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Durch unsern guten Fortgang gehoben, marschieren wir durch Frankreich, ohne den Boden zu berühren. – Ich werde ein Frauenzimmer. – Wir sind freiwillig Konsolidierte.
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Bei Tagesanbruch weckte ich O'Brien, der in großer Eile aufsprang.
»Bestimmt hab' ich geschlafen, Peter.«
»Ja, Du hast«, antwortete ich, »und ich danke dem Himmel dafür; denn es könnte niemand solche Strapazen, wie Du schon durchgemacht hast, länger aushalten, und wenn Du krank wirst, was soll aus mir werden?«
Dies traf den rechten Fleck bei ihm.
»Gut, Peter, weil nichts Übles daraus entstanden, so ist's auch kein Schade. Ich habe nun genug geschlafen für die ganze nächste Woche, das ist gewiß.«
Wir kehrten nach dem Walde zurück; der Schnee war verschwunden und der Regen hatte aufgehört; die Sonne schien zwischen den Wolken hindurch und wir fühlten uns ganz warm.
»Geh nicht zu nah nach dieser Seite«, sagte O'Brien, »wir würden sonst, da nun der Schnee fort ist, die armen Geschöpfe sehen. Peter, diese Nacht müssen wir unser Quartier wechseln, denn ich bin schon in jedem Wirtshause des Dorfes gewesen und kann somit, obgleich ich ein Gendarm bin, nicht mehr hineingehen, ohne Verdacht zu erregen.«
Wir blieben da bis zum Abend und brachen dann auf, immer in der Richtung gegen Givet zurück. Etwa eine Stunde vor Tagesanbruch kamen wir zu einem kleinen Wäldchen, das nahe an der Landstraße gelegen, mit einem Graben umgeben und nur eine Viertelstunde von einem Dorfe entfernt war.
»Mich dünkt«, sagte O'Brien, »hier ist's ganz geeignet, ich will Dich hier lassen und herzhaft in das Dorf gehen, um zu sehen, was ich bekommen kann, denn wir müssen wenigstens eine Woche da bleiben.«
Nun ging's dem Wäldchen zu, und da der Graben für mich zu breit war, um hinüber zu springen, so legte O'Brien die vier Stelzen zusammen und bildete so eine Brücke, auf der ich hinüberschritt. Nachdem er mir die Bündel alle zugeworfen und gesagt hatte, daß ich die Stelzen, als eine Brücke für ihn bei seiner Rückkehr liegen lassen solle, ging er mit dem Gewehr auf der Schulter nach dem Dorfe fort. Nach etwa zwei Stunden kehrte er wieder zurück und brachte einen großen Vorrat von Lebensmitteln, die besten, die wir je gehabt hatten: französische Würste, die mit Knoblauch gewürzt waren, was ich äußerst schmackhaft fand; vier Bouteillen Branntwein, außer seiner Reiseflasche, ein Stück geräuchert Rindfleisch, sechs Laibe Brot und überdies noch eine halbe gebratene Gans und ein großes Stück von einer Pastete.
»Daran«, sagte er, »haben wir für eine ganze Woche hinlänglich genug; und sieh her, Peter, das ist besser, als alles«, und mit diesen Worten zeigte er mir zwei große Pferdedecken.
»Ausgezeichnet«, entgegnete ich, »jetzt werden wir uns ganz behaglich fühlen.«
»Ich habe alles ehrlich bezahlt, außer die Decken«, sagte O'Brien, »ich fürchtete mich, sie zu kaufen und darum hab' ich sie gestohlen. Übrigens, wir lassen sie ja für den, dem sie gehören, hier zurück – und so ist's zuletzt nur geborgt.«
Nun bereiteten wir uns ein ganz behagliches Obdach aus Zweigen, die wir zusammenflochten, und da wir das Laub zum Trocknen in die Sonne legten, hatten wir bald ein weiches Lager, auf dem wir die eine der Pferdedecken ausbreiteten, mit der andern aber deckten wir uns zu. Unsere Stelzenbrücke hatten wir weggenommen, und fühlten uns so ganz gesichert gegen Überrumpelung. Diesen Abend thaten wir nichts als schwelgen – der Gans, der Pastete und den Würsten, die so dick waren wie ein Arm, wurde abwechslungsweise zugesprochen; dann gingen wir an den Graben, um Wasser zu trinken und aßen hierauf wieder von neuem. Dies war nach dem, was wir ausgestanden hatten und besonders bei der Aussicht auf ein gutes Lager eigentliche Glückseligkeit. Als es dunkel ward, gingen wir zu Bett und schliefen fest; nie auf unserer Wanderung fühlte ich mich mehr erfrischt. Bei Tagesanbruch stand O'Brien auf.
»Jetzt, Peter, 'n bischen Übung vor dem Frühstück.«
»Was für eine Übung meinst Du?«
»Was ich meine – auf den Stelzen. Ich erwarte, daß Du in einer Woche wenigstens die Gavotte darauf tanzen kannst; denn versteh' mich wohl, Peter, Du sollst auf diesen Stelzen aus Frankreich hinausgehen, verlaß Dich darauf.«
O'Brien nahm die Stelzen, die dem Manne gehört hatten, und gab mir die des Mädchens. Wir schnürten sie mit den Riemen an unsere Beine fest, und da wir uns mit dem Rücken an einen Baum lehnten, so brachten wir's auch dahin, auf denselben in die Höhe zu kommen; aber beim ersten Versuch zu laufen fiel O'Brien rechts und ich links. Er war gegen einen Baum, ich aber auf meine Nase gefallen, die sehr stark blutete; doch wir lachten darüber, gingen wieder ans Werk, und obgleich wir noch mehrere Male stürzten, bedienten wir uns doch zuletzt der Stelzen besser. Beim Herabsteigen fanden wir noch einige Schwierigkeit, aber wir halfen uns dadurch, daß wir uns wiederum an einen Baum stellten. Nach dem Frühstück schnallten wir sie aufs neue an und setzten diese Übung den ganzen Tag fort, bis wir uns wieder über unsern Mundvorrat machten und dann unter unserer Pferdedecke einschliefen. Dies dauerte fünf Tage lang, während deren wir, da wir beständig auf den Stelzen waren, ganz gewandt darin wurden; und obschon ich keine Gavotte tanzen konnte – denn ich wußte gar nicht, was das sei – so hüpfte ich doch mit der größten Leichtigkeit darauf herum.
»Noch einen Tag Übung«, sagte O'Brien, »denn unsere Lebensmittel dauern nur noch für so lange, und dann brechen wir auf; aber diesmal müssen wir in vollem Kostüm Probe halten. Peter, Du giebst eine ganz hübsche Dirne ab.«
»Aber«, entgegnete ich ihm, »da diese Röcke nicht sehr warm sind, so gedenke ich meine Hosen am Knie abzuschneiden und sie darunter zu tragen.«
»Ist ganz recht«, sagte hierauf O'Brien.
Am andern Morgen bedienten wir uns unserer Stelzen, um über den Graben zu schreiten, dann nahmen wir dieselben in die Hand und gingen herzhaft die große Straße auf Mecheln zu. Wir begegneten vielen Leuten, Gendarmen und andern, aber mit Ausnahme einiger Bemerkungen über mein hübsches Aussehen gingen wir unbeachtet vorüber. Gegen Abend langten wir bei dem Dorfe an, wo wir in dem Vorhause geschlafen hatten; sobald wir hineinkamen, schnallten wir die Stelzen an und begannen einen Marsch. Als sich das Volk um uns gesammelt hatte, streckten wir unsere Mützen aus und empfingen etwa neun oder zehn Sous, worauf wir in das Wirtshaus hineingingen. Mancherlei Fragen wurden an uns gerichtet, auch woher wir kämen, und O'Brien brachte unzählige Lügen vor. Ich spielte das sittsame Mädchen und O'Brien, der mich für seine Schwester ausgab, zeigte sich sehr wachsam und argwöhnisch gegen jede Aufmerksamkeit, die mir erwiesen Wurde. Wir schliefen gut und setzten am andern Morgen unsern Weg nach Mecheln fort. Unterwegs schnallten wir oft die Stelzen an, um uns zu üben; dies hielt uns aber sehr auf und so kamen wir erst am achten Tage, ohne irgend eine Abwechselung oder Störung, in Mecheln an.
An den Barrieren bestiegen wir unsere Stelzen und liefen herzhaft hinein. Die Wache am Thore hielt uns an, nicht aus Mißtrauen, sondern zu ihrem Scherz, und ich mußte mir mehrere Küsse von ihren Knoblauchlippen gefallen lassen, ehe wir in die Stadt hineingehen durften. Wir stiegen wieder auf unsere Stelzen, denn die Wachmannschaft hatte mich heruntergenötigt, weil sie mich sonst nicht hätte küssen können; dann führten wir von Zeit zu Zeit einen Tanz auf, bis wir auf dem großen Platze der Stadt ankamen; hier machten wir einem Gasthof gegenüber Halt und begannen eine Art Walzer, den wir eingeübt hatten.
Die Leute im Gasthof sahen zum Fenster heraus unserer Vorstellung zu, und als wir damit fertig waren, ging ich mit O'Briens Mütze ans Fenster, um Geld einzusammeln. Wie groß aber war mein Erstaunen, als ich Oberst O'Brien gewahrte, der mir gerade ins Gesicht sah und mich starr anblickte; und wie viel größer noch, als ich Celesten erblickte, die mich augenblicklich erkannte, ins Zimmer zurück nach dem Sofa sprang, die Hände vor die Augen hielt und ausrief: » c'est lui, c'est lui!« Glücklicherweise war O'Brien in der Nähe; denn ich wäre umgestürzt, wenn er mich nicht gehalten hätte.
»Peter, sammle Geld ein beim Volk, oder Du bist verloren.«
Ich that dies, und nachdem ich einige Kupfermünzen zusammengebracht hatte, fragte ich O'Brien, was ich thun solle.
»Geh wieder ans Fenster – Du magst dann sehen, was geschehen wird.«
Ich kehrte zum Fenster zurück; Oberst O'Brien war weggegangen, aber Celeste stand da, als ob sie auf mich wartete. Ich hielt ihr die Mütze hin und sie streckte ihre Hand hinein. Die Kappe sank vom Gewichte nieder. Ich nahm eine Börse heraus, die ich mit verschlossener Hand in meinen Busen steckte. Celeste zog sich hierauf vom Fenster zurück, warf mir, als sie hinten im Zimmer angekommen war, ein Kußhändchen zu und ging dann zur Thür hinaus. Für einen Augenblick war ich ganz betäubt, aber O'Brien machte mich wieder wach und wir verließen den Platz, um unser Quartier in einem kleinen Wirtshause zu nehmen. Als wir die Börse nachzählten, fand ich fünfzig Napoleon darin: Celeste mußte sie von ihrem Vater erhalten haben. Ich weinte vor Freude. Auch O'Brien war sehr gerührt von der Güte des Obersten.
»'s ist ein echter O'Brien, jeder Zoll an ihm«, sagte er, selbst dies verfluchte Land kann den Schlag nicht verderben.«
In dem Wirtshaus, wo wir Halt machten, sagte man uns, daß der Offizier, der im Gasthof gewesen, zum Kommandanten der Festung Bergen-op-Zoom ernannt sei und dahin abgehe.
»Wir dürfen ihm wo möglich nicht wieder begegnen«, sagte O'Brien, »das hieße seinen Pflichten zu nahe auf die Fersen treten. Eben so wenig dürfen wir uns zwischen den Deichen auf Stelzen sehen lassen; so wollen wir jetzt gerade noch zur Stadt hinaustappen und uns auf unsern Verstand verlassen.«
Wir gingen früh morgens aus der Stadt fort, nachdem O'Brien zuvor einige Kleidungsstücke gekauft hatte, wie sie das Bauernvolk gewöhnlich trägt. Einige Meilen von St. Nicolas warfen wir unsere Stelzen und die Kleider, die wir bis daher angehabt hatten, weg und zogen die von O'Brien gekauften an. Er hatte auch nicht vergessen, uns mit zwei großen braunen Decken zu versehen, die wir, wie die Soldaten ihre Mäntel, auf unsern Schultern festschnürten.
»Aber für was wollen wir uns nun ausgeben?«
»Peter, ich will diesen Punkt noch vor Nacht ins Reine bringen. Mein Geist ist gegenwärtig damit beschäftigt; aber ich vertraue gerne dem Schicksale, daß es mir so 'nen extravaganten Einfall eingiebt; doch, wir müssen schnell gehen, sonst ersticken wir im Schnee.«
Es war bitter kalt und den ganzen Tag hindurch hatte es heftig geschneit; aber obgleich es beinahe schon dämmerte, so schien uns doch der Mond recht hell auf den Weg. Wir gingen rasch zu und gewahrten bald einige Personen vor uns.
»Laß uns die einholen, vielleicht erfahren wir etwas.«
Als wir zu ihnen kamen, sagte einer derselben (es waren nämlich zwei junge Burschen von sechzehn bis siebzehn Jahren) zu O'Brien:
»Ich dachte, wir seien die letzten, aber ich täuschte mich. Wie weit ist es noch bis St. Nicolas?«
»Wie sollt' ich's wissen«, entgegnete O'Brien; »ich bin in dieser Gegend so fremd wie Ihr.«
»Aus welchem Teile von Frankreich kommt Ihr?« fragte der andere, dem vor Kälte die Zähne klapperten, denn seine schlechte Kleidung schützte ihn nur wenig gegen das rauhe Wetter.
»Aus Montpellier«, antwortete O'Brien.
»Und ich aus Toulouse. Ein schlechter Tausch, Kamerad, von Oliven und Weinreben weg in ein Klima wie dieses. Verflucht sei die Konscription. Ich dachte mir im nächsten Jahre ein Weibchen zu nehmen.«
O'Brien gab mir einen Stoß, als wenn er sagen wollte: »Hier ist etwas für uns«, und fuhr dann fort:
»Und verflucht sei die Konscription, das sage ich auch, denn ich hätte eben geheiratet, und habe nun meine Braut verlassen müssen, damit ihr der Generalpächter seine widerliche Aufmerksamkeit schenken kann. Aber ich kann nichts machen. C'est pour la France et pour la gloire.«
»Wir werden zu spät daran sein, um noch ein Quartierbillet zu erhalten«, entgegnete der andere, »und ich habe keinen Sous in meiner Tasche. Ich zweifle daran, noch zum Hauptzug zu stoßen, ehe er in Vließingen eintrifft. Nach unserem Marschzettel ist er heute schon in Axel.«
»Wenn wir in St. Nicolas ankommen, wollen wir's schon machen«, antwortete O'Brien, »ich habe noch ein wenig Geld übrig und kann nicht sehen, daß ein Kamerad, der in den Dienst des Vaterlandes zieht, an Abendessen oder Nachtlager Mangel leidet. Ihr könnt mir's ja wieder zurückgeben, wenn wir uns in Vließingen treffen.«
»Das werde ich mit vielem Dank«, erwiderte der Franzose, »und auch Jacques wird es thun, wenn Ihr ihm trauen wollt.«
»Mit Vergnügen«, sagte O'Brien, der sich nun in ein langes Gespräch mit ihnen einließ und so viel aus den beiden Franzosen herausbrachte, daß eine Abteilung der Konscribierten nach Vließingen beordert sei, und daß sie hinter dem Hauptzuge zurückgeblieben waren. O'Brien gab sich für einen zu diesem Zuge gehörigen Konscribierten und mich für seinen Bruder aus, der sich entschlossen habe, als Tambour zur Armee zu gehen, nur um sich nicht von ihm trennen zu müssen.
Nach einer Stunde ungefähr kamen wir in St. Nicolas an und erlangten nicht ohne einige Schwierigkeit Einlaß in einem Wirtshause.
» Vive la France«, sagte O'Brien, ging zum Feuer hin und schwenkte den Schnee von seinem Hute. In kurzer Zeit saßen wir bei einem guten Nachtessen und einem erträglichen Glas Wein; die Wirtin nahm bei uns Platz und hörte den wahren Erzählungen der wirklich Konscribierten und den erdichteten O'Briens zu.
Nach dem Abendessen zog der Konscribierte, der uns zuerst angeredet hatte, sein gedrucktes Papier heraus, auf welchem die Marschroute angegeben war, und bemerkte, daß wir zwei Tagmärsche hinter den andern zurück wären. O'Brien überlas es und legte es dann auf den Tisch; zugleich forderte er noch mehr Wein, obgleich solcher bereits ziemlich lebhaft die Runde gemacht hatte. Wir selbst tranken keinen mehr, setzten aber den andern tüchtig zu, so daß zuletzt der eine Konscribierte die ganze Litanei von seiner beabsichtigten Heirat und der eingetretenen widrigen Störung wieder anhub, sich die Haare ausriß und dazwischen hinein weinte.
»Grämt Euch nicht darüber«, unterbrach ihn O'Brien alle zwei oder drei Minuten: » buvons un autre coup pour la gloire!« und so brachte er sie fortwährend beide zum Trinken, bis sie dem Bett zutaumelten und ihren gedruckten Zettel vergaßen, den O'Brien schon vorher heimlich vom Tisch weggenommen hatte.
Hierauf zogen wir uns in unser Zimmer zurück, und da sagte O'Brien zu mir:
»Peter, dieses Signalement ist mir so ähnlich, als ich dem Teufel; aber das hat nichts auf sich; denn niemand geht freiwillig als Konscribierter, und deshalb werden sie wohl nicht zweifeln, daß alles in Richtigkeit sei. Wir müssen morgen in aller Frühe, noch während diese guten Leute im Bette sind, fortgehen, um einen tüchtigen Vorsprung vor ihnen zu bekommen. Ich glaube, daß wir jetzt bis Vließingen sicher sind.«