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Steinbach wäre beinahe aufgesprungen; er besann sich noch, daß der Indianer zu stolz ist, seine Erregung merken zu lassen. Er als »Fürst der Bleichgesichter« durfte also nicht weniger Selbstbeherrschung zeigen.

»Willst Du mir wohl sagen, wie, wann und wo Du diese beiden Männer gesehen und getroffen hast?«

»Jetzt nicht, aber wenn der »silberne Mann« nicht mehr unter meinem Schutze steht. Jetzt bin ich sein Schirm und Schild; ich darf nicht von ihm erzählen.«

»Ich sehe ein, daß Du nicht anders kannst. Ich habe mit dem Häuptling der Apachen gesprochen. Er ist bereit, die Friedenspfeife mit Dir zu rauchen. Es ist besser, wenn Friede und Freundschaft zwischen den rothen Männern herrscht. Soll ich ihn rufen?«

»Nein.«

»Warum nicht? Wünschest Du nicht auch den Frieden?«

»Ich wünsche ihn, aber ich kann ihn jetzt noch nicht haben. Die Apachen haben mir in letzter Nacht meine Krieger getödtet. Blut um Blut, Leben um Leben, Mensch um Mensch. Wenn sie mir ebenso viele ihrer Leute geben, werde ich das Calummet rauchen.«

»Das werden sie nicht thun. Aber ich werde Dir für Deine rothen Krieger einige Bleichgesichter geben.«

Das electrisirte den Maricopa. Dieses Anerbieten war eigentlich ein unglaubbares, ein ungeheuerliches. Ein Bleichgesicht wollte seine Brüder hergeben. Aber ein weißer Gefangener ist dem Indianer lieber als zehn rothe. Darum fragte »der eiserne Mund«:

»Mein Ohr ist scharf; aber ich glaube, daß es jetzt geträumt hat. Was sagtest Du?«

»Wir haben mehrere weiße Gefangene unten im Keller; diese will ich Dir geben an Stelle der Apachen, welche Du verlangst.«

»Wie viele sind ihrer?«

Steinbach gab die Zahl an. Da rief der Rothe erstaunt:

»Und die willst Du mir geben, damit ich sie scalpiren kann!«

»Nein. Das sollst Du nicht. Du sollst sie mit Dir nehmen in die Wohnungen Deines Stammes, damit sie Dir dienen und Deine Befehle erfüllen. Sind sie Dir untreu, und begehen sie Verbrechen, dann, ja dann magst Du machen mit ihnen, was Dir beliebt.«

»So sind es nicht Freunde von Dir?«

»Nein.«

»Was haben sie Dir gethan?«

»Mir nichts. Sie sind Räuber und Mörder. Wenn sie nicht wären, so wäre auch Dein jetziger Kriegszug nicht verunglückt.«

»Willst Du mir das erklären?«

»Sie sind schuld, daß wir von Deiner Ankunft erfuhren. Einer ihrer Verbündeten sandte ihnen die Botschaft, daß Du mit einem weißen Mädchen nach dem Silbersee kommen werdest. Von ihnen haben wir es erfahren. Sonst hätten wir nichts gewußt, und Dein Ueberfall wäre Dir gelungen.«

Da glühten die Augen des Maricopa grimmig auf. Er sagte zornig:

»Und diese Männer giebst Du mir mit?«

»Alle. Nur Einen behalte ich für mich zurück.«

»Sie sollen meine Diener sein, ja, meine Diener und es soll ihnen an nichts fehlen, an gar nichts!«

Das hieß natürlich, daß sie seine Sclaven sein würden und daß es ihnen an Allem fehlen werde.

»Rufe den Häuptling der Apachen herbei!« fuhr er fort. »Ich bin bereit, mit Euch die Pfeife des Friedens zu rauchen.«

Kurze Zeit später saßen die beiden Häuptlinge mit Wilkins, Sam und Steinbach rund um ein Feuerbecken und besprachen die Grundlagen eines ewigen Friedens zwischen den Kriegern der Apachen und denjenigen der Maricopa's. Dieser Frieden wurde abgeschlossen, mit kräftigen Handschlägen besiegelt und aus dem Calummet beraucht.

Dann machte sich eine Prozession von rothen und weißen Männern auf, um den Maricopa's die Nachricht der Versöhnung zu bringen. Sie wurde von ihnen mit aufrichtiger Freude aufgenommen; Keiner aber freute sich so sehr, wie das alte, ehrliche »scharfe Beil«. Dieser Indianer ruhte nicht eher, als bis Steinbach mit ihm eine Extra-Friedenspfeife geraucht hatte.

Dabei fiel es Steinbach ein und auf, daß er Roulin, den silbernen Mann, gar nicht mehr zu sehen bekam. Als er den Alten nach ihm fragte, antwortete dieser mit einem spöttischen Achselzucken:

»Der silberne Mann ist wie der Thau.«

»Wieso?«

»Wenn die Sonne des Friedens kommt, vergeht er.«

»Meinst Du etwa, daß er nicht mehr da sei?«

»Das meine ich. Als Dein Gewehr unsere vier Krieger getödtet hatte, sah er, daß das weiße Mädchen in Eure Hände gerieth. Dann nahmt Ihr unsern Häuptling gefangen, er glaubte nun, daß unser Kriegszug verunglückt sei und daß wir uns an ihm, der der Anstifter war, rächen würden. Er ist ganz unbemerkt auf seinem Pferde davongeritten.«

Jetzt, da er das erfuhr, dachte Steinbach gar nicht daran, seine Erregung unter der Maske des Gleichmuthes zu verbergen. Er sprang von seinem Sitze empor und suchte den Häuptling der Maricopa's auf, welcher mit Sam, Wilkins und dem Häuptling der Apachen unter einem Baume saß, wo eine wiederholte Friedenspfeife den neu geschlossenen Bund zum wievielten Male bekräftigte.

Der »eiserne Mund« wollte es zunächst gar nicht glauben, daß sein weißer Verbündeter sich ohne Abschied entfernt habe. Weitere Nachforschungen ergaben aber die Richtigkeit dieser Aussage.

»Steht er nun noch unter Deinem Schutze?« fragte ihn Steinbach.

»Nein. Er hat sich aus demselben entfernt. Als er mich gefangen sah, ist er entflohen. Der Feigling ist mein Gefährte gewesen, wird es aber niemals wieder sein.«

»Wir müssen ihm schleunigst nach.«

»Warum?« fragte Wilkins.

»Weil er uns Auskunft über Ihren Neffen und auch über Adler geben kann.«

»Ist das möglich?«

»Ganz gewiß. Ich gehe sofort zu Magda Hauser, um zu versuchen, etwas Näheres über ihn zu erfahren.«

Als er bei den beiden Mädchen eintrat, machte seine Gestalt einen gewaltigen Eindruck auf Magda. Wieder hätte er bei ihrem Anblicke den Namen Tschita ausrufen mögen, so sehr ähnlich sah sie der einstigen Sultana. Leider konnte sie ihm nicht die gewünschte Auskunft geben, weder über ihre Eltern, noch über Roulin. Das Porträt ihrer Mutter aber besaß sie. Sie hatte es an einem goldenen Kettchen an ihrem Halse hängen. Als sie das Medaillon öffnete und er den Kopf sah, fuhr er mit der Hand zum Herzen.

»Anna von Adlerhorst!« hätte er beinahe ausgerufen. Doch drängte er die Worte noch zeitig genug zurück. Es konnte ja eine Täuschung möglich sein.

Da machte Almy ihn auf ein Anderes aufmerksam. Sie fragte ihn:

»Sie suchen Herrn Adler, den einstigen Oberaufseher meines Vaters. Haben Sie ihn einmal gesehen?«

»Nein.«

»So sehen Sie sich hier meine neue Freundin an. Magda sieht ihm außerordentlich ähnlich. Als er nach dem Westen ging, ließ er mir seine Photographie als Andenken zurück. Ich werde sie Ihnen zeigen.«

Sie brachte das heilig gehaltene Bild herbei. Als er einen Blick auf dasselbe warf, war es ihm ganz so, als ob er das Porträt Hermann von Adlerhorsts erblicke, welcher sich in Constantinopel Wallert genannt hatte. Doch ließ Steinbach sich auch hiervon nichts merken.

Er begab sich wieder hinaus an den See, um mit dem »eisernen Mund« zu sprechen. Dieser war nicht mehr vorhanden. Er hatte mit der »starken Hand« und einem Apachen den Silbersee verlassen, um der Fährte des »silbernen Mannes« nachzufolgen.

So thatkräftig und schnell entschlossen war der Häuptling der Apachen. Der »eiserne Mund« hatte sich ihm sogleich angeschlossen, um ihm einen Freundschaftsbeweis zu geben und sich zugleich an Roulin zu rächen.

Jetzt nun gab es große Berathung. Nun Wilkins wußte, wo er von den beiden Verschwundenen Nachricht erhalten konnte, litt es ihn nicht länger am Silbersee. Auch er wollte Roulin nach. Steinbach hatte natürlich dieselbe Absicht. Sam, Tim, Jim und Zimmermann erklärten, daß sie sich anschließen würden.

So verging der Nachmittag, der Abend und die Nacht unter dem Schmieden verschiedener Pläne. Am Morgen erhielten die Maricopa's die ihnen zugesagten Buschheaders ausgeliefert. Diese waren nicht wenig erschrocken, als sie erfuhren, welches Schicksal ihrer wartete. Sie hatten es verdient. Sie wollten sich beschweren; sie klagten, zankten, fluchten; es half ihnen nichts. Die Maricopa's zogen am Nachmittage mit ihnen ab. Natürlich nahmen sie die unscalpirten Leichen ihrer gefallenen Krieger mit.

Gegen Abend kehrte der Apache, welcher die beiden Häuptlinge begleitet hatte, auf schweißtriefendem Pferde zurück und meldete, daß die beiden Genannten der Fährte Roulin's bis nach dem Campo grande gefolgt seien; dorthin sollten die Andern nachkommen.

Nun gab es kein Halten mehr. Magda wollte zu ihren Eltern in das Todesthal. Almy wollte nicht zurückbleiben, da es sich um das Auffinden Adlers handelte. Es wurde beschlossen, die beiden Mädchen nach San Marcial zu bringen, wo sie mit der Südbahn bis nach Mohawk-Station fahren sollten, um unter dem Schutze Jims und Tims und Zimmermanns dort die Andern zu erwarten.

Von den Gefangenen war nur Einer zurückgeblieben, nämlich der einstige Derwisch, welchen Steinbach für sich behalten wollte. Er sollte von dem Förster Rothe verpflegt und bewacht werden, welcher mit seinen Verwandten am Silbersee blieb, um Sams Rückkehr daselbst abzuwarten. Natürlich war der Förster nicht allein. Es blieb eine Anzahl der Apachen da, um das Missionsgebäude zu hüten, und diese Leute schienen zuverlässig genug zu sein, so daß man ihnen Alles anvertrauen konnte, zumal kein Grund vorhanden war, irgend ein störendes oder gar feindseliges Ereigniß zu erwarten.

Am frühen Morgen bereits wurde aufgebrochen. Dann lag der Silbersee, an dessen Wasser es in der letzten Zeit so lebhaft hergegangen war, still und einsam an seinen Ufern. Gab es in seiner Nähe oder im Missionsgebäude denn wirklich solche Schätze, wie man vermuthete – –?

Bereits am Nachmittage wurde diese Einsamkeit unterbrochen. Durch den vom Norden in das Thal führenden Paß kamen drei Reiter langsam herbeigetrabt. Zwei trugen abgeschabte Jägerkleidung. Der Dritte hatte ein weniger mitgenommenes Gewand an. Auch sein Pferd war frischer und rüstiger als die Thiere, er deutete auf das Wasser und sagte:

»Das ist der Silbersee, Sennor, von welchem ich sagte, daß wir vorüber müßten. Hat Eure Reise Eile?«

»Warum fragt Ihr?«

»Weil mir scheint, daß wir bald einen Regen haben werden, und ich möchte die Nacht lieber in einem Zimmer zubringen, als unter dem Himmel. Trocken bleiben ist auf alle Fälle besser, als im Regen im Walde campiren.«

»Ihr sprecht vom Zimmer. Giebt es denn hier irgend einen bewohnten Ort?«

»Natürlich. Das ist die alte, berühmte Mission am Silbersee.«

»Ah! Mönche! Das ist mein Geschmack nicht.«

»Die waren früher einmal da, sind nun aber schon längst zu den andern frommen Vätern versammelt. Was Ihr da finden werdet, sieht gar nicht nach Mönch aus, nicht einmal nach Nonne.«

»Doch nicht etwa eine junge Sennorita?«

»Grad das und nichts Anderes. Und was für Eine! Schön wie ein Engel, fromm wie eine Heilige und verführerisch wie eine Venus.«

»Wer ist sie denn, und wie heißt sie?«

»Die eine Frage kann ich beantworten, die andere aber nicht. Sie wird allgemein die Taube des Urwaldes genannt und wohnt mit ihrem Vater unter dem Schutze der Apachen in der alten, verlassenen Mission.«

»Sie muß doch einen Namen haben.«

»Hoffentlich. Ich kenne ihn leider nicht.«

»Ist sie reich?«

»Läßt sich denken. Hier um den See herum soll mancher Schatz vergraben liegen.«

»Ist es noch weit bis zu der Mission?«

»Gar nicht. Hier biegen wir um den Felsen, und da liegt sie. Seht Ihr, da links.«

»Hm! Nicht übel. Und Ihr denkt, daß wir heut Regen bekommen?«

»Ganz gewiß. Wir haben Euch nichts zu befehlen. Ihr habt uns als Führer gemiethet und bezahlt uns gut. Wir müssen uns also nach Euern Befehlen richten. Aber wir haben doch auch auf Euer Wohl zu sehen, und wenn Ihr auf einen guten Rath hören wollt, so bleiben wir heut Nacht in der Mission.«

»Wird man uns dort aufnehmen?«

»Sehr gern. In solcher Gegend ist man froh, einen Weißen zu sehen.«

»Na, wollen es versuchen.«

Den beiden Führern war es um ein gutes Quartier, dem Herrn aber wohl meist um das Mädchen zu thun, welches man ihm als eine solche Schönheit beschrieben hatte, noch dazu unter so poetisch-geheimnißvollen Namen.

Es schien sich kein Mensch in der Nähe des Sees zu befinden. Die drei Reiter bemerkten freilich nicht die Apachen, welche hinter den Felsen saßen und den Eingang der Mission im Auge hatten. Der eine Führer klopfte. Er mußte dies wiederholt thun, ehe das Guckloch geöffnet wurde.

»Wer seid Ihr?« fragte die alte Indianerin.

»Reisende, wir kommen von Isleta und wollen nach Prescott hinab.«

»Weshalb klopft Ihr an?«

»Wir bitten um ein Quartier für die Nacht.«

»Schlaft unter den Bäumen!«

»Es wird heut regnen.«

»Hm! Seid Ihr Yankees?«

»Nein. Wir sind gute Neu-Mexikaner. Dieser Sennor aber ist aus dem Norden.«

»Ich werde fragen.«

Sie machte das Loch wieder zu.

»Sapperment!« lachte der Yankee. »War das etwa Eure Taube des Urwaldes?«

»Spottet nicht! So häßlich dieses alte Weib ist, so schön ist die Taube.«

»Wenn sie nur auch gastfreundlicher ist!«

»Keine Sorge. Wir erhalten sicherlich aufgemacht.«

Er hatte Recht. Bereits nach kurzer Zeit öffnete die Alte das Thor und sagte:

»Reitet hier herein, geradeaus bis in den Hof!«

Sie folgten dieser Weisung. Im Hofe saß ein Indianer zu Pferde. Er that so, als ob er sich gar nicht um sie bekümmere, nahm sie aber heimlich sehr scharf in die Augen. Als sie abgestiegen waren, sahen sie einen Mann aus dem Treppeneingang treten.

»Ist das der Vater der Taube?« fragte der Yankee.

»Nein. Ich kenne ihn nicht. Habe ihn noch niemals gesehen.«

»Ja. Dieser Kerl aber war niemals da.«

Der betreffende Mann kam langsam auf sie zu, grüßte und fragte in ziemlich schlechtem Englisch:

»Ihr wollt hier übernachten, Sennores?«

»Ja.«

»Darf ich vielleicht um Euern Namen bitten?«

Diese Frage war an den Yankee gerichtet. Derselbe gab zur Antwort:

»Ich heiße Leflor.«

»Woher?«

»Hm! Ihr scheint die Manieren eines Polizeimannes zu haben.«

»Ist hier auch nothwendig, zumal jetzt. Also bitte!«

»Aus Wilkinsfield, drüben in Arkansas.«

»Sapperment! Ist das möglich?«

»Möglich? Wieso? Es ist sogar wirklich. Wie kommt es, daß Ihr Euch so sehr darüber wundert, daß ich aus diesem Orte bin?«

»Weil der Herr dieses Hauses von ebenda her ist.«

»Alle Teufel! Wie heißt er?«

»Wilkins.«

Der Yankee erbleichte. Er war ja jener Leflor, welcher Wilkins aus seiner Pflanzung vertrieben, später nach ihm gesucht, ihn aber niemals gefunden hatte. Er beherrschte sich möglichst und meinte in scheinbar gleichgültigem Tone:

»Hoffentlich fallen wir diesem Herrn nicht beschwerlich.«

»O nein. Er ist verreist.«

»Ah! Auf wie lange?«

»Auf unbestimmte Zeit.«

»Seine Familie ist aber doch zurückgeblieben?«

»Leider nicht. Er hat nur Miß Almy, und diese ist mit ihm fort.«

»Wie schade. Ich hätte die Beiden gern begrüßt. Sind noch andere Personen aus jener Gegend da?«

»Keine einzige.«

»Das thut mir wirklich herzlich und aufrichtig leid. Lieber möchte ich da gleich wieder fort.«

»Oho! Wenn Ihr Master Wilkins kennt, so würdet Ihr ihm willkommen sein. Darum ist es meine Pflicht, Euch ebenso willkommen zu heißen. Kommt mit herauf zu uns! Eure Diener mögen sich dort an den Indianer wenden, der für sie sorgen wird.«

»Oho, Diener!« knurrte der eine Führer, hielt es aber doch für gut, sich in die Anordnung zu fügen.

Leflor war außerordentlich erschrocken gewesen; jetzt aber freute er sich königlich, hier eingekehrt zu sein. Er hatte den Aufenthalt des so lange Gesuchten kennen gelernt und hoffte, auch außerdem von dieser Entdeckung zu profitiren. Es kam nun, da er einmal seinen Namen und Wohnort genannt und beide unmöglich wieder ableugnen konnte, darauf an, daß sich Niemand hier befand, der sein Verhältniß zu Wilkins genau kannte.

Er folgte dem Manne nach oben in eine Stube, wo zwei Frauen und ein junger Bursche saßen.

»Ich bringe Euch hier einen guten Freund von Master Wilkins,« sagte er zu ihnen, »der gekommen ist, ihn zu besuchen.«

»Noch heut Morgen, Herr Leflor, hättet Ihr ihn angetroffen. Das läßt sich aber nun nicht ändern. Ich selbst bin eigentlich Gast hier. Ich heiße Rothe und war Förster drüben in Deutschland. Hier ist mein Sohn, meine Frau und meine Schwägerin, welche – ah, da fällt mir ein, daß Sam Barth ja auch in Wilkinsfield gewesen ist. Kennt Ihr ihn?«

»Ja,« antwortete Leflor erschrocken.

»Nun, das freut uns. Er ist nämlich der Bräutigam meiner Schwägerin.«

»Jedenfalls befindet er sich hier?«

»Nein. Er war hier, ist aber heut mit Master Wilkins, Jim und Tim und Steinbach fort.«

»Jim und Tim –?« entfuhr es Leflor.

»Ja. Kennt Ihr auch die?«

»Sehr gut. Nanntet Ihr da nicht auch einen Steinbach?«

»Ja. Er kam hierher, um einen gewissen Adler zu suchen, der in Wilkinsfield Oberaufseher gewesen ist. Vielleicht habt Ihr auch diesen gekannt?«

»Er war mein bester Freund.«

»Seht, seht! Wie sich das so trifft. Na, setzt Euch nieder und macht es Euch bequem. Wir werden den Abend recht gemüthlich verplaudern.«

Leflor nahm Platz und erfuhr nach einigen Fragen, daß er eine Entdeckung nicht zu fürchten habe. Es befand sich kein Mensch hier, der ihm hätte gefährlich werden können. Nun erst überkam ihm ein außerordentliches Wohlbehagen. Er kam sich vor wie ein Dieb, welchem der Hausherr nicht nur alle Schätze zeigt, sondern auch den Ort, an welchem sich die Schlüssel dazu befinden.

Die Frauen entfernten sich, um das Abendessen zu bereiten. Indessen ergingen die drei Andern sich in einem sehr animirten Gespräche, im Verlaufe dessen Leflor ganz unauffällig den Förster examinirte und dessen ganze Erlebnisse erfuhr. Ebenso bekam er die Erlebnisse der letzten Tage erzählt.

»Aber wo sind denn diese Leute alle hin, welche heute abgereist sind?« fragte er schließlich.

»Das weiß man nicht. Nur die beiden Häuptlinge, welche voran sind, wissen die Richtung. Die jungen Damen sind nach Mohawk-Station, wo sie warten, bis die Männer zu ihnen stoßen. Diese aber sind eben jenem Musjöh Roulin nach. Man hat mich nicht eingeweiht. Ich weiß nur das, was ich ganz zufällig gehört habe. So viel aber ist sicher, daß sie einen jungen Wilkins und jenen Adler suchen.«

Jetzt wurde das Essen aufgetragen. Bei dieser Gelegenheit erkundigte sich der ehrliche Förster, ob auch das Essen für den Gefangenen fertig sei. Die Frage wurde bejahend beantwortet.

Für Leflor konnte jede Kleinigkeit hier von Nutzen werden. Ein Gefangener hier, das war sehr auffällig. Er fragte also wie nur so nebenbei:

»Es giebt hier Gefangene? Wohl Indianer?«

»O nein; er ist ein Weißer.«

»Doch nicht. Hat er eine Strafe abzusitzen?«

»Was Sie meinen! Als ob wir hier ein Bezirksgericht oder so Etwas hätten! Nein, nein! das ist sehr einfach Privatangelegenheit. Der Kerl wollte hier mit einbrechen und wurde mit den Andern festgehalten.«

»Ich denke, sie sind Alle den Maricopa's ausgeliefert worden, wie Ihr vorhin erzähltet?«

»Alle, nur dieser Eine nicht. Mit ihm scheint Steinbach etwas ganz Besonderes vorzuhaben, vielleicht weil er ein Bote jenes Walker gewesen ist.«

»Walker?«

Er wollte es blos fragen, schrie aber den Namen in seiner Erregung laut auf. Dabei fuhr er mit der Hand unwillkürlich nach seiner Brusttasche. Dort steckte ein Brief, welcher folgendermaßen lautete:

»Macht Euch sofort auf und kommt zu mir. Ich habe Euch Wichtiges zu sagen. Ich nenne mich jetzt Robin und wohne bei Prescott, Arizona, in den Mogollon-Bergen. Jedermann weißt Euch zu mir.

Walker.«

Der Förster blickte Leflor erstaunt an. Er fragte:

»Das klang ja, als ob es Euch erschreckt hätte.«

»O nein. Warum?«

»Weil Ihr so laut riefet.«

»Davon habe ich keine Ahnung. Wer mag denn wohl dieser Walker sein, der solche Spitzbuben hierher schickte?«

»Ein schöner Kerl!«

Und nun erzählte er Alles, was er von Sam Barth, Jim und Tim über den Genannten erfahren hatte. Zuletzt bemerkte er noch: »Und denkt Euch nur, der Kerl, den Walker geschickt hat, ist noch dazu ein alter Bekannter von mir!«

»Unmöglich! Das wäre ja ein reines Wunder.«

»Beinahe. Der Kerl nannte sich hier Bill Newton, ist Derwisch und Mörder in der Türkei gewesen, und war vorher unter dem Namen Florian, Kammerdiener, dessen Förster ich war.«

»Wunderbar! Dieser Mann ist interessant. Er mag wohl ein rechtes Spitzbubengesicht haben?«

»So ziemlich. Seid Ihr vielleicht so Etwas, was man einen Psycholog nennt?«

»Jawohl.«

»Nun, wenn Ihr ihn Euch einmal ansehen wollt, so kann es ja geschehen.«

»O, sehr gern!«

»Ich werde ihm das Essen hinuntertragen. Ihr könnt mitgehen, wenn es Euch beliebt.«

Er nahm einen großen Schlüssel vom Nagel und ging mit Leflor nach der Küche, wo er ein Stück Fleisch und ein Gefäß mit Wasser holte. Dann stiegen Beide die zwei Treppen in den Keller hinab. Es verstand sich ganz von selbst, daß Leflor sich die Oertlichkeit auf das Genaueste einprägte. Der Schlüssel, welchen der Förster trug, schloß die Thür. Rothe öffnete diese und trat hinein. Als er das Essen hingelegt hatte, sagte er zu dem Gefangenen:

»Bursche, stehe einmal auf! Dieser Herr will Dich ansehen.«

Der Gefangene gehorchte nicht, erhielt aber einige derbe Stöße, so daß er endlich aufstand.

»Da, Master Leflor, guckt Euch einmal das Gesicht an. So sieht ein Hallunke aus, der Spitzbube, Derwisch, Mörder und Kammerdiener gewesen ist.«

»Wie war sein eigentlicher Name?«

»Florin.«

»So ist er wohl ein Franzose?«

»Freilich.«

»Sprecht Ihr auch französisch, Förster?«

»Kein Wort.«

»Schade darum! Sonst könntet Ihr ihm in seiner Muttersprache die Meinung sagen; ungefähr so: Tu seras sauvé

Diese Worte bedeuten ›Du wirst gerettet werden‹. Der gute Förster ahnte das nicht. Er hatte die Aussprache dieser drei Worte »tu seras soweé« ein Wenig verstanden und antwortete:

»A Sauvieh? Ja, das ist er. Da drückt sich der Franzose ganz richtig aus. Na, sein Brod ist ihm gebacken. Er wird vergiftet und ausgestopft wie ein Uhu, wenn Steinbach wiederkommt. Ich mag nicht in seiner Haut stecken.«

Er schloß wieder zu und kehrte mit Leflor in die Stube zurück. Dort hing er den Schlüssel wieder an denselben Nagel, was Leflor sehr wohl bemerkte.

Dieser Letztere ließ es sich nun angelegen sein, Etwas über die Art und Weise, in welcher das Haus bewacht wurde, zu erfahren. Der Förster theilte ihm aufrichtig mit, daß im Hofe zwei Indianer, im Hause selbst aber Keiner postirt seien. Draußen, grad gegenüber dem Thore hatten drei Apachen ihren Posten. Hiermit konnte sich der Yankee zufrieden geben. Er schützte bald Müdigkeit vor und bat, ihm sein Zimmer anzuweisen.

»Zimmer anweisen!« lachte der Förster. »Ihr redet, als ob Ihr Euch in einem Hotel befändet. Hier giebt es zwar viele Räumlichkeiten, aber äußerst wenig Möbels. Eigentlich könnte ich Euch nur eine leere Stube geben; da Ihr aber ein guter Freund von Master Wilkins seid, so sollt Ihr hier bleiben. Ihr könnt da auf dem Kanapee schlafen. Das ist ein seltener Genuß im fernen Westen.«

»O, ich will Euch nicht berauben oder vertreiben!«

»Das thut Ihr gar nicht. Wir schlafen nicht hier, sondern in zwei Kammern am Ende des Corridors.«

Auch das war beruhigend. Die Förstersfamilie verabschiedete sich, und nun befand Leflor sich allein. Es konnte nicht besser passen. Der Förster schien es wirklich darauf abgesehen zu haben, ihm Alles ganz und gar mundrecht zu machen.

Zunächst unternahm er nichts. Aber als Mitternacht nahe war und draußen ein Sturm sich erhob, welcher ein leises Geräusch im Innern des Hauses gar nicht hörbar werden ließ, da nahm er den Schlüssel von der Wand und schlich sich hinaus und hinab in den Keller. Natürlich ging dies nicht sehr schnell. Er hatte die Indianer zu fürchten, traf aber glücklicher Weise auf kein Hinderniß. Auch die Thür, hinter welcher der Gefangene steckte, öffnete sich geräuschlos. Er trat ein.

»Wollt Ihr mich befreien?« fragte der Gefangene.

»Ja, kommt heraus. Ihr geht mit mir hinauf in meine Stube.«

»Sind wir da sicherer?«

»Ich denke es.«

Der Derwisch kam heraus und Leflor schloß die Thür wieder zu. Dann nahm er den Andern bei der Hand, um ihn zu führen. Sie gelangten unbemerkt und glücklich oben in der Stube an, wo Leflor natürlich kein Licht brannte. Er hing den Schlüssel wieder an seinen Ort, führte den Gefangenen nach dem Kanapee und setzte sich neben ihn.

»Gewiß sendet Euch Walker?« fragte der Derwisch.

»O nein. Ich rette Euch aus freien Stücken.«

»Wie käme das? Ich kenne Euch nicht. Wenigstens schien es mir bei dem geringen Lichtscheine, als ob ich Euch noch niemals gesehen habe.«

»Ich Euch auch nicht. Aber doch interessire ich mich sehr lebhaft für Euch. Ich lernte vor Jahren Walker, den Ihr nanntet, kennen; ich machte ein Geschäft mit ihm und jetzt will ich ihn wieder aufsuchen. Hier einkehrend, hörte ich, daß man Euch eingesperrt habe, weil Ihr ein Bote Walkers seid. Darum beschloß ich, Euch zu retten.«

»Gott sei Dank oder meinetwegen auch allen Teufeln! Ihr befreit mich da aus einer verzweifelten Lage. Ich hatte hier nichts als den Tod zu hoffen, und zwar was für einen! Ich werde Euch ewig dankbar sein. Diesem Steinbach aber werde ich es heimzahlen und zwar baldigst.«

»Ihr liebt ihn wohl nicht?«

»Kein Mensch kann so gehaßt werden wie er von mir!«

»Hm! Auch ihm habe ich meine Liebe gewidmet!«

»Ists möglich! Auch Ihr?«

»Ja; dieser Mensch scheint sich um Alles zu bekümmern, was ihm nichts angeht. Er kam in meine Gegend und schnüffelte da herum, bis er einen Grund fand, hierher zu gehen und mich in ungeheuren Schaden zu bringen.«

»So sind wir also Gesinnungsgenossen?«

»Leidensgefährten.«

»Und können Verbündete werden, wenn es Euch recht ist. Ihr scheint ein gut situirter Mann zu sein und ich bin arm, aber ich versichere Euch, daß meine Hilfe nicht zu verachten ist.«

»Glaube es gern und nehme sie an. Wir wollen uns über diesen Steinbach hermachen, wie die Meute über den Wolf. Wüßte ich nur, wo er hin ist!«

»Er wird Walker aufsuchen. Es ist ihm verrathen worden, daß ich Walkers Bote bin; das ist für ihn Grund genug dazu.«

»Auf alle Fälle muß er vor Steinbach gewarnt werden. Ich muß fort, dies zu thun.«

»Nicht so schnell. Wie wollt Ihr nach Prescott?«

»Alle Teufel! Ich habe kein Pferd.«

»Und ich kann Euch keins verschaffen, wenigstens hier nicht. Wir reiten von hier aus über Silber-City nach Casa grande und Phönix –«

»O weh! Und nach Prescott wollt Ihr?«

»Freilich. Ich habe zwei Führer.«

»Schöne Kerls! Die betrügen Euch um wenigstens drei Tagereisen. Oder sollten sie den Weg über das Gebirge wirklich nicht kennen! Ah, wenn Ihr mit mir gehen könntet! Wir haben ja das gleiche Ziel.«

»Vielleicht läßt es sich möglich machen.«

»Warum nicht? Ich habe da einen Gedanken. Wann reitet Ihr ab?«

»Kurz nach Tagesanbruch.«

»Und ich gehe natürlich eher fort. Vor dem Spätvormittag wird man mein Verschwinden gar nicht bemerken. Ich gehe also ganz gemüthlich nach Silber-City zu. Ihr kommt später nach. In zwei Stunden werdet Ihr einen Bergsturz erreichen, welcher interessant anzusehen ist. Ihr steigt ab, um ihn Euch zu betrachten, und Eure Führer werden auch absteigen. Ich halte mich versteckt, ergreife den günstigen Augenblick und reite mit den beiden Pferden der Führer davon. Ihr werft Euch natürlich sofort auf Euer Pferd, um mich zu verfolgen. Dann werden diese braven Kerls auf Euch warten; wir Beide aber reiten in aller Gemüthlichkeit nach Prescott zu Walker. Wie gefällt Euch dieser Plan?«

»Er ist ausgezeichnet. Ich erhalte einen besseren Wegweiser und Ihr kommt nicht nur zu einem Pferde, sondern sogar zu zweien.«

»So möchte ich mich jetzt aufmachen. Es ist gar nicht mehr lange bis zum Tagesgrauen.«

»Wie wollt Ihr hinaus?«

»Durch das Thor jedenfalls nicht.«

»Das ist ja verschlossen und im Hofe halten zwei Indianer Wache.«

»Also muß ich hier zum Fenster hinab.«

»Ganz gut. Ich gebe Euch mein Lasso dazu.«

»Und könntet Ihr mir nicht ein Messer borgen? Es ist möglich, daß ich mich meiner Haut zu wehren habe.«

»Ihr sollt es erhalten. Nehmt Euch aber auch da draußen in Acht, daß Ihr nicht erwischt werdet. Dem Thore gegenüber steht auch ein Indianerposten.«

»Keine Sorge! Bin ich einmal außerhalb des Gebäudes, so soll mich nicht so leicht Jemand ergreifen. Also bitte, binden wir das Lasso hier an das Tischbein, damit nicht Ihr Euch unnöthig anzustrengen habt. Und nun das Fenster auf!«

Er ließ sich hinab. Leflor zog sein Lasso zurück und machte das Fenster wieder zu.

Des andern Morgens früh punkt neun Uhr geschah zweierlei: Als der Förster um diese Zeit in den Keller kam, war der Gefangene fort – und dort am Bergsturze warteten die beiden armen Führer, daß Leflor ihnen die Pferde zurückbringen werde. Sie warteten vergebens. –


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