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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Eine gute Verteidigung ist nicht immer gut gegen eine schlechte Beschuldigung. – Peter gewinnt die Herzen seiner Richter, verliert aber seine Sache und wird vom Schiffe entlassen.

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Am andern Tage begann ich mit meiner Verteidigung. Ich zog jedoch vor, meine Entlastungszeugen zuerst beizubringen, und rief nach dem Rate meines Advokaten, sowie auf seinen eigenen Wunsch, Herrn Swinburne vor. Ich richtete folgende Fragen an ihn:

»Als wir uns auf dem Hinterdecke befanden, war es schönes Wetter?«

»Ja wohl.«

»Glauben Sie, Sie würden jemand, der gewöhnlicherweise die Treppe heraufgekommen wäre, gehört haben?«

»Ganz gewiß.«

»Wollen Sie damit andeuten, daß Kapitän Hawkins verstohlenerweise heraufkam?«

»Ich mach' mir so 'n Gedanken – er sprang auf uns los, wie 'ne Katze auf die Maus.«

»Welche Äußerungen wurden gethan?«

»Ich sagte, daß ein spionierender Kapitän immer seine spionierenden Gesellen finden werde.«

»Bezogen Sie und Herr Simpel diese Bemerkung auf den Kapitän?«

»Die Bemerkung ging von mir aus: was Herr Simpel dabei dachte, kann ich nicht sagen; aber ich bezog sie auf den Kapitän, und der bewies ja, daß ich recht hatte.«

Diese kühne Antwort Swinburnes setzte die Kapitäne in nicht geringes Erstaunen; sie richteten nun Querfragen an ihn, er aber blieb bei seiner ersten Erklärung – daß ich nur im allgemeinen geantwortet habe.

Zur Widerlegung des zweiten Klagepunktes brachte ich keine Zeugen vor; beim dritten jedoch stellte ich deren drei, um zu beweisen, daß des Kapitäns Befehl nur dahin gelautet habe, keine Boote ans Ufer zu schicken, daß er aber keineswegs das Absenden von Booten an die Kriegsschiffe, die in unserer Nähe lagen, verboten habe.

Bei Erwiderung des vierten Artikels rief ich Swinburne wieder vor, der erklärt hatte, wenn ich es nicht thue, selbst auftreten zu wollen. Er gab zu, daß er den Kapitän beschuldigt habe, ein Spion zu sein, sagte aber, daß ich ihn darob getadelt hätte.

»Sagte er, daß er Sie melden wolle?« fragte einer der Kapitäne.

»Nein, Sir«, erwiderte Swinburne, »dieweilen er nie daran dachte es zu thun.«

Dies nun war eine unglückliche Antwort.

Bei der fünften Klage brachte ich einige Zeugen bei, um die Worte des Kapitän Hawkins, so wie den Sinn, in welchem sie von der Schiffsmannschaft, die »o der Schande!« darüber ausgerufen hatte, ausgenommen worden, zu bestätigen.

Zur Widerlegung der andern Klagpunkte rief ich einige Zeugen auf; dann vertagte sich das Gericht, und ich wurde befragt, bis wann ich bereit sein wolle, meine Verteidigungsrede zu halten. Ich bat nur um einen Tag Zeit zur Vorbereitung, was mir auch sofort zugestanden wurde, und es fand somit am nächsten Tage keine Sitzung statt. Ich habe kaum nötig, zu sagen, daß ich sehr viel damit zu thun hatte, meine Verteidigungsrede unter dem Beistände meines Advokaten zu entwerfen. Endlich war alles fertig, und ich legte mich müde und ärgerlich zu Bette; doch fiel ich in einen festen Schlaf, was von meinem Advokaten nicht gesagt werden konnte, denn er ging um elf Uhr erst ans Land, und blieb die ganze Nacht auf, mit Ausfertigung einer getreuen Abschrift beschäftigt.

Im ganzen genommen, ist ein Flotten-Kriegsgericht das Billigste und Gerechteste, was es geben kann – die Zeugen werden nicht unfreundlich behandelt, was eine augenscheinliche Gunst gegen den Gefangenen ist – letzterem werden alle Vergünstigungen und Freiheiten bewilligt und keinerlei juridische Spitzfindigkeiten vorgenommen. Mit sehr wenig Ausnahmen wird ohne Ansehen der Person geurteilt, und in je niedrigerem Range der Angeschuldigte steht, um so günstiger sind die Aussichten für ihn.

Am folgenden Morgen wurde ich von meinem Advokaten geweckt, der, wie gesagt, die Nacht zuvor gar nicht ins Bett gegangen war, und schon um sieben Uhr kam, um meine Verteidigungsrede mit mir durchzulesen. Um neun Uhr begab ich mich an Bord, und in kurzer Zeit hatte sich das Gericht zur Sitzung versammelt. Ich ging hinein, übergab dem Kronanwalte meine Rede, der sie laut vorlas. Ich besitze gegenwärtig noch eine Abschrift derselben, und will sie hier dem Leser vollständig mitteilen:

 

» Herr Präsident und Gentlemen!

Nach beinahe vierzehnjähriger Dienstzeit auf Seiner Majestät Flotte, während deren ich zweimal gefangen genommen und ebenso oft verwundet wurde, und einmal Schiffbruch gelitten habe, und während deren ich, wie ich durch Zeugnisse und die öffentlichen Depeschen Ihnen beweisen zu können hoffen darf, meinem Dienst mit Eifer und ehrenvoll nachgekommen bin, sehe ich mich jetzt in eine Lage versetzt, in die ich nie gebracht zu werden erwartete – angeschuldigt und vor ein Kriegsgericht gestellt wegen Meuterei, feindlicher Gesinnung und Unehrerbietung gegen meinen vorgesetzten Offizier. Wenn das ehrenwerte Gericht die Zeugnisse prüfen mag, die ich vorzulegen im Begriffe stehe, so wird es finden, daß mein Benehmen bis zu der Zeit, da ich mit Kapitän Hawkins zu segeln begann, geradezu das völlige Gegenteil von dem gewesen sein muß, dessen ich jetzt beschuldigt werde. Ich bin immer diensteifrig und den Befehlen gehorsam gewesen, und habe nur zu beklagen, daß die Kapitäne, mit denen ich zu segeln die Ehre hatte, jetzt nicht anwesend sind, um durch ihr mündliches Zeugnis die Wahrheit dieser Dokumente zu bekräftigen. Es sei mir zuerst erlaubt, das Gericht darauf aufmerksam zu machen, daß die gegen mich vorgebrachten Klagen sich über einen großen Zeitraum, der beinahe bis auf achtzehn Monate zurückgeht, erstrecken; daß mir Kapitän Hawkins während dieser ganzen Zeit nie sagte, daß er im Sinne habe, mich vor ein Kriegsgericht zu stellen, und daß er, obgleich er zu wiederholtenmalen mit einem vorgesetzten Offizier zusammentraf, nie eine Klage gegen mich vorbrachte. Die Kriegsartikel besagen ausdrücklich, daß, wenn ein Offizier von den Land- oder Marinetruppen eine Klage zu machen habe, so solle er dies sogleich bei seiner Ankunft in einem Hafen, oder bei einer Abteilung der Flotte, wo er eben mit einem vorgesetzten Offizier zusammentrifft, thun. Ich gebe zu, daß dieser Artikel sich auf Klagen von Untergebenen gegen Vorgesetzte bezieht, erlaube mir aber gleichzeitig, dem ehrenwerten Gerichte zu unterstellen, daß ein Vorgesetzter gleichmäßig verbunden ist, bei der ersten besten Gelegenheit seine Klage vorzubringen oder wenigstens anzuzeigen, daß er es thun wolle, anstatt den Schuldigen in das Gefühl der Sicherheit einzulullen, und ihm seine Verteidigung dadurch zu erschweren, daß er eine so lange Zeit verstreichen läßt, die ihm die Beibringung von Entlastungszeugen unmöglich macht. Ich nehme mir die Freiheit, dies Ihrer Beachtung zu empfehlen, und werde nun zur Antwort auf die gegen mich vorgebrachten Klagen übergehen. Ich bin angeschuldigt, auf dem Hinterdeck von Seiner Majestät Brigg »Klapperschlange« mit einem untergebenen Offizier ein Gespräch geführt zu haben, worin mein Kapitän verächtlich behandelt worden sei. Damit man nun nicht etwa glauben möge, Herr Swinburne sei eine neue Bekanntschaft, die ich erst bei meinem Eintreffen auf der Brigg gemacht habe, muß ich bemerken, daß er ein alter Gefährte von mir ist, mit dem ich viele Jahre gedient habe, dessen Tüchtigkeit ich genau kannte. Er war mein Lehrer in meinen jüngern Jahren und wurde für seine Verdienste durch das Dekret belohnt, kraft dessen er gegenwärtig auf Seiner Majestät Brigg, der »Klapperschlange«, als Feuerwerker dient. Die beleidigende Bemerkung ging erstens gar nicht von mir aus, zweitens war sie in allgemeinen Ausdrücken gehalten. Herr Swinburne hat hier zwar allerdings ausdrücklich bekannt, daß er auf den Kapitän angespielt hat, obgleich der Satz in der Mehrzahl abgefaßt war; aber dies beweist nichts in der Klage gegen mich – es verleiht im Gegenteile der Behauptung Swinburne's, daß ich in diesem Punkte schuldlos sei, Gewicht. Daß Kapitän Hawkins als Spion handelte, wird wohl sein eigenes Zeugnis in betreff dieses Klagepunktes, sowie das von andern Zeugen Vorgebrachte zur Genüge beweisen; da übrigens die Wahrheit einer Bemerkung deren Äußerung nicht rechtfertigt, so freue ich mich, daß ein solcher Ausdruck meinen Lippen nicht entschlüpft ist.

Bei der zweiten Klage werde ich mich nur kurze Zeit aufzuhalten haben. Es ist ganz richtig, daß ein allgemeiner Befehl besteht, infolge dessen nach einer bestimmten Stunde keine Öfen geheizt werden sollen; aber ich möchte das ehrenwerte Gericht fragen, ob ein erster Leutnant nicht annehmen darf, einen gewissen freien Spielraum in Beurteilung aller der auf den innern Dienst des Schiffes bezüglichen Gegenstände zu besitzen. Der Wundarzt meldete mir, daß ein Ofen für einen Kranken geheizt werden müßte. Ich lag damals im Bette, und erteilte unverzüglich eine bejahende Antwort. Gedenkt Kapitän Hawkins vor dem ehrenwerten Gerichte zu behaupten, daß er dem Arzte die Zustimmung seines Rates verweigert hätte? Gewiß nicht. Das einzige Versehen, das ich beging, wenn es überhaupt eines war, bestand darin, daß ich nicht, der Form gemäß, Kapitän Hawkins weckte und ihn um die Erlaubnis bat, die ich als erster Leutnant erteilen zu dürfen mich berechtigt glaubte.

Die Klage wegen Absendung zweier Boote im Widerspruche mit seinen Befehlen habe ich bereits durch Zeugen entkräftet. Der Befehl des Kapitän Hawkins lautete dahin, mit dem Lande in keine Verbindung zu treten. Meine Gründe für Absendung der Boote –« (hier unterbrach mich Kapitän Hawkins, und sagte zu dem Präsidenten, es sei nicht nötig, daß meine Gründe vernommen würden. Das Gerichtszimmer wurde nun geräumt, und da das Gericht bei unserm Wiedereintritt entschieden hatte, daß ich meine Gründe angeben solle, fuhr ich fort) – »Meine Gründe wegen Absendung dieser Boote – oder es war vielmehr, wenn ich mich recht entsinne, nur ein einziges Boot, das an die Fregatten abgeschickt wurde – waren einfach die, daß sich die Brigg in einem Zustande von Meuterei befand. Der Kapitän ließ einen von der Mannschaft auf das Strafgerüst binden, und die Schiffsmannschaft wollte sich nicht auspeitschen lassen. Hierauf ging Kapitän Hawkins ans Land, um dem Admiral die Lage des Schiffes zu melden, und da hielt ich es für meine Pflicht, den in unserer Nähe liegenden Kriegsschiffen über den Stand der Dinge Kunde zu geben. Ich will mich in keine fernere Einzelheiten einlassen, da sie nur das ehrenwerte Gericht aufhalten würden, und ich bin überzeugt, daß dasselbe mein Verfahren, nicht aber das des Kapitäns Hawkins, billigen wird.

Hinsichtlich der Klage wegen wiederholten, unehrerbietigen Gespräches auf dem Hinterdeck, das Kapitän Hawkins mit angehört haben will, muß ich das ehrenwerte Gericht auf die Zeugenaussage verweisen, welche klar darthut, daß die gegen den Kapitän gerichteten Bemerkungen nicht von mir, sondern von Herrn Swinburne ausgingen, und daß ich diesem wegen solchen unüberlegten Äußerungen Vorwürfe machte. Der einzige Punkt des Anstoßes ist der, ob es nicht meine Pflicht war, eine solche Sprache zu melden. Darauf erwidere ich, daß es noch gar nicht erwiesen ist, daß ich nicht im Sinne hatte, dieselbe zu melden; aber die Anwesenheit des Kapitän Hawkins, der ja mit anhörte, was gesprochen wurde, machte jede Meldung überflüssig.

In betreff des fünften Klagepunktes muß ich das Gericht bitten, in gefällige Erwägung zu ziehen, daß man dem Augenblicke der Aufregung einige Vergünstigung einräumen muß. Kapitän Hawkins, der mich tot glaubte, hatte meine Ehre angegriffen, und zwar in so hohem Grade, daß selbst die Schiffsmannschaft ausrief: ›o der Schande!‹ Ich weiß, daß die Äußerung eines vorgesetzten Offiziers die Erwiderung eines Untergebenen durchaus nicht entschuldigen kann; aber da es bis jetzt nicht bekannt ist, was ich mit meinen Worten sagen wollte, obgleich Kapitän Hawkins eine Erläuterung der seinigen gegeben hat, so will ich nur bemerken, daß ich mir nichts weiter darunter dachte, als Kapitän Hawkins selbst zur Zeit, als er sich des fraglichen Ausdruckes in betreff meiner bediente.

Auf Erwiderung der sonstigen unbedeutenden Klagen lege ich keinen Wert; ich betrachte sie vielmehr durch die bereits abgelegten Zeugnisse als völlig erledigt, und beschränke mich deshalb darauf, zu bemerken, wie Kapitän Hawkins aus Gründen, die er selbst am besten kennen muß, mich von dem Augenblicke an, als er das Schiff betrat, auf das feindseligste behandelte; wie er bei jeder Gelegenheit sich alle Mühe gab, mir das Leben sauer zu machen und mich mit andern in Kollisionen zu bringen, wie er, nicht zufrieden mit umständlicher Bewachung meines Benehmens an Bord, auch noch vom Ufer aus in dieser Absicht zum Fernglase seine Zuflucht genommen hat; wie er, statt mich in der Vollziehung eines hinlänglich anstrengenden Dienstes zu unterstützen, mir jedes Hindernis in den Weg gelegt, untergebene Offiziere als Spione über mein Benehmen aufgestellt, und mir im Beisein der Schiffsmannschaft, über die ich doch zur Obhut gesetzt war, ein so drückendes Gefühl der Demütigung aufgedrungen, und mir in der Mannszucht, worin ich doch ein Recht hatte, nachzusehen und zu helfen, so viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt hat, daß ich es, falls nicht notwendig etwas Anstößiges mit dem Ausdrucke verknüpft wäre, als eines der glücklichsten Ereignisse meines Lebens betrachten könnte, wenn ich aus der Stellung entlassen würde, die ich gegenwärtig unter seinem Befehle inne habe. Ich bitte nun das ehrenwerte Gericht zu erlauben, daß die Dokumente zu Gunsten meines Charakters vorgelegt und verlesen werden.«

 

Nachdem dies alles vorüber war, wurde das Lokal geräumt, und das Gericht hatte nun seinen Ausspruch zu fällen. Ich wartete ungefähr eine halbe Stunde in der größten Unruhe, als ich aufs neue gerufen wurde, um das Urteil zu vernehmen. Die üblichen Formen bei Verlesung solcher Papiere wurden auch da beobachtet, dann kam das Urteil selbst, das vom Präsidenten gelesen wurde, während er und das ganze Gericht mit abgezogenen Hüten aufstand. Nach einer längeren Einleitung schloß es mit den Worten: »daß es die Meinung dieses Gerichtes sei, die vorgebrachten Klagen haben sich teilweise erwiesen, und daß demnach der Leutnant Peter Simpel von seinem Schiffe zu entlassen sei; daß übrigens in Anbetracht seines guten Charakters und der geleisteten Dienste seine Lage der Berücksichtigung des Lord-Kommissionärs der Admiralität ernstlich anzuempfehlen sei.«

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