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36

Nämlich der Fremde hatte einen grauen, fast städtischen Anzug an. Er sah gar nicht aus, als ob er aus der Prairie komme oder lange im Walde umhergestrichen sei. Er antwortete in unbefangen sein sollendem Tone:

»Früher war ich es, bin es aber nicht mehr. Jetzt treibe ich Agenturgeschäft.«

»In Tabak? Baumwolle?«

»In Allem, was sich mir bietet. Aber Ihr spracht ja davon, mir etwas zu essen zu geben!«

»Das hätte ich beinahe vergessen. Verzeiht!«

Er nestelte eine Ledertasche von seinem Lasso los, öffnete sie und zog ein Stück dunklen Fleisches hervor.

»Was ist das?« fragte Walker.

»Bärenschinken, an der Luft getrocknet.«

»Das ist gut. Zeigt her!«

Er schnitt sich ein tüchtiges Theil davon ab und begann zu essen. Er hatte sein Gewehr mit aus dem Kanot gebracht. Es lag ihm quer über dem Knie herüber. Es schien ihm zu schmecken. Während er das harte Fleisch kaute, meinte er:

»Also bezahlen wollt Ihr mich. Eigentliches Geld hat selten ein Jäger bei sich. Was habt Ihr?«

»Vorher fragt es sich, wie viel Ihr bis Van Buren verlangen werdet.«

»Zwei Dollars.«

»Ihr seid verrückt!«

»Wieso?«

»Könnte ich laufen, so wäre ich in fünf Stunden dort. Ihr braucht nicht zu rudern, das Boot treibt ganz von selbst und doch verlangt Ihr eine solche Summe!«

»Wenn sie Euch zu hoch ist, so bleibt hier sitzen! Jede Arbeit und jeder Dienst muß bezahlt werden.«

»Da habt Ihr sehr Recht. Das Stück Bärenschinken zum Beispiel, welches Ihr gegessen habt, kostet fünf Dollars.«

»Seid Ihr toll!«

»Eben so wenig als Ihr verrückt seid. Ihr sagt ja selbst, daß Alles bezahlt werden muß.«

»Ich denke, Ihr gebt es mir umsonst!«

»Und ich dachte, Ihr würdet mich umsonst mitnehmen.«

»Das ist etwas Anderes. Und dazu volle fünf Dollars für dieses Stückchen Fleisch!«

»Zwei Dollars für diese kurze Strecke! Es macht eben ein Jeder seine Preise, wie es ihm gefällt.«

»Ich zahle nichts.«

»Ihr werdet wohl zahlen.«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»So pfände ich Euch.«

»Pah? Ich möchte wohl missen, wie Ihr das anfangen wolltet, Ihr, ein verletzter Mann, der nicht laufen kann.«

Er zog sein Gewehr fester an sich, damit es ihm von Sam ja nicht entrissen werden könne. Dieser lachte geringschätzend auf und antwortete:

»Da kennt Ihr Sam Barth denn doch zu wenig. Er weiß stets genau, was er thut.«

»Nun, was werdet Ihr denn thun, wenn ich mich weigere, Euch zu bezahlen?«

»Ich pfände Euch Euer Gewehr ab.«

»Versucht das doch einmal!«

Er sprang auf, in der Meinung, daß Sam sich nicht so schnell bewegen könne. Dieser blieb ruhig sitzen und sagte, gemüthlich lachend:

»Ja, ich bin dicker als Ihr und außerdem habe ich einen lahmen Fuß; ich könnte Euch also wohl nicht nacheilen, wenn Ihr mit dem Gewehre davonlieft. Aber das werdet Ihr nicht thun.«

»Meint Ihr?« fragte Walker in höhnischem Tone.

Er war nicht zu dick und nicht zu hager, nicht zu alt und nicht zu jung, er war ein Mann von einer sogenannten Durchschnittspersönlichkeit, ein Dutzendmensch. Und doch hatte er etwas in seinem Gesichte, was sofort auffiel, ohne daß man es zu definiren vermochte. Wer diese Physiognomie einmal gesehen hatte, der vergaß sie nicht leicht wieder.

»Nein,« antwortete Sam.– »Ihr lauft mir nicht davon. Ihr nehmt mich ja mit nach Van Buren.«

»Den Teufel werde ich! Es fällt mir gar nicht ein, Euch mitzunehmen. Zwei Dollars habe ich verlangt; fünf wollt Ihr haben, so hätte ich Euch also drei herauszugeben und müßte Euch auch noch einen Platz im Kanot einräumen. Das paßt mir natürlich nicht!«

Sam hatte gesehen, daß sich hinter Walker die beiden Brüder durch das Gebüsch schoben, so geräuschlos, daß er gar nichts bemerkte. Jetzt standen sie hinter ihm. Sam war also seiner Sache gewiß. Er antwortete:

»So muß ich Euch wirklich das Gewehr abpfänden.«

»Ich habe Euch doch bereits gesagt, daß Ihr versuchen sollt, es zu thun.«

»O, es wird nicht nur bei dem Versuche bleiben. Ich hoffe, Ihr habt genug von mir gehört, um zu wissen, daß ich meinen Worten Nachdruck zu geben verstehe. Ich denke also, daß Ihr mir das Gewehr freiwillig überlassen werdet.«

»So dumm bin ich nicht. Nehmt es Euch! Gute Nacht!«

Er wendete sich zum Gehen.

»Ich habe es schon!« lachte Sam.

Und wirklich, er hatte es auch in demselben Augenblicke. Es war Walker von hinten entrissen und dem dicken Trapper zugeworfen worden.

Walker wußte nicht, wie ihm geschah. Er fuhr schnell herum und sah sich den beiden Brüdern gegenüber. Der Schein des Feuers beleuchtete ihre Gesichter. Er erkannte Tim sofort. Der Schreck entriß ihm den Ausruf:

»Alle Teufel! Dieser Kerl!«

»Welcher Kerl?« fragte Jim.

»Du lebst?«

Er bedachte nicht, daß er sich mit dieser Frage verrieth. Er konnte überhaupt gar nicht denken, so erschrocken war er. Seine Augen standen weit offen. Es war, als ob er kein Glied seines Körpers bewegen könne.

»Ja, ich lebe,« antwortete Jim. »Dein Verdienst ist das nicht. Ich lebe, um Dich zur Rechenschaft zu ziehen, Mörder!«

Ueber Walker's Gesicht ging ein schnelles Zucken. Er hatte seinen Schreck überwunden. Er fragte sich, ob noch Rettung möglich sei. Ja, aber allein durch die Flucht. Und zwar nach dem Kanot zu durfte er nicht fliehen; da wäre er verloren gewesen. Selbst wenn es ihm gelingen könnte, es zu erreichen, hineinzuspringen und vom Lande zu stoßen, die Kugeln dieser Drei würden ihn doch sicher erreichen.

»Mörder?« sagte er im Tone des Erstaunens. »Ich verstehe Euch nicht.«

»Oho! Du verstehst mich sehr genau. Du bist nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Räuber. Du hast uns die Felle gestohlen.«

»Verzeiht, Master! Ich habe keine Ahnung, was Ihr von mir wollt.«

»Lüge nicht!« donnerte Jim ihn an.

»Ich lüge nicht. Es scheint mir, daß Ihr mich für einen Mann haltet, der wohl einige Aehnlichkeit mit mir haben muß. Daß ist aber noch gar kein Grund, in dieser Weise mit mir zu sprechen. Ich muß mir das allen Ernstes und sehr streng verbitten!«

Er machte ein höchst beleidigtes Gesicht. Jim aber lachte hell auf und sagte:

»Hallunke, Du spielst nicht übel Komödie! Aber sie wird gleich zu Ende sein. Gieb einmal Deine Arme her! Wir wollen sie ein Wenig zusammenbinden.«

Er streckte die Hände aus.

»Gleich! Hier!« antwortete Walker.

.

Aber ganz im Gegentheile. Plötzlich sprang er in das Gebüsch, welches sich hinter ihm schloß. Im nächsten Augenblicke krachten zwei Schüsse hinter ihm her. Jim und Tim hatten geschossen, warfen dann die Gewehre weg, zogen die Messer heraus und stürzten ihm nach. Sie hatten das ferne Rauschen seiner Schritte gehört. Ob er getroffen worden sei, das konnten sie nicht sagen.

Sam war gemächlich sitzen geblieben. Er stand jetzt langsam vom Boden auf und nahm die beiden Gewehre zu sich; auch dasjenige Walkers. Er schüttelte den Kopf und brummte:

»Dummheit! Dummheit! Und das wollen richtige Westmänner sein! Unsinn, Unsinn!«

Er hatte Recht. Es war Walkern gar nicht eingefallen, sich in die Gefahr, von den Kugeln getroffen oder doch wenigstens ergriffen zu werden, zu begeben. Er war in die Büsche hineingesprungen mit dem Bewußtsein, daß man sofort schießen und ihm nachspringen werde. Kaum hatten sich die Zweige hinter ihm geschlossen, so machte er eine kurze Wendung nach rechts, that einige Schritte und duckte sich da nieder, sich nun ganz unbeweglich haltend.

Seine Berechnung zeigte sich als ganz richtig. Die beiden Schüsse fielen, und dann hörte er die Brüder an sich vorüber durch die Büsche dringen. Sie hatten das Geräusch, welches ihre Kugeln in dem Gebüsch hervorbrachten, für dasjenige des Flüchtlings gehalten.

Sam war langsam hinab an das Wasser gegangen, stieg in das Kanot, ruderte es vom Lande ab und hielt es dann in gewisser Entfernung vom Ufer. Das war nach seiner Ansicht das Allerbeste, was er thun konnte. Er war ein schlauer Kerl.

Walker seinerseits lauschte ein Weilchen. Als er kein Geräusch vernahm, kroch er langsam und vorsichtig, äußerst vorsichtig zurück. Er bemerkte, daß kein Mensch mehr beim Feuer sei.

»Sie sind mir nach!« dachte er. »Aber der dicke Sam auch? Er war ja lahm! Oder sollte er sich etwa verstellt haben? Kurz und gut, sie sind mir nach. Jetzt schnell zum Kanot! Meine Büchse haben sie leider mit.«

Er schlich sich nach dem Ufer. Der Kahn war weg. Er sah ihn zu seinem Schreck in einer Entfernung von vielleicht acht bis zehn Metern halten. Sam saß drinnen, wie an der unförmigen Pelzmütze zu erkennen war.

»Hole der Teufel diesen verdammten Hallunken!« fluchte Walker vor sich hin. »Ein Schlaukopf erster Größe ist dieser Fettwanst! Was man sich von ihm erzählt, scheint ganz wahr zu sein. Er hat das Aussehen und Gebahren eines Dummkopfes und ist dabei ein Pfiffikus, wie er im Buche steht. Donnerwetter! Meine Tasche liegt im Kahne. Die ist verloren, verloren!«

Er sann einen Augenblick nach; dann murmelte er:

»Oder noch nicht verloren! Sie werden natürlich zurückkommen; sie werden den Dicken sehen und mit ihm sprechen. Vielleicht gehen sie zum Feuer zurück, und ich kann mit dem Kanot entkommen. Ich muß unbedingt hören, was sie reden. Ich stecke mich also hier in das Ufergebüsch. Sie werden es nicht für möglich halten, daß ich die Verwegenheit habe, hier zu bleiben. Ich bin also vollständig sicher.«

Er versteckte sich ganz in der Nähe derjenigen Stelle, an welcher das Kanot vorher angebunden war, in die Büsche und wartete auf die Rückkehr seiner Verfolger, deren Enttäuschung jedenfalls eine große war.

Seine Geduld sollte nicht lange auf die Probe gestellt werden. Es raschelte bald in den Gebüschen und eine lange Gestalt erschien, mit einem Reiterhelm auf dem Kopfe. Es war Tim. Er blieb am Ufer stehen, gerade da, wo Walker steckte, höchstens vier Schritte von ihm entfernt, so daß der Letztere ganz deutlich hörte, wie der Lange überrascht vor sich hinmurmelte:

» Laek-a-day! Da sitzt der Hallunke in seinem Canot und wartet darauf, uns auszulachen! Wart, Bursche, ich will Dir Eins auf den Pelz brennen!«

Er erhob die Büchse oder wenigstens die Arme, als ob er schießen wolle. Er hatte in seiner Aufregung ganz vergessen, daß er ja sein Gewehr gar nicht bei sich habe. Er ließ also auch sogleich die Arme wieder sinken und fuhr ärgerlich fort:

»Verdammt! Da habe ich ja kein Gewehr! Ich werde es mir schnell holen und dann – – good laek! Das ist ja der Bursche gar nicht, sondern das ist Sam, der dicke Bär! Welch ein Glück, daß ich die Büchse nicht bei mir hatte, ich hätte ihm wirklich eine Kugel durch den Kopf gejagt! Wo aber steckt Jim?«

Er brauchte nicht erst lange zu fragen, sondern die Antwort erfolgte sogleich. Er hörte die Büsche rascheln und dann trat der Genannte herbei, laut athmend vom schnellen Laufe und vor Aufregung und Zorn.

»Tim, Du?« sagte er. »Hast Du ihn gesehen oder ist – – Himmel! Dort sitzt der Lump!«

»Du irrst! Dieser Gentleman, der da vor Anker liegt, ist Sam Barth, der Dicke.«

»Ah, wirklich! Was fällt dem Kerl denn ein?«

»Weiß auch nicht.«

»Das ist eine dumme Faxe. Anstatt sich da in das Boot zu setzen, konnte er den Flüchtling mit verfolgen. Ich werde ihm meine Meinung sagen. Als alter, erfahrener Westmann muß er doch wissen, was – –«

Er wurde unterbrochen, denn Sam fragte von dem Kanot herüber:

»Seid Ihr denn nun fertig mit Eurer Fernguckerei. Ich hoffe, Ihr haltet mich nicht länger für Den, der Euch jedenfalls entwischt ist.«

»Hat dieser Kerl Augen!« flüsterte Jim dem Bruder zu. »Uns in dieser Dunkelheit hier von dem Gesträuch zu unterscheiden! Das ist viel, das ist stark; das brächten wir freilich nicht fertig!«

Und laut fügte er hinzu:

»Was bleibt Ihr da draußen? Hat Euch Jemand angenagelt, Master Barth? Kommt herüber!«

»« Well, Sir! Sollt mich sogleich in die Arme schließen können.«

Er kam herbei, stieg aus und band das Kanot gerade da wieder an, wo es zuvor auch angebunden gewesen war. Tim antwortete unwillig:

»Von wegen dem in die Arme schließen irrt Ihr Euch, Master Sam. Eine solche Belohnung habt Ihr nun freilich nicht verdient.«

»Nicht? Wieso?«

»Euer Verhalten ist nicht dasjenige eines Westmannes, sondern das eines unerfahrenen Kindes.«

»Ah? Und ich dachte, doch gerade sehr klug gehandelt zu haben!«

»Oder vielmehr im Gegenheile ganz verkehrt, wie gesagt, wie ein Kind!«

»Auch gut! Bei uns in Deutschland giebt es ein Sprichwort, welches lautet: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das merket in Einfalt ein kindlich Gemüth. Verstanden, Mesch'schurs?«

Der Ausdruck Mesch'schurs ist gleichbedeutend mit dem französischen messieurs, meine Herren.

»Ja, Einfalt, da habt Ihr Recht!« zürnte Jim. »Ihr hättet, anstatt Euch hier auf dem Wasser umher zu schaukeln, dem Flüchtling mit nachjagen sollen.«

»Meint Ihr?« lachte der Dicke. »Ja, dazu ist der alte Sam Barth doch zu dumm. Uebrigens konnte ich doch gar nicht laufen, ich war ja lahm.«

»Unsinn! Mit sechs Händen ist ein Fliehender jedenfalls leichter zu ergreifen, als mit vieren.«

»Ja, wenn die sechs Hände sechzig Augen hätten, um in der Nacht zu sehen. Ich habe jedenfalls meine Pflicht besser gethan als Ihr!!«

»Oho!«

»Nun, so will ich Euch erklären. Bei Nacht laufe ich keinem Flüchtigen nach. Ich kann ihn nicht sehen. Und will ich ihn hören, so muß ich stehen bleiben und lauschen. Indessen bekommt er einen solchen Vorsprung, daß ich ihn nun sicher aufgeben muß. Reißt mir des Nachts Einer aus, so lasse ich ihn ganz gemüthlich laufen und warte den Tag ab. Dann sehe ich seine Fährte und kann ihm folgen, so lange und so weit es mir beliebt. Ihr aber seid hinter diesem Walker hergelaufen und habt seine Spur so zerstampft, daß gar nicht daran zu denken ist, sie zu entdecken.«

»Hm! Ich muß sagen, daß dies nicht so übel klingt. Warum aber setzt Ihr Euch in den Kahn?«

»Auch eine sehr kluge Frage! Wer in einem Kanot fährt, der kann möglicher Weise in demselben irgend Etwas liegen haben. Nicht?«

»Sapperment! Lag etwas drinnen?«

»Ja. Hier dieses Dings da.«

Er bückte sich in das Kanot hinab, nahm aus demselben einen Gegenstand und reichte ihn Jim hin.

»Eine Tasche,« sagte dieser. »Und schwer. Was mag da drinnen sein? Vielleicht Munition, Bleikugeln. Sie ist schwer.«

»Habe das Ding bereits untersucht. Es sind allerdings Kugeln darin, daneben aber auch mehrere Geldrollen, Silberdollars, wie es scheint.«

»Das ist ein guter Fund. Weiter nichts? Keine Papiere oder sonst Etwas?«

»Nein. Seid mit dem Gelde zufrieden. Ein armer Jäger kann es immer gebrauchen.«

»Sehr richtig. Aber der Kerl selbst wäre mir doch tausendmal lieber, als sein Geld. Herrgott, wenn ich daran denke! Habe ihn vor mir stehen, grad da zwischen meinen Fäusten, und lasse ihn entwischen. Tim, was sagst Du dazu?«

»Daß wir die größten Esels sind, welche es jemals gegeben hat. Sehnen uns Jahre lang, den Kerl einmal zu treffen, und nun er uns geradezu in's Garn läuft, wie vom Himmel gefallen, lassen wir ihn entkommen. Ich schäme mich vor mir selber.«

»Recht so!« lachte Sam. »Schämt Euch ein Bischen! Aber das können wir auch dort bei unserem Feuer thun. Oder sind wir hier angewachsen?«

»Ja, gehen wir. Unsere Gewehre liegen auch noch dort.«

»Nein. Wollt Ihr gefälligst die Güte haben, sie Euch hier aus dem Kanot zu nehmen.«

»Hier? Warum habt Ihr sie denn mit in das Boot genommen, Sam?«

»Das begreift Ihr nicht?«

»Nein.«

»Das ist sehr verwunderlich,« lachte er. »Ich wollte verhüten. Daß Ihr damit ein Unheil anrichtet. Ihr hättet den armen Teufel treffen können.«

»Mensch! Ist das Euer Ernst?«

»Ja, mein völliger Ernst. Laßt diesen Walker laufen! Was habt Ihr davon, wenn Ihr ihn tödtet? Nichts, gar nichts. Kommt! Jetzt schlafen wir, und dann am Morgen können wir ja sehen, ob wir seine Fährte denn doch vielleicht noch entdecken. Viel liegt mir freilich nicht daran. Wir wollen nach Lebanon zum Rendez-vous, wo uns die Kameraden erwarten, und wenn wir eine halbe Ewigkeit daran wenden, den Tapfen irgend eines Menschen nachzulaufen, so kommen wir zu spät und haben das Nachsehen.«

Er schritt nach dem Feuer zu. Sie verstanden ihn nicht. Was wollte er mit seinen letzten Worten? Von dem Städtchen Lebanon, welches eine Tagereise von hier lag, war doch gar nicht die Rede gewesen! Daß er aber irgend eine Absicht hatte, das verstand sich ganz von selbst. Sie nahmen also die Gewehre an sich und folgten ihm.

Beim Feuer angekommen, fragte Jim:

»Was meintet Ihr denn mit – –«

»Haltet den Schnabel!« unterbrach ihn der Dicke leise, aber hastig. »Setzt Euch nieder und wartet es ab!«

Er bückte sich nieder und kroch in den nächsten Busch. Sie hörten, daß er die Runde machte. Dann kehrte er zurück und setzte sich zu ihnen.

»Sprecht so leise, daß nur wir uns hören!« sagte er.

»Denkt Ihr etwa, daß der Kerl noch da ist?«

»Denkt Ihr es etwa nicht?«

»Oho! So dumm wird er doch nicht sein?«

»Oder vielmehr so gescheidt. Ich sage Euch, daß ich an seiner Stelle ganz einfach hier geblieben wäre. Ich hätte mich hinter den nächsten Busch niedergeworfen und Euch vorbei laufen lassen. Dann würde ich warten, bis Ihr zur Ruhe seid und mich mit dem Kanot davon machen.«

»Sam, Ihr seid wirklich ein verwegener Schlingel!«

»Andere sind es auch!«

»Und Ihr meint, daß er auf denselben Gedanken gekommen sein könne?«

»Ja. Er sah mir gar nicht aus wie Einer, der da auf die Nase gefallen ist; er hatte ein raffinirtes Spitzbubengesicht und so ist ihm dieser Gedanke sehr wohl zuzutrauen. Uebrigens hatte er seine Tasche mit dem Gelde im Boote. Schon um ihretwillen mußte er versuchen, wieder zu seinem Eigenthum zu gelangen.«

»Sam, Ihr seid wirklich kein unebener Kerl. Ich mache Euch mein Compliment.«

»Gebt Euch keine Mühe! Ein Compliment von zwei Dummköpfen, die einem Dritten dahin nachlaufen, wo er gar nicht zu finden ist, ist doch wahrhaftig nicht viel werth. Und dabei redet Ihr davon, daß ich es sei, der die Dummheiten gemacht habe! Ich sage Euch, der Kerl wäre längst mit seinem Kanot fort, wenn ich mich nicht hineingesetzt hätte!«

»So wird er nun fortgehen!«

»Das soll er auch!«

»Wie? Das soll er auch?«

»Jawohl!«

»Fortgehen? Uns entkommen?«

»Natürlich!«

»Aber, Master, habt Ihr denn vergessen, daß wir ihn ergreifen wollen?«

»Nein, ich denke sogar sehr daran.«

»Aber wenn wir ihn ergreifen wollen, dürfen wir ihn doch nicht entwischen lassen.«

»Mesch'schurs, Ihr dauert mich! Ich habe wirklich herzlich Mitleid mit Euch!«

Er schüttelte den Kopf und blinzelte sie mit seinen kleinen Aeuglein an, als ob sie soeben die größte Albernheit ihres Lebens begangen hätten. Darüber wurde Tim beinahe zornig. Er sagte:

»So beweist uns doch, daß wir Mitleid verdienen!«

»Der Beweis ist schon da; Ihr selbst habt ihn ja geliefert. Ihr wollt den Mann fangen, indem Ihr ihn nicht entkommen laßt. Das ist falsch. Das Richtige ist vielmehr, daß wir ihn entwischen lassen, um ihn in unsere Gewalt zu bringen.«

»Diesen unsinnigen Widerspruch verstehe der Teufel!«

»Der versteht ihn freilich ganz gewiß, denn er heißt nicht Jim oder Tim.«

»Master, wollt Ihr uns beleidigen?«

»Nein, nur belehren will ich Euch. Ich sehe ja ein, daß Ihr der Belehrung noch sehr bedürft. Nehmen wir an, daß Walker sich noch in unserer Nähe befindet. Kennt Ihr den Platz, an welchem er steckt?«

»Nein,« antwortete Tim.

»Oder getraut Ihr Euch etwa, diesen Platz zu suchen?«

»Nein, das ist in dieser Finsterniß unmöglich.«

»Wie wollt Ihr ihn also fangen?«

»Sehr leicht. Er will mit dem Kahne fort. Wir haben uns also nur in der Nähe desselben zu verbergen, um den Kerl zu erwarten und zu ergreifen.«

»O wehe! Da kriegt Ihr ihn niemals!«

»Warum?«

»Weil er selbst jedenfalls bereits in der Nähe des Kanots steckt, um den günstigen Augenblick zu erwarten. Er würde Euch also kommen sehen und auf den Kahn verzichten. Er würde sich auf Nimmerwiedersehen davonschleichen.«

Sam hatte während der ganzen leisen Unterredung zuweilen den Kopf erhoben, als ob er auf Etwas lausche. Tim antwortete:

»Eure Ansicht ist abermals ganz ausgezeichnet. Also Ihr glaubt an die Möglichkeit, den Kerl doch noch zu erwischen?«

»Sehr.«

»Aber wenn er uns jetzt entkommt, so ist er weg!«

»Pshaw! Aus der Welt geht er nicht. Und sein Boot kann auch nicht geradezu hinauf in den Himmel fahren. Wir gehen früh den Fluß hinab. Wo das Boot liegt, ist der Mann ausgestiegen, und es müßte geradezu mit dem Teufel zugehen, wenn drei Westläufer, wie wir sind, ihn nicht zu finden vermöchten.«

»Und wenn er auf das Boot verzichtet hat und doch vorhin entflohen ist? In diesem Falle gebt Ihr ihn doch für uns verloren?«

»Auch dann nicht. In drei Stunden wird es hell. Da haben sich die Spuren noch nicht verwischt. Wir werden sie sicherlich entdecken.«

»Aus Euch werde der Teufel klug, Sam! Einmal sprecht Ihr so und einmal das gerade Gegentheil!«

»Wirklich?«

»Ja, vorhin, als wir am Wasser standen, hieltet Ihr es für unmöglich, die Fährte aufzufinden.«

»So? Habe ich das gesagt?« schmunzelte Sam. »Da habe ich wohl meine Gründe dazu gehabt, und es thut mir abermals sehr leid um Euch, daß Ihr mich so wenig begreift. Glaubt Ihr denn, daß ich so dumm bin, meine wirkliche Ansicht und Absicht laut in die Welt hinaus zu schreien, wenn ich fast genau überzeugt bin, daß Derjenige, auf den ich es abgesehen habe, sich in der Nähe befindet?«

»Aha! So ist das! So – so!«

»Ja, so – so! Der Zufall giebt Euch den Kerl in die Hand. Wollt Ihr durch fehlerhaftes Verhalten ihn Euch wieder entwischen lassen? Ich habe nichts dagegen. Thut, was Ihr wollt! Mich geht diese Geschichte ja gar nichts an!«

»Nein! Ihr habt Recht, Master Barth. Wir werden uns nach Eurem Rathe richten. Ihr meint also, daß wir jetzt ruhig liegen bleiben sollen, um ihn entkommen zu lassen?«

»Nein. Ich meine, daß Ihr jetzt mit mir hinab zum Kanot gehen sollt.«

Tim blickte ihm erstaunt in das Gesicht.

»Seid Ihr des Teufels!«

»Nein, wohl nicht.«

»Soeben riethet Ihr uns, uns nicht um das Boot zu bekümmern, und nun sagt Ihr, daß wir hingehen sollen! Sir, wir haben erfahren, daß Ihr ein feiner Kopf seid; jetzt aber rappelt es wohl ein Wenig!«

»Ja, es rappelt, aber nicht in meinem Kopfe, sondern in den Eurigen beiden. Habt Ihr denn nichts gehört?«

»Nein. Was sollten wir gehört haben?«

»Das, was ich gehört habe. Kommt einmal mit!«

Er stand auf und schritt mit ihnen nach dem Boote.

»Nun, wo ist es?« fragte er.

»Donnerwetter! Fort!«

»Ja. Seht einmal da hinüber! Dort schwimmt es.«

»Ja, aber es ist Niemand drin.«

»Pshaw! Meint Ihr, daß sich der Mann Euch präsentiren soll? Er hat sich in das Boot gelegt. Wir sollen denken, es sei fortgeschwommen, weil es nicht fest angebunden gewesen ist.«

»So ist es, ja. Aber ich denke, es ist das Allerbeste, wenn wir ihm einige gute Kugeln hinüberschicken.«

»Dummheit!«

»Warum Dummheit? Meint Ihr, daß wir nicht treffen werden?«

»Das meine ich nicht. Auf diese sechzig Fuß schieße ich des Nachts einen Namen in das Boot. Aber was nützt es Euch? Einen solchen Kerl muß man lebendig haben. Was kann Euch an seiner Leiche gelegen sein?«

»Ihr habt abermals Recht. Lassen wir ihn also. Wenn es licht geworden ist, streichen wir am Ufer hin. Da werden wir wohl den Ort entdecken, wo er das Boot gelassen hat.«

»Hm!« lachte Sam. »Nun seid Ihr auf einmal so ganz siegesgewiß. Da muß ich Euch doch einen Dämpfer aufsetzen. Der Kerl ist gescheidt, wie Ihr nun erfahren habt, denn er ist wirklich hier geblieben, um desto sicherer zu entkommen. Es ist sehr leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß er uns abermals irre zu führen sucht. Zunächst wissen wir ja gar nicht, an welchem Ufer er aussteigen wird.«

»So müssen wir uns theilen. Wir suchen hüben und drüben.«

»Ja. Wie aber kommt man hinüber?«

»Hier giebt es Buschwerk genug, um aus Reißigbündeln ein kleines Floß zu bauen, welches einen Mann trägt.«

»Richtig. Ich werde mich hinübergondeln. Der Fluß ist nicht breit. Wir können uns von beiden Ufern aus sehen und uns Zeichen geben. So weit wäre Alles glatt und gut. Aber ich denke mir, daß der Kerl nicht da aussteigt, wo er zu suchen ist. Er wird natürlich annehmen, daß wir ihm folgen und daß wir zunächst nach dem Kanot suchen werden. Ist er so klug, wie ich ihn beurtheile, so wird er irgendwo aussteigen und das Canot weiterschwimmen lassen.«

»Das wäre dumm!«

»Nicht so sehr, wie es scheint. Das Ufer ist überall sandig oder wenigstens von weichem Boden. Er muß also unbedingt eine Spur zurücklassen, wo er aussteigt. Wir finden hier jedenfalls einen Eindruck seines Fußes, betrachten uns denselben genau und können uns dann darnach richten. Er hatte keine Prairiestiefel an, sondern neue Stiefeletten. Mir scheint, er kommt flußabwärts von Fort Gibson vielleicht, wo er sich diese Fußbekleidung gekauft hat. Eine solche Fährte läßt sich kinderleicht von anderen Spuren unterscheiden. Jetzt aber, Mesch'schurs, wollen wir versuchen, ein kleines Endchen herunter zu schlafen. Morgen ist unser Tagewerk groß. Wir müssen diesen Kerl fangen und sodann zu jenem Master Wilkins, um ihn vor der Diebesbande zu warnen, nötigenfalls ihm beizustehen. Ich lege mich nieder. Good night!« –

Ein sonniger, goldener Frühlingsmorgen war über Wilkinsfield aufgegangen. Die Strahlen des Tagesgestirns funkelten auf den Wellen des Flusses und glitzerten in den Thautropfen, welche gleich strahlenden Demantperlen auf den Blättern und Blüthen saßen. Die Neger und Negerinnen, welche zur Pflanzung gehörten, zogen schwatzend hinaus auf die Baumwollenfelder. Der Lärm, welchen sie machten, klang von Weitem wie das Geräusch, welches eine Schaar schwatzender Staare macht. Auch im Herrenhause, in den Wirthschaftsgebäuden und im Garten hatte das Tagewerk begonnen. Nur unten am Flusse war es noch ruhig. Da war kein Mensch zu erblicken.

Und doch einer! Ein indianisches Kanot kam abwärts geschwommen. In demselben saß – Walker. Er hielt auf das Ufer zu. Es war jedenfalls seine Absicht, hier das Boot zu verlassen. Aber er that dies nicht, ohne die gebotene Vorsicht anzuwenden. Er musterte das Ufer mit scharfen Blicken, und erst da, wo es aus großen Steinen bestand, welche keine Spur hinterließen, legte er an. Er sprang heraus, reckte und dehnte die Glieder und sagt zu sich:

»So, da bin ich. Hoffentlich mache ich gute Geschäfte. Wäre ich diesen drei verdammten Kerls gestern Abend nicht begegnet, so könnte ich hier ganz offen auftreten und meine Forderungen stellen, wie es ja auch meine Absicht war. Aber jedenfalls verfolgen sie mich, und wenn sie mich finden, so bin ich verloren. Ich muß also heimlich thun, wenigstens für die erste Zeit. Dieser dicke Bär hat mich an das Land gelockt. Ich möchte nur wissen, woher sie wußten, daß ich es bin! Hm! Unbegreiflich!«

Er schüttelte den Kopf, ließ den Blick forschend flußaufwärts schweifen und meinte dann:

»Ich werde sie irre führen. Ganz gewiß suchen sie nach dem Kanot. Wo sie es finden, da werde ich nach ihrer Meinung ausgestiegen sein. Ich lasse es also von hier aus weiter treiben. Und damit es nicht wegen seiner Leichtigkeit baldigst wieder an das Ufer geht, beschwere ich es mit einigen Steinen.«

Er legte mehrere größere Steine hinein, daß es nun so tief ging, als ob ein Mann darin sitze. Dabei nahm er sich in Acht, ja keine Spur seines Fußes zu hinterlassen. Dann gab er dem Kanot einen Stoß, daß es wieder in das tiefere Wasser zurückglitt und von demselben schnell mit fortgenommen wurde. Er blickte ihm nach, fuhr aber erschrocken mit dem Gesichte auf dem Lande herum, als er plötzlich durch den lauten, kreischenden Ruf einer weiblichen Stimme aus seiner Betrachtung aufgestört wurde.

»Jessus, Jessus! Da schwimmt es fort!«

Zwei Negerinnen waren vom Garten her auf der Höhe des Ufers erschienen. Sie trugen einen riesigen Korb mit Wäsche, mit welcher sie sich am Flusse zu beschäftigen hatten. Sie erblickten ihn und auch das Boot. Und da sie nicht glauben konnten, daß er selbst es fortgestoßen hatte, so war die Eine von ihnen in den Schreckensruf ausgebrochen.

Diese Begegnung war ihm außerordentlich unangenehm, doch durfte er sich dies nicht merken lassen. Er wendete sich also den Beiden zu, zuckte bedauernd die Achsel und sagte:

»Ja, da geht es hin. Ich hatte vergessen, es anzubinden.«

»Weiter unten hängt ein Boot unseres Herrn. Wenn Ihr schnell macht und hineinsteigt, könnt Ihr das Eurige noch einholen.«

»Schon gut! Ich brauche es nicht mehr. Wer seid Ihr?«

Als er sie jetzt musterte, zeigten sie, verlegen lachend, die weißen Gebisse. Die Aeltere antwortete:

»Wir sind My und Ty.«

My und Ty sind Abkürzungen von Mary und Tony. Der Neger liebt solche Abkürzungen, doch sind sie auch dem Amerikaner überhaupt geläufig. Die Namen der beiden Brüder Snaker zum Beispiel, Jim und Tim, sind die Abkürzungen von Joachim und Timotheus.

»My und Ty also! Wer ist My!«

»Ich bin es,« meinte die Aeltere, verschämt an dem weißen Busentuche zupfend.

»Habt Ihr Männer?«

»Jessus, Jessus! Ob wir Männer haben! Wir sind Mädchen, jungfräuliche Mädchen, Massa!«

»So, so! Bei wem dient Ihr?«

»Bei Massa Wilkins hier. Wir sind in der Küche.«

»Ist Euer Massa gut?«

»Sehr gut, sehr gut.«

»Und wie seid Ihr mit seiner Tochter zufrieden?«

»Noch viel guter, noch viel sehrer gut!«

»Sind Beide daheim?«

»Ja. Massa trinkt Thee und Missis Chocolade.«

»So besitzen also Beide die Liebe aller Untergebenen?«

»Ja, die Liebe, die sehr allergrößte Liebe.«

»Das ist schön! Das freut mich! Es giebt also Niemand, der mit der Herrschaft unzufrieden ist?«

»Nein, Keinen.«

Da aber fiel die Jüngere gleich ein:

»Einen, o Einen kenne ich.«

»Wer ist das?«

»Bommy, der böse Bommy.«

»Das ist auch ein Neger, ein Diener!«

»Kein Diener, kein Neger, sondern ein verdammter Nigger, ein armseliger Nigger.«

Nigger ist die beleidigende, beschimpfende Form des Wortes Neger. Dieses Wort nahm sich freilich in dem Munde einer Schwarzen spaßhaft aus.

Die Absicht, in welcher Walker nach Wilkinsfield gekommen war, ließ es ihm gerathen erscheinen, sich an einen Mann zu halten, welcher mit dem Herrn der Besitzung auf gespanntem Fuße lebte. Darum hatte er die letzteren Fragen gethan, und darum erkundigte er sich weiter:

»Wo wohnt denn dieser Bommy?«

»Zwischen hier und der nächsten Plantage, gerade hier durch den Garten hindurch, drüben über das Zuckerfeld, da erblickt man am Rande des Gehölzes seine Hütte, in welcher er Gin und Wisky schenkt.«

»So ist er ein Schänkwirth?«

»Ja. Er wurde freigegeben und erhielt die Hütte geschenkt. Da er nicht arbeiten will, so ließ er sich Schnaps kommen, ihn zu verkaufen. Unser Massa aber hat verboten, von Bommy Schnaps zu trinken; darum ist Bommy zornig.«

»Der schlechte Mensch,« meinte Walker, das Lachen verbeißend. »Bleibt Ihr lange hier am Flusse?«

»Mehr ganz viele Stunden.«

»So will ich Euch Etwas sagen. Habt Ihr mich gesehen?«

»Ja.«

»Nein, Ihr habt mich nicht gesehen. Verstanden?«

Sie sperrten Jede den großen Mund auf und blickten ihn im höchsten Grade verwundert an. Sie konnten es nicht begreifen, einen Mann nicht gesehen zu haben, welcher doch vor ihnen stand.

»Jessus, Jessus!« meinte My. »Wir sehen doch Massa leibhaftig hier stehen!«

»Aber Ihr dürft mich nicht gesehen haben! Es werden Leute hier vorüberkommen, welche Euch nach mir fragen werden. Denen sagt Ihr, daß ich hier vorübergefahren bin, in meinem indianischen Kanot, immer flußabwärts. Habt Ihr mich verstanden?«

»Ja, ja!« nickten Beide.

»Liebt Ihr die Prügel?«

»Jessus, Jessus! Wer sollte Prügel lieben!«

»So will ich Euch sagen, daß Ihr viele Prügel erhalten werdet, wenn Ihr mich verrathet.«

»Wir verrathen nichts!«

»Gut! Ihr sagt, daß ich vorübergefahren bin. Vergeßt es nicht!«

Er stieg vollends das ziemlich steile Ufer hinauf und folgte dem angegebenen Wege in den Garten hinein.

Dieser war parkähnlich angelegt worden; aber die überwältigende Vegetation des Südens hatte ihn bereits wieder in eine halbe Wildniß verwandelt. Man konnte hier unter den Bäumen gehen, ohne nöthig zu haben, sich von Jemand sehen zu lassen. Das war Walker sehr lieb. Er wollte ja zunächst nur recognosciren. Darum schritt er immer weiter und vermied alle freien Plätze an denen er vorüber kam.

Das Herrenhaus machte einen imposanten Eindruck. Es war schloßartig im Style der späteren Renaissance gebaut, aber, dem südlichen Klima angemessen, mit luftigen Balkonen und Veranden reich versehen. In einer der Veranda's bot sich Walkern ein Bild von wunderbarer Schönheit.

Auf einer Hängematte ruhte ein junges, weibliches Wesen, augenscheinlich noch von dem dummen Schlafgewande umhüllt, welches die herrlichen Arme und die kleinen Füßchen frei ließ. Das aufgelöste Haar hing schwarz und glänzend von der Hängematte fast bis auf den Boden herab. Das Gesichtchen war wohl scharf angelegt aber höchst fein gezeichnet und in Folge seiner weichen Plastik und des morgenrothen Hauches, welcher die alabasterne Weiße belebte, von einer Schönheit, wie man sie selbst in jenem gesegneten Süden nur selten einmal zu sehen bekommt. In der Hand des einen, in das Netzwerk der Hängematte gestemmten Armes ruhte das herrliche Köpfchen. Dieser Arm erhielt in Folge seiner Lage eine scheinbar gesteigerte Ueppigkeit. Auf der anderen, ein Wenig ausgestreckten Hand, saß ein Papagei, mit welchem das schöne Mädchen scherzend plauderte. Ueber ihr hing an einer Schaukel ein kleines, allerliebstes Löwenäffchen, und vor der Veranda putzte ein an eine Eisenstange geketteter Felsenadler sein glänzendes Gefieder. Dazu bildeten blühende, in den feurigsten Farben prangende Lianen einen Rahmen um das lebendige Gemälde, welches den Gedanken nahe legte, die Fee der Tropen sei für diesen herrlichen Morgen ihrem üppigen Lager entstiegen, um einmal wonneathmend ihr Herz in menschlichen Gefühlen schlagen zu lassen.

Lange stand Walker hinter dem Baume. Er verschlang das schöne, kaum verhüllte Mädchen fast mit den Augen. Er hörte den süßen, verlockenden Ton der Sirenenstimme:

» Mon chéri, mon favori, mon doucereuse – mein zärtlich Geliebter, mein Liebling, mein Süßer!«

Und der Papagei antwortete darauf:

» Ma Belle, ma Charmante, ma petite femelle – meine Schöne, meine Bezaubernde, mein kleines Weibchen!«

Da langte das Löwenäffchen herab, zupfte sie leise im Haare und warf ihr, als sie lächelnd zu ihm emporblickte, ein ganzes Dutzend Kußhändchen zu. Gewiß hatte er das erst von ihr gelernt.

Jetzt drehte der Papagei den Kopf von ihr weg, blickte sich suchend um und rief sehr laut:

» Mon amant, mon bien-aimé, où est-tu? Où est-tu? Mein Schatz, mein Geliebter, wo bist Du? Wo bist Du?«

In jenen Gegenden wird nämlich vorzugsweise französisch gesprochen. Die schöne Herrin gab ihm mit dem Finger einen zarten Streich und sagte:

»Still! Einen Geliebten darf Niemand haben.«

Er aber schüttelte sich, stieß ein wunderbar menschlich klingendes Kichern aus und antwortete flügelschlagend:

» Je suis monsieur Adler, monsieur Adler, le bon monsieur Adler – ich bin Herr Adler, Herr Adler, der gute Herr Adler!«

Adler hieß, wie bereits erwähnt, der deutsche Oberaufseher der Plantage. Die schöne Herrin des Vogels erglühte bis an die Schläfe, obgleich kein Mensch vorhanden war oder wenigstens vorhanden zu sein schien. Sie sprang auf und verschwand mit dem Papagei in der Thür, welche aus der Veranda nach ihren Gemächern führte.

»Welch ein Weib!« sagte Walker, indem er sich mit der Hand über die Stirn fuhr. »Verdammt, daß ich nicht offen auftreten kann! Ich würde sie zu zwingen wissen, meine Frau zu werden. Zwar habe ich bereits drei Weiber, meine eigentliche Frau und zwei Indianerinnen; aber die würden doch nichts erfahren. Für sie wäre ich verschwunden. Ich werde hier abwarten, was diese drei Jäger gegen mich vornehmen. Ist diese Gefahr vorüber, so weiß ich, was zu thun ist. Jetzt nun zunächst nach dem Zuckerfelde und zu Bommy, dem schwarzen Schänkwirthe. Vielleicht gewinne ich an ihm einen Verbündeten gegen den Besitzer der Plantage.«

Er schlich sich weiter und gelangte auch glücklich aus dem Garten, ohne von Jemand gesehen zu werden.

My und Ty, die beiden Negerinnen, hatten sich wohl über zwei Stunden lang mit ihrer Wäsche beschäftigt. Negerinnen schwatzen gern und lachen noch viel lieber. Die geringste Kleinigkeit giebt ihnen Veranlassung, ihrer Lachlust freien Lauf zu lassen. Darum wurde den Beiden die Zeit gar nicht lang. Sie lachten und schwatzten aus dem Hundertsten in das Tausendste und waren dann ganz erstaunt, als sie bemerkten, daß sie nur einen ganz kleinen Theil ihrer Arbeit verrichtet hatten.

Nun erschraken sie darüber und fielen mit zehnfachem Eifer über die Wäsche her. Dabei hörten sie gar nicht, daß sich Schritte näherten. Sie wurden auf den Mann, welcher am Ufer daherkam, erst aufmerksam, als er sie grüßte:

» Good morning, girls

Da richteten sie sich von der Arbeit auf, drehten sich nach dem Sprecher um und stießen zugleich einen Schrei des Entsetzens aus.

»Jessus! Ein Bär!« kreischte My.

»Ein Ungeheuer!« schrie Ty.

»Er wird uns fressen! O Gott! O Herr! O Massa, o Massa!«

Sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und sank in die Knie.

»Fliehen wir, fliehen wir!« brüllte Ty.

»Wohin denn?«

Sie hatte Recht. Hinter ihnen war der Fluß und vor ihnen der Bär. Zu den Seiten konnten sie keine Rettung finden, da dieser Weg dem Bären ja auch zur Verfügung stand.

»Schreit nicht so, Ihr Ungeziefer!« lachte Sam Barth. »Seht Ihr denn nicht, daß ich ein Menschenangesicht habe! Oder besitze ich wirklich eine so entsetzliche Bärenschnauze?«

Jetzt erst erinnerten sie sich, daß er sie ja mit menschlichen Worten und zwar ganz freundlich gegrüßt hatte. Auch sahen sie ihn sich genauer an, und da blickten sie dann in ein rundes, volles Gesicht, in welchem die Gutmüthigkeit hausbacken zu sein schien. Das gab ihnen ihre Courage zurück. My erhob sich aus ihrer knieenden Stellung und jammerte:

»Welch ein Schreck! Meine Strümpfe sind zersprungen.«

Sie waren aber vorher bereits zerrissen.

»Ich bin todt!« klagte Ty. »Ich habe vor Angst die Sprache verloren!«

»Das höre ich!« kicherte Sam. »Sagt mir doch einmal, Ihr Mädels, sehe ich denn wirklich gar so Furcht erweckend aus?«

»Ihr nicht, aber Euer Fell.«

»Mein Fell! Aha! Ihr denkt, es ist mir auf den Leib gewachsen. Na, da schaut her!«

Er nahm die Mütze ab, und nun sahen sie den ganzen, entblößten Kopf. Erst jetzt erkannten sie, daß sie es mit einem Menschen zu thun hatten, und ihr Entsetzen verwandelte sich schnell in das Gegentheil. Sie lachten laut auf und sprangen um den Jäger, sich ihn einmal genau zu betrachten. Er ließ es schmunzelnd geschehen; dann sagte er:

»Seid Ihr nun überzeugt, daß ich ein Mensch bin?«

»Ja,« antwortete My. »Ein Mann, ein Monsieur, ein schöner, viel hübscher, drolliger Massa.«

»Drollig? Na, meinetwegen! Von Euch schwarzen Ameisen will ich es mir gefallen lassen. Wer ist denn Euer Herr?«

»Massa Wilkins.«

»Ah! So! Ist er zu Hause?«

»Ja. Massa trinkt Thee.«

Sie vergaß, daß seit vorhin fast drei Stunden vergangen waren und daß Massa nun wohl nicht mehr Thee trinken werde.

»Wie lange wascht Ihr bereits hier?«

Sie blickte in den Wäschekorb und sah, wie wenig fertig geworden war. Darum antwortete sie:

»Einige kleine, ganz kleine Minuten.«

So eine Schwarze hat absolut keinen Sinn für die Zeit. Sam kannte das. Er trat näher und untersuchte die Tapfen, welche ihre nackten Füße im nassen Ufer getreten hatten. Dann fragte er:

»Wie heißt Du?«

»My, und Diese hier ist Ty.«

»Dann, meine liebe My, bist Du eine sehr große Lügnerin!«

»Was? My Lügnerin? O Massa, ich lüge nicht.«

»Aber soeben hast Du gelogen. Du sagtest, daß Ihr Euch erst seit einigen kleinen Minuten hier befändet, und Ihr seid jedenfalls schon seit Stunden hier.«

»O, einige kleine Stündchen, ja.«

Sie sagte das so unbefangen, als ob zwischen Minuten und Stunden nicht der geringste Unterschied sei. Sam nahm ihr das nicht übel. Er nickte ihr lachend zu und fragte dann:

»Was sagte er denn zu Euch?«

»Er? Wer?«

»Der Mann, welcher hier aus dem indianischen Kanot stieg.«

Sie hatten keine Ahnung, daß er nur auf den Strauch schlug; sie wußten vor Erstaunen gar nicht, was sie sagen sollten. Sie sollten schweigen, und dieser wußte es schon!

»Nun, Antwort!« drängte der Dicke.

Beide blickten sich rathlos an. Der Andere hatte mit Prügeln gedroht, dieser aber hatte ein Bärenfell an und eine Büchse in der Hand; er war jedenfalls noch fürchterlicher als der Erstere. My war die Klügste von Beiden. Sie sollte sagen, daß der Mann im Canot weiter gefahren sei, und sollte verschweigen, daß er in den Garten gegangen sei. In ihrem negerhaften Scharfsinne, beschloß sie, sehr klug zu sein und einen Ausweg zu suchen, indem sie das Gebotene und Verbotene mit einander in's Gleichgewicht bringe; darum antwortete sie beherzt, indem sie mit der Hand nach der Plantage zeigte:

»Er kam und ist auf seinem Canot hier in den Garten hinein gefahren.«

Sam brüllte beinahe auf vor Lachen.

»Mädchen, bist Du verrückt! Im Garten ist ja kein Tropfen Wasser. Nicht wahr, er ist hier ausgestiegen?«

»Ja,« gestand sie.

»Das Canot ist hier auf dem Wasser fortgelaufen?«

»Ja, Massa.«

»Und der Mann ist auf seinen Beinen hier in den Garten hinein gerudert?«

»Sehr gerudert!« nickte sie.

»Er hat Euch verboten, es zu sagen?«

»Wir sollen Prügel erhalten.«

»Habt keine Sorge! Diese Prügel wird er selbst erhalten; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

Das erweckte ihr Vertrauen, und nach einigen weiteren kurzen Fragen erfuhr er jedes Wort, welches Walker mit ihnen gesprochen hatte. Auch daß weiter unten ein Boot liege, sagten sie ihm bei dieser Gelegenheit.

»Könnt Ihr rudern?« fragte er.

»Rudern? Ja,« antwortete My in stolzem Tone. »Wir rudern Missis alle Tage auf dem Wasser.«

»So schaut einmal da hinüber nach dem anderen Ufer! Seht Ihr die beiden Männer dort stehen?«

Die Beiden beschatteten ihre Augen mit den schwarzen, dicken Händen und nickten bejahend. Der Fluß war hier gar nicht breit, so daß die langen, dürren Gestalten der Brüder sehr genau erkannt werden konnten. Ty sagte:

»Es ist ein Pfarrer mit einem Soldatenkopfe und ein Soldat mit einem geistlichen Käppchen.«

»Ja. Diese beiden Masters sind meine sehr guten Freunde. Sie wollen gern herüber und haben kein Fahrzeug. Wenn Eine von Euch ihnen das Boot hinüberbringen will, so gebe ich Euch hier dieses prachtvolle Bild, an welchem Ihr sehen könnt, was für einen Hut Ihr Euch jetzt kaufen müßt. So wie dieser hier sind sie seid Kurzem in der Mode.«

Er öffnete seinen Bärenpelz und zog ein vielfach mit Brüchen versehenes Papier hervor. Es war ein Blatt aus irgend einem alten illustrirten Journale. Selten hat ein Prairiejäger ein Stück Papier bei sich. Dieser Seltenheit wegen hatte Sam es heilig gehalten. Wohl Hunderterlei war bereits darinnen eingewickelt gewesen. Fett-, Ruß-, Schmutz- und Blutflecke befanden sich in Menge darin, so daß es ganz transparent geworden war und die druckschwarzen Buchstaben der einen Seite auf der anderen verkehrt und deutlich gesehen werden konnten. Der Holzschnitt ließ sich dennoch so leidlich erkennen. Er zeigte einen Mädchenkopf mit mongolischen Gesichtszügen; auf diesem Kopfe saß ein südchinesischer Binsenhut mit einer Krämpe, welche den Umfang eines für zehn Personen bestimmten Familienregenschirmes hatte. Darunter standen die Worte: »Eine chinesische Schönheit aus der Zeit des Kaisers Fung lu tschu, fünfhundert Jahre vor der Geburt Christi.«

Sam glättete das Papier und zeigte das Bild den beiden Schwarzen. Bekanntlich sind die Negerinnen außerordentlich eitel. Sie lieben auffällige Formen und schreiende Farben. Als My und Ty den Kopf und nun gar den Hut erblickten, schlugen sie vor Freude die Hände zusammen, stießen vor Entzücken ein Gelächter aus, daß man ihnen ganz deutlich bis an den Gaumen sehen konnte, und die Erstere rief:

»Welch' ein Hut! O Jessus, Jessus! Wie schön! Wer ist diese vornehme Dame?«

»Eine Negerkönigin aus New-York. Sie hat dreihundert Millionen im Vermögen und trägt stets die neuesten Hüte.«

»Und das Bild soll unser sein?«

»Ja, wenn Eine von Euch das Boot hinüberschafft.«

»Ich thue es!«

»Nein ich!«

Es begann ein Wettstreit, wer rudern solle und also Besitzerin sein werde. Sam entschied den Streit in der Weise, daß er sagte, das Bild werde er in zwei Theile zerschneiden, von denen Jede einen erhalten solle; Diejenige aber, welche die rechte Hälfte des Hutes erhalte, solle rudern.

Beide waren einverstanden. Ty erhielt die betreffende Seite des kostbaren Bildes und eilte schleunigen Laufes nach dem Boote. My aber hielt ihre Hälfte hoch empor, tanzte vor Entzücken und stieß dabei allerlei Wonnerufe aus, daß Einer, der sie von Weitem hörte, hätte meinen können, sie sei von einer Tarantel gestochen worden.

Sam kümmerte sich nicht um sie. Er untersuchte mit gewohnter Sorgfalt den Boden, und zwar nicht vergeblich. Am Ufer war freilich nichts zu finden, da Walker dort seine Spuren vertilgt hatte. Aber am Rande des Gartens bemerkte Sam's scharfes, geübtes Auge mehrere niedergedrückte Halme. Dieses Zeichen wiederholte sich in schrittweiten, regelmäßigen Entfernungen, so daß kein Zweifel vorhanden sein konnte, daß hier Jemand gegangen war.

Unterdessen war Ty am anderen Ufer angekommen. Jim und Tim stiegen ein, und da die Beiden in der Führung eines Kahnes geschickter waren als die Negerin, so dauerte es nur ganz kurze Zeit, bis sie hüben anlegten und ausstiegen.

»Du winktest,« sagte Jim. »Hast Du eine Spur?«

Die Brüder hatten nämlich heute am Morgen mit Sam im Wasser des Flusses Brüderschaft getrunken, so daß sie sich nun mit ihm Du nannten.

»Ja,« antwortete er. »Ich denke, daß wir ihn bald haben werden.«

Und sich an die Negerinnen wendend, fuhr er fort:

»Hört, ich habe noch ein solches Bild. Es ist weit schöner noch als das Erstere. Ihr sollt es bekommen, wenn Ihr thut, was ich Euch sage.«

»Sollen wir noch Jemand herüber holen, Massa?« fragte My neugierig und verlangend.

»Nein. Wenn der Mann kommt, welcher hier ausgestiegen ist, und Euch fragt, ob wir hier gewesen sind, so dürft Ihr es ihm nicht sagen.«

»O nein, Massa. Wir werden sprechen, der Massa ohne Nase, der Massa mit der Nase und der Massa Bär seien nicht dagewesen.«

»Unsinn! Ihr dürft uns nicht beschreiben, sonst merkt er doch, daß wir hier gewesen sind. Wenn Ihr uns nicht gesehen habt, könnt Ihr doch auch nicht wissen, wie wir aussehen!«

»O richtig! Aber dürfen wir ihm denn nicht das schöne Bild zeigen, Massa?«

»Nein. Damit verrathet Ihr uns doch auch.«

»So werden wir lieber fortgehen und an einem anderen Orte des Ufers waschen.«

»Sehr gut. Das ist jedenfalls der erste kluge Gedanke, den Ihr in Eurem Leben gehabt habt. Ich bin vollständig überzeugt, daß, falls der Kerl käme, Ihr ihm haarklar Alles erzählen würdet, so wie Ihr mir auch Alles gesagt habt, trotzdem er es Euch verboten hatte. Macht Euch also von hier fort, Ihr schwarzen Mottenbälger, und zwar weit genug!«

»Aber das andere Bild, Massa?«

»Das bringe ich Euch gebracht, Ihr Rotte Korah, Ihr!«

Jetzt nahmen sie ihre Wäsche und eilten stromaufwärts von dannen.

Sam führte die Freunde zum Gartenrande, zeigte ihnen die Fährte und theilte ihnen mit, was er von den Negerinnen erfahren hatte. Jim legte den Finger nachdenklich an die Stelle, an welcher sich früher seine Nase befunden hatte und fragte:

»Du meinst, daß wir dieser Fährte folgen, Sam?«

»Ja, wenigstens so weit sie sichtbar ist.«

»Das wäre wohl eine Dummheit, nicht?«

»Schwerlich. Warum meinst Du das?«

»Diese Fährte ist gewiß zwei Stunden alt. Während dieser Zeit kann er sein Geschäft hier abgewickelt haben und den Ort verlassen wollen. Es ist daher sehr leicht möglich, daß, während wir seiner Spur folgen, er nach hier zurückkehrt, sich das Boot einfach annectirt und damit das Weite sucht.«

»Ja, das ist so!« nickte Tim zustimmend.

»Nein, das ist nicht so,« antwortete Sam im Tone der Ueberzeugung. »Ich kann es Euch sehr leicht beweisen. Er fuhr in einem indianischen Kanot. Hier werden solche weder gebaut noch gebraucht. Was folgt daraus?«

»Daß er sehr weit herkommt, jedenfalls vom Gebirge herab,« antwortete Jim.

»So ist es! Ferner: Er wußte gewiß, daß wir nach ihm suchen würden, und dennoch ist er hier, so nahe der Stelle, wo er uns entwischte, eingekehrt. Ist das etwa Zufall?«

»O nein. Er hat schon vorher und ganz bestimmt hierher gewollt.«

»Natürlich. Daraus ist zu schließen, daß er hier auch bleiben wird. Zudem hat er das Kanot fortschwimmen lassen. Das that er, um uns glauben zu machen, daß er weiter stromab gehe, sonst muß er befürchten, uns in die Hände zu laufen. Ich bin vielmehr vollkommen überzeugt, daß er in einer Angelegenheit nach Wilkinsfield kommt, welche ihn längere Zeit hier festhalten wird. Heute und morgen wenigstens wird er warten, ehe er weiter geht. Er nimmt an, daß wir so lange nach ihm suchen und, falls dies vergebens ist, von einer ferneren Verfolgung abstehen werden. Darum können wir das Boot ruhig im Wasser lassen. Ich wüßte auch nicht, wie wir es ihm entziehen wollten.«

»Wir könnten es aus dem Wasser nehmen und einstweilen im Gesträuch des Gartens verstecken.«

»Dadurch würden wir unsere Anwesenheit nur verrathen. Er weiß, daß ein Boot da ist. Findet er es nicht mehr vor, so wird er es suchen. Anstatt des Bootes aber, findet er die Negerinnen, und diese wissen sicherlich nichts Klügeres zu thun, als ihm Alles genau zu erzählen. Nein, nein, gehen wir der Fährte nach! Ich bin der festen Ueberzeugung, daß wir gar nichts Besseres thun können.«

Sie folgten ihm, während er mit gebogenem Kopfe, um die Fährte nicht zu verlieren, voranschritt.

Nach einiger Zeit blieb er stehen und sagte:

»Halt! Nicht weiter! Ihr verderbt mir sonst die Fährte.«

Er kauerte sich ganz nieder und untersuchte den Boden mit größter Aufmerksamkeit.

»Hm!« brummte er. »Hier, hinter diesem Baume ist er stehen geblieben. Hier hat er eine längere Weile gestanden, mit den Fußspitzen nach rechts. Sein Gesicht ist also da hinüber nach dem Herrenhause gekehrt gewesen. Die Jalousien sind noch nicht aufgezogen; vor zwei Stunden sind sie es noch viel weniger gewesen; nur die Veranda ist offen. Es muß sich also dort etwas befunden haben, was er hat beobachten wollen. Wartet einmal hier! Ich bin der Ansicht, daß ihn irgend eine Absicht zu dem Herrn dieser Plantage führt. Er ist nicht direct zu ihm gegangen, sondern er recognoscirt vorher, er schleicht sich heimlich hinter den Bäumen herum; seine Absicht ist also keine gute, keine lobenswerthe. Es ist möglich, daß er zu dem Besitzer kommt, während wir ihn noch suchen; ja, es ist sogar möglich, daß er bereits bei ihm ist. Vielleicht hat Master Wilkins sich dort auf der Veranda befunden, als – – doch nein! Ein Papagei, ein Löwenäffchen und die feinen Gardinen an der Thür – das ist ein Ort für eine Dame. Wollen sehen!«

Ohne den Brüdern Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen, schritt er rasch auf das Gebäude zu. Gerade in demselben Augenblicke öffnete sich die mit den erwähnten Gardinen behangene Verandathür, und die junge, schöne Dame, welche vorher von Walker beobachtet worden war, trat heraus. Sie erblickte den Jäger und stieß einen halblauten Ruf des Schreckes aus. Im ersten Augenblicke hatte auch sie ihn für einen Bär gehalten, doch erkannte sie sofort, daß sie sich geirrt habe.

Sam näherte sich ihr. Der Adler erblickte ihn, kreischte laut auf, schlug mit den Flügeln und stampfte mit den Fängen auf dem Eisenstabe herum. Auch er ließ sich durch die Pelzkleidung irre machen, doch beruhigte er sich auf einen schmeichelnden Zuruf seiner jungen Herrin.

Der Dicke blieb unten an den Stufen stehen. Er hatte erst in seiner kurzen Jägerart sprechen wollen; aber die Schönheit des Mädchens machte auf ihn einen so tiefen Eindruck, daß es ihm war, als ob er vor einer Königin stehe. Er machte also eine tiefe, tiefe Reverenz. Nach seiner Meinung hätte kein Graf eine feinere und elegantere Verbeugung fertig bringen können. Da aber der gute Sam keineswegs Hof- und Ceremonienmeister gewesen war und jetzt in dem Felle eines Bären steckte, so fiel diese Reverenz so hochkomisch aus, daß die Dame das Taschentuch an die Lippen hielt, um ihr Lachen verbergen zu können.

»Entschuldigung!« sagte er. »Gewiß Miß Wilkins?«

»Ja, die bin ich.«

»Dachte es mir! Freut mich sehr, Euch kennen zu lernen. Miß! Hoffe, daß Ihr mit mir zufrieden sein werdet.«

»Wieso? Ich mit Euch zufrieden sein?«

»Ja.«

»Das setzt doch ein gewisses Verhältniß voraus.«

»Natürlich ein Verhältniß!« nickte er. »Ihr werdet aber entschuldigen müssen, wenn ich damit leider nicht ein Liebesverhältniß meine!«

Sie erröthete ein Wenig und antwortete lachend:

»Das entschuldige ich sehr gern!«

»Sehr viel Ehre, sehr viel Ehre. Man bemerkt doch sofort, daß man es nicht nur mit einer schönen, sondern auch mit einer feinen Dame zu thun hat, mit einer Dame von Bildung, Anstand und Ambition.«

»Und Ihr scheint ein – ein – – ein – – –«

Es wurde ihr schwer, das richtige Wort zu finden.

Er blickte sie in so herzlicher und aufrichtiger Bewunderung an, daß es ihr leid gethan hätte, Etwas zu sagen, was ihn hätte beleidigen können. Er aber erlöste sie aus ihrer augenblicklichen Verlegenheit, indem er sofort und mit Nachdruck einfiel:

»Und ich scheine auch ein feiner Herr, ein Gentleman zu sein? Ja, Miß, das bin ich, das bin ich sogar sehr, obgleich ich nicht im Frack und Spannfederhut vor Euch erscheine. Ich komme als ein sehr guter Freund von Euch. Das werde ich Euch bald beweisen. Darum hoffe ich, eine Antwort auf meine Frage zu erhalten, welche ich Euch vorlegen muß.«

»Thut es, Sir!«

»Befandet Ihr Euch vor ungefähr zwei Stunden hier auf dieser Veranda?«

»Ja.«

»War Jemand bei Euch?«

»Nein.«

»Wurdet Ihr beobachtet?«

Sie erröthete in lieblicher Verlegenheit. Sie dachte an das Nachtgewand, welches sie getragen hatte. Sie antwortete darum zögernd:

»Ich weiß nichts davon. Sollte ich etwa beobachtet worden sein?«

»Ja, Miß.«

»Von wem?«

»Von einem Fremden, dort von jener dicken Platane aus. Der Kerl hat da längere Zeit gestanden, um Euch anzusehen. Doch habt Ihr nicht nöthig, darüber zu erröthen. Wer ein so feines und herzallerliebstes Puppengesichtchen hat wie Ihr, der kann sich zu jeder Tages- und Nachtzeit ansehen lassen, ohne sich schämen zu müssen. Nur eine Häßliche wird die Nase nach Nordwest wenden, wenn der Blick eines Auges aus der Gegend von Südost auf sie fällt.«

Er hatte keine Ahnung von der Dummheit, welche er gesagt hatte. Sie wollte ihm eigentlich zürnen, kam aber doch nicht dazu. Ein Blick in sein rothes, dickes, äußerst gutmüthiges Gesicht nöthigte ihr vielmehr ein freundliches, entschuldigendes Lächeln ab, doch fragte sie:

»Kommt Ihr nur aus dem Grunde, mir solche Dinge zu sagen?«

»Nein; das thue ich nur so nebenbei, weil mir bei Eurem Anblicke das Herz überläuft. Eigentlich kam ich, um mich zu erkundigen, ob Master Wilkins zu sprechen ist.«

»Jetzt wohl schwerlich. Er hat Besuch.«

»So früh am Tage! Das ist verwunderlich!«

»Ihr kommt doch ebenso früh!«

»Ja das ist richtig; aber ich habe etwas höchst Nothwendiges mit ihm zu sprechen. Ah, da fällt mir ein! Sollte sich etwa dieser Kerl bei ihm befinden – – –?«

»Welcher – –? Wer?«

»Der Euch beobachtet hat.«

Sie erröthete abermals, und zwar noch viel tiefer als vorher. Wenn Derjenige, welcher sich jetzt bei ihrem Vater befand, sie in ihrem tiefen Negligé gesehen hätte, so wäre das für sie im höchsten Grade unangenehm gewesen, ja noch vielmehr als unangenehm. Darum verwandelte sich die Röthe der Scham sofort in die Röthe des Zornes, als sie antwortete!

»Sollte Leflor es gewagt haben – – –«

»Leflor? Nicht Walker? Hm! Vielleicht nennt er sich hier Leflor.«

»Wer ist Walker?«

»Ein Mensch, den ich suche, ein Bösewicht, welcher vom Felsengebirge herab kommt um – – –«

»Der hat mich gesehen?« fiel sie schnell ein.

»Ja, der.«

»Das beruhigt mich. Monsieur Leflor ist ein Anderer. Er ist Besitzer der benachbarten Pflanzung und befindet sich jetzt bei Pa, jedenfalls um dringende Geschäfte mit ihm zu besprechen.«

»Das meinige ist noch dringender. Ich sehe mich gezwungen, die Herrn zu stören.«

»Wenn dies der Fall ist, so bemüht Euch nach der vorderen Front. Dort befindet sich das Portal, und der Diener wird Euch anmelden. Nur müßt Ihr nicht, wie hier, vergessen, Euern Namen zu nennen.«

»Verzeihung, Miß! Aber wenn ich Euch ansehe, so vergesse ich meinen Taufschein und auch mein Impfzeugniß. Ich heiße Sam Barth und bin meines Standes ein Savannenläufer.«

Da trat sie schnell einen Schritt weiter vor, hob das schöne Köpfchen überrascht höher und fragte:

»Sam Barth, der – – der – – der Dicke?«

Dieses Letztere Wort wollte ihr doch nicht so leicht über die Lippen gehen. Er aber nickte ganz ernsthaft:

»Ja, Sam Barth, der Dicke. So nennt man mich.«

»Vortrefflich! Ich habe von Euch gelesen!«

Jetzt war die Reihe, sich zu verwundern, an ihm.

»Gelesen? Von mir?«

»Ja, bereits einige Male.«

»Das ist unmöglich, meine liebe Miß,« antwortete er, die Finger aus der Tasche ziehend und sie nachdenklich betrachtend. »Ich wüßte wirklich nichts was Ihr von diesen Händen gelesen hättet; sie haben nichts geschrieben, was Euch hätte vor die Augen kommen können.«

Jetzt lachte sie hell auf. Die Stimme klang wie ein silbernes Glöckchen. »Das will ich nicht bestreiten, und das ist es auch gar nicht, was ich meine. Wenn Ihr wirklich Sam, der Dicke seid, ein deutscher Prairiejäger, so habe ich wirklich von Euch gelesen, nämlich in der Zeitung.«

»In der Zeitung?« fragte er, den Mund weit aufmachend.

»Ja, mein bester Sir.«

»Sapperment! Es wird doch nicht etwa ein Signalement darin gestanden haben!«

»O doch! Ihr waret so genau beschrieben, daß ich Euch sicher erkannt hätte, wenn ich nicht durch den Bärenfellanzug irre gemacht worden wäre. Ihr tragt ihn vielleicht seit noch nicht sehr langer Zeit.«

»Erst seit Kurzem. Aber, Miß, es ist doch nicht etwa gar ein Steckbrief gewesen!«

»Steckbrief? Habt Ihr ein so böses Gewissen, daß Ihr gerade auf diese Frage kommt?«

»Mein Gewissen ist gut und rein wie ein neuwaschenes Vorhemdchen; aber aus Versehen kann auch hinter dem ehrlichsten Kerl einmal ein Steckbrief herlaufen. Und da Ihr von meinem Signalement sprecht, so liegt der Gedanke nahe, daß ich durch einen impertinenten Zufall mit einem Menschen verwechselt worden bin, dessen Gewissen nicht neuwaschen ist.«

»O nein. Von einem Steckbriefe ist keine Rede.«

»Gott sei Dank! Jetzt wird mir das Herz wieder so leicht wie der Schritt eines Gentleman, der keine Sohlen an den Stiefeln hat!«

»Ihr scheint gar nicht zu wissen, daß Ihr eine berühmte Persönlichkeit seid?«

»Eine Persönlichkeit bin ich, und berühmt war ich einst, drüben in der alten Heimath, nämlich in Herlasgrün. Da kannte man mich auf allen Gassen und an allen Ecken. Ob dies hier auch so ist? Hm!«

»Ja, es ist so. Zwar ist mir Euer Herlasgrün vollständig unbekannt, aber – – –«

»Unbekannt? Es geht doch die Bahn von Werdau nach Hof vorbei, und ich hoffe doch, daß Ihr von der Mylauer und Gölzschthaler Brücke gehört habt!«

»Leider nicht; aber von Euch habe ich gehört. Die Jäger, welche zuweilen aus dem Westen zurückkehren, erzählen allerlei eigene und fremde Erlebnisse, und dabei werden natürlich auch die hervorragenden Prairieläufer erwähnt. Zu denen gehört Ihr. Und was erzählt wird, das pflegt dann sehr bald auch gedruckt zu werden.«

»Ah! So hat man mich gedruckt?«

»Euch nicht, aber von Euch.«

»Richtig! Hätte man mich gedruckt, das heißt, hätte man mich in eine Druckerpresse gesperrt, so hätte meine Gestalt wohl eine kleine Veränderung erlitten. Es wäre das wohl ein höchst unangenehmer Druckfehler für mich gewesen. Aber, was hat man denn über mich gedruckt?«

»Verschiedenes. Habt Ihr nicht einmal mit nur noch sechs anderen Jägern eine Santa-Fè-Carawane gegen die Comanchen vertheidigt?«

*


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