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43

Sie ritten im Trabe auf den genannten Wald zu, welcher mit seinem Rande einen Bogen bildete, der an den Berg stieß, welcher das Ziel ihres Rittes bildete. Diesem Bogen folgend, erreichten sie natürlich auch den Berg. Er war an dieser Seite nicht steil, so daß sie an seiner Lehne ganz gut emporreiten konnten. Die Bäume und Sträucher standen nicht so dicht, daß sie den Pferden ein Hinderniß geboten hätten, doch aber auch so nahe an einander, daß die Reiter nicht gesehen werden konnten.

Oben angekommen, erblickten sie sehr bald das Thal, auf welches sie es abgesehen hatten.

Es theilte den Berg in zwei Hälften, welche hinten am Ende der Vertiefung durch eine steil ansteigende Felsenwand zusammen hingen. Da war nicht hinabzukommen, wenigstens mit den Pferden nicht. Aber weiter nach dem Eingange zu waren die Seiten des Thaleinschnittes nicht so steil. Sie zeigten sich ganz gut zugänglich und waren so mit Buschwerk besetzt, daß man sich recht hübsch und unbemerkt anschleichen konnte.

»Seht,« sagte Sam, »es ist so, wie ich dachte. Wir binden hier oben die Pferde an und steigen hinab. Die Damen brauchen wir nicht, sie mögen oben bleiben, beschützt von ihren beiden Herren. Jim, Tim und ich, wir Drei sind einstweilen genug.«

»Warum soll ich nicht mit?« fragte der Förster.

»Weil ich Ihnen nicht traue.«

»Oho!«

»Ja freilich! Ich will Sie nicht beleidigen, aber Sie sind zu wenig Prairiejäger, als daß ich meinen sollte, Sie könnten sich unbemerkt hinunterpürschen. Wir müssen vorsichtig sein, damit wir nicht vor der Zeit bemerkt werden. Ist es an der Zeit, so werde ich dreimal scharf pfeifen. Dann kommen Sie mit den Damen hinab. Die Pferde holen wir später.«

Rothe machte noch einige Einwendungen, die aber nicht beachtet wurden.

»Wir wissen ja gar nicht, ob sich nicht einer der Bursche hier in der Nähe herumdrückt,« meinte Sam. »Darum können wir die Damen unmöglich hier allein lassen. Sie und Ihr Sohn sind die natürlichen Beschützer derselben. Folglich bleiben Sie bei ihnen.«

»Wenn aber Ihnen da unten Etwas geschieht? Wie leicht können Sie erschossen werden.«

»So hören Sie die Schüsse und kommen hinunter, um uns wieder lebendig zu machen! Glauben Sie ja nicht, daß ich meine Nase ganz ruhig hinhalte, wenn irgend Jemand mich mit dem Gewehrlaufe daran kitzeln will. So schnell wird Sam Barth nicht erschossen. Er ist zwar nur aus Herlasgrün, aber Milchreis hat er nicht im Kopfe. Pasta und abgemacht! Vorwärts Ihr Beiden!«

Er schlich sich mit Jim und Tim fort.

Sie waren noch nicht weit gekommen, so befanden sie sich an einer Stelle, an welcher sie den vorderen Theil des Thales erblicken konnten. Da standen die Wagen. Die Zugochsen weideten im Grase, und hüben am Rande, in der Nähe der Wagen, saß ein Mann an einem Feuer, über welchem er ein großes Stück Fleisch an einem Aste briet.

.

»Seht Ihr das Männchen?« sagte Sam. »Ein alter, guter Kerl! Ich hätte doch nicht gedacht, daß er so viel auf uns hält?«

»Auf uns hält? Wieso?« fragte Jim erstaunt.

»Dummkopf! Siehst Du denn nicht, wie liebevoll er für uns sorgt? Macht uns der Prachtkerl da unser Frühstück fertig! Es geht doch nichts über einen guten Freund, auf den man sich verlassen kann! Horcht! Er hat gepfiffen.«

»Ja. Das wird dem Anderen gelten.«

»Natürlich, alter Schlaukopf! Oder meinst Du etwa, daß er uns gepfiffen hat? Schaut, da kommt sein Kamerad. Ihm ist zum Frühstücke gepfiffen worden. Machen wir, daß wir hinunter kommen und unsere Portion auch erhalten, sonst fressen sie sie uns weg.«

Er stieg weiter hinab, und sie folgten ihm. Das war gar nicht schwer. Sie hatten Gras und weiches Moos unter den Füßen, wodurch ihre Schritte ganz unhörbar wurden. Deckung fanden sie durch die Sträucher, und da die Thalwand gar nicht sehr steil abfiel, so kamen die drei Jäger in aller Gemächlichkeit bis in die Nähe der Stelle, an welcher sich die beiden Buschheaders befanden.

Diese Stelle lag ganz an der Seite des Thales, an welcher die drei Genannten herabgekommen waren und nun hinter einem dichten Buschwerk standen, nicht weiter als fünf oder sechs Schritte von den zwei Männern entfernt, deren Worte sie in Folge dessen ganz gut hören konnten.

»Setze Dich!« sagte der Eine zum Andern. »Ich denke, das Fleisch wird gar sein. Sind wir fertig mit dem Essen, so halte ich Wache.«

»Dieses Wachehalten ist einfach ein Unsinn,« meinte der Andere, indem er sich verdrießlich niedersetzte.

»Ich denke es auch. Da soll man ewig und ewig da vorn im Busche stecken, um aufzupassen, ob Jemand kommt. Ich möchte wissen, wer da kommen soll!«

»Als ob wir in New-York wären und Gäste geladen hätten! Ich möchte wetten, daß hier in einem Umkreise von vielen Meilen sich kein Mensch befindet. Und befände sich ja Einer da, so sehe ich nicht ein, warum oder weshalb er grad hier unserem Salon einen Besuch machen sollte.«

»Bin ganz Deiner Meinung, obgleich Du von einem gar so großen Umkreise doch nicht reden darfst. Ich denke, daß diese Förstersleute sich noch hier irgendwo in der Nähe befinden werden.«

»Da wären sie dumm. Sie können nichts Besseres thun, als sich schleunigst aus dem Staube machen. Pferde haben sie außer dem einen nicht, und die wenige Munition, welche der Alte grad bei sich gehabt hat, wird nicht lange reichen. Sie müssen also trachten, an einen Ort zu kommen, wo es Menschen giebt.«

»Den wissen sie aber nicht.«

»Ja, dieses Volk ist verteufelt dumm. Ich habe noch niemals einen Deutschen gefunden, der ein gesundes Gehirn im Kopfe hat. Da, schneide Dir ab! Ist das Fleisch weich?«

»Ja. Ich möchte wissen, was diese Leute heut speisen werden.«

»Das ist mir sehr gleichgiltig. Der alte Rothe mag sich Etwas schießen. Ich denke nur, er wird nicht viel treffen. Das will ein Förster sein! Läuft da mit seinem Jungen und zwei Weibern in der Prairie herum, ohne sie zu kennen! Es war überaus lustig, wie froh er in Santa Fé war, uns kennen zu lernen. Er freute sich königlich, Kameraden zu finden, mit denen er nach Californien konnte. Na, ich denke, daß er uns jetzt kennen gelernt hat!«

»Es ärgert mich nur das Eine, daß die beiden Frauenzimmer so alt waren. Wären sie jung gewesen, so – na!«

Er schnalzte mit der Zunge wie Einer, dem Etwas sehr gut schmeckt. Der Andere sagte:

»Was das betrifft, so war die Eine gar nicht so übel. Sie war zwar nicht mehr sechzehn Jahre alt, aber noch ganz appetitlich. Ich kann mich jetzt fast ärgern, daß wir sie nicht mitgenommen haben. Es wäre doch gar nicht so übel, wenn wir sie jetzt hier hätten. Wir befänden uns im Besitze einer Frau, welche wir jetzt gut gebrauchen könnten.«

»Verdammt!« flüsterte Sam. »Gebrauchen meine Augusta! Na, Du sollst sie kennen lernen!«

»Wollen wir hin?« fragte Jim flüsternd.

»Noch nicht. Vielleicht sagen sie Etwas, was zu wissen uns von Vortheil ist.«

»Aber da fressen sie uns das Fleisch auf!«

»Pah! Das Stück ist groß genug. Und daneben liegt noch ein halbes Reh, welches sie geschossen haben. Warten wir noch ein Bischen!«

Er hatte Recht. Der Eine, welcher den Koch gemacht hatte, sagte:

»Weißt Du, wir wollen uns doch die Geschichte nicht so schwer machen. Das Wachen ist gar nicht nothwendig. Ich setze mich nicht mehr da vorn hin. Ich lege mich nachher lieber hierher und schlafe. Das ist viel besser, als ewig den Wächter machen und die Augen aufreißen, während doch Niemand kommt.«

»Hm! Jetzt geht das an; später aber müssen wir doch wachen. Wenn der rothe Burkers kommt und es bemerkt, daß wir nicht aufpassen, dann bekommen wir unser gehöriges Fett.«

»Ja, er ist streng!«

»Meinst Du? Nur streng?«

»Was noch?«

»Was noch, fragst Du? Ich meine, daß er nicht nur streng, sondern viel zu streng ist, fast unverschämt. Er ist der Hauptmann, ja. Einen Anführer müssen wir haben, das ist wohl richtig. Aber wir sind doch keine Niggers und auch keine Soldaten, mit denen der Feldwebel umspringen kann, wie es ihm beliebt. Dieser Burkers geberdet sich zuweilen wie ein Sclavenzüchter, der nur so mit der Peitsche drohen kann. Das sollte man nicht dulden.«

»Was willst Du dagegen thun? Eine gewisse Disciplin muß doch sein!«

»Ja, aber sie kann in Gemüthlichkeit gehandhabt werden. Er hat es doch nur uns zu verdanken, daß er nicht einige Ellen hoch aufgehängt worden ist, besonders uns Beiden. Damals in Van Buren wäre es ihm an den Kragen gegangen, wenn wir ihn nicht aus dem Loche geholfen hätten.«

»Das ist richtig. Wir steckten da selbst sehr tief in der Patsche. Glücklicher Weise gab es Niemand, der uns Etwas nachweisen konnte. Wenn ich jemals diesem verdammten Dicken begegne, so soll er an mich denken!«

»Sam Barth?«

»Ja. Er ist schuld gewesen, wie wir ja später gehört haben. Hat uns im Walde belauscht, wo wir doch sicher waren, unbeobachtet zu sein. Wenn er mir einmal in die Hände läuft, so schlachte ich ihn ab wie ein Schwein und mache Stearinlichter aus seinem Fette. Darauf kann er sich verlassen.«

»Und ich helfe mit. Man sollte dann die beiden langen Brüder Snaker bei ihm finden. Aus ihnen ist freilich nicht viel Fett zu schneiden.«

»Nein, aber man könnte sie als Dochte benutzen. Man wickelt den dicken Sam um sie herum und brennt sie an. Das giebt eine Kerze, welche – Du, hörtest Du nichts?«

»Nein.«

»Es war, als hätte es da im Busche geraschelt.«

»Vielleicht eine Eidechse, weiter nichts.«

Der lange Tim hatte, als von ihm die Rede war, die Faust erhoben und gedroht und war dabei mit der Hand über einen Ast gestrichen.

»Nimm Dich in Acht, Esel!« flüsterte Sam.

»Donnerwetter! Ich ein Docht!« knurrte Tim. »Na, ich werde Euch ein Licht aufstecken, Ihr Hallunken! Und Ihr sollt nicht lange darauf warten müssen.«

»Eigentlich ist es sehr unvorsichtig von Burkers, uns hier zurückzulassen,« wurde das Gespräch fortgesetzt.

»Warum? Es muß doch Jemand bei den Wagen zurückbleiben.«

»Ja. Aber wenn wir nun nicht ehrlich wären!«

»Willst Du etwa mit den schweren Fahrzeugen durchbrennen?«

»Nein; das kann mir nicht einfallen. Aber mit dem Anderen könnte man sich aus dem Staube machen.«

»Um erwischt und niedergeschossen zu werden!«

»Man stellt sich doch nicht hin, bis sie kommen.«

»Pshaw! Die paar tausend Dollars würden nicht lange aushalten. Wir müßten verzichten auf Alles, was sie vom Silbersee mitbringen.«

»Das ist freilich wahr. Ich möchte eigentlich dabei sein. Diese Taube des Urwaldes soll geradezu massenhafte Schätze besitzen. Ich bin neugierig, ob der Streich gelingen wird.«

»Warum soll er nicht gelingen? Burkers ist schlau. Schade, daß er nicht die directe Route einschlagen kann! Er muß einen so bedeutenden Umweg machen, daß wir zwei Wochen hier sitzen und auf ihn warten können. Er muß von der Westseite an den See kommen. Ist das Geschäft gemacht, so können sie dann in directer Linie zurückkommen. Der Raub wird hier aufgeladen, und dann fort von hier, hinein ins Arizona!«

»Zu Walker.«

»Ja. Mit ihm machen wir dann wohl ein ebenso feines Geschäft. Höre, es ist doch eigenthümlich, daß der rothe Burkers mit diesem Walker zusammengetroffen ist. Er ist ein tüchtiger Kerl. Damals in Wilkinsfield wäre es ihm beinahe auch an den Kragen gegangen. Er ist doch förmlich belagert gewesen, ehe wir dann nach der Hütte des schwarzen Bommy kamen. Die Brüder Jim und Tim und der dicke Sam hatten es auf ihn abgesehen. Sie sollen eine Rache auf ihn haben. Na, wenn sie wüßten, daß er jetzt in Prescott ist und ein steinreicher Kerl dazu, so würden sie schleunigst aufbrechen, um ihm einen Besuch zu machen. Wo diese drei Kerls wohl stecken werden?«

»Man hat lange Zeit nichts von ihnen gehört.«

»O doch. Sie sollen sich da oben in den schwarzen Bergen herumtreiben. Ich hätte doch Freude, wenn ich ihnen einmal begegnete.«

»Das ist gar nicht nöthig.«

»Warum nicht? Ich möchte meine Rechnung mit ihnen in's Reine bringen.«

»Ich mag nichts mit ihnen zu thun haben. Der Dicke soll ein spaßhafter Kerl sein; aber es ist besser, man verzichtet auf solche Späße. Ich male niemals gern den Teufel an die Wand.«

»Du denkst, er kommt?«

»Ja.«

»Unsinn! Er wird sich hüten!«

»O, er ist schon da!« erklang es hinter ihnen.

Sie fuhren erschrocken mit den Köpfen herum. Da stand Sam der Dicke, von welchem sie soeben gesprochen hatten. Sie kannten ihn nur zu gut. Sie waren so entsetzt, daß sie sogar das Aufspringen vergaßen. Sie blieben sitzen und starrten ihn wie eine überirdische Erscheinung an. Er trat näher an sie heran und sagte fröhlich lachend:

» Good morning, Mesch'schurs! Sperrt die Mäuler nicht so weit auf! Oder habt Ihr vielleicht vor Freude über mich die Maulsperre bekommen?«

»Sam Barth!« stieß der Eine hervor.

»Ja, Sam Barth, wie er leibt und lebt! Ihr habt also Gelegenheit, eine Stearinkerze aus meinem Fette zu machen. Der Docht wird nicht lange auf sich warten lassen.«

»Verdammt! Er hat gelauscht!«

»Ja, grad wie damals im Walde bei Wilkinsfield. Habt Ihr vielleicht Etwas dagegen?«

»Sogar sehr viel, mein Bursche!«

Der das sagte, sprang jetzt empor und zog sein Messer. Sein Kamerad that dasselbe. Sam schüttelte lachend den Kopf und sagte:

»Gebt Euch keine Mühe! Eure Messer sind vollständig unnütz. Ehe Ihr an mich kämt, hätte ich Euch erschossen. Aber das ist gar nicht nöthig. Da guckt Euch einmal diese beiden Männer an, die Euch da auf dem Korne haben!«

In diesem Augenblicke erschienen Jim und Tim zur rechten und linken Seite des Busches. Sie hielten ihre Gewehre schußfertig auf die beiden Kerls gerichtet. Diese standen bewegungslos und brachten kein Wort hervor.

»Nun, was sagt Ihr dazu?« fragte Sam.

»Indianer!«

»Na, die besten Augen habt Ihr nicht. Diese beiden Herren sind keine Indianer. Sie sind gute Bleichgesichter, die sich nur einstweilen ein Bischen angemalt haben, um Euch einen Spaß zu machen. Es sind nämlich die beiden Dochte, welche Ihr haben wolltet, um das Stearinlicht fertig zu machen.«

»Jim und Tim?«

»Ja. Ihr habt so sehnsüchtig gewünscht, uns zu sehen. Und wir sind höfliche Leute. Wir lassen nicht gern Jemand auf uns warten.«

»Hols der Teufel! Komm!«

Der das sagte, wollte fliehen, und sein Kamerad machte Miene, ihm zu folgen. Sie sahen ein, daß eine Gegenwehr erfolglos sein werde.

»Halt!« sagte Sam. »Ihr entkommt uns nicht. Wer sich von der Stelle bewegt, erhält einen Schuß in den Leib!«

»Versucht es!«

Er that einen schnellen, weiten Sprung vorwärts, um hinter die Wagen und unter deren Schutz an die andere Seite des Thales zu kommen. Sein Gefährte folgte ihm. Aber eine Kugel ist schneller als der schnellste Läufer. Die zwei Schüsse krachten, und die beiden Fliehenden stürzten zu Boden.

»Da habt Ihr es!« sagte Sam. »Warum seid Ihr so dumm, uns ausreißen zu wollen. Dankt überhaupt Gott, daß wir es so gnädig gemacht haben! Ihr habt diese Kugeln nur in die Beine bekommen! Das nächste Mal zielen wir höher.«

Während dieser Worte schnallte er sein Lasso los und schritt auf die am Boden Liegenden zu. Jim und Tim standen auch bereits da. Die Verwundeten verzichteten auf unnütze Gegenwehr, durch welche sie ihre Lage doch nur verschlimmern konnten. Sie wurden gebunden.

»So!« sagte Sam. »Ihr seid die zwei albernsten Menschen, die mir während meines langen Lebens vorgekommen sind. Da sollt Ihr Wache halten, sitzt aber beim Rehbraten und habt die Schießgewehre nicht bei Euch. Ihr seid mir schöne Kerls! Schämt Euch! Da ich aber kein Menschenfresser bin, so macht es mir keinen Spaß, Euch umzubringen. Wenn Ihr vernünftig seid, so will ich Euch das Leben schenken. Wollen also einmal nach Euren Wunden sehen. Haltet still!«

Er hatte, hinter dem Busche stehend, den beiden Brüdern gesagt, daß sie im Falle eines Fluchtversuches so zielen sollten, daß nur eine Fleischwunde am Oberschenkel entstehe. Das hatten sie befolgt. Die Kugeln waren durch die Muskeln des Oberbeines gegangen, so daß die Verletzung wohl eine schmerzhafte, aber keine lebensgefährliche war.

Er schnitt ihnen die Hosen auf und holte dann von dem einen Wagen den ersten, besten kattunenen Gegenstand, welcher zerschnitten wurde, um als Verband zu dienen. Die Verwundeten verhielten sich schweigsam. Sie ließen mit sich machen, was die Sieger wollten. Sie sahen, daß sie wenigstens um ihr Leben nicht besorgt zu sein brauchten, und das beruhigte sie für den Augenblick.

Als die Verbände angelegt waren, meinte Sam:

»So, das ist fertig. Jetzt wollen wir nun einmal erfahren, was Ihr eigentlich in dieser schönen Gegend zu suchen habt. Wem gehören diese Wagen?«

»Uns natürlich!« antwortete der Eine, die Schmerzen seiner Wunde und zugleich auch seinen Grimm verbeißend.

»Euch? Hm! Wen versteht Ihr denn unter diesem Worte Uns?«

»Uns Beide.«

»Ah! Ihr Beide seid Besitzer der Wagen?«

»Ja.«

»Wer hat sie denn hierher gebracht?«

»Wir!«

»Ihr Beide allein?«

»Ja.«

»Da habt Ihr ein Meisterstück fertig gebracht, um welches ich Euch beneide. Zwei einzelne Personen verstehen es, mit diesen Ochsengespannen fertig zu werden! Das ist eine geradezu bewundernswerthe Leistung. Es hat Euch Niemand geholfen?«

»Nein.«

»Auch nicht etwa der rothe Burkers?«

»Nein.«

»Na, Kinderchens, macht Euch doch nicht so sehr lächerlich! So Etwas macht Ihr uns überhaupt nicht weiß, und sodann will ich Euch sagen, daß wir Drei eine ganze Weile hinter Euch gesteckt und Euer Gespräch gehört haben. Wir wissen Bescheid. Ihr gehört zu Burkers.«

»Nein.«

»Nun, wenn Ihr wollt, so werden wir uns ganz genau nach Euren Wünschen richten. Ich sehe da eine recht hübsche Ochsenpeitsche liegen, nach welcher Ihr Appetit zu haben scheint. Ich bin bereit, Euren Appetit zu stillen. Jim, hole sie einmal her! Wir wollen sehen, ob sie behilflich ist, diese Herren zum Sprechen zu bringen.«

Jim holte sie. Sie war aus starken Riemen geflochten nach Art der bekannten Hetzkoller, welche früher bei Schlittenfahrten häufig in Anwendung kamen. Er versuchte, ob er sie zu führen verstehe, und sagte dann zu Sam:

»Es geht. Wieviel soll ich ihnen aufzählen?«

»Du haust so lange zu, bis sie die Wahrheit sagen. Hieb um Hieb, einmal den Einen und dann den Anderen. Drehen wir die Mesch'schurs um, so da sie uns ihre Kehrseiten zu sehen geben.«

Jetzt bemerkten die Beiden, daß Ernst gemacht werden solle. Darum erklärten sie, daß sie die Wahrheit gestehen wollten.

»Gut! Wenn Ihr nicht Verstand annehmt, so machen wir Euch welchen. Also wie steht es mit Burkers?«

»Er war mit hier.«

»Wo ist er jetzt?«

»Auf der Jagd.«

»So, so! Was will er denn jagen?«

»Was er findet. Wir brauchen Fleisch.«

»Und das holt er vom Silbersee?«

Die beiden Männer schwiegen. Sam fuhr fort:

»Ihr merkt, daß wir Alles gehört haben. Aber was wir wissen, brauchen wir nicht von Euch zu erfahren. Ich will also nicht in Euch dringen. Ihr habt Beide ein überaus zartes Gewissen, und so will ich Euch nicht zumuthen, Euern lieben Hauptmann zu verrathen. Eins aber möchte ich sehr gern erfahren. Wer ist denn eigentlich der Förster, von welchem Ihr spracht?«

»Ein früherer Bekannter.«

»Wo befindet er sich jetzt?«

»In St. Louis.«

»Hm! Mit seinem Sohne und den beiden Frauen, die Ihr erwähntet?«

»Ja.«

»Wunderbar! Es schien mir doch, als hättet Ihr gesagt, der Kerl sei sehr dumm, daß er sich in die Prairie gemacht habe. Es steckt da jedenfalls ein Geheimniß dahinter.«

»Nein.«

Sam stieß einen wiederholten scharfen Pfiff aus und antwortete:

»Ich muß Euch natürlich glauben, was ich Euch nicht als unwahr beweisen kann. Darum will ich Euch nicht weiter belästigen als nur mit noch Einem. Ihr spracht von einem gewissen Walker. Woher wißt Ihr denn, daß sich dieser Mann jetzt drüben in Prescott befindet?«

»Burkers sagte es.«

»Und von wem weiß er es?«

»Von einem Boten, welchen Walker zu ihm nach Santa Fé gesandt hat.«

»Ihr wollt mit ihm Geschäfte machen. Welcher Art sind dieselben wohl?«

»Das wissen wir nicht; das ist Burkers' Sache.«

»Und vielleicht auch ein Wenig die unserige. Jetzt wollen wir Euch in Ruhe lassen. Ihr habt Eure ganze Aufrichtigkeit über uns ausgeschüttet; dafür sind wir Euch dankbar; darum wollen wir Euch nicht länger quälen und uns lieber einmal nach Euern Braten umsehen. Kommt, Ihr Beiden!«

Er setzte sich gemüthlich zum Feuer nieder, und die Brüder thaten dasselbe. Sie machten sich über das Fleisch her und thaten gar nicht, als ob sie es bemerkten, daß hinter ihnen sich Schritte hören ließen. Der Förster kam mit den Seinen.

Die beiden Spitzbuben waren natürlich bei seinem Anblicke nicht wenig erschrocken. Seine Frau und die Schwägerin eilten sofort nach ihrem Wagen, um zu sehen, was von ihrem Eigenthume noch vorhanden sei. Die beiden Verbrecher flüsterten leise mit einander. Jedenfalls sprachen sie über das Verhalten, welches sie unter diesen Umständen einzuschlagen hätten.

»Nun, ich hoffe, daß Ihr jetzt wißt, wieviel die Glocke geschlagen hat,« sagte Sam. »Es ist sogar Diejenige hier, welche Ihr so gut gebrauchen könntet. Ich bin leider kein Pfarrer, sonst würde ich gern bereit sein, diese Ehe einzusegnen. Ich denke aber, daß ich Euch meinen Segen auf eine andere Weise geben kann. Da steht der Förster, Euer Ankläger. Er mag auch Euer Urtheil fällen. Was meinen Sie?«

Diese Frage war an Rothe gerichtet. Er antwortete:

»Ich bin nicht blutgierig. Ich will nur mein Eigenthum wiederhaben. Uebrigens sehe ich, daß diese Kerls verwundet sind. Sie sind bestraft genug.«

»So wollen Sie sie laufen lassen?«

»Ja.«

»Nach den Gesetzen der Savanne haben sie den Tod verdient. Da Sie es aber so wollen, werden wir sie laufen lassen. Etwas aber müssen wir ihnen doch zum Andenken geben. Wir zählen einem Jeden fünfundzwanzig gute Hiebe auf. Das wird ungemein zur Heilung ihrer Schußwunden beitragen. Vielleicht bin ich bereit, ihnen diese Hiebe zu erlassen, wenn sie mir eine Frage der Wahrheit nach beantworten: Wer hat das Geld, welches Ihr diesen Leuten abgenommen habt?«

»Wir wissen von keinem Gelde.«

»Oho! Es hat sich da im Wagen befunden.«

»So hat es der rothe Burkers. Er hat den Wagen durchsucht, nicht wir.«

»Gut, so sollt Ihr Eure Fünfundzwanzig bekommen. Hättet Ihr ein Geständniß abgelegt, so wäre Euch diese Strafe erlassen worden.«

»Was man nicht weiß, das kann man nicht gestehen!«

»Schon gut!«

Er ging, um nach einer Hacke zu suchen. Der Eine der beiden Gefangenen flüsterte dem Anderen zu:

»Wäre es nicht besser, ihm Alles zu sagen?«

»Unsinn! Wir kommen sonst um das Geld.«

»Aber wir erhalten die Hiebe!«

»Nein. Er droht uns nur. Tödten will er uns nicht; er wird uns also hier lassen müssen. Wir behalten das Geld, welches wir später sehr nöthig haben werden. Diesen verdammten Kerl hat der Teufel hergeführt. Er hat den Förster getroffen und unsere Fährte gefunden. Dem Ersteren wäre es niemals geglückt, sie aufzuspüren. Donnerwetter! Was will er denn mit der Hacke?«

Sam hatte in einem der Wagen eine Hacke gefunden. Er gab sie dem Förster und sagte:

»Hier! Graben Sie also einmal da vorn am ersten Wagen unter dem linken Hinterrade nach. Da wird sich das Gesuchte wohl finden.«

Darauf kehrte er zu den Gefangenen zurück und beobachtete mit innerlicher Freude die Bestürzung, welche sie zeigten, als der Förster nachzugraben begann.

»Ihr macht ja Gesichter, als ob Euch die Pflaumenbäume verhagelt seien!« sagte er. »Nicht wahr, wir wissen sehr genau, wo das Geld zu finden ist?«

»Der Teufel hole Euch!«

»Pshaw! Mit dem habe ich nichts zu schaffen. Er wird sich an Euch halten müssen.«

Die Familie des Försters stand mit bei dem Wagen; Jim und Tim waren auch dort. Nach einiger Zeit stieß Rothe einen Freudenruf aus. Er förderte eine Pferdedecke zu Tage, in welche ein großer Lederbeutel eingewickelt war.

»Bringt das Ding einmal her!« sagte Sam. »Wir wollen sehen, was darinnen steckt.«

Der Beutel wurde geöffnet. Er war voller Geld. Die Summe betrug über neuntausend Dollars.

»Habe es mir gedacht!« lachte der Dicke. »Dieser rothe Burkers ist so freundlich gewesen, auch sein eigenes Geld mit hineinzustecken. Na, das sind die Zinsen, welche er bezahlt. Master Rothe, da sind Sie also wieder zu Ihrem Gelde gekommen. Stecken Sie es ein, und nehmen Sie es in Zukunft besser in Acht!«

Weder der Förster noch Augusta wollten von dem Ueberschusse Etwas haben. Sie verlangten, daß die drei Jäger sich darein theilen sollten. Diese aber gingen nicht darauf ein.

Jetzt wurde nun Berathung gehalten, was mit den Gefangenen und den Wagen und deren Inhalte gemacht werden solle. Man stellte es Sam anheim, darüber zu bestimmen. Er sagte:

»Wir nehmen mit, was wir mit uns führen können, ohne daß wir unsere Pferde überlasten. Alles Andere verbrennen wir, auch die Wagen mit. Diesen Spitzbuben soll nichts zu Gute kommen.«

»Können wir denn die Wagen nicht mit uns nehmen?« fragte die Försterin.

»Nein, das ist unmöglich.«

»So komme ich ja um Alles, um meine schönen Betten, meine Wäsche –«

»Weinen Sie nur deshalb nicht. Mit uns schleppen können wir die Sachen nicht. Ich werde dafür sorgen, daß Sie für diesen Verlust Ersatz finden. Wir verlassen diesen Ort zu Pferde. Die Wagen können wir unmöglich gebrauchen. Sie hindern uns.«

Die Frau mußte sich drein ergeben.

Der eine Wagen enthielt verschiedene Kleidungsstücke, Munition und Proviant. Es wurde Alles, was mitgenommen werden konnte, zusammengepackt. Mittelst einiger Betten wurden für die Frauen zwei weiche Sattelsitze hergerichtet. Dann wurden die Wagen zusammengeschoben und in Brand gesteckt.

Die Gefangenen sahen mit heimlichem Zähneknirschen zu. Sie konnten nichts ändern, nahmen sich aber vor, sich später bei einem etwaigen Wiederzusammentreffen zu rächen.

Bis das zerstörende Feuer seine Schuldigkeit gethan hatte, blieben die Reisenden im Thale. Dann machten sie sich zum Aufbruche bereit. Sam sagte zu den beiden Buschheaders:

»Wir wollen nicht, daß Ihr elendiglich zu Grunde gehen sollt. Darum lassen wir Euch Eure Waffen und auch einige Munition zurück. Verhungern könnt Ihr nicht. Hier fließt Wasser, und dort habt Ihr Eure Zugthiere. Wenn Ihr einen Ochsen niederschießt, habt Ihr zu essen, so viel Euch beliebt. Jetzt aber muß ich Euch die Fünfundzwanzig geben, welche Ihr verdient habt, weil Ihr gelogen habt.«

Noch immer glaubten sie, daß er es nicht thun werde; aber bereits kamen Jim und Tim herbei, welche sich zu der Exekution einige gute, elastische Stöcke abgeschnitten hatten.

»Docht aus uns machen!« sagte der Erstere. »Jetzt werden wir Euch einige Dochte überziehen, und zwar nicht schlecht. Ihr sollt sie brennen fühlen, ohne daß Ihr sie anzuzünden braucht.«

Die beiden Frauen entfernten sich, um die Exekution nicht mit ansehen zu müssen; die Anderen aber blieben zurück. Jim und Tim übernahmen die Ausführung des Urtheiles, und sie machten ihre Sache so vortrefflich, daß der eine der beiden Delinquenten, welche die Strafe in wortlosem Grimme hinnahmen, nach dem letzten Streiche unter Zähneknirschen sagte:

»Das Leben habt Ihr uns geschenkt. Wir behalten es, um es nur zur Rache zu verwenden.«

»Zur Rache gegen uns?« lachte Sam.

»Ja.«

»Das könnte uns veranlassen, Euch eine Kugel durch den Kopf zu jagen.«

»Thu es meinetwegen! Aber wenn wir hier nicht liegen bleiben; wenn wir wieder gesund werden, so nehmt Euch vor uns in Acht. Das erste Wiedersehen bringt Euch den Weg in die Hölle. Ihr sollt uns nicht umsonst geschlagen haben!«

»Gieb Dir keine Mühe, uns Angst zu machen. Wenn Du Dich wieder einmal vor mir sehen lassen solltest, so erhältst Du Fünfzig aufgezählt anstatt nur Fünfundzwanzig. Solche Hallunken, wie Ihr seid, sollte man eigentlich um einen Kopf kürzer machen. Wäre es nur auf mich angekommen, so wäre das geschehen. Ihr habt nur Denen, die Ihr beraubtet, Euer Leben zu verdanken. Pflegt Euch gut, damit Ihr bald gesund werdet! Was Ihr dann anfangt, ist mir sehr egal; nur hütet Euch, mir jemals wieder vor die Augen zu kommen!« –

Der nun folgende Ritt über die Sierra de los Mimbres nach der Sierra della Acha ging ganz glücklich und ohne besondere Erlebnisse von statten. Von seinem früheren Aufenthalte am Silbersee kannte Sam den Weg dorthin. Er wußte, daß Eile nothwendig sei; darum hütete er sich vor jedem Umwege und jedem unnöthigen Aufenthalte.

Ein Glück war es, daß die beiden Frauen den Ritt sehr gut aushielten, obgleich sie diese Art und Weise des Reitens nicht gewohnt waren. Freilich gab der gute Sam sich die größte Mühe, ihnen die Sache so leicht wie möglich zu machen.

Jim und Tim hatten sich die Farbenmalerei aus dem Gesicht gewaschen. In der Gegend, in welcher sie sich befanden, war es nicht mehr von Vortheil, als Indianer aufzutreten. In den Wagen hatten sie zwei Hüte gefunden, die sie nun zu ihren Anzügen trugen.

Die ganze Gesellschaft war außerordentlich gespannt, die Taube des Urwaldes kennen zu lernen. Beim Aufbruche heute morgen hatte Sam gesagt, dies sei ihr letztes Nachtlager gewesen, da sie heute den See erreichen würden. Jetzt befanden sie sich auf einer ziemlich breiten Hochebene, welche von bewaldeten Höhen rechts und links eingeschlossen wurde, selbst aber keinen Baum zeigte, sondern von Gras und kurzlockiger Grama bestanden war. Sie schien sich nach vorwärts zu verengen und Sam sagte, daß der Silberfluß von den zur Linken liegenden Höhen herabkomme und sich da vorn, wo die Ebene ganz schmal werde, in einem hohen Falle herabstürze in den Thalkessel des Sees.

Am Schlusse dieser Erklärung blickte er sich nach der Richtung um, aus welcher sie gekommen waren, und sagte überrascht:

»Sapperment! Wir sind nicht die einzigen Menschen, welche es hier giebt. Da seht!«

Als sich nun auch die Anderen umblickten, sahen sie zwei Reiter in noch ziemlicher Ferne hinter sich. Diese Entfernung verminderte sich aber zusehends, da die Reiter im schärfsten Galopp herbeikamen. Außer Schußweite hielten sie an, um die Gesellschaft zu betrachten.

»Indianer,« sagte Sam. »Sie scheinen Beide noch jung zu sein, den Gestalten nach, denn die Gesichter kann man nicht erkennen.«

»Apachen oder Comanchen?« fragte Jim.

»Das weiß ich nicht. Sie haben kein Zeichen an sich, nach welchem man diese Frage beantworten könnte. Ah, sie scheinen sich beruhigt zu haben. Sie kommen heran.«

Die Indianer setzten ihre Pferde wieder in Galopp. Je näher sie kamen, desto besser waren sie zu erkennen.

Der Eine, Größere von ihnen war doch nur wohl zwanzig Jahre alt und in einen dunkeln Jagdanzug von Flennhaut gekleidet. Er trug eine Doppelbüchse, welche am Riemen über seiner Schulter hing. Sein Gesicht war unbemalt, braun, aber von beinahe kaukasischen Zügen.

Der Andere war jünger und in einen weißen Jagdanzug von Rehleder gekleidet. Genäht war dieser Anzug mit roth gefärbter Hirschsehne. Dieser Kleinere hatte sein Gesicht mit quer über dasselbe gehenden rothen und gelben Strichen gefärbt, so daß die eigentlichen Züge nicht zu erkennen waren. Auch er trug ein Gewehr, aber einen prachtvollen Lefaucheur-Hinterlader, eine große Seltenheit bei einem Indianer.

Beritten waren die Beiden außerordentlich gut. Der Aeltere saß auf einem Rapphengste und der Jüngere auf einer Schimmelstute.

Beide parirten ihre Pferde, als sie herangekommen waren.

»Uff, uff! Lo, lo!« rief der Jüngere mit knabenhaft feiner Stimme, als ob er sich über Etwas wundere.

Der Aeltere musterte die Gesellschaft mit ernster Miene und sagte dann:

»Die Bleichgesichter haben einen weiten Weg hinter sich?«

»Ja, einen sehr weiten,« antwortete Sam.

.

»Woher kommen sie?«

»Von jenseits des Gebirges.«

»Und wohin wollen sie?«

»Nach dem Silbersee.«

»Wollen sie vielleicht dort jagen?«

»Nein. Wir wollen dort ausruhen.«

»So weiß mein weißer Bruder wohl nicht, daß es dort keinen Ort giebt, an welchem ein Fremder sein Wigwam aufschlagen darf?«

»Wer will es mir verwehren?«

»Die Krieger der rothen Nationen.«

»Sie werden mich nicht fortweisen. Ich bin ihr Freund.«

»Alle Bleichgesichter nennen sich Freunde der rothen Männer, aber ihre Zungen sind falsch. Sie handeln anders als sie sprechen.«

»Ist mein rother Bruder schon so bei Jahren, daß er solche Erfahrungen gemacht hat?«

»Die Bleichgesichter sorgen dafür, daß der rothe Mann bereits in seiner Jugend sie kennen lernt. Mein weißer Bruder wird sehr klug handeln, wenn er mit den Seinen umkehrt. Er findet am Silbersee keinen Platz.«

»So ist der Platz schon besetzt?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Es befindet sich dort das Nest der Taube des Urwaldes, und die rothen Krieger sorgen dafür, daß kein Raubvogel sich diesem Neste nahe.«

»Ich bin kein Raubvogel. Ich komme als ein Freund der Taube, um ihr eine wichtige Entdeckung zu machen.«

»Sie wird den weißen Mann nicht empfangen.«

»Ich werde doch versuchen, ob sie es thut!«

Da sagte der Jüngere:

»Sie wird es thun. Du bist ihr willkommen.«

»Ich danke Dir, Knabe. Deine Worte klingen lieblicher als diejenigen Deines Bruders.«

»Ich spreche gern freundlich mit Dir, denn Du bist ein kühner Jäger, und Dein Herz ist voller Güte und Ehrlichkeit.«

»Wie kannst Du das wissen?«

»Ein Jeder wird Sam Barth so beschreiben, wie ich es gethan habe.«

»Sapperment! Du kennst mich?«

»Ja. Auch Jim und Tim werden der Taube sehr willkommen sein.«

»Alle Wetter! Auch diese kennst Du?«

»Sehr gut.«

»Kann mich nicht besinnen!« meinte Jim. »Woher willst Du uns kennen?«

»Ihr habt mir einmal einen großen Dienst geleistet.«

»Welchen denn?«

»Davon später!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und sprengte in gestreckter Carrière davon, gefolgt von dem anderen Indianer.

»Da brate mir Einer einen Storch!« sagte Jim.

»Brate ihn Dir nur selber!« lachte Sam.

»Ich habe das Kerlchen noch nie gesehen!«

»Ich auch nicht. Und doch – – hm!«

»Was denn – hm?«

»Er sprach im reinsten Englisch, während der Andere sich im Indianermischmasch ausdrückte. Es kommt mir irgend Etwas bekannt an diesem Kleinen vor.«

»Etwa die Visage?«

»Die konnte man ja gar nicht sehen. Nein, aber die Stimme – diese Stimme!«

»Hast Du sie gehört?«

»Welche Frage! Natürlich habe ich sie gehört; ich habe ja meine Ohren! Aber sie kommt mir bekannt vor. Es ist mir, als ob ich sie bereits einmal gehört hätte.«

»Täuschung!«

»Das ist möglich. Aber hast Du seine Hände angesehen?«

»Was gehen mich die Hände an!«

»Da sieht man, wo Du die Augen hast. Du willst ein Westmann sein und siehst doch so Etwas nicht! Die Händchen waren klein wie Damenhände, ganz zart und so weiß, wie ein Indsmen keine Hände hat. Es kommt mir das sehr verwunderlich vor.«

»Na, warte, bis wir zur Taube kommen! Bei ihr werden sich diese beiden Indianer befinden. Aus ihren Reden war zu ersehen, daß sie sie kennen, und sie haben ja die Richtung eingeschlagen, welche zu ihr führt.«

»Natürlich werde ich da warten müssen; sie sind eben fort. Dort reiten sie, und wie! So kostbare Pferde habe ich fast noch niemals gesehen. Machen wir, daß wir nachkommen.«

Sie setzten den unterbrochenen Ritt fort. Nach einiger Zeit traten die Höhen, zwischen denen die Hochebene lag, näher zusammen, mit ihnen der Wald, und von der Seite her näherte sich das Flüßchen, dessen Wasser den Silbersee speiste. Dann vernahmen sie das Brausen eines hohen Wasserfalles. Das Flüßchen stürzte sich wohl über fünfzig Meter hoch hinab in ein Felsbassin, welches es sich ausgehöhlt hatte, und floß von da weiter dem See entgegen, den man aber noch nicht sehen konnte.

Der Weg, den die Reiter einzuschlagen hatten, ging in einen weiten, sich immer tiefer senkenden Bogen um den Wasserfall hinab nach dem Bassin und von da am Flüßchen hin, bis die Bäume, welche da einen geschlossenen Wald bildeten, wieder auseinander traten. Jetzt nun war das Thal des Sees in seiner ganzen Ausdehnung zu überblicken.

Es bot einen Anblick von wunderbar, ergreifender Schönheit.

Die fast lothrecht aufsteigenden Wände konnten keine Bäume tragen, waren aber mit Buschwerk bestanden, welches für seine Wurzeln überall einen Felsenriß gefunden hatte. Nur hier und da stand an einer horizontalen Stelle eine Ceder, aber von solcher Mächtigkeit wie in dem berühmten Yosemitethal in Californien. An diesen Felswänden konnte kein menschlicher Fuß hinauf- oder herabklettern. Es gab nur zwei Wege, in das Thal zu kommen, nämlich da, wo das Flüßchen in dasselbe trat, und da, wo es dasselbe wieder verließ.

Der größte Theil der Thalsohle war mit Wasser angefüllt – dem Silbersee. Die Sonne stand bereits hoch, und unter ihren Strahlen erglänzten die Wellen wie polirtes Silber.

An seinem diesseitigen Rande, da wo sich das Flüßchen in ihn ergoß, stand das alte Gebäude der Mission. Es war gebaut wie ein Kloster, durchweg aus Steinen aufgeführt. Diejenigen, welche es vor alter Zeit errichtet hatten, waren gezwungen gewesen, sich gegen feindliche Angriffe zu schützen. Sie hatten den Mauern eine bedeutende Stärke gegeben und im unteren Stocke keine Fenster, wohl aber zahlreiche Schießscharten angebracht. Aus demselben Grunde gab es auch nur einen einzigen Eingang, welcher durch ein mächtiges hölzernes Thor verschlossen wurde. Neben demselben befand sich eine Klingel, die jedenfalls erst in neuerer Zeit angebracht worden war.

In der Nähe des Gebäudes weideten mehrere Pferde, unter ihnen auch der Rappe und der Schimmel, welche die beiden jungen Indianer geritten hatten. Am Ufer des Sees waren mehrere Rindenkähne befestigt. In der Mitte der Wasserfläche sah man eine Insel. Ein kleines, steinernes Gebäude, welches sich auf derselben befand, ließ vermuthen, daß sie vom Ufer aus sehr oft besucht werde.

Um den See herum gab es eine ganze Menge künstlicher Erhöhungen, meist ungefähr zwölf Ellen hoch und mit Gras bewachsen, oben darauf irgend ein Busch mit in die Erde gesteckten Lanzen und allerlei anderem Geräthe. Sam erklärte:

»Das sind die Häuptlingsgräber, welche in der ganzen Gegend für heilig gelten.«

»Die liegen in ihren Särgen unter so riesigen Hügeln?« fragte der Förster.

»Liegen? In Särgen? Fällt keinem Menschen ein! Ein Häuptling wird nicht in einen Sarg gepreßt. Man zieht seiner Leiche das beste Gewand an, setzt sie auf sein Lieblingspferd und giebt ihr die Waffen und den Medizinbeutel in die Hand. Das Wort Medizin bedeutet hier nicht etwa so viel wie Arznei, sondern es heißt Heiligthum. Der Medizinbeutel enthält Amulette und andere Gegenstände, welche durch den Priester, den Medizinmanne geweiht worden sind. – Nun wird um das Pferd und die Leiche Erde aufgehäuft. Das Thier kann sich zuletzt nicht mehr bewegen und wird erstochen, damit es nicht so lange mit dem Tode zu kämpfen habe. Die Erde wächst höher und höher, Steine darüber, welche dem Grabe Halt geben. Hat der Hügel seine Höhe erreicht, so steckt man allerlei Gerätschaften des Häuptlings, seine Lanzen und Pfeile, seinen Bogen, oben in die Erde und hängt Verschiedenes daran, was ihm im Leben lieb gewesen ist. Diese Gegenstände sind unantastbar. Wer sich an ihnen vergreift, begeht ein Verbrechen, welches nur mit dem Tode gesühnt werden kann. Es sind Weiße hier gewesen, welche die Gräber entweiht haben. Darum wurde zu der Zeit, als ich zum ersten Male hierher kam, ein jedes Bleichgesicht feindselig empfangen und mit den Waffen fortgewiesen. – Hier nun sind wir an dem Thore. Wir werden klingeln müssen.«

Er zog an der Glocke. Man hörte ihren Ton wie aus weiter Entfernung. Nach einiger Zeit wurde ein kleines Guckloch, welches sich im Thore befand, geöffnet, und das Gesicht einer alten, runzeligen Indianerin erschien.

»Wohnt hier die Taube des Urwaldes?« fragte der kleine Dicke.

»Palomo Nakana wohnt hier,« lautete die Antwort.

»Ist sie daheim?«

»Sie ist da.«

»Ich habe mit ihr zu sprechen.«

»Es ist ein großes Wunder geschehen. Ihr seid Bleichgesichter, welche nur Unheil bringen, und doch habe ich den Befehl erhalten, Euch Alle einzulassen. Kommt Ihr in arglistiger Absicht, so werdet Ihr dieses Haus nicht lebendig verlassen. Darum reitet lieber sogleich wieder fort!«

»Wir sind Freunde der Taube. Wir haben uns nicht zu fürchten.«

»So kommt herein.«

Das Thor ging auf, und die Angekommenen folgten dem breiten, gewölbten Durchgange bis in einen großen, viereckigen Hof, welcher von den vier Flügeln des Gebäudes eingeschlossen wurde. Auch hier ließ sich kein Mensch sehen.

In jeder Seite dieses Hofes befand sich eine Thür. Hier gab es zahlreiche Fenster; aber in den wenigsten war noch der Rest einer alten Glasscheibe zu finden. Wo sollte hier mitten im Indianergebiete ein Glaser herkommen.

»Wer ist der Anführer?« fragte die Alte.

»Ich bin es,« meinte Sam.

»Steige hier diese Treppe hinauf. Die Anderen mögen warten.«

Sie deutete nach der Thüröffnung, in welcher aber die Thür fehlte. Er stieg vom Pferde und ging die steinerne Treppe hinan. Droben kam er auf einen Corridor. Dort stand der ältere Indianer, der ihnen draußen begegnet war.

»Du sollst den Vater der Taube sehen,« sagte er. »Komm mit mir!«

Er führte ihn zu einer Thür, öffnete dieselbe und winkte ihm, einzutreten. Als dies geschah, machte er von Außen die Thür wieder zu.

Sam befand sich nun in einem hohen, düsteren Raume, welcher außer den nackten Steinwänden nichts als einen roh zugehauenen Tisch und einige ebenso primitive Bänke zeigte. Vor ihm stand ein Mann in indianischem Lederanzug. Sein Gesicht trug einen gewaltigen Vollbart, so daß man die Züge fast gar nicht erkennen konnte. War er ein Indianer oder ein Weißer? Das ließ sich schwer entscheiden. Er streckte Sam die Rechte entgegen und sagte:

»Herzlich willkommen, Master Barth! Ich habe mich sehr gefreut, als ich hörte, daß ich Euch einmal wiedersehen würde.«

Der Blick des Dicken forschte vergebens in dem bärtigen Gesichte nach einem Erkennungszeichen. Er schüttelte den Kopf und antwortete:

»Ich will mich auf der Stelle auffressen lassen, wenn ich weiß, wo ich Euch schon einmal gesehen habe. Ihr sprecht ein famoses Englisch, könnt also doch wohl kein Indsmen sein?«

»Da vermuthet Ihr ganz richtig. Ich bin kein Indianer, sondern ein Weißer.«

»Und der Vater der Taube?«

»Ja.«

»Darf ich einmal mit ihr sprechen?«

»Natürlich. Eigentlich habt Ihr bereits mit ihr gesprochen.«

»Wann denn und wo?«

»Vor einer halben Stunde.«

»Sapperment! Davon weiß ich freilich nichts.«

»Es begegneten Euch zwei Indsmen. Mit diesen habt Ihr doch gesprochen.«

»Freilich. Aber ein Weibsbild war nicht dabei.«

»O doch. Der kleinere der beiden Indianer war meine Tochter.«

»Was! Donnerwetter! Ich denke, ich habe gute Augen und – na ja, es kam mir sonderbar vor. Diese kleinen, weißen Hände und diese Stimme. Ich bin überzeugt, daß ich diese Stimme bereits einmal gehört habe.«

»Ganz richtig, Sir.«

»Aber ich weiß gar nicht, wo. Es fällt mir da ein, gehört zu haben, daß die Taube des Urwaldes eigentlich Almy heißt; ich kenne keine Almy außer einer Einzigen – hm!«

»Wer ist diese Einzige?«

»Die Tochter eines Pflanzers bei Van Buren.«

»Meint Ihr Wilkins?«

»Himmelelement! Ihr kennt den Mann?«

»Ja, ich kenne ihn, und Diese da kennt ihn auch.«

Er öffnete eine Nebenthür und rief den Namen Almy hinein. Die Tochter kam auf diesen Ruf herbei. Sie war höchst einfach auf indianische Weise gekleidet. Alle Stücke ihres Anzuges bestanden aus dem feinsten, schneeweiß gegerbten Leder. Das kleine, kurze, kaum über das Kniee reichende Röckchen, das enge Leibchen, welches sich drall um die Fülle des reizenden Busens legte, die Gamaschen, die sich faltenlos um die Waden schlossen, die kleinen Moccassins, wie für ein Kind gemacht. Alles aus schneeglänzendem Leder und mit mühevoller rother Sehnenstickerei verziert. Um den Hals trug sie eine kostbare Schnur von Zähnen und Krallen des grauen Bären, kostbar durch die Gefahr, welche mit der Erlegung dieses starken Thieres verbunden ist. Das prächtige, dunkle, in langen, schweren Flechten herabhängende Haar trug keinen Schmuck als eine Doppelnadel, an welcher sich zwei Nuggets von der Größe eines Gänseeies befanden.

Das einst so rosige Gesichtchen sah bleich aus. Ein Hauch tiefer Schwermuth, welcher es durchgeistigte, konnte selbst durch das freundliche Lächeln kaum gemildert werden, unter welchem sie dem Jäger ihr kleines Händchen entgegenstreckte.

»Willkommen, Master Sam! Ihr habt mich vorhin wohl schwerlich erkannt?«

»Himmelsapperment!« rief er aus. »Ist das denn wahr oder nicht?«

»Es wird wohl wahr sein.«

»Mademoiselle Wilkins!«

»Die bin ich.«

»So ist also dieser Sir Euer Vater, Monsieur Wilkins aus Wilkinsfield?«

»Natürlich.«

»Ich will mich fressen lassen, wenn ich Euch Beide wiedererkannt habe! Ihr hier, Ihr! Das ist ein blaues Wunder und ein grünes und gelbes dazu! Wie in aller Welt kommt denn Ihr hierher an den Silbersee, mitten zwischen Comanchen und Apachen hinein?«

»Das ist eine lange und traurige Geschichte, die ich Euch wohl noch erzählen werde,« antwortete Wilkins. »Ich trage selbst mit daran Schuld. Ich habe damals den Fehler gemacht, daß ich Euren Rath nicht befolgte.«

»Ja, ja! Hm! Wer nicht hört, der muß eben fühlen. Ihr hattet so eine Art von Respect vor diesem, diesem – na, wie hieß denn der Hallunke gleich?«

»Leflor.«

»Ja, Leflor. Der Kerl schien mir da zu sein, um einen guten Strick um den Hals zu bekommen. Ihr habt viel zu viel Umstände mit ihm gemacht.«

»Ja, ich hätte mehr auf Euch hören sollen. Ich hätte es vielleicht auch noch gethan, aber Ihr wart so plötzlich verschwunden. Ich ließ zwar sogleich nach Euch suchen, konnte aber Eurer nicht habhaft werden.«

»Ja, wenn sich der Sam nicht finden lassen will, so wird er eben nicht gefunden. Er ist ein Sappermentskerl! Nicht? Etwas zu dick, sonst aber ein ganz ordentliches Menschenkind.«

»Ich habe mich damals bei Euch nicht bedanken können. Ich will das hiermit nachgeholt haben, und es sollte mich herzlich freuen, wenn ich Euch heute einen Dienst erweisen könnte.«

»Das könnt Ihr, das könnt Ihr sehr gut.«

»Dann sagt mir nur, was Ihr wünscht.«

»Ich wünsche, daß Ihr den rothen Burkers tüchtig anlaufen laßt.«

»Den? Ah, das möchte ich wohl. Wenn dieser Kerl mir nur einmal in die Hände kommen wollte.«

»Er will, er will, Sir!«

»Wie? Ich verstehe Euch nicht.«

»Na, ich denke, Ihr wißt es bereits!«

»Was soll ich wissen? Ich weiß von nichts.«

»Das ist sonderbar! Ihr kennt doch den Apachenhäuptling, welchen man die »starke Hand« nennt?«

»Freilich kenne ich ihn. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken. Er ist unser Beschützer.«

»Und kennt Ihr vielleicht auch einen weißen Jäger, welchem man den Namen »Fürst der Bleichgesichter« gegeben hat?«

»Ich kenne ihn nicht, habe aber sehr viel von ihm gehört.«

»So habe ich mich allerdings in meinen Vermuthungen geirrt. Ich habe geglaubt, diese beiden Männer hier bei Euch zu finden. Es erschien mir als ganz selbstverständlich, daß sie kommen würden, um Euch zu warnen. Die beiden Männer müssen durch irgend Etwas verhindert worden sein.«

»Mich warnen? Droht mir etwa eine Gefahr?«

»Freilich. Der rothe Burkers hat es abermals auf Euch abgesehen; er will Euch hier am Silbersee einen Besuch abstatten.«

»Der? Ah, wenn das wahr wäre!«

»Freilich ist es wahr.«

»Befindet er sich denn in dieser Gegend?«

»Und ob! Mit einer ganzen Bande. Er ist bereits unterwegs nach hier. Er meint, daß die Taube des Urwaldes große Schätze besitze.«

»Und wie habt Ihr denn erfahren, daß er diesen Streich gegen mich beabsichtigt?«

»Durch den Fürsten der Bleichgesichter. Ich will Euch die Sache kurz erzählen.«

Er berichtete ihm die Ereignisse der letzten Zeit. Als er geendet hatte, sagte Wilkins kopfschüttelnd:

»Das ist wirklich wunderbar! Zweimal will mich dieser Mensch berauben und zweimal seid Ihr es, welcher kommt, mich zu warnen. Ich bin Euch wirklich außerordentlich verpflichtet.«

»Wenn Ihr das meint, so werdet Ihr mir wohl die einzige Bitte erfüllen, welche ich habe?«

»Nun, welche?«

»Laßt die Hallunken dieses Mal nicht entkommen!«

»Dieser Wunsch wird Euch ganz gewiß erfüllt, Master Barth. Ich wünsche nur, daß sie auch wirklich kommen mögen.«

»Hoffentlich thun sie uns den Gefallen. Der Fürst der Bleichgesichter ist zuverlässig. Er hätte es nicht geschrieben, wenn es nicht wahr wäre. Darf ich Euch bei diesem Fange ein Wenig helfen?«

»Wenn es Euch Spaß macht, ja, obgleich ich ganz und gar nicht ohne Schutz bin.«

»Hm! Ich habe bisher nur eine alte Indianerin und einen jungen Burschen gesehen. Ist das etwa Euer ganzer Schutz?«

»O nein. Zunächst bietet mir dieses Haus Schutz vor einer ganzen Menge von Feinden. Ich bin reichlich verproviantirt und könnte eine lange Belagerung aushalten. Waffen und Munition habe ich auch genug. Mein bester Schutz aber sind die Indianer, welche meine Tochter fast wie ein höheres Wesen verehren.«

»Hm! Kein Wunder!« meinte Sam, indem er das schöne Mädchen freundlich betrachtete. »Mademoiselle Almy ist auch wirklich etwas ganz Apartes, etwas Höheres. So viel ist wenigstens sicher, daß sie etwas Höheres ist als Sam Barth. Aber sind diese Indsmen denn bei der Hand, wenn Ihr sie braucht?«

»Ja. Wenigstens kann ich mich hier so lange halten, bis sie kommen.«

»Ihr müßt sie also benachrichtigen?«

»Ja.«

»Etwa einen Boten senden? Das ist umständlich und gefährlich.«

»O, der Bote, welchen ich ihnen sende, ist schneller als der schnellste Reiter.«

»Oho! Den möchte ich sehen! Und wenn sie ihn nun unterwegs wegfangen?«

»Das können sie nicht.«

»Na, na! Ich sage Euch, daß auch der schlaueste Kerl ergriffen werden kann!«

»Mein Bote wird offen durch sie hindurch oder an ihnen vorübergehen und sie werden ihn gehen lassen.«

»Dann sind sie Prügel werth. Wer ist denn dieser prachtvolle Kerl?«

»Das Wasser.«

Sam machte ein höchst erstauntes Gesicht. Er fragte:

»Das Wasser? Hm! Ja, ich kann mir so ungefähr denken, was Ihr meint. Ihr steckt einen Brief oder so Etwas in ein Kästchen und thut dasselbe in den Fluß, wo er aus dem See kommt. Der Fluß nimmt es mit dahin, wo es aufgefangen wird.«

»Das wäre höchst unzuverlässig. Unter hundert Malen würde das Kästchen neunundneunzig Male unbeachtet bleiben. Es kann doch nicht Tag und Nacht Jemand am Flusse sitzen und aufpassen.«

»Wie ist es denn?«

»Der See hatte früher einen kleinen Seitenabfluß, welcher sich durch die Seite des Thales einen Weg gebahnt hatte. Wir haben die Oeffnung verschlossen. Von diesem Hause geht ein Draht zu ihr hin. Ich darf nur ziehen, so ist der Weg für das Wasser wieder frei; es fließt ab, nicht in großen Wegen, sondern als ein kleines schmales Bächlein. Sobald es unten in der Ebene erscheint, wissen die Bewohner derselben, daß ich mich in Gefahr befinde, und kommen mir zu Hilfe.«

»Nicht übel! Ganz hübsch ausgedacht. Ich denke aber, wir werden das gar nicht nöthig haben. Habt Ihr uns jetzt kommen sehen?«

»Ja.«

»So werdet Ihr bemerkt haben, daß Jim und Tim wieder bei mir sind, dazu ein deutscher Förster mit seinem Sohne. Wir sind also Manns genug, es mit den Kerls aufzunehmen. Wir schießen sie nieder, wie sie kommen.«

»Lieber möchte ich sie lebendig haben.«

»Das ist freilich noch besser. Wie aber denkt Ihr denn, dies anzufangen?«

»Ich stelle es mir gar nicht schwer vor. Glaubt Ihr etwa, daß diese Menschen Sturm gegen meine Mauern laufen werden?«

»Gewiß nicht.«

»Nein. Sie werden zunächst die Gelegenheit erkunden. Sie werden einen der Ihrigen zu mir schicken, der mich vielleicht um Gastfreundschaft bitten und ihnen des Nachts die Thür öffnen soll.«

»Das ist sehr denkbar. Aber wir wollen sie empfangen!«

»Natürlich. Aber wie es scheint, haben wir noch Zeit. Wir brauchen uns nicht zu überstürzen. Zunächst will ich mit hinabgehen, um auch die Andern zu begrüßen. Wir haben sie bereits zu lange warten lassen.«

»Ganz recht! Aber – hm! Könnten wir wohl für einige Zeit hier wohnen?«

»Natürlich.«

»Auch die beiden Ladies?«

»Freilich!«

»Ich muß Euch da nämlich sagen, daß die Eine davon meine Verlobte ist, die eines schönen Tages sogar meine Frau sein wird. Euch wird das freilich sehr gleichgiltig sein, mir aber desto weniger. Ich möchte sie gern so viel wie möglich in Sicherheit haben.«

»Was das betrifft, so könnt Ihr ruhig sein. Sie ist bei mir hier ganz genau so sicher, als ob sie in Abraham's Schooße säße.«

»Na, wenn es nothwendig ist, daß sie sich irgend Einem in den Schooß setzt, so will ich diesen Abraham doch lieber selbst machen. Besser ist besser.«

»Ich habe Euch also eingeladen. Und Eure Verlobte kann hier bei mir bleiben, so lange es ihr beliebt, Jahre lang, mir soll es recht sein. Jetzt aber wollen wir hinunter in den Hof gehen.«

Nach kurzer Zeit saßen alle die Neuangekommenen in einem großen Saale beim Essen, welches allerdings nur in Maiskuchen und riesigen Büffelbratenstücken bestand. Als das Mahl beendet war, hatte Sam keine Ruhe. Er dachte an den rothen Burkers und wollte unbedingt einen Plan entworfen haben. Dazu war es nöthig, die Oertlichkeit genau zu kennen, und so ersuchte er Wilkins, ihm die Erlaubniß zu einer Recognition zu ertheilen.

»In Gottes Namen,« antwortete dieser. »Thut nur immer, was Ihr für nothwendig haltet. Ich werde selbst mitgehen.«

Sie brachen zu Vieren auf: Sam, Wilkins, Tim und Jim. Wilkins wollte sie rund um den See führen, damit sie die ganze Gegend kennen lernen könnten. Unterwegs erkundigte sich Sam, ob der Zugang zum See auch von den Höhen herab möglich sei.

»Nein,« antwortete Wilkins. »Man kann nur durch das Zu- und Abflußthor des Thales zu mir kommen. Und diese beiden Oertlichkeiten sind so beschaffen, daß zwei Wachen genügen, um mich über jeden Nahenden zu unterrichten.«

Sie wanderten an der einen Längsseite des See's hin und gelangten so an das Ende desselben, wo das Flüßchen wieder heraustrat und, sich durch eine Felsenenge Bahn brechend, in mehreren auf einander folgenden Schnellen von der Höhe hinabrauschte. Neben diesen Schnellen gab es nur so viel Raum, daß kaum zwei sich begegnende Reiter einander ausweichen konnten.

Als die vier Männer da oben standen und mit ihren Blicken den Sprüngen des Flusses folgten, schob plötzlich Sam die Anderen zur Seite und sagte:

»Tretet schnell zurück! Seht Ihr den Mann?«

»Wo?« fragte Jim.

»Ganz unten. Er kommt langsam am Flusse herauf geritten. Es ist ein Weißer.«

Jetzt sahen auch die Anderen den Reiter, welchen er meinte. Sie verbargen sich hinter den Bäumen und beobachteten ihn.

»Der Kerl kommt mir verdächtig vor,« meinte Sam. »Was für einen alten starkknochigen Gaul er reitet! Er sitzt ganz vornüber gebeugt und sucht nach Spuren. Dabei gehen die Augen nach rechts und links, wie diejenigen eines Spitzbuben.«

»Du, ich weiß, wer das ist!« sagte Jim.

»Nun, wer denn?«

»Das ist Derjenige von der Bande des rothen Burkers, welchen er zum Recognosciren geschickt hat.«

»Meinst Du? Kannst Recht haben.«

»Wollen wir ein paar Worte mit ihm sprechen?«

»Natürlich. Aber kommt noch ein Wenig zurück. Hier ist es zu eng. Wir müssen Platz haben, ihn fest zu halten.«

»Der Kerl hat gar kein Gewehr!«

»Das hat er natürlich zurückgelassen, damit wir ihn für einen friedlichen Menschen halten sollen. Er soll sich in uns getäuscht haben.«

Der Reiter kam langsam näher. Er hatte sie längst bemerkt, that aber nicht so. Er war von hoher, breitschulteriger Gestalt und trug einen dichten Vollbart. Gekleidet war er in starkes, ungegerbtes Wapitileder. Im breiten Ledergürtel steckte ein Messer und ein großes Beil; eine andere Waffe bemerkte man nicht an ihm. Um die Schulter hatte er einen Lasso geschlungen und auf dem Rücken trug er einen Tornister, welcher ihm ein eigenartiges Aussehen gab. Er hatte seinem großen, starkknochigen Pferde die Zügel auf den Hals gelegt und sich die Hände in die Hosentaschen gesteckt. So kam er ganz gemüthlich daher getrollt.

Das Pferd schnaubte, wedelte mit den Ohren und warf den Schwanz hin und her.

»Nein, ist dieser Mensch dumm!« sagte Sam. »Sein Gaul ist viel klüger. Das Pferd hat uns längst gewittert, er aber merkt gar nicht, wie unruhig es thut. Und das will ein Räuber sein! Pshaw!«

Jetzt wollte der Fremde vorüber. Da trat Sam hervor und rief:

»Halt, Mann! Ihr seid nicht so ganz und gar allein, wie Ihr anzunehmen scheint!«

Die anderen Drei waren dem Dicken gefolgt. Der Fremde sah ihn ein Wenig von der Seite an, zuckte die Achseln und antwortete:

»Weiß es! Habe Euch längst bemerkt.«

»Ah! O! Wann denn?«

»Schon als ich noch weit unten war. Euer Körper ist nicht so dünn, daß man ihn für einen Strich im Wege halten könnte.«

»So! Gesehen habt Ihr uns? Und dennoch kommt Ihr da herauf?«

»Wie Ihr seht, ja.«

»Was wollt Ihr denn da oben?«

»Hm! Mich ein Wenig umsehen.«

»Das ist verboten.«

»Wer hat es denn verboten? Etwa Ihr?«

»Ja.«

»Daraus werde ich mir nicht viel machen. Adieu, Master!«

Er nickte dem Dicken zu und wollte weiter. Schnell ergriff Sam das Pferd beim Zügel, Jim aber stellte sich zur rechten und Tim zur linken Seite des Reiters auf. Beide griffen nach den Steigbügelriemen.

»Halt, Mann!« meinte Sam. »Ihr werdet warten.«

Der Fremde hatte noch immer die Hände in den Hosentaschen. Er nahm sie auch jetzt nicht heraus, lächelte den Dicken lustig an und fragte:

»Ihr wollt mich aufhalten?«

»Ja. Steigt einmal aus dem Sattel!«

»Hm! Da habt Ihr meine Antwort!«

Er stieß einen scharfen Pfiff aus – ein Druck seiner Schenkel – und sein Gaul ging mit allen Vieren in die Luft, schlug nach vorn und hinten aus und blieb dann stehen, nachdem er sich in dieser Weise zweimal im Kreise gedreht hatte.

Sam war an einen Baum geschleudert worden, Jim lag rechts und Tim links am Boden; Beide standen langsam auf und alle Drei rieben sich diejenigen Stellen ihres Körpers, mit denen die Hufe des Pferdes in Berührung gekommen waren.

Der Fremde saß ganz gemüthlich im Sattel, die Hände noch in den Hosen, und sagte:

»Nicht wahr, Mesch'schurs, es ist ziemlich schlimm, wenn so ein Pferd sich nicht festhalten lassen will?«

»Eine verdammte Bestie ist Euer Vieh!« zürnte Sam. »Nehmt Euch in Acht, daß ich ihm nicht eine Kugel in den Dickkopf gebe!«

»Das würde die letzte Kugel sein, welche Ihr verschießt. Wir Rafters verstehen es, unser Eigenthum zu vertheidigen.«

»Ah! Für einen Rafter, für einen Holzfäller gebt Ihr Euch aus?«

»Ja, Sir.»

»Und Ihr meint, daß wir es glauben?«

»Was Ihr glaubt, ist mir egal.«

»Nun, wir werden Euch nachher sagen, was wir denken!«

»Ich kann Euch schon jetzt sagen, was ich von Euch denke.«

»Was denn, he?«

»Daß Ihr alle Vier Euch ein Wenig überschätzt. Mich anzuhalten, dazu gehören andere Kerls!«

»Oho, Mann! Kennt Ihr mich?«

»Pah! Wer werdet Ihr denn sein! Oder diese Beiden? Englische Nähnadeln, etwas in die Länge geklopft.«

»Donnerwetter! Wir werden Euch eine höflichere Sprache lehren. Ich sage Euch, steigt vom Pferde herunter, sonst holen wir Euch herab!«

»Versucht es doch noch einmal! Zwanzig solcher Yankees, wie Ihr seid, bringen keinen braven Deutschen aus dem Sattel, wenn er nicht will.«

»Wie? Was?« fragte Sam schnell. »Ihr seid ein Deutscher?«

»Ja, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

»Wie lautet denn da Euer Name?«

»Steinbach.«

»Das ist freilich stockdeutsch. Wunderbar! Es sollte mir leid thun, wenn Sie ein schlechter Kerl wären!«

Er hatte diese Worte in deutscher Sprache gesprochen. Steinbach antwortete ebenso:

*


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