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37

»Ja. Damals ist es uns sehr heiß geworden, aber die Rothhäute haben doch Haare lassen müssen.«

»Und habt Ihr nicht einmal ein ganzes Settlement von einem Ueberfall der Sioux errettet?«

»Auch das habe ich. Es war das weiter keine große Heldenthat. Wir waren ja dreißig Mann gegen achtzig Indsmen; da läßt sich die Sache schon machen.«

»Das und noch Anderes habe ich von Euch gelesen. Ich freue mich darum sehr, Euch hier zu sehen. Es wäre sehr schön, wenn Ihr eine Zeit lang hier bleiben könntet, Sir.«

»Ja, schön wäre es. Wenn ich Euch so in Eure lieben, hellen Augen gucke, Miß, so ist es mir, als ob ich mich für Euch mit allen Indianern der Erde herumbalgen könnte. Vielleicht kann ich einen Tag oder einige hier bleiben; es wird sich das sehr bald entscheiden. Vor allen Dingen muß ich zunächst mit Eurem Vater sprechen.«

»So geht um das Haus herum, wie ich Euch bereits gesagt habe, Sir!«

»Schön! Lieb wäre es mir, wenn ich Euch von der anderen Seite her auch treffen könnte.«

Er machte wieder eine nach seiner Ansicht höchst gewandte Verbeugung und ging. Dabei brummte er sehr befriedigt vor sich hin:

»Ich bin doch ein Himmelsakkermenter! Wie schön ich Das zuletzt gesagt habe! Der feinste Cavalier kann es nicht besser fertig bringen! Aber das ist auch ein Frauenzimmerchen! Süß wie Nürnberger Leb- oder Pulsnitzer Pfefferkuchen von Gottlieb Tobias Thomas, Nummer 26, das Päckchen für fünfzig Pfennige. Auf der Dresdener Vogelwiese bekommt man ihn am Besten. Ich war ja einmal dort!«

Er bog nach der Vorderseite herum und erblickte das hohe, weite Portal. In demselben stand ein Diener in leichter, dem südlichen Klima angepaßter Livrée. Dieser betrachtete den Kommenden mit erstauntem Blicke und erkundigte sich nach seiner Absicht. Als er Auskunft erhalten hatte, sagte er:

»Da müßt Ihr warten, Mann. Der Herr hat vor Nachmittag keine Zeit.«

»Das paßt sehr schön! Ich habe auch keine Zeit, und so wollen wir die Geschichte also gleich abmachen!«

Er trat ein. Der Diener aber ergriff ihn bei dem zottigen Aermel und meinte streng:

»Hoffentlich habt Ihr verstanden, was ich Euch gesagt habe, Master!«

»Und hoffentlich habe auch ich deutlich genug gesprochen!«

»Gewiß. Hier aber gilt nur Das, was ich sage, nicht aber Das, was Ihr von Euch gebt!«

»So? Nehmt Euch in Acht, daß ich nicht noch etwas Anderes von mir gebe, als was Ihr bisher von mir gehört habt! Ihr geht jetzt zu Eurem Herrn und sagt ihm, daß Sam Barth sehr nothwendig mit ihm zu sprechen habe. Verstanden?«

»Was geht mich Sam Barth an! Wartet, bis – – –«

Er hielt inne, trat zurück und machte eine sehr tiefe und respectvolle Verbeugung. Im Flur hatte sich eine tiefe Thür geöffnet, und die junge Herrin war herausgetreten. Sie wandte sich freundlich lächelnd an Sam:

»Da Ihr gewünscht habt, mich auch von dieser Seite zu sehen, so bin ich selbst zu Pa gegangen, um Euch anzumelden. Bitte, kommt mit!«

Der Dicke warf dem Diener einen vernichtenden Blick zu, so ungefähr wie ein Generalfeldmarschall einen Deserteur ansehen würde, und folgte ihr.

Sie führte ihn durch ein Vorzimmer und trat dann mit ihm in das Parlor, in welchem sich zwei Männer befanden, Wilkins, ihr Vater, und jener Leflor, sein Nachbar, von welchem sie gesprochen hatte.

Der Erstere war ein noch kräftiger Mann, vielleicht am Ende der fünfziger Jahre. Er hatte ganz das Aussehen eines Gentleman, selbstbewußt und doch gütigen Blick's dabei. Die kleinen Fältchen, welche von seinen äußeren Augenwinkeln nach den Schläfen hin strichen, ließen vermuthen, daß sein Leben nicht ohne geistige Anstrengung verflossen sei.

Der Andere mochte beinahe dreißig Jahre zählen. Er war lang, hager, trug sich Etwas vornüber gebogen; seine Kleidung war fein und tadellos, sein Gesicht glatt rasirt. Er machte den Eindruck eines echten Yankee. Als er dem Eintretenden entgegenblickte, hielt er die Augen zusammengezogen und die Mundwinkel herabgesenkt. Das gab seinem Gesichte einen lauernden, unangenehmen Ausdruck. Nach dem ersten Blicke auf Sam zog er seine Stirnhaut empor, ließ die Zähne sehen und machte mit der einen Schulter eine Schwenkung, als ob er irgend Jemand mit der Achsel von sich stoßen wolle.

»Hier, Pa, ist Master Barth, der Dich sprechen will,« sagte die Tochter. »Ich denke, daß er Dir willkommen ist.«

»Natürlich, liebe Almy. Ich heiße Euch willkommen, Sir!«

Er streckte dem Trapper die Hand entgegen. Sam ergriff sie, drückte sie herzhaft und sagte:

»Freut mich, Sir, daß Ihr mir wegen der Störung nicht zürnt. Vielleicht habe ich das nur Miß Almy zu verdanken.«

Er hatte den Namen des schönen Mädchens sofort aufgegriffen und sprach ihn aus, um ihn ja nicht wieder fallen zu lassen.

»Nicht allein ihrer Empfehlung,« bemerkte der Pflanzer, sondern auch dem Rufe, welcher Euch vorangeht.«

»Und der jedenfalls mehr aus dem Manne macht, als er wirklich ist!«

Das sagte Leflor, indem er einen belustigten und geringschätzigen Blick auf Sam warf. Der Dicke drehte sich rasch zu ihm hin und antwortete:

»Möglich, möglich! Aber einen Ruf habe ich doch. Habt Ihr auch einen, Sir?«

»Wieso – ich – Ruf?«

Der Sprecher war von Sam's Frage überrumpelt worden, so daß ihm nicht gleich eine klügere Antwort einfiel.

»Also keinen Ruf? Hm! So sprecht auch nicht über den meinigen, sondern sorgt zunächst dafür, daß die Leute auch Etwas Gutes von Euch zu erzählen haben!«

Dieses Intermezzo war dem Hausherrn unangenehm. Er wollte eine versöhnliche Bemerkung machen; doch Leflor kam ihm zuvor. Er stieß ein lustig sein sollendes, aber hart und gemacht klingendes Lachen aus und antwortete:

»So ist's recht, Master! Ein Jäger muß stets schlagfertig sein; nur muß er sich auch seinen Mann ansehen, damit er nicht an Einen geräth, der hoch über ihm steht. Uebrigens seht Ihr mir gar nicht wie ein rechter Westmann aus. Dieses Fell ist doch nur Maske, und dieses Schießholz – ah, welch ein alberner Prügel!«

Er hatte Sam dessen Gewehr aus der Hand genommen und hielt es dem Pflanzer lachend hin. Dieser gab ihm einen Wink, um ihn zu warnen. Die kleinen, scharfen Aeuglein des Dicken fingen diesen Wink auf. Er sagte:

»Ist nicht nöthig, dieses Augenzwinkern, Sir! Ich weiß doch nun, wie ich mit diesem Manne daran bin. Wenn er nicht sofort meine Büchse hier auf den Tisch legt, wird er Prügel haben, und zwar keine albernen. Er mag dann merken, wer höher steht, er oder ich. Sam Barth ist ein urgemüthlicher Kauz, aber mit sich tollen läßt er nicht.«

»Mensch!« fuhr Leflor auf.

»Boy!«

Boy heißt Bube, Knabe. Der Dicke stieß dieses Wort nicht etwa überlaut hervor, sondern er sagte es ruhig, mit nur ein ganz klein Wenig erhabener Stimme, aber seine ganze Haltung gab die Gewißheit, daß seine Faust in der nächsten Secunde dem Andern an die Kehle oder an den Kopf fahren werde. Wilkins stellte sich mit einem raschen Schritt zwischen die Beiden, nahm das Gewehr aus Leflors Hand, gab es an Sam zurück und sagte:

»Bitte, lieber Nachbar, keine Provocation! Master Barth ist mein Gast; er hat Euch nichts gethan, und so sehe ich nicht ein, aus welchem Grunde Ihr eine Reibung an ihm sucht. Die Jugend ist doch zuweilen ein Wenig übermüthig. Nicht, Sir?«

Diese letzte Frage war an Sam gerichtet. Er zuckte die Achsel und antwortete:

»Was nennt Ihr Jugend? Ich möchte diesem Worte nicht eine gar zu weite Ausdehnung geben.«

»Ganz, wie es Euch beliebt. Aber ist es Euch vielleicht recht, wenn ich Euch nach der Veranlassung Eures Besuches frage?«

Leflor hatte den kleinen Verweis schweigend hingenommen; aber seine Augen blitzten, und der Ausdruck seines Gesichtes ließ erwarten, daß er dies nicht ungerächt hingehen lassen werde.

Almy war zurückgetreten. Ihr schönes Gesicht war ernst, kalt und undurchdringlich. Als das Auge Leflors jetzt auf sie fiel, zog er die Brauen noch finsterer zusammen.

Sam that, als ob er das Alles gar nicht bemerke. Er antwortete auf die an ihn gerichtete Frage:

»Es ist mir das sogar sehr lieb, Sir. Ich habe keine Zeit für unnütze Reden übrig. Ich komme, um zu fragen, ob Euch vielleicht ein Mann bekannt ist, welcher den Namen Walker führt.«

»Walker? Der Name ist nicht selten. Ich habe ihn wohl zuweilen gehört, weiß aber keinen Bekannten, welcher sich so nennt.«

»Hm! So ist heut früh Niemand, der diesen Namen führt, bei Euch gewesen?«

»Nein.«

»Erlaubt mir die Frage, welche Besuche Ihr überhaupt bereits gehabt habt!«

»Keinen. Monsieur Leflor ist die erste Person, mit welcher ich heut spreche.«

»Ich danke Ihnen! Jetzt weiß ich, woran ich bin.«

»Darf ich vielleicht wissen, warum Ihr bei mir nach einem solchen Manne fragt?«

»Ja. Vorher habe ich aber noch eine andere Angelegenheit. Darf ich Euch wohl allein sprechen?«

»Gewiß. Betrifft die Angelegenheit Euch?«

»Nein, sondern Euch.«

»Nun, so könnt Ihr getrost davon sprechen. Vor meiner Tochter habe ich kein Geheimniß, und Monsieur Leflor ist mein Nachbar und Freund, welcher vielleicht auch hören darf, was Ihr bringt.«

»Ja. Beide könnten es eigentlich hören, uneigentlich aber nicht.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich will sie nicht dabei haben, weil ihr Gesicht mir so gut gefällt, und ihn will ich nicht dabei haben, weil sein Gesicht mir gar nicht gefällt.«

»Mensch! Kerl!« rief Leflor, einen Schritt näher tretend und die Faust erhebend. »Ich werde Dir zeigen, wie man von mir spricht!«

Sam hatte bereits das Bowiemesser in der Hand. Er spitzte die Lippen zu einem verächtlichen Pfiffe und antwortete:

»Sachte, sachte, mein Junge, sonst bringen Dich acht Zoll kaltes Eisen zur Ruhe. Ich bin in guter Absicht hierher gekommen und von Dir in einer Art empfangen worden, die ich nicht gewöhnt bin und an Die ich mich Dir zu Liebe auch nicht gewöhnen werde. Wer und was Du bist, das geht mich nichts an; ich aber bin ein Savannenläufer und handle nach dem Gesetze der Savanne. Nach demselben besteht die Antwort auf eine Beleidigung aus einer Kugel oder einem Messerstiche. Ich habe aus Höflichkeit für Master und Miß Wilkins Dir diese Antwort nicht gegeben, sage Dir aber in aller Ehrlichkeit, daß mir Dein Gesicht nicht gefällt. Wenn Dich das beleidigt, so sind wir richtig quitt, Beleidigung gegen Beleidigung. Wagst Du nun noch eine einzige Silbe, so will ich gehängt sein, wenn Dir nicht im nächsten Augenblicke meine Klinge zwischen den Rippen sitzt! So, jetzt bin ich mit Dir fertig! Und nun bitte, Master Wilkins, ein Wort im Vertrauen!«

Almy hatte noch kein Wort gesprochen. Jetzt wendete sie sich an den Jäger:

»Darf ich denn wirklich nichts hören?«

»Hm! Eigentlich jetzt noch nicht; aber erfahren werdet Ihr es doch noch heut. Sagt mir einmal, Miß, könnt Ihr schweigen?«

»O, gewiß!«

»Will Euch einmal Glauben schenken, obgleich ich sonst anderer Meinung über das Plapperment der Damen bin. Ihr sollt also dabei sein dürfen. Habt Ihr eine Stube, Master Wilkins, in welcher wir sprechen können, ohne belauscht zu werden?«

»Ja, kommt hier nebenan!«

Da fiel Leflor schnell ein.

»Meinetwegen sollt Ihr Euch nicht entfernen, Monsieur. Schließt man mich wirklich vom Vertrauen aus, so bin ich es, der sich zurückzieht. Ich werde einstweilen hinab in den Garten gehen und ersuche Euch, mich durch den Diener rufen zu lassen, sobald Ihr wieder für mich zu sprechen seid. Ich möchte nicht fortgehen, ohne in unserer Angelegenheit Eure Entscheidung mitzunehmen.«

Er ging. Der Pflanzer hob freundlich warnend den Zeigefinger empor und sagte:

»Master Barth, da habt Ihr Euch einen Feind erworben. Meint Ihr nicht?«

»Hm! Alle Schufte sind dem ehrlichen Manne feind. Einer mehr oder weniger, das ist gleichgültig.«

»Ihr urtheilt zu schnell und seid zu aufrichtig!«

»Ich verstehe, was Ihr sagen wollt. Ihr wollt mir sagen, daß ich zu voreilig gewesen bin. Ich aber sage Euch, daß mir zwar das Gesicht dieses Mannes wie ein echtes, rechtes Spitzbubengesicht vorkommt, daß es mir aber gar nicht eingefallen wäre, es ihm zu sagen, wenn er mich anders empfangen hätte. Er ist vielleicht ein wohlhabender, ein reicher Pflanzer; das gilt jedoch in meinen Augen keinen Pfifferling. Er mag versuchen, ein Westmann zu werden! Er wird in vierzehn Tagen mit tausend Laternen seine sechzehn Knochen nicht zusammenfinden können. Nur Männer dürfen reden. Rempelt mich aber so ein Junge an, so pfeife ich ihm eine Schwarte um die Ohren, daß ihm alle fünfhundert Kommeten im Kopfe herumfunkeln. Nur Eurer Gegenwart hat er es zu danken, daß er so leichten Kaufes davongekommen ist. Was er von mir denkt und was er gegen mich nun sinnt, das ist mir vollständig Wurst und Schnuppe; aber hüten soll er sich, mit mir anzubinden das könnt Ihr, wenn Ihr Euch so sehr für ihn interessirt, zur Warnung mittheilen. Was nun unsere nächste Angelegenheit betrifft, so wünsche ich, daß er nichts davon erfährt, Master Wilkins.«

»Betrifft es vielleicht auch ihn?«

»Nein.«

»So bedenkt, daß er mein Nachbar ist, und daß in solch entlegener Gegend Nachbarn vielfältig aufeinander angewiesen sind.«

»Mag sein; aber ich traue diesem Menschen nun einmal nicht. Wollt Ihr mir versprechen, gegen ihn zu schweigen?«

»Wenn Ihr es partout verlangt, ja. Aber ist denn Eure Angelegenheit so wichtig, Master?«

»Sehr. Ihr werdet es sofort erfahren. Ist Euch vielleicht ein gewisser »rother Burkers« bekannt?«

Der Pflanzer erschrak sichtlich.

»Der?« antwortete er. »O, der ist mir nur gar zu gut bekannt. Was ist's mit ihm?«

»Er will Euch einen Besuch abstatten.«

»Herrgott! Ist's wahr?«

»Ja, gewiß.«

»Wann?«

»Heut in der Nacht.«

»Mein Himmel! Welch eine Nachricht!«

Er hatte sich von seinem Sitze erhoben, that einige rasche Schritte im Zimmer hin und her, blieb dann vor Sam stehen und fragte:

»Woher wißt Ihr es, Sir? Er kann es Euch ja doch nicht gesagt haben!«

»O, freilich hat er es mir gesagt.«

»Unmöglich!«

»Wirklich, wirklich! Er hat es mir gesagt, aber er wußte nur nicht, daß ich es hörte.«

»Ah! Ihr habt ihn belauscht?«

»Ja, gestern Abend, drüben im Walde, vier Stunden von hier.«

»Welch eine Nachricht, welch eine Nachricht! Die ist freilich von allerhöchster Wichtigkeit für mich! Almy, mein Kind, sprich! Du bist ganz verstummt!«

Sie war allerdings sehr bleich geworden und hatte kein Wort gesprochen; jetzt antwortete sie:

»Beruhige Dich, Pa! Es wäre schrecklich gewesen, plötzlich von ihnen überfallen zu werden. Nun wir es aber wissen, können wir unsere Vorbereitungen treffen. Monsieur Adler wird das Seinige thun, ganz wie damals, und wenn wir dem guten Sam Barth gute Worte geben, so bleibt er vielleicht hier, um uns seinen Scharfsinn, seine Erfahrung und seine berühmte Büchse zu leihen. Nicht, Master?«

.

Sie hielt ihm lächelnd die kleine Hand entgegen. Sam ergriff dieselbe mit zwei Fingern, leise, sanft, um ihr ja nicht wehe zu thun, zog sie an diejenige Stelle seines Pelzes, unter welcher er sein Herz wußte, und antwortete in überfließendem Gefühl:

»Miß, habe ich Euch nicht bereits gesagt, daß ich mich für Euch mit allen Indsmen der Erde herumhauen würde? Habt Ihr das vergessen?«

»Hier handelt es sich nicht um Indsmen.«

»Schuft bleibt Schuft, weiß oder roth, grün, blau oder gelb, ganz egal. Ich bleibe bei Euch, und ich bin nicht allein, sondern ich bringe noch zwei Kerls mit, die sich gewaschen haben. Ihr habt von mir gelesen, Miß. Hat vielleicht auch der Name Jim oder Tim Snaker in der Zeitung gestanden?«

»Freilich. Das sind zwei Brüder? Nicht?«

»Ja, und diese Beiden werden Euch fehlen.«

»Welche Ueberraschung! Sie sind also hier?«

»Gewiß. Sie stehen draußen im Garten und warten auf mich.«

»Warum kommen sie nicht mit herein?«

»Weil sie draußen nöthiger sind; später aber werden sie wohl mitkommen. Ist der deutsche Aufseher ein tüchtiger Kerl?«

»Wir können uns auf ihn verlassen,« antwortete der Pflanzer.

Almy fügte schnell hinzu:

»Er würde sein Leben für uns wagen!«

»Nun, so wird es uns wohl gelingen, mit den Schurken fertig zu werden. Laßt Euch das Nähere erzählen, Master Wilkins!«

Er berichtete Alles, was seit gestern Abend geschehen war, und Vater und Tochter hörten mit größter Spannung zu. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, fragte Wilkins:

»Also dieser Walker ist auch hier, im Bereiche meiner Besitzung. Was mag er wollen!«

»Jedenfalls führt ihn eine ganz bestimmte Absicht hierher. Vielleicht sucht er Euch auf. Wollt Ihr mir versprechen, ihn in diesem Falle festzuhalten, bis ich wiederkomme?«

»Gewiß! Ich verspreche es Euch. Also Ihr wollt jetzt seiner Fährte weiter folgen?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Wir müssen ihn haben, auf jeden Fall und um jeden Preis.«

»Und wenn sich seine Spur verliert!«

»So führt sie sicher zu Bommy.«

»Bommy? Ah! Kennt Ihr den?«

»Erst seit einer halben Stunde. Was für ein Kerl ist dieser Schwarze?«

»Ein undankbarer, charakterloser und selbstsüchtiger Wicht. Mein Bruder hatte ihn freigelassen und ihm sogar ein kleines Areal geschenkt. Zu faul, sich durch Arbeit zu ernähren, begann er, mit Schnaps zu handeln. Um mir nicht meine Leute verpesten zu lassen, habe ich ihnen verboten, von ihm zu kaufen. Seit dieser Zeit sucht er mir auf alle Weise zu schaden. Ihr meint also, daß Walker ihn aufgesucht habe?«

»Ich möchte darauf schwören.«

»So müßte er ihn kennen.«

»Vielleicht nicht. Er hat Eure beiden Negerinnen My und Ty nach Jemand gefragt, der Euch feindlich gesinnt ist; sie haben ihm diesen Bommy genannt. Er wird ihn natürlich aufsuchen. Das ist der sicherste Beweis, daß ihn eine Euch feindselige Absicht hierher geführt hat.«

»Ob er vielleicht ein Verbündeter des rothen Burkers ist?«

»Schwerlich. Ich meine vielmehr, daß Beide gar nichts von einander wissen. Aber möglich wäre es, daß sie sich hier fänden, wenn ich die Bande nicht zufällig belauscht hätte. Nun wißt Ihr Alles, Master. Jetzt werde ich zu meinen beiden Gefährten gehen, um mit ihnen den lieben Bommy aufzusuchen. Vielleicht erwischen wir den Kerl bei ihm.«

»Wann kommt Ihr wieder?«

»Sobald wie möglich. Dann haben wir Zeit, einen Plan gegen den Ueberfall zu besprechen. Sagt bis dahin aber keinem Menschen Etwas davon. Die Nigger sind schwatzhafte Kreaturen. Sie machten, wenn sie es erführen, einen Heidenspectakel, und da merkte der rothe Burkers zu früh, daß wir ihn erwarten werden; er käme also gar nicht, und das wäre doch jammerschade.«

»Aber Leflor möchte es doch erfahren. Er würde gern mit einigen seiner Leute kommen, um uns beizustehen.«

»Dann bleibe ich mit Jim und Tim weg. Uebrigens habe ich eine Ahnung, als ob dieser Leflor kein gar so großer Freund von Euch sei. Wartet jetzt ruhig meine Rückkehr ab; dann werden wir ja sehen, ob es nöthig ist, fremde Hilfe herbeizuziehen. Adieu, Master, Adieu, Miß!«

Er gab ihnen die Hand und ging, sie in einer keineswegs ruhigen Stimmung zurücklassend.

Leflor war, wie er gesagt hatte, in den Garten gegangen. Er hatte sich ganz außerordentlich über Sam geärgert. Das Auftreten des braven Dicken hatte ihm aber doch so imponirt, daß er eingeschüchtert worden war; aber er nahm sich vor, die Gelegenheit zur Rache zu ergreifen.

Was mochte dieser Jäger bei Wilkins wollen? Leflor rieth hin und her, konnte sich aber nichts denken, hoffte jedoch, es leicht und schnell zu erfahren.

So schritt er langsam den breiten Kiesweg dahin, in finsteren Gedanken versunken, bis er durch nahende Schritte aus seinem Brüten aufgeweckt wurde. Ein junger, einfach aber doch elegant gekleideter Mann, dessen ausdrucksvolles Gesicht von einem feinen Panamahute beschattet wurde, kam mit schnellen Schritten aus einem Seitenwege heraus und stieß, da er wegen des Buschwerkes Leflor, nicht hatte sehen können, beinahe mit diesem zusammen.

Ueber Leflors Gesicht zuckte ein häßlicher Zug. Er blieb stehen und fragte:

»Monsieur Adler, seid Ihr blind?«

Der Angeredete schritt ruhig weiter, ohne zu antworten, ohne zu thun, als ob er den Frager gesehen oder gehört habe. Da rief dieser mit erhobener Stimme:

»Master, hört Ihr mich nicht?«

Und als auch jetzt noch keine Antwort erfolgte, schritt er eiligst hinter ihm her und lachte höhnisch:

»Ah, Ihr fürchtet Euch vor mir! Ihr habt kein gutes Gewissen!«

Da hemmte Adler seine Schritte, drehte sich langsam um und ließ Leflor herankommen. Sein Gesicht schien in diesem Augenblicke aus Wachs geformt zu sein; es war vollständig unbeweglich. Selbst sein Auge hatte einen eigenthümlich starren Blick, welcher nicht auf Leflor, sondern über diesen hinaus gerichtet zu sein schien. Ein solches Gesicht hat man nur dann, wenn man sich alle Mühe geben muß, eine innere Erregung zu bemeistern, wenn man gezwungen ist, Rücksicht zu üben und höflich zu sein, während man doch das gerade Gegentheil empfindet.

»Habt Ihr gehört?« fragte Leflor, vor Adler stehen bleibend.

»Was?«

»Daß Ihr Euch vor mir fürchtet!«

»Ihr spracht also mit mir?«

»Natürlich! Es war ja kein anderer Mensch in der Nähe.«

»Ich glaubte überhaupt, es sei gar Niemand vorhanden, Monsieur Leflor.«'

»Pschaw! Macht mir nichts weiß. Euer Betragen gegen mich ist ein solches, daß ich es nicht länger dulden kann. Warum grüßt Ihr mich nicht?«

Da schoß ein leuchtender Blitz aus Adlers Auge in das Gesicht des Andern; aber in demselben Augenblicke hatten die Züge des Aufsehers ihre Ruhe wieder erlangt. Er zuckte leicht die Achsel und antwortete:

»Ich wundere mich über Eure Frage. Ich würde sie gegen keinem Menschen und in keinem Falle aussprechen. Aber da sie einmal ausgesprochen ist, will ich sie beantworten, obgleich ich natürlich nicht gezwungen bin, es zu thun. Ich habe Euch gegrüßt, zehnmal, zwanzigmal. Ihr habt es nicht gethan; natürlich unterlasse ich es auch. So ist es.«

»So, also so!« meinte Leflor höhnisch. »Ihr habt also gemeint, auch ich solle grüßen, ich zuerst?«

»Natürlich.«

»Das ist spaßhaft. Ich, der Pflanzer, der Plantagenbesitzer, soll einen Dienstboten grüßen!«

»Warum nicht? Wenn Euch so viel an dem Gruße des Dienstboten liegt, daß Ihr ihn Euch erzwingen wollt, so ist dieser Dienstbote jedenfalls eine so wichtige Person, daß auch Ihr ihn grüßen könnt.«

»Das fehlte noch! Wo kommt Ihr jetzt her?«

»So darf mich nur Monsieur Wilkins fragen!«

»Schön! Es wird anders werden. Jetzt aber verfügt Ihr Euch in den Stall, um nachzusehen, ob mein Pferd sein Futter erhalten hat!«

»Ich will Euch das Vergnügen nicht rauben, Euch um Euer Pferd selbst zu bekümmern.«

Sie standen sich Auge in Auge gegenüber. Es war klar, daß Leflor diesen Streit vom Zaune brach. Er haßte den Aufseher. Zu diesem Haß kam der Zorn über die Behandlung, welche er von Sam Barth erfahren hatte. Jetzt brach es los.

»Also Ihr weigert Euch, meinen Befehlen zu gehorchen?« fuhr er auf.

»Von Befehlen Eurerseits kann gar keine Rede sein!«

»Oho! Ihr werdet bald vom Gegentheile überzeugt sein. Oder hättet Ihr dem Schwiegersohne des Master Wilkins etwa nicht zu gehorchen?«

Das Gesicht Adler's ward um einen Schatten bleicher, und seine Stimme bebte leise, als er antwortete:

»Der werdet Ihr jedenfalls niemals sein!«

»Nicht? Ich sage Euch, daß ich soeben um Almy's Hand angehalten habe!« –

»Ihr seid abgewiesen worden!«

»So kann nur ein Verrückter antworten. Ich habe das Jawort erhalten.«

»Dann ist die Person, die es Euch gegeben hat, verrückt; da ich aber weder meinen Prinzipal noch dessen Tochter für geisteskrank halte, so sehe ich mich gezwungen. Eure Behauptung sehr einfach für eine Unwahrheit, eine Erfindung, eine Lüge zu halten.«

Da trat Leflor einen Schritt zurück und sagte:

»Lüge, das mir?«

»Das Euch, ja!«

»Verdammter deutscher Hund! Hier hast Du!«

Er holte mit der geballten Faust aus und schlug damit Adler – in das Gesicht? O nein. Er wollte es thun, aber seine Faust traf nur die Luft, und er selbst erhielt im Gegentheile einen so gewaltigen Boxerhieb in die Magengegend, daß er, sich überschlagend, in weitem Bogen zu Boden stürzte.

»O Jessus, o Jessus!« kreischte eine weibliche Stimme.

»Hilfe, Hilfe!« rief eine zweite.

My und Ty waren mit ihrer Wäsche vom Flusse zurückgekehrt. Sie hatten, um schneller heim zu kommen, den Seitenweg eingeschlagen, aus welchem vorhin Adler gekommen war. Sie hörten Stimmen und blieben stehen. Zwischen den Zweigen hindurch erkannten sie die beiden Männer. Sie verstanden jedes Wort, welches gesprochen wurde, und als nun die beiden Hiebe fielen, stießen sie erschrocken ihre Rufe aus.

Leflor hatte sich kaum erheben können. Der Athem fehlte ihm. Dennoch wollte er sich auf Adler stürzen, der ihn ruhig in der Stellung eines gewandten Boxers erwartete, als aber die beiden Negerinnen zu schreien anfingen und er also bemerkte, daß seine so plötzliche Niederlage Zeuginnen gehabt habe, zog er es vor, schnell hinter den Büschen zu verschwinden.

Adler blieb als Sieger noch einen Augenblick stehen, zuckte verächtlich die Achsel und trat zu den Negerinnen.

»Was thut Ihr hier? Ihr habt gelauscht!«

»O nein, Massa! Nicht gelauscht,« antwortete Ty. »Wir kamen vom Wasser, ganz zufällig.«

»Habt Ihr Alles gehört und gesehen?«

»Alles. Massa Adler ist ein starker Held. O Jessus, Jessus, wie Massa Leflor auf die Erde gekugelt ist wie ein Hund, der aus dem Fenster fällt.«

Sie lachte bei dieser Vorstellung laut auf, und die gute My stimmte mit ein.

»Macht, daß Ihr in die Küche kommt!« befahl Adler. »Und ich verbiete Euch, irgend Jemand Etwas zu sagen! Hört Ihr's?«

»O, wir hören!«

»Wenn Ihr plaudert, so wird es Euch schlimm ergehen. Also schweigt.«

»O, Massa, wir schweigen, wir schweigen sehr!«

Sie nahmen ihre Wäsche wieder auf und trabten von dannen. Als sie in der großen Küche ankamen, befand Almy sich dort. Sie hatte ihren Vater mit Leflor, welcher von seinem Spaziergange Zurückgekehrt, allein lassen müssen, und suchte sich nun hier Beschäftigung, um sich von dem Gedanken an den zu erwartenden Ueberfall nicht zu sehr beunruhigen zu lassen.

»Missus, Missus, Almy, wir sind wieder da!« rief My bereits im Eintreten.

»Ihr wart sehr lange,« tadelte die Herrin. »Ihr hättet viel eher fertig sein können!«

»Eher? My und Ty konnten nicht eher. Viel Abhaltung und viel andere Arbeit.«

»Welche Abhaltung und Arbeit denn?«

»Erst kam ein Mann im Indianerkanot.«

Almy wußte dies bereits aus Sams Erzählung.

»Dann kam der Bär. Nachher der Mann mit der Nase und der Mann ohne Nase. Ty mußte rudern. Hier ist der neue Hut.«

Beide zeigten ihre Bilderhälften vor. Almy, welche ihre Dienerinnen kannte, lachte sie nicht aus, sondern zeigte sich über die Geschenke sehr entzückt.

»Und zuletzt,« berichtete My, »kam Streit mit Massa Leflor und Massa Adler.«

Jetzt wurde die junge Herrin aufmerksam.

»Ein Streit zwischen Beiden?«

»Ja. Massa Leflor beleidigte Massa Adler. Massa Adler soll ihn grüßen, ihm gehorchen, nach seinem Pferde sehen. Massa Leflor sind Schwiegersohn von Massa Wilkins. Massa hat jetzt das Jawort erhalten von Massa Wilkins.«

Almy wurde roth und dann umso bleicher.

»Wer hat das gesagt?« fragte sie hastig.

»Massa Leflor.«

»Zu Massa Adler?«

»Ja.«

»Was antwortete dieser?«

»Er sagte, daß es Lüge sei.«

»Das ist es auch.«

»Da wurde Massa Leflor sehr zornig und holte aus, Massa Adler zu schlagen.«

»Mein Gott! Das giebt ein Unglück!«

»Nein, Missus, kein Unglück, denn der gute Massa Adler war viel schneller und traf Massa Leflor auf den Bauch, so schnell, daß er einen Purzelbaum machte weit auf die Erde hin. O Jessus, Jessus war das schön, sehr schön!«

»Und was geschah dann weiter?« fragte Almy voller Angst.

»Ich schrie, und Ty schrie. Da riß der böse Massa Leflor aus. Massa Adler aber kam zu uns und befahl uns, gar nichts zu sa – – o Jessus, Jessus, jetzt habe ich es doch gesagt! Nun wird es uns gehen sehr schlimm.«

»Beruhige Dich! Ich werde Euch nicht verrathen; aber sagt es keinem Anderen.«

»Nein, nein! Aber dürfen wir es nicht auch noch sagen Nero, dem Kutscher? Er kann nicht leiden Massa Leflor und wird lachen vor großer Freude, daß Massa gemacht hat einen so großen Purzelbaum.«

»Nein; auch er darf es nicht wissen.«

»So werden wir schweigen. Kein Mensch darf es erfahren, kein Mensch.«

Aber zwei Minuten später stand My bei Nero, dem schwarzen Wagenlenker, welcher ihr Geliebter war, und erzählte ihm unter den abenteuerlichsten Gesten und Pantomimen alle ihre heutigen Erlebnisse.

Kurze Zeit später erschien der Diener, um Almy zu ihrem Vater zu bitten. Dieser befand sich nicht mehr im Parlor, wo er mit Leflor gesprochen hatte, sondern in seinem Arbeitszimmer. Er empfing die Tochter mit einem Gesicht, auf welchem sich Sorge, Rührung und Spannung zeigten. Auf einen Sessel deutend, sagte er:

»Setze Dich, liebes Kind! Ich habe Dir etwas Wichtiges mitzutheilen.«

Er legte die Füße übereinander und strich sich mit der Hand langsam über die Stirn, als werde es ihm schwer, den Anfang zu finden. Almy setzte sich nicht; sie blieb vielmehr stehen und sagte in ruhigem, beinahe geschäftsmäßigem Tone:

»Ich weiß, was Du mir sagen willst.«

»Schwerlich.«

»Gewiß. Es scheint Dir schwer zu werden, den Gegenstand zu besprechen. Ich möchte wünschen, ihn so leicht wie möglich zu nehmen.«

»Du sprichst von dem zu erwartenden Ueberfall. O, der macht mir jetzt weniger Sorge als – – –«

»Als meine Verheiratung,« fiel sie in's Wort.

Er fuhr erstaunt auf:

»Wie, Du weißt es?«

»Ja. Leflor hat das Wort seit langer Zeit auf den Lippen gehabt. Sein heutiges feierliches Auftreten ließ mich vermuthen, daß er mit Dir über seine Absichten sprechen werde.«

»Er hat es gethan,« antwortete der Pflanzer, sichtlich erleichtert, daß Almy so unschwer auf diesen Gegenstand einging.

»Was hast Du ihm geantwortet?«

»Noch nichts. Ich mußte doch erst mit Dir sprechen. Ich würde keinem Menschen Deine Hand ohne Deine Einwilligung versprechen, mein liebes Kind.«

»Wann hast Du ihn wieder bestellt, um unsere Entscheidung zu erfahren?«

»Er ist noch gar nicht fort. Er bat um sofortige Antwort. Er wartet im Parlor.«

»So hat er es sehr nothwendig,« lachte sie heiter. »Ich werde sofort zu ihm gehen.«

»Wirklich, Kind, wirklich?«

Er erhob sich erfreut von seinem Stuhle.

»Ja, Du erlaubst doch, Pa, daß ich es ihm selbst sage, nicht wahr?«

»Sehr gern, mein liebes Kind. Deine Heiterkeit läßt mich die Antwort errathen, welche Du ihm geben wirst.«

»Und welche ich ihm sehr gern gebe.«

Da ergriff er sie bei der Hand und fragte, jetzt plötzlich wieder ernst werdend:

»Giebst Du sie ihm wirklich so gern? Ich hatte vermuthet, wenigstens auf einen kleinen Widerstand zu stoßen.«

»Warum Widerstand, Pa? Wir Beide haben doch stets nur einen Wunsch und Willen.«

»Ja; aber warte noch einen einzigen Augenblick, Almy, und laß uns fragen, ob er es denn auch wirklich werth ist.«

Sein Ton klang beinahe angstvoll, wenigstens besorgt. Almy aber lachte ihm herzlich entgegen und antwortete, ihm freundlich zunickend:

»Er ist es werth, Pa, gewiß, er ist es werth!«

»Nun, wenn Du diese Ueberzeugung besitzest, und wenn Dein Herz bereits so deutlich gesprochen hat!«

»Ja, es hat gesprochen.«

Er schüttelte leise den Kopf. Es flog wie Enttäuschung über sein mildes Angesicht.

»Das hatte ich nun nicht so vermuthet,« sagte er. »Es ist doch wahr, Ihr Frauen seid vollständig, vollständig unberechenbar. Ich dachte, Dich ganz genau zu kennen, und nun sehe ich, daß ich Dich gar nicht kannte, daß ich mich geirrt habe.«

»Ja, Du hast Dich geirrt, Pa, aber in ganz anderer Weise, als Du denkst. Bitte, komm!«

Sie ergriff seine Hand und trat mit ihm in das Parlor, wo Leflor wartend am Fenster stand. Er mochte an Adler denken, denn seine Stirn lag in finsteren, drohenden Falten. Jetzt drehte er sich um, und als er das schöne Mädchen lächelnd an der Hand des Vaters erblickte, nahm sein Gesicht den Ausdruck des Triumphes an.

»So schnell!« sagte er. »Ich erlaube mir natürlich, dies als ein glückliches Omen für mich zu deuten.«

»Ja,« nickte der Pflanzer ernst. »Almy hat mich gar nicht aussprechen lassen. Sobald ich begann, erklärte sie, daß sie Euch gern selbst und sofort die Antwort geben werde.«

»Welch ein Glück! Almy, darf ich hoffen?«

Er trat auf sie zu und wollte ihre Hand ergreifen; sie aber wich einen Schritt zurück und fragte, nicht ernst, sondern sorglos lachend:

»Was hofft Ihr denn, Monsieur?«

»Daß Ihr Euch entschlossen habt, den heißesten Wunsch meines Herzens zu erfüllen.«

»Welcher Wunsch ist das?«

»Euch die Meine nennen zu dürfen.«

»Und Ihr hofft, daß ich diesen Wunsch erfülle?«

»Ja, ich hoffe es.«

»Das begreife ich nicht. Die Hoffnung richtet sich doch nicht in die Zukunft. Sie verlangt doch wohl noch Etwas, was man noch nicht besitzt.«

»Allerdings, Miß Almy.«

»Wenn Ihr hofft, mich zu besitzen, so besitzt Ihr mich also noch nicht?«

»Leider nicht, noch nicht.«

»Warum sagt Ihr dann zu anderen Personen, daß Ihr bereits unsere Zusage erhalten hättet?«

Ihr Gesicht hatte auf einmal einen ganz anderen Ausdruck angenommen; es war ernst, ja streng auf ihn gerichtet; er mußte vor ihrem Blicke die Augen niederschlagen.

»Ich sollte das gesagt haben?«

»Ja.«

»Das ist entweder ein Mißverständniß oder gar eine Lüge, Miß.«

»Es ist weder das Eine noch das Andere. Ihr habt es gesagt; das ist eine Thatsache.«

»Zu wem?«

»Zu Monsieur Adler.«

Da rief er zornig:

»Ah! So hat er geplaudert, der ehrlose Kerl!«

»Er hat kein Wort gesagt. My und Ty sind Zeugen Eurer Behauptungen und Eurer Niederlage gewesen; sie erzählten es mir sofort. In Euren letzten Worten gebt Ihr zu, gesagt zu haben, daß Ihr bereits mein Jawort erhalten habt. Haltet Ihr mich für eine so leichte und billige Waare, daß Ihr meint, es bedürfe nur Eures Willens, mich zu besitzen? Da habt Ihr Euch allerdings getäuscht. Das Wort, welches Ihr zu dem Aufseher gesagt habt, ist nicht nur eine Lüge, sondern sogar ein Schimpf für mich. Einem Manne, welcher mich beschimpft, und der solche offenbare Lügen sagt, kann ich natürlich nicht gehören. Von Liebe will ich ganz und gar schweigen, aber achten muß man doch wenigstens den Mann können, dem man Sein und Leben widmet; aber nicht einmal dies ist hier der Fall. Ihr selbst seid schuld, daß Ihr nun vor Monsieur Adler der Blamirte seid.«

Er hatte sie aussprechen lassen, ohne sie zu unterbrechen. Er blickte sie starr und mit dem Ausdrucke des Zweifels, des Unglaubens an.

»Höre ich recht?« fragte er dann. »Ihr scherzet!«

»Dann wäre ich nicht nur leichtsinnig, sondern im höchsten Grade frivol, und da irrt Ihr Euch abermals.«

»So sagt Ihr also ein Nein?«

»Ein festes Nein.«

Er machte abermals eine Pause. Er war so sicher gewesen, das Jawort zu erhalten, daß er jetzt sich in das schier Unmögliche nicht so schnell finden konnte.

Wilkins seinerseits hatte, durch Almy's Heiterkeit getäuscht, fest geglaubt, daß sie Leflor nicht nur Ja sagen werde, sondern daß sie ihn sogar heimlich geliebt habe. Auch er konnte sich nicht so leicht in seinen Irrthum finden. Er fragte:

»Almy, scherzest Du wirklich nicht? Besinne Dich, mein Kind!«

»Es ist nicht nothwendig, mich zu besinnen, Vater. Ich will den Schimpf, den er mir angethan hat, nicht rächen, ich will ihm vergeben, aber das Weib meines Beleidigers kann ich unmöglich werden, und Du, der in mir mit beschimpft wurde, kannst Dich darüber doch nicht wundern.«

Wilkins Gesicht hatte eine Art von Verlegenheit ausgedrückt. Jetzt begann sein Auge stolz aufzuleuchten. Er nickte zustimmend mit dem Kopfe und sagte zu Leflor:

»Da habt Ihr es, Monsieur! Ihr seid unvorsichtig gewesen. Zu große Sicherheit ist sehr oft betrügerisch. Ich gestehe aufrichtig, daß ich die Logik meiner Tochter sehr wohl begreife.«

»So! Sie stimmen ihr also bei?«

»Vollständig. Es ist eine Beleidigung, welche Ihr uns angethan habt. Die Folgen derselben kann ich Euch leider nicht erlassen.«

Erst jetzt begann Leflor einzusehen, daß er wirklich einen Korb erhalten habe. Sein Gesicht wurde grün vor Aerger; seine Wangen schienen hineinzufallen; seine Stirn röthete sich, und die langen, knöchernen Finger strichen hektisch an dem Rocke auf und nieder. Er preßte die Zähne zusammen und knirrschte in beinahe pfeifendem Tone:

»Wißt Ihr aber auch noch Alles, was ich Euch vorhin sagte, Monsieur?«

»Ich weiß es,« antwortete Wilkins, indem er eine Bewegung machte, als ob er sich zu dieser Antwort erst besonders ermannen müsse.

»Und habt Ihr es bei Eurer Antwort vielleicht mit in Betracht gezogen?«

»Nicht nur vielleicht, sondern vollständig.«

»Ihr schient aber doch bei Eurem Eintritte überzeugt zu sein, daß die Miß ein Ja sagen werde. Auch verspracht Ihr mir vorhin, ihr zuzureden. Die Aenderung ist sehr schnell vor sich gegangen. Mögt Ihr sie nicht bereuen! Oder wünscht Ihr vielleicht noch eine Bedenkzeit. Ich will morgen wiederkommen, meinetwegen auch übermorgen.«

»Danke Sir! Es bleibt bei unserem Entschlusse. Nicht wahr, liebe Almy?«

»Ja. Die Beleidigung ist geschehen; sie kann nicht ungeschehen gemacht werden.«

Da trat Leflor einen Schritt näher an den Pflanzer heran und sagte in pfauchendem Tone, fast wie mit dem Klang einer Katzenstimme:

»Nun wohl! Ein Jeder ist seines Glückes Schmied. Ich kann weiter nichts sagen, als daß Euch Beiden die Reue baldigst kommen wird. Dann werdet Ihr Euch vergebens nach mir sehnen!«

»Auch das noch!« rief Almy. »Hinaus mit Euch, sonst rufe ich nach dem Diener!«

»O bitte bitte! Ich gehe schon! Aber nehmt Euch in Acht, wenn ich wiederkomme!«

Er ging.

Die Beiden blieben stehen, ohne ein Wort zu sagen, bis unten die Hufschläge eines Pferdes hörbar wurden.

»Da reitet er hin!« sagte Wilkins mit einem tiefen Seufzer – der Erleichterung oder der Belastung? Es ließ sich nicht sagen.

»Grämst Du Dich darüber, Pa?«

»O nein! Aber vor fünf Minuten hatte ich an diesen Ausgang nicht geglaubt.«

»Er sagte, Du hättest mir zureden wollen!«

»Ich versprach es ihm allerdings.«

»Wie konntest Du das! Ich habe Dir wiederholt gesagt, daß er mir unsympathisch ist. Ich habe bei seinem Anblicke ganz dasselbe Gefühl, welches Sam Barth auch hatte. Konntest Du wirklich meinen, daß ich ihn liebe, daß ich glaube, mit ihm glücklich werden zu können?«

»Nein, mein Kind. Auch ich achte ihn nicht. Darum war es mir so bange bei dem Gedanken an eine Verbindung mit ihm. Aber er fand Mittel, mich zu zwingen, eine solche Verbindung für wünschenswerth zu halten.«

Sie blickte ihn erstaunt an.

»Welche Mittel wären das, Pa?«

»Du weißt, daß ich wahrend des Secessionskrieges ein Anhänger der Nordstaaten war. Sämmtliche hiesige Grundbesitzer sind noch heute enragirte Südstaatler. Wer eine Ausnahme macht, kann leicht durch allerlei Ränke und Intriguen zu Grunde gerichtet werden. Ich habe damals in meinem patriotischen Eifer manches Opfer gebracht und Manches gethan, was hier Niemand wissen darf. Wie Leflor dazu gekommen ist, Alles zu erfahren, kann ich nicht begreifen; aber er weiß Alles, und es ist ihm möglich, mich zu stürzen.«

»Drohte er Dir etwa damit, falls Du ihm meine Hand verweigerst?«

»Ja.«

»So hast Du den eclatantesten Beweis seiner gemeinen Gesinnung, seiner Boshaftigkeit und bodenlosen Schlechtigkeit. Lieber betteln gehen, als das Weib eines solchen Schurken sein!«

»Meinst Du das wirklich so?«

»Ja, aufrichtig, lieber Vater.«

»Almy, Du kennst die Armuth nicht.«

»Ich würde sie zu tragen wissen. Die Schande und das Unglück, die Frau eines solchen Menschen zu sein, könnte ich nicht ertragen, könnte ich nicht überleben. Uebrigens sind wir ja nicht arm, Pa.«

»Aber er kann uns discreditiren und stürzen.«

»So verkaufen wir und ziehen fort!«

Er seufzte tief auf und schüttelte den Kopf. Er hatte etwas Schweres, sehr Schweres auf dem Herzen. Sollte er es sagen? Sein Blick fiel auf die schöne, lichte, reine Gestalt des schönen Mädchens. Durfte er von dem Geheimnisse sprechen, welches ihm die nächtliche Ruhe raubte, an seinem Leben zehrte und sein Mark auszudörren drohte? Nein, nein, wenigstens jetzt noch nicht. – Jetzt noch nicht, so hatte er stets gedacht, und doch mußte die Zeit kommen, in welcher er zum Sprechen gezwungen war. Was dann? Er schüttelte diesen entsetzlichen Gedanken von sich, denn er fühlte sich jetzt zu schwach, ihn auszudenken.

Almy legte die Arme um ihn, schmiegte das Köpfchen an seine Brust und fragte liebkosend:

.

»So bist Du wohl unzufrieden mit mir, Pa?«

»Nein, o nein,« antwortete er, sich zu einem heiteren Lächeln zwingend.

»So meinst Du, daß ich recht gehandelt habe?«

»Ganz richtig und resolut, mein Kind.«

»So resolut wirst Du mich auch heute Abend sehen. Ich werde auch ein Gewehr nehmen, um uns gegen die Buschheaders zu vertheidigen. Weiß Master Adler bereits davon?«

»Nein. Ich habe ihn noch gar nicht zu sehen bekommen. Schicke ihn zu mir, wenn Du ihn siehst!«

Sie ging, um sich für einige Augenblicke nach ihrer Wohnung zu begeben. Es war ihr jetzt ein Bedürfniß, über die Zurückweisung Leflors noch einmal nachzudenken, um das Ereigniß dann für immer ad acta legen zu können. –

Gerade als sie ihre Thür öffnete, um einzutreten, hörte sie das Geräusch einer anderen Thür. Als sie sich umwandte, erblickte sie Adler, welcher aus seinem Zimmer kam und wohl oder übel an dem ihrigen vorbei mußte.

War es ein Fehler, auf ihn zu warten? Gewiß nicht. Und doch schlug bei diesem Gedanken ihr Herzchen schneller. Er sollte zu Pa kommen; sie wollte ihm dies sagen; nur deshalb blieb sie stehen. War das etwa ein Unrecht? O nein! Es war sogar sehr recht. Es war Gehorsam gegen den Pa. Aber warum fühlte sie denn da ihr Gesichtchen so brennen? Warum ging ihr denn da der Athem plötzlich so kurz?

Und nun war er da – noch drei Schritte – noch zwei – noch einen nur! Jetzt ging er vorüber. Er hatte sehr ehrerbietig den Hut gezogen, und sie hatte nicht einmal geantwortet. Er mußte sie für stolz, für unhöflich halten, oder gar für feig, für einen Backfisch!

Dieser letztere Gedanke war höchst fatal. Er gab ihr die Sprache:

»Monsieur!«

Leider hatte sie dieses Wort so leise gesagt, daß er es nicht hören konnte. Er war ja bereits vier Schritte entfernt. Vorhin hatte sie diesem Leflor in aller Offenheit ihre Meinung gesagt, diesem bösen Menschen, und hier brachte sie es nicht fertig, Adlern einen kleinen Auftrag ihres Vaters auszurichten, und er war doch ein so guter Mensch, ein so seelensguter Mensch und jetzt bereits sechs Schritte entfernt, volle sechs Schritte. Wenn nicht jetzt, später konnte er sie gar nicht hören!

Sie nickte, druckte und schluckte. Endlich!

»Mon – – sieur – – Ad – – ler – –!«

Sie hatte es ausgesprochen, nicht sehr laut etwa; es war kaum zu hören; er hatte es jedenfalls auch mehr mit dem Herzen als mit dem Ohre gehört, denn er blieb stehen, drehte sich um, zog den Hut und fragte ehrerbietig:

»Befehlt Ihr Etwas, Miß Almy?«

»Nein, Monsieur,« hauchte sie verlegen.

»Ich glaubte, meinen Namen gehört zu haben. Verzeihung, Miß!«

Schon erhob er den Arm, um den Hut wieder aufzusetzen. Im nächsten Augenblicke würde er sich wieder umdrehen, nm fortzugehen. Dann war es vorbei. Und doch mußte er zum Vater, der ihn so sehr nothwendig brauchte! Ja, gewiß, es war nur der Gedanke an den Auftrag des Vaters, kein anderer Gedanke, kein anderer Grund, der ihr jetzt den Muth zu den Worten gab:

»Ich sagte – sagte ihn aller – allerdings.«

Da kam er langsam näher.

»Also rieft Ihr mich. Miß! Bitte, sagt mir, worin ich Euch gehorchen kann?« –

So sprach er stets und immer zu ihr. Er, der sich vor keinem Menschen um ein Haar breit beugte, war so demüthig vor ihr, fast wie ein Sclave. Und doch ruhte dabei sein schönes, dunkles Auge so voll, sicher und selbstbewußt auf ihrem Angesichte. Dieser Widerspruch zwischen der Demuth des Wortes und dem Selbstbewußtsein des Wesens war es, was Almy so verlegen machte, was sie immer verwirrte, wenn sie in seine Nähe kam. Und doch fühlte sie sich in dieser Nähe so glücklich.

»Ich wollte Euch bitten – – einen kleinen Auftrag für – von – von Pa,« sagte sie.

»Sehr gern, Mademoiselle.«

Sie hatte unter ihrer geöffneten Thür gestanden. Es war ganz unwillkürlich geschehen, ganz absichtslos, daß sie in das Zimmer trat, gewiß ohne alle Absicht. Wie kam das doch nur!

Und er – nun, er folgte ihr natürlich. Er glaubte ja, einen Auftrag zu bekommen, vielleicht irgend einen Gegenstand an Pa zu geben, und um diesen Gegenstand zu empfangen, mußte er doch auch mit hereinkommen. Das war doch ganz logisch!

Er war noch niemals hier gewesen. Der kleine Raum war allerliebst eingerichtet. Ein feiner, unbestimmbarer Duft hauchte ihm entgegen. Welch ein Geruch war das nur? Keiner und doch einer. Von keiner Blume, von keiner Blüthe, und doch von jeder Blume das Beste und von jeder Blüthe das Süßeste. Ist es wahr, daß ein jedes reine, unentweihte Mädchen seinen Duft hat wie jede unberührte Blüthenknospe?

Almy befand sich in schauderhafter Verlegenheit, zumal da Adler die Thür hinter sich zugezogen hatte. Warum hätte er dies nicht thun sollen? Es wäre im Gegentheile höchst unhöflich gewesen, wenn er den Eingang offen gelassen hätte!

Aber da stand er nun und erwartete den Auftrag. Was sollte sie thun? Daß er zu Pa kommen solle, das hätte sie ihm doch draußen in kurzen Worten sagen können. Warum ihn also mit herein nehmen? Sie mußte sich also noch etwas Anderes aussinnen. Aber was?

Ihr Auge flog ängstlich suchend umher, einen Gegenstand zu entdecken, der ihr Rettung bringen könnte. Dabei streifte ihr Blick sein Auge. Dieses ruhte mit staunender Anbetung auf ihr. Sie wurde darob noch viel, viel verwirrter. Ihre Wangen rötheten sich in Purpurgluth. Sie hätte laut aufschluchzen können vor Qual und Bedrängniß, und doch war es auch wieder so wunderbar, so himmlisch, daß er hier stand, in ihrem Zimmerchen, wo er noch niemals gewesen war, und wo sie so viele tausendmale an ihn – – ah, da kam Rettung!

»Almy, Almy, meine Almy!« rief draußen der Papagei.

Ja, der liebe Vogel war der Retter in der Noth. Wenn die Noth am größten, so ist die Hilfe am nächsten, und sie kommt dann meist von einer Seite, von welcher man sie gar nicht erwartet hat.

»Master Adler, versteht Ihr Euch auf Or – – Or – – Or – –«

Wie hieß doch nur das Wort? Warum war sie aber auch gerade auf dieses Fremdwort gerathen. Es ist doch höchst unangenehm und empfindlich, die erste Silbe eines Wortes zu wissen, nicht aber die vier darauf folgenden!

Er hatte den Ruf des Papagei's vernommen. Er ahnte, was sie meinte. Er fragte:

»Ornithologie? Nicht wahr?«

»Ja, Monsieur, Ornithologie meinte ich.«

»Ich habe mich früher mit der Vögelkunde sehr beschäftigt.«

»Auch mit Papageien?«

»Auch mit ihnen.«

»Ja, Sie wissen Alles und Alles; das habe ich oft bewundert. Jetzt wissen Sie sogar, was ein Papagei – – –«

Sie hielt ganz erschrocken inne und wurde blutroth in dem lieben, schönen Gesichtchen. Welch eine Blamage. Sie hatte sagen wollen:

»Jetzt wissen Sie sogar, was ein Papagei ist!«

Was mußte er von ihr denken! Sie schlug die Wimpern nieder. Es war, als ob ihr der Blick an dem Boden festgebunden sei. Sie fühlte, daß sie im nächsten Augenblicke weinen werde. Da ertönte seine milde, ruhige, wohlklingende Stimme:

»Was ein Papagei für Krankheiten haben kann? Ja, das weiß ich. Befindet sich der Eurige vielleicht unwohl, Miß Almy?«

Ihre Wimpern flogen in die Höhe, und es traf ihn ein großer, langer, werthvoller Blick dankbarster Freude. Er hatte ihr ja doch die demüthigenden Thränen erspart.

»Leider ja,« antwortete sie. »Ich mache mir recht große Sorge um das liebe Thierchen.«

Und dabei sah sie wirklich so sorgenvoll aus, als ob sie vor lauter Bedrängniß fast weinen möchte. Sie hatte gar nicht die mindeste Ahnung, wie unendlich reizend ihr das stand, wie unwiderstehlich das wirkte. Adler hätte anbetend vor ihr niederknieen mögen.

»Darf ich an diesen Sorgen mit teilnehmen?« fragte er in bittendem Tone. –

»Ach, wenn Ihr wolltet!« seufzte sie erleichtert.

»Wie gern, wie sehr gern!«

»Könntet Ihr denn helfen, Monsieur?«

»Ich hoffe es, Miß Almy.«

»Soll ich ihn einmal hereinholen?«

»Ja. Ich bitte darum!«

Sie ging. Aber draußen angekommen, griff sie nicht sofort nach dem Vogel, sondern sie legte sich zunächst beide Händchen beruhigend auf den wallenden Busen und flüsterte:

»O Gott! Er ist bei mir, er, er! Wie fürchte ich mich! Wie habe ich so entsetzliche Angst! Und doch ist er so freundlich. Mein Himmel! Was soll ich thun? Ich habe gesagt, der Papagei sei krank und doch ist er so ganz gesund. Wenn er es merkt, so werde ich krank, ich, ich! Vor Scham! Weiche Krankheit wähle ich denn? Den Typhus oder die Ruhr, den Magenkrebs oder Lungenemphysem, Gelenkrheumatismus oder Gehirnkrämpfe? Ich weiß es selbst nicht! Und er wartet drin; ich darf ihn doch nicht länger warten lassen!«

Sie nahm den Vogel an seinem Kettchen vom Sitze herab auf ihre Hand und trug ihn herein zu Adler. Ihr Gesichtchen war jetzt vor Verlegenheit so bleich, als ob sie selbst krank sei.

»Da ist er,« hauchte sie.

Adler trat näher und betrachtete den Vogel.

»Spitzbube, Spitzbube!« rief der Papagei. »Geh, Hanswurst, geh!«

Almy wurde doppelt bleich. Würde er diese Schimpfworte vielleicht auf sich beziehen? O, das wäre schlimm, sehr schlimm! Ihr Händchen, auf welchem der Vogel saß, begann zu zittern. Hatte Adler es gesehen? Er nahm diese zarte, kleine alabasterne Hand in die seinige, um sie zu stützen. Dann fragte er:

»Habt Ihr Euren Liebling genau beobachtet? Und auch ganz genau?«

»Ganz genau und alle Tage.«

»Seit wann ist er krank?«

»Seit – seit – –« sie wollte sagen, seit einigen Monaten oder Wochen; aber diese Lüge wäre doch gar zu groß gewesen. Darum fuhr sie fort – »erst nach kurzer Zeit.«

»Das bemerke ich auch,« sagte er.

Wie meinte er das? Wußte er etwa gar, daß das Papchen seit zwei Minuten zu den Patienten gerechnet wurde? Gewiß nicht! Seine Miene war ja so aufrichtig, so ehrlich und so unschuldig! Und nun fragte er:

»Seid Ihr über sein Leiden im Reinen?«

»Ja, vollständig im Reinen,« entfuhr es ihr.

Aber bereits im nächsten Augenblicke sah sie ein, welchen großen Fehler sie begangen hatte. Wie nun, wenn sie die Krankheit nennen sollte? Was sollte sie antworten? Daß er an Schwindel leide? O, dann konnte Adler ja denken, die ganze Krankheit sei Schwindel! Bei Leibe nicht! Herzverfettung – ja, das war besser. Das Herz ist der Sitz des Gefühls; Herzverfettung ist also eine Krankheit, welche von zu vielem, von zu fettem Gefühl herkommt. Davon ließ sich jedenfalls sprechen. Aber glücklicher Weise kam es gar nicht dazu. Adler nämlich nickte nachdenklich mit dem Kopfe und sagte in freundlichem Tone:

»So will ich einmal sehen, ob meine Diagnose mit der Eurigen stimmt. Ich halte nämlich Euren kleinen Liebling für außerordentlich nervös.«

Da fiel sie schnell und frohlockend ein:

»Ja, ja, das ist's, das ist's! Er leidet an Nervosität, an bedeutender Nervosität, das arme, liebe Papchen. Das habe ich auch gefunden.«

»Seht nur, Miß Almy, wie er gerade jetzt zittert. Euer Händchen zittert ganz unwillkürlich mit.«

O, hätte er es gewußt, daß sie zitterte, nicht aber der Papagei! Um ihn davon abzulenken, sagte sie in bedauerlichem Tone:

»Ich befürchte sehr, daß es kein Heilmittel geben werde.«

»Warum?«

»Pa sagte einmal, daß Nerven sehr schwer wieder herzustellen wären, wenn ihre Stimmung einmal gelitten habe.«

»Das ist richtig, auf Menschen angewandt. Ein Papagei aber hat viel stärkere Nerven als ein Mensch.«

»Sollte man meinen? Wirklich?« fragte sie treuherzig.

»Ja. Bei ihm ist Alles härter und fester als bei uns. Darf ich Euch dies durch einen naheliegenden Vergleich beweisen?«

»Ich bitte!«

»Befühlt einmal seinen Schnabel, wie hart er ist. Und nehmt dagegen Eure Lippen, Euren Mund, wie weich, wie voll, wie warm, wie herrlich gezeichnet, wie – mit einem Worte köstlich!«

Er neigte sich ein Wenig näher, wie um ihren Mund genauer zu betrachten, hob aber den Kopf sofort wieder empor und sagte:

»Da seht, jetzt bekommt Papchen einen argen Anfall von Nervosität. Es ist kein Irrthum möglich; es sind die Nerven.«

Sie aber wußte sehr genau, daß sie es war, welche zitterte. Und da sie den Papagei hielt, mußte er mit zittern. Warum brachte er diesen Vergleich? Warum beschrieb er ihre Lippen, ihren Mund so genau? War das wirklich nothwendig? Zur Erläuterung, ja! Gelehrte Männer gehen ja stets so gründlich. Wie gut, daß es so glücklich vorüber gegangen war. Einen Augenblick lang hatte sie gefürchtet, er werde nun auch seinen Mund mit dem ihren vergleichen, etwa welcher von Beiden wärmer sei! Damit er ja nicht auf diesen Gedanken kommen möge, legte sie ihm eine sehr geschickte therapeutische Schlinge:

»Welches Mittel könnte da wohl helfen?«

»Um dies zu wissen, muß man die Ursache des Uebels kennen. Die Nerven pflegen von gewissen Aufregungen angegriffen und geschwächt zu werden. Hat es dergleichen gegeben?«

»Ja, sehr oft!«

»Welcher Art?«

»Papchen konnte partout Monsieur Leflor nicht ersehen. Er gerieth, so oft er ihn erblickte, in eine gewaltige Aufregung.«

»Ah! Ist es das! Da wird also auf Hilfe für das arme Thier verzichtet werden müssen.«

»Wieso?«

»Man kann doch eines Vogels wegen nicht einem Hausfreunde die Thür weisen!«

»Warum nicht? Papchen ist mir doch lieber als der Nachbar.«

»Möglich. Aber Ihr werdet trotzdem nicht unhöflich gegen den Letzteren sein dürfen.«

»Ich werde es sein, wenn ich den armen Vogel dadurch zu retten vermag.«

»Aber Pa? Was wird er dazu sagen?«

»Er wird mir beistimmen!«

»Das ist kaum zu glauben!«

Es war so ein eigenthümlich tiefer Blick, den er ihr jetzt in das Auge senkte. Sie fühlte diesen Blick auf dem tiefsten Grunde des Herzens. Da thaute, da grünte, knospete und blühte es mit einem Male so, daß sie gar nicht anders konnte, sie mußte es ihm sagen:

»Leflor kommt überhaupt gar nicht wieder.«

Adler fuhr zurück, aber vor freudiger Ueberraschung. Es entfuhr ihm:

»Gott sei Dank! Wirklich? Wirklich?«

»Ja. Ich habe es ihm vorhin gesagt.«

»Und Euer Vater?«

»War dabei und gab mir Recht.«

»ES geschah also wegen des Papagei?«

Es zuckte ihm dabei so eigenartig um den Mund, fast wie ein wenig Impertinenz. Das mußte bestraft werden, und zwar sofort. Darum antwortete sie:

»Ja, nur des Papageies wegen.«

Sofort veränderte sich Adlers Gesicht. Er bog sich zu ihr nieder und fragte:

»Nur?«

Es war nur diese einzige Silbe, aber es lag eine ganze Welt voll Liebe und noch Anderes darin, vielleicht sogar Angst. Das that ihr weh. Sie durfte doch nicht gar so hart mit ihm verfahren, darum antwortete sie:

»Ja, nur der Papagei, und das war eben Leflor.«

»Ah – so –!«

»Ja. Er schwatzte zu viel.«

»Wirklich?«

»Und zwar recht schlimme Unwahrheiten.«

»Der böse Mensch! Auf wen bezogen sich denn wohl diese Unwahrheiten?«

»Auf mich und – – –«

»Und – – –?«

»Und ihn.«

Sie war wieder glühend roth geworden. Er aber fragte trotzdem weiter:

»Das verstehe ich nicht. Was hat er gesagt?«

»Er hat gesagt, daß – daß – – daß – – mein Gott, Ihr wißt es ja selbst auch!«

»Ich?«

»Ja. Er hat es Euch heute gesagt, draußen im Garten, und Ihr habt ihm dafür auch gleich die wohlverdiente Strafe gegeben.«

»Also das, das ist es! Und es war Lüge?«

»Habt Ihr es etwa geglaubt?«

Sie blickte ihn vorwurfsvoll an.

»Nein,« antwortete er. »Ich habe ihn ja auch sogleich einen Lügner genannt.«

»Das war sehr recht. Er aber wird sich dafür rächen, Monsieur Adler!«

»Ich fürchte ihn ganz und gar nicht. Es steht also zu erwarten, daß er nicht wiederkommt?«

»Es steht nicht nur zu erwarten, sondern es ist ganz und gar gewiß. Ist Euch das unlieb?«

»Mir ist es im Gegentheile sehr lieb, besonders um des guten Papchens willen, der nun ganz sicher wieder gesund werden wird.«

»Nur seinetwegen?«

»Ja. Sonst ist Leflor mir ja völlig gleichgiltig.«

Sie fühlte es heraus, daß er sie jetzt strafen wollte, denn sie hatte ja vorher gerade so auch geantwortet. Es flog wie ein Hauch der Betrübniß über ihr Gesichtchen. Das that ihm wehe und darum legte er ihr die Hand auf den Arm, trat ihr einen kleinen, ganz kleinen Schritt näher und fragte:

»Bitte, habt Ihr Leflor nur wegen der Nervosität des Vogels fortgewiesen?«

Sie blickte voll und ehrlich zu ihm auf und er in derselben Weise zu ihr nieder. An diesen Blicken rankten sich die Seelen zu einander hinüber. Jetzt war es Almy unmöglich, den Schein noch länger aufrecht zu erhalten. Sie antwortete, ihr Auge nicht von dem seinigen lassend:

»Nein. Der Vogel ist ja gar nicht krank. Nicht wahr, Monsieur Adler?«

»Ja, er ist kerngesund,« lächelte er.

»Und ich konnte Leflor nicht leiden. Er ist ein böser Mensch. Nun ist er fort und kommt nicht wieder. Gott sei Dank!«

In diesem Augenblicke schlug der Papagei mit den Flügeln und rief:

»Adler, Adler? Mein Süßer, mein Lieber! Wo bist Du denn?«

Almy hätte tief, tief in die Erde hineinsinken mögen. Ueber Adlers Gesicht glitt ein wonniger Schein; aber er beherrschte sich und sagte:

»Schau, er sehnt sich nach seinem Kameraden, nach dem Bergadler draußen vor der Veranda. Es wird am Besten sein, ihn hinauszubringen.«

Wieder Rettung in der aller- und allerhöchsten Noth. Almy warf ihm einen Blick innigsten Dankes zu und trug eiligst den Vogel hinaus. Als sie zurückkehrte, hatte ihr Gesicht einen ganz eigenartigen Ausdruck, so fromm, so erlößt, als ob sie soeben vom Tische des Herrn komme, an welchem sie Vergebung der Sünden empfangen habe. Sie streckte ihm das Händchen hin und fragte:

»Seid Ihr mir noch bös, Monsieur?«

»Ich Euch bös? Weswegen sollte das gewesen sein?«

»Weil ich Euch die Unwahrheit gesagt habe in Beziehung auf den Papagei.«

Da ergriff er die dargebotene Hand und auch die andere, drückte beide an sein Herz und sagte in überquellendem Gefühle:

»Das war keine Unwahrheit, Du süßes, Du reines, Du herrliches Mädchen. Das war der Wall, hinter welchen sich Deine Seele flüchtete, als sie glaubte, in Bedrängniß gerathen zu sein. Almy, Almy, Du bist so viel und noch mehr werth als die ganze Welt. Ich werde Dich bewundern und verehren, so lange ich lebe, wenn auch nur aus der Ferne, ach nur aus der Ferne!« –

Er ließ ihre Händchen sinken und war im nächsten Augenblicke fort. Sie glitt in einen Sessel und legte das Gesicht in die Hände. So lag sie lange, lange still und bewegungslos. Nur der Busen hob und senkte sich unter seligen Empfindungen, und zwischen den rosig angehauchten Fingern drang zuweilen eine Thränenperle hervor – Thränen unbegreiflichen, unfaßbaren und bisher noch ungeahnten Glückes.

Und Adler befand sich in einer ganz ähnlichen Stimmung. Das Dichterwort

»Zum Himmel aufjauchzend
Zum Tode betrübt«

war die treffendste Schilderung seines jetzigen Seelenzustandes. Er wußte sich geliebt, und zwar so rein, so fromm, so heilig, wie noch selten Einer geliebt worden war. Er liebte sie wieder. Er hätte für sie alle Qualen der Erde erdulden können, ohne nur einen Laut von sich zu geben, ohne nur mit der Wimper zu zucken. Diese Qualen wären für ihn ebenso viele Seligkeiten gewesen, da er so glücklich war, sie für diese Einzige zu erdulden. Aber durfte er das entscheidende Wort sagen? Durfte er an sein Leben das ihrige binden? Er dachte hinüber jenseits des Meeres, an das gräßliche Schicksal der Familie Adlerhorst. Er war ein Sohn derselben; obgleich es ihm verboten war, hatte er den Muth gehabt, die eine Hälfte seines Namens beizubehalten, auf welchem ein unlösbarer Fluch ruhte. Durfte er die Heißgeliebte mit hinab in den Abgrund ziehen, welchen dieser Fluch für ihn und für die Seinigen gerissen hatte? Nein und abermals nein und tausendmal nein! Er war entschlossen, zu entsagen, aber ihr nahe zu bleiben, ein treuer Engel zu ihrem Schutz und ihrem Schirm, so lange sie berufen war, auf Erden zu wandeln.

*


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