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Zehntes Kapitel.

Peter Simpel kriegt zuerst ein Kommando, dann drei Westindienfahrer und zwanzig Gefangene. Ein Dienst ist des anderen wert. Die Gefangenen bemühen sich, ihn zu nehmen, werden aber selbst genommen.

—————

 

Der nächste Tag war ein Unglückstag. Die Brigg lag vor dem Hafen und harrte meiner. Ich stand mit Celeste im Fenster und zeigte ihr das Fahrzeug, wobei ihre Augen den meinigen begegneten. In einem stundenlangen Gespräche hätte sich nicht mehr sagen lassen. General O'Brien zeigte, daß er vollkommenes Vertrauen in mich setzte, denn er ließ uns allein.

»Celeste«, sagte ich, »ich habe Ihrem Vater versprochen –«

»Ich weiß, was vorging«, fiel sie mir ins Wort; »er hat mir alles mitgeteilt.«

»Wie freundlich er ist! Ich versprach aber nicht, daß ich mich selbst nicht binden wolle, Celeste.«

»Nein, aber ich mußte es ihm versprechen, daß ich es nicht dulden und jeden Versuch von Ihrer Seite dazu sogleich abschneiden wolle. Ich werde Wort halten.«

»So sei's darum, Celeste. Denken Sie sich alles, was ich sagen könnte in diesem.«

Und ich küßte sie.

»Halten Sie mich nicht für voreilig, Peter, aber ich wünsche, daß Sie glücklich von hinnen ziehen; und deshalb denken Sie Ihrerseits alles, was ich sagen könnte, in diesem.«

Sie erwiderte meinen Gruß, indem sie mich auf die Wangen küßte!

Sodann besprachen wir uns noch ein paar Stunden, aber was sich Liebende zu sagen haben, ist für nüchterne Leute Thorheit, weshalb ich den Leser nicht damit belästigen will. General O'Brien kam herein und bemerkte mir, daß das Boot bereit sei. Ich erhob mich, zufrieden mit dem Stand der Dinge, und sagte mit fester Stimme:

»Leben Sie wohl, Celeste; Gott behüte Sie.«

Dann folgte ich dem General, der mich mit einigen seiner Offiziere nach dem Ufer begleitete. Er schied von mir unter Umarmungen; nachdem ich ihm für seine Liebe gedankt und den Offizieren Lebewohl gesagt hatte, trat ich in das Boot. Eine halbe Stunde später war ich an Bord der Brigg und in O'Brien's Armen. Wir hoben das Steuer; nach kurzer Frist war die Stadt Saint Pierre meinen sehnenden Blicken entschwunden und wir befanden uns auf dem Wege nach Barbadoes. Ich verbrachte den Tag mit O'Brien in der Kajütte und erzählte ihm ausführlich alle meine Erlebnisse. Als wir wieder in Carlisle Bay ankerten, fanden wir, daß der Orkan auf den Antillen weit furchtbarer gewütet hatte, als wir uns je träumen ließen. Mehrere Kriegsschiffe, die einen oder mehrere Masten verloren hatten, lagen da, und es hielt schwer, die Bedürfnisse so vieler zu befriedigen. Da wir zuletzt angekommen waren, wurden wir natürlich auch zuletzt bedient; außerdem hatte man keinen Vorrat von Booten, weshalb wir keine Aussicht hatten, vor zwei oder drei Monaten wieder in See stechen zu können. Die von uns genommene Johanna d'Arc lag noch immer da, konnte aber aus Mangel an Mannschaft nicht ausgerüstet werden. Der Admiral machte daher O'Brien den Vorschlag, er solle sie mit einem Teil der Matrosen des Flaggenschiffes bemannen, ihr einen seiner eigenen Leutnants beigeben, und sie zum Kreuzen ausschicken. O'Brien ging mit Freuden darauf ein. und fragte mich, als er an Bord kam, ob ich den Schooner haben wolle; ich ging bereitwillig darauf ein, da ich Barbadoes und die gebratenen fliegenden Fische völlig satt hatte.

Ich wählte zwei Seekadetten. Swinburne und zwanzig Mann aus, nahm für drei Monate Mundvorrat und Wasser an Bord, erhielt von O'Brien meine schriftlichen Befehle und stach in See. Wir entdeckten übrigens bald, daß die von dem Amerikaner gekauften Masten viel zu groß waren, und mußten daher sehr behutsam sein. Ich steuerte gegen Trinidad, in dessen Höhe mein Stationsplatz war, und kaperte im Laufe von drei Wochen drei Westindienfahrer; nun aber ging es mit meiner Mannschaft knapp her und ich mußte nach Barbadoes zurückkehren. Ich hatte auf das erste Schiff vier, und auf die beiden anderen je drei Matrosen gesetzt, welche mit den darauf befindlichen englischen Gefangenen zureichend waren; meine übrigen Gefangenen brachten mich aber in große Verlegenheit, da ihre Anzahl meine Schiffsmannschaft fast um das Doppelte überstieg. Die beiden Seekadetten befanden sich auf der Prise, weshalb ich mich mit Swinburne über die zweckmäßigsten Maßregeln beriet.

»Je nun, Herr Simpel, die Sache ist die: Kapitän O'Brien hätte uns mehr Leute mitgeben sollen. Zwanzig Mann sind wenig genug für ein Schiff mit einem Hauptsegel, wie das unsrige, und nun haben wir nur noch zehn übrig. Aber schätz' wohl, er glaubte nicht, daß wir so glücklich sein würden, und es hat allerdings seine Richtigkeit, daß er für seine Mannschaft genug zu thun hat, sintemalen alles wieder neu hergestellt werden muß. Was die Gefangenen betrifft, so ist's wahrscheinlich das Beste, wir steuern landwärts und lassen sie durch zwei von unseren Booten an die Küste setzen. Jedenfalls müssen wir uns ihrer entledigen, damit wir nicht fortwährend genötigt sind, das eine Auge in die Höhe und das andere in die Luke hinunterzurichten.«

Dieser Rat stimmte mit meinen eigenen Ansichten überein. Ich steuerte daher landwärts, gab den Gefangenen das Sternboot und eines der größeren Boote, worin sie sämtlich Platz fanden, und schickte sie fort, für den Schooner nur noch ein einziges Boot zurückbehaltend, das an die Steuerbordscherbalken gehisst war. Es herrschte gerade völlige Windstille; wir sahen die Gefangenen landen und über die Felsen verschwinden, weshalb wir ihrer los zu sein vermeinten: ihre Zahl bestand aus zweiundzwanzig, die meisten davon Spanier und stämmige, wild aussehende Bursche.

Die Windstille hielt den ganzen Tag über an, was uns sehr ärgerlich war, da ich gar zu gern sobald als möglich weiter kommen wollte. Indes konnte ich nicht umhin, die Schönheit der Landschaft zu bewundern: ein stolzes Gebirge schoß steil aus dem Meere auf, ragte bis in die Wolken und spiegelte alle seine Farben und Tinten auf dem glatten Wasser so klar und deutlich, wie in einem geschliffenen Glase. Der Schooner triftete allmählich näher ans Land und wir konnten viele Faden tief auf dem Boden die Riffe sehen. Meilenweit in der Runde ließ sich auch nicht die Spur eines Windes entdecken, obgleich in hoher See der Horizont zeigte, daß in größerer Entfernung eine kräftige Brise wehte. Die Nacht brach ein und immer noch hielt die Windstille an. Ich erteilte Swinburne, der die erste Wache hatte, seine Befehle und begab mich nach meiner Bettstelle in der Kajütte. Bald war ich in Träume versunken, und kaum brauche ich zu sagen, wer der Gegenstand meiner Gesichte war. Ich meinte, eben mit ihr im Adlerpark unter einem der großen Kastanienbäume zu sitzen, durch welche die Allee gebildet wurde, als ich meine Schulter rauh angefaßt fühlte. Ich fuhr auf –

»Was giebt's? Wer ist's? Swinburne?«

»Ja, Sir. Ziehen Sie nur hurtig Ihre Kleider an, denn ich denke, es giebt Arbeit.« Und Swinburne eilte alsbald wieder aus der Kajütte.

Ich hörte ihn die übrige Mannschaft aus dem Raume rufen, und da ich wußte, Swinburne sei nicht der Mann, der für nichts und wieder nichts Lärm mache, so befand ich mich schon nach einer Minute auf dem Decke. Er war in demselben Augenblicke allda angekommen und sah nach dem Stern des Schooners.

»Was giebt's, Swinburne?« sagte ich.

»Still, Sir, horch! Hören Sie nichts?«

»Ja«, versetzte ich; »das Schlagen von Rudern.«

»Ganz recht, Sir; geben Sie acht, diese Spanier haben Helfer gefunden, und kommen zurück, um das Schiff zu nehmen; sie wissen, daß wir nur zehn Mann am Bord haben.«

Inzwischen hatten sich unsere Matrosen auf dem Decke versammelt. Ich gab Swinburne die Weisung acht zu haben, daß alle Musketen geladen würden, und eilte dann hinunter, um meinen Degen und meine Pistolen zu holen. Das Wasser war so glatt und die Meeresstille so tief, daß Swinburne den Ton der Ruder schon in beträchtlicher Entfernung vernommen hatte. Es war ein Glück für mich, daß mir ein zuverlässiger Begleiter zur Seite stand. Ein anderer hätte vielleicht geschlummert und der Schooner wäre unvorbereitet geentert und genommen worden. Als ich wieder aufs Deck kam, hielt ich eine Rede an die Mannschaft, ermahnte sie an ihre Pflicht, und machte sie darauf aufmerksam, daß diese gurgelschneiderischen Schufte zuverlässig uns alle ermorden würden, wenn sie den Sieg davon trügen. (Denn ich war der festen Überzeugung, daß dies unser Los sein müßte.) Die Matrosen erklärten, sie wollten ihr Leben so teuer als möglich verkaufen. Wir hatten zwanzig Musketen und eben so viele Pistolen, die jetzt alle geladen waren. Unser schweres Geschütz war gleichfalls bereit, konnte uns aber nichts nützen, da der Schooner keine Fahrt hatte.

Wir bemerkten die Boote ungefähr eine Viertelmeile hinter uns, als Swinburne sagte:

»Da fliegt ein Kräusellüftchen übers Wasser, Herr Simpel; wie wollten wir sie auslachen, wenn wir nur ein bißchen Wind haben könnten, aber ich fürchte, es wird uns nicht so wohl. Sollen wir sie wissen lassen, daß wir bereit sind?«

»Jeder von uns nimmt zwei Musketen«, entgegnete ich. »Wenn das erste Boot unter dem Heck ist, so zielt gut mit der einen, ergreift dann die andere und feuert sie aufs zweite Boot ab. Dann müssen wir uns auf unsere Seitengewehre und auf die Pistolen verlassen, denn wenn sie heraufsteigen, ist keine Zeit mehr zum Laden. Verhaltet euch jetzt alle still!«

Die Boote kamen nun, mit Leuten angefüllt, heran; da wir aber vollkommen ruhig blieben, so hofften sie, uns zu überraschen. Zum Glück ruderte das eine ein wenig vor dem andern, weshalb ich meine Anweisungen abänderte und den Matrosen Befehl erteilte, auch ihre zweite Muskete in das erste Boot abzuschießen; denn wenn wir dies kampfunfähig machen konnten, so waren wir dem andern hinreichend gewachsen. Sobald das Boot noch ungefähr sechs Ellen von dem Heck des Schooners entfernt war, rief ich: »Jetzt!« und alle meine Leute feuerten unter Hurrahrufen mit einem Male ihre Musketen ab. Mehrere der Feinde ließen die Ruder fallen, und ich war überzeugt, daß wir ihnen großen Schaden zugefügt hatten; aber andere traten dafür ein, und das Boot näherte sich uns abermals.

»Nehmt diesmal ein gutes Ziel, meine Jungen!« rief Swinburne; »das andere Boot wird neben uns liegen, sobald ihr abgefeuert habt. Herr Simpel, der Schooner kann vorwärts gehen, denn da kommt eine starke Brise herauf.«

Abermals feuerten wir unsere zehn Musketen in das Boot; aber da wir gewartet hatten, bis der Bug-Matrose seinen Enterhaken an unsere Glattschere gesetzt, so übte unsere Salve eine sehr nachdrückliche Wirkung. Es nahm mich Wunder, daß das andere Boot nicht schon neben uns lag; aber es wehte eine leichte Brise und der Schooner glitt durchs Wasser. Dessenungeachtet befand es sich aber ganz in der Nähe unseres Hecks und wir mußten es in einer Minute an Bord haben.

Inzwischen kletterten die im ersten Boote befindlichen Spanier an der Seite hinauf, wurden aber von meinen Leuten mit großem Erfolg zurückgetrieben. Die Brise wurde frischer und Swinburne eilte nach dem Steuer. Ich bemerkte, daß der Schooner schnell durchs Wasser ging und das zweite Boot sich kaum halten konnte. Ich eilte nach der Glattschere, wo der Enterhaken steckte, und riß ihn heraus; das Boot blieb zurück, und zwei Spanier, die noch an der Seite unseres Schiffes hingen, wurden zusammengehauen, daß sie ins Wasser fielen.

»Hurrah! Alles gut!« rief Swinburne. »Jetzt aber wollen wir sie züchtigen.« Der Schooner schoß unter der sich steigernden Brise mit einer Schnelligkeit von fünf Meilen in der Stunde vorwärts. Wir steuerten ein paar Minuten einwärts, lavierten sodann und machten auf die Boote Jagd. Swinburne führte das Ruder und ich blieb in den Bugen stehen, von dem Rest meiner Mannschaft umgeben.

»Ein wenig Steuerbord, Swinburne.«

»Steuerbord ist's.«

»Fest – fest drauf! Ich sehe das erste Boot: es liegt dicht unter unsern Bugen. Fest – Backbord – Backbord – Backbord ein wenig – Backbord. Gebt acht, meine Jungen, und haut jeden nieder, der heraufklettert.«

Krach! schoß der Schooner auf das Boot zu, dessen Mannschaft vergeblich bemüht war, uns zu entkommen. Ein paar Sekunden schien sich's aufzurichten, dann aber ging das vordere Schanddeck unter Wasser, das Boot schlug um und der Schooner fuhr darüber weg, jede darin befindliche Menschenseele vor ihren Richterstuhl schickend. Ein einziger klammerte sich an ein Tau an und ließ sich eine Meile nachschleppen. Aber ein Stutzsäbel löste das Tau vom Schanddecke, und mit einem matten Aufschrei verschwand er in den Fluten. Das andere Boot war dicht neben uns und bemerkte, was vorgegangen war. Die Mannschaft darin hielt ihre Ruder bereit, um einzusetzen und dem Schooner aus dem Wege zu gehen. Wir steuerten danach hin: der Schooner lief jetzt mit einer Geschwindigkeit von sieben Meilen in der Stunde. Als das Boot dicht unter unsern Bugen war, drehte es sich geschickt unter kurzen Zügen mit den Steuerbordrudern, weshalb wir es nur streiften, und ehe es sank, klammerten sich viele Spanier an die Seiten unseres Schiffes und erreichten das Verdeck. Sie fochten wie Verzweifelte, aber wir waren zu stark für sie. Wir hatten nur mit denen auf dem Verdecke zu kämpfen, denn die andern hielten sich für eine Zeit fest, sanken jedoch, da sie die Seiten nicht erklimmen konnten, nach einander ins Wasser und blieben hinter uns zurück. In einer Minute lagen die eingedrungenen Gegner tot zu unseren Füßen und in eben so kurzer Frist hatten wir sie ihren Gefährten über Bord nachgeschickt, obgleich einer davon, als wir ihn über das Schanddeck hoben, mir sein Messer in die Wade stieß.

Ich will nicht sagen, die Spanier hätten kein Recht gehabt, einen Versuch zur Wegnahme des Schooners zu machen; indessen hatten wir sie ein paar Stunden zuvor in Freiheit gesetzt, und so konnte uns ihr Benehmen wohl als undankbar und verräterisch erscheinen, weshalb wir ihnen auch keine Schonung angedeihen ließen. Außer mir waren noch zwei Matrosen, zum Glück aber nicht gefährlich, verwundet, denn wir hatten keinen Chirurgen und nur etwa eine halbe Elle Heftpflaster an Bord.

»Das heiße ich sich gut herauswinden!« sagte Swinburne, als ich nach dem Hinterschiff hinkte. »Bei Freund Hain! es hätte sauber ablaufen können.«

Nachdem wir den Kurs nach Barbadoes aufgenommen, verband ich mein Bein und legte mich schlafen. Diesmal träumte ich aber nicht von Celeste, sondern focht aufs neue mit den Spaniern, glaubte verwundet zu sein und erwachte mit einem heftigen Schmerz in meiner Wade.

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