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»List? So, so! Nun, ich will Ihnen etwas sagen, Mylady: Man nennt mich den dicken Sam, und der dicke Sam ist als ein listiger Kerl bekannt.«
»Ja, ich habe Sie betrachtet, und –«
»So?« fragte er erfreut. »Betrachtet haben Sie mich?«
»Ja, sehr genau.«
»Und wie bin ich Ihnen denn da vorgekommen?«
»Sie haben so viel Aufrichtiges und Treuherziges an sich, daß man gleich Vertrauen zu Ihnen fassen muß. Dabei haben Sie aber in Ihrem Gesicht etwas so Schlaues und Pfiffiges, daß –«
»Wie? Schlau und pfiffig bin ich Ihnen vorgekommen?«
»Ja.«
»Nun, da haben Sie sich sehr verändert.«
»Wieso?«
»Ich dachte, Sie hätten mich für dumm gehalten.«
Es fielen ihm nämlich die Worte ein, welche der Förster gesagt hatte.
»Ich Sie für dumm gehalten? Wer hat das gesagt?«
»Das hat Ihre Schwe– ah, ich dachte nur so!«
»Da haben Sie sich geirrt. Also Sie haben etwas so Pfiffiges an sich, und da denke ich, daß Sie vielleicht Mittel und Wege finden werden, den Dieben ihre Beute auch ohne Gewalt abzujagen.«
»Da giebt es nur ein Mittel und einen Weg: Man müßte ihnen das Gestohlene wieder mausen.«
»Ja, ungefähr so!«
»Aber das ist doch eigentlich eine Dummheit. Was man mir gestohlen hat, kann ich offen wieder fordern.«
»Da giebt es aber Kampf.«
»Das schadet ja gar nichts. Wenn ich mich als Dieb an diese Kerls schleiche, muß ich gewärtig sein, erwischt zu werden, und dann capponiren Sie mich.«
»O wehe! Das wäre schlimm!«
»Pah! Ein Mensch weniger, das schadet nichts!«
»Nein, so dürfen Sie nicht sprechen. Meinetwegen soll Ihnen kein Leid geschehen.«
»O, Ihretwegen ist mir schon früher – verdammt! Da stehe ich und plaudere Dummheiten wie ein Schulbube! Haben Sie an diesen Spitzbuben denn ein gar so großes Wohlgefallen gefunden, daß Sie jetzt solche Schonung für sie verlangen?«
»Im Gegentheile, Sie haben mir gar nicht gefallen. Besonders der Anführer hatte ein Gesicht, dem man unmöglich Vertrauen schenken konnte. Ich bin gar nicht vorurtheilsvoll. Kein Mensch kann für seine Gestalt, für sein Gesicht und für sein Haar, aber dieser Mann hatte rothes Haar, und da war es mir schwer, von diesem Burkers Gutes zu denken.«
»Burkers?« fragte Sam schnell. »So hieß er?«
»Sapperment! Sollte es der rothe Burkers sein!«
»Er war es. Ich hörte einmal zwei seiner Gefährten von ihm sprechen. Sie glaubten sich unbelauscht und da nannten sie ihn den rothen Burkers.«
»Alle Teufel! Ist Der es! Na, Gnade Gott, wenn ich Den erwische! Der hat sein letztes Brod gegessen!«
»Das klingt ja bitterbös! Kennen Sie ihn?«
»Na und ob. Ich habe da vor einigen Jahren ein Rencontre mit ihm gehabt. Er ist ein Mörder, ein Räuber, ein Dieb und Spitzbube durch und durch. Er wollte damals eine Plantage überfallen. Ich habe ihn überlistet und er wurde mit seiner Bande gefangen genommen. Man schaffte die ganze Sippschaft nach van Buren, um ihr den Prozeß zu machen. Mehreren gelang es, frei gesprochen zu werden. Sie wurden entlassen und benutzten den ersten freien Tag dazu, die Anderen des Nachts aus dem Gefängnisse zu holen. Das gab damals ein Aufsehen weit und breit. Der Rothe fing natürlich sein Geschäft sofort wieder an. Man war aber bald hinter ihm her. Er war klug und machte sich davon, so daß man längere Zeit nichts von ihm hörte. Später wurde sein Name dann im Westen viel genannt. Wo irgend eine Teufelei begangen wurde, da war sicher er dabei. Jetzt nun höre ich, daß er es gewesen ist, der Euch beraubt hat. Nun, es soll ihm sehr wohl bekommen!«
»Ist er wirklich so schlimm?«
»Fragen Sie, ob ein Raubthier schlimm ist?«
»So werden Sie ihn nicht schonen?«
»Nein, ihn am Wenigsten.«
»Aber wenn ich Sie nun bitte!«
»Thun Sie das nicht! Ich könnte Ihnen diese Bitte nicht abschlagen, und das wäre geradezu eine Sünde.«
»Barmherzigkeit kann doch keine Sünde sein!«
»O doch! Wenn wir ihm nicht das Handwerk legen, treibt er es weiter, und dann fällt Alles, was er thut, auf mein Gewissen. Daß er gerade Sie bestohlen hat, das macht die Sache schlimmer.«
»Wieso?«
»Nun, Sie sind ja meine Landsmännin; da ist es gerade, als ob er es mir selbst gethan hätte.«
»Mein Schwager sagte mir freilich, daß Sie ein Deutscher, vielleicht gar ein Sachse seien.«
»Ich bin ein Sachse.«
»O bitte, wo sind Sie her?«
»Ich bin aus Rupp– aus Rodewisch.«
»Aus Rodewisch bei Auerbach?«
»Ja. Sie kennen doch dieses berühmte Rodewisch?«
»Ich kenne es, ob es aber so berühmt ist –«
»Freilich ist es berühmt, nämlich durch das alte, schöne Studentenlied, in welchem es auch heißt:
Die Voigtskarline von Rodewisch
Die handelt mit Spinat!«
»Dann sind Sie aus dem Voigtlande, gerade wie ich.«
»Das ist prächtig. Wo sind denn Sie her?«
»Aus Ruppertsgrün.«
»Das ist ein kleines, hübsches Nestchen.«
»Kennen Sie es?«
»Ja. Ich war früher in meinen jungen Jahren zweimal dort zu Tanze. Steht denn die alte Schänke noch?«
»Sie ist neu gebaut worden. Also dort waren Sie zu Tanze? Von Rodewisch aus etwa?«
»O nein. Ich bin nämlich eigentlich Fleischer. Ich stand in Herlasgrün als Geselle in Arbeit und hatte dort einen sehr guten Bekannten, der immer nach Ruppertsgrün zu Tanze ging. Er hat mich zweimal mitgenommen.«
»Das ist wunderbar! Und jetzt treffen wir uns hier im fernen Amerika. Also aus Herlasgrün! Hm! Wann ist das ungefähr gewesen?«
»Vor vielleicht zwanzig Jahren.«
»Herrgott! Was war denn Ihr Freund?«
»Knopfmacher. Ich konnte ihn sehr gut leiden, den alten guten Samuel.«
»Samuel? Samuel hieß er?« fragte sie rasch.
»Ja, Samuel.«
»Etwa Samuel Barth?«
»Ja, Barth's Samuel. Dort in Herlasgrün machte man die Sache kurz und sagte einfach Barthsamel.«
Da schlug sie die Hände zusammen und sagte:
»Das ist doch kaum zu glauben!«
»Was denn?«
»Hier in der Wildniß Jemand zu treffen, der ihn kennt.«
»Haben Sie ihn denn auch gekannt?«
»Sehr gut, sehr gut!«
»So, so! Nicht wahr, ein guter, aber auch ein recht dummer Kerl? Wie?«
»Ja, gut war er, seelensgut! Aber dumm? Nein. Ich habe ihn damals für dumm gehalten, heute aber sehe ich ein, daß er es nicht war. Er war aufrichtig und treuherzig, und das kann fast wie dumm aussehen.«
»Möglich. Ich habe ihn für dumm gehalten, zumal er mir nicht glaubte. Er hatte nämlich eine Geliebte, wegen der er nach Ruppertsgrün lief. Die hielt ihn nur für Narren und er sah das nicht ein.«
»Haben Sie sie gekannt?«
»Nein. Ich habe zwar im Saale gesehen, daß er mit ihr tanzte, aber weiter um sie gekümmert habe ich mich nicht. Der Racker war es nicht werth.«
»Racker? Warum?«
»Weil sie ihn doch nur an der Nase herumführte und ich hielt große Stücke auf ihn. Wir waren nämlich fast alle Abende beisammen und machten Musik mit einander, ich mit der Ziehharmonika und er mit der Guitarre. Ein Dritter schlug die Triangel dazu.«
»Ach ja! Er spielte Guitarre. Sein Leiblied war, glaube ich – hm, ich habe den Anfang vergessen, aber die letzten Zeilen kann ich noch.«
»Meinen Sie etwa:
Von Dir geschieden,
Bin ich bei Dir,
Und wo Du weilest,
Bist Du bei mir.
Von Dir zu lassen.
Vermag ich nicht.
Weil Du mein Alles,
Mein Lebenslicht!«
»Ja, ja, das war es, das! Es hatte eine so schöne, einfache, aber ergreifende Melodie. Der Schluß war:
Doch Du ziehst weiter
Und weiter fort,
Nie hör' ich wieder
Dein süßes Wort.
O sel'ge Tage,
O kurzes Glück,
Ruft keine Sehnsucht
Euch je zurück?«
»Wahrhaftig, Sie können es auswendig! Wer hat es Ihnen denn gelehrt?«
»Er. Ach ja, es ist wahr: Doch Du ziehst weiter und weiter fort! Er ist fortgezogen!«
»Von ihm haben Sie es? Haben Sie ihn denn gekannt?«
»Und wie! Ich war's ja!«
»Sie waren es? Was denn?«
»Seine Geliebte.«
»Was? Sie waren es? Sapperment! Auf Ihrem Schweinestall hat er gestanden?«
»Fast alle Abende!« seufzte sie.
»Ohne durchzubrechen?«
»Das Dach war fest.«
»Also Sie, Sie sind es gewesen! Und ich habe Sie vorhin einen Racker genannt!«
»Ich nehme es Ihnen nicht übel. Ich bin auch ein Racker gewesen. Ich habe ihn hinausgestoßen in die weite Welt. Ich war schuld, daß er ging.«
»Warum haben Sie denn das gethan?«
»Weil – weil ich ihn für ein Bischen albern hielt.«
»Schwerebrett!«
»Ja! Und das war er doch gar nicht. Er war nur aufrichtig. Er war mir so gut, daß er mir keine Lüge, keine Unwahrheit sagen konnte. Das habe ich für Dummheit gehalten.«
»So geht es! Die besten Menschen werden verkannt. Als er von mir Abschied nahm, sagte er noch, daß er Sie nie vergessen werde.«
»O Gott! Hat er das gesagt?«
»Ja. Er gab mir noch ein Herz, welches ich Ihnen bringen sollte, zum Andenken an ihn.«
»Der Liebe, der Gute! Aber von dem Herzen weiß ich gar nichts. Sie haben es mir ja nicht gebracht.«
»Leider nicht. Es war aus Pfefferkuchen. Vorn klebte ein rother Zettel, auf welchem in schöner Goldschrift der Reim stand:
Du bist so süß wie Pfefferkuchen,
Doch muß ich meiner Liebe fluchen.
Ein And'rer küßt Dich auf den Mund,
Das bringt mich vollends auf den Hund!«
Jetzt trat eine Gesprächspause ein. Er erwartete ein Wort; sie aber sagte nichts. Es war zu dunkel, als daß er ihr Gesicht hätte sehen können. Was dachte sie jetzt? Glaubte sie es, von diesem Herzen? Merkte sie es, daß er Jux machte? Die letzte Zeile des Pfefferküchlerreimes war wohl einem liebenden Herzen nicht ganz angemessen!
Und als sie immer noch schwieg, sagte er:
»Ich hätte es Ihnen gern gebracht, aber ich hatte selber eine Geliebte, die mir untreu geworden war, und so habe ich dieser das Herz gegeben. Es ist also doch an den richtigen Mann gekommen, das wird Sie trösten, Mylady!«
»Es gehörte aber mir!«
»Nun ja. Hat das Stück Pfefferkuchen denn so großen Werth für Sie?«
»Es war ja von ihm!«
»Ganz richtig, von ihm, und darum hat es einen solchen Werth. Es ist genau so, wie in dem Liede von den alten zerrissenen Hosen. Da sagt die Frau:
Geh mit Deinen alten Fetzen,
Die kein Mensch mehr flicken kann!
und er antwortet darauf:
Frau, die mußt Du liebreich schätzen,
Denn sie sind von Deinem Mann!«
Wieder trat eine Pause ein. Die Art und Weise, wie er sich in dieser Herzensangelegenheit ausdrückte, war ihr gar nicht sympathisch. Er fühlte das. Vielleicht war er mit Absicht so drastisch. Er wollte sie ein Wenig peinigen für Alles, was sie ihm früher angethan hatte. Aber es that ihm doch wehe, und so fuhr er fort:
»Haben Sie niemals wieder von ihm gehört?«
»Nie.«
»Er hat nicht einmal an Sie geschrieben?«
»Ich habe keinen Brief erhalten. Ich hätte mich sehr gefreut darüber.«
»O! Sie hatten ja einen Mann!«
»Mit dem ich aber nicht glücklich lebte. Ich möchte doch wissen, wo Barth jetzt steckt.«
»Das kann ich Ihnen sagen.«
»Sie? Mein Himmel! Wissen Sie es?«
»Ja, sehr genau. Er hat mir von Amerika aus geschrieben. Er wußte, daß ich auch herüber wollte. Ich bin also nachgemacht und mit ihm in Cincinnati zusammen getroffen. Dort haben wir mit einander gute Freundschaft gehalten, bis er starb.«
»Starb? Herr Jesus! So ist er todt?«
»Ja.«
»Seit wann?«
»Er hat nur zwei Jahre in Amerika gelebt.«
»Woran ist er gestorben?«
»Das hat selbst der Arzt nicht genau gewußt. Aber Samuel's letzte Worte waren:
Die Liebe ist das schlimmste Gift,
Das, ach, nur die Verliebten trifft!
daraus schließe ich, daß er an unglücklicher Liebe gestorben sein mag. Friede seiner Asche!«
»Herr, ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll!«
»Wieso, Mylady?«
»Ich habe solches Vertrauen zu Ihnen, und Sie drücken sich in einer Weise aus, daß es mir leid thut, mit Ihnen über diese Angelegenheit gesprochen zu haben.«
»Wirklich? Nun, ich will Sie nicht täuschen. Hier ist ein Felsstück, gerade wie eine Bank gelegen. Kommen Sie, Mylady! Setzen Sie sich! Ich will nicht länger scherzen und Ihnen die Wahrheit sagen.«
Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu dem Steine. Sie setzte sich und bat dann:
»Aber bitte, die Wahrheit!«
»Gewiß!«
»Er ist nicht todt?«
»Nein.«
»Gott sei Dank! Er lebt!«
Das klang so froh, so glücklich, daß es ihm wirklich schwer wurde, in der beabsichtigten Weise fortzufahren. Aber er wollte sie auf die Probe stellen.
»Ja, er lebt, und zwar sehr glücklich.«
»Glücklich? Ich gönne es ihm. Wo ist er?«
»Eben in Cincinnati.«
»Was treibt er da?«
»Er war Knopfmacher und ist noch immer Knopfmacher, doch in amerikanischer Weise und in amerikanischem Maßstabe. Er hat eine große Fabrik und treibt das Geschäft mit seinem Schwiegervater in Compagnie.«
»Schwie –«
Sie brachte das Wort nicht heraus.
»Ja, in Compagnie,« wiederholte Sam.
»Er hat – hat einen Schwie– Schwiegervater?«
»Gewiß!«
»Er ist also ver–heirathet?«
»Und zwar sehr glücklich. Das älteste von seinen fünf Kindern, ein Mädchen von siebzehn Jahren, wird sich nächstens verheirathen.«
»Sieb–zehn – Jahren! Vergessen, vergessen!«
»Vergessen? Was meinen Sie?«
»Er hat – hat mich vergessen.«
»O nein. Er spricht oft von Ihnen.«
»Seine Tochter ist siebzehn Jahre alt. Er hat also bereits nach drei Jahren geheirathet! So schnell, so schnell hat er mich vergessen!«
Sie legte die Hände zusammen und ließ den Kopf tief auf die Brust hernieder sinken.«
»Sie klagen ihn an, Mylady! Haben Sie ein Recht dazu, ein gutes Recht?«
»Ich glaubte, daß er mich geliebt habe!«
»Das hat er, ja, gewiß, das hat er! Aber Sie haben ihn von sich gestoßen, Sie habe ihn fortgewiesen, fort in die weite Welt. Sie haben sich einen Mann genommen, und nun verlangen Sie, daß Barth Ihnen treu bleiben soll für das ganze Leben! Bedenken Sie sich!«
»Ach ja, Sie haben wohl Recht. Aber der Mensch ist so egoistisch. Ich habe ihn stets lieb gehabt, stets, stets. Es ist mir unmöglich gewesen zu denken, daß er verheirathet sei. Ich bin, wie ich aufrichtig gestehen will, herübergekommen in der unausgesprochenen Hoffnung, daß ich ihn vielleicht wiedersehen werde. Und nun erfahre ich, daß er für mich verloren ist!«
»Sie sind bös darüber, daß er sich verheirathet hat?«
»Nein, nicht bös. Aber ich bin nun um die größte Hoffnung ärmer.«
»Sie werden sich trösten. Der Gedanke, daß er glücklich ist, muß Ihnen die Enttäuschung tragen helfen. Wie wäre es, wenn er unglücklich wäre, arm, elend, in Lumpen gehüllt!«
»Das wollte ich, ja, das wollte ich! Ich würde ihm Alles geben, was ich habe. Alles!«
»Was haben Sie denn?«
»Mein Gott! Ja, Sie haben Recht. Ich habe ja selbst nichts, gar nichts mehr. Ich bin selbst eine Bettlerin. Ich weiß nicht, was ich thun soll und wovon ich später leben werde, wenn Sie mir nicht das Verlorene retten.«
Er sagte jetzt nichts, aber er hörte, daß sie still vor sich hinweinte. Erst nach einer Weile meinte er:
»Trösten Sie sich, Mylady! Es ist immer besser so, als daß er todt ist. Noch schlimmer aber wäre es, wenn Sie sich in Ihrer Liebe getäuscht hätten.«
»Wieso getäuscht?«
»Ich setze den Fall, er wäre noch frei und ledig. Sie fänden ihn, aber er hätte sich äußerlich und innerlich so verändert, daß Sie ihm nicht mehr gut sein könnten, daß er Ihnen vielmehr widerwärtig wäre!«
»Das kann nie der Fall sein!«
»O bitte, sagen Sie das nicht so kategorisch! Das Leben geht hier mit den Menschen um Vieles rauher um, als drüben im Vaterlande. Tausende gehen da äußerlich verloren und Tausende innerlich. Wäre er ein Lump geworden, so würden Sie ihn –«
»Ich würde mich seiner annehmen,« fiel sie ein. »Vielleicht gelänge es mir, einen Mann aus ihm zu machen.«
»Hm! Wie stellen Sie sich diesen Samuel Barth jetzt eigentlich vor? Vielleicht entspräche seine Person gar nicht einmal den Erwartungen, welche Sie hegen.«
»Er mag aussehen, wie er will.«
»Aber sagen Sie dennoch, wie Sie ihn sich vorstellen!«
»Nun, er war nicht groß, ungefähr in Ihrer Statur; nur so außerordentlich –«
»Bitte, sprechen Sie immer weiter!«
»So außerordentlich dick würde er nie sein.«
»Da irren Sie sich. Er ist gerade so dick wie ich.«
»Wirklich?«
»Ja. In dieser Beziehung gleichen wir einander auf das Haar. Ein solcher Körperumfang ist keineswegs eine Schönheit, wie Sie wohl zugeben werden. Und stellen Sie sich einmal vor, er wohnte nicht in einem civilisirten Orte dieses Landes, sondern er streifte, so wie ich, heimathlos im wilden Westen herum. Ein solches Leben ist von schlimmem Einfluß auf den Menschen. Der Mann wird roh, grausam und rücksichtslos.«
»Samuel würde das nie werden. Er hatte ein so tiefes, gutes Gemüth, und dieses würde sich selbst bei einem solchen Leben erhalten.«
»Gott segne Sie für dieses Wort! Wenn Barth es hörte, würde er sich sehr freuen. Uebrigens glaube ich, daß er ein Andenken von Ihnen hat.«
»Ach ja, aber es ist gar nichts werth. Einst zur Kirmse kam ein Händler auf den Tanzsaal. Er bot Allerlei feil. Samuel kaufte mir eine silberne Haarnadel. Der Gute! Er war arm und gab sein einziges Geld dafür aus. Ich kaufte ihm einen silbernen Ring, über den er große Freude zeigte. Ob er denselben wohl noch hat?«
»Er hat ihn noch, nur ist nicht viel davon zu sehen. Der dicke Kerl ist so fett geworden, daß das Fleisch des Fingers über dem Ringe fast zusammengewachsen ist. Die Nadel aber haben Sie gewiß weggeworfen?«
»O nein. Ich hatte sie mir aufgehoben. Später suchte ich sie wieder vor. Seitdem habe ich sie stets getragen. Ich habe sie auch jetzt noch im Haar.«
»Sapperment! Hat denn das Silber so lange Zeit gehalten?«
»Nicht ganz. Ich habe mir die Nadel einige Male wieder versilbern lassen. Aber, mir kommt es vor, als hätten Sie mir noch immer nicht das Richtige gesagt. Ich bitte Sie dringend, mir die volle Wahrheit mitzutheilen.«
»Na, wenn Sie so dringend bitten, muß ich wohl gehorchen.«
»Also er lebt wirklich noch?«
»Ja, wirklich.«
»Wo?«
»In der Prairie. Er ist Waldläufer geworden. Er hat Sie nicht vergessen können und nirgends Ruhe gefunden. Darum hat es ihm nirgends gefallen.«
»Der Gute! Ich kann mir ihn aber gar nicht als halbwilden Prairiejäger vorstellen. Er war so sanft, er konnte kein Wässerlein trüben.«
»O, jetzt ist er im Stande, einen ganzen Strom trübe zu machen, wenn er mit seiner dicken Gestalt hineinplanscht. Uebrigens bricht Noth Eisen. Wer nach dem wilden Westen kommt, der wird entweder bald ein tüchtiger Kerl oder er geht unter. Mir hat es ja auch Niemand an der Wiege gesungen, daß ich mich einst mit Indianern herumschlagen würde.«
»Nun, bei Ihnen ist das doch wohl etwas Anderes. Ihr früheres Handwerk war ja schon ein weit derberes als das seinige. Es ist ein Unterschied zwischen einem Fleischer und einem Knopfmacher, mein lieber Herr – Herr – da fällt mir ein, daß ich Ihren Namen noch gar nicht weiß.«
»Ich heiße Sam, und nach meiner schönen Gestalt nennt man mich allüberall den dicken Sam.«
»Sam! Ist das der Familienname?«
»Nein, sondern Vorname.«
»Ein sonderbarer Name. Ich habe ihn noch nie gehört.«
»Vielleicht doch. Sam ist Abkürzung. Der Amerikaner macht sich möglichst Alles leicht. Er spricht lange Worte nicht gern aus, sondern er hackt ein Stückchen oder einige Stückchen davon ab. Er sagt Pa und Ma anstatt Papa, Mo statt Salomo. So giebt es eine Menge einsilbige Namen, mit denen man fast nicht weiß, wohin: Bill, Will, Rob, Bob und andere. So ist es auch mit Sam.«
»Was heißt dies eigentlich?«
»Es ist die erste Silbe von Samuel.«
»Wie? So heißen auch Sie Samuel?«
»Ja.«
»Ein sonderbares Zusammentreffen, Sie sind sein Freund und haben auch ganz denselben Vornamen. Aber wie ist Ihr Familienname?«
»Vollständig heiße ich Sam Barth.«
»Barth? Höre ich recht?«
»Jedenfalls. Gefällt Ihnen der Name nicht?«
»O, sehr, sehr! Aber es ist doch ganz der seinige!«
»Freilich!«
»Und Sie sind aus – aus Rodewisch!«
»Na, ich will Ihnen offen gestehen, daß ich da ein klein Wenig geflunkert habe. Eigentlich bin ich wo ganz anders her, nämlich aus Herlasgrün. Und eigentlich bin ich auch nicht Fleischer gewesen, sondern vielmehr Knopfmacher. Und eigentlich ist –«
»Herrgott!« unterbrach sie ihn. »Bitte, zeigen Sie einmal her! Schnell, schnell!«
Sie ergriff seine Hände und tastete prüfend an den Fingern hin. Es war ja zu dunkel, um Etwas sehen zu können. Da fühlte sie an dem Goldfinger der linken Hand etwas Rundes, Hartes, worüber sich das Fleisch gelegt hatte.
»Mein Heiland! Dies ist der Ring!«
»Ja, das ist er, der silberne!«
»Du bist's! Du bist's! Ist das möglich!«
Sie war von ihrem Sitze aufgesprungen. Sie stand vor ihm und hielt seine Hand gefaßt. Er fühlte, wie die ihrige zitterte.
»Ja, Gustel, ich bin's,« sagte er tief gerührt und gar nicht in dem selbstironisirenden Tone, in welchem er bisher gesprochen hatte.
»Und ich habe Dich nicht erkannt!«
»Ich Dich sofort. Aber das ist ja auch kein Wunder, da ich mich so gewaltig verändert habe.«
»So ist mir mein Wunsch erfüllt und meine Ahnung hat mich nicht getäuscht. Als der Schwager von Amerika redete, dachte ich an Dich. Ich hatte keine Ahnung von der Größe des Landes. Und wenn auch, es war mir doch, ais ob ich Dich ganz bestimmt treffen und wiedersehen werde. Meine Sehnsucht –«
Sie hielt inne. Wäre es nicht dunkel gewesen, so hätte er gesehen, wie tief roth sie wurde.
»Rede weiter, Gustel! Deine Sehnsucht –«
»Ah, geh! Davon kann ich doch nicht sprechen.«
»Warum nicht? Als Du mich für einen Fremden hieltest, hast Du Dich nicht geschämt, sondern mir Alles gesagt. Jetzt, da Du weißt, wer ich bin, willst Du schweigen. Fürchtest Du Dich vor mir?«
»Ich möchte wohl!«
»Das darfst Du nicht!«
»Aber ich muß doch, da ich so schlecht an Dir gehandelt habe.«
»Nun, was das betrifft, so ist es am Allerbesten, wir denken nicht mehr daran.«
»Ja, wenn Du mir vergeben könntest.«
»Das ist schon längst geschehen. Himmelelement! Ich könnte vor Freude droben dem Monde, der sich aber heute gar nicht sehen läßt, eine Maulschelle geben, daß er sich selbst für einen Eierkuchen halten sollte! Niemals habe ich daran gedacht, daß ich Dich wiedersehen könne, und nun treffe ich mit Dir in dieser alten Prairie zusammen. Wie albern sind doch die Leute, welche meinen, daß es keinen Gott gebe! Nur der liebe Gott ist es, der Dich auf den Gedanken gebracht hat, herüber nach Amerika zu gehen. Oder meinst Du nicht?«
»Ja, es war wie eine Eingebung.«
»Und nun stehst Du da, hier vor mir! Höre, Gustel, es ist mir ganz so, als ob ich erst gestern in Ruppertsgrün gewesen wäre und da – weißt Du den Weg, den ich immer nahm?«
»Sehr genau.«
»Ueber den Zaun hinweg.«
»Ja, durch den Garten in den Hof.«
»An der Mauer lehnte der Sägebock, den stellte ich an den Schweinestall. Erst auf den Bock, dann auf den Stall und dann – hm!«
»An das Fenster.«
»Ja. Du langtest mit Deinen Patschchen herunter, ich hielt alle zehn Finger in die Höhe und da hatten wir uns. Aber bequem war es doch nicht. Nicht wahr?«
»Das ist wahr.«
»Von dem ewigen Hinaufsehen that mir noch früh am Morgen stets das Genick weh. Wir hätten es bequemer haben können, aber Du wolltest nicht. Na, vielleicht hättest Du gewollt, aber ich war zu schüchtern. Ich hatte mir hundertmal vorgenommen, Dir einen tüchtigen Kuß zu geben, aber wenn ich dann vor Dir stand, so hatte ich den Muth nicht dazu. Dann aber kam einmal ganz plötzlich die Galle über mich. Ich nahm Dich her und drehte Dein Gesicht herum. Wir standen an der Hausthür, ich hatte Dich vom Tanze heimgebracht. Ich machte schon die Lippen spitz, wie eine Karpfenschnute. Da prasselte es von oben herab. Es war im Winter und das Dach lag dick voll Schnee. Dieser war locker geworden und prasselte gerade in diesem wichtigen Augenblicke auf uns hernieder, daß wir wie zwei Schneemänner dastanden, hustend, pustend und niesend, daß das ganze Dorf hätte aufwachen mögen. Weißt Du es noch, Gustel?«
»O, sehr gut!«
»Aber den Schmatz habe ich mir doch noch geholt, und da dann der Knoten gerissen war, so habe ich mich nach und nach immer besser eingerichtet. Weiß der liebe Himmel, wie das so schmeckt, obgleich es dabei nichts zu schlucken giebt und ist auch weder süß noch sauer, weder bitter, noch salzig! Wenn ich heute nicht dieses dumme Bärenfell anhätte, so –«
»Nun, so –«
»So nähme ich Dich einmal recht herzlich in die Arme und versuchte, ob ich das Küssen während der zwanzig Jahre vielleicht verlernt habe. Einen Schneesturz hätten wir nicht zu befürchten, und da – hm, was sagst Du dazu, Gustelchen?«
Sie zögerte einige Augenblicke mit der Antwort; sie konnte ja doch nicht sagen, wie gern sie ihm seinen Wunsch erfüllt hätte, fragte aber dann:
»Was hat denn der Bärenpelz verbrochen?«
»Eigentlich nichts, aber wenn man Monate lang nicht aus dieser Haut herauskommt, so befindet man sich nicht in einem sehr appetitlichen Zustande. Und so ein Herzeleid will ich Dir doch nicht anthun.«
»O, ich habe doch auch keinen Ballstaat an!«
»Meinst Du? Also ich darf?«
Er fühlte es mehr, als daß er es sah, daß sie nickte, denn er hatte ja bereits den einen Arm um sie gelegt. Jetzt zog er sie an sich heran und küßte sie lange und innig auf die ihm willig entgegen kommenden Lippen. Dann setzte er sich auf den Stein, zog sie neben sich nieder und küßte sie wieder und immer wieder.
Das dauerte lange, sehr lange. Die Beiden hatten ganz den Maßstab für die Zeit verloren. Sie fühlten sich jung, als ob sie noch Bursche und Mädchen seien, gerade wie damals in Ruppertsgrün. Sie bemerkten gar nicht, daß sich hinter dem Steine, auf welchem sie saßen, Etwas bewegte, leise und langsam, nach dem Feuer hin. Sie sprachen im Flüstertone. Sie hatten sich ja so sehr viel zu erzählen. Sie hatte ihm so viel abzubitten und er ihr so viel zu vergeben. Und die Vergebung wurde so oft wiederholt und allemal wieder mit einem Kusse besiegelt. Sam hätte noch lange nicht daran gedacht, daß seine Wachtzeit endlich längst vorüber sei und daß er Jim hätte wecken sollen, aber da wurden von dem nun freilich ganz niedergebrannten Feuer laute Rufe hörbar.
»Sapperment!« fuhr der Dicke zusammen und blickte nach dem Himmel, welcher freilich nur wenige Sterne zeigte. »Ich habe nun drei Stunden gewacht. Was ist denn dort los?«
Er sah, daß die Schläfer erwacht und aufgesprungen waren und eilte hinzu.
»Was giebt es? Was habt Ihr denn?«
»Dicker, bist Du blind und taub gewesen?«
»Nein.«
»Wo sind denn unsere Gewehre?«
»Sind sie denn weg?«
»Ja, alle. Oder hast Du Dir wieder einmal einen dummen Spaß gemacht?«
»Fällt mir nicht ein! Legt Euch schnell wieder auf die Erde nieder, damit Ihr kein Ziel bietet! Wie ist denn das gekommen?«
Sie lagen Alle am Boden, auch Auguste, welche mit herbei gekommen war.
»Das mußt doch Du wissen,« sagte Jim. »Du hattest die Wache. Warum hast Du mich nicht geweckt? Deine Zeit ist ja längst um!«
»Du dauertest mich. Ich wollte Dir Ruhe gönnen.«
»Hole Dich der Teufel mit Deinem Bedauern! Wir sind beschlichen und bestohlen worden. Vielleicht ist es gar etwas noch Schlimmeres!«
»Schwerlich! Mörder hätten sich nicht mit den Gewehren begnügt, sondern mit den Messern gearbeitet. Verdammt! Ich habe nichts gehört!«
»Leider! Vielleicht hast Du wieder einmal über's Wasser hinüber gedacht nach – nach – na, wie heißt das grüne Nest? Ruppertsgrün, wo die Auguste jetzt mit einem Anderen schnäbelt! Wenn die Gewehre wirklich weg sind, so hast Du es mit mir zu thun! Du bist so dumm, so dick Du bist!«
»Na, halte das Maul! Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Wenn wir nur die Pferde noch haben.«
»Unsinn! Wer die Gewehre stiehlt, der nimmt auch die Pferde mit. Aber das ist wahr, verdammt gescheidte Kerls müssen es gewesen sein! Ich brächte es nicht fertig. Ich hatte mein Gewehr ganz fest im Arme.«
»Ich auch,« erklärte Tim.
»So müssen wir desto vorsichtiger sein. Ich bin schuld und werde also das Wagniß unternehmen. Ich krieche nach den Pferden.«
Tief am Boden hingestreckt, kroch er in die Nacht hinaus. Aber bereits nach wenigen Sekunden hörten sie ihn rufen:
»Was ist das? Kommt einmal her!«
Sie folgten seiner Aufforderung. Etwa fünfzehn Schritte von ihnen entfernt waren die fehlenden Gewehre zusammengestellt und an der Spitze dieser Pyramide befand sich ein weißes Papier.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Tim.
»Werden es gleich erfahren,« antwortete Sam, indem er nach dem Papiere griff. »Nehmt Eure Büchsen, ich sehe nach den Pferden.«
Er schlich sich fort und kehrte erst nach längerer Zeit nach dem Lagerplatze zurück, wo sich die Anderen wieder niedergelegt hatten.
»Es ist Alles in schönster Ordnung,« meldete er. »Die Pferde sind da und ich habe keinen Menschen bemerkt. Heiliger Donner! Wenn das Feinde gewesen wären! Unsere Seelen befänden sich schon im fünften Himmel!«
»Da siehst Du, was Du mit Deiner Achtlosigkeit hättest anrichten können!« brummte Jim.
»Rede nicht! Du hättest auch nichts gehört. Es ist freilich stark, sich mitten zwischen Euch hinein zu schleichen und Euch die Flinten abzunehmen. Der Kerl, der das gethan hat, ist ein Savannenvirtuos. Aber ein Feind ist er sicherlich nicht.«
»Warum aber läßt er sich nicht sehen und hören?«
»Das ist auch mir ein Räthsel, wird sich aber vielleicht bald aufklären, wenn wir uns das Papier ansehen. Es ist, wie ich fühle, kein Druck- sondern Schreibpapier. Vielleicht steht Etwas darauf. Da giebt es noch glühende Asche. Blase sie einmal an, Tim, und lege einige Zweige darauf! Ich will lesen.«
Tim that dies, und als nun die Flamme hell aufprasselte, hielt Sam das Papier in die Helle und las. Es war wohl nicht sehr leicht zu entziffern, da die Wörter mit Bleistift und im Dunkel geschrieben worden waren. Es dauerte einige Zeit. Dann aber sprang Sam mit einem Rufe der Freude auf und rief mit lauter Stimme, so daß es in der nächtlichen Stille wohl eine englische Meile weit schallen mußte:
»Hallo, Sir, halloo! We thank you thousand, thousand times! Halloh, Sir, halloh! Wir danken Euch tausend, tausendmal!«
Im Nu war auch Jim aufgesprungen und sagte, im höchsten Grade erschrocken:
»Bist Du verrückt, Dicker! Du brüllst uns ja alle Indianer des Felsengebirges auf den Hals! Willst Du denn mit aller Gewalt scalpirt werden! Gleich kommst Du nieder und hältst das Maul!«
Er zerrte an Sam herum, um ihn wieder zum Sitzen zu bringen, aber der Dicke lachte und sagte:
»Keine Sorge! Wo Der ist, den ich meine, da reißen alle Indsmen aus. Ich möchte am liebsten noch einmal rufen, dann –«
»Um Gotteswillen, laß das bleiben!«
»Pshaw! Haltet Ihr mich für einen Kindskopf! Ich denke, der dicke Sam weiß stets, was er thut.«
»Ja, besonders wenn er die Wache hat. Da schläft er ruhig ein und läßt sich die Gewehre forttragen!«
»Na, was das betrifft, so hätte ich mich am Liebsten vorhin selbst beohrfeigen mögen, das ist wahr. So hat man mich noch nicht über's Ohr gehauen. Aber nun ist es anders. Jetzt, da ich weiß, wer es gewesen ist, kann ich es mir vergeben. Wenn Der es will, so trägt er Euch Alle vom Feuer fort, ohne daß Ihr es merkt. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Sei nicht verrückt! Wer ist es denn?«
»Da steht es unten auf dem Zettel, in indianischer Sprache. Spitzt Eure Ohren! Ihr habt den vornehmsten Besuch gehabt, den man hier im fernen Westen nur haben kann!«
Er setzte sich wieder nieder, um den Zettel abermals an die Flamme zu halten.
»Wenn ich nicht wüßte,« zürnte Jim, »daß es hier keinen Tropfen Feuerwasser giebt, so dächte ich, Du hättest Dich bekneipt und seiest betrunken. Wer ist denn dieser außerordentliche Kerl?«
»O, es sind ihrer Zwei. Hört also und staunt! Hier steht groß und deutlich »Tan-ni-kay und daneben lese ich –«
»Tan-ni-kay!« rief Jim, überrascht aufspringend. »Das ist etwas Anderes! Ist's wahr? Steht das wirklich da?«
»Ja, natürlich! Ich werde doch so viel herausbuchstabiren können!«
»Du hast doch einst gesagt, daß Du nicht lesen könntest! Ich glaube, es war an jenem Abende, an welchem wir uns bei Wilkinsfield im Walde trafen.«
»Das war Spaß. Ein Deutscher, und zumal ein Sachse, kann stets lesen. Der wird gleich mit dem A b c geboren und in das große und kleine Einmaleins eingewindelt; als Zulp bekommt er eine Federbüchse in das Maul gesteckt und wenn er schreit, so schreit er gleich perfect nach Noten im Violinschlüssel. Also lesen kann ich, auch den zweiten Namen.«
»Und der heißt?«
»Lata-nalga.«
»Lata-nalga! Donnerwetter! Das sind nun freilich die berühmtesten Männer, welche es hier im Westen gegeben hat. An sie kommt kein Anderer, und da ist es nun gar nicht zum Verwundern, daß sie uns so famos an- und abgeschlichen haben.«
»Was heißen denn diese Namen?« fragte der Förster, dessen Wißbegierde natürlich auch erwacht war, da er die Anderen so aufgeregt sah.
Sam Barth erklärte:
»Lata-nalga sollte eigentlich heißen Lata-nalgut. Es ist aus der Apachensprache und bedeutet »starke Hand«. Tan-ni-kay ist die Abkürzung von Natan-si-ni-tle kayi, auch aus der Sprache der Apachen und heißt »Fürst der Bleichgesichter«. Haben Sie das verstanden?«
»Natürlich. Aber wer sind die Beiden?«
»Die »starke Hand« ist ein Apachenhäuptling, ein Krieger, Reiter, Ringer und Schütze wie kein Zweiter. Er besitzt eine Körperkraft, eine Faust, welche Steine zerhauen kann, daher sein Name. Er ist ein Freund der Weißen überhaupt, aber nicht auch ein Freund der Vereinigten-Staaten-Regierung, die seinem Volke den Raum zum Leben immer enger und enger macht. Wehe dieser Regierung, wenn die »starke Hand« einmal auf den Gedanken kommen sollte, sich an die Spitze der südwestlichen Indianerstämme zu stellen! Dieser Häuptling ist nicht alt, aber von einer Einsicht, Klugheit und Geschicklichkeit, welche nur mit seiner Tapferkeit verglichen werden kann. Wenn er in der Versammlung erscheint, beugen sich Alle zur Erde, und wenn er sich erhebt, um zu sprechen, so bleibt selbst der Sturm stehen und schweigt, um den Worten des rothen Häuptlings zu lauschen.«
»Sie werden ja förmlich poetisch!«
»Ja, das möchte ein Jeder werden, der von diesem Manne spricht. Er ist unvergleichlich, und es giebt nur einen Einzigen, der sich mit ihm messen kann, ja, der ihm wohl gar noch über ist. Ich meine da den Fürsten der Bleichgesichter.«
»Auch ein Indianer?«
»O nein; das zeigt ja bereits sein Name. Er muß ein Bleichgesicht, ein Weißer sein.«
»Aber sein Name ist doch indianisch!«
»Gerade darum hat er um so größeren Werth. Der Indianer besitzt einen ungemeinen Scharfblick in Beziehung auf die Beurtheilung eines Andern. Er findet für jeden Menschen stets einen zutreffenden Namen, welcher die hervorragenden Eigenschaften oder Eigenthümlichkeiten desselben genau bezeichnet. Daß gerade die Wilden diesen Weißen den Fürsten der Bleichgesichter genannt haben, ist der deutlichste Beweis, daß dieser Mann wirklich der außerordentlichste Weiße ist, den sie gesehen haben.«
»Weiß man, wer er ist?«
»Nein. Er kennt den Westen, wie ich die Linien meiner Hand kenne, und doch spricht man erst seit ungefähr drei Vierteljahren von ihm. Aber in dieser kurzen Zeit ist er auch so berühmt geworden, daß die zweijährigen Indianerkinder von ihm schwärmen und die weißen Großväter und Großmütter von ihm erzählen. Er ist der alte Ueberall und Nirgends. Wo etwas Großes geschieht, hat er es angestiftet, und die »starke Hand« ist dabei. Beide sind nämlich ganz unzertrennliche Freunde. Es ist, als ob er allgegenwärtig sei. Heute hat er die Sioux über den Schädel gehauen und nach kurzer Zeit hört man bereits, daß er die Comanchen in die Enge getrieben hat. Gestern hat er eine weiße Familie vom sicheren Tode errettet und morgen oder übermorgen haut er einen braven Indsmen aus den Feinden heraus. Er soll so stark sein, wie ein brauner Bär, und doch ein Kind von Gemüth. Er kommt und verschwindet wie ein Geist. Niemals läßt er Spuren zurück, und findet man ja einmal eine Fährte seines Pferdes, so hört sie plötzlich mitten im tiefen Sande, wo sie doch am sichtbarsten ist, auf, als wären Reiter und Pferde plötzlich davon geflogen. Darum sagen die Rothen, daß er ein Geisterpferd besitze, welches vier Flügel habe.«
»Es ist jedenfalls viel Uebertreibung dabei.«
»Ja, der Jäger, sowohl der rothe, wie auch der weiße, ist sehr zum Uebersinnlichen und zur Uebertreibung geneigt. Die Einsamkeit, in welcher er sich befindet, die großartige Natur, welche er durchschweift, die Gefahren, welche ihn umgeben, das Alles regt seine Phantasie an und giebt ihr eine eigenthümliche, fremdartige Richtung. Die Heldenthat, welche am Lagerfeuer erzählt wird, bekommt bald einen überirdischen Anstrich. Aber selbst wenn man diese Uebertreibung abrechnet, bleibt von den Thaten der beiden Männer, von denen wir sprechen, so viel übrig, daß man eingestehen muß, sie werden von sonst Keinem erreicht.«
»Ist dieser Fürst der Bleichgesichter ein Yankee?«
»Wer das wüßte! Er erscheint niemals in zahlreicher Umgebung und verschwindet ebenso schnell, wie er gekommen ist. Niemand wagt es, ihn auszufragen, und seinen Namen nennt er nicht.«
»Aber man muß ihn doch als den Fürsten kennen?«
»Ich habe ihn noch nie gesehen, aber ich habe mir sagen lassen, daß man erst nach seiner Entfernung merke, mit wem man es zu thun gehabt hat. Es ist ganz so, wie jetzt hier bei uns. Er ist da gewesen und wieder fortgegangen, ohne daß wir es gemerkt haben. Aber nun er fort ist, wissen wir, wer uns besucht hat. Aber bei diesen Erklärungen vergessen wir die Hauptsache, nämlich den Zettel.«
»Ja,« meinte Jim. »Es muß doch noch mehr darauf stehen als nur die beiden Namen.«
»Natürlich! Es ist wahrhaftig ganz so, als ob er allwissend sei. Horcht einmal!«
Er beugte sich zum Feuer hin und las:
»Genau nordwest reiten – in vier Stunden enges Thal, drei Akazien am Eingange – drin die Wagen – nur zwei Mann Wache – die Andern nach Süden geritten, um Palomo-nakana zu bestehlen – vorderster Wagen linkes Hinterrad Euer Geld vergraben – haltet später bessere Wacht – wir konnten auch Feinde sein – gratuliren Sam Barth und Gustel aus Ruppertsgrün.
Tan-ni-kay – Lata-nalga.«
Jim und Tim schüttelten die Köpfe. Der Erstere sagte verwundert:
»Sollte man das für möglich halten! Stehen diese Worte denn wirklich da auf dem Papiere?«
»Versteht sich! Hier lies es selbst!«
Er hielt ihm den Zettel hin.
»Unsinn! Behalte nur getrost das Papier! Ich will lieber mich mit fünfzig Indianern als mit drei Buchstaben herumbalgen. Mit den Indsmen werde ich fertig, mit dem Geschreibsel aber nicht. Es hat eben ein Jeder seine starken und seine schwachen Seiten. Aber, höre, Sam, diese Sache kommt mir doch ein Wenig unwahrscheinlich vor!«
»Warum?«
»Weil erstens diese Kerls nur vier Stunden entfernt von hier stecken sollen.«
»Ist das so unmöglich?«
»Unmöglich wohl nicht. Aber sie werden sich doch nicht so nahe hersetzen, wo sie hier den Diebstahl ausgeführt haben.«
»Hm! Man kennt ihre Gründe nicht.«
»Und nun nur Zwei bei den Wagen lassen!«
»Jemand muß doch als Wache zurückbleiben!«
»Und das Geld vergraben! Das steckt man doch ein und behält es bei sich!«
»Schau, wie klug Du bist! Diese Kerls sind zu einem Raubzuge aufgebrochen. Sie wissen nicht, ob er gelingen werde. Gelingt er nicht, so laufen sie Gefahr, das zu verlieren, was sie bei sich haben. Es ist also ganz klug, daß sie es vergraben haben.«
»Hm! Es ist das Alles möglich, sehr wahrscheinlich aber ist es nicht.«
»Ich glaube es.«
»Bedenke, wenn irgend ein Lump sich den Spaß gemacht hätte, uns irre zu führen. Vielleicht einer aus der Spitzbubengesellschaft selbst. Sie bringen uns von der richtigen Spur ab und kommen unterdessen in Sicherheit.«
»Pshaw! Ein solcher Hallunke hätte es nicht fertig gebracht, sich in dieser Weise anzuschleichen; er hätte uns auch nicht die Gewehre und Pferde gelassen.«
»Das ist freilich wahr.«
»Und zudem hoffe ich, daß wir, wenn der Tag anbricht, eine Spur der Wagen finden werden, obgleich bereits fünf Tage vergangen sind.«
»So willst Du also diesem schriftlichen Rathe folgen?«
»Natürlich! Wir haben ja noch Zeit, zu berathen. Von großem Vortheile hierbei wäre es, daß wir für unsere Ladies kein Versteck zu suchen brauchen. Vier Stunden können sie es zu Pferde aushalten. Wir können sie also gleich mitnehmen. Es scheint mir, daß der rothe Burkers das Thal, in welchem die Wagen stehen, bereits gekannt hat. Es ist sein Versteck, von welchem aus er noch einige Beutezüge unternehmen will. Die Wagen bieten ihm die vortrefflichste Gelegenheit, das Geraubte dann bequem in Sicherheit zu bringen. Wie gesagt, ich glaube Alles, was hier auf dem Zettel steht. Und da diese beiden Namen darunter geschrieben sind, so bin ich bereit, auf den Inhalt zu schwören, wie auf das Evangelium.«
»Warum aber thut dieser Fürst der Bleichgesichter so heimlich? Warum hat er uns nicht geweckt, um uns seine Mittheilung mündlich zu machen?«
»Er wird seine Gründe gehabt haben.«
»Natürlich! Aber woher weiß er das Alles?«
»Das ist seine Sache.«
»Und woher weiß er, daß diese gute Lady aus dem Orte Ruppertsgrün ist?«
»Ich schätze, daß er sich länger, als wir annehmen, hier bei uns befunden und uns belauscht hat.«
»Und was hat es mit der Gratulation für eine Bewandtniß? Seid Ihr etwa Beide an demselben Datum geboren und feiert heute Euern Geburtstag?«
»Fast ist es so. Wir feiern den Tag der Wiedergeburt.«
»Du siehst mir nicht aus wie ein wiedergeborenes Wickelkind, Dicker. Mach keine Faxen!«
»Na, so will ich deutlicher sein. Du selbst hast heute bereits auf die Lady angespielt, deren Bekanntschaft ich da drüben gemacht habe –«
»Ja, auf dem Schweinestalle!«
»Wo, das ist gleichgiltig.«
»Aber nicht so gleichgiltig ist es wohl, daß Sie Dir den Laufpaß gegeben hat.«
»O, im höchsten Grade gleichgiltig! Oder meinst Du etwa, daß ich mich sehr abgehärmt habe?«
»Nun ja, Du hast Dir ganz im Gegentheile ein hübsches Bäuchlein angehärmt. Der Gram aus unglücklicher Liebe ist Dir sehr gut bekommen. Wie würde da erst eine glückliche Liebe bei Dir anlegen!«
»Das wirst Du sehr bald erfahren und beobachten können, da ich eben jetzt an einer sehr glücklichen Liebe erkrankt bin.«
»Zu wem denn?«
»Zu Dir nicht, mein süßer Jim; aber besagte Liebe ist eine so glückliche, daß ich mir vorgenommen habe, in allernächster Zeit Ehemann zu werden.«
»O wehe! Dich möchte ich als Ehemann sehen, im rothen Schlafrocke, mit gelben Bummeln und Quasten, Blumentöpfe begießend und Handtücher waschend!«
»Kannst Dir es mit ansehen. Und damit Du Dir nicht Sorge machst, ob ich auch eine Squaw bekomme, so werde ich sie Dir zeigen.«
»Wohl im nächsten Indianerdorfe? Da wird sich wohl irgend eine rothe Urahne finden lassen, welche geneigt ist, ihr zartes Herz Dir an den Rücken nageln zu lassen.«
»Das könnte sie. Bei mir hätte der Nagel guten Halt, bei Dir ginge er aber durch, wie bei einem Cigarrenkistenholze von zwei Zehntel Zoll Dicke. Aber bis wir an ein Indsmendorf kommen, will ich Dich gar nicht warten lassen. Eigentlich kannst Du mich herzlich dauern. Nachdem ich Dir die Gratulation vorgelesen habe, müßtest Du eigentlich wissen, wer das Vergnügen haben wird, jene Urahne zu sein. Mache Deine Augen auf und siehe Dir meine Braut an. Hier sitzt sie, gerade vor Dir.«
Er zeigte auf die Wittwe. Jim machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:
»Dir wollen wohl die Gedanken vergehen, Dicker!«
»Gar nicht; ich habe sie vielmehr noch niemals so gut beisammen gehabt wie jetzt. Diese Lady ist diejenige Auguste, unter deren Fenster ich auf dem Schweinestalle stand –«
»Und die Dir dann den Abschied gab –«
»Um mich jetzt desto herzlicher wieder aufzunehmen.«
»Ist das wahr, Mylady?«
Auch der Förster zeigte sich im höchsten Grade überrascht, freute sich aber schließlich, als er den Zusammenhang erfuhr. Jim war jetzt nun überzeugt, daß Sam im Ernst gesprochen habe, und sagte, dieses Mal allerdings in wirklicher Aufrichtigkeit:
»Ich muß Euch gratuliren, Mylady; aber eigentlich bedaure ich es, daß Ihr Euch wiedergefunden habt. Wir verlieren an unserem Sam einen Jäger, wie ihrer sehr wenige gefunden werden. Wir ärgern zwar zuweilen einander ein Wenig, aber das ist nur zum Zeitvertreibe, wie es so die Kinder zu machen pflegen, im Ernste kennen wir einander und wissen seinen Werth zu schätzen. Macht also unseren kleinen Dicken so glücklich, wie es Euch nur möglich ist!«
»Woher weißt Du, daß Ihr mich verlieren werdet?« fragte Sam.
»Nun, ich schätze, daß Du als Ehemann hübsch daheim bleiben wirst, um Kartoffeln zu schälen und Quirle zu schnitzen. Das ist Deine Schuldigkeit.«
»Warte es ab! Wir haben überhaupt jetzt keine Zeit, über meine Angelegenheit zu sprechen. Wir sind hier mit dem Schreiben noch nicht fertig. Da steht nämlich: ›Die Anderen nach Süden geritten, um Palomo-nakana zu bestehlen‹. Wißt Ihr, was das zu bedeuten hat?«
»Natürlich!« antwortete Tim. »Man sagt, daß die Nakana große Schätze verberge. Die will der rothe Burkers holen.«
»Wer ist dieser oder diese Palomo-nakana?« erkundigte sich der Förster.
»Es ist nicht ein Er, sondern ein Sie,« antwortete Sam. »Dieses weibliche Wesen ist von ebensolchen Geheimnissen umgeben, wie der Fürst der Bleichgesichter. Man spricht seit ungefähr drei Jahren von ihr. Sie soll jung sein, ein Mädchen von ganz außerordentlicher Schönheit, eine Weiße, welche aber von den Indsmen wie eine Göttin verehrt wird, weshalb, das kann man nicht sagen. Wir Drei haben den Norden abgepürscht und sind seit Langem nicht nach dem Süden gekommen; darum sind wir noch nicht zu ihr gekommen. Jetzt aber hoffe ich, daß wir sie sehen werden, da wir uns in der Nähe befinden.«
»Ja, weißt Du denn, wo sie wohnt?« fragte Jim.
»Ja.«
»Vor Kurzem wußtest Du es noch nicht.«
»Das ist sehr richtig. Ich wußte weiter nichts von ihr, als was auch Ihr gehört hattet, nämlich daß sie ihr Wigwam da aufgeschlagen hat, wo die Gebiete der Comanchen und Apachen zusammenstoßen. Diese beiden Stämme sind von jeher Todfeinde gewesen. Die Wohnung der Nakana aber ist ihnen heilig. Wo das schöne Mädchen sich befindet, ist neutraler Boden. Wo ihr Auge hinfällt, da hört die Feindschaft und die Blutrache auf, und die Comanchen kommen von Osten, die Apachen von Westen her, um sie zu verehren und mit Geschenken zu beschütten. Das wußten wir. Vor zwei Wochen aber bin ich mit einem Scout (Pfadfinder) zusammengetroffen, der bei ihr gewesen ist und mir den Weg zu ihr beschrieben hat. Sie lebt mit ihrem Vater in einer eingegangenen Mission. Ich habe nach den Namen gefragt, konnte aber nichts Anderes erfahren, als daß sie ihn nur Pa nennt, er sie aber Almy.«
»Du,« meinte da Jim. »Der Name kommt mir sehr bekannt vor. Hieß nicht so die schöne junge Lady Wilkins auf Wilkinsfield, wo wir damals mit Walker zusammentrafen, den unser kluger Tim so hübsch wieder laufen ließ?«
»Ja, die junge Lady hieß so. Es war überhaupt dort eine unglückliche Gegend. Wilkins hat seinen Prozeß gegen den Nachbar Leflor verloren. Er sollte in Schuldhaft gesteckt werden und schoß nach Leflor. Das brachte ihn in Untersuchung wegen Mordversuch und er entfloh mit seiner Tochter. Der brave deutsche Oberaufseher – Adler hieß er wohl – war schon vorher auch verschwunden. Niemand wußte, wohin. Aber wir kommen von unserem Gegenstande ab. Wir sprachen doch von der Wohnung der Nakana. Der Pfadfinder hat sie mir so beschrieben, daß ich sie sehr wohl zu finden vermag. Wir befinden uns hier im Osten von der Sierra de los Mimbres. Wenn wir noch einen halben Tag lang nach Süden reiten und sie nach Westen hin übersteigen, so kommen wir an die Sierra della Acha, welche ihre Wasser dem Rio Gila und durch diesen dem Colorado zusendet, welcher in den Golf von Californien mündet. Da oben auf der Acha giebt es einen wunderherrlichen Gebirgssee, an dessen Ufern ich vor über zehn Jahren einmal mit den Comanchen zusammen gerathen bin. Sie halten das Gebiet sehr heilig, weil sie da oben ihre berühmten Häuptlinge begraben. Sie litten deshalb kein Bleichgesicht da oben, und ich war froh, mit dem Leben und einigen Messerstichen davonzukommen. Am Ufer des Sees stehen die alten Gebäude einer katholischen Mission, welche nicht mehr bewohnt waren. Man sagt, daß dort einst ein sehr reiches Volk gewohnt habe, Tolteken oder so ähnlich soll ihr Name gewesen sein. Dieses Volk fand viel Silber in den Bergen, und als es dann verdrängt wurde, hat es unermeßliche Schätze in der Nähe des Sees vergraben. Deshalb und weil das Wasser des Sees bei klarem Wetter und wenn die Sonne scheitelrecht steht, wie flüssiges Silber funkelt, hat man ihn den Silbersee genannt. In der alten Mission am Ufer wohnt die Nakana.«
»Was bedeutet denn das Wort Nakana?« erkundigte sich der Förster.
»Eigentlich heißt es vollständig Palomo-nakana. Beide Worte gehören dem Tehuadialecte an. Das Erstere bedeutet Taube und das Letztere Wald, Urwald, zusammen also die Taube des Urwaldes. Warum dieses Mädchen von den Indianern so genannt wird, weiß ich freilich nicht. Vielleicht erfahren wir es.«
»Sie wollen wirklich hin?«
»Ja, und ich denke, daß Sie mitgehen werden.«
»Sie vergessen, daß wir nach Californien wollen!«
»Und Sie wissen nicht, daß der beste Weg von hier aus nach Californien über die Sierra della Acha geht. Auch müssen Sie bedenken, daß ich mich nicht ohne Noth wieder von Auguste scheiden werde und daß Sie überhaupt noch nicht wissen, wie sich Ihre Zukunft entwickeln wird. Zunächst werden wir wieder holen, was Ihnen gestohlen worden ist. Dann wissen wir die Taube des Urwaldes in Gefahr, und es ist unsere Pflicht, sie zu warnen, sie also am Silbersee aufzusuchen –«
»Eigentlich unnöthig!« schaltete Tim ein.
»Warum?«
»Erstens weil der rothe Burkers bereits aufgebrochen ist und also vor uns dort ankommen wird. Wir werden also zu spät eintreffen, um warnen zu können. Das ist sicher.«
»Nicht so sicher, wie Du denkst. Wir haben ein gutes Gewissen und können also in gerader Richtung reiten; Burkers aber ist als Dieb bekannt. Läßt er sich treffen, so wird er einfach gehängt. Er wird also die einsamsten Gegenden aufsuchen und einen bedeutenden Umweg machen müssen. Aber was wolltest Du zweitens sagen?«
»Daß überhaupt unsere Warnung auf alle Fälle unnöthig ist. Denkst Du vielleicht, der Fürst der Bleichgesichter habe nur uns die Mittheilung gemacht, daß sich die Taube in Gefahr befindet? Er ist jedenfalls hin zu ihr. Vielleicht hat er uns nur deshalb eine schriftliche Nachricht gegeben, um von uns nicht aufgehalten zu werden und dort schnell eintreffen zu können. Verstanden, Dicker?«
»Sehr wohl. Aber gerade weil der Fürst hin ist und die »starke Hand« mit ihm, will auch ich hin. Ich will diese beiden berühmten Männer unbedingt kennen lernen. Verstanden, Langer?«
»Ja, und Du hast allemal Recht. Meint Ihr aber nicht, daß es jetzt besser wäre, noch eine Stunde zu schlafen? Unsere Pferde sind klüger als wir; sie liegen im Grase und ruhen sich aus, wir aber sitzen hier und plaudern, als ob morgen ein Feiertag sei. Macht die Augen zu und schwatzt nach Innen hinein! Das ist das Beste, was ich Euch rathen kann.«
Die Anderen stimmten bei. Die Wache trat an und bald lagen außer ihr Alle im erquickenden Schlafe. Aber mit Tagesanbruch war die Gesellschaft auch bereits wieder munter. Für die Frauen wurden die Sitze auf den Pferden möglichst bequem hergerichtet; der Morgenimbiß war bald vorüber, und da die Toilette im Westen keine lange Zeit in Anspruch nimmt, so war die Sonne noch nicht am östlichen Horizonte emporgestiegen, als die kleine Cavalcade sich auch schon in Bewegung setzte, gerade auf Nordwest zu, wie es auf dem Zettel gestanden hatte.
Sam ritt voran, an seiner Seite natürlich die Jugendgeliebte. Diese Beiden hatten sich so sehr viel zu fragen und zu beantworten. Aber trotzdem entging während des Rittes den scharfen, klugen Aeuglein Sams nicht das Geringste, was ein Interesse hätte haben können.
Je länger, desto mehr schüttelte er mit dem Kopfe. Er begann, während die Anderen geradeaus ritten, im Galopp Abstecher nach rechts und links zu machen und sagte, als er von einem derselben wieder resultatlos zurückkehrte:
»Ich glaubte, die Wagenspur zu finden, aber vergeblich. Hätte uns der Fürst nicht seine Weisung gegeben, so ständen wir wie die Ochsen vor dem Berge und kämen niemals hinauf.«
»Wenn nur diese Weisung auch zutreffend ist,« brummte Jim, welcher auch verdrießlich geworden war.
Auch er hatte nach der Fährte gesucht, ohne nur das Geringste zu entdecken. Darum fügte er hinzu:
»Ich denke, sie sind in einer ganz anderen Richtung davongefahren.«
»Der Fürst lügt nicht, ich vertraue ihm.«
So ging es weiter und weiter. Sam hielt die Augen immer am Boden. Wohl zwei Stunden lang war man geritten, da hielt er plötzlich an.
»Jim, siehst Du Etwas?« fragte er, vor sich hindeutend.
»Nein, nichts als Gras.«
»Aber im Grase?«
»Nichts, gar nichts.«
»Hm! Wenn ich mich nicht ganz irre, so habe ich die Fährte gefunden.«
»Möchte wissen! Ich habe doch auch Augen!«
»So gebrauche sie richtig! Blicke einmal rück- und vorwärts! Siehst Du denn gar nichts auf dem Grase?«
»Dürre Halme! Soll das Deine Fährte sein?«
»Natürlich. Diese Halme sind ausgerauft worden, in regelmäßigen, engen Linien, nicht ganz vier Ellen breit. Sie liegen oben auf, in ganz schnurgerader Richtung. Wenn mich nicht Alles täuscht, so sind sie mit einem Dinge ausgerauft worden, welches die größte Aehnlichkeit mit einem Rechen, einer Harke hat. Diese Harke hat etwas mehr Breite als der Wagen gehabt. Ueber diese Breite hinaus findest Du nicht einen einzigen Halm ausgerauft.«
»Sapperment! Du hast Recht, Dicker!« gab Jim zu, und sein Bruder stimmte bei.
»Diese Kerls haben an jedem Wagen so ein harkenähnliches Werkzeug gehabt,« fuhr Sam fort. »Das müssen doch Sie wissen, Herr Förster!«
»Das weiß ich freilich. Sie haben sich diese eiserne Harken in Santa Fé machen lassen. Jetzt denke ich erst daran. Ich bin eben kein Prairiejäger.«
»Nicht wahr, diese Harken wurden hinten an die Wagen gehängt und von denselben nachgeschleift, damit sie das von den Rädern und Hufen niedergedrückte Gras wieder aufrichten sollten?«
»So ist es. Der rothe Burkers sagte, es sei wegen der Indianer, damit diese unsere Spur nicht entdecken sollten.«
»Dieser Kerl hat die Weißen mehr gefürchtet als die Rothen. Er ist gleich in Santa Fé bereits darauf ausgegangen, Sie zu betrügen. Na, jetzt haben wir also glücklich die Spur. Der Zettel hat uns nicht betrogen. Nur frisch drauf los!«
Es war, als ob die Pferde von der munteren Stimmung ihrer Herren angesteckt würden, so wacker griffen sie aus. Die Prairie begann sich mit Buschwerk zu schmücken. Das Terrain hob sich höher und höher. Einzelne Bäume zeigten sich. Zur Seite lag eine ziemlich bedeutende Höhe. Sam ritt hinauf, um Umschau zu halten. Als er zurückkehrte, lachte er fröhlich und sagte im Tone der Befriedigung:
»Noch zehn Minuten, so sind wir dort. Aber wir müssen einen Umweg machen. Es steht zu erwarten, daß am Eingange des Thales ein Posten steht oder daß Einer oder auch alle Beide in der Gegend umherschweifen. Da wir sie aber am Besten überraschen müssen, so dürfen wir uns nicht sehen lassen. Darum schlage ich vor, diese Höhe zu umreiten, damit wir aus einer anderen Richtung kommen.«
»Hast Du denn das Thal gesehen?« fragte Jim.
»Ja, das heißt, den Eingang desselben und sogar die drei Akazien davor. Aber in das Innere hineinzublicken, das war mir freilich unmöglich. Kommt, wir reiten hier links ab.«
Sie bogen in die genannte Richtung ein und hielten sich so, daß sie hart am Fuße der Höhe hinritten. Auf der anderen Seite angelangt, erblickten sie nun den Berg, in welchem ein früher wohl breiteres Wasser das Thal ausgewaschen hatte. Jetzt war es klein und schmal, kaum mehr ein Bach zu nennen. An seinen Ufern standen lichte Sträucher, welche es ermöglichten, sich dem Thale zu nähern, ohne von dort aus gesehen zu werden.
»Das ist gut,« sagte Tim Snaker. »Auf diese Weise können wir uns ganz unbemerkt nähern und die Kerls überraschen, so daß sie vor Schreck die Cholera bekommen werden.«
»Der Gedanke von der Cholera ist nicht schlecht,« antwortete Sam. »Das Andere aber taugt desto weniger.«
»Wieso?«
»Du meinst natürlich, daß wir ganz gemüthlich durch den Eingang in das Thal kommen?«
»Natürlich! Das ist ja das Bequemste.«
»Aber zugleich auch das Dümmste. Wer sich Alles recht bequem zu machen strebt, der wird es nicht sehr weit bringen. Bist Du einmal dabei gewesen, wenn die Polizei irgend Einen fangen will?«
»Nein. Ich bin weder ein Policeman gewesen, noch hat man mich irgend einmal arretiren wollen.«
»Nun, so will ich Dir sagen, daß die Polizei stets so klug ist, nicht durch die vordere Thür in das Haus zu platzen. So müssen auch wir es machen. Es versteht sich ganz von selbst, daß die zwei Buschheaders, auf welche wir es abgesehen haben, gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben. Worin dieselben bestehen, kannst Du Dir wohl denken. Oder bist Du vielleicht um Deine zwei Gedanken gekommen?«
»Noch nicht ganz. Ich meine, daß Einer von ihnen am Eingange des Thales Wache halten werde.«
»Natürlich. Er wird da hinter einem Busche oder hinter einem Felsen stecken, wo wir ihn gar nicht sehen können. Er aber bemerkt uns natürlich und giebt uns von seinem sicheren Verstecke aus einige Kugeln. Sein Gefährte hört die Schüsse und versteckt sich auch, um uns zu empfangen, ohne daß er von uns gesehen werden kann. Auf diese Weise werden wir ganz gemüthlich von den Pferden herunter geputzt und hinauf in den Himmel geschafft, von wo aus wir dann unsere Nasen herunter stecken können, um zu sehen, wie die Kerls uns auslachen.«
»Du willst also von einer anderen Seite in das Thal?«
»Natürlich! Wenn Du Augen hast, so siehst Du da links drüben den Wald. Wir können ihn in weniger als einer Viertelstunde erreichen. Befinden wir uns unter seinen Bäumen, so kann uns kein Mensch sehen. Wir folgen seinem Rande und kommen dann von der Seite auf den Berg zu. Reiten wir ihn dann hinan, wobei wir nicht gesehen werden können, weil er gut mit Holz bestanden ist, so stoßen wir gerade im rechten Winkel auf das Thal –«
»Welches aber vielleicht so steile Wände hat, daß wir gar nicht hinabkommen können!«
»Hoffentlich wird es nicht so schlimm sein. Hinab müssen wir auf alle Fälle, Du auch. Und geht es nicht anders, so werfe ich Dich hinab. Das ist das Allerschnellste. Also vorwärts!«
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