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41

Adler trat unter das Thor, schoß, um allen Eventualitäten vorzubeugen, sämmtliche Schüsse des Revolvers ab, warf ihn seinem Besitzer nach, befahl dem Schwarzen, diesen Letzteren nicht wieder einzulassen und kehrte dann zu Vater und Tochter zurück.

Leflor hatte nicht Schaden genommen, aber es war ihm, als stecke er in einer Pauke, auf welcher tausend Musikanten herumtrommelten. Er sagte kein Wort, raffte sich und seinen Revolver von der Erde auf, drohte mit dem Letzteren zurück und hinkte davon. Es war natürlich vorauszusehen, daß er Alles aufbieten werde, sich auf die eklatanteste Weise zu rächen.

– – – – – – – – – 

Ungefähr vier Jahre oder auch wohl etwas mehr nach den soeben geschilderten Ereignissen ritt ein scheinbar einsamer Mann langsam den Wellen eines kleinen Baches entgegen, welcher von einer fernen Höhe kam. Diese Höhe schien das Ziel des Reiters zu sein.

Er war kein junger Mann mehr. Er hatte jedenfalls die Fünfzig bereits zurückgelegt. Sein Gesicht war wettersbraun, aber das Auge blickte hell und jugendlich in die Ferne.

Doch nicht blos in die Ferne blickte es. Es suchte auch rechts und links die Büsche zu durchdringen. Zuweilen hielt er den Kopf zur Seite geneigt, um irgend auf ein Geräusch zu lauschen. In solchen Augenblicken hielt er das Gewehr schußfertig in der Hand.

So ritt er langsam weiter. Sein mageres Pferd war höchst ermattet, und auch er selbst schien ermüdet zu sein. Eben kam er an einem kleinen Gebüsch vorüber. Ihm war, als habe er inmitten desselben ein leises Rauschen vernommen. Er hielt sein Pferd an und lauschte – vergeblich. Also ritt er weiter, fuhr aber erschrocken zusammen, denn:

»Puff, paff!« hatte es aus dem Busche hervorgeklungen, aber nicht aus einem Gewehre, sondern aus einem menschlichen Munde.

So wie der Reiter war auch das Pferd erschrocken. Er hielt es abermals an und fragte:

»Wer da?«

»Ich!« antwortete es.

»Wer bist Du?«

»Das was Du bist.«

»Nun, was denn?«

»Ein Esel, ein Dummkopf, ein Rindvieh!«

»Sapperment! Laß Dich das einmal sehen!«

»Gleich, Gevatter!«

Jetzt bewegte sich das Gebüsch und der Sprecher trat heraus. Bei seinem Anblicke bäumte das Pferd des Reiters hoch empor, sodaß dieser Mühe hatte, das Thier zu zügeln. Der Anblick dieses Mannes war aber auch zum Erschrecken. Seine kleine, außerordentlich dicke Figur war ganz und gar in ein Gewand aus Bärenfell gekleidet, mit der behaarten Seite nach Außen, hatte aber so viele Haare verloren, daß der Mann einem geschundenen Ungethüm ähnlicher aussah, als einem menschlichen Wesen. Ebenso sah seine Pelzmütze aus. Sein Gesicht aber war frisch, und seine Aeuglein blickten ganz lustig in das im hohen Grade erstaunte Gesicht des Reiters.

» Good day!« grüßte der Dicke lachend.

» Good day!« antwortete der Andere.

»Nun, seid Ihr fertig?«

»Womit?«

»Mit Eurer Verwunderung. Ihr sperrt doch den Schnabel auf, als ob Ihr mich wie ein Storch den Frosch mit Haut und Haar verschlingen wolltet!«

»Danke sehr! Eure Haut und Euer Haar sieht nicht so appetitlich aus, daß ich Euch verschlingen möchte. Aber wie kommt es, daß Ihr Euch einen Esel nanntet?«

»Mich nicht allein, sondern Euch auch.«

»Schön! Warum aber?«

»Weil wir Beide uns hier im Westen herumtreiben und könnten es doch besser haben.«

»Möglich bei Euch, bei mir aber nicht.«

»So, so! Hm, hm!«

Er musterte den Reiter mit scharfen Blicken, schüttelte den Kopf und fragte:

»Wo habt Ihr denn Euern Wagen?«

Der Andere machte eine Bewegung, als ob er erschrecke, betrachtete den Dicken nun seinerseits mit einem Blicke, in welchem sich das deutlichste Mißtrauen aussprach, und fragte:

»Wie kommt Ihr auf die Idee, mich nach einem Wagen zu fragen.«

»Weil Ihr einen habt.«

»Oho!«

»Schreit Oho so viel Ihr wollt! Ihr reitet Eurem Wagen voraus, um Weg zu suchen und Euch einen Braten zu schießen.«

»Verdammt! Habt Ihr mit den Hallunken gesprochen?«

»Nein.«

»Nein? Ihr antwortet so bestimmt. Ihr wißt also, wen ich meine?«

»Nein.«

»Oho!«

»Abermals Oho? Gewöhnt Euch das ab!«

»Unsinn! Steht mir Rede und Antwort, sonst werde ich Euch den Mund öffnen.«

»Etwa so weit wie der Eurige war, als Ihr mich erblicktet? Versucht es einmal!«

»Warum nicht? Hier ist mein Zahnbrecher!«

Er deutete auf seine Büchse.

»Und hier der meine!«

Der Dicke zeigte sein Gewehr. Der Reiter sah es an, lachte verächtlich und meinte:

»Eine schöne Grete! Was ist denn das für ein Prügel, he?«

»Grete? Das muß eine Verwechselung sein. Dieser Prügel heißt nicht Grete, sondern Auguste.«

»Hört, Mann, denkt ja nicht, daß ich Spaß mich Euch mache. Ihr kommt mir verdächtig vor. Ihr habt mich nach meinem Wagen gefragt, und das fällt mir auf. Ihr leugnet, die Hallunken gesehen zu haben, und ich verlange aufrichtige Antwort!«

»Und wenn ich sie nun nicht gebe?«

»So werde ich Euch zwingen. Ihr dürft nicht denken, daß ein Westmann nur zum Spaße fragt!«

Der Dicke betrachtete sich den Andern abermals, lachte lustig aus und sagte:

»Ihr ein Westmann? Pshaw! Das macht Ihr mir nicht weiß! Wißt Ihr, wie Ihr mir jetzt in diesem Augenblick vorkommt?«

»Nun wie?«

»Wie ein ehrsamer, deutscher Förster, welcher einen Holzdieb ertappt hat und diesen nun nach Pflicht und Gewissen ins Gebet nimmt.«

»Verdammt! Eure Augen sind nicht übel. Aber was wißt Ihr von Deutschland!«

»Wohl mehr als Ihr. Oder solltet Ihr – –? Hm, Euer Englisch schmeckt nach Holzasche. Es wäre wahrhaftig möglich, daß Ihr da drüben in Bismarks Vaterland Euern ersten Zulp zerbissen hättet.«

»Das habe ich auch.«

»Was! So seid Ihr ein Deutscher?«

»Yes!«

»Haltet den Schnabel! Wenn ein Deutscher deutsch reden will, so schreit er Yes oder Oui! Auch ich bin von drüben herüber. Wir sind also Landsleute. Hier meine Patsche! Willkommen.«

Der Reiter schlug nicht sofort in die dargereichte Hand. Er musterte den Kleinen abermals mit Mißtrauen und antwortete:

»So schnell geht das nicht. Erst muß ich gewiß sein, daß Sie wirklich nichts von den Schuften wissen.«

»Von welchen Schuften?«

»Die mich bestohlen haben.«

»Donnerwetter! Ich habe Schufte genug kennen gelernt; aber ich lasse mich fressen, wenn ich sagen kann, welcher von Ihnen allen grad Sie bemaust hat. Wann ist es denn geschehen?«

»Vor vier Tagen.«

»Und wo?«

»Da hinten, von wo ich herkomme.«

Dabei deutete er nach rückwärts.

»Sapperment! Wenn Sie so klug antworten, so brauche ich ja gar nicht erst zu fragen. Natürlich müssen Sie dahinten bemaust worden sein, von wo Sie herkommen, und nicht da vorn, wo sie hin zu wollen scheinen. Ich meine den Ort.«

»Es war in einer Gegend, welche ganz aus Fels bestand, glatt wie eine Tischplatte.«

»Hm! Eine solche Gegend kenne ich; aber sie liegt nicht vier, sondern nur eine Tagereise weit von hier.«

»Da ist sie es. Wir haben sehr langsam reisen müssen. Wir sind vier Personen.«

»Das ist kein Grund, langsam zu reiten.«

»Reiten? Ja, wenn man das nur könnte. Aber wir Vier haben nur ein Pferd, nämlich dieses hier.«

»Verdammt! Da kommt auf die Person freilich nur ein Pferdebein, und da geht es langsam. Und unter diesen Umständen nennen Sie sich so frank und frei einen Westmann?«

»Bin ich es etwa nicht?«

»Ich halte Sie nicht dafür.«

»Sehr aufrichtig! Aber ein Mann bin ich doch! Nicht?«

»Ja freilich! Für einen Maulwurf halte ich Sie natürlich nicht.«

»Und im Westen befinden wir uns. Folglich bin ich ein Westmann.«

»Wenn Sie diese Logik befolgen, sind Sie allerdings einer. Aber da sitzen Sie auf dem Pferde und sind müde. Steigen Sie ab, und gönnen Sie dem Thier die Ruhe und ein paar grüne Halme. Zwei Landsleute, welche sich im Felsengebirge treffen, können schon eine Viertelstunde plaudern.«

»Ich möchte wohl, aber – – –!«

»Was aber?«

»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen trauen kann.«

»Donnerwetter! Habe ich denn gar eine solche Galgenphysiognomie?«

»Das nicht, aber ich bin vorsichtig geworden.«

»Dagegen hat kein Mensch Etwas. Vorsichtig muß hier ein Jeder sein. Sie sollen es auch sein, ohne daß ich es Ihnen übel nehme. Setzen Sie sich hierher, und ich setze mich Ihnen gegenüber, sechs Schritte entfernt. Sie nehmen Ihr Gewehr schußfertig in die Hand, und wenn ich das Geringste thue, was Ihnen Veranlassung giebt, mich für einen schlechten Kerl zu halten, so schießen Sie mich einfach nieder.«

»Na, das werde ich wohl nicht nöthig haben!«

»Ich denke es auch.«

»Wir stich ja Landsleute; die Kerls aber, die ich meine, waren Yankees.«

»Hm! Man darf hier keinem Landsmann trauen. Merken Sie sich das. Aber vielleicht haben Sie meinen Namen einmal gehört. Man nennt mich hier im Westen den dicken Sam.«

»Den dicken Sam! Sapperment, ja, von Ihnen habe ich gehört! Ja, es stimmt, Sie stecken in einem Bärenfelle.«

»Na also! Trauen Sie mir jetzt?«

»Ja, von ganzem Herzen. Daß ich so einen kühnen Jäger und Waldläufer finde, das kann meine Rettung sein. Ich befinde mich mit meiner Gesellschaft nämlich in einer schlimmen Lage.«

»Gut! Ich habe noch niemals einen Hilfsbedürftigen verlassen. Kann ich Ihnen nützlich sein, so bin ich es herzlich gern. Sie dürfen sich auf mich verlassen. Steigen Sie also in Gottes Namen ab!«

»Aber ich versäume dabei meine Zeit!«

»Haben Sie so nochwendig, oder bedürfen Sie so schneller Rettung?«

»Das nicht. Aber ich will jagen, und wenn ich nichts schieße, so haben meine Leute heute Abend nichts zu essen.«

»Wenn es nur Das ist, so machen Sie sich ja keine Sorge. Ich habe genug zu essen für uns und für mehrere Personen.«

»Dann gut! Wie werden sich die Andern freuen, daß ich Sie gefunden habe!«

Er stieg vom Pferde, ließ es weiden und setzte sich neben Sam in das Gras. Dieser fragte ohne alle Umstände:

»Wer sind denn die drei anderen Personen, welche sich bei Euch befinden?«

»Meine Frau, mein Sohn und meine Schwägerin.«

»Sapperment! Zwei Weibsen dabei!«

»Ja.«

»Aber wie kommen denn die nach dem Westen?«

»Ich will aufrichtig sein und Ihnen Alles sagen. Sie haben mich für einen Förster gehalten, und ich bin auch wirklich einer – – –«

»Ah, also doch! Ja, der dicke Sam ist nicht dumm.«

»Ich war drüben in der Gegend von Zeulenroda angestellt und – –«

»Himmelelement! Ists wahr?«

»Ja. Warum erschrecken Sie?«

»Erschrecken? Fällt mir gar nicht ein!«

»Ich dachte, weil Sie so laut schrieen.«

»Hm, ja, ich brülle manchmal so ein Bischen zum Zeitvertreibe. Fahren Sie fort!«

»Die Besitzung, auf welcher ich amtirte, gehörte einer Familie von Adlerhorst. Es brach über sie ein noch nicht aufgeklärtes Unglück herein, und die Besitzung kam in fremde Hände. Es gab Differenzen mit dem neuen Herrn. Ich hatte Recht und bestand auf meinem Rechte. Er vergaß sich im Zorne und griff nach der Peitsche, nämlich nach der Reitpeitsche. Da wallte auch in mir das Blut; ich wehrte mich und schlug ihn nieder. Natürlich wurde ich abgesetzt. Bei der großen Concurrenz und dem schlechten Zeugnisse, welches ich erhielt, wollte es mir nicht glücken, bald eine neue Anstellung zu erhalten. Ich wartete, ich lief und gab mir Mühe; ich petitionirte – vergebens. Da lief mir die Galle über. Mein Sohn wollte schon längst nach Amerika. Ich entschloß mich kurz. Wir packten ein, und die Ruschel ging fort.«

»Doch nicht gleich nach dem fernen Westen?«

»Ja.«

»Das war verwegen.«

»Jetzt sehe ich es ein. Aber ich hatte mir das Alles ganz anders und viel leichter gedacht. Wir wollten quer durch das Land nach Californien. Wir kauften uns Wagen, Pferde und Zugochsen. Wir luden auf, was wir hatten und kamen nach Santa Fé. Da trafen wir auf eine Gesellschaft, welche auch nach Kalifornien wollte. Wir schlossen uns ihr an. Es wurde ein Anführer gewählt. Es gab eine bestimmte, militairische Ordnung, denn wir kamen durch das Indianergebiet. Vor vier Tagen erreichten wir die felsige Gegend, von welcher ich vorhin sprach. Da stellte es sich heraus, daß ich ein ganzes Packet Decken vom Wagen verloren hatte. Ich ritt natürlich zurück und fand sie auch nach mehreren Stunden; aber es war indessen Abend geworden. Als ich an den Lagerplatz zurückkam, war die Carawane nicht mehr vorhanden, aber meine Frau, der Sohn und die Schwägerin lagen gefesselt und mit verbundenen Augen am Boden. Nachdem ich sie von den Stricken und Binden befreit hatte, erzählten sie mir, daß man sie kurz nach meinem Fortgange überfallen und gebunden hatte. Gleich darauf war die Carawane wieder aufgebrochen. Meinen Wagen hatten sie natürlich mitgenommen.«

»Wie alt ist denn Ihr Sohn?«

»Vierundzwanzig.«

»Pfui Teufel! Hat er sich denn nicht gewehrt?«

»Er hat keine Zeit dazu gehabt. Sie haben ihn ganz plötzlich und von hinten niedergerissen.«

»Natürlich sind Sie den Spitzbuben nach?«

»Ja. Aber ich habe sie nicht gesehen.«

»Hm! Sie müssen doch ihre Spuren gefunden haben!«

»Auf dem felsigen Boden?«

Da lachte Sam auf und sagte:

»Das ist nun ein Forstmann und Jäger! Ja, wenn eine Eichhörnchenfährte nicht so groß ist wie ein Elephantentapfen und ein Wagengeleis nicht so breit und so tief wie die Elbe, so findet man keine Maus! Haben Sie denn nachgedacht, wohin diese Schurken mit Ihrem Wagen gefahren sein werden?«

»Doch nach Kalifornien?«

»Oder auch nicht!«

»Sie sagten doch, daß sie da hinwollten!«

»Pshaw! Man wird Ihnen nicht Alles auf die Nase gebunden haben. Ich denke mir, daß man gleich von vorn herein entschlossen gewesen sein wird, Sie zu berauben. Da hat man Ihnen natürlich die Wahrheit nicht gesagt. Und als sie nachher die Ihrigen überfallen haben und fortgefahren sind, haben sie eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Sie aber sind ganz nach der Richtung der Nase weiter gelaufen und geritten. Haben Sie Alles verloren?«

»Alles, außer was wir auf dem Leibe haben.«

»O wehe! Also das Geld auch?«

»Auch! Es befand sich im Wagen, von den beiden Frauen bewacht.«

»Wieviel?«

»Wir haben es in New-York umgewechselt. Ich erhielt fünfzehnhundert Dollars, meine Schwägerin aber achttausend.«

»Sapperment!«

»Ja, sie ist wohlhabend, oder vielmehr sie war es leider Gottes.«

»Ich hoffe sehr, daß sie es wieder sein wird.«

»Wieso?«

»Nun, natürlich nehmen wir den Hallunken das Geld wieder ab!«

»O bitte! Sie sagen das, als ob es sich so ganz von selbst verstehe!«

»Das ist auch der Fall.«

»Als ob es so ganz und gar leicht sei!«

»Leicht oder schwer, es wird gemacht.«

»Herrgott, wenn wir es wiederbekommen könnten! Aber wir wissen ja gar nicht, wohin die Diebe eigentlich sind!«

»Wir werden es erfahren. Wir reiten nach der Stelle zurück, an welcher die That geschehen ist. Dort werde ich die Spuren finden, denen wir ganz einfach folgen.«

»Die Spur? Nach vier Tagen?« fragte der Förster ganz erstaunt.

»Warum nicht?«

»Weil es unmöglich ist.«

»Unsinn und abermals Unsinn! Wenn es dort Grasboden gäbe, so hätte sich das niedergedrückte Gras längst wieder aufgerichtet, und es wäre nichts zu sehen. Da es sich aber um Steinboden handelt, so haben wir zu erwarten, daß wir Spuren finden. Ein schwerer Ochsenkarren läßt selbst im festesten Gestein sichtbare Fährten zurück. Seit vier Tagen hat es weder bedeutenden Wind noch Regen gegeben; die Spuren sind also nicht verweht oder verwaschen worden. Es steht sehr zu erwarten, daß wir den Weg nicht vergebens machen werden.«

»Hm! Selbst wenn wir sie ereilen, werde ich nichts wieder bekommen!«

»Warum nicht?«

»Weil sie jedenfalls nichts hergeben.«

»Wir zwingen sie!«

»Wir Zwei?«

»Sie unschuldiges, neugeborenes Wickelkind, Sie! Wie viele Wagen sind es denn?«

»Drei mit dem meinigen.«

»Und wie viele Leute?«

»Zwölf.«

.

»Und da meinen Sie, daß wir uns vor ihnen fürchten müssen? Dieses lumpige Dutzend nehme ich auf mich allein. Ich schieße sie einzeln von den Wagens weg, daß es pufft! Solche Schurken verdienen nichts Anderes. Aber geht es ohne Blutvergießen ab, so ist es desto besser. Wie ist denn eigentlich Ihr lieber, hochgeehrter Name, Landsmann?«

»Ich heiße Rothe.«

Dabei warf er, weil Sam vom Blutvergießen gesprochen hatte, einen besorgten Blick auf dessen Büchse. Sam sah es, gab ihm das Gewehr hin und fragte:

»Sie verstehen sich doch auf Waffen?«

»Auf diese Art nicht, obgleich ich sonst ein guter Schütze bin, ebenso wie mein Sohn. Schießen Sie wirklich mit diesem Gewehre?«

»Womit soll ich sonst schießen? Etwa hier mit meiner Nase? Da müßte ich den Schnupfen sehr stark haben, denn mit einem gewöhnlichen Katarrh nießt man keinen Büffel und keinen Bären todt.«

»Ich möchte es nicht versuchen. Das Ding wäre mir viel zu gefährlich! Und Auguste heißt es?«

»Ja, Auguste, meinetwegen auch Gustel.«

»Sonderbarer Name für eine Flinte! Es ist der Vorname meiner Schwägerin.«

»Da fällt mir ein, daß sie noch einen anderen Namen haben muß. Sie heißen also Rothe. Wie heißt Ihre Schwägerin? Ich muß sie doch nennen können, wenn ich mit ihr spreche.«

»Auch Rothe. Sie war die Frau meines verstorbenen Bruders und stammt aus Ruppertsgrün.«

»Rupp – rupp – rupp – – – rururupppp!«

Er brachte das Wort gar nicht heraus. Er war emporgesprungen und starrte den Förster an, als ob er ein Gespenst vor sich sähe.

»Warum erschrecken Sie?«

»Er – – schrecken – –? Ich erschrecke nicht.«

»Ach so! Sie sagten bereits vorhin, daß Sie zuweilen gerne schreien. Eine sonderbare Eigenthümlichkeit! Haben Sie vielleicht einmal einen recht großen und plötzlichen Schreck gehabt?«

»Nein.«

»Ich dachte! Solche Leute behalten gewöhnlich einen Rest fürs ganze Leben. Entweder stottern sie, oder sie fahren ganz unerwartet erschrocken zusammen. Ich dachte, Ihr Schreien hätte einen ähnlichen Grund.«

»Nein, gar nicht.«

»Sind Sie nervös?«

»Fällt mir gar nicht ein! Ein Savannenläufer und nervös! Das ist genau dasselbe, als ob Sie fragten, ob eine Krokodilgroßmutter Hühneraugen haben könne.«

»So kann ich mir Ihre Angewohnheit nicht erklären.«

»Ist auch nicht nöthig. Also aus Ruppertsgrün stammt Ihre Schwägerin? Und ihr Mann ist Ihr Bruder gewesen? Was waren denn Ihre Eltern?«

»Sie hatten eine Oekonomie. Die Auguste ist eigentlich schuld, daß ich so rasch eingewilligt habe, nach Amerika zu gehen.«

»Wieso denn?«

»Na, sie hat eine besondere Vorliebe für Amerika.«

»Das wäre doch sonderbar. Was geht sie denn dieses Amerika an?«

»Ja, der Mensch ist ein eigenthümliches Wesen. Die Auguste hat nämlich ihre erste Liebe in Amerika; das hat sie nicht vergessen können.«

»Sapperment! Eine erste Liebe, also einen Geliebten?«

»Ja. Mein Bruder war nämlich ein eigenthümlicher, halsstarriger Kerl Sie hat nicht recht gut mit ihm gelebt, und da ist ihr ihr erster Liebhaber wieder eingefallen. Der war ein Knopfmacher aus – –«

»Kno – Kno – – Knopf – nopf – – –!«

Sam war wieder aufgesprungen. Der Andere sah ihn bestürzt an und sagte:

»Wieder ein Anfall! O wehe! Wenn nun Indianer in der Nähe wären! Die hörten uns. Das würde eine schöne Geschichte werden. Sie schreien ja wie der Besitzer einer Riesendame auf dem Jahrmarkt!«

»Sapp – sapp – sapperment! Knopfmacher!«

»Wundert Sie das?«

»Ja, sehr!«

»Meinen Sie etwa, daß ein Knopfmacher keine Geliebte haben kann?«

»Oh, oh, wa – wa – warum denn nicht! Ich habe sogar einmal gehört, daß die Knopfmacher ganz tüchtige und hübsche Kerls sein sollen.«

»Möglich! Wenigstens Der, welcher hier in Rede steht, mag ein braver gewesen sein. Ein Bischen dumm, wie ich vermuthe – – –«

»Dumm?« fiel Sam ein. »Hole Sie der Teufel!«

»Warum grade mich?«

»Weil – – na, es war nicht so ernst gemeint.«

»Schön. Er hat Samuel Barth geheißen und war aus Herlasgrün im – – –«

»Her – herrr – – – herrrrr – la las – –!« rief Sam abermals laut.

»Schon wieder!« meinte der Förster. »Hören Sie, Ihre Angewohnheit ist eine gefährliche. Sie tritt zu häufig auf. Wenn ein Feind in der Nähe ist, darf man doch nicht so brüllen!«

»Ach! Es ist jetzt keiner da.«

»Aber wenn nun einer da wäre!«

»So würde ich nicht brüllen.«

»Vielleicht doch!«

»Nein, denn da würden wir von keinem Knopfmacher und keiner Gustel und keinem Herlasgrün und Ruppertsgrün sprechen.«

»Also diese Namen bringen Sie aus der Fassung?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil ich auch ein Deutscher bin. Wenn ich da den Namen eines deutschen Ortes höre, so geht es mir ans Gemüth und ich schreie vor Entzücken.«

»So werde ich, wenn Sie still sein sollen, lauter Fremdwörter bringen, etwa wie – – –«

»Halt! Mag jetzt keine hören. Also Ihre Schwägerin ist Wittwe?«

»Ja. Sie ist nur drei Jahre verheirathet gewesen, kinderlos; dann starb mein Bruder. Sie hat nicht wieder geheirathet und sich sehr gegrämt, daß sie den Knopfwacher nach Amerika hinübergetrieben hat.«

»Das alte, gute Weibsen!«

»Ja, ein gutes Gemüth hat sie. Jetzt nun ist sie arm wie eine Kirchenmaus, und noch dazu im fremden Lande. Es ist schlimm, sehr schlimm!«

»Schadet nichts; schadet nichts! Sie soll ihr Geld wieder haben und noch viel mehr dazu.«

»Denken Sie also wirklich, daß wir es wiederbekommen?«

»Jetzt erst recht, da sie aus Ruppertsgrün ist. Auf diesen Ort halte ich große Stücke.«

»Warum?«

»Weil – weil – weil – – na, eben darum, weil der Ruppert grün ist! Wir haben zu solchen langen Auseinandersetzungen keine Zeit. Wir wollen aufbrechen. Sind die Ihrigen weit hinter Ihnen?

»Nein. Sie laufen meiner Spur nach. Ich schätze, daß wir sie in einer Stunde haben werden, wann wir umkehren.«

»So weit?«

»Ja, weil Sie doch laufen müssen.«

»Ich? Hm! Passen Sie auf!«

Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Ein Wiehern antwortete, und sogleich kamen zwei nach indianischer Weise gesattelte Pferde herbei.

»Sapperment!« meinte der Förster. »Sie haben Pferde, und gar zwei!«

»Ja, mein Lieber. Diese Thiers haben die feinste indianische Dressur. Sie haben dort hinter dem Busche still gelegen, nur meinen Pfiff erwartend.«

»Aber wozu brauchen Sie zwei?«

»Das will ich Ihnen sagen. Es giebt zweierlei Art, im Westen zu jagen, zu Fuß und zu Roß. Das Erstere thut man im Urwalde und das Letztere außerhalb desselben. Ich habe mit zwei sehr guten Kameraden vom Norden herunter die Wälder abgepürscht und will mich hier in dieser Gegend, an diesem Bache, mit ihnen wieder treffen, nachdem wir uns vor einigen Monaten getrennt haben. Von hier aus wollten wir hinaus in die offene Prairie. Dazu sind Pferde nöthig, und zwar gute. Da habe ich denn ihrer zweie mitgebracht, falls es einem der Kameraden nicht geglückt sein sollte, eins zu bekommen. So ist es. Steigen wir jetzt auf. Es wird bald Abend sein. Wir müssen uns sputen.«

Die beiden so seltsam zusammengetroffenen Männer setzten sich auf und ritten in derselben Richtung zurück, aus welcher Rothe, der Förster, gekommen war. Unterwegs meinte dieser:

»Ich war erst mißtrauisch gegen Sie, weil Sie wußten, daß ich einen Wagen gehabt habe.«

»Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, woher Sie das so genau Wissen.« »Wenn Sie sich seit längerer Zeit in der Prairie befänden, würden Sie gar nicht fragen. Hier im Gürtel haben Sie Peitschenschmitzen hängen. Die braucht man nur, wenn man fährt. Und wer fährt, der hat einen Wagen! Nicht?«

»So, so also ist es.«

»Ja, so und nicht anders. Ganz ebenso leicht hoffe ich auch die Diebe, von denen Sie bestohlen worden sind, zu erwischen. Lassen Sie uns nicht schwatzen, sondern schnell reiten.«

Sie ritten nach Osten zu und hatten die untergehende Sonne hinter sich, die weite, von einzelnen Buschinseln besetzte Savanna vor sich. Sam war in tiefe Gedanken versunken. Er sollte die erste und einzige Geliebte seines Lebens finden, hier in der Prairie! Welch ein Zufall! O nein, sondern geradezu welch ein Wunder!

Er gedachte nicht der Jahre, welche vergangen waren, und nicht der Veränderungen, welche sie gebracht hatten. Die alte, tief im Herzen schlummernde Liebe war in ihrer ganzen früheren Stärke und Gewalt erwacht. Wie würde die Gustel aussehen? Hübsch und adrett wie früher? Würde sie ihren Samuel wieder erkennen? Schwerlich! Er war so rund und dick geworden, dazu von der Sonne gefärbt und vom Winde und dem Wetter gegerbt. Er hatte mit Absicht dem Förster nichts verrathen. Er wollte erst prüfen, sehen und hören, ehe er sich zu erkennen gab. Sie befand sich in Noth und Gefahr. Das Herz klopfte ihm bei dem Gedanken, daß er berufen sei, ihr Retter zu sein! Aber – dumm sollte er gewesen sein! Hatte sie selbst dies gesagt, oder hatte nur der Förster es vermuthet? Es war jedenfalls sehr richtig, daß der frühere Knopfmacher sich mit dem jetzigen Savannenläufer nicht messen konnte. Ja, ein Jeder sagt sich, wenn er an seine Jugend zurückdenkt, daß er Vieles und womöglich Alles anders hätte machen können. Sam durfte also Niemandem zürnen.

So ritt er schweigsam weiter, zur Rechten der Förster und zur Linken das Saumpferd. Er glaubte nicht, Veranlassung zur außerordentlichen Vorsicht zu haben, da sich in einem nicht sehr geringen Umkreise gegenwärtig keine Indianer sehen lassen würden.

Darum stieß er auch einen lauten Ausruf der Ueberraschung aus, als er plötzlich zufälliger Weise, nach links hinüber blickend, zwei Reiter bemerkte, von denen er und der Förster auch bereits gesehen worden war, denn sie hatten ihre Pferde in Galopp gesetzt und kamen in schnurgrader Richtung auf die Beiden zugesprengt.

»Donnerwetter!« sagte er. »Das wird eine allerliebste Geschichte. Nehmen Sie nur in Gottes Namen Ihre Büchse nicht von der Schulter!«

»Warum nicht? Ich glaube, das sind Indianer, und da muß man doch auf Abwehr bedacht sein.«

»Ja, Indianer sind es, und zwar scheinen es feindliche Comanchen zu sein.«

»O wehe! Und da sagen Sie, ich soll mein Gewehr in Ruhe lassen?«

»Ja, gewiß. Sehen Sie die Adlerfedern auf ihren Köpfen? Das ist das Häuptlingszeichen. Es sind Häuptlinge, und wo die sind, da befindet sich gewöhnlich eine Anzahl Krieger in der Nähe. Häuptlinge reiten nicht so allein in der Prairie herum, und da sie zu Zweien sind, läßt sich vermuthen, daß es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt und daß sich eine größere Anzahl Indsmen hier in der Nähe befindet.«

»Aber sehen Sie, daß die Kerls nach ihren Gewehren greifen! Es wird gefährlich!«

»O nein. Das ist nur so ihre Gewohnheit. Zu fürchten brauchen wir uns wenigstens jetzt noch nicht. Aber aus Vorsicht wollen wir absteigen. Thun Sie ganz dasselbe, was auch ich thue!«

Er hielt an, stieg ab und stellte sich hinter seine beiden Pferde. Dann legte er seine Büchse an und wartete, daß die Indsmen näher kommen sollten. Er konnte ihnen hinter seinen Pferden hervor, die ihn deckten, eine Kugel geben, ohne selbst von ihnen getroffen zu werden. Natürlich war der Förster seinem Beispiele gefolgt und hielt, hinter seinem Pferde stehend, auch seine Waffe schußbereit.

Die Indianer schienen sich nicht zu fürchten. Sie kamen bis in große Nähe heran und parirten ihre Pferde, kaum zwanzig Schritte von den Weißen entfernt.

»Halt, nicht weiter!« hatte Sam gerufen, »sonst schießen wir!«

Die Rothen beriethen leise mit einander, lachten laut auf, was sonst nicht in der Gewohnheit ihrer ernsten Rasse liegt, und dann antwortete der Eine von ihnen in dem Gemisch von Indianisch, Englisch und Spanisch, welches dort zwischen Indianern und Kaukasiern gesprochen wird:

»Fürchtet sich etwa das Bleichgesicht?«

»Fällt uns gar nicht ein!«

»Warum versteckt Ihr Euch?«

»Weil es uns so beliebt.«

»Kommt hervor, damit wir mit Euch sprechen können!«

»Das können wir so auch. Woher kommt Ihr?«

»Von daher.«

Er deutete dabei nach rückwärts.

»Das hätte ich nicht gewußt, wenn Du es mir nicht sagtest. Ich glaubte, Ihr wäret gradewegs vom Himmel gefallen. Aber wohin wollt Ihr?«

»Dorthin.«

Er deutete vorwärts.

»So reitet weiter!«

»Das werden wir thun, wenn wir mit Euch gesprochen haben.«

»Wir haben keine Zeit dazu.«

»Seit wann sind die Bleichgesichter so unhöflich geworden? Sie haben doch stets sehr gern mit dem rothen Manne gesprochen!«

»Wenn sie Zeit hatten, ja.«

»Zeit haben sie stets. Sie reden mit dem rothen Manne, um ihn zu betrügen, und dazu haben sie immer Zeit. Kommt hervor; wir wollen eine Berathung halten.«

»Ich wüßte nicht, was wir mit Euch zu berathen hätten. Wer seid Ihr?«

»Das werden wir Dir sagen.«

»Ah, Ihr verschweigt Eure Namen, das empfiehlt Euch nicht. Wir werden also wieder aufsteigen und weiter reiten.«

»Wenn Ihr das thut, werden wir Eurer Fährte folgen.«

»Das thut man nur in feindlicher Absicht!«

»Wir thun es und kennen unsere Absicht.«

»So will ich Euch sagen, daß wir Euch unsere Kugeln zu kosten geben werden, wenn Ihr uns mehr incommodirt, als wir dulden können.«

»Die Prairie gehört allen Menschen. Jeder kann reiten, wohin er will.«

»Was sprechen Sie denn mit ihnen?« fragte Rothe, der Förster. »Ich verstehe dieses Sprachgemisch nicht.«

Sam erklärte es ihm, und dann meinte der Förster:

»Das klingt freilich feindselig. Was thun wir?«

»Hm! Ich bin mir selbst noch unklar. Ich weiß nicht, was ich aus ihnen machen soll. Comanchen sind sie nicht, wie ich jetzt sehe.«

»Was sonst?«

»Pawnee's auch nicht. Sioux ebenso wenig, denn die kommen jetzt nicht so weit nach dem Süden herab. Sie haben sich die Gesichter bemalt, aber freilich nicht mit den Kriegsfarben, aus denen man den Stamm zu erkennen vermag.«

»Lassen wir die Kerls halten und reiten wir weiter!«

»So kommen sie uns nach. Jeder Bewohner der Savanne verfolgt die Spur, welche er findet. Diese Kerls können nicht wissen, ob wir nicht zu einer größeren Truppe gehören. Um das zu erfahren, werden sie also folgen.«

»O wehe! Da stoßen sie auf meine Familie!«

»Natürlich! Und dann weiß man nicht, was geschieht.«

»Bleiben wir lieber!«

»Ich halte das auch für das Beste. Sehen wir also, was sie von uns wollen! Ich weiß wirklich nicht, woran ich bin. Sie haben bei ihren Reitpferden noch zwei ledige gesattelte Pferde. Die führt doch sonst kein Häuptling mit sich. Hm!«

Er trat langsam hinter seinen Pferden hervor und schritt auf die Indianer zu, das Gewehr im Anschlage. Sie waren abgestiegen und kamen ihnen, da Rothe Sams Beispiel befolgt hatte, entgegen, ihre Gewehre auch schußfertig in der Hand. Fünf Schritte von einander entfernt, blieben die Partheien halten.

»Seid Ihr gekommen, die Pfeife des Friedens mit uns zu rauchen?« fragte Sam.

»Vielleicht rauchen wir sie mit Dir,« antwortete Der, welcher bereits vorhin gesprochen hatte. »Willst Du Dich zu uns setzen?«

»Ja.«

Jetzt setzten die Vier sich nieder. Zwei und Zwei gegenüber, die Gewehre quer über die Kniee gelegt. Sie betrachteten sich prüfend.

Die beiden Häuptlinge waren von gleicher Gestalt, lang und hager, mit sehnigen Gliedern. Ganz in Büffelfell gekleidet, hatten sie ihr Haar in einen Schopf gebunden, in welchem die Häuptlingsfedern befestigt waren. Ihre eigentlichen Züge waren nicht zu erkennen, da die Gesichtsmalerei sehr dick aufgetragen war.

»Also, was wollt Ihr?« fragte Sam. »Warum haltet Ihr unsern Ritt auf?«

»Wir wollen Euren Namen wissen.«

»Ihr habt uns die Eurigen noch nicht gesagt.«

»Wir sind Häuptlinge. Ein Häuptling sagt seinen Namen erst dann, wenn die Andern geantwortet haben.«

»Auch wir sind Häuptlinge,« meinte Sam.

»Das sagst Du; aber wir glauben es nicht.«

»Haltet Ihr mich für einen Lügner?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Ich sage die Wahrheit!«

»Beweise es! Wir können beweisen, daß wir Häuptlinge sind, denn wir haben die Federn, das Zeichen der Anführer. Was aber habt Ihr?«

»Meint Ihr etwa, daß ein Weißer auch Federn anstecken soll?«

»Nein; aber die Bleichgesichter haben auch ihre besondern Zeichen, die sie auf der Brust oder auf den Achseln tragen und aus denen man merkt, wer ein Häuptling ist.«

»Na, jetzt soll ich mir gar noch Epauletten aufstecken!« lachte Sam zu dem Förster. Dann setzte er, zu den Rothen gewendet, hinzu:

»Diese Zeichen tragen wir nur im Kriege. Jetzt aber haben wir gewöhnliche Kleider. Uebrigens bin ich nicht ein Soldat, sondern ein Jäger. Ich habe nicht den Beruf, mit den Indsmen Krieg zu führen. Ich liebe sie und bin ihr Freund.«

»Du nennst Dich unsern Freund und willst uns doch Deinen Namen nicht sagen!«

»Nun, wenn Ihr ihn so nothwendig wissen wollt, so will ich ihn Euch nennen. Ich heiße Daniel Willers, und mein Gefährte nennt sich Isaak Balten.«

Das war natürlich eine Unwahrheit. Er hielt es nicht für gerathen, seinen wirklichen Namen zu nennen.

»Und ich bin der brüllende Stier,« sagte der Häuptling ernst und würdevoll.

»Und ich,« meinte der Andere ebenso stolz, »bin der tanzende Bär.«

»Ich habe Euren Namen noch nie gehört,« sagte Sam.

»Wir den Eurigen auch noch nicht. Ihr könnt noch nicht lange Zeit in dieser Gegend jagen.«

»Wir kennen diese Prairie; aber wir sind stille Jäger. Wir jagen nicht nach Berühmtheit, sondern nach Bibern und Büffeln.«

»Habt Ihr auch andere Jäger kennen gelernt?«

»Einige.«

»Ist Euch vielleicht einmal Einer begegnet, welcher sich Sam Barth nennen läßt?«

»Ja.«

»Es sollen noch zwei Andere bei ihm sein, lang und dünn, wie die Stange eines Zeltes.«

»Ich kenne sie.«

»Wie heißen sie?«

»Jim und Tim.«

»Das ist richtig. Sind diese drei Jäger vielleicht Freunde von Euch?«

»Nein.«

»Das ist sehr gut.«

»Warum?«

»Wir würden Euch sonst tödten.«

»Oho! Wir Beide würden uns nicht so ohne alle Gegenwehr umbringen lassen; das sage ich Euch. Ist denn Sam Barth ein Feind von Euch?«

»Ja.«

»Warum?«

»Er hat einige Brüder von uns getödtet.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wir wissen es.«

»Zu welchem Stamme gehört Ihr?«

»Zum Stamme der Pawnee's.«

»So seid Ihr sehr falsch berichtet worden. Der kleine Sam hat noch nie einen Pawnee getödtet.«

»Woher weißt Du das?«

»Er hat es mir selbst gesagt.«

»So bist Du also doch sein Freund!«

»Nein. Wer kann mit einem Manne sprechen, trotzdem man nicht sein Freund ist.«

»Wenn Du uns belügst, wirst Du dennoch sterben müssen. Wann hast Du ihn gesehen?«

»Vor einigen Monden.«

»Wo?«

»Droben in den schwarzen Bergen.«

»Das stimmt. Da ist er gewesen. Er hatte seine beiden Freunde bei sich. Er trennte sich von ihnen und sagte, daß er sie hier in dieser Gegend wieder treffen wolle.«

»Ah! Woher wißt Ihr das?«

»Tim und Jim sagten es uns.«

»Sie haben Euch das gesagt, trotzdem sie Eure Feinde und seine Freunde sind?«

»So ist es.«

Die Brauen des Dicken zogen sich finster zusammen, aber nur für einen Augenblick. Er war klug genug, seine Gedanken zu verbergen. Auch ließ er es, wie er meinte, sich gar nicht merken, daß er sie jetzt scharf und bis in das Einzelnste musterte.

»Ihr seid also mit ihnen zusammengekommen?« fragte er weiter.

»Ja.«

»Wo sind sie jetzt?«

»Sie sind fortgeritten; wir wissen nicht, wohin.«

»Und Ihr sucht nun diesen Sam Barth.«

»Ja. Wir dachten. Du hättest ihn gesehen.«

»Ich habe ihn nicht gesehen; aber ich bin mit meinem Gefährten hier erst seit einigen Stunden beisammen. Er war längere Zeit in dieser Gegend und hat ihn vielleicht getroffen. Soll ich ihn fragen?«

»Warum sollen wir ihn nicht selbst fragen?«

»Er würde Euch nicht verstehen, da er Eure Sprache nicht zu reden weiß.«

»So frage ihn!«

Das hatte Sam gewollt. Er wollte mit Rothe sprechen dürfen, ohne das Mißtrauen der Indsmen zu erwecken. Jetzt hatte er die Gelegenheit dazu. Er machte also eine unbefangene Miene und sagte in deutscher Sprache zu ihm:

»Beherrschen Sie Ihr Gesicht. Wir befinden uns in großer Gefahr. Machen Sie ein nachdenkliches Gesicht, als ob Sie sich auf irgend Etwas besinnen wollten; zeigen Sie aber nicht etwa, daß Sie erschrecken. Sehen Sie diese Kerls ganz freundlich an, obgleich wir alle Ursache haben, sie zum Teufel zu wünschen.«

»Warum?«

»Sie suchen mich, um mich zu ermorden.«

»Sapperment!«

»Ja. Sie haben bereits meine zwei besten Freunde getödtet.«

»Doch nicht!«

»Ja. Sie sind zwar viel zu klug, mir dies zu sagen, aber ich habe erst jetzt bemerkt, daß die beiden Gewehre, welche sie da haben, meinen Gefährten gehörten. Sie haben sie ihnen abgenommen.«

»Dafür soll sie der Teufel holen!«

Aber bei diesen Worten blickte er sie freundlich an und nickte ihnen vertraulich zu.

»Es sind Pawnee's. Diese Schufte sollen erfahren, was es heißt, Freunde des dicken Sam zu tödten. Ich murkse sie ab, als ob sie junge Ziegen seien.«

»Was werden Sie machen. Die Kerls werden sich ganz natürlich wehren!«

»Das wollen wir ihnen so schwer wie möglich machen. Beobachten Sie mich genau. Wenn ich zu Ihnen das Wort »Jetzt« sage, so ergreife ich das Gewehr des Einen; Sie nehmen in demselben Augenblicke dasjenige des Anderen. Wir springen auf, treten einige Schritte zurück und legen die Gewehre an. Das muß freilich blitzschnell geschehen und für sie ganz unerwartet. Sie haben dann nur noch die Messer, mit denen sie gegen die Gewehre nicht aufkommen können. Machen sie nur eine Miene, sich zu wehren, so schießen wir sie nieder. Getrauen Sie sich, das zu thun, was ich sage?«

»Natürlich!«

»Gut! Passen Sie also genau auf!«

Jetzt wendete er sich an die beiden Häuptlinge zurück. Sie flüsterten sich einige Worte zu, dann fragte der Eine:

»Nun, hast Du ihn gefragt?«

»Ja. Er hat ihn hier gesehen.«

»Hier? Das ist nicht gut möglich. Es giebt hier keine Spuren außer den Eurigen und den Unserigen.«

»Nun, da oben ist die Spur Sam Barth's dabei.«

»Ich verstehe Dich nicht.«'

»Du wirst mich sogleich verstehen!«

Zu dem Förster gewendet, rief er:

»Jetzt! Aber schnell!«

Beide griffen nach den Gewehren der Indianer, rafften sie weg, sprangen um einige Schritte zurück und legten die Büchsen auf die Rothen an. Diese Letzteren blieben sonderbarer Weise ganz gemüthlich sitzen und thaten, als ob nichts geschehen sei.

»So, Ihr Hunde, jetzt habe ich Euch!« rief Sam drohend.

»Und wir Dich!« antwortete der eine der Häuptlinge in ruhigem Tone.

»Wir dürfen nur losdrücken, so seid Ihr weg!«

»Und Ihr auch.«

»Wieso?«

»Glaubt Ihr, daß zwei Häuptlinge sich allein befinden? Hinter uns, in jenem Gesträuch, stecken die anderen rothen Krieger. Ich brauche nur die Hand zu erheben, so werfen ihre Kugeln Euch nieder.«

»Verdammt!« meinte Sam, besorgt nach dem betreffenden Gesträuch hinüber schielend.

»Legt also die Gewehre ab!« befahl der Wilde.

Sam ließ allerdings das Gewehr sinken, sagte aber:

»Meint Ihr, daß ich mich fürchte?«

»Ja.«

»Da irrt Ihr Euch gewaltig. Ich will Euch zeigen, daß ich selbst einen ganzen Haufen rother Krieger nicht fürchte. Ich bin Sam Barth, den Ihr sucht.«

»Wir wissen es.«

»Was? Ihr wißt es?«

»Ja. Du bist Sam Barch, der dicke Sam. Aber Du bist nicht nur das, sondern noch Etwas dazu.«

»Was denn?«

»Ein großer Esel.«

»Donnerwetter!«

»Ja, ein großer Esel. Du hast weder Augen, noch Ohren; Du bist blind und taub. Außerdem hast Du uns sehr falsch beurtheilt. Meinst Du, daß die rothen Männer die Sprachen der Bleichgesichter nicht verstehen? Wir haben gehört, was Du mit Deinem Gefährten gesprochen hast.«

Er machte ein ganz verblüfftes Gesicht und antwortete:

»Das war ja deutsch!«

»Ja. Wir wissen so viel von dieser Sprache, daß wir gar wohl verstanden, was Du mit ihm sprachst. Du beriethest mit ihm, uns die Gewehre wegzunehmen.«

»Verflucht! Indianerhäuptlinge, welche deutsch verstehen! Das ist mir auch noch nicht vorgekommen!«

»Es wird Dir noch mehr vorkommen. Hast Du denn unsere Stimmen noch nicht gehört?«

»Nein.«

»Und uns noch nicht gesehen?«

»Nie.«

»Du bist wirklich ein gewaltiger Esel. Du hättest uns doch an unseren Büchsen erkennen sollen!«

Jetzt hatte der Sprecher auf einmal eine ganz andere Stimme, eine Stimme, welche dem guten Sam allerdings sehr bekannt vorkam.

»Alle guten Geister!« rief dieser. »Was soll ich denn da denken! Das ist am Ende gar eine Maskerade!«

»Aber eine außerordentlich gelungene.«

»Da schlage doch der Teufel drein!«

»Wenn man vom allerbesten Freunde nicht erkannt wird, so muß die Verkleidung ausgezeichnet sein!«

»Also wirklich, wirklich! Ihr seid es selbst, Ihr gottvergessenen Rackers! Wer hätte das gedacht!«

Und sich zu dem Förster wendend, erklärte er:

»Denken Sie sich, das sind gar keine Indianer!«

»Was Sie sagen!«

»Ja. Es sind Jim und Tim, meine Freunde, die ich hier treffen wollte. Nein, nein, so Etwas habe ich freilich noch nicht erlebt!«

»Uns nicht zu erkennen!« lachte Jim.

Er war aufgestanden und dehnte seine langen Glieder.

»Na, eigentlich ist das nicht zu verwundern,« vertheidigte sich Sam. »Diese Anzüge, der Schopf mit den Adlerfedern, die dicke Farbe im Gesicht und – und, ja, das ist die Hauptsache, Tim hat ja eine Nase!«

»Ja, die habe ich,« lachte der Andere vergnügt.«

»Angeklebt!«

»O nein.«

»Was denn sonst! Gewachsen wird sie Dir doch wohl nicht sein!«

»Warum denn nicht?«

»Nun, ich habe noch niemals gehört, daß den Prairiejägern die abgeschnittenen Nasen wieder nachwachsen, wie den Krebsen die Schwänze.«

»Und doch ist diese Nase gewachsen.«

»Unsinn!«

»Ja, ja. Es ist wirklich unglaublich, aber es ist wahr. Als wir von Dir gegangen waren, kamen wir nach Fort Jackson. Dort gab es einen Doctor, einen jungen, aber sehr gescheidten Kerl. Als er sah, daß mir die Nase fehlte, mußte ich ihm sagen, wie ich um sie gekommen sei. Er bat mich förmlich um die Erlaubniß, mir eine neue machen zu dürfen. Ich ging darauf ein, denn eine Nase aus zweiter Ehe ist doch immer noch bester wie gar keine. Nicht?«

»Freilich. Wo aber hat er sie hergenommen?«

»Das weiß der Teufel. Er hat mir ein Weniges im Gesicht herumgeschnitten, Pflaster darauf, einen Verband darüber; in zwei Wochen war es heil und ich hatte eine Nase. Ich glaube, er hat mir das Fleisch dazu von der Wange herübergeholt. Na, woher er es hat, das ist mir sehr gleichgiltig, wenn ich nur die Nase habe. Sie sieht zwar nicht ganz elastisch aus, aber es ist doch immerhin ein Riecher. Die Stimme klingt besser als vorher und es ist nun endlich auch das verteufelte Zeichen fort, an welchem man mich stets sofort erkannte. »Er hat keine Nase!« das klingt verflucht miserabel für Denjenigen, welcher sie eben nicht hat.«

»Sonderbar und wunderbar! Wie aber kommt Ihr zu dieser Verkleidung?«

»Verkleidung? Pshaw! Es ist unsere gegenwärtige Kleidung, also keine Verkleidung. Wir kamen in sehr freundschaftlicher Weise mit einem Pawneehäuptling zusammen. Das heißt, die Sioux hatten ihn gefangen genommen und wollten ihn an den Marterpfahl binden. Wir befreiten ihn und brachten ihn glücklich nach seinem Wigwam. Seine Dankbarkeit war grenzenlos. Wir wurden aufgenommen wie die Brautjungfern und bekamen diese beiden indianischen Anzüge geschenkt, nebst den vier Pferden, welche Du hier erblickst.«

»Sehr gut! Die Pferde können wir sehr gut verwenden. Es giebt da vorn drei Personen, welche keine Reitthiere haben.«

»Wer ist das?«

»Davon nachher. Wollt Ihr denn in diesem Anzüge stecken bleiben?«

»Natürlich. Unsere alten Anzüge haben wir diesen guten Pawnee's geschenkt. Sie waren unendlich glücklich über den Reiterhelm und den Soldatenmantel.«

»Aber es ist gefährlich, als Indsmen zu gehen.«

»Zuweilen, zuweilen aber auch nicht. Wir werden also bald Rothhäute sein und bald Bleichgesichter, ganz wie es die Gelegenheit fordert. Aber ein verfluchter Kerl bist Du doch! Wären wir wirklich Indsmen gewesen, ohne deutsch zu verstehen, so hättest Du uns übertölpelt.«

»Sicher, obgleich es mir höchst fatal war, zu hören, daß dort in dem Gesträuch noch andere Rothe seien. Aber ich hatte Euch in meiner Gewalt und brauchte sie also nicht zu fürchten. Uebrigens fällt es mir jetzt bei, daß es gerade jetzt wohl von Vortheil ist, wenn Ihr als Indianer geht. Wir haben nämlich einen kleinen Coup vor, zu welchem diese Maskerade ganz und gar geeignet ist.«

»Was für einen Streich?«

Setzen wir uns wieder. Ich will es Euch erzählen.«

Aus der vorher so feindselig erscheinenden wurde nun eine sehr friedlich ausschauende Scene. Sam erzählte den beiden Gefährten die Erlebnisse des Försters Rothe.

Es war das hier wieder einmal ein Beispiel von dem Scharfsinne und der Umsicht, mit welcher die Leute, welche sich im milden Westen bewegen, zu verfahren pflegen. Sam hatte ganz einfach irgend einen Punkt der Prairie bestimmt, an welchem er mit Jim und Tim zusammentreffen wollte, und sie hatten sich nun da auch wirklich gefunden, ohne Weg und Steg, ohne Compaß und Uhr. Es giebt tausende von Beispielen, welche die Verwunderung eines Jeden erregen, der gewohnt ist, nur mit den Hilfsmitteln der Wissenschaft zu verfahren.

»Was sagt Ihr dazu?« fragte der Dicke, als er mit seinem Berichte zu Ende war.

»Was sollen wir sagen,« antwortete Jim. »Es giebt nur Eins, was wir sagen können: Wir reiten diesen Schurken nach und nehmen ihnen ihren Raub wieder ab. Das versteht sich doch ganz von selbst.«

»Ich habe es mir doch gleich gedacht, daß Ihr mit darauf eingehen würdet.«

»Na, wir wären schöne Kerls, wenn wir diesen guten Mann in der Tinte sitzen ließen. Ich denke nur, die Spitzbuben werden noch Etwas mehr hergeben müssen, als sie gestohlen haben.«

»Das denke ich auch; aber wir müssen es eben ein klein Wenig gescheidt anfangen.«

»Natürlich,« meinte Tim.

»Na, gehe Du mit Deinem Natürlich! Wenn wir es so anfangen, wie Du damals dort in Wilkinsfield, als Du jenen Walker erwischen wolltest und ihn vor der Nase hattest, und dann –«

»Halte das Maul! Das war damals, das ist längst vorbei, und das wird eben nicht wieder vorkommen.«

»Ich hoffe es. Ihr habt von Sam Barth unterdessen so viel gelernt, daß solche Dummheiten nun wohl nicht mehr denkbar sind.«

»Wie meinst Du denn, daß wir es anfangen, den Kerls ihren Raub wieder abzujagen.«

»Das kann ich doch jetzt noch nicht wissen. Wir müssen warten, wie und wo wir auf sie treffen. Nur so viel denke ich mir, daß ihnen der Muth in die Hosen fahren wird, wenn sie Euch erblicken. Sie werden Euch für Indianer halten und verteufelten Respect bekommen, mehr Respect, als ich vor Euch habe, hoffe ich. Jetzt aber wollen wir die Zeit nicht unnütz verplaudern, sondern aufbrechen, damit wir Die bald finden, welche wir suchen.«

Es wurde aufgestiegen. Sam befand sich in einem Zustande gelinder Aufregung. Er ließ sein Pferd ausgreifen und die Anderen folgten natürlich mit derselben Schnelligkeit.

Schon war die Sonne im Westen niedergesunken. Die Reiter kamen in offene Prairie, wo es in einem beträchtlichen Umkreise keine Büsche gab, und da erblickte man denn drei einzelne Punkte, welche sich in gerader Linie von Osten her bewegten.

»Das sind sie,« sagte Rothe. »Sie laufen ziemlich schnell, um noch vor der Dunkelheit wieder mit mir zusammen zu treffen.«

»Reiten Sie ihnen entgegen,« sagte Sam. »Sie könnten erschrecken, wenn sie uns Fremde von Weitem erblicken. Wir werden hier auf sie warten.«

Das geschah. Rothe erreichte in kaum zwei Minuten die Seinigen und theilte ihnen mit, welche Hilfe er für sie gefunden habe. Sie waren ermüdet, die gute Nachricht aber ließ ihnen alle Erschöpfung vergessen.

Als sie dann mit den drei Anderen zusammenkamen und sich bei ihnen bedankten, mußte der gute Sam sich Mühe geben, seine Thränen zu unterdrücken.

Auguste war nicht ganz vierzig Jahre alt, man hätte sie für dreißig halten können. Ihre runden, vollen Formen ließen sie jünger erscheinen als sie war. Zwar waren ihr die Sorgen des Augenblickes anzusehen, aber das Zusammentreffen mit den drei Jägern hatte ein hoffnungsvolles Lächeln auf ihrem Gesichte hervorgerufen. Sie hatte sich gegen früher fast gar nicht verändert. Sam erkannte sie sofort als die einstige Geliebte wieder.

Er nahm zunächst ein eingeschlagenes Stück Wildpret vom Sattel seines Saumpferdes und sagte:

»Unsere Freunde werden Hunger haben. Halten wir hier eine kleine Rast. Ich habe da ein gutes Stück Hirschrücken, welches ich mir heute früh am Feuer gebraten habe. Das muß alle werden. Morgen früh schieße ich einen anderen Braten.«

»Ist nicht nöthig,« meinte Jim. »Wir Zwei haben uns auch mit Proviant versehen. Für einen Tag oder auch für zwei reicht es aus. Also essen wir! Dabei können wir uns fragen, was wir von jetzt an thun wollen. Ich möchte den Kerls, die wir suchen, gern so bald wie möglich auf das Fell gerathen.«

Sie setzten sich in das großflockige, duftende Büffelgras und begannen zu essen.

Sam verwendete keinen Blick von der Lehrerswittwe, ließ es sich aber nicht merken. Es war ihm so eigenthümlich um das Herz. Fast glaubte er, sie jetzt noch zehnmal lieber zu haben als früher.

Er überlegte, wie es anzufangen sei, den beiden Frauen, welche ja nicht an die Anstrengungen und Entbehrungen der Prairie gewöhnt waren, dieselben zu ersparen, das war aber schwer.

»Es wird am Besten sein,« sagte er, »wir suchen uns für die beiden Damen ein Versteck, wo sie bleiben können, bis wir von unserem Rachezuge zurückkehren. Meinst Du nicht, Jim?«

»Hm!« brummte der Genannte, ein unzerkautes Stück Knorpel mühsam hinunterschluckend. »Wollen einmal rechnen. Vor vier Tagen ist es geschehen. Wie viele Meilen kann man mit Ochsenwagen in einem Tage zurücklegen?«

»Höchstens acht.«

»Also zweiunddreißig Meilen. Die reiten wir nöthigenfalls in einem Tage. Englische Meilen sind eben kürzer und kleiner als andere. Heute ist keine Spur mehr aufzufinden. Es ist zu dunkel dazu. Aber wir wollen noch am Abend dahin, wo der Diebstahl stattgefunden hat. Da lagern wir, um die Pferde auszuruhen. Bei Tagesanbruch finden wir hoffentlich die Fährte, und wenn wir ihr sofort und schnell folgen, können wir die Schufte noch am Abende erreichen. Meinst Du nicht, Sam?«

»Ich bin ganz derselben Ansicht.«

»Aber die Ladies, die Ladies! Wo thun wir sie hin? Das ist die Frage.«

»Einen solchen Ritt, wie der morgende einer sein wird, können sie nicht mit machen, das ist gewiß. Für heute aber können wir ihnen nicht erlassen, mit zu Pferde zu steigen und wieder umzukehren. Heute müssen sie mitreiten, so gut es eben gehen will.«

»Was das betrifft,« meinte der Förster, »so werden sie uns keine sehr große Mühe machen. Sie sind zwar ganz und gar keine Reiterinnen, aber während der langsamen und langweiligen Wagenfahrt haben sie sich, um eine Abwechselung zu haben, zuweilen in den Sattel gesetzt. Ich bin darum überzeugt, daß sie wenigstens nicht herabfallen werden.«

Der Sohn des Försters hatte jenes Packet Decken getragen, welches für sie so verhängnißvoll geworden war. Diese Decken konnten jetzt sehr gut gebraucht werden. Sie wurden auf die Sattel gelegt, so daß die beiden Frauen einen leichten Sitz hatten. Dann begann man den Ritt fortzusetzen.

Der Weg war nicht gar sehr weit, da der Förster mit seinem einzigen Pferde für vier Personen keine großen Strecken zurückgelegt hatte. Sam hielt sich, als ob sich das ganz von selbst verstehe, an der Seite der einstigen Geliebten, deren Pferd er am Zügel führte. Er gab sich alle Mühe, ihr die Anstrengungen des Rittes zu ersparen. Sie bemerkte es und war ihm dankbar dafür. Natürlich aber kam es ihr nicht in den Sinn, in dem Manne, welcher da in dem häßlichen Bärenfelle steckte, Denjenigen zu vermuthen, welcher einst ihr Anbeter gewesen war.

Noch lange vor Mitternacht wurde der Platz erreicht. Das Lager war bald hergestellt, doch gab man sich Mühe, das Verwischen der morgen aufzufindenden Spuren zu vermeiden.

Ein Ueberfall war nicht zu erwarten. Feindliche Jäger oder Indianer vermuthete man nicht in der Nähe, und so wurde ein Feuer angebrannt, bei welchem die Beraubten nochmals ausführlich erzählten, was sie hier an dieser Stelle erlebt hatten.

»Also auch Sie sind gebunden worden?« fragte Sam die Wittwe.

»Ja,« antwortete sie. »Es war schrecklich. Ich hatte Angst, daß sie uns umbringen würden.«

»Na, sie mögen ausessen, was sie eingebrockt haben. Ich werde diese Kerls bei der Parabel nehmen, daß ihnen Hören und Sehen vergehen soll.«

Es wurde abermals gegessen, jetzt von Jim's und Tim's Vorräthen. Sam schnitt für Auguste das Beste ab und legte es ihr vor, als ob er ein Kind zu bedienen habe. Sie beobachtete ihn dabei. Wenn er ihren warmen Blick auf sich ruhen sah, wurde es ihm noch viel wärmer um das Herz. Er bekam schließlich Sorge, sich zu verrathen, und stand vom Feuer auf, um die Umgebung einmal abzulaufen, wie er sagte, um zu sehen, ob man sich auch wirklich in Sicherheit befinde.

Als er nachher zurückkehrte, wurden die Wachen ausgeloost. Er erhielt die erste Wache. Es wurde noch einmal nach den Pferden gesehen, dann legten sich Alle nieder, um den Schlaf zu suchen.

Alle? Nein. Sam stand in einer Entfernung, daß er von dem Scheine des Feuers nicht getroffen werden konnte, und lauschte vorsorglich in die Nacht hinaus, damit ihm ja kein verdächtiges Geräusch entgehen möge. Und dort, am Feuer, saß Auguste. Sie hatte sich nicht niedergelegt. Sie legte nach und nach Zweig um Zweig in die Flamme, damit sie nicht ausgehen möge, und gab den eigenartigen Gefühlen und Gedanken Audienz, welche jetzt auf sie eindrangen.

Der kleine dicke Gefährte hatte einen außerordentlich wohlthuenden Eindruck auf sie gemacht. Sein Blick war so treu und sein Gesicht so voller Aufrichtigkeit. Alles, was er gesagt hatte, hatte so gut geklungen. Sie dachte an das, was morgen unternommen werden solle. Jedenfalls gab es Gefahren dabei. Waren diese groß? Sie hätte es so gern gewußt. Sie wollte lieber auf ihr geraubtes Geld verzichten, als zugeben, daß deshalb ein Menschenleben verloren gehe. Sie stand auf. Sie wollte mit Sam sprechen. Sie entfernte sich vom Feuer und versuchte dann, mit ihrem Blicke die Dunkelheit zu durchdringen, um zu sehen, wo er stehe.

Er hatte sie gesehen. Er kam näher.

»Sie schlafen nicht, Miß Rothe?« fragte er.

Das klang so eigenthümlich. Er, der Deutsche, gab ihr diesen amerikanischen Titel, den Titel einer unverheiratheten Dame. Es war ihm so in den Mund gekommen. Er hatte sie als Mädchen gekannt und wollte sie sich nicht als die Frau eines Anderen denken. Das eigentlich richtige Wort Mistreß war ihm gar nicht in den Sinn gekommen.

»Noch nicht,« antwortete sie.

»Und doch haben Sie es so nöthig. Erst das anstrengende Laufen und dann der rasche Ritt. Sie sollten wirklich die Ruhe suchen. Man weiß nicht, wie Sie sich morgen wohl werden anzustrengen haben.«

»O, die Anstrengung achte ich nicht. Aber es wird morgen Gefahren geben. Das ist schlimmer.«

»Gefahren? Wieso?«

»Sie werden vielleicht mit den Räubern zu kämpfen haben.«

»Wahrscheinlich.«

»Nun, das ist doch gefährlich!«

»O, gar nicht!«

»Nicht? Jeder Kampf bringt Gefahr!«

»Nein, nicht jeder. Der Kampf zum Beispiel, welchen wir morgen wahrscheinlich haben werden, ist eigentlich gar keiner zu nennen. Wir folgen den Kerls; holen wir sie ein, so schleichen wir vorsichtig nahe, so daß sie uns gar nicht bemerken. Dann schießen wir sie einfach nieder und haben Alles was sie bei sich führen.«

»Mein Gott! Sie werden Alle niederschießen?«

»Alle, das versteht sich.«

»Aus dem Hinterhalte?«

»Natürlich.«

»Das ist doch gräßlich!«

»O, meinen Sie etwa, daß wir zu diesen Hallunken vielleicht in ritterlicher Weise sagen sollen: Hört einmal, wir kommen, um Euch zu erschießen. Da sind wir. Nun seid gescheidt und vertheidigt Euch!«

»Nein, das meine ich nicht, sondern es ist mir schrecklich, daß diese Leute getödtet werden sollen.«

»Sie haben es nicht anders verdient!«

»Aber ein Menschenleben ist doch ein kostbares Gut.«

»Ja, das ist es zuweilen. Aber wenn Einer sein Leben nur benutzt, um Schandthaten zu vollbringen, so muß man es ihm nehmen. Sehe ich irgendwo ein giftiges Kraut wachsen, so reiße ich es aus und denke nicht daran, daß es auch geschaffen worden ist. Und dieses Kraut kann nicht dafür, daß es giftig ist; der Mensch aber ist selbst schuld, daß er schlecht und gottlos ist.«

»Und dennoch sollen wir barmherzig sein!«

»Hm! Ja! Hm! Barmherzig!«

Er wußte nicht, was er ihr antworten solle.

»Können Sie denn das Geraubte nicht vielleicht ohne Blutvergießen wieder bekommen?«

»Ohne Blutvergießen? Hm! Ohne Kampf?«

»Ja.«

»Hm! Diese Kerls werden es nur nicht freiwillig wieder hergeben wollen.«

»So gebrauchen Sie doch lieber List als Gewalt.«

*


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