Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

44

»Wer das behauptet, dem schlage ich die Faust an den Kopf. Verstanden?«

»Was für ein Landsmann sind Sie denn?«

Ueber das männlich schöne Gesicht Steinbach's zuckte es lustig. Er nahm den breitkrämpigen Filzhut, welchen er auf hatte, höflich ab und antwortete:

»Sie sind wohl auch ein Deutscher?«

»Ja, freilich!«

»So erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen als einen Sachsen vorstelle!«

»Ein Sachse! Kreuzschockschwerenoth! Ist das möglich? Woher denn?«

Abermals leuchtete für einen Augenblick aus Steinbach's Augen der Schalk. Er antwortete ernsthaft:

»Sie werden das kleine Oertchen wohl nicht kennen. Ich bin aus Herlasgrün.«

»Her – – her – – –!«

»Ja, Herlasgrün,« nickte Steinbach.

Der Dicke war ganz perplex. Er stemmte die Arme in die Seiten und stammelte:

»Her – her – – las – lasgrün! Da schlage doch Gott den Teufel todt! Möchte man da nicht vor lauter Freude den Ofen einschmeißen!«

»Warum denn?«

»Ich bin ja auch aus Herlasgrün!«

»Sie machen Spaß!«

»Nein, nein! Ich heiße Samuel Barth – – –«

»Etwa der Knopfmacher?«

Das war dem Dicken doch zu toll. Er riß sich die Pelzmütze vom Kopfe, warf sie vor Freude zur Erde und schrie jubelnd:

»Gottstrambach, der Kerl kennt mich! Er kennt mich! Nein, so eine Weihnachten!«

»Natürlich kenne ich Sie,« sagte Steinbach, obgleich er in seinem ganzen Leben nicht in Herlasgrün gewesen war. »Ich war so eine kleine Kröte, als Sie nach Ruppertsgrün zu ihrer Gustel auf die Freite gingen.«

»Auch die Gustel kennt er! Ist so Etwas denn möglich! Und Steinbach heißen Sie? Sind Sie etwa Einer vom Fleischer Steinbach?«

»Ja, der Jüngste.«

»Und jetzt hier in der Sierra della Acha! Wenn mir noch einmal Einer behauptet, daß keine Wunder mehr geschehen, dem klopfe ich das Leder, daß er sich selbst für einen Kanonenstiefel halten soll! Wie geht es denn jetzt in Herlasgrün?«

»Ich danke! Ganz gut. Vor zwei Jahren hat Winters Ziege zwei Karnickel geworfen, und nur eine Woche später hat der Stadtrath wegen der heißen Hundstage dem Kirchthurm einen grünseidenen Sonnenschirm machen lassen.«

»Wie – wa – wo – – hören Sie, Sie scheinen ein ziemlicher Nichtsnutz zu sein!«

»Das nicht. Ich mache nur gern Spaß, mein lieber Sam der Dicke.«

»Verteufelt! Jetzt kennt er meinen Trappernamen!«

»Ich kenne auch noch andere. Sind diese Beiden hier nicht die Masters Jim und Tim Snaker?«

»Ja, sie sind es. Woher wißt Ihr das?«

»Woher? Wenn man irgendwo im Westen auf einen recht Dicken trifft, der zwei recht Dünne bei sich hat, so heißen diese drei Kerls sicherlich Sam, Jim und Tim. Das weiß doch alle Welt.«

»Sehr viel Ehre! Aber, sagt mir einmal, was Ihr eigentlich hier oben in der Sierra wollt. Ihr habt ja nicht einmal ein Gewehr bei Euch!«

»Nicht? Nun, wenn ich keins habe, so werde ich wohl keins brauchen, sonst hätte ich sicherlich eins mit. Hier ist doch wohl der Silbersee?«

»Ja.«

»Da wohnt ein Master Wilkins?«

»Ja. Was wollt Ihr bei ihm? Ihr kommt doch nicht etwa von einem gewissen Burkers?«

»O nein. Ich kenne keinen Burkers. Einen Burkert kenne ich, der war Erbsenwächter in der Oberwiere bei Altenburg, aber keinen Burkers. Der mich schickt, das war ein gewisser na, wie war doch gleich der Name! Es war ein so indianisches Wort, obgleich der Mann ein Deutscher war, so ähnlich wie Tan – tan mi oder Talmi oder – – –«

»Etwa Tan-ni-kay?« fragte Sam rasch.

»Ja, ja, so war der Name.«

»Alle Teufel! Also haben Sie mit dem Fürsten der Bleichgesichter gesprochen?«

»Habe keine Ahnung davon. Der Mann nannte sich so und hatte einen Indianer bei sich, der hieß La – la – la – la – – –«

»Lata-nalga?«

»Ja, so hieß er.«

»Das war also die ›starke Hand.‹ Sapperment! Diese Beiden schicken uns wohl eine Botschaft?«

»So ähnlich. Ich soll herauf an den Silbersee reiten zu Master Wilkins und ihm sagen, der dicke Sam würde mit seiner Gustel aus Ruppertsgrün kommen und ihn warnen; Master Wilkins solle sich aber nicht fürchten, denn die Zwei, welche mich senden, wären hinter den Kerls her und würden die Ankunft derselben melden und zur geeigneten Zeit selbst hier oben eintreffen.«

»Gott sei Dank!« sagte Wilkins. »Diese Botschaft ist mir von hohem Werthe. Sie beruhigt mich vollends, obgleich ich schon vorher keine Furcht hatte.«

»Ich bin also an die richtige Adresse gekommen?«

»Ja, Master Steinbach.«

»Nun, so kann ich wieder gehen.«

Er wendete sein Pferd um; da aber griff Sam demselben schnell in die Zügel, obgleich er vorhin so schlimme Erfahrung gemacht hatte, und sagte:

»Was fällt Euch ein! Ich hoffe doch nicht, daß Sie so schnell wieder gehen werden!«

»Warum nicht? Der Empfang, den ich gefunden habe, war kein sonderlich einladender.«

»Das müssen Sie verzeihen. Wir hielten Sie nämlich für einen Spitzbuben.«

»Sapperlot! Habe ich denn ein so Spitzbubengesicht?«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich kann sogar sagen, daß mir Ihr Gesicht ganz und gar gefällt.«

»Schön! So haben Sie Ihr Versehen wieder gut gemacht; ich gehe aber trotzdem fort.«

Da sagte Wilkins zu ihm:

»Wenn ich Sie bitte, sich bei mir auszuruhen, so hoffe ich, daß diese Bitte mir nicht abgeschlagen wird.«

Steinbach's Auge ruhte mit einem eigenthümlich forschenden Blick auf dem Sprecher. Er antwortete:

»Ich würde Ihrem Wunsche sehr gern entsprechen; aber es ist mir leider unmöglich. Die Botschaft, welche ich Ihnen brachte, hat mir einen Theil meiner Zeit genommen, die ich so nothwendig brauche. Ich muß diesen Verlust wieder einholen.«

»Darf man nicht vielleicht erfahren, was Ihre Zeit so kostbar macht? Die Rasters pflegen sonst doch immer genug Mühe zu haben.«

»Bei mir ist es anders. Ich habe nämlich eine Privataufgabe zu erfüllen. Ich suche einen verschwundenen Menschen.«

»Hier? Im Indianergebiete?«

»Ja.«

»Da dürfte Ihre Mühe vergeblich sein.«

»Seine Spur führt hierher.«

»So ist er wohl todt. Ich kenne alle Weißen im weiten Umkreise. Darf ich fragen, wie der Mann heißt, um den es sich handelt?«

»Adler.«

»Adler? Ah! Sein Vorname?« fragte Wilkins schnell.

»Martin.«

»Martin Adler? Höre ich recht? Welcher Nationalität war der Mann und welchen Beruf hatte er?«

»Er war ein Deutscher und soll zuletzt in den Vereinigten Staaten als Verwalter oder Oberaufseher einer Pflanzung in Arkansas thätig gewesen sein. Aber was haben Sie, Master Wilkins?«

»Sie sehen mich im höchsten Grade betroffen. Ein Martin Adler war vor ungefähr fünf Jahren als Oberaufseher bei mir angestellt.«

»Hier?«

»O nein, Ich wohnte damals in Arkansas.«

»In Wilkinsfield?«

»Ja. Die Pflanzung war nach unserem Familiennamen genannt worden, Kennen Sie den Ort?«

»Freilich; ich war dort.«

»Welch' ein Zusammentreffen! Ist das Zufall oder Gottes Schickung. Sie suchen denselben Mann, welchen ich Jahre lang gesucht habe, ohne ihn zu finden! Es kann keine Rede davon sein, daß ich Sie fortlasse. Sie bleiben bei mir. Sie theilen mir mit, was Sie wissen, und ich sage Ihnen, was ich weiß. Auf diese Weise kommen wir zu einem Resultate. Und wenn es auch nur dasjenige wäre, zu erfahren, daß und wann und wo er gestorben ist.«

Steinbach that, als ob er noch zögere. Da sagte Sam:

»Unsinn! Sie gehen mit uns, Landsmann, sonst haben Sie es mit mir zu thun. Sie werden es nicht bereuen, denn Sie lernen meine Auguste kennen und ihre Verwandten, welche aus der Gegend von Zeulenroda stammen. Er ist Förster und hat bei einem Herrn von Adlerhorst in Dienst gestanden. Also kommen Sie! Man läuft doch nicht so schnell wieder auseinander!«

Steinbach horchte auf.

»Adlerhorst?« fragte er. »Hat denn ein Herr dieses Namens Besitzungen in jener Gegend?«

»Ja, wie mir der Förster sagte.«

»Wie war der Vorname dieses Adlerhorst?«

»Das weiß ich nicht mehr, wenn ich den Namen überhaupt gehört habe. Wenn Sie es gern erfahren wollen, müssen Sie eben mit uns gehen. Sie sehen, daß es besser für Sie ist, nicht so schnell fort zu reiten.«

»Nun, so will ich mich erbitten lassen. Ich bleibe da.«

»Das wird auch für Ihr Pferd besser sein. Der alte Gaul ist so abgetrieben und abgemagert, daß es Einem ordentlich leid thun kann. Er mag einige Tage hier grasen, damit er sich wieder Fleisch anfrißt.«

»Ja, das alte Pferd taugt gar nicht viel. Aber ein armer Holzfäller, wie ich bin, bringt es eben selten zu einem guten Mustang. Man muß zufrieden sein mit Dem, was Andere nicht mehr gebrauchen können.«

Er hatte dabei ein Wenig eigenthümlich gelächelt und stieg vom Pferde. Als die Männer nun langsam am Ufer des Sees dahinschritten, um nach der Mission zurückzukehren, lief das Pferd wie ein Hund hinter seinem Herrn her. Es ließ die Ohren und den Schwanz hängen und bot dabei ein ganz und gar trauriges Aussehen. Als aber zufälliger Weise ein Geier von einem nahen Felsen aufstieg und einen schrillen Schrei ausstieß, warf es den Kopf und den Schwanz in die Höhe, spitzte die Ohren und funkelte mit den Augen, daß es eine Art hatte. Es sah den Vogel emporkreisen und ließ Kopf und Schwanz wieder sinken. Es hatte sich überzeugt, daß der Schrei nicht die Nähe einer Gefahr bedeute. Sam hatte diese Bewegungen nicht bemerkt, sonst hätte er seine Ansicht über das Thier jedenfalls geändert.

Ein Anderer hatte ein besseres Auge dafür. Als sie nämlich in die Nähe des Gebäudes gelangten, kam ihnen der junge Indianer entgegen, welcher vorher mit Almy ausgeritten war.

»Das ist ein Indsmen, welcher trotz seiner Jugend bereits wegen seiner Tapferkeit, Klugheit und besonderen Schnelligkeit bekannt ist,« sagte Wilkins zu den Anderen. »Wegen der letzteren, von welcher er bereits bedeutende Proben abgelegt hatte, wird er der »flinke Hirsch« genannt.«

Der Indianer blieb achtungsvoll stehen, um sie vorüber lassen. Kaum aber erblickte er Steinbach's Pferd, so stieß er den indianischen Ruf der Verwunderung aus:

»Uff, uff!«

»Worüber wundert sich mein rother Bruder?« fragte Sam.

Der Indsmen betrachtete Steinbach mit einem scharfen Blicke und antwortete:

»Ist dieses Bleichgesicht ein Freund der Taube?«

»Ja.«

»Da Du es sagst, will ich es glauben, sonst hätte ich ihm das Messer in die Brust gestoßen.«

»Warum?«

»Die »starke Hand« hat mir befohlen, die Taube zu beschützen, und so darf ich keinen Dieb in ihre Nähe kommen lassen.«

»Hältst Du ihn für einen Dieb?«

»Da er Euer Freund ist, kann er keiner sein, sonst aber hätte ich es sicher angenommen.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil er wie ein Seste-tsi aussieht, und er ist doch keiner.«

Das apachische Wort Seste-tsi heißt Baumtödter. Der Indianer meinte damit Raster, Holzfäller. Sam fühlte sich betroffen und fragte:

»Warum soll er keiner sein?«

»Frage ihn selbst. Der »flinke Hirsch« kann nicht wissen, warum ein Bleichgesicht sich ein falsches Angesicht giebt. Ist dieser Euer Freund auch der Freund der »starken Hand«?«

»Ja. Die »Starke Hand« hat ihn zu uns gesendet.«

»Uff! So könnt Ihr ihm vertrauen wie ich selbst ihm vertraue.«

Er blickte Steinbach ehrfurchtsvoll an und legte dabei die Hand auf Stirn und Herz, zum Zeichen des unterthänigen Grußes. Dabei ging ein pfiffiges, selbstbewußtes Zucken über sein Gesicht, als ob er Steinbach sagen wolle, daß er ihn durchschaut habe, aber nichts sagen werde. Dann schritt er weiter.

»Was mag er wohl meinen?« fragte Sam. »Wissen Sie es, Herr Steinbach?«

»Wenn Sie es nicht wissen, meinen Sie da, daß ich es wissen kann, der ich ihn zum ersten Male sehe?«

»Hm! Er machte Ihnen ein so eigenthümliches Gesicht.«

»Ich kann nicht dafür.«

»Aber Sie warfen ihm auch so ein Lächeln hin, als ob Sie ihm sagen wollten: Schon gut! Gehe nur immer weiter; wir verstehen uns ja! Fast möchte ich glauben, daß Sie irgend ein Geheimniß mit einander haben. Aber Sie haben sich doch noch gar nicht gesehen. Er hielt Sie für einen Spitzbuben.«

»Sie selbst haben mich ja für einen gehalten.«

»Na, ich hoffe, daß ich mich wirklich getäuscht habe, sonst würde es Ihnen traurig ergehen, trotzdem Sie mein Landsmann sind.«

»Ja, das ist wahr, Sir,« bestätigte Tim, sich an Steinbach wendend. »Wir würden Euch die Seele ein Wenig aus dem Leibe herausquetschen.«

»Wirklich?« lächelte Steinbach. »Wie wolltet Ihr das wohl anfangen.«

»Das könnte ich Euch zeigen, wenn es mir nicht leid um Eure Knochen thäte.«

»O bitte, um meine Knochen braucht es Euch gar nicht sehr bange zu sein. Ich möchte wirklich gern wissen, wie Ihr Euch bei so einer Seelenherausquetscherei benehmen würdet.«

»Na, wenn es Euch wirtlich Spaß macht, will ich es Euch zeigen, wie man die Seele aus dem Leibe drückt. Das fängt man nämlich so an:«

Der »Prairiejäger läßt nicht gern eine Gelegenheit, seine Kraft und Gewandtheit zu zeigen, vorübergehen. So auch der lange Tim. Er ergriff mit der linken Hand Steinbach beim Halse und mit der Rechten beim Gürtel, um ihm empor zu heben und zur Erde zu werfen. Da er von starkem, knochigem und sehnigem Körperbau war, eine gute, langjährige Uebung besaß und seine jetzige Bewegung mit außerordentlicher Schnelligkeit und Sicherheit ausführte, so wäre ihm der Angriff wohl gelungen, wenn er nicht eben gerade gegen Steinbach gerichtet gewesen wäre. Es hatte ganz den Anschein, als ob Tim Sieger sein werde, denn Steinbach that, als ob er ganz erschrocken sei und blieb stehen, ohne eine Hand zu rühren. Nur die Füße hat er auseinander gesetzt.

»Halt, Tim! Mache keine Dummheiten!« sagte Sam. »Du könntest ihm Schaden thun!«

»Keine Angst, Master Sam!« lachte Steinbach. »Den Schaden würde er sich nur selbst thun. Wollen doch sehen, wie lange er an mir herum hanthiren wird.«

Er stand mit ausgespreizten Beinen da, und zum größten Erstaunen gelang es Tim bei aller Anstrengung nicht, ihn aufzuheben oder auch nur um einen Zoll vom Standpunkte, den er einnahm, zu entfernen.

»Verdammt!« keuchte der Lange. »Das geht doch mit dem Teufel zu! Das ist mir noch nicht passirt!«

»Drücke doch drauf, Tim!« rief sein Bruder Jim. »Du mußt Dich ja sonst schämen!«

»Mache es besser, wenn Du kannst.«

»Natürlich werde ich es können! Paß auf!«

Jim packte Steinbach schnell von der anderen Seite.

»Oho! Zwei gegen Einen!« lachte Steinbach. »Da muß ich Euch doch zeigen, wie es ein Holzfäller macht!«

Er ergriff Jim mit der Rechten und Tim mit der Linken oberhalb des Gürtels bei den Jagdhemden, stieß sie so kräftig von sich ab, daß sie ihre Hände loslassen mußten, riß sie wieder an sich, so daß sie den festen Halt verloren, und hob sie hoch vom Boden empor. Um eine Stütze zu finden, hielten sich die beiden Brüder einander selbst beim Leibe. Steinbach that drei, vier schnelle Schritte zum Wasser des See's hin, riß die Zwei einige Male auf und nieder und setzte sie dann, indem er sie plötzlich fahren ließ, in das Gras.

»So, da sitzt Ihr, Mesch'schurs!« meinte er munter. »Ich hätte Euch recht gut da in den See werfen können, wenn es sich nicht um einen bloßen Spaß handelte. Das werdet Ihr doch zugeben.«

Die Brüder sahen sich erst einander und dann ihn mit einem so unendlich erstaunten Ausdrucke an, daß er in ein lautes Lachen ausbrach.

»Verdammt!« keuchte Jim.

»Verflucht!« hustete Tim.

»Das ist doch eigentlich unmöglich!«

»Unglaublich! Noch nie da gewesen!«

»Ich bin auch ganz starr!« sagte Sam der Dicke. »Man möchte seinen eigenen Augen gar nicht trauen. Das ist doch eine wahre Elephantenstärke!«

»Machen Sie es einmal nach, Master Barth,« meinte Steinbach zu dem Erstaunten.

»Unsinn! Das macht Ihnen überhaupt Keiner nach. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, daß aus Herlasgrün so ein Goliath kommen könne. Packt dieser Mensch die beiden Kerle hier an der Brust und hebt – –«

»Halt! Fort!« rief Steinbach.

Sam hatte nämlich, um seine Worte zu erklären, Steinbach bei der Brust gepackt, erhielt aber, obgleich er von diesem augenblicklich bei Seite gerissen wurde, einen solchen Streifhieb über den Rücken, daß er zu Boden stürzte.

»Donnerwetter!« rief er, sich schnell aufraffend. »Wer war der Hallunke?«

Aber er sprang augenblicklich zur Seite, sonst hätte er einen zweiten Hieb erhalten, der dieses Mal wohl gefährlicher ausgefallen wäre. Nämlich Steinbach's Pferd hatte sich herumgedreht und mit den beiden Hinterhufen nach ihm ausgeschlagen. Den Kopf zurückgewendet, funkelte es ihn mit zornigen Augen an und fuhr, genau auf ihn zielend, mit den Schlägen so anhaltend fort, daß er eine ganze Strecke retirirte und ergrimmt ausrief:

»Verdammtes Biest! Ein Glück, daß mich der erste Hieb nur streifte! Ich wäre des Todes gewesen.«

»Ja, ich hatte gerade noch Zeit, Sie zurückzuzerren,« bemerkte Steinbach. »Der Gaul ist brav.«

»Was!« rief Sam. »Wenn das Viehzeug ehrliche Leute todtschlägt, nennen Sie es brav?«

»Natürlich! Das Pferd will mich beschützen.«

»Beschützen? Unsinn! Sie wollen mir doch nicht etwa weiß machen, daß die Bestie nach mir geschlagen hat, blos weil ich Sie angegriffen habe!«

»Blos deshalb!«

»Pshaw! Warum hat sie dann nicht vorher nach Jim und Tim geschlagen?«

»Weil der brave Gaul sofort sah, daß ich diese beiden Mesch'schurs in die Höhe nahm. Eine Fortsetzung des Kampfes hat er aber doch nicht dulden wollen.«

»Sollte man es denken! Er vertheidigt seinen Herrn! Von so Etwas habe ich noch nie gehört. Für Andere ist das unter Umständen verhängnisvoll, für seinen Herrn aber vortheilhaft. Wer hat es ihm denn so beigebracht?«

»Von einer Dressur ist dabei wohl nicht die Rede. Das Pferd ist eben ganz von selbst so treu und anhänglich, daß es seinen Herrn in Schutz nimmt. Sie mögen sich also in Zukunft in Acht nehmen, daß Sie mich nicht falsch angreifen, Sir!«

»Wer hätte das den mageren Racker angesehen!«

Er betrachtete jetzt das Pferd genauer. Steinbach nickte mit dem Kopfe und sagte:

»Man kann sich eben in den Thieren gerade so irren wie in den Menschen. Ich bin der Meinung, daß dieses Pferd stets so gut genährt gewesen ist wie jetzt.«

»Dann ist es zu bedauern, denn in diesem Falle hat es stets Hunger gelitten.«

»Oho! Ich lasse mein Thier nicht Hunger leiden. Eierkuchen und Gänsebraten kann ich freilich nicht füttern, aber Sie haben gesehen, daß es mir nachgelaufen ist, wie ein Hund, ohne sich nach einem Grashalm oder nach dem Wasser des Sees zu bücken. Es hat also keine Spur von Hunger noch von Durst.«

»Aber diese Magerkeit, dieser Knochen!«

»Nicht alle Geschöpfe können so dick und fett sein wie Sie, Mister Sam. Aber bekommen die Misters Jim und Tim etwa weniger zu essen als Sie, weil sie so mager und knochig sind, noch mehr als mein Gaul?«

»Das ist Rasse.«

»Nun, so ist es bei meinem Pferde eben auch Rasse. Vielleicht werden Sie bald eine andere Meinung von ihm haben.«

Sie gingen jetzt weiter, auf das Missionsgebäude zu. Die alte indianische Thorhüterin hatte sie bereits von Weitem kommen sehen, und das Thor geöffnet. So konnten sie hinein, ohne warten zu müssen. Das Pferd lief mit hinein, hinter seinem Herrn her, als ob sich dies ganz von selbst verstehe.

Natürlich wurde nun auch Steinbach in den alten Speisesaal geführt, um zunächst einen Imbiß zu sich zu nehmen, wie die Gastfreundschaft es erforderte. Die Anderen gingen mit, theils um ihm Gesellschaft zu leisten, theils um Mehreres zu hören. Es verstand sich ganz von selbst, daß Sam seine Braut und deren Verwandten brachte, um sie dem neuen Ankömmling zu zeigen, von welchem er fest glaubte, daß er aus Herlasgrün sei.

Wilkins war am wißbegierigsten von Allen. Er fragte, als Sam seine Vorstellung der erwähnten Personen noch kaum beendet hatte, Steinbach:

»Nun, Sir, eßt und trinkt, und laßt Euch nicht stören. Eine solche Störung wird es hoffentlich nicht sein, wenn ich mich nach Dem erkundige, was ich so bald wie möglich erfahren möchte.«

»Fragt nur in Gottes Namen, Master Wilkins! Neben dem Kauen und Schlingen wird man wohl einige Worte antworten können.«

»Nun, so bitte ich Euch, mir zu sagen, in welchem Verhältnisse Ihr zu Dem steht, den Ihr sucht. Ich meine natürlich meinen früheren Oberaufseher Adler.«

»Das will ich Euch sagen, obgleich ich nicht davon sprechen soll. Ich bin ein Wenig verwandt mit ihm.«

»Hm! Das ist sonderbar. Es hieß doch allgemein, daß er aus einer adeligen Familie von drüben stamme.«

»Möglich.«

»So müßtet auch Ihr adelig sein.«

»Das ist nicht nothwendig. Es ist sehr oft, daß Adelige und Bürgerliche verwandt mit einander sind.«

»Das muß ich freilich gelten lassen. Er hat nie von seiner Heimath und seiner Vergangenheit gesprochen. Wäre es nicht möglich, daß ich darüber von Euch ein Weniges erfahren könnte?«

»Gewiß könnte ich Euch Auskunft ertheilen; aber da er selbst nie davon gesprochen hat, so hat er jedenfalls beabsichtigt, die Sache geheim zu halten. Daher halte ich es für meine Pflicht, seinen Willen zu ehren. Ihr werdet mir das wohl nicht übel nehmen. Vielleicht kommt die Zeit, in welcher es mir erlaubt ist, Euern Wunsch zu erfüllen. Sprechen wir darum lieber von seiner späteren Vergangenheit, seiner Gegenwart und Zukunft. Es liegt uns das viel näher und wird auch für Sie viel mehr Interesse haben.«

»Na, was seine Gegenwart und Zukunft betrifft, so läßt sich nicht viel darüber sagen, oder vielmehr gar nichts. Wir wissen eben nichts. Und was meint Ihr wohl mit seiner spätern Vergangenheit?«

»Unter seiner frühern Vergangenheit verstehe ich sein Leben drüben in der Heimath, unter seiner spätern aber seinen Aufenthalt bei Euch. Wie ist er denn eigentlich zu Euch gekommen?«

»Durch einen Agenten in New-Orleans, dem ich Auftrag gegeben hatte, mir einen Oberaufseher zu beschaffen. Er schickte ihn mir unter vortrefflichen Empfehlungen. Er hatte ihn in New-Orleans kennen gelernt und so lange mit ihm verkehrt, daß er ihn mir als einen passenden, kenntnißvollen und zuverlässigen Beamten empfehlen konnte.«

»Und Ihr seid mit ihm zufrieden gewesen?«

»Außerordentlich. Er war verschiedene Jahre lang Westmann gewesen und kannte das Land so gut, daß er mir selbst in den schwierigsten Fällen der beste Berather gewesen ist. Ich habe ihn fast wie einen Sohn lieb gehabt, und er hing an mir mit solcher Hingebung, daß er sich schließlich für mich aufgeopfert hat. Wie die Sachen stehen, muß ich annehmen, daß er für mich in den Tod gegangen ist.«

»Ihr meint also, daß er nicht mehr lebt?«

»Das ist meine Ueberzeugung, obgleich ich Jahre lang das Gegentheil sehnlichst gehofft habe.«

»Wie ist denn das Alles gekommen?«

»Habt Ihr denn nichts davon gehört?«

»Ein Weniges. Es gab auf Wilkinsfield zwei Negerinnen, welche bereits damals dort gewesen sind. Ich glaube, sie wurden My und Ty genannt. Von denen habe ich – – –«

»Was? Die sind noch dort?« fiel Wilkins ein.

»Ja. Sie haben mir Einiges erzählt, freilich in der Art, wie Negerinnen erzählen: man muß sich Alles selbst zusammenreimen. Darum ist mir auch sehr Vieles unklar geblieben.«

»War denn Leflor nicht da?«

»An ihn habe ich mich gar nicht gewendet. Er hätte mich doch nur falsch berichtet.«

»Oder sein Verwalter, sein Oberaufseher, welcher auch ein Deutscher war und Adlers Freund gewesen ist?«

»Der war fort. Ich hörte, daß er fortgegangen sei, weil er nicht mit Leflors Verhalten gegen Euch einverstanden gewesen ist. Es mag da vor seinem Weggange einige arge Scenen gegeben haben. Um der Sache besser auf die Spur zu kommen, nahm ich mir vor, mit Euch selbst zu reden.«

»Ihr habt nach mir gesucht?« fragte Wilkins im Tone des Staunens.

»Ja.«

»Aber Ihr wußtet doch nicht, wo ich zu finden bin!«

»Das wußte freilich gar Niemand. Man hat Euch ja von Amtswegen gesucht, um Euch wegen Mordversuchs den Prozeß zu machen, Euch aber glücklicher Weise nicht gefunden.«

»Daher erscheint es mir wunderbar, daß Ihr auf meine Spur gerathen seid.«

»Pshaw! Ich bin ein Rafter.«

Er sagte dies mit einem ironisch bescheidenen Tone. Der dicke Sam fiel sogleich ein:

»Das ist auch etwas Rechtes, ein Rafter zu sein.«

»Warum, Master Barth.«

»Ein Rafter ist nichts weiter als ein Holzdieb. Er verbindet sich mit andern Rafters zu einer Bande, welche eine passende Stelle im Congreßland oder in dem Besitzthume eines Andern aufsuchen, die besten Bäume niederschlagen, zu Flößen verbinden und stromabwärts bringen, um sie zu verkaufen. Kein einziger Baum, der ihnen auf diese Weise Geld einbringt, war ihr rechtmäßiges Eigenthum. Sie sind Forstspitzbuben, Holz- und Wilddiebe, und zwar die gefährlichsten, welche es nur giebt; denn wenn der rechte Eigenthümer kommt, um ihr Treiben sich zu verbitten, so lachen sie ihn doch nur aus und schießen ihn unter Umständen gar ohne Weiteres todt. Also rühmt Euch ja nicht etwa, ein Rafter zu sein, Landsmann. Wenn Eure Verwandten drüben in Sachsen, in Herlasgrün wüßten, daß Ihr ein solcher Kerl geworden seid, so drehen sie sich im Grabe um, noch ehe sie gestorben und begraben sind.«

»Macht die Sache nicht gar so schlimm!«

»Es ist so, wie ich sage. Uebrigens treiben sich die Rafters nur in der Nähe der Flüsse herum. Sie brauchen ja das Wasser, um ihre Flösse zu transportiren. Kenner des Landes, Pfadfinder sind sie also nicht, und Spürnasen haben sie auch nicht. Ich begreife also gar nicht, wie Ihr sagen könnt, daß Ihr die Spur unseres Master Wilkins gefunden habt, weil Ihr ein Rafter seid. Zu einem ordentlichen Scout gehört doch mehr, als ein Rafter sein kann.«

»Ihr habt Euch da wirklich ganz in Zorn und Aerger hinein geredet!« lachte Steinbach.

»Es ist auch darnach. Ihr seid zwar ein Landsmann von mir, aber noch ein Neuling in der Prairie. Ihr habt weder ein Gewehr noch Pulver, Blei und Schrotbeutel. Ein Beil und ein Messer, das ist Alles, was Ihr habt, und damit thut Ihr so dick, als ob Ihr die ganze Savanne zum Frühstück auffressen und den Mississippi dazu austrinken wolltet. Hier sind auch noch Leute, und von denen könnt Ihr Etwas lernen. Merkt Euch das! Verstanden?«

»Ja, mein lieber Master Sam, Ihr habt Recht. Ich bin ein Bischen unbescheiden gewesen. Der Mensch soll nicht dicker thun, als er ist. Ich will mir das in Zukunft abgewöhnen. Seid Ihr mit dieser Erklärung vielleicht zufrieden?«

»Ich muß wohl. Haltet aber auch nur Wort!«

Steinbach blinzelte ihn von der Seite an und sagte:

»Ich halte Wort, obgleich ich Eure Gedanken errathe.«

»Das sollte Euch wohl schwer werden!«

»Leichter als Ihr denkt.«

»Oho!«

»Sie stehen Euch im Gesicht geschrieben. Man kann sie sehr leicht errathen, wenn man nur aufpaßt, nach welcher Seite Ihr immer schielt. Ein Rafter kann auch scharfe Augen haben, obgleich er ein Spitzbube ist.«

»Gerade Spitzbuben brauchen scharfe Augen. Was habt Ihr den Eurigen gesehen?«

»Daß Ihr immer hinüber zu der guten Frau Auguste schielt.«

»Hm! Das werde ich als ihr Schatz, Geliebter, Verliebter und Verlobter wohl dürfen!«

»Ganz gewiß. Aber was Ihr dabei denkt, das ist die Hauptsache.«

»Nun, was denke ich denn?«

»Ihr seid sonst ein ganz guter, lieber und friedfertiger Mann. Wenn wir unter uns gewesen wären, hättet Ihr sicherlich nicht so sehr auf die Rafters geschimpft, mich einen Neuling genannt und mir gesagt, daß ich von Euch noch lernen könne. Da aber Eure Gustel anwesend ist, muß der Knopfmacher dicke thun, damit sie ihn für einen großen Kerl hält.«

»Knopfmacher?« brauste Sam auf.

»Ja. Wenn der Tauber der Täubin oder der Hahn der Henne den Hof macht, so spreizt er die Flügel aus, so weit er kann.«

»Verdammt! Was habt Ihr Euch um meine Flügel zu bekümmern?«

»Ich will Euch nur ebenso ein Wenig ärgern, wie Ihr mich geärgert habt. Vielleicht könnt Ihr von mir auch noch Etwas lernen.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Das werdet Ihr noch merken.«

»Oho! Dicke thun, das kann ich von Euch lernen, weiter nichts. Aber das ist nicht nothwendig, denn ich habe bereits so viel Fleisch unter der Haut, daß ich Eure Weisheit nicht noch brauche.«

»Schön! So will ich sie in Zukunft für mich behalten.«

»Daran werdet Ihr sehr wohlthun, liebes Männchen. Tretet erst die Prairie und den Urwald einmal so breit, wie ich es gethan habe, dann könnt Ihr mit reden, jetzt aber noch lange nicht. So ein Nesthäkchen denkt, ein großer Kerl zu sein, weil er aus dem berühmten Herlasgrün stammt! Damit ist aber nichts!«

»Herlasgrün berühmt?«

»Ja!«

»Weshalb?«

»Weil ich dort geboren bin!«

»Ach so! Richtig!«

Alle lachten herzlich ob des gar nicht etwa im Ernst geführten Streites. Dann wendete Steinbach sich an Wilkins mit der Bitte, ihm doch zu erzählen, wie er veranlaßt worden sei, seine Besitzung zu verlassen. Der Aufgeforderte gab ihm den geforderten Bericht und fügte hinzu:

»Hier diese Herren, Sam Barth, Jim und Tim haben dabei auch eine Rolle mitgespielt. Ich folgte leider ihrem Rathe nicht. Die Papiere, welche Leflor von Walker gekauft hatte, waren unanfechtbar. Ich mußte die schöne Besitzung, den Preis einer fast lebenslangen Arbeit, hergeben, ohne einen Heller dafür zu empfangen, und sollte sogar noch Schulden haben und bezahlen. Ich konnte es nicht; da kam das Schuldgefängniß. Ich salvirte mich und hatte vorher noch einen Auftritt mit Leflor, welcher mir die Polizei auf den Hals brachte. Ich ging also fort.«

»Gleich nach dem Westen?«

»Ja.«

»Mit Ihrer Tochter?«

»Ja. Sie wollte mich nicht allein gehen lassen. Das Geld, welches sie sich von Gelegenheitsgeschenken gespart und durch den Verkauf ihrer Schmucksachen gelöst hatte, war Alles, was wir besaßen. Es hat nicht lange gereicht.«

»Aber Ihr seid nicht sogleich hierher nach dem Silbersee gekommen?«

»O nein. Ich mußte meinen Neffen aufsuchen. Seine Spur führte nach Santa Fé, wo er den Verkauf mit Walker abgeschlossen hatte – – –«

»Schwindel! Lüge!«

»Sie irren. Er ist es gewesen; er hat es wirklich gethan. Ich wollte es auch nicht glauben; ich hatte es für unmöglich gehalten, daß er mir so einen schlechten Streich spielen werde. Aber er hat sich bei der Behörde legitimirt. Er ist es gewesen.«

»Und dennoch zweifle ich.«

»Ich nicht.«

»Wohin ist er dann gegangen?«

»Das wußte kein Mensch. In Santa Fé hatte seine Spur ein Ende. Aber, wie ich Euch eben erzählt habe, war mein Oberaufseher Adler gleich nach jenen Vorgängen in Wilkinsfield nach Santa Fé aufgebrochen, um Nachforschungen zu halten. Er war nicht wieder gekommen. Ich fand in Santa Fé seine Fährte. Sie führte nach dem Süden, nach Mexiko hinein. Ich reiste ihm nach; aber all mein Suchen ist vergeblich gewesen. Entweder ist er in der Llano estacada oder in der Bolson mapimi zu Grunde gegangen. In einer dieser beiden Wüsten hat er sein Ende gefunden.«

»Hm! Sollte man nicht doch Hoffnung haben dürfen?«

»Nein. Ich habe sie lange Zeit gehegt, jetzt aber vollständig aufgegeben. Ich traf auf meinen rastlosen Wanderungen auf »starke Hand,« den Apachen-Häuptling, und hatte Gelegenheit, ihm einen Dienst zu erweisen. Er erfuhr, daß ich nicht nach dem Osten zurückdürfe, weil ich mit der Polizei in Conflict gerathen sei, und bot mir aus Dankbarkeit hier dieses Asyl an. Ich habe es angenommen. Es liegt so recht mitten im Abenteuergebiete und gab mir Gelegenheit, meine Forschungen nach allen Richtungen fortzusetzen. Ich wurde der Freund und Rathgeber der Apachen und Comanchen. Ich schlichtete die Streitigkeiten dieser beiden Völker. Ich bin mit meiner Tochter bei ihnen geradezu in den Geruch der Heiligkeit gekommen, und sie stehen mir so zu Diensten, daß ich durch sie die ausgedehntesten Erkundigungen nach den beiden Verschollenen vornehmen konnte. Vergebens! Lebte mein Neffe oder Adler noch, so hätte ich es sicherlich erfahren. Sie sind also Beide todt. Das ist gewiß.«

Steinbach schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich bin gewöhnt, so lange zu hoffen, bis der Beweis des Gegentheiles unumstößlich ist. Zeigt mir das Grab oder die Leiche Adlers, dann muß ich überzeugt sein, daß er todt ist; bis ich aber das nicht gefunden habe, halte ich es für möglich, daß meine Hoffnung noch in Erfüllung gehen könne.«

»O, Weib, Dein Glaube ist stark! sagt Christus in dem Evangelium. Hat Euch denn Adlers Familie Auftrag gegeben, ihn zu suchen?«

»Eigentlich nicht, wie ich offen gestehen will. Da ich aber seiner Spur gefolgt bin und bei Euch neue Anhaltepunkte gefunden habe, so nehme ich mir ganz natürlich fest vor, in meinen Nachforschungen fortzufahren.«

»Lieber Master Steinbach, ich kann Euch nur rathen, davon abzulassen.«

»Warum?«

»Weil Ihr Euch nicht nur vergebliche Mühe macht, sondern weil ich auch befürchte, daß – –«

Er hielt inne.

»Was befürchtet Ihr?«

»Daß Ihr ebenso zu Grunde geht, wie die Beiden, welche wir suchen, ja noch viel leichter und schneller wie sie.«

»Meint Ihr?«

»Ja, gewiß!«

»Und warum leichter und schneller als sie?«

»Weil Ihr nicht mit den Mitteln ausgerüstet seid, wie diese Beiden.«

Steinbach fixirte ihn lächelnd und fragte:

»Nun, welche Mittel haben sie denn besessen?«

»Mein Neffe hat in Santa Fé den ganzen Preis für Wilkinsfield ausgezahlt erhalten und war also mit einem wirklichen Reichthume ausgerüstet. Adler aber war ein tüchtiger Westmann. Er konnte sich das Wagniß, dem Ersteren nachzuspüren, zutrauen.«

»Aber ich nicht?«

»Nein. Ihr werdet mir das nicht übel nehmen!«

»Gewiß nicht.«

»Er war ein Prairieläufer, wie er im Buche steht. Ihr aber seid ein einfacher Rafter, ein Neuling, dem sogar die Sprachkenntnisse entgehen, sich mit einem Indianer zu unterhalten.«

»Nun, ich habe doch mit der »starken Hand« gesprochen!«

»O, der spricht ein sogar gutes Englisch.«

»Das ist freilich wahr, dennoch aber hoffe ich, mich glücklich durchzuschlagen.«

»Wäre ich bei Mitteln, ich würde Euch sehr gern unterstützen.«

»Ich danke! Ich würde es gar nicht annehmen.«

»Warum?«

»Weil es zu gefährlich ist. Wenn Euer Neffe wirklich zu Grunde gegangen ist, so müssen wir annehmen, daß er wahrscheinlich ermordet wurde, und ebenso wahrscheinlich oder vielmehr noch wahrscheinlicher ist daran das Geld schuld, welches er bei sich getragen hat. Man soll im Westen so arm wie möglich sein, dann kommt man am Sichersten durch.«

»Wo aber wollt Ihr hin? Ihr habt hier heut zum letzten Male von Adler gehört. Hier bei mir also hört für Euch seine Fährte auf. Ich wüßte nicht, wo Ihr die Fortsetzung derselben suchen wolltet.«

»Hm! Schwer ist es, sehr schwer. Aber man darf nicht nur die Hauptsache und die Hauptperson im Auge behalten. Nebensachen und Nebenpersonen können von großer Wichtigkeit werden.«

»Eure Rede klingt sehr klug; aber welche Nebenpersonen und Nebensachen sollten hier noch berücksichtigt werden müssen?«

»Wie hieß gleich der Mensch, von welchem Leflor den Kauf über Wilkinsfield erwarb?«

»Walker.«

»Sein Vorname?«

»Robin, also Robin Walker.«

»Er ist damals spurlos verschwunden?«

»Ja. Daran bin leider ich allein schuld. Master Sam rieth mir, mich seiner Person zu versichern, ich aber that dies nicht.«

»Und ich,« fiel Sam ein, »wollte ihn ergreifen; dieser kluge Master Tim aber hat ihn entwischen lassen.«

»Wenn man wüßte, wo er jetzt steckte,« sagte Steinbach.

»Warum? Braucht Ihr ihn?« fragte der Dicke.

»Ja, sogar sehr nothwendig.«

»Wozu?«

»Er behauptet, dem jungen Wilkins die Besitzung abgekauft und bezahlt zu haben. Ich aber halte dies für eine Lüge. Dieser Walker, ein Abenteurer des Westens, hat nicht eine so große Summe. Es müssen damals geheimnißvolle Vorgänge stattgefunden haben, welche zu erzählen, ich diesen Mann zwingen würde.«

»Ihr? Diesen Mann? Wo denkt Ihr hin! Der ist Euch an Erfahrung und List tausendfach überlegen.«

»Mag sein; aber selbst der Dümmste begeht manchmal einen klugen Streich, warum also nicht auch ich ausnahmsweise. Und selbst wenn damals der Handel ganz ehrlich und ordnungsmäßig vor sich gegangen wäre, müßte Walker wissen, wohin Martin Wilkins sich gewendet hat.«

»Das ist sehr fraglich.«

»Nein, das ist sogar sehr wahrscheinlich. Wenn ich irgend einem Menschen eine Plantage abkaufe und ihm den Preis im fernen Westen bezahle, so interessire ich mich so sehr für diesen Mann, daß ich ihn wenigstens frage, wohin er sich wenden und was er mit dem vielen Gelde anfangen wolle.«

»Das ist freilich wahr,« sagte Wilkins.

»Ganz gewiß. Walker würde mir also sagen können, wohin Euer Neffe von Santa Fé aus gegangen ist. Dahin ist ihm später Adler vielleicht gefolgt. Wir stehen also hiermit vor einer Pforte, in welche wir nur den Schlüssel zu stecken brauchen. Wie aber diesen Walker finden!«

»Was das betrifft, so kann ich dienen,« sagte Sam.

»Ah! Kennt Ihr vielleicht seinen Aufenthalt?«

»Glücklicher Weise, ja. Wir wollen hin zu ihm, nämlich ich und diese beiden famosen Brüder Jim und Tim. Er hat dem Einen die Nase abgeschnitten, die aber wieder hergestellt und reparirt worden ist. Deshalb wollen wir ihm eine Nuß aufknacken lassen, an welcher er sich den Kinnbacken verrenkt.«

»Wo ist er denn?«

»In Prescott.«

»Ah! Das ist ja gar nicht weit von hier! Das ist ja der Hauptort von Yavapai County im Territorium Arizona!«

»So ist es, Sir!«

»Wir brauchen also nur den Rio Gila hinunter, an dessen Quellen wir uns hier befinden. In einigen Tagen sind wir dort.«

»Freilich! Ihr wollt also mit?«

»Natürlich!«

»Das wird prächtig! Wie sich so Etwas zusammenfindet: Zwei Helden aus Herlasgrün und der berühmte Jim und der berüchtigte Tim! Wir reißen das ganze Prescott auseinander.«

»Aber, Master, wißt Ihr denn so genau, daß er sich dort befindet?«

»Hm! So ganz genau leider doch nicht. Einen Eid kann ich da nicht ablegen.«

»Von wem habt Ihr es denn gehört?«

»Wir erfuhren es so nebenbei, und das haben wir nur dem »Häuptling der Bleichgesichter« zu verdanken.«

Steinbach horchte verwundert auf.

»Dem? Wieso ihm?«

»Er brachte uns durch einen recommandirten Brief auf die Tapfen einiger Spitzbuben. Wir folgten den Kerls, belauschten sie und hörten dabei, daß sie später nach Prescott zu diesem ehrenwerthen Master Walker wollten. Er erwartet sie jedenfalls, um irgend einen Bubenstreich mit ihnen auszuführen.«

Der Dicke erzählte ausführlicher von dem geheimnißvollen Briefe des »Fürsten der Bleichgesichter« und was darauf hin geschehen war.

»Also diese Kerls wollen unter der Führung des rothen Burkers hier die Mission überfallen?« fragte Steinbach mit unbefangener Miene.

»Wie Ihr gehört habt, ja.«

»Ach, nun verstehe ich auch den Auftrag, welchen die »starke Hand« mir gegeben hat. Dieser Indianer ist mit dem Fürsten der Bleichgesichter den Hallunken gefolgt.«

»Ja,« lachte Sam. »Euch aber hat er die Sache nicht deutlich auf die Nase gebunden, weil er Euch gleich als einen Neuling erkannt hat, dem man nicht Alles sagen darf.«

»Und Ihr wollt sie hier empfangen?«

»Natürlich. Wir werden sie gar nicht in das Thal lassen. Wir postiren uns an die Eingänge desselben, und wenn sie kommen, so schießen wir sie nieder.«

»Haltet Ihr das für klug?«

»Ja. Was sollen wir sonst machen?«

»Es wäre vielleicht besser, wenn Ihr sie nicht sofort tödtetet. Ich würde sie gefangen nehmen. Es ist sehr möglich, daß man dabei irgend Etwas erfahren kann.«

»Was denn? Wie viel der Schnaps oben in Fort Callers kostet, oder ob es vorgestern geregnet hat?«

»Nein, aber gerade über Walker, zu dem sie wollen. Sie wissen, wo in Prescott er steckt. Wir wissen es nicht; wir müssen ihn suchen; dabei kann er Euch erblicken, und dann reißt er aus.«

»Sapperment, Landsmann, Ihr seid doch nicht ganz so dumm, wie ich dachte. Wenigstens zuweilen scheint Ihr einen lichten Augenblick zu haben!«

»Ich sagte vorhin, daß auch ein Dummer manchmal einen klugen Streich begeht.«

»Wie aber wollt Ihr sie fangen?«

»Wir lassen sie einfach herein.«

»Da haben sie aber uns!«

»Nein, sondern wir sie.«

»Unsinn! Wenn wir sie herein lassen, kommt es auf alle Fälle zu einem Kampfe, der für uns gefährlich wird. Ohne Wunden geht es wenigstens nicht ab. Empfangen wir sie aber draußen am Thaleingange, hinter Bäumen versteckt, so schießen wir sie nieder, ohne daß sie uns eine Kugel geben können.«

»Ob das so platt ablaufen dürfte, das bezweifle ich sehr. Selbst wenn Alles gut geht, sind sie todt und können uns keine Frage beantworten. Horch, was war das? Giebt es eine Glocke im Hause?«

»Ja,« antwortete Wilkins. »Es ist Jemand gekommen, der Einlaß begehrt, jedenfalls der Besuch eines befreundeten Indianers.«

Nach kurzer Zeit kam die Thürhüterin und meldete, daß ein Weißer an der Thür halte und Einlaß begehre.

»Hast Du ihn nach dem Namen gefragt?«

»Ja. Er heißt Bill Newton, ist ein verirrter Jäger und fragt, ob er sich hier vielleicht einen Tag lang ausruhen dürfe.«

»Ist er zu Pferde?«

»Ja. Er sieht gar nicht schlecht aus.«

»So laß ihn ein. Er ist willkommen.«

Die Anwesenden traten an die Fenster, um den Neuangekommenen in den Hof reiten zu sehen. Er kam und stieg vom Pferde. Als Steinbach das Gesicht dieses Mannes erblickte, rief er, sich ganz vergessend:

»Mein Gott! Ist das möglich!«

»Was?« fragte Sam.

Aber der Gefragte hatte sich so in der Gewalt, daß er sogleich unbefangen antwortete:

»Daß dieser Mann auf der rechten Seite aus dem Sattel steigt und nicht auf der Linken.«

»Da hört man Euch nun wieder den Grünschnabel an. Ein Prairiemann steigt ab, wie es ihm beliebt. Eure Sonntagsreiter drüben im alten Lande halten sich freilich an Regeln, welche gar nicht dümmer sein können. Kommt uns ja nicht mit solchen Dingen! Damit blamirt Ihr Euch nur!«

Jetzt hörte man den Schritt des Gastes draußen auf dem Corridore Dann trat er ein. Er sah Steinbach nicht sogleich, weil dieser sich in die Ecke gestellt hatte. Wilkins bewillkommnete ihn. Aber er hatte noch nicht ausgesprochen, so trat der Förster Rothe herzu und rief im Tone des allerhöchsten Erstaunens:

»Heiliger Himmel! Sehe ich recht?«

Der Fremde blickte den Förster an, fuhr ebenso erstaunt zurück und antwortete:

»Rothe! Du, wirklich Du! Hier!«

»Ja! Aber das ist noch gar kein solches Wunder als das, wie Du in Amerika bist.«

Der Andere war schnell blaß geworden. Er ärgerte sich entsetzlich, daß er sich von seinem Erstaunen hatte zu einer solchen Unvorsichtigkeit hinreißen lassen. Nun aber war es einmal geschehen. Er konnte seine Bekanntschaft mit dem Förster nicht leugnen. Darum faßte er sich und antwortete:

»Es ist jedenfalls Beides wunderbar.«

»Du aus der Türkei!«

»Und Du aus Sachsen!«

»Und nennst Dich Newton. Woher kommt das?«

»Es hat auch seinen Grund, wie so Manches hier in Amerika seinen Grund hat, der da drüben nicht gelten würde.«

»Na, wie soll ich Dich nennen? Newton oder Florin, wie früher?«

»Sage Newton. Ich habe mir einmal vorgenommen, hier so zu heißen.«

»Schön. Da ist meine Frau. Kennst Du sie noch?«

»Natürlich, obgleich wir uns seit zwanzig Jahren nicht gesehen haben. Ist das Dein Sohn?«

»Ja, und hier meine Schwägerin. Du findest hier überhaupt noch mehr Deutsche. Da ist Sam Barth und auch Master Steinbach, Beide aus Herlasgrün in Sachsen.«

Newton-Florin gab Allen, welche ihm jetzt genannt worden waren, die Hand, auch dem dicken Sam. Zuletzt drehte er sich in die Ecke nach Steinbach herum. Seine Augen wurden starr und groß; er streckte beide Arme von sich und schrie:

»Allah 'l Allah! Steinbach Effendi!«

Steinbach aber zuckte mit keiner Miene seines Gesichtes. Er hielt ihm freundlich die Hand entgegen und sagte im Tone des Befremdens:

»Sind das nicht russische oder chinesische Worte? Die verstehe ich nicht.«

Die Augen Newtons erweiterten sich noch mehr. Er trat zurück und fragte:

»Kennen Sie mich?«

»Nein. Ich entsinne mich nicht, Sie jemals irgendwo gesehen zu haben.«

»Nicht in der Türkei?«

»Nein.«

»Und nicht in Tunis?«

»Auch nicht.«

»Sie waren nicht dort? Wirklich nicht?«

»Nein. Wie könnte ein armer Teufel aus Herlasgrün nach der Türkei oder gar nach Tunis kommen! Waren Sie denn dort?«

Newton konnte nun nach den Fragen, welche er gestellt hatte, die Wahrheit nicht verleugnen. Er antwortete:

»Ja.«

»Als was denn?«

»Als Diener. Aber, ich habe doch gehört, daß Sie Steinbach heißen!«

»So heiße ich freilich.«

»Aber Der, den ich meine, hieß auch Steinbach.«

Er forschte mit sichtbar angstvollem Blick in den Zügen des Genannten. Dieser antwortete ruhig:

»Das ist wohl nur ein Zufall.«

»O nein. Er war auch ein Deutscher und sah Ihnen so ähnlich wie ein Bogen Papier dem anderen.«

»Hm! Zwei solche Zufälle sind freilich nicht gut denkbar. Aber ich habe die Türkei noch nie gesehen. Hm! Er hieß Steinbach und war mir ähnlich? Da fällt mir Etwas ein. Vielleicht kann ich Ihnen die Sache sehr einfach erklären. War er auch so groß und stark gebaut wie ich?«

»Genau so.«

»Vollbart?«

»Ganz wie Sie.«

»Trug er am rechten Stiefel einen sehr hohen Absatz? Er geht nämlich lahm, weil das rechte Bein ein Wenig kleiner ist als das linke. Der hohe Absatz muß das verdecken.«

»Ich habe den Absatz nicht angesehen. Lahm ging der Mann nicht.«

»Was war er?«

»Diplomat, wie es scheint.«

»Sapperment, es ist so wie ich denke,« lachte Steinbach. »Es ist mein Milchbruder.«

»Wer ist das?«

»Ein Baron von Rollenau. Seine Eltern wohnten in Herlasgrün. Seine Mutter konnte ihn nicht nähren, und die meinige wurde die Amme. So haben wir von einer Mutter getrunken und sind Beide sehr wohl gediehen und groß und stark geworden. Wir sehen uns sehr ähnlich. Ich glaube gehört zu haben, daß er von Bismarck nach der Türkei geschickt worden ist.«

Da holte Newton tief Athem, als ob er sich erleichtert fühle und fragte:

»Ist das auch wirklich so?«

»Natürlich.«

»Sie machen mir nichts weiß?«

»Sapperment! Zu welchem Zwecke sollte ich Ihnen denn ein Märchen aufbinden?«

»Ja, er sagt die Wahrheit,« lachte der dicke Sam. »Dieser gute Steinbach hier ist in seinem ganzen Leben kein Diplomat gewesen; darauf können Sie sich verlassen!«

Newton aber zweifelte doch noch. Er wendete sich an Sam Barth:

»Ich hörte, daß Sie auch aus Herlasgrün sind?«

»Freilich, freilich.«

»So haben Sie doch wohl auch die Familie dieses Barons von Rollenau gekannt?«

»Kann mich nicht besinnen, obgleich ich jeden Winkel weiß und wer da gewohnt hat.«

»Er war vorübergehend da,« erklärte Steinbach. »Es war, als die Bahn gebaut wurde; da hatte er irgend ein Amt dabei.«

»Ja, das kann möglich sein. Damals waren viele Fremde da, deren Namen man sich nicht merken kann.«

»Laß das sein!« sagte der ehemalige Förster zu Newton. »Dieser Mann ist sicherlich nicht in der Türkei gewesen. Sage mir lieber, wie Du nach Amerika gekommen bist!«

Während der Gefragte irgend eine Antwort gab, raunte Steinbach Wilkins zu:

»Sofort hinaus mit ihm! Weißt ihm ein Zimmer an, sonst geschieht ein großer Fehler!«

»Wieso?« fragte Wilkins ungläubig, aber leise.

»Nur fort, fort, fort!«

Steinbach machte dabei eine so dringliche Geberde, daß Wilkins ihm doch den Willen that. Er wendete sich an Newton:

»Master, Ihr seid mir willkommen. Darf ich Euch Eure Stube anweisen. Nachher sollt Ihr essen und trinken.«

Er führte ihn hinaus, kam aber augenblicklich wieder. Die Neugierde hatte ihm keine Zeit gelassen, sich bei dem Gaste zu verweilen.

»Was habt Ihr denn mit ihm, Master Steinbach?« fragte er. »Warum sollte ich ihn so schnell fortschaffen?«

»Weil Ihr uns Allen sonst einen schlimmen Streich gespielt hättet. Dieser Florin oder Newton darf nicht erfahren, daß wir wissen, daß der rothe Burkers uns überfallen will.«

»Warum nicht?«

»Weil er jedenfalls zu dessen Bande gehört.«

Sie sprangen Alle von ihren Sitzen auf.

»Was fällt Euch ein!« sagte der dicke Sam. »Ein Bekannter unseres Freundes hier!«

»Wer ist dieser Mann eigentlich?« fragte Steinbach den Förster Rothe.

»Er war der Diener meines Herrn, des Barons von Adlerhorst.«

»Ah, ah, ah – –! Er spricht das Deutsche mit französischem Accent?«

»Er ist geborener Franzose.«

»Begleitet er Ihren Herrn vielleicht mit nach dem Oriente?«

»Er ging mit, als Herr von Adlerhorst als Gesandter oder so Etwas nach der Türkei ging.«

»Und kam nicht wieder mit zurück?«

»Nein. Er hatte sich einen anderen Dienst gesucht. Man sagt, er habe sich gegen die Baronin fehlerhaft benommen und sei deshalb fortgejagt worden. Gewiß weiß ich es nicht, denn die Herrschaft hat nie ein Wort darüber verloren.«

»Was hatte er für einen Character?«

»Hm! Wir sind nie Freunde gewesen, wenn es mich auch hier augenblicklich freute, einen alten Bekannten wiederzusehen.«

»Gut! Ihr laßt Euch also nichts merken. Es ist fast sicher, daß er zu dem rothen Burkers gehört.«

»Das glaube ich nicht,« sagte Sam. »Er würde sich sehr hüten, sich allein hierher zu uns zu wagen!«

»Warum? Wußte er, daß wir hier sind?«

»Allerdings nicht.«

»Kann er ahnen, daß wir wissen, was er will?«

»Auch nicht.«

»Nun also! Der rothe Burkers hat ihn vorausgesandt, um sich den Weg zu ebnen. Dieser Mensch, der einen falschen Namen trägt, soll jedenfalls hier als Gast einziehen und den Schurken die Thür und das Thor öffnen.«

»Sapperment! Das wäre!« knurrte Sam. »Aber ich habe kein Vertrauen zu Euern Vermuthungen, Master Steinbach. Ihr seid, wie gesagt, der Allerklügste nicht. Der Mann ist ganz unschuldig.«

Steinbach wollte ungeduldig werden, bezwang sich aber doch und antwortete kluger Weise:

»Der Fürst der Bleichgesichter hat mir aber doch gesagt, daß diese Kerls jedenfalls einen Quartiermacher schicken würden. Daher habe ich Euch den Vorschlag gemacht, sie herein zu lassen, um sie lebendig zu fangen. Den kurzen Proceß könnt Ihr ihnen dann allemal noch machen.«

»Hat er das gesagt? Ja, dann ist es freilich etwas ganz Anderes, als wenn es nur aus Eurem Kopfe kommt.«

»Ja, Master Sam, Ihr scheint eben der einzige Gescheidte zu sein, den es in Herlasgrün gegeben hat. Aber ich muß Euch auch noch vor etwas Anderem warnen.«

»Auch noch?«

»Ja. Hütet Euch, diesem Newton zu sagen, daß wir nach dem Oberaufseher Adler suchen wollen.«

»Warum?«

»Ich werde Euch dies später erklären.«

»Wie kann ich Euch den Willen thun, wenn Ihr mir keine Gründe angebt!«

Jetzt war die Geduld Steinbach's doch Etwas erschöpft. Er zog die Stirn in Falten und antwortete:

»Master Barth, die ewige Wiederholung, daß ich dumm sei, wird allgemach nun lächerlich. Wenn Ihr kein Vertrauen zu mir habt, so macht, was Ihr wollt. Paßt mir aber das, was Ihr thut, nicht, so werfe ich Euch einfach zum Fenster hinaus!«

Das klang so ernst und befehlend, daß Sam zurückfuhr und dabei ausrief:

»Na, na, freßt mich nur nicht! Ich kann Euch ja den Willen thun. Aber mit dem zum Fenster hinauswerfen geht es nicht so rasch. Da habe ich auch ein Wort mit zu sprechen.«

»Thut das später! Jetzt aber setzt Ihr Euch nieder und haltet das Maul! Verstanden!«

»Oho!« fuhr Sam auf. »So lasse ich mich nicht anschnauzen, selbst nicht von Einem, der aus Herlasgrün ist, Master Steinbach!«

»Nun, wenn Ihr Euch nicht freiwillig setzt, so werde ich Euch hinsetzen müssen.«

Er faßte ihn blitzschnell, hob ihn empor, trug ihn zur Bank und setzte ihn so kräftig auf dieselbe, daß sie, obgleich sehr stark gezimmert, in allen Fugen krachte.

Das war dem dicken Sam doch zu viel. Er sprang wieder empor und griff Steinbach nach der Brust.

»Jetzt zahle ich es Euch heim!« rief er zornig.

Steinbach aber faßte ihn hüben und drüben an beiden Armen und preßte ihm dieselben mit solcher Gewalt an den Leib, daß der Dicke vor Schmerz laut aufstöhnte:

»Um Gottes willen! Ihr quetscht mir ja den ganzen Saft heraus! Haltet ein!«

»Wenn Ihr pariren wollt!«

»Na, meinetwegen!«

»So haltet nun Ruhe, und wenn der Kerl kommt, so macht ihm Alle ein freundliches Gesicht, damit er kein Mißtrauen faßt!«

Er trat von Sam zurück. Dieser hustete und pustete, um wieder zu Athem zu kommen, und sagte.

»Das muß man sagen, Kräfte habt Ihr wie ein Rhinoceros, aber an Verstand fehlt es Euch doch bedeutend! Landsleute brauchen sich doch wahrhaftig nicht zu ermurxen!«

»Auch überhaupt nicht zu ärgern! Horcht, da scheint er zu kommen! Seid zutraulich mit ihm!«

Newton kam allerdings. Er hatte es sich in Beziehung auf seinen Anzug bequem gemacht und wurde zum Essen an den Tisch geladen. Während dieser Beschäftigung war zu bemerken, daß er seine Aufmerksamkeit meist auf Steinbach richtete. Dieser aber that ganz und gar unbefangen, und die Anderen gaben sich auch Mühe, es zu sein.

Nur Sam der Dicke war bei schlechter Laune. Er sprach kein Wort. Er konnte es nicht verwinden, daß er von Steinbach in solcher Weise zurecht gewiesen worden war.

Während der allgemeinen Unterhaltung fragte Steinbach Newton, ob er sich nicht einmal den See und dessen Umgebung ansehen wolle.

»Nein, heute nicht,« antwortete der Gefragte. »Ich bin ermüdet vom weiten Ritte und werde mich ausruhen. Morgen ist auch Zeit dazu.«

Er kehrte, als er gegessen hatte, in seine Stube zurück. Jetzt bekam der gute Sam die Sprache wieder. Sichtlich um Steinbach zu foppen, fragte er:

»Nun, Master, seid Ihr denn bei Eurer Ansicht geblieben?«

»Ja, gewiß.«

»Er gehört also zu den Spitzbuben. Da hättet Ihr ihn aber doch aushorchen sollen, um Etwas über seine Absicht zu erfahren.«

»Das habe ich gethan.«

»Nun, habt Ihr auch Etwas erfahren?«

»Ja.«

»Sapperment! Da seid Ihr gescheidter wie ich.«

»Das ist sehr wahrscheinlich.«

»Macht Euch nicht lächerlich, alter Schwede! Sam Barth läßt sich so leicht nicht über's Ohr hauen; aber ich habe nicht eine Silbe gehört, aus welcher ich erfahren könnte, daß er den rothen Burkers kennt und in böser Absicht kommt. Er hat gesagt, daß er von Santa Fé herunter kommt und hinein in's Texas will. Das ist sehr glaubhaft. Sein Verhalten ist ganz so, daß es Eure Ansicht über den Haufen wirft. Wäre er als Quartiermacher für die Spitzbuben gekommen, so würde er hier im Hause herumlaufen, um die Localitäten genau kennen zu lernen, damit später Alles klappt. Und, was die Hauptsache ist, und woran Ihr trotz Eurer Klugheit noch gar nicht gedacht habt – sagt mir doch einmal, ob da unser guter Förster den Mann bei dem rothen Burkers gesehen hat?«

»Wohl nicht.«

»Ja, sonst wäre seine Ueberraschung eine noch ganz andere gewesen. Sage einmal, liebe Auguste, ob dieser Newton mit Euch von Santa Fé abgereist ist!«

»Nein,« antwortete die Gefragte.

»Da habt Ihr es! Glaubt Ihr etwa, daß der rothe Burkers seine Leute aus der Prairie nur so aufliest wie der Hund die Flöhe?«

»Nein, das glaube ich nicht,« lächelte Steinbach. »Aber habt Ihr Euch den Mann genau angesehen?«

»Sehr genau sogar.«

»Seinen Anzug, seine Waffen? Alles?«

»Alles.«

»Ist Euch da nichts aufgefallen?«

»Ich wüßte nicht, was mir da aufgefallen sein sollte.«

»Nun, wie lange Zeit hat der rothe Burkers zugebracht von seiner Abreise aus Santa Fé an bis zum heutigen Tage?«

»Elf Tage schätze ich.«

»Wie lange Zeit aber vom letzten Aufbruche her ist dieser sogenannte Newton unterwegs?«

»Das weiß der Teufel! Ihr jedenfalls nicht!«

»Pshaw! Und da sagt Ihr, daß Ihr ein Prairiejäger seid, von dem ich noch lernen müsse. Ich habe Euch nun zu bemerken, daß Ihr von mir lernen könnt.«

»Möchte auch wissen, was! Macht Euch nicht wichtig!«

»Habt Ihr sein Messer gesehen, als er aß?«

»Ja.«

»Wie alt war es?«

»Hm!«

»Ihr wißt es nicht?«

»Ja, wenn so ein Messer reden könnte!«

»Es kann reden. Es war neu, schön polirt und stahlblau angelaufen. Man sah es ihm an, daß der Besitzer noch nicht sechsmal damit gegessen hat.«

»Was Ihr für ein gescheidter Kerl seid!« höhnte Sam.

»Sodann war sein Tabaksbeutel so voll, daß er kaum drei Pfeifen geraucht haben kann.«

»Er wird wenig rauchen!«

»Er ist im Gegentheile ein sehr starker Raucher. Die alte Maserpfeife, welche er am Gürtel hängen hatte, war so abgebissen, wie es nur bei einem leidenschaftlichen Raucher vorkommt. Ein Sonntagsraucher trägt auch eine Sonntagspfeife. Wenn nun ein so starker Raucher einen so vollen Beutel hat, ist er gewiß noch nicht elf Tage unterwegs.«

»Ja,« sagte der Förster, »ein leidenschaftlicher Raucher ist er von früher her; das weiß ich noch.«

»Wollt Ihr etwa diesem Neuling Recht geben?« knurrte Sam verdrießlich.

Steinbach fuhr unbeirrt fort:

»Habt Ihr seinen Bart angesehen?«

»Meint Ihr, daß ich die Haare gezählt habe?«

»Nein. Er trägt Vollbart, und einzelne Haare davon stehen auf der oberen Wange. Diese hat er sich abrasiren lassen; sie sind jetzt so kurz, daß sie höchstens drei Tage nach dem Rasiren gewachsen sein können.«

»Donnerwetter! Wenn ich wieder einmal Etwas erfahren will, nehme ich mir den Barbier gleich mit!«

»Das ist ebenso unnöthig wie Euer Spott. Ich schätze, daß dieser Newton noch vor drei Tagen in einer Niederlassung gewesen ist. Das kann nur Silver-City sein. Und da Silver-City nach Prescott zu liegt, wo Walker sich aufhält, so nehme ich an, daß Newton von Walker abgeschickt worden ist, um in oder bei Silver-City mit dem rothen Burkers zusammen zu treffen und ihm irgend eine Botschaft zu bringen.«

Jetzt machte der wackere Sam ein ganz eigenthümliches, unbeschreibliches Gesicht. Er sagte in einem beinahe verlegenen Tone:

*


 << zurück weiter >>