Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Fünftes Kapitel.

Auf dem mit Kaperbriefen versehenen Schiffe finden einige merkwürdige Vorfälle statt. – Alte Bekannte mit verschönertem Äußern. – Der Überwinder ein Gefangener, wird aber nicht weggeführt, obgleich dies bei den Gefangenen der Fall ist. – Das ganze Kapitel ein Gemisch von Liebe, Krieg und Handelschaft.

—————

 

Wir hatten das Schiff kaum eine Stunde in unserem Besitze, als mir die Schildwache über der Luke meldete, einer der Gefangenen wünsche den kommandierenden englischen Offizier zu sprechen, und bitte um die Erlaubnis, aufs Deck kommen zu dürfen. Ich hatte nichts dagegen, und nun kam ein Gentleman herauf, der mir sagte, daß er ein Reisender sei; das Schiff komme von Bordeaux und sei mit Kaperbriefen versehen; auch befänden sich sieben Damen an Bord, die die Fahrt mitgemacht hätten, um zu ihren Familien zurückzukehren, und er hoffe, ich werde nichts dagegen haben, sie ans Land zu setzen, da Frauenzimmer kaum als bei Kriegen beteiligte Personen betrachtet werden könnten. Da ich nun wußte, was O'Brien in diesem Falle gethan haben würde, und daß ihm die Frauenzimmer eben so wenig anstanden als die Gefangenen, so versetzte ich, er habe da allerdings recht, und ich wolle beilegen, damit sie nicht so weit ans Land hätten, auch außer den Damen den übrigen Passagieren gestatten ans Land zu gehen. Dabei forderte ich sie auf, so schnell als möglich ihr Gepäck bereit zu halten, indem ich ihnen zwei zum Schiffe gehörige Boote und eine hinreichende Anzahl französischer Matrosen geben wolle, um sich in Sicherheit zu bringen.

Der Franzose dankte mir in seinem eigenen, wie im Namen der Damen, und ging hinunter, um ihnen die Nachricht mitzuteilen. Ich legte dann bei, ließ die Boote nieder, und wartete, bis sie heraufkamen. Als sie fertig wurden, war es bereits Tag; aber darum kümmerte ich mich nicht, denn ich sah die Brigg etwa sieben Meilen in offener See und hatte nun von den Batterien nichts mehr zu befürchten.

Endlich erschienen die Frauenzimmer und stiegen, eine nach der andern, von französischen Gentlemen geleitet, die Treppe herauf. Sie waren ganz entsetzt, als sie so viele tote und verwundete Engländer auf den Decken liegen sahen. Als sie ihr Bedauern darüber ausdrückten, sagte ich ihnen, wir hätten den Kaper zu nehmen versucht, und seien zurückgeschlagen worden; dagegen wäre im Herausfahren aus dem Hafen ihr Schiff uns in den Weg gekommen und wir hätten es genommen. Sämtliche Damen dankten mir wiederholt für die Güte, daß ich ihnen ihre Freiheit gab, eine einzige ausgenommen, deren Augen auf die verwundeten Leute gerichtet waren. Der französische Gentleman ging auf sie zu und erinnerte sie, daß sie dem kommandierenden Offizier noch nicht ihren Dank abgestattet habe.

Sie wandte sich gegen mich um, – ich fuhr zurück. Wahrlich, dieses Gesicht hatte ich schon früher gesehen: es konnte da kein Irrtum obwalten. Ja, sie war jetzt zu einer schönen, jungen Dame herangewachsen!

»Celeste«, sagte ich mit bebender Stimme. »Sind Sie nicht Celeste?«

»Ja«, versetzte sie, mich ernst anschauend, als wolle sie herausfinden, wer ich wäre, was allerdings keine sehr leichte Aufgabe war, denn mein Gesicht war von Staub und Asche geschwärzt.

»Haben Sie Peter Simpel vergessen?«

»O nein – nein – ich habe Sie nie vergessen!« rief Celeste, in Thränen ausbrechend und mir ihre Hände entgegenstreckend.

Diese Scene erregte ein kleines Erstaunen unter den auf dem Deck befindlichen Personen, welche dieselbe durchaus nicht zu begreifen vermochten. Sie lächelte durch ihre Thränen, als ich ihr sagte, wie glücklich ich mich schätze, in der Lage zu sein, ihr Dienste leisten zu können. »Und wo ist der Oberst?« fügte ich bei.

»Dort«, versetzte sie, auf die Insel deutend; »er ist jetzt General und befehligt die Streitkräfte in der Garnison.«

»Und wo ist Herr O'Brien?« fragte Celeste.

»Dort«, antwortete ich, »er kommandiert jenes Kriegsschiff, auf welchem ich zweiter Leutnant bin.«

Ein rascher Austausch von Fragen fand nun statt, und in der Zwischenzeit blieben die Boote neben uns liegen. Swinburne berichtete, die Brigg steure gegen uns her, und ich fühlte, daß ich, ohne Ungerechtigkeit gegen die Verwundeten, nicht länger zögern konnte. Dessenungeachtet aber fand ich noch Zeit, Celeste die Hand zu drücken, ihr für die Börse zu danken, die Sie mir gegeben, als ich Stelzenjungfer war, und ihr zu sagen, daß ich ihrer nie vergessen habe und auch nie vergessen werde. Unter vielen Empfehlungen an ihren Vater half ich ihr ins Boot, bei welcher Gelegenheit sie sagte:

»Ich weiß nicht, ob ich ein Recht zu bitten habe, aber könnten Sie mir wohl eine Gunst erweisen?«

»Und die bestände worin, Celeste?«

»Sie haben mehr als der halben Mannschaft gestattet, uns ans Land zu rudern; einige müssen zurückbleiben und fühlen sich recht unglücklich darüber – in der That, es ist kaum noch entschieden, welche die Erlaubnis haben, zu gehen. Könnten Sie nicht alle ziehen lassen?«

»Ich will es thun, um Ihretwillen, Celeste. Sobald Ihre beiden Boote abgefahren sind, will ich das Boot am Sterne niederlassen und Ihnen die übrigen nachschicken; aber jetzt muß ich aufbrechen. Gott behüte Sie!«

Die Boote fuhren ab, die Reisenden winkten uns mit ihren Taschentüchern zu, und ich segelte der Brigg entgegen. Sobald das Sternboot neben Bord lag, wurde die übrige Mannschaft heraufgerufen und hineingesetzt, um den vorausgegangenen zu folgen. Ich fühlte, daß O'Brien nicht zürnen würde, weil ich alle hatte gehen lassen, namentlich, wenn ich ihm sagte, wer für sie gebeten hatte. Das gewonnene Schiff war die Victorine, und hatte vierzehn Kanonen; die Mannschaft war vierundzwanzig Köpfe stark gewesen, die elf Passagiere nicht mitgerechnet. Die sehr wertvolle Ladung der Prise bestand hauptsächlich aus Seide und Wein. Celeste hatte Zeit gewonnen, mir mitzuteilen, ihr Vater sei schon seit vier Jahren in Martinique und habe sie um ihrer Erziehung willen in Frankreich gelassen; nun aber komme sie, um sich nicht mehr von ihm zu trennen. Die andern Damen waren Frauen oder Töchter von Offizieren der französischen Garnison auf der Insel, und die männlichen Passagiere zum Teil französische Offiziere; dies vertraute sie mir jedoch nur im geheimen, und ich war nicht verpflichtet, Notiz davon zu nehmen, da sie keine Uniformen trugen.

Sobald wir mit der Brigg zusammentrafen, eilte ich zu O'Brien an Bord. Er ließ die Boote frisch bemannen und schickte den Wundarzt nebst dessen Gehilfen an Bord der Prise, damit sie die Übertragung der Verwundeten beaufsichtigten; dann ging ich mit ihm in die Kajütte hinunter und erzählte ihm das Vorgefallene.

»Nun«, sagte O'Brien, »Ende gut, alles gut; aber dies ist nicht der glücklichste Streich, der uns begegnen konnte. Daß Du das Schiff nahmst, hat mich gerettet, und ich muß nun eine möglichst schwunghafte Depesche abfassen. Bei der Allmacht des Himmels, es kommt uns sehr zu statten, daß die Prise vierzehn Kanonen hat; das klingt großartig. Ich muß alles untereinander mischen, daß der Admiral glaubt, wir hätten beabsichtigt, beide zu nehmen – und so wär's auch allerdings gewesen, wenn wir von dem zweiten etwas gewußt hätten. Ich bin übrigens höchst begierig, den Bericht des Wundarztes zu hören, namentlich ob der arme Osbaldistone wieder aufkommen wird. Peter, erweise mir den Gefallen, an Bord zu gehen und zwei Schildwachen über die Luke zu stellen, damit niemand hinunter kann, im Gepäck umherzustören, denn um des Obersten O'Brien willen habe ich im Sinne, alles Passagiergut ans Land zu schicken.«

Der Wundarzt erstattete seinen Bericht. Sechs Mann waren gefallen und sechzehn verwundet. Die Getöteten bestanden aus den Seekadetten O'Farrell und Pepper, zwei Matrosen und zwei Seesoldaten. Der erste Leutnant Osbaldistone hatte drei schwere Wunden, obschon man an seinem Aufkommen nicht verzweifeln durfte; fünf andere waren gefährlich verletzt, die übrigen aber so, daß sie wahrscheinlich nach Monatsfrist wieder zu ihrem Dienst zurückkehren konnten. Sobald die Verwundeten an Bord waren, ging O'Brien mit mir auf die Prise, wo wir uns in die Kajütte begaben. Alle Passagiers-Effekten wurden gesammelt, die offen gelassenen Koffer zugenagelt, und O'Brien schrieb einen schönen Brief an General O'Brien, dem er eine Liste des ans Land gesandten Gepäckes beifügte. Wir schickten das Langboot mit einer Waffenstillstands-Flagge zur nächsten Batterie; es wurde nach einigem Zögern angenommen und das Gepäck ausgeladen. Wir warteten nicht auf Antwort, sondern setzten alle Segel bei, um uns dem Admiral vor Barbadoes anzuschließen.

Am andern Morgen begruben wir die Gefallenen. O'Farrell war ein schöner junger Mann, brav wie ein Löwe, aber von sehr hitzigem Temperamente. Er würde mit der Zeit einen guten Offizier gegeben haben. Der arme kleine Pepper wurde gleichfalls sehr bedauert. Er war nur zwölf Jahre alt und hatte den Bugmann des zweiten Kutters bestochen, er möchte ihm erlauben, sich unter den Vorderschoten des Bootes zu verbergen. Die Branntweinration desselben Tages hatte dazu dienen müssen, für seinen Ehrgeiz eine Gelegenheit zu kaufen, die so verhängnisvoll für ihn endete. Sobald aber die Leichen unter den Wogen verschwunden und die Ceremonien vorüber waren, fühlten wir alle uns wieder froher. Es ist namentlich für Matrosen etwas höchst Unangenehmes, eine Leiche an Bord zu führen.

Wir segelten nun heiter mit unserer Prise weiter, und noch ehe wir Barbadoes erreichten, waren die meisten unserer Leute auf dem Wege der Reconvalescenz. Osbaldistones Wunden waren jedoch sehr ernstlich, weshalb man ihm empfahl, nach England zurückzukehren. Er folgte dem Rate und wurde bald nach seiner Ankunft befördert. Er war ein angenehmer Gesellschafter, und ich bedauerte, ihn zu verlieren, obgleich ich nach seinem Abgange zum ersten Leutnant der Brigg ernannt wurde, da der neu eintretende jünger war als ich. Da der fuchsjagende Gentleman bald nach Osbaldistones Rückkehr nach England den Hals brach, so erbte letzterer dessen Vermögen, und nahm sodann seinen Abschied.

Wir fanden den Admiral zu Barbadoes, wo O'Brien und sein Bericht gut aufgenommen wurden. O'Brien hatte zwei gute Prisen genommen, und das war hinreichend, der Sünden Menge zu decken, falls er dieselbe begangen hatte. Der Bericht war übrigens bewunderungswürdig abgefaßt, und der Admiral erteilte in seinem Briefe an die Admiralität dem glücklichen und kecken Angriffe große Lobsprüche. Freilich, wenn man die Wahrheit gewußt hätte, so würde sich herausgestellt haben, daß bloß Swinburnes Rat, sich ans Luvufer zu halten, Gelegenheit gegeben hatte, die Victorine zu nehmen; indessen ist es immer schwer, bei derartigen Dingen einer Sache auf den Grund zu kommen, wie ich in Seiner Majestät Diensten oft genug erfahren mußte.

.


 << zurück weiter >>