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Sie war auf dem Heimweg.
»Nein. Ich könnte mich nicht in ihn verlieben. Ich hab' ihn gern, sehr gern. Aber er ist zu sehr Stubenhocker. Könnte ich ihn küssen? Nein! Nein! Guy Pollock mit sechsundzwanzig – damals hätt' ich ihn vielleicht küssen können, auch wenn ich mit jemand anders verheiratet gewesen wäre, und wahrscheinlich hätte ich mir mit großer Zungenfertigkeit eingeredet, daß ich nichts ›Schlechtes‹ tue.
Erstaunlich ist nur, daß ich nicht über mich selber erstaunt bin. Ich, die tugendhafte junge Ehefrau. Kann man mir trauen? Wenn der Märchenprinz käme –
Eine Hausfrau in Gopher Prairie, die ein Jahr verheiratet ist und sich wie ein sechzehnjähriger Backfisch nach einem Märchenprinzen sehnt! Da sagt man immer, daß die Ehe eine zauberhafte Veränderung hervorbringt, aber ich bin nicht verändert. Aber –
Nein! Ich würde mich nicht verlieben wollen. Auch wenn der Prinz käme. Ich würde Will nicht weh tun wollen. Ich habe Will gern. Wirklich! Er regt mich nicht auf, jetzt nicht mehr. Aber ich brauche ihn. Er ist mir Haus und Kinder.
Wann wir wohl Kinder haben werden? Ich wünsche sie mir.
Daß ich nur nicht daran vergesse, Bea zu sagen, daß wir morgen Maisbrei haben wollen und nicht Haferschleim. Jetzt wird sie schon schlafen gegangen sein. Vielleicht bin ich früh genug auf –
Ich habe Will wirklich sehr gern. Ich möchte ihm nicht weh tun, sogar wenn ich auf eine ganz große Liebe verzichten müßte. Wenn der Prinz käme, würde ich ihn einmal anschauen und dann davonlaufen. Aber verflixt schnell! Ach, Carola, du bist weder eine Heldin noch vornehm. Du bist die unwandelbare, gewöhnliche, junge Frau.
Aber ich bin nicht die untreue Frau, der es Freude macht, zu erzählen, daß sie ›unverstanden‹ ist. O nein, das bin ich nicht!
Oder doch?
Wenigstens habe ich Guy nichts von Wills Fehlern und von seiner Blindheit für meine bedeutende Seele vorgeredet. Das hab' ich nicht getan! Wirklich, Will versteht mich wahrscheinlich ausgezeichnet! Wenn er nur – wenn er mir nur ein bißchen dabei helfen würde, die Stadt aufzurütteln.
Ich bin nicht halb so gut wie diese Frau Dillon. Die betet ihren Zahnarzt mit solcher Selbstverständlichkeit an! Und Guy sieht sie nur als exzentrischen Kauz.
Seidene Strümpfe hat sie nicht gehabt, die Frau Dillon. Es waren baumwollene. Ihre Beine sind hübsch und schlank. Aber nicht schlanker als meine. Ich habe baumwollene Oberstücke an seidenen Strümpfen … Bekomme ich dicke Fesseln? Ich will keine dicken Fesseln haben!
Nein. Ich habe Will gern. Seine Arbeit – ein Farmer, den er durch die Diphtherie durchbringt, wiegt mein ganzes Winseln nach einem Schloß in Spanien auf. Einem Schloß mit Badezimmer.
Der Hut ist so eng. Ich muß ihn dehnen. Guy hat er gefallen.
Da ist das Haus. Mir ist schrecklich kalt. Es ist Zeit, den Pelzmantel herauszuholen. Ob ich's noch mal zu einem Bibermantel bringe? Nutria ist nicht dasselbe! Biber – so weich. So schön, mit den Fingern drüberzufahren. Guys Schnurrbart ist wie Biber. Das ist doch lächerlich!
Ich habe Will, ich habe ihn wirklich gern, und – Kann ich denn gar kein anderes Wort finden als ›gern‹?
Er ist zu Hause. Er wird finden, daß ich lang ausgeblieben bin.
Warum kann er denn nie dran denken, die Rouleaux herunterzulassen? Cy Bogart und alle die ekelhaften Jungen schauen herein. Aber der gute, arme Kerl, er ist immer so zerstreut. Er hat so viel zu arbeiten und zu sorgen, während ich nichts tu', als mit Bea schwatzen.
Ich darf nicht an den Maisbrei vergessen –«
Sie lief in die Diele. Kennicott sah von seiner medizinischen Wochenschrift auf.
»Hallo! Seit wann bist du zurück?« rief sie.
»Es war so um neun herum. Du hast dich aber 'rumgetrieben. Jetzt ist es elf vorbei.« Gutmütig, aber nicht sehr zufrieden.
»Bist du dir vernachlässigt vorgekommen?«
» Also, du hast nicht dran gedacht, den unteren Zug bei der Heizung zuzumachen.«
»Ach, das tut mir aber leid. Solche Dinge vergess' ich so oft, nicht?«
Sie setzte sich ihm auf den Schoß, und er küßte sie freundlich (nachdem er, um seine Brille in Sicherheit zu bringen, den Kopf zurückgeworfen, dann die Brille abgelegt, Carola in eine für seine Beine weniger unbequeme Stellung gebracht und sich bei der Gelegenheit geräuspert hatte) und sagte:
»Nein, nein, ich muß sagen, du bist recht sorgfältig in solchen Dingen. Ich hab' dir auch gar keinen Vorwurf machen wollen. Ich hab' nur gemeint, ich wollte nicht, daß das Feuer ausgeht. Laß den Zug offen, und das Feuer brennt aus und ist weg. Und die Nächte fangen schon wieder an, ziemlich kalt zu werden. Ich hab's recht kalt gehabt im Wagen. Ich hab' die Seitenteile vom Verdeck hochnehmen müssen, so hab' ich gefroren. Aber der Dynamo arbeitet jetzt gut.«
»Ja. Es ist recht kalt. Aber mir ist sehr wohl nach meinem Spaziergang.«
»Spazieren gewesen?«
»Ich wollte die Perrys besuchen.« Ganz bewußt und absichtlich fügte sie die Wahrheit hinzu: »Sie waren nicht zu Hause. Und dann habe ich mit Guy Pollock gesprochen. Ich bin in sein Bureau gegangen.«
»Aber, du hast doch nicht bis elf dortgesessen und mit ihm getratscht?«
»Natürlich waren noch andere Leute da, und – Will! Was hältst du von Doktor Westlake?«
»Westlake? Warum?«
»Ich hab' ihn heute auf der Straße gesehen.«
»Hat er gehinkt? Wenn das armselige Huhn sich die Zähne röntgen lassen wollte, ich möchte neuneinhalb Cents wetten, daß man dort 'n Abszeß findet. ›Rheumatismus‹, sagt er. Rheumatismus, Teufel! Er ist hinter der Zeit zurück. Manchmal glaub' ich, er läßt sich zur Ader. Naaaaa –« Ein tiefsinniges und ernsthaftes Gähnen. »Ich hätt' noch gern weitergeplaudert, aber es wird spät, und ein Doktor weiß nie, um welche Nachtzeit er wieder aus dem Bett getrieben wird.« (Es fiel ihr auf, daß er diese Erklärung mit den gleichen Worten nicht weniger als dreißigmal im Jahr abgegeben hatte.) »Es wird wohl am besten sein, wir gehen ins Bett. Die Uhr aufgezogen und nach der Heizung geschaut hab' ich schon. Hast du die Tür zugesperrt, wie du nach Haus gekommen bist?«
Oben im Schlafzimmer fragte sie: »Sag mir – ist Doktor Westlake wirklich ein guter Arzt?«
»Ach ja, er ist ein schlaues altes Huhn.«
»Und ist er ein ehrlicher Doktor?«
»Was meinst du mit ›ehrlich‹? Es kommt ganz drauf an, was du damit meinst.«
»Wenn du krank wärst, würdest du ihn rufen? Würdest du mich ihn rufen lassen?«
»Nicht daran zu denken! Ich könnte den alten Schwindler nicht bei mir brauchen … Ich will dir was sagen, Carrie: ich muß mich noch immer über Westlake ärgern, wie er damals mit Frau Jonderquist umgegangen ist. Ganz egal, was ihr gefehlt hat, wirklich gebraucht hat sie Ruhe. Aber Westlake hat ihr wochenlang immer wieder Besuche gemacht, fast jeden Tag, und dann hat er ihr eine gute, dicke Rechnung geschickt, darauf kannst du dich verlassen. Das hab' ich ihm nie verzeihen können. Nette, schwer arbeitende Leute, wie die Jonderquists!«
»Aber, Will, gibt es nichts, was man Geldrivalität nennen könnte, zwischen dir und den Teilhabern Westlake und McGanum?«
Er tobte: »Weiß Gott, nein! Ich bin noch nie einem Menschen auf ein Zehncentstück neidisch gewesen, das mir durch ihn entgangen ist – wenn's auf 'ne anständige Art und Weise war.«
»Aber ist Westlake anständig? Ist er nicht hinterlistig?«
»Hinterlistig, das ist das richtige Wort! Er ist ein Fuchs, der Bursche!«
Sie sah im Spiegel Guy Pollocks Grinsen. Sie wurde rot.
Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen gähnte Kennicott:
»Ja. Er ist schlau, zu schlau. Aber verlaß dich drauf, ich verdien' nicht viel weniger als Westlake und McGanum zusammen, obwohl ich nie mehr genommen hab', als mir zukommt. Wenn einer zu den Teilhabern gehen will, statt zu mir, dann ist das seine Sache. Obwohl, ich muß sagen, es ärgert mich, wenn Westlake die Dawsons in die Hand kriegt. Luke Dawson ist immer zu mir gekommen, mit jedem Fußweh und Kopfweh und allen möglichen Kleinigkeiten, die mich bloß Zeit gekostet haben, und dann, als sein Enkel im letzten Sommer da war und Sommerdurchfall gekriegt hat, oder so was Ähnliches wahrscheinlich – weißt du, damals, als wir beide zum Lac-Qui-Meurt gefahren sind – ja, also damals hat sich Westlake an Mama Dawson rangemacht und ihr einen Totenschreck eingejagt und ihr eingeredet, daß das Kind Blinddarmentzündung hat, und weiß der liebe Himmel, er und McGanum haben wirklich operiert und sich heiser geredet über die schrecklichen Verwachsungen, die sie gefunden haben, und was für erstklassige Chirurgen sie sind. Sie haben sogar erzählt, wenn sie noch zwei Stunden gewartet hätten, wär' Peritonitis und weiß der Himmel noch was alles dazugekommen; und dann haben sie schöne dicke hundertfünfzig Dollar eingesteckt. Und wenn sie nicht Angst vor mir gehabt hätten, hätten sie wahrscheinlich dreihundert verlangt! Ich bin kein Schwein, aber wenn ich dem alten Luke 'nen Rat, der zehn Dollar wert ist, um einen Dollar geb' und dann hundertfünfzig abtrudeln seh', na, dann krieg' ich doch 'ne Wut. Und wenn ich nicht besser 'nen Blinddarm 'rausschneiden kann als Westlake und McGanum, will ich meinen Hut fressen!«
Sie machte noch einen Versuch:
»Aber Westlake ist tüchtiger als sein Schwiegersohn, glaubst du nicht?«
»Ja, Westlake ist vielleicht altmodisch und so, aber er hat einen ganz guten Blick, während McGanum auf alles wie ein Stier losgeht, und –«
»Aber Frau Westlake und Frau McGanum – die sind doch nett. Sie sind immer schrecklich lieb zu mir gewesen.«
»Na ja, sie haben ja auch gar keinen Grund, nicht so zu sein, oder? Aber weißt du, ich würde niemand von den Westlakes trauen, und wenn Frau McGanum auch recht offen wirkt, du darfst doch nie vergessen, daß sie die Tochter von Westlake ist. Freilich!«
»Was ist mit Doktor Gould? Meinst du nicht, daß der schlimmer ist als Westlake und Mc Ganum? Er ist so billig – er trinkt und spielt Billard und raucht immer Zigarren –«
»Das ist aber jetzt genug! Terry Gould ist ein lockerer Vogel, aber er versteht 'ne ganze Menge von Medizin, das darfst du nicht einen Augenblick vergessen!«
»Ist er auch ehrlich?«
»Uuuuuuaaaaa! Herrgott, bin ich schläfrig!«
Er verschwand unter dem Bettzeug, dehnte sich behaglich, kam wieder hervor wie ein Taucher, schüttelte den Kopf und klagte: »Wie ist das? Wer? Terry Gould ehrlich? Da muß ich ja lachen – aber dazu bin ich viel zu schön schläfrig. Ich hab' nicht gesagt, daß er ehrlich ist. Ich hab' gesagt, er hat Grips genug, um den Index in Grays Anatomie zu finden, und das ist mehr als McGanum kann! Aber ich hab' nichts davon gesagt, daß er ehrlich ist. Das ist er nicht. Terry ist ein Mordsgauner. Er hat mehr als eine dreckige Sache gemacht. Frau Glorbach, siebzehn Meilen draußen, hat er erzählt, ich bin kein moderner Geburtshelfer. Ja, das hat ihm kolossal genützt! Sie ist gleich zu mir gekommen und hat mir's erzählt! Und Terry ist auch faul. Bevor er 'ne Pokerpartie unterbricht, würde er lieber einen Patienten mit Lungenentzündung ersticken lassen.«
»Aber nein, ich kann nicht glauben –«
»Na, ich sag' dir's doch!«
»Spielt er viel Poker? Doktor Dillon hat mir erzählt, daß Doktor Gould ihn zum Mitspielen aufgefordert –«
»Was hat dir Dillon erzählt? Wo hast du Dillon gesehn? Er ist grade erst hergekommen!«
»Er war heute abend mit seiner Frau bei Herrn Pollock.«
»Sag' mal, äh, was hältst du von ihnen?«
»Er hat einen intelligenten Eindruck gemacht. Ich bin überzeugt, er versteht viel mehr als unser Zahnarzt.«
»Na, na, der alte Kerl ist ein guter Zahnarzt. Der versteht sein Geschäft. Und Dillon – Ich würd' mich an deiner Stelle mit den Dillons nicht zu sehr einlassen. Das ist ja ganz recht und gut für Pollock und die Leute, die nicht in unserem Geschäft zu tun haben. Aber wir –«
»Warum denn? Er ist doch kein Rivale.«
»Das – ist – aber!« Kennicott war jetzt wütend wach geworden. »Er wird richtig Hand in Hand mit Westlake und McGanum arbeiten. Ich hab' sie sogar in Verdacht, sie sind zum größten Teil dafür verantwortlich, daß er sich hier niedergelassen hat. Sie werden ihm ihre Patienten schicken, und er wird ihnen alle schicken, an die er rankommen kann. Ich trau' keinem Menschen, der zu gut mit Westlake steht. Du brauchst Dillon nur auf jemand aufmerksam zu machen, der sich 'ne neue Farm hier gekauft hat und in die Stadt kommt, um seine Zähne nachsehen zu lassen, und wenn Dillon mit ihm fertig ist, wirst du jedesmal sehen, daß er zu Westlake und McGanum rübergeht.«
Carola setzte sich auf und beobachtete, das Kinn in die Hände gestützt, Kennicott. In dem schwachen Licht, das von der kleinen elektrischen Birne im Vorzimmer hereinfiel, konnte sie sehen, daß er böse war.
»Will, das – ich muß ins reine damit kommen. Unlängst hat mir jemand gesagt, daß in Ortschaften wie hier die Ärzte einander noch mehr als in den Städten hassen wegen des Geldes –«
»Wer hat das gesagt?«
»Das ist egal.«
»Ich könnte wetten, daß das deine Vida Sherwin war. Sie ist ein gescheites Frauenzimmer, aber sie wär' noch ein ganz verdammtes Stück gescheiter, wenn sie den Mund halten würde und nicht so viel von ihrem Verstand auslaufen ließe.«
»Will! Aber Will! Das ist schrecklich! Abgesehen von der ordinären Redensart – Vida ist schließlich meine beste Freundin. Selbst wenn sie das gesagt hätte. Sie war's aber wirklich nicht.«
Er saß in steifer Haltung da und brummte:
»Also, wenn sie's nicht gesagt hat, lassen wir sie. Es ist ja auch egal, wer's gesagt hat. Die Hauptsache ist, daß du's glaubst. Herrgott! Daß du mich nicht besser verstehst! Geld!«
(»Das ist der erste richtige Streit, den wir haben«, sagte sie sich traurig.) Er streckte seinen langen Arm aus und griff nach seiner zerdrückten Weste, die auf einem Stuhl lag. Er holte eine Zigarre und Streichhölzer heraus. Er warf die Weste auf den Boden. Er zündete sich die Zigarre an und rauchte wild. Er zerbrach das Streichholz und schleuderte die Bruchstücke ans Fußbrett.
Das Zimmer war schlecht gelüftet – Kennicott hielt nichts davon, »die Fenster so blödsinnig weit offenzuhalten, daß man für draußen heizt.« Die schale Luft schien sich nie zu erneuern. In dem Lichtschein aus dem Vorzimmer waren sie zwei Klumpen Bettzeug mit Schultern und zerzausten Köpfen.
Sie bat: »Ich wollte dich nicht wachmachen, Lieber. Und, bitte, rauch nicht, du hast schon so viel geraucht. Bitte, schlaf wieder. Es tut mir leid.«
»Daß dir's leid tut, ist ja ganz schön, aber jetzt will ich dir einiges sagen. Daß du so drauf reinfällst, was dir irgendwer von Eifersucht und Konkurrenz unter Ärzten sagt, gehört ganz einfach auch dazu, wie du immer bereit bist, von uns armen Kaffern in Gopher Prairie so schlecht zu denken, wie du nur kannst. Das Malheur bei Frauen wie du, ist, daß du immer streiten willst. Ihr könnt die Dinge nicht nehmen, wie sie sind. Es muß gestritten werden. Also, ich denke nicht daran, über diese Sache in irgendeiner Art zu streiten. Das Malheur bei dir ist, daß du nicht die geringste Anstrengung machst, uns zu würdigen. Du bist so verdammt überlegen und meinst, die Stadt ist so lausig viel schöner, und du willst, daß wir wollen, was du willst, die ganze Zeit –«
»Das ist nicht wahr! Ich gebe mir ja Mühe. Die andern sind's, die sich hinstellen und kritisieren – du auch. Ich muß mich der Ansicht der Stadt fügen. Ich muß mich ihren Interessen widmen. Meine Interessen können sie nicht einmal sehen. Gar keine Rede davon, daß sie sie mit mir teilen. Ich begeistere mich weiß Gott wie für ihren alten Minniemashiesee und die Häuschen, aber sie lachen ganz gemein (auf diese liebenswürdige, freundliche Weise, von der du so viel redest), wenn ich davon spreche, daß ich auch Taormina sehen möchte.«
»Freilich, Tormina, was das auch ist – irgendeine schöne teure Millionärskolonie. Freilich; da haben wir's; Champagnergeschmack und Biereinkommen; aber du kannst sicher sein, daß wir nie mehr als ein Biereinkommen haben werden!«
»Willst du vielleicht damit sagen, daß ich nicht ökonomisch genug bin?«
»Na, ich hab' zwar nicht dran gedacht, aber wenn du schon selber davon redest, kann ich ja auch sagen, daß die Lebensmittelrechnungen ungefähr doppelt so hoch sind, wie sie sein sollten.«
»Ja, das sind sie wahrscheinlich auch. Ich bin nicht ökonomisch. Ich kann's nicht sein. Dank dir!«
»Wo hast du denn dieses ›Dank dir‹ aufgezwickt?«
»Bitte, sprich nicht gar so salopp – oder soll ich sagen, gemein?«
»Ich werd' so verdammt salopp reden, wie's mir paßt. Wie kommst du zu dem ›Dank dir‹? Jetzt ist es ungefähr ein Jahr her, daß du mir die Leviten gelesen hast, weil ich nicht dran gedacht hab', dir Geld zu geben. Schön, ich bin vernünftig, ich hab' dir keinen Vorwurf gemacht und hab' gesagt, daß ich schuld bin. Und hab' ich seitdem dran vergessen – vielleicht mal mit 'ner Ausnahme?«
»Nein. Das hast du nicht – von Ausnahmen abgesehen. Aber darum handelt sich's ja gar nicht. Ich muß mein Haushaltsgeld haben. Und das werde ich auch! Ich muß eine feste Zusicherung für einen fixen Betrag im Monat haben.«
»Eine großartige Idee! Ein Arzt verdient natürlich ganz fixe Beträge! Freilich! Tausend im Monat – und wenn er im nächsten hundert verdient, ist er gottsfroh.«
»Schön, dann eine Beteiligung. Oder irgend etwas anderes. Und wenn es auch noch so wechselt, du kannst einen rohen Durchschnitt bestimmen –«
»Aber was hat denn das für 'nen Sinn? Worauf willst du hinaus? Willst du sagen, daß ich unvernünftig bin? Glaubst du, ich bin so verantwortungslos und knickerig, daß du mich mit einem Vertrag binden mußt! Bei Gott, das tut weh! Ich hab' geglaubt, ich bin recht generös und anständig, und es hat mir viel Vergnügen gemacht – ich hab' mir so gedacht: Wenn ich ihr jetzt den Zwanziger da geb', wird sie 'ne Freude haben – oder 'nen Fünfziger oder was es war; und jetzt sieht's so aus, als ob du 'ne Art Unterhaltsgeld haben willst. Ich armer Trottel hab' die ganze Zeit gemeint, ich bin recht freigebig, und du –«
»Bitte, hör' auf, dich zu bemitleiden! Es ist ein wunderschönes Gefühl – das Gefühl, daß einem Unrecht getan wird. Ich gebe alles zu, was du sagst. Gewiß. Du hast mir sowohl freizügig wie liebenswürdig Geld gegeben. Ganz so, als wenn ich deine Mätresse wäre.«
»Carrie!«
»Ja, es ist mir ganz ernst damit! Was für dich ein großartiges Schauspiel von Edelmut war, war für mich Erniedrigung. Du hast mir Geld geschenkt. Hast es deiner Mätresse geschenkt, wenn sie gefällig war, und dann hast du –«
»Carrie!«
»Unterbrich mich nicht! – dann hast du gemeint, du hast dich aller Verpflichtungen entledigt. Also, von jetzt an werde ich dein Geld als Geschenk zurückweisen. Entweder bin ich deine Teilhaberin, die die Haushaltabteilung unseres Geschäfts unter sich hat, mit einem regelmäßigen Budget dafür. Oder ich bin nichts. Wenn ich eine Mätresse sein soll, werde ich mir meine Liebhaber selber aussuchen. Oh, es ist mir widerwärtig – es ist mir widerwärtig – dieses lächelnde Hoffen auf Geld – und dann kann ich's nicht einmal auf Schmuck ausgeben, worauf eine Mätresse das Recht hätte, sondern ich muß Kochtöpfe und Socken für dich kaufen. Ja, wirklich! Du bist generös! Du gibst mir einen Dollar, ganz freiwillig – die einzige Bedingung dabei ist, daß ich davon eine Krawatte für dich kaufe. Und du gibst ihn mir, wann und wie es dir paßt. Wie sollte ich da nicht unökonomisch sein?«
»Na ja, natürlich, wenn man's so ansieht –«
»Ich kann nicht überall einkaufen, ich kann keine großen Vorräte anschaffen, ich muß meistens bei den Läden bleiben, wo ich ein Konto habe, ich kann keine Pläne machen, weil ich nicht weiß, mit wieviel Geld ich rechnen kann. Das habe ich deinen reizenden Sentimentalitäten mit dem generösen Geldhergeben zu verdanken. Du machst mich –«
»Langsam! Langsam! Du weißt, daß du übertreibst. Die ganze Mätressengeschichte ist dir erst in dieser Minute eingefallen. Selbstverständlich hast du nie ›lächelnd auf Geld gehofft‹. Aber trotzdem hast du vielleicht recht. Du sollst den Haushalt wie ein Geschäft führen. Morgen werd' ich mir die ganze Sache ausrechnen, und dann wirst du eine regelmäßige Summe oder Beteiligung haben, mit deinem eigenen Bankkonto.«
»Oh, das ist aber wirklich anständig von dir!« Sie drehte sich zu ihm um, wollte zärtlich sein. Aber seine Augen waren zusammengekniffen und unfreundlich im flackernden Lichtschein des Streichholzes, mit dem er seine ausgegangene, übelriechende Zigarre wieder anzündete. Er ließ sich wieder ins Kissen fallen.
Nach einer Weile krächzte er:
»Nein. Es ist gar nicht besonders anständig. Es ist nichts weiter wie gerecht. Und Gott weiß, daß ich gerecht sein will. Aber ich erwarte auch von anderen, daß sie gerecht sind. Und du bist so erhaben und großmächtig mit den Leuten. Nimm mal Sam Clark; die beste Menschenseele, die's gibt. Ehrlich und treu; ein verdammt guter Kerl –«
»Ja, und ein guter Entenschütze, vergiß das nicht!«
»Schön, und ein guter Entenschütze ist er auch! Sam kommt am Abend rüber und setzt sich her, und weiß Gott, bloß weil er kalt raucht und die Zigarre im Mund rumschiebt und vielleicht ein paarmal ausspuckt, siehst du ihn an, als ob er ein Schwein wäre. Und willst du wissen, warum sich Sam seine Zigarre nicht anzündet, wenn er hier ist? Er hat lausig Angst, daß du beleidigt bist, wenn er raucht. Statt daß er seine Beine auf 'nen anderen Stuhl legt und sich die Weste aufknöpft und mir 'ne gute Geschichte erzählt oder mich vielleicht mit irgendwas aufzieht, sitzt er ganz vorn auf seinem Sessel und versucht Konversation über Politik zu machen und flucht nicht einmal. Und Sam fühlt sich nie richtig wohl, wenn er nicht ein bißchen fluchen kann!«
»Mit anderen Worten, er fühlt sich nicht wohl, wenn er sich nicht benehmen kann wie ein Bauer in einer Dreckkate!«
»Jetzt hab' ich aber genug davon!«
Wütend drehte er ihr den Rücken zu. Dann brummte er weiter:
»Aber du brauchst dich gar nicht aufzuregen; mit der Zeit wird's dir schon gelingen, mich mit allen Freunden und allen Patienten, die ich hab', auseinanderzubringen.«
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Sie sagte kühl: »Vielen Dank, daß du mir deine wahre Meinung über mich sagst. Wenn du so denkst, wenn ich so ein Hindernis für dich bin, kann ich keine Minute länger unter diesem Dach bleiben. Und ich bin auch sehr wohl imstande, mir selbst mein Brot zu verdienen. Ich will sofort gehen, und du kannst eine Scheidung haben, ganz wie du willst! Du brauchst nichts anderes, als eine nette, süße Kuh von Frau, der es Freude macht, wenn deine lieben Freunde vom Wetter reden und auf den Fußboden spucken!«
»Papperlapapp! Sei keine dumme Gans! Das –«
»Du wirst sehr bald merken, ob ich eine dumme Gans bin oder nicht!«
»– ist kein Theaterstück; es ist eine ernste Bemühung, sich über fundamentale Dinge zu einigen. Wir sind beide verrückt gewesen und haben eine ganze Menge Dinge gesagt, die wir gar nicht gemeint haben. Ich würd' es auch sehr schön finden, wenn wir zwei erhabene Dichter wären und nur über Rosen und Mondschein reden könnten, aber wir sind ganz gewöhnliche Menschen. Gut. Hören wir auf, uns Gemeinheiten an den Kopf zu werfen. Geben wir zu, daß wir beide Dummheiten machen. Sieh mal: du weißt, daß du dir überlegen vorkommst bei den Leuten. Du bist nicht so schlecht, wie ich sage – aber du bist auch nicht so gut wie du sagst. Lange nicht! Warum bist du denn so überlegen? Warum kannst du die Leute nicht nehmen wie sie sind?«
Von ihren Vorbereitungen zum Verlassen des Puppenhauses war noch nichts zu sehen. Sie überlegte:
»Vielleicht liegt es an meiner Kindheit.«
Sie machte eine Pause. Als sie weitersprach, hatte ihre Stimme einen künstlichen Ton, ihre Worte hörten sich an wie sentimentale Betrachtungen aus einem Buch. »Mein Vater war der zärtlichste Mensch der Welt, aber gewöhnlichen Leuten gegenüber ist er sich überlegen vorgekommen. Ja, er war es auch! Und das Minnesota-Tal – ich pflegte dort immer viele Stunden auf den Felsen über Mankato, zu sitzen, das Kinn in der Hand, und blickte ins Tal hinunter, wollte Gedichte schreiben. Die schimmernden Dächer unter mir, der Fluß, und hinter dem anderen Ufer die ebenen Felder und Wiesen im Nebel und der Kranz der Basaltklippen drüben – Das alles hielt meine Gedanken fest. In diesem Tal lebte ich. Aber die Prärie – meine Gedanken verfliegen in dem großen Raum. Meinst du, es könnte vielleicht das sein?«
»Hm, na ja, vielleicht, aber – das ist alles recht schön und gut – Aber pass' mal auf: ich will genug Geld sparen, damit wir beide einmal unabhängig sind und ich nicht arbeiten muß, wenn ich keine Lust dazu hab' – und wenn wir reisen und dein Tormina sehen wollen, oder was es ist, ja, dann werden wir's eben tun können, wenn wir genug Geld in der Tasche haben – Du machst dir nie Gedanken drüber, was werden soll, wenn einer von uns krank wird und wir nicht ein schönes Stück Geld gespart haben!«
»Das bilde ich mir auch gar nicht ein.«
»Na eben, deshalb muß ich's für dich tun. Und wenn du nur einen Augenblick lang glaubst, daß ich mein ganzes Leben in diesem Nest verbringen will und mir keine Gelegenheit zum Reisen und zum Anschauen von allem möglichen und so wünsche, dann verstehst du mich eben nicht. Nur, ich bin praktisch dabei. Zuerst muß ich das Geld verdienen – ich leg' alles in gutem, sicheren Landbesitz an. Begreifst du jetzt, wie's ist?«
»Ja.«
»Willst du probieren, ob du mich für ein bißchen mehr halten kannst als einen ganz gemeinen Dollarjäger?«
»Ach, mein Lieber, ich bin sehr ungerecht gewesen! Es ist wirklich schwer, mit mir auszukommen. Und die Dillons werde ich nicht mehr besuchen! Und wenn Doktor Dillon für Westlake und McGanum arbeitet, ist er mir abscheulich!«