stets meinen Rat und meine Ansicht dahin aussprechen, was man auch tun möge, jeden Gedanken an Eroberung deutschen Gebietes aus der französischen Politik fernzuhalten, wenn Frankreich sich mit den autonomischen und föderativen Elementen Deutschlands verbünden will. – Wir können arbeiten – und kämpfen,« fuhr er fort, »für die Wiederherstellung des föderativen Deutschlands und der Rechte der einzelnen Stämme und Fürsten – ein Bündnis aber mit denjenigen Elementen, welche bei einem Eroberungskriege Sie unterstützen möchten, würde Ihnen weder ehrenvoll noch nützlich sein.«

»Ich freue mich,« sagte der Herzog nach einer kurzen Pause, »Sie noch gesehen und Ihre Anschauung gehört zu haben, wir werden weiter darüber sprechen, sobald ich mich noch mehr orientiert haben werde. – Apropos,« fuhr er fort, »wann wird Ihr Journal »La Situation« erscheinen, welches Herr Holländer vorbereitet, der im Winter in Wien und Hietzing war?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Herr Meding, »ich will überhaupt mit diesem Unternehmen nichts zu tun haben.«

»Sind Sie denn nicht der Ansicht, daß der König Georg hier auf die öffentliche Meinung wirken müsse?« fragte der Herzog ein wenig erstaunt.

»Gewiß,« erwiderte Herr Meding, »und ich habe auch durchaus nichts gegen die Gründung dieses Journals, doch ist Grund genug für mich vorhanden, mich absolut fern davon zu halten, denn meine Stellung hier ist ohnehin schon diffizil genug! – Doch, Herr Herzog, ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Sie bleiben noch einige Tage hier?«

»Einige Tage gewiß,« sagte der Herzog, »und ich hoffe, Ihnen noch Gewisses über die Entwicklung der Situation mitteilen zu können. – Wo haben Sie Ihr vorläufiges pied à terre?«

»Im Hotel de Bade am Boulevard des Italiens,« sagte Herr Meding. und sich vom Herzoge verabschiedend, verließ er den Salon.

Der Herzog ging auf und nieder.

»Es ist eine sehr schwierige Situation,« sagte er für sich, »die Kaiserin, die den Frieden will, der Kaiser und Moustier, die den Krieg wollen, Österreich, das gelähmt ist und jedenfalls mit diesem Herrn von Beust niemals irgend etwas nach irgend einer Seite hin tun wird, welche Haltung ist da zu beobachten? – Aber will der Kaiser wirklich den Krieg, will er ihn jetzt?« sagte er, plötzlich stehenbleibend, »da liegt die Frage, welche das ganze Spiel regiert, und welche schwer zu lösen ist. – Doch versuchen wir immerhin, Licht in dieses Dunkel zu bringen.«

Er bewegte die Glocke.

»Meinen Wagen,« befahl er dem Kammerdiener, einen Blick auf die Uhr werfend, »ich muß nach den Tuilerien fahren.«


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