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Und während er hastig mit den Füßen in die Stiefeln fuhr, konnte er doch seine Zweifel nicht zurückhalten. Er sagte:
»Sie kennen den Vornamen des Mädchens. Etwas Wahres muß doch an Ihren Worten sein. Wäre dies nicht der Fall, so würde ich doch als sicher annehmen, daß Sie mich utzen wollen. Wird denn Magda so schlecht bewacht, daß es Ihnen so leicht geworden ist, zu ihr zu gelangen?«
»Hm! Leicht ist es mir freilich nicht geworden. Ich werde es Ihnen erzählen. Vor allen Dingen aber kommen Sie zu meinem Pferde.«
Zimmermann warf die Büchse über, ergriff sein Pferd am Zügel und folgte Steinbach. Als Beide hinter das Buschwerk an den Baum gelangten, blieb der Erstere im höchsten Grade erstaunt stehen und rief:
»Alle Teufel! Sehe ich recht?«
Sein Blick war auf den Gefangenen gerichtet.
»Nun?« meinte Steinbach lächelnd.
»Der ›linke Finger‹!«
»Allerdings.«
»Und zwar gefangen?«
»Wie Sie sehen! Kennen Sie ihn?«
»Mehr als zur Genüge. Haben Sie selbst ihn gefangen genommen?«
»Natürlich. Sie werden wohl nicht annehmen, daß die ›beiden Finger‹ sich aus eigenem Antriebe gefangen gegeben haben.«
»Höre ich denn recht? Auch der andere Bruder ist gefangen?«
»Auch er.«
»Und Sie sprachen in der Mehrzahl? Sie sind also nicht allein hier?«
»Ich hatte einen Gefährten, welcher mit dem anderen Gefangenen vorausgeritten ist. Er ist ein sehr wackerer Westmann und heißt Sam Barth, ein Deutscher.«
»Donner und Doria! Ist es etwa der dicke Sam, von dem man so viel erzählen hört?«
»Ganz derselbe.«
»Nun, wenn dieser bei Ihnen gewesen ist, so glaube ich es, daß Sie sich bei hellem Tage unter die Rothen gewagt haben. Der Dicke ist ebenso pfiffig wie verschlagen. Ihm ist so Etwas zuzutrauen. Was aber werden Sie mit den beiden Gefangenen machen?«
»Wir bringen sie hinauf nach dem Silbersee.«
»Sogleich? Direct?«
»Ja. Und ich lade Sie ein, mich zu begleiten.«
»Das ist leider unmöglich. Ich freue mich zwar königlich, einen Landsmann getroffen zu haben, auch würde ich die Gelegenheit, den berühmten Dicken kennen zu lernen, sehr gern ergreifen; aber meine Pflicht gestattet mir dies nicht. Ich darf nicht von den Fersen der Maricopa's weg. Ich habe mir geschworen, Magda zu befreien.«
»Weiter nichts?«
»Weiter nichts! Ist das nicht genug? Fragen Sie den Dicken. So ein Westmann wie er weiß ganz genau, was es heißt, eine Gefangene aus der Mitte von hundert Indianern heraus zu holen.«
»Nun, ich kann es mir, auch ohne ihn zu fragen, denken, daß so Etwas nicht leicht ist. Sie könnten Ihren Vorsatz sehr leicht mit dem Leben bezahlen.«
»Das kann mich nicht abschrecken. Bitte, Herr Steinbach, erzählen Sie mir, wie Sie zu der Gefangenen gekommen sind, wie es Ihnen gelungen ist, mit dem Mädchen zu sprechen, und wo ich überhaupt die Indianer zu suchen habe. Dann werde ich mich von Ihnen verabschieden.«
»Sie werden sich nicht von mir verabschieden, sondern mit mir nach dem Silbersee reiten.«
»Unmöglich.«
»Es ist nicht nur möglich, sondern es bleibt Ihnen sogar keine andere Wahl. Bereits in diesem Augenblicke werden die Maricopa's die Söhne des Häuptlings vermissen und nach ihnen suchen. Gehen Sie stromab, so gehen Sie also grad in Ihr Verderben. Sie wollen Magda befreien; ich beabsichtige ganz dasselbe. Ich bin überzeugt, daß sie heut Abend frei sein wird. Sie soll nämlich von den Indianern nach dem Silbersee gebracht werden. Dort erwarten wir sie.«
Zimmermann blickte den Sprecher ganz erstaunt an. Er schüttelte den Kopf und meinte:
»Ich verstehe Sie nicht. Wollen Sie mir erklären.«
»Jetzt haben wir zu einer Erklärung keine Zeit. Steigen Sie in den Sattel und kommen Sie mit mir!«
»Hm! Wissen Sie genau, daß die Kerls nach dem Silbersee wollen?«
»Ganz genau. Wenn Sie meinem Rathe folgen, werden Sie schneller und gefahrloser Ihr Ziel erreichen, als wenn Sie hinter den Rothen bleiben. Ich will Ihnen, um Sie zu beruhigen, drei Namen nennen, welche Ihnen vielleicht Garantie bieten, daß Sie mir trauen können. Magda, welche Sie befreien wollen, steht unter dem Schutze dieser drei Männer. Ich meine den dicken Sam, den Apachenhäuptling ›starke Hand‹ und endlich den Fürsten der Bleichgesichter.«
»Ist es möglich! Diese beiden Letzteren befinden sich auch hier?«
»Sie werden sie am Silbersee sehen. Grad jetzt sind sie im Begriff, bei den Rothen zu recognosciren.«
»Wann dies der Fall ist, so kann ich allerdings mit Ihnen reiten. Was ich niemals fertig brächte, diese drei berühmten Männer machen es möglich. Ich werde mich also an sie wenden. Sie, lieber Landsmann, sind sehr zu beneiden, daß Sie das Glück gehabt haben, diese drei Koryphäen des fernen Westens kennen zu lernen. Wie ist denn das geschehen?«
»Ganz zufällig. Sie kennen ja wohl das deutsche Sprüchwort, daß die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln haben. So habe auch ich mehr Glück gehabt, als ich eigentlich verdiene. Wir können später davon sprechen. Jetzt aber wollen wir uns hier fortmachen. Der Boden brennt mir unter den Füßen.«
Der gefangene, junge Indianer hatte so gethan, als ob er Zimmermann gar nicht bemerkt habe. Auch nun, als die beiden Weißen aufstiegen und im Galopp mit ihm über die Ebene ritten, verzog er keine Miene. Er blickte starr auf den Hals seines Pferdes nieder und glich einer leblosen, auf das Thier gebundenen Bildsäule.
»Sie kennen ihn,« sagte Steinbach zu Zimmermann. »Kennt er Sie vielleicht auch?«
»Ja. Er hat mich öfters gesehen.«
»Wo?«
»Im Todesthale, wo er mit seinem Vater und Bruder zuweilen bei Roulin verkehrte.«
»Ist dieser Roulin der Besitzer der Quecksilbergruben?«
»Ja. Auch ich war einige Male bei ihm. Haben Sie von ihm gehört und erfahren?«
»Nichts weiter, als was Magda mir vorhin sagte.«
»Ach bitte, jetzt haben wir Zeit und brauchen die Rothen nicht mehr zu fürchten. Haben Sie die Güte, mir zu erzählen, wie Sie mit Magda zusammengetroffen sind, Herr Steinbach.«
Der Genannte erzählte ihm seine Erlebnisse, aber so, daß der dicke Sam als Derjenige erschien, welchem das ganze Verdienst zufiel. Als er geendet hatte, sagte Zimmermann, tief Athem holend:
»Gott sei Dank! Sie nehmen die größte Sorge von mir. Ich hatte nämlich Angst, daß die Dame viel gequält und gemartert werde.«
»Aeußerliche Noth habe ich ihr nicht angesehen. Aber, wollen wir aufrichtig sein, lieber Freund! Ist Magda vielleicht Ihre Verlobte?«
»Leider nein.«
»Aber Geliebte?«
»Auch nicht – oder doch!«
Er erröthete und blickte eine kleine Weile schweigend vor sich hin. Dann fuhr er fort:
»Sie sind mir als Landsmann, Freund und Helfer begegnet; ich darf Sie über Das, was ich mittheilen kann, nicht im Unklaren lassen. Meinen Namen kennen Sie. Ueber meine übrigen Verhältnisse habe ich zu schweigen. Ich kam aus gewissen Gründen in dieses Land und in die Gegend von Palmetto. Ich hörte von dem berüchtigten Todesthale reden, Death Valley nennt es der Amerikaner, und beschloß, es zu besuchen. Dort angekommen, war ich für einige Tage der Gast Roulins, den die Indianer den ›silbernen Mann‹ nennen. In seinem Hause sah ich Magda. Sie machte einen Eindruck auf mich, den ich unmöglich beschreiben kann. Roulin bemerkte es und wies mir die Thür. Ich mußte gehen, kam aber wieder, um sie heimlich zu sehen. Es gelang mir, einige wenige Worte mit ihr zu wechseln. Von Liebe aber haben wir nicht gesprochen. Als ich zum letzten Male kam, war Roulin fort und sie mit ihm. Ich bekam Angst um sie und erkundigte mich. Ich erfuhr nach großer Mühe, daß er mit ihr unter der Begleitung der Maricopa's nach Osten geritten sei. Das konnte nur eine für sie gefährliche Veranlassung haben; daher zögerte ich keinen Augenblick, dem Zuge zu folgen. Ueber den Colorado bis hierher habe ich die Spuren der Rothen verfolgt. Weiteres zu erreichen aber ist mir unmöglich gewesen.«
»So kennen Sie also den eigentlichen Zweck dieser Reise des silbernen Mannes gar nicht?«
»Nein.«
»Hm! Er will sich die Schätze des Silbersees holen.«
»Also die Taube des Urwaldes berauben?«
»Ja. Dabei soll Magda auf einem der Häuptlingsgräber geopfert werden.«
»Herrgott im Himmel! Er will sie tödten?«
»Es scheint so. Sie hat seine Werbung abgewiesen, und nun will er sich rächen.«
»Vielleicht ist es nur eine Drohung. Er will sie wohl nur einschüchtern.«
»Möglich. Jedenfalls aber ist er ein Mensch, mit dem wir einige ernste Worte sprechen werden.«
»Er ist mir seit dem ersten Augenblicke unheimlich vorgekommen. Kein Mensch kennt sein Herkommen, seine Vergangenheit. Auch sein gegenwärtiges Treiben liegt im tiefsten Geheimnisse. Er bewohnt eine fürchterliche Gegend; er fördert Massen van Quecksilber, ohne daß man weiß wie. Man sieht zwar die Gruben, niemals aber einen einzigen Arbeiter. Die abergläubigen Bewohner der Nachbarschaft sagen, daß er mit dem Teufel einen Pakt geschlossen habe und daß die bösen Geister ihm das giftige Metall aus der Erde holen. Ich bin bestrebt gewesen, in dieses Dunkel einen Blick zu werfen; es ist mir aber nicht gelungen.«
»Er hat Arbeiter. Magda's Eltern befinden sich ja im Schacht, wie sie mir gesagt hat.«
»Mir hat sie dasselbe gesagt; aber es ist das wohl ein Irrthum von ihr. Die Arbeiter müssen doch, wenn die Schicht vorüber ist, zu Tage fahren.«
»Hm! Vielleicht bringen wir noch mehr zu Tage, als nur die Arbeiter. Ist Ihnen über Magda's Verhältnisse Näheres bekannt?«
»Nein. Sie heißt Magdalene Hauser, hat also einen deutschen Namen. Zwischen ihren Eltern scheint ein sehr eigenthümliches Verhältniß obzuwalten. Doch habe ich viel zu wenig mit ihr verkehren und sprechen können, als daß es mir möglich gewesen wäre, mir ein klares Bild zu machen. Sie hat also meinen Namen genannt?«
»Ja. Jedenfalls hat sie mich im ersten Augenblicke für Sie gehalten.«
Das Gesicht Zimmermanns strahlte vor Glück. Er sagte:
»Also hat sie doch gehofft, daß ich ihr folge, um sie zu retten. Sie soll sich nicht getäuscht haben. Ich werde mein Leben wagen und es gern hingeben, um sie aus der Hand dieses Roulin zu erlösen.«
»Gewagt haben Sie es bereits, indem Sie den Maricopa's nachgefolgt sind. Hinzugeben aber brauchen Sie es hoffentlich nicht. Sie haben jetzt Verbündete, und Mehreren wird das leichter gelingen, was Ihnen allein wohl kaum möglich gewesen wäre. Aber wir wollen unsere Pferde jetzt besser ausgreifen lassen. Ich werde erwartet und möchte die Geduld des Dicken nicht zu sehr auf die Probe stellen.«
Zimmermanns Pferd war ein ausgezeichnetes Thier, dasjenige des Indianers nicht minder, und so flogen die drei Reiter mit größerer Schnelligkeit als derjenigen des Windes über die Prairie dahin. Silber-City blieb ihnen zur Linken liegen. Dann bauten sich die Berge in der Ferne auf. Sie rückten denselben sehr schnell näher. Bald erreichten sie die erste Vorhöhe und auch das ausgetrocknete Bett des betreffenden Baches. Dort hielt Sam mit seinen Gefangenen.
»Hallo!« rief er bereits von Weitem. »Wer ist denn eher da, Sie oder ich, Master Steinbach?«
»Na, Sie, wie es scheint.«
»Ja. Ihr Pferd ist also – – – Sapperment, Sie bringen ja noch Einen mit!«
»Das ist der Grund, daß ich mich verspätet habe. Sie werden Freude haben, einen Landsmann begrüßen zu können, Master Barth.«
»Einen Landsmann? Einen Deutschen?«
»Ja. Dieser Herr heißt Zimmermann. Sie können deutsch mit ihm sprechen.«
»Prächtig! Herrlich! Aber es ist doch wahr! Hier in diesem Amerika stolpert man heut' zu Tage nur so über die Deutschen hinweg. Sogar in diesem entlegenen Winkel schießen sie herum wie die Fliegen. Also grüß Gott, Landsmann! Darf ich wissen, in welcher Gegend Sie Ihre ersten Zähne erhalten haben?«
»In Bayern,« antwortete Zimmermann, dem Dicken die Hände schüttelnd.
»Sakkerment! Da sind wir ja Nachbarn! Ich bin nämlich ein Sachse. Kennen Sie vielleicht Herlasgrün?«
»Dem Namen nach.«
»Na, da bin ich her. Wenn Sie mit uns reiten, so werden Sie da oben am See noch mehr Landsleute sehen, auch meine Auguste sogar. Aber wie haben Sie zwei Beide sich denn eigentlich gefunden?«
Es wurde ihm in Kürze erklärt, und dann setzten die drei Weißen mit ihren beiden indianischen Gefangenen den Ritt fort.
Je höher sie kamen, desto mehr Apachenindianer erblickten sie, welche langsam denselben Weg verfolgten. Sie alle waren gut bewaffnet, aber zu Fuße. Sie hatten das Zeichen, welches Wilkins ihnen gegeben hatte, bemerkt. Es galt, das Missionsgebäude gegen einen Ueberfall zu vertheidigen, und dazu konnten sie keine Pferde gebrauchen. Sie traten, wenn die Reiter an ihnen vorüberkamen, still zur Seite, um sie vorüber zu lassen, und stießen höchstens beim Anblicke der Gefangenen ein halblautes und verwundertes ›Uff‹ aus.
Oben am See war kein Mensch zu sehen; aber als sie dann in den Hof des Missionsgebäudes gelangten, erblickten sie wohl gegen hundert Apachen, welche ruhig und wortlos da am Boden saßen, bereit, die Taube des Urwaldes gegen die Feinde zu vertheidigen.
Draußen aber ließen sie sich nicht sehen. Es war ja möglich, daß die Maricopa's Späher ausgesandt hatten, und diese sollten Alles still und leblos finden, um denken zu müssen, daß man von ihrer Annäherung keine Ahnung habe. –
Als Wilkins, Jim und Tim herbeikamen, gab es freilich ein Hallo beim Anblick der Gefangenen. Steinbach hatte Sam heimlich gebeten, noch zu verschweigen, daß er der Fürst der Bleichgesichter sei, und so kam es, daß man dem Dicken den Löwenantheil des Ruhmes zusprach.
Dann wurde Kriegsrath gehalten. Steinbach gab den Rath, erst die Rückkehr der ›starken Hand‹ zu erwarten. Wilkins ging darauf ein. Er hielt es überhaupt für das Allerbeste, die Feinde ruhig herbeikommen zu lassen, um sie dann desto sicherer vernichten zu können.
»Vernichten?« sagte Steinbach. »Das ist meine Absicht nun freilich nicht. Auch die Rothen sind Menschen, und man soll nicht ohne die größte Noth Menschenblut vergießen.«
»Pah!« antwortete Sam. »Was Ihr da sagt, das klingt freilich sehr human und civilisirt, ist aber trotzdem nicht viel werth. Diese Maricopa's sind gekommen, um zu rauben und zu plündern. Sie werden jeden Scalp mitnehmen, den sie sich überhaupt verschaffen können. Wir haben uns unserer Haut zu wehren. Falsch angedrohte Nachsicht kann uns nur Schaden bringen. Ich habe mir ganz besonders diesen weißen Roulin ausgelesen. Er ist ein Schurke, der uns die Rothen auf den Hals hetzt; er wird ganz sicher meine Kugel bekommen.«
»Wenn Ihr mir und uns Allen einen Gefallen thun wollt, so unterlaßt Ihr das!«
»Warum?«
»Wenn Ihr ihn tödtet, so kann er mir keine Auskunft geben. Ich habe die Ahnung, daß bei ihm der Schlüssel zu einem Räthsel steckt, welches uns Alle, besonders aber Master Wilkins interessirt. Der Mann muß leben bleiben, um uns Auskunft geben zu können.«
»Meint Ihr? Na, ich will Euch nicht widersprechen, und hoffe, daß Ihr Euch nicht irrt. Er mag sich aber dennoch in Acht nehmen, daß er meiner Büchse nicht zu nahe kommt, sonst könnte es ihr einfallen, auch ohne meinen Willen loszugehen.«
Die Vorbereitungen, welche getroffen wurden, bestanden zunächst in Anfertigung von Leuchtgegenständen, welche auf das platte Dach des Missionsgebäudes geschafft wurden, um da beim Nahen der Feinde angebrannt zu werden. Es war Petroleum, Pech und Harz genug vorhanden zu einem Feuer, mit welchem man das ganze Thal des Sees beleuchten konnte.
Die beiden gefangenen Indianer waren eingeschlossen worden. Zimmermann hatte sich schnell mit den Bewohnern des Hauses bekannt gemacht. Man saß in verschiedenen Gruppen im Hofe, um sich die Erlebnisse früherer Zeiten zu erzählen und sich in Vermuthungen über den Verlauf des zu erwartenden Abenteuers zu ergehen.
Als es dunkel geworden war, hatten sich wohl an hundertfünfzig Indianer eingefunden, welche wohlbewaffnet des Angriffsaugenblickes harrten. Der Häuptling hatte sich noch nicht eingefunden. Wilkins wollte in Sorge um ihn gerathen. Er befürchtete, daß ihm ein Unglück geschehen sei; aber Steinbach beruhigte ihn.
»Habt keine Sorge, Sir! Wie ich die ›starke Hand‹ kenne, so kommt er nicht eher, als die Feinde selbst, um sie uns anzumelden. Mir ist nicht im Geringsten bange um ihn.«
Es zeigte sich später, daß er Recht hatte.
Es war gegen Mitternacht. Draußen herrschte dichte Finsterniß. Ruhig und dunkel lag auch das Gebäude da. Keins der Fenster, welche nach Außen führten, war erleuchtet. Da klopfte es leise an das Thor; die alte Indianerin öffnete den Schieber und fragte, wer draußen sei. Es war der Apachenhäuptling. Er ging, als sie ihn einließ, wortlos an ihr vorüber. Sein Pferd hatte er nicht mit; er hatte es an irgend einer sicheren Stelle untergebracht, um besser lauschen und beobachten zu können. Im Hofe brannte ein Feuer, dessen Schein aber nicht nach Außen dringen konnte. Es beleuchtete die Gestalten der Apachen. Er rief ihnen nur einige kurze Worte zu. Sie verschwanden sofort, um sich auf die Plattform des Hauses und in diejenigen Stuben zu vertheilen, deren Fenster nach auswärts gingen. Und als er in das Gemach kam, in welchem die Weißen versammelt waren, sagte er nichts als:
»Die Hunde der Maricopa's sind da.«
»Endlich!« meinte Sam. »Nun kann das Theater losgehen. Dieses ewig lange Warten ist das Unangenehmste, was es nur geben kann. Werden sie sogleich angreifen.«
»Sie sind hart hinter mir her und nahen sich jetzt dem Hause, welches sie umzingeln werden. Haben meine weißen Brüder dafür gesorgt, daß ein Feuer angebrannt wird?«
Er erhielt natürlich eine bejahende Antwort, und nun begab sich ein Jeder auf seinen Posten. Der dicke Sam ließ es sich nicht nehmen, hinter das Eingangsthor placirt zu werden. Er glaubte da, am ersten zum Schusse zu kommen.
Draußen war nicht das leiseste Geräusch zu vernehmen. Sam stand am Guckloche und blickte hinaus, konnte aber nichts, gar nichts sehen. Dennoch wußte er, daß die Angreifer nur wenige Schritte entfernt seien. Erkennen konnte er sie nicht; es war mehr Instinct, welcher es ihm sagte.
Verwundert horchte er auf, als er dann den Schritt eines Pferdes hörte, welcher langsam näher kam und draußen am Thore anhielt. Man klopfte. Er wartete eine Weile, um dem Klopfenden glauben zu machen, daß man bereits im Schlafe sei, und erst nach wiederholtem Klopfen schob er den Schieber zurück und fragte laut hinaus:
»Wer ist da?«
»Ein Bote,« antwortete der Betreffende. Er war seiner Ausdrucksweise nach ein Indianer.
»An wen?« fragte Sam.
»An die Taube des Urwaldes.«
»Von wem?«
»Von der ›starken Hand‹.«
»Wer bist denn Du?«
»Ich bin der ›fliegende Pfeil‹ vom Volke der Apachen.«
»Wunderbar! Wo befindet sich denn der große Häuptling, welcher Dich sendet?«
»Er jagt den Büffel an den Ufern des Gila.«
Jetzt vernahm Sam ein leises Schleichen. Es kamen mehrere der Angreifer herbei. Der Plan war, sich öffnen zu lassen und mit Demjenigen, der sich für einen Boten ausgab, zugleich einzudringen. Sam hatte mit demselben so laut gesprochen, daß man es oben auf dem Dache hören konnte. Er antwortete:
»Er jagt? Hm! Mein rother Bruder irrt sich wohl!«
»Der ›fliegende Pfeil‹ irrt sich nicht.«
»Und dennoch. Der berühmte Häuptling ›starke Hand‹ befindet sich jetzt hier in diesem Hause. Und Derjenige, welcher sich den ›fliegenden Pfeil‹ nennt, ist auch hier.«
»Uff!« erklang es draußen im Tone des Schreckes.
»Ja,« lachte Sam. »Wer einen Andern übertölpeln will, der muß natürlich klüger sein, als dieser Andere. Ihr albernen Maricopa's aber seid die dümmsten Kerls, welche es nur geben kann. Ich war heut bei Euch in Eurem Lager und habe die Söhne des ›eisernen Mundes‹ aus Eurer Mitte geholt und als Gefangene hierher gebracht. Jetzt nun wißt Ihr, woran Ihr seid. Dir aber will ich auf die Lügen, welche Du uns machst, mein Ja und Amen geben.«
Er hatte den Lauf seines Gewehres durch das Guckloch gesteckt. Sein Schuß krachte. Bei dem Blitz desselben sah man den Indianer vom Pferde sinken. Zugleich aber sah man eine Anzahl seiner Genossen, welche sich herbei geschlichen hatten, um mit ihm ins Haus zu dringen.
Ein wüthendes Geheul antwortete auf den Schuß; dann trat eine momentane tiefe Stille ein. In diesem Augenblicke loderte oben auf der Plattform des Hauses eine riesige Petroleumflamme auf, so daß die ganze Umgebung fast tageshell erleuchtet war. Die Belagerten sahen, daß die Maricopa's das Haus rundum umgaben. Da ertönte von oben eine tiefe, mächtige Stimme:
»Hier steht ›starke Hand‹, der Häuptling der Apachen, um seinen Feind, den ›eisernen Mund‹, zu empfangen. Gebt Feuer!«
Von oben herab und aus allen Fensteröffnungen erschallten Schüsse. Jede Kugel traf, da die Flamme die Angreifer hell beleuchtete und ein genaues Zielen ermöglichte. Die Maricopa's erhoben ein Wuthgeschrei, welches noch weit gräßlicher klang, als das Brüllen von hundert wilden Thieren. Während desselben rannten sie davon, um außer Schußweite zu kommen. Diejenigen, welche nur verwundet waren, hinkten oder krochen auch davon. Die Apachen wollten sie niederschießen; Steinbach aber gab dies nicht zu.
Als dann einige der Maricopa's sich vorsichtig wieder näherten, um zu versuchen, ob man ihnen erlauben werde, ihre Leichen zu holen, war Steinbach der Ansicht, daß man es ihnen gestatten solle; aber ›starke Hand‹ sagte in entschiedenem Tone:
»Die Scalpe der Todten gehören meinen Leuten. Man soll sie uns nicht nehmen. Mein weißer Bruder sammelt nicht die Scalpe seiner Feinde; wenn ich den Apachen verbieten wollte, sich die Zeichen des Sieges zu nehmen, so würden sie mir niemals wieder gehorchen. Howgh!«
Dieses letztere Wort, welches wie ›Hau‹ ausgesprochen wird, hat die Bedeutung, daß es bei der Bestimmung, welche er getroffen hatte, verbleiben werde. Die herbei schleichenden Maricopas wurden durch einige Kugeln vertrieben; die Leichen blieben also im Bereiche des Hauses liegen.
Der Feind hatte einen solchen Empfang erfahren, daß er es nicht wagte, einen Angriff zu unternehmen. Er hatte sich in sichere Entfernung zurückgezogen. Die Flamme auf dem Hause wurde bis zum Anbruch des Morgens unterhalten; dann verlöschte sie. Als der Tag heller wurde, konnte man die Todten zählen. Es waren ihrer über vierzig.
Die Maricopas lagerten unweit des Seeufers unter den Bäumen. Sie verhielten sich vollständig ruhig; es war also anzunehmen, daß sie irgend einen Entschluß gefaßt hatten.
Steinbach saß auf dem platten Dache und hatte sein Fernrohr in der Hand, durch welches er die Feinde betrachtete. Wilkins befand sich bei ihm und ließ sich das Rohr auch geben. Als er eine Weile hindurchgeblickt hatte, stieß er einen Ruf aus, dem man es nicht anhörte, ob er ein Zeichen der Freude oder des Schreckes sei.
»Was giebt es?« fragte Steinbach.
»Eine Ueberraschung, eine ungeahnte Ueberraschung. Arthur ist dabei.«
»Arthur? Ist das nicht der Name Ihres verschwundenen Neffen?«
»Ja.«
»Der sollte bei ihnen sein!«
»Ja. Ich sehe ihn sitzen.«
»Wo?«
»Neben dem Häuptlinge, zur linken Seite desselben.«
»Verzeihung, Sir! Der, den Sie meinen, ist jener Roulin, von dem ich erzählte.«
»Sehr genau.«
»Ich kann es nicht glauben. Es muß Arthur sein.«
»Jedenfalls nur eine Aehnlichkeit!«
»O nein. Eine solche Aehnlichkeit ist gar nicht glaubhaft. Er ist es.«
»Wollen Sie bedenken, daß dieser Mann nicht etwa der Gefangene der Maricopas ist! Er ist frei; er ist Herr seines Thuns. Wäre er Der, für den Sie ihn halten, so würde er längst in die Heimath zurückgekehrt sein.«
»Das sollte man denken. Aber wer weiß, was ihn daran hindert. In diesem Lande geschehen unbegreifliche Dinge. Arthur hat die Pflanzung verkauft; der Grund mag sein, welcher es wolle; nun aber getraut er sich nicht wieder zurück; er schämt sich, mir unter die Augen zu treten.«
»Hm! Ich kann mich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß der Besitzer der Quecksilberwerke im Todesthale ein Verwandter von Ihnen sein solle. Vielleicht erhalten wir sehr bald Aufklärung. Sehen Sie! Es kommt einer der Rothen.«
Sie sahen einen Maricopa, welcher sich langsam dem Hause näherte. Er trug ein weiß gegerbtes Fell in der Hand und schwenkte es zum Zeichen, daß er in friedlicher Absicht komme.
»Ein Parlamentair,« sagte Wilkins. »Ich werde gleich sehen, was er will.«
»Bitte, überlassen Sie das mir!«
Wilkins sah ihn einigermaßen befremdet an. Den Parlamentair zu empfangen, das war doch Sache des Hausherrn. Da trat der Apachenhäuptling herbei. Er hatte auf der Plattform auf seiner Decke gelegen und das Nahen des Maricopas auch bemerkt. Auf denselben deutend, sagte er:
»Ein Bote des ›eisernen Mundes‹.«
»Ich werde ihn empfangen,« meinte Wilkins.
Der Apache aber schüttelte den Kopf, zeigte auf Steinbach und bestimmte:
»Mein weißer Bruder mag zu ihm hinabgehen. Er ist klug, zu thun, was am Besten ist.«
Steinbach ging. Wilkins schüttelte verwundert den Kopf und schmollte:
»Eigentlich ist es doch aber meine Sache, einen Parlamentair zu empfangen.«
»Ja, aber Du weißt nicht, was er will und wenn er eine schnelle Antwort verlangt, mußt Du Dich rasch entscheiden und kannst dabei sehr leicht das Falsche treffen.«
»Ah! Meint mein rother Bruder etwa, daß Steinbach leichter als ich das Richtige treffen werde?«
»Mein Bruder darf sich nicht beleidigt fühlen. Er wird Steinbach bald besser kennen lernen.«
Steinbach ließ sich unten das Thor öffnen und trat hinaus, da der Maricopa durch Zeichen zu verstehen gab, daß er nicht näherkommen wolle. Er schritt also auf ihn zu und fragte ihn nach seinem Begehr.
»Ich bin gesandt von dem »eisernen Munde« und soll sprechen mit der ›starken Hand‹.«
»Der Häuptling der Apachen hat jetzt keine Zeit. Du wirst also mit mir sprechen.«
Der Indianer betrachtete Steinbach mit einem langen, keineswegs ehrfurchtsvollen Blicke und sagte:
»Du bist kein Häuptling. Ich spreche nur mit Kriegern, welche Häuptlinge sind.«
»Lüge nicht! Es schmückt keine Feder Dein Haupt. Du bist ein gewöhnlicher Krieger und mußt stolz darauf sein, wenn ich mit Dir rede.«
»Sende mir die ›starke Hand‹. Mit Dir habe ich nichts zu schaffen.«
»So trolle Dich von dannen! Aber ich sage Dir, daß wir einen Boten des ›eisernen Mundes‹ nun nicht wieder empfangen werden.«
Er wendete sich scharf ab, um zu gehen. Sein entschiedenes Wesen verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht.
»Uff!« rief der Indsman. »Mein Bruder bleibe noch! Die rothen Männer wollen ihre Todten holen. Die weißen Krieger werden ihnen das erlauben.«
»Nein, wir erlauben es nicht. Die Scalpe der Maricopas gehören den siegreichen Apachen.«
»Sind deren Viele im Hause?«
»So viele, daß die Hälfte von ihnen genügt, die Maricopas in das Wasser des Sees zu stürzen.«
»Mein weißer Bruder nimmt den Mund so voll Wasser, daß er überläuft. Wie kommt es, daß so viele Krieger der Apachen hier sind?«
»Um Euch zu empfangen.«
»Kein Apache hat gewußt, daß wir kommen.«
»Alle haben es gewußt. Der Häuptling hat Euch am Gila umschlichen, und ich selbst bin mitten in Eurem Lager gewesen, habe gehört, was der ›eiserne Mund‹ mit Roulin sprach, und dann seine beiden Söhne gefangen genommen.«
»Sie sind auf ihren Pferden davongeritten.«
»Ich habe sie gefesselt und auf ihre Pferde gebunden. Die Maricopas sind keine Krieger. Sie stellen nicht einmal während eines Kriegszuges Wache zu ihren Pferden.«
»Wird mein weißer Bruder die Söhne des Häuptlings tödten?«
»Ja.«
Der Rothe erschrak und meinte:
»Warum soll dies geschehen? Kein Tapferer tödtet Einen, den er nicht im Kampfe besiegt hat.«
»Ich habe die Beiden besiegt und Ihr Leben gehört mir; ich kann mit ihnen thun, was mir beliebt.«
»Ihr habt unsere Krieger getödtet. Wir müssen die Todten rächen.«
»Thut das, wenn Ihr könnt.«
»Ihr habt sie nicht besiegt, sondern ermordet. Wir kamen im Frieden zu Euch. Ihr aber habt uns sofort mit Kugeln empfangen.«
»Mein rother Bruder denkt, ich habe keinen Verstand. Er gehe und lasse erst den seinigen wachsen. Ihr kommt als Räuber und Diebe und wir haben Euch demgemäß empfangen. Hast Du mir noch Etwas zu sagen, so mache es kurz!«
»Der Häuptling der Maricopas verlangt eine Unterredung mit dem Häuptling der Apachen.«
»Und wo soll diese stattfinden?«
»Nicht im Hause, sondern hier, wo wir stehen.«
»Gut. Er soll diese Unterredung haben. Er mag Roulin mitbringen und noch Einen.«
»Bringt der Häuptling der Apachen auch Leute mit?«
»Auch zwei.«
»Aber es ist Regel, daß keinem Abgesandten ein Leid geschehen darf.«
»Das wissen wir. Ihr dürft alle Waffen mitbringen. Keiner aber wird sie gebrauchen. Melde, was ich Dir gesagt habe. Ich habe keine Zeit weiter!«
Er wendete sich ab und schritt dem Hause zu, wo man ihn neugierig erwartete. Er theilte den Zweck und das Resultat der Unterredung mit. Wilkins fragte:
»Also sie kommen zu Dreien. Wer aber wird von uns zu ihnen gehen?«
»Sie, der Apache und ich. Ich bitte, mir das Wort zu überlassen, da Sie mir leicht meine Absichten verderben könnten.«
»Absichten? Was für Absichten können Sie haben?«
»Das werden Sie bald erkennen. Von Ihnen erbitte ich mir weiter nichts, als das Eine: Sehen Sie sich diesen Roulin genau an und sagen Sie mir baldigst so unbemerkt wie möglich, ob Sie in ihm Ihren Neffen erkennen. Das Uebrige überlassen Sie mir.«
»Master Steinbach, Sie sind ein räthselhafter Mann!«
»Vielleicht, ja! Da aber diesen Wilden niemals recht zu trauen ist, so müssen wir auf Alles gefaßt sein. Es ist möglich, daß sie auf Verrath sinnen und uns überfallen wollen, um uns so in die Hand zu bekommen, wie wir die beiden Söhne des Häuptlings haben. Lassen Sie also das Dach mit den besten Schützen besetzen, welche mit ihren Kugeln den Berathungsplatz bestreichen können!« –
Es dauerte wohl über eine Stunde, ehe man den Anführer der Maricopas mit seinen beiden Begleitern kommen sah.
Der Indianer ist ein ganz anderer Mann, als er gewöhnlich beurtheilt wird. Er ist vor allen Dingen ein guter Sprecher und läßt keine Gelegenheit, eine Rede zu halten, unbenützt vorübergehen. Eine solche bot sich jetzt. Da mußte denn Alles auf das Feierlichste eingeleitet und angeordnet werden.
Der ›eiserne Mund‹ nahte sich in einem Aufzuge, welcher nach indianischen Begriffen geradezu überwältigend war. Er hatte seinen besten Kriegsstaat angelegt. Von seinem kunstvoll zusammengeflochtenen Haarschopfe wehten vierundzwanzig Federn des Kriegsadlers herab. Als Mantel trug er das Fell eines Jaguars, welches mit zahlreichen Büffelschwänzen und Klapperschlangenhäuten geschmückt war. Bewaffnet war er mit allem Möglichen, so daß man sich eigentlich zu wundern hatte, wie er Alles fortbringen konnte: Büchse, Messer, Tomahawk, Lanze, Köcher, Bogen und Munitionsbeutel. Ueber die Brust hingen mehrere zusammengedrehte Lassos herab. Das Hauptstück aber trug ihm sein Begleiter voran, derselbe Indianer, mit welchem Steinbach vorhin gesprochen hatte. ES war das eine überaus lange Lanze, an deren Spitze drei Medicinsäcke hingen. Sie war mit mehreren Querleisten versehen. An diesem und an dem Schafte hingen zahlreiche Scalpe, wohl über dreißig Stück, von Weißen und von Indianern. Da auch sein ganzer Anzug mit den Scalphaaren getödteter Feinde ausgeputzt war, so konnte man auf die Anzahl von Menschen schließen, welche von der Hand des ›eisernen Mundes‹ gefallen waren.
Roulin ging an seiner Seite, aber um einen halben Schritt zurück.
Auf dem bestimmten Platze angekommen, steckte der rothe Begleiter des Häuptlings die Lanze in den Boden, nahm dem Letzteren den Mantel ab und breitete ihn auf dem Boden aus. Der ›eiserne Mund‹ ließ sich in wohl bewußter Würde darauf nieder. Nun setzten sich auch die beiden Andern, doch etwas nach rückwärts, wie es die ihm zu zollende Achtung erforderte. Sie warteten.
Erst nach längerer Zeit öffnete sich das Thor des Missionsgebäudes. Wilkins, Steinbach und der Apache kamen herbei.
Der Letztere stach in seinem Aeußeren auf das Auffälligste von dem feindlichen Häuptlinge ab. Er trug als Schmuck nur eine einzige Feder und als Waffe nur ein Messer im Gürtel. Aber diese Feder war aus dem Schwanze des weißen Kriegsadlers, die höchste Seltenheit, welche es giebt, und hatte einen Werth von wenigstens sechzig Pferden.
Wilkins hatte nichts als einen Revolver bei sich und Steinbach trug nur sein Beil an der Seite. Diese drei Männer traten so einfach, so anspruchslos auf, und doch war ihre Haltung eine so Ehrfurcht gebietende, daß Roulin sich bei ihrem Nahen unwillkürlich von seinem Sitze erhob. Er wurde aber von dem Indianer ergriffen und wieder niedergezogen.
Die drei Zuletztangekommenen setzten sich ohne ein Wort der Begrüßung den Andern gegenüber. So saßen die Sechs wohl eine Viertelstunde lang wie Statuen, ohne sich zu regen, ohne ein Wort zu sagen. Es kam jetzt darauf an, wer das Schweigen und damit seine Würde am längsten wahrte.
Dem Maricopa dauerte dies denn doch zu lange. Er erhob sich endlich und begann zu sprechen. Er zählte die Thaten seines Stammes und die Tugenden desselben auf und berichtete dann auf das Ausführlichste von seinem eigenen Heldenthum. Von seinen gegenwärtigen Absichten aber erwähnte er kein einziges Wort. Dieser bombastische Wortschwall erforderte über eine halbe Stunde Zeit.
Jetzt nun mußte der Häuptling der Apachen reden. Er erhob sich, legte die Hand an den Griff seines Messers und sagte einfach:
»Ich bin die ›starke Hand‹. Man kennt mich und wer mich noch nicht kennt, der kann mich kennen lernen. Ich spreche durch die That. Mein weißer Bruder hier mag an meiner Stelle das Wort führen.«
Er deutete auf Steinbach und setzte sich wieder nieder. Der Maricopa richtete sein Auge verächtlich auf Steinbach und sagte:
»Ich bin ein Häuptling. Soll ich mit einem Manne sprechen, der unter mir steht!«
»Woher weißt Du, daß ich unter Dir stehe?« fragte Steinbach in ruhiger Weise.
»Welches Häuptlingszeichen trägst Du an Dir?«
»Bedarf es eines solchen? Du trägst Deine Zeichen auf dem Körper und sie hindern Dich. Die Bleichgesichter aber tragen ihre Häuptlingszeichen hier hinter der Stirn. Habe ich nicht Deine Söhne mitten aus dem Lager geholt? Habe ich nicht auf dem Baume gestanden, unter welchem Du saßest und mit ihnen sprachst? Du versprachst ihnen, daß sie die Ersten sein sollten, dieses Haus zu betreten. Ich habe Dein Versprechen erfüllt. Sie sind die Ersten gewesen, aber als Gefangene. Ist das nicht ein Beweis, daß ich Dir ebenbürtig bin?«
»Du bist listig, aber nicht tapfer!«
»So stehe auf, um mit mir zu kämpfen. Du darfst Dich aller Deiner Waffen bedienen; ich aber nehme nur die bloße Hand und werde Dich besiegen!«
»Der große Geist hat Deinen Verstand verdüstert. Welche Waffe hättest Du auch! Du hast nur ein Beil. Mit ihm vermagst Du nicht einmal den Vogel zu treffen, der da oben auf dem Aste sitzt!«
Er deutete nach einem Baume, auf welchem eine Rabenkrähe sich niedergelassen hatte. Anstatt aller Antwort stand Steinbach auf und zog das Beil aus dem Gürtel. Es einige Male um den Kopf schwingend, schleuderte er es fort, scheinbar gar nicht gegen den Baum. Es flog eine Strecke wagerecht fort, stieg dann plötzlich in die Höhe und beschrieb einen wirbelnden Bogen nach dem Baume hin. Ein Schrei der Bewunderung entfuhr dem Maricopa. Das Beil hatte die Krähe getroffen und getödtet. Es kam im Bogen zurückgeflogen und fiel nur wenige Schritte von Steinbach zur Erde nieder.
Das war ein Meisterstück, viel, viel größer als der meisterhafteste Schuß aus einem Gewehre. Der australische Bumerang kann so geworfen werden, daß er zurückkehrt. Auch das indianische Schlachtbeil wird von Meistern so geschleudert, daß es auf- und niedersteigt und sein Opfer im Bogen, beinahe im Zickzack verfolgt. So ein Wurf aber wie hier hatte der Maricopa für eine Unmöglichkeit gehalten. Auch Wilkins sagte:
»Welch eine Geschicklichkeit! Man entdeckt an Ihnen immer neue Seiten!«
Steinbach steckte das Beil wieder in den Gürtel und setzte sich wieder nieder. Dann fragte er:
»Wirst Du nun mit mir sprechen?«
»Du bist listig und geschickt, aber doch kein Häuptling,« antwortete der Maricopa.
»Du irrst. Ich bin ein größerer Häuptling als Du. Ich bin der Häuptling der Bleichgesichter.«
Alle außer dem Apachen fuhren erschrocken auf.
»Ist das wahr?« fragte Wilkins.
»Uff!« antwortete die ›starke Hand‹ bestätigend.
»Dann ist Alles erklärt. Jetzt, jetzt begreife ich Alles. Aber wer, wer hätte das gedacht!«
»Beruhigen Sie sich,« lächelte Steinbach. »Ich nenne den Titel, welchen man mir gegeben hat, nicht gern. Geben Sie mir lieber jetzt die erwartete Nachricht.«
Wilkins neigte sich ihm zu und flüsterte:
»Die Aehnlichkeit ist bedeutend, aber mein Neffe ist er nicht; nun ich ihm so nahe sitze, sehe ich es.«
Dieser kleine Gedankenaustausch war so schnell erfolgt, daß er den Maricopas gar nicht aufgefallen war. Sie starrten Steinbach noch immer wortlos an, so daß dieser seine vorherige Frage, ob der Häuptling mit ihm sprechen wolle, abermals wiederholte.
»Wenn Du der König der Bleichgesichter bist, werde ich Deine Fragen beantworten.«
»Das erwarte ich freilich. Du wirst von mir gehört haben; ich habe keine Zeit zu unnützen Worten. Ich liebe die That, gerade so wie hier der tapfere Häuptling der Apachen. Sage mir, ob das Bleichgesicht, welches da neben Dir sitzt, Dein Freund ist!«
»Es ist mein Freund und Bruder.«
Da wendete sich Steinbach ganz unerwartet an den Weißen, und zwar in französischer Sprache:
»Sie heißen Roulin?«
»Ja.«
»Sind Sie Franzose?«
»Von Geburt, ja.«
»Wie kommt Magda Hauser mit ihren Eltern in eine so traurige Abhängigkeit von Ihnen?«
Das hatte Roulin nicht erwartet. Er stotterte:
»Was wissen Sie davon?«
»Vielleicht genug. Wie lange bewohnen Sie den Westen der Vereinigten Staaten bereits?«
»Warum fragen Sie?«
Er begann, Verdacht zu schöpfen. Steinbach's Blick war so scharf und durchdringend, daß der Franzose irgend eine unheimliche Gefahr für sich nahen fühlte.
»Weil ich jedenfalls Veranlassung dazu habe. Es liegt in Ihrem eigenen Interesse, mir zu antworten. Also wie lange Zeit befinden Sie sich bereits im Westen?«
»Seit einer Reihe von Jahren.«
»Ist Ihnen ein Mann Namens Walker bekannt?«
Der Gefragte erbleichte sichtlich.
»Nein,« antwortete er.
»Aber dieser Sir ist Ihnen bekannt?«
Er deutete auf Wilkins.
»Vermuthlich ist er der Vater der ›Taube des Urwaldes‹.«
»Ganz richtig. Kennen Sie seinen Namen?«
»Nein.«
»Er heißt Wilkins und kam aus Wilkinsfield hierher.«
Roulin schluckte und druckte, um ein Wort zu sagen; endlich stieß er hervor:
»Kenne ich nicht.«
»O doch! Ganz gewiß! Besinnen Sie sich nur!«
»Das ist vergebens.«
»Nun, so will ich Ihnen auf die Spur helfen: Haben Sie die Legitimationen von Arthur Wilkins vielleicht noch in Ihrem Besitz?«
Jetzt spielte die Blässe Roulin's geradezu in das Leichenfahle. Er hustete und gab sich die größte Mühe, seine Beherrschung zu behaupten. Dann antwortete er:
»Ich verstehe Sie nicht; ich weiß wirklich ganz und gar nicht, wen und was Sie meinen.«
»Verstehen Sie mich auch nicht, wenn ich Sie frage, wohin der Oberaufseher Martin Adler aus Wilkinsfield gekommen ist?«
»Kein Wort begreife ich!«
»Nun, es wird die Zeit kommen, in welcher es mir gelingen wird, Ihr Gedächtniß aufzufrischen. Jetzt haben wir einstweilen Anderes zu besprechen.«
Und sich an den Maricopa wendend, fuhr er fort:
»Also weshalb ist der ›eiserne Mund‹ gekommen, um mit uns zu sprechen?«
»Er verlangt die Leichen der Gefallenen zurück!«
»Er soll sie bekommen, nachdem die tapferen Apachen ihnen die Scalpe genommen haben.«
»Der König der Bleichgesichter spricht nicht wie ein Vermittler des Friedens. Weiß er nicht, daß ein rother Mann, dem die Scalplocke fehlt, nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen kann?«
»Ich weiß es.«
»Warum sollen da unsere Todten die Scalpe einbüßen? Warum soll das tapfere Volk der Maricopas beleidigt und geschändet werden?«
»Dieses Volk hat sich gegen uns nicht tapfer, sondern verrätherisch benommen. Wäre Euch der Ueberfall geglückt, so hättet Ihr uns Allen die Scalpe genommen. Nun aber haben wir die Eurigen. Der große Geist hat es so gewollt.«
»Wenn Ihr unsere Todten scalpirt, werden wir zur Strafe auch Euch die Scalpe nehmen.«
»Das könnt Ihr versuchen. Wenn Du uns weiter nichts zu sagen hattest, so brauchtest Du Dich nicht zu bemühen. Wir sind fertig.«
»Noch nicht. Ich habe noch Eins. Du hast mir meine Söhne geraubt. Du hast zu diesem Manne hier gesagt, daß sie sterben müssen. Ist das wahr?«
»Ja.«
»Was haben sie Dir gethan, daß Du sie tödten willst?«
»Was hatten Dir die Bewohner dieses Hauses gethan, daß Du sie überfallen wolltest?«
»Sie sind meine Feinde, weil sie Freunde der Apachen sind.«
»Und Deine Söhne sind aus demselben Grunde meine Feinde. Ich werde sie vertilgen aus dem Lande der Lebendigen.«
»Ich habe gehört, daß der Fürst der Bleichgesichter den Frieden liebt und das Blutvergießen haßt.«
»Das ist wahr. Aber grad aus diesem Grunde tödte ich Deine Söhne, damit sie nicht später das Blut meiner Freunde vergießen können.«
»Du ladest eine fürchterliche Schuld auf Dich. Wir werden wenigstens so viele Apachen tödten, wie Ihr von den Unserigen getödtet habt. Das sind bis jetzt mehr als vier mal zehn.«
»Die Apachen sind tapfer. Sie werden sich zu vertheidigen wissen.«
Der Maricopa liebte natürlich seine Kinder. Er fand Steinbach scheinbar unerbittlich. Darum griff er zum letzten Mittel, welches ihm übrig blieb:
»Ich will Dir ein Lösegeld geben.«
»Ich brauche kein Geld.«
»Ich gebe Dir Pferde.«
»Das meinige genügt mir.«
»Du bekommst die Pferde aller meiner Krieger, welche heute in der Nacht gefallen sind!«
»Ich brauche nicht vierzig Pferde, sondern nur eins, und das habe ich.«
»Du kannst sie verkaufen.«
»Ich bin kein Pferdehändler. Es giebt nur einen einzigen Preis, gegen den ich Dir Deine Söhne zurückgebe, einen einzigen, sonst keinen.«
»Nenne ihn!«
»Du giebst mir für jeden Sohn eine andere Person.«
»Wen meinst Du da?«
»Diesen weißen Mann hier, der sich Roulin nennt, und das weiße Mädchen, welches Ihr gefangen bei Euch führt.«
Der Franzose sprang erschrocken auf. Der Maricopa aber sagte in beruhigendem Tone zu ihm:
»Fürchte Dich nicht. Du stehst unter meinem Schutze. Ich kann Dich nicht opfern.«
»Also nicht? Auf keinen Fall?« fragte Steinbach.
»Nein. Lieber magst Du meine Söhne tödten. Man soll nicht von mir sagen, daß ich einen Freund geopfert habe, um meine Kinder zu retten.«
»Aber Der, welchen Du Deinen Freund nennst, ist ein Verbrecher, ein Schurke.«
»Oho!« rief Roulin, in seinen Gürtel greifend.
Der Maricopa warf ihm einen ernsten, warnenden Blick zu und sagte dann:
»Nach Euren Gesetzen mag er vielleicht Unrecht gethan haben, nach den unserigen aber bin ich sein Beschützer und muß mein Wort halten.«
»So müssen Deine Söhne sterben.«
Es glitt ein trotziges, siegesgewisses Lächeln über das broncene Gesicht des Maricopa, als er antwortete:
»So schnell geht das nicht. Du wirst Dich vielmehr sehr besinnen, ehe Du sie tödtest.«
»Keinen Augenblick.«
»Ich werde es Dir beweisen.«
»Das kannst Du nicht.«
»Sehr schnell sogar. Passe auf!«
Er gab dem Franzosen einen Wink. Dieser entfernte sich, jedenfalls um einen bereits früher erhaltenen Auftrag auszuführen.
»Was mag er vor haben?« flüsterte Wilkins.
»Wir werden es ja erfahren.«
»Wollen Sie die beiden Jungens wirklich tödten?«
»Fällt mir gar nicht ein. Es ist nur eine Drohung, um Roulin und das Mädchen in die Hand zu bekommen. Da, schauen Sie! Man drängt nach dem See hin.«
Die Maricopas hatten während der Nacht eines der Boote in ihre Gewalt bekommen. Auf dieses schien sich das Augenmerk Aller zu richten. Der ›eiserne Mund‹ zögerte nicht mit der Erklärung:
»Man wird jetzt das Mädchen, von welchem Du sprachst, hinüber auf die Insel schaffen, um sie dort an den Marterpfahl zu binden. Sie behält ihr Leben nur dann, wenn Du meine Söhne frei giebst und uns unsere Todten unscalpirt überantwortest.«
Da zuckte es schnell über Steinbachs Gesicht. Er antwortete:
»So grausam wirst Du nicht sein. Sie ist unschuldig.«
»Meine Söhne sind auch unschuldig.«
»Sie folgten freiwillig; das Mädchen aber habt Ihr gezwungen, mitzugehen.«
»Das ist gleich. Besinne Dich! Siehe, das Boot stößt bereits vom Lande.«
»Ich werde mit meinem Gefährten sprechen.«
Das war nur zum Schein gesagt. Er wendete sich in deutscher Sprache, welche der Maricopa jedenfalls nicht verstand, leise an Wilkins:
»Spracht Ihr nicht von einem Gange nach der Insel?«
»Ja.«
»Ist er passabel?«
»Das versteht sich.«
»So entfernt Euch unter dem Vorwande einer Berathung und begebt Euch nach der Insel.«
»Um das Mädchen zu holen?«
»Ja.«
»Das wird blutig hergehen. Ich sehe, daß sie vier Begleiter hat. Und das Rasenthürchen, durch welches ich muß, hat nur für einen einzigen Mann Raum. Sie stechen mich nieder, ehe ich heraus bin.«
»Keine Sorge! Ich schieße alle Vier nieder.«
»Womit?«
»Mit meiner Büchse.«
»Ihr habt ja gar keine mit!«
»Pah! Macht nur, daß Ihr fortkommt. Ihr tretet nicht eher auf die Insel, als bis Ihr hört, daß ich schieße.«
»Aber Ihr wagt Euer Leben!«
»Unsinn! Während ich die Augen nach der Insel habe, ist der Apache Mann genug, diese beiden angeputzten Maricopas in Zaum zu halten. Uebrigens liegt unser Dach voller Schützen. Also vorwärts!«
Wilkins entfernte sich. Anstatt Argwohn zu schöpfen, war dies dem Maricopa lieb. Er glaubte, daß Wilkins jetzt die beiden Knaben holen werde. Als dieser aber nach einiger Zeit nicht zurückkehrte, sagte der ›eiserne Mund‹:
»Nun, erhalte ich meine Söhne?«
»Nur gegen die beiden Personen, welche ich Dir bereits genannt habe.«
»Nein.«
»So sterben sie!«
»Und das Mädchen stirbt auch. Siehst Du, daß meine vier Krieger sich mit ihr bereits auf der Insel befinden. Sie errichten schon den Pfahl.«
»Ich sehe es. Aber sie dürfen ihr jetzt kein Leid thun.«
»Wer will es ihnen untersagen?«
»Ich. Wir unterhandeln hier. So lange dies währt, darf nichts Feindseliges geschehen.«
»Es wird geschehen, denn ich habe es befohlen.«
»Und es wird nicht geschehen, denn ich dulde es nicht!«
»Was willst Du dagegen thun?«
»Ich tödte Deine vier Krieger.«
»Womit? Mit Deinem Beile? Dorthin reicht selbst die Kugel des besten Gewehrs nicht.«
»Vergiß nicht, daß ich der Fürst der Bleichgesichter bin. Jetzt binden sie das Mädchen an. Gieb Gegenbefehl, sonst schieße ich!«
»Mit dem Beile?« höhnte der Maricopa.
»Ja.«
»So schieß!«
»Du willst es!«
Der Apachenhäuptling hatte unbemerkt in seine Tasche gegriffen, um zwei kleine Revolver herauszuziehen. Das genügte, um für Steinbach freie Hand zu machen. Dieser Letztere zog sein Beil aus dem Gürtel. Der ›eiserne Mund‹ lachte dazu. Vorhin, als das Beil geworfen worden war, hatte der Besitzer desselben es gar nicht für nöthig gehalten, erst die lederne Scheide zu entfernen, in welcher es steckte. Jetzt aber zog er sie ab. Zwei schnelle Griffe, ein Druck an einen Hebel, und der Stiel des Beiles hatte sich in die Läufe eines Doppelgewehres verwandelt. Der eigentliche Beilkörper bildete einen Kolben in Axtgestalt, mit welchem man einen Büffel den Kopf spalten konnte.
»Also giebst Du den Befehl, sie nicht anzurühren?« fragte Steinbach.
»Nein. Sie wird gemartert! Schieße doch!«
»Du höhnst? Paß auf, wie der Fürst der Bleichgesichter schießt!«
Im Nu war geladen – den Kolben an die Backe – zwei Knalle – zwei neue Patronen in die Kammern – noch zwei Knalle – die vier Maricopas, welche das Mädchen nach der Insel gerudert hatten, lagen lang ausgestreckt am Boden. – Einer wie der Andere durch den Kopf geschossen, wie sich später zeigte. Und zu gleicher Zeit tauchte aus dem Boden der Insel Wilkins' Gestalt auf, welcher Magda's Stricke durchschnitt und mit ihr wieder im Boden verschwand, grad so schnell, wie er da erschienen war.
Dieser ganze Vorgang hatte sich in Zeit von einer einzigen Minute abgewickelt. Darum herrschte zunächst die Stille starren Erstaunens, droben auf dem Dache des Gebäudes, drüben bei dem Haufen der Maricopas und auch an dem Berathungsorte, wo der Häuptling der Letzteren offenen Mundes dastand und ebenso wie sein Begleiter mit weit aufgerissenen Augen nach der Insel starrte.
Außer Steinbach und dem Häuptling der Apachen gab es nur Einen, welcher trotz der kurzen Minute, welche der Vorgang in Anspruch genommen hatte, sofort voller Geistesgegenwart handelte. Das war Sam, der Dicke.
Die Thür des Missionsgebäudes öffnete sich und Sam kam in langen Sprüngen, welche man ihm bei seiner außerordentlichen Wohlbeleibtheit gar nicht zugetraut hätte, herbeigeeilt.
»Master Steinbach, was ist geschehen?« rief er. »Haben die rothen Kerls vielleicht trotz der Verhandlung den Parlamentairfrieden gebrochen? Da soll sie sofort Alle zusammen der helle, lichte Teufel holen! In Beziehung auf das Völkerrecht verstehen wir Herlasgrüner nämlich gar keinen Spaß.«
»Es ist so etwas Aehnliches. Ich habe aber dafür vier von ihnen todtgeschossen.«
»So ist es recht! Wenn sie nicht Verstand annehmen, bringe ich die Andern auch noch um!«
Er trat drohend vor den ›eisernen Mund‹ hin und schwang sein Gewehr in einer Weise, als ob er ihm mit dem Kolben den Kopf einschlagen wolle. Dieses Verhalten weckte den Häuptling aus seinem starren Erstaunen. Er wendete sich zornig an Steinbach:
»Was hast Du gethan! Du hast vier meiner besten Krieger getödtet!«
»Ganz recht!« lautete die ruhige Antwort.
»Das ist eine That, welche ich rächen muß!«
»Du scherzest!«
»Blicke mich an! Sehe ich so aus, als ob ich über die Ermordung meiner Krieger scherzen möchte?«
»Du siehst sehr ernst aus, machst aber dennoch Spaß. Wie kannst Du eine That rächen wollen, zu welcher Du selbst mich vorher aufgefordert hast!«
»Das habe ich nicht gethan!«
»Hast Du nicht gesagt, daß ich schießen solle?«
»Aber nicht sie tödten!«
»Ah! Meinst Du, daß der Fürst der Bleichgesichter sein Gewehr nur bei sich trägt, um in die Luft zu schießen? Wehe Demjenigen, auf welchen es gerichtet wird! Er ist unbedingt des Todes!«
»Ich wußte nicht, daß dieses Beil ein Gewehr sei.«
»Das ist nur allein Deine Schuld.«
»Und daß Du so weit schießen könntest.«
»Ich habe es Dir gesagt. Warum glaubst Du es nicht.«
»Deine Flinte ist verzaubert. Das konnte kein Mensch vorher wissen.«
»Ich habe Dir gesagt, daß ich schießen werde. Du hast mich höhnisch aufgefordert, es zu thun. Du selbst bist also der Mörder Deiner Leute. Du bist es aber auch noch aus einem andern Grunde. Du kamst zu uns, um mit uns zu verhandeln. Während der Verhandlung muß jede Feindseligkeit unterbleiben. Du aber hast ein weißes Mädchen vor unseren Augen und während unserer Berathung martern und tödten lassen wollen. Du hast also den Frieden gebrochen. Ich habe Dir Sicherheit und ungefährdete Rückkehr zu den Deinen versprochen, ich brauche Dir dieses Versprechen nicht zu halten. Was willst Du dagegen thun, wenn ich Dich jetzt gefangen nehme, Dich und Deinen Begleiter, welcher sich so vornehm dünkte, daß er gar nicht mit mir sprechen wollte?«
Der Maricopa richtete sich zu seiner vollen Höhe auf und antwortete in stolzem Tone:
»Das wirst Du nicht wagen!«
»Warum nicht?«
»Ich bin der ›eiserne Mund‹, der oberste und berühmteste Häuptling meines Volkes.«
»Und ich bin der Fürst der Bleichgesichter! Verstanden!«
Da erhob sich auch der Apache und sagte ruhig:
»Und hier steht die ›starke Hand‹. Wer will sagen, daß er ihr widerstehen könne?«
Auch der dicke Trapper that einen Schritt näher, warf sich stolz in die Brust und sprach:
»Und ich bin Samuel Barth aus Herlasgrün in Sachsen. Ich mache Knöpfe und zerhaue Köpfe. Verstanden!«
Der Maricopa war im vollsten Häuptlingsstaate herbeigekommen. Fühlte er auch innerlich Besorgnisse, so ließ er sich dies doch nicht merken. Einmal wollte er sich vor seinem Begleiter nicht blamiren, und sodann war er es den Emblemen, mit denen er geschmückt war, schuldig, daß er keine Furcht zeigte. Er sagte:
»Seht hier die Scalpe, welche ich erbeutet habe, so kann ich mir auch die Eurigen holen!«
»Versuche es!« lachte Sam. »Ihr Beide gegen uns Drei. Das ist lächerlich!«
»Hier an der Lanze hängen meine Medizinsäcke. Sie werden mir den Sieg geben!«
»Und hier an meinem Gürtel hängt mein Kugelsack; auf ihn kann ich mich eher verlassen!«
»Blickt dorthin zu meinen Leuten! Sie harren nur meines Winkes. Es sind nur vier Krieger getödtet worden. Ich brauche nur die Hand zu erheben, so fallen die Meinigen über Euch her, um die ermordeten Brüder zu rächen.«
Er zeigte auf die Maricopas, welche sich zusammengezogen hatten, und, ihre Waffen in Bereitschaft haltend, allerdings drohend genug aussahen. Aber Sam fuhr mit seiner Hand auf eine geringschätzige Weise durch die Luft und antwortete:
»Du machst uns nicht bange. Du hast den Frieden gebrochen und bist also der schuldige Theil. Du magst meinetwegen ein berühmter Mann sein, stehst aber drei noch viel berühmteren gegenüber, die sich auch vor hundert Maricopas nicht fürchten würden. Du mußt also sehr froh sein, wenn wir Dir erlauben, mit heiler Haut zu entkommen. Anspruch auf Rache aber kannst Du auf keinen Fall machen. Das wäre ein sehr lächerliches Verhalten. Du sagst, daß Du nur den Arm zu erheben brauchst, so fallen Deine Krieger über uns her. Ich aber sage Dir: Ich brauche nur die Hand auszustrecken, so bist Du mein Gefangener, oder, wenn es mir beliebt, schicke ich Dich gar in die ewigen Jagdgründe, wo Du dann meinetwegen Dein Wort brechen kannst, so oft Du nur immer willst.«
Das war eine sehr lange Rede, die der Dicke gehalten hatte. Er meinte es keineswegs bös mit dem Rothen, aber er ärgerte sich darüber, daß dieser so stolze Worte im Munde führte, trotzdem er es mit drei solchen Gegnern zu thun hatte. Der feindliche Häuptling hätte nun vielleicht so gehandelt, wie es für ihn am Besten war, aber sein Begleiter war ergrimmt über die Art und Weise, mit welcher Steinbach über ihn gesprochen hatte und sagte:
»Ist das dicke Bleichgesicht wirklich ein solcher Held, daß er dergleichen Worte zu uns sprechen darf?«
Der Apache sah ein, was da kommen werde. Er wendete sich nach dem Gebäude um, unter dessen geöffnetem Thore sein Neffe, der ›flinke Hirsch‹ stand. Er gab ihm ein Zeichen und sofort verschwand der junge Indianer im Innern des Hauses.
Es muß hier gesagt werden, daß die Indianer eine sehr ausgeprägte Zeichensprache ausgebildet haben. Bei den vielen unter ihnen herrschenden Sprachen und Dialecten, welche unter einander oft nicht die geringste Aehnlichkeit besitzen, ist die Pantomimik von sehr großer Bedeutung. Mit Hilfe derselben unterhalten sich zwei Männer, welche ihrer mächtig sind, ganz gut, ohne ein Wort zu sprechen, ohne nur einen Begriff ihres wechselseitigen Dialectes zu haben. Die ›starke Hand‹ hatte einen Strich durch die Luft gemacht, hinten einen kleinen, abwärts gehenden und vorn zwei noch kleinere, aufrecht stehende. Das bedeutete einen Leib mit einem Schwanze und zwei Ohren: er verlangte ein Pferd. Und die hastige Weise, in welcher er diese Bewegungen gemacht hatte, bedeutete, daß das Pferd sehr schnell herbeigebracht werden solle. Dabei hatte er eine solche Stellung eingenommen, daß die beiden Maricopas nicht sehen konnten, daß er ein Zeichen gab.
Der feindliche Häuptling fühlte sich durch die Worte seines Begleiters ermuthigt. Er antwortete ihm:
»Meinst Du etwa, daß ich diese Männer fürchte? Sie nennen sich berühmt, aber wenn sie mich nicht um Verzeihung bitten, werde ich mit ihren Scalpen doch mein Wigwam schmücken!«
»Dasjenige des Dicken nehme ich!« stimmte der Maricopa bei, indem er nach seinem Messer griff.
Sam lachte laut auf und sagte:
»Vortrefflich! Der Einfall gefällt mir gar nicht übel. Du hängst meinen Scalp in Deinem Wigwam auf und dann besuche ich Dich, um zu sehen, wie er sich ausnimmt. Darauf gebe ich Dir zu Deiner Sicherheit mein Wort und auch noch als Handschlag diesen Nasenstüber.«
Er that einen schnellen, behenden Schritt und schlug dem Rothen die Faust von unten herauf mit solcher Wucht an das Kinn und an die Nase, daß er sofort zu Boden stürzte, von wo er sich nicht so bald wieder zu erheben vermochte. Blut drang ihm aus Mund und Nase.
In demselben Augenblick aber kniete Sam bereits über ihm, zog sein Messer und rief:
»Tödten will ich den Hallunken nicht, scalpiren auch nicht, denn ich bin kein Wilder. Aber die Locke nehme ich ihm. Das brandmarkt ihn Zeit seines Lebens. Warum hat er es gewagt, uns zu verhöhnen!«
Er zog die Scalplocke des Rothen scharf an, schnitt sie ab und warf sie weit von sich.
Dabei muß erwähnt werden, daß einige Indianerstämme das volle Haar tragen, selbst diejenigen aber, welche sich scheeren, auf dem Scheitel eine Locke stehen lassen. Sie wird die Scalplocke genannt. Wollte ein Indianer diese Locke nicht stehen lassen, damit, wenn er ja einmal von einem Feinde besiegt werde, dieser ihn nicht scalpiren könne, so wäre das ein Zeichen der Feigheit, wodurch er sich die Verachtung Aller zuziehen würde.
Diese Locke nun hatte Sam dem Maricopa abgeschnitten. Dies gilt für ganz dasselbe wie das Scalpiren; ja, es ist noch mehr als dieses, es entehrt den Betreffenden für die ganze Zeit seines Lebens. Während selbst der Tapferste seinen Feinden unterliegen und scalpirt werden kann, ist es eine große Schande, nur die Locke zu verlieren. Der Feind hat dann den Besiegten für so verächtlich gehalten, daß er sogar von seiner Scalphaut nichts wissen mag.
Auch dies war so schnell geschehen, daß der Häuptling der Maricopas gar keine Bewegung hatte machen können, seinem Gefährten beizustehen. Als er aber die Locke fliegen sah, stieß er einen lauten Wuthschrei aus und machte Miene, sich auf Sam zu stürzen. Das ging aber nicht so schnell, wie er es sich vorgenommen hatte. Sein Häuptlingsstaat hinderte ihn und Steinbach trat ihm entgegen.
»Halt!« sagte dieser. »Du hast meine Warnung und Ermahnung mißachtet. Ich werde Dir zeigen, daß der Fürst der Bleichgesichter nie umsonst warnt. Du bist mein Gefangener!«
»Dein – – Gefangener – –?« stieß der Maricopa hervor, mehr erstaunt, als erschrocken.
»Ja. Folge mir gutwillig!«
Er griff nach dem Mantel des Häuptlings. Dieser stieß die Hand, welche ihn erfassen wollte, zurück und rief:
»Weißer Hund! Eher stirbst Du!«
Er riß sein Schlachtbeil aus dem Gürtel, um sich zu vertheidigen, kam aber nicht zum Hiebe. Es passirte Etwas, was ihn vollständig verblüffte.
Nämlich in dem Augenblicke, als Sam auf dem Maricopa niederkniete, um ihm die Locke zu nehmen, und also die ganze Aufmerksamkeit des Häuptlings auf diesen blitzschnellen Vorgang concentrirt war, kam der ›flinke Hirsch‹ aus dem Thore des Missionsgebäudes geritten. Er parirte im vollen Galopp sein Pferd vor der Gruppe, so daß der Häuptling ihm den Rücken zukehrte, und sprang vom Pferde. Im nächsten Augenblick saß sein Oheim, die ›starke Hand‹, im Sattel, faßte mit der Linken den Zügel und ergriff mit der Rechten den ›eisernen Mund‹ hinten am Kragen seines ledernen Jagdhemdes. Er riß ihn mit einem gewaltigen Rucke zu sich auf das Pferd herauf, zog dieses herum und jagte davon, dem Hause entgegen.
Natürlich entfielen dem Häuptling Mantel, Schild, sein Schmuck und alle seine Waffen. Dabei schrie er laut um Hilfe. Es half ihm nichts. Er verschwand mit dem muthigen, riesenstarken Apachen in dem Innern des Gebäudes.
Es versteht sich ganz von selbst, daß sämmtliche Maricopas, als sie das sahen, ein fürchterliches Geheul erhoben und herbeigeeilt kamen.
»Zurück!« warnte Sam. »Zu viele Hunde sind selbst des Bären Tod.«
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