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Zwölftes Kapitel

1

An einem Novemberabend, als Kennicott unterwegs war, wollte sie, mehr von Höflichkeit als von einem Wunsch getrieben, die Perrys wieder besuchen. Sie waren nicht zu Hause.

Wie ein Kind, das niemand zum Spielen hat, streifte sie durch den dunklen Korridor. Unter einer Bürotür sah sie einen Lichtstreifen. Sie klopfte. Als jemand öffnete, murmelte sie: »Wissen Sie vielleicht, wo die Perrys sind?« Sie merkte, daß es Guy Pollock war.

»Es tut mir sehr leid, Frau Kennicott, aber ich weiß es nicht. Wollen Sie nicht hereinkommen und bei mir warten?«

»A–aber –« stammelte sie, während sie daran dachte, daß es in Gopher Prairie nicht anständig sei, einen Herrn zu besuchen; während sie beschloß, nein, sie werde bestimmt nicht eintreten; und während sie hineinging, sagte sie:

»Ich wußte gar nicht, daß Sie Ihr Büro hier haben.«

»Ja, Büro, Stadthotel und Landschlößchen in der Picardie. Aber das Schloß und das Stadthotel können Sie jetzt nicht sehen. Die sind beide hinter der Tür dort. Sie bestehen aus einem Feldbett, einem Waschtisch, meinem zweiten Anzug und der blauen Krawatte, die Ihnen so gut gefallen hat.«

»Sie wissen noch, daß ich das gesagt habe?«

»Natürlich. Ich werd's auch immer wissen. Bitte, versuchen Sie's mit diesem Stuhl.«

Sie sah sich in dem unfreundlichen Büro um – ein armseliger Ofen, Regale mit Gesetzbüchern, ein Schreibtischsessel voller Zeitungen, die vom vielen Sitzen ganz zerfetzt und grau geworden waren. Nur zwei Dinge waren da, die von Guy Pollock sprachen. Auf dem grünen Filz des Schreibtisches stand zwischen Formularen und einem schmutzigen Tintenfaß eine Cloisonnévase. Auf einem Hängeregal stand eine Reihe Bücher, die für Gopher Prairie ungewöhnlich waren: Lyrik in Liebhaberausgaben, schwarz und rot gebundene deutsche Romane, ein Charles Lamb in gepreßtem Saffian.

Guy setzte sich nicht. Er lief im Büro umher wie ein Windspiel auf der Spur; ein Windspiel mit vorne auf der schmalen Nase sitzenden Augengläsern und einem seidigen, kleinen braunen Schnurrbart. Er hatte eine wollene Golfjacke an, die an den Ärmeln abgewetzt war. Es fiel ihr auf, daß er sich deshalb nicht entschuldigte, wie Kennicott es getan haben würde.

Er machte Konversation: »Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie mit den Perrys so intim befreundet sind. Champ ist das Salz der Erde, aber ich weiß nicht, ich kann mir nicht vorstellen, wie er sich mit Ihnen über symbolische Tänze oder Verbesserungen des Dieselmotors unterhält.«

»Nein. Er ist eine gute Haut, Gott segne ihn, aber er gehört ins Nationalmuseum neben General Grants Degen, und ich bin – ach, ich glaube, ich suche ein Evangelium, das Gopher Prairie bekehren kann.«

»Wirklich? Zu was bekehren?«

»Zu irgend etwas Ausgesprochenem. Ernsthaftigkeit oder Leichtfertigkeit, oder beides. Es wäre mir ganz egal, ob es ein Laboratorium wäre oder ein Fasching. Aber es ist nichts weiter als sicher. Sagen Sie mir, Herr Pollock, was stimmt mit Gopher Prairie nicht?«

»Stimmt mit Gopher Prairie etwas nicht? Oder stimmt vielleicht mit Ihnen und mit mir etwas nicht? (Darf ich um die Ehre bitten, feststellen zu dürfen, daß mit uns beiden etwas nicht stimmt?)«

»(Ja, danke.) Nein, ich glaube, es liegt an der Stadt.«

»Weil den Leuten das Eislaufen mehr Spaß macht als Biologie?«

»Aber ich interessiere mich nicht nur mehr für Biologie, als die Lustige Siebzehn, sondern auch fürs Eislaufen! Ich würde ebenso gern mit den Leuten eislaufen oder rodeln oder Schneeball werfen, wie ich mich mit Ihnen unterhalte.«

(»O nein!«)

»(Ja!) Aber sie wollen zu Hause bleiben und sticken.«

»Vielleicht. Ich will die Stadt nicht verteidigen. Es ist bloß – Ich bin ein überzeugter Zweifler an mir selbst. (Wahrscheinlich bilde ich mir etwas darauf ein, daß ich nicht eingebildet bin.) Aber, Gopher Prairie ist nicht so besonders schlecht. Es ist wie alle Dörfer in allen Ländern. Die meisten Orte, die den Duft der Erde verloren, aber den Duft von Patschuli – oder von Fabrikrauch – noch nicht erworben haben, sind ebenso argwöhnisch und selbstgerecht. Manchmal mache ich mir Gedanken darüber, ob die Kleinstadt, mit einigen netten Ausnahmen, nicht ein sozialer Blinddarm ist? Eines Tages werden diese langweiligen Marktflecken vielleicht ebenso veraltet sein wie Klöster. Ich kann mir vorstellen, daß der Farmer und sein Lagerverwalter am Ende des Tages mit der Einschienenbahn in eine Stadt fahren, die viel reizvoller ist als irgendeine der Utopien von William Morris – Musik, eine Universität, Klubs für Nichtstuer wie mich. (Herrgott, wie gern hätte ich einen richtigen Klub!)«

Sie fragte impulsiv: »Warum leben Sie hier?«

»Ich habe die Dorfvergiftung.«

»Das klingt gefährlich.«

»Das ist es auch. Viel gefährlicher als der Krebs, den ich bestimmt mit fünfzig Jahren haben werde, wenn ich mit diesem Rauchen nicht aufhöre. Der Dorfbazillus ist der Krankheitserreger, der – er hat außerordentliche Ähnlichkeit mit dem Hakenwurm – er fällt ehrgeizige Leute an, die zu lange in der Provinz leben. Sie können ihn epidemisch finden bei Rechtsanwälten, Ärzten, Geistlichen und bei Kaufleuten mit College-Erziehung – bei allen Leuten, die einen Blick in die denkende und lachende Welt geworfen haben, aber in ihren Sumpf zurückgekehrt sind. Ich bin ein vollkommenes Beispiel dafür. Aber ich will Sie nicht mit meinen Schmerzen anöden.«

»Sie werden mich auch gar nicht anöden, und setzen Sie sich, damit ich Sie sehen kann.«

Er ließ sich in den knarrenden Schreibtischstuhl fallen. Er blickte sie offen an; sie sah die Pupillen seiner Augen; sah, daß er ein Mann war, und allein. Sie waren verlegen. Sie blickten angestrengt zur Seite und waren erleichtert, als er fortfuhr:

»Die Diagnose meiner Dorfvergiftung ist einfach genug. Ich bin in einem Ohioflecken geboren, der ungefähr ebenso groß ist wie Gopher Prairie, aber noch viel unfreundlicher. Er hatte mehr Generationen hinter sich, um eine Oligarchie der Wohlanständigkeit zu bilden. Hier wird ein Fremder aufgenommen, wenn er korrekt ist, wenn er das Jagen, das Automobilfahren und Gott und unseren Senator liebt. Dort haben wir unsere eigenen Leute nicht einmal aufgenommen, bis wir uns voller Hochmut an sie gewöhnt hatten. Es war eine Ohiostadt mit roten Ziegelhäusern, unter seinen Bäumen war es dunstig, und es roch nach verfaulten Äpfeln. Das Land war nicht wie unsere Seen und die Prärie hier, es gab nur kleine Maisfelder, Ziegeleien und schmutzige Ölquellen.

Ich kam in ein Sekten-College und lernte, daß Gott, seitdem er die Bibel diktiert und ein vollkommenes Geschlecht von Geistlichen zu ihrer Erklärung angestellt hat, fast ausschließlich damit beschäftigt war, herumzuschleichen und uns zu erwischen, wenn wir ihr nicht gehorchten. Vom College kam ich nach New York an die juristische Fakultät der Columbia-Universität. Und dann habe ich vier Jahre gelebt! Oh, ich will nicht von New York schwärmen. Es war schmutzig und lärmend und atemlos und scheußlich teuer. Aber verglichen mit der vermoderten Akademie, in der man mich erstickt hatte –! Zweimal in der Woche bin ich zu Sinfoniekonzerten gegangen, ich habe Irving und Terry und die Duse und die Bernhard gesehen, von der obersten Galerie aus. Ich bin im Gramercy Park spazierengegangen, und ich habe gelesen, ach, alles.

Durch einen Vetter hörte ich, daß Julius Flickerbaugh krank war und einen Teilhaber suchte. Ich kam her, Julius wurde wieder gesund. Meine Art, fünf Stunden zu verbummeln und dann meine Arbeit (wirklich nicht so schlecht) in einer zu machen, gefiel ihm nicht. Wir trennten uns.

Zuerst, als ich herkam, schwor ich mir, ›meine Interessen nicht aufzugeben‹. Das war sehr hochmütig! Ich las Browning und fuhr nach Minneapolis ins Theater. Ich dachte, ›ich gäbe nichts auf‹. Aber ich glaube, der Dorfbazillus hatte mich schon. Auf je ein Gedicht, das ich las, kamen vier Nummern billiger Unterhaltungsmagazine. Ich verschob die Ausflüge nach Minneapolis, bis ich wegen einer Menge juristischer Angelegenheiten ganz einfach hin mußte.

Vor ein paar Jahren redete ich mit einem Patentanwalt aus Chicago, und da merkte ich, daß – Ich war mir Leuten gegenüber wie Julius Flickerbaugh immer so überlegen vorgekommen, aber ich sah, daß ich ebenso provinziell und zurückgeblieben war wie Julius. (Viel schlimmer noch! Julius arbeitet sich treu und bieder durch literarische Zeitschriften, während ich immer wieder in einem Buch von Charles Flandreau blättere, das ich schon auswendig kann.)

Ich beschloß, von hier wegzuziehen. Es war ein sehr ernsthafter Entschluß. Ich wollte die Welt erobern. Dann merkte ich, daß mich der Dorfbazillus ganz hatte. Ich wollte nichts von neuen Straßen und jüngeren Männern wissen, von wirklicher Konkurrenz. Es war so bequem, weiter Zessionen zu machen und lächerliche Läpperprozesse zu führen. Also – Das ist die ganze Biographie eines lebenden Leichnams, bis auf das amüsante letzte Kapitel, die Lügen, was für ein ›Turm der Stärke und des juristischen Wissens‹ ich gewesen sei, die eines Tages ein Geistlicher über meiner mageren, vertrockneten Leiche herunterratschen wird.«

Er blickte auf seinen Schreibtisch, spielte nervös mit der Vase.

Sie konnte nichts dazu sagen. Sie malte sich aus, sie laufe quer durchs Zimmer, um ihm übers Haar zu streicheln. Sie sah, daß sein Mund unter dem weichen Schnurrbart fest war. Sie blieb still sitzen und sagte leise vor sich hin:

»Ich weiß. Der Dorfbazillus. Vielleicht kriegt er mich auch. Eines Tages werde ich – Ach, das ist egal. Wenigstens bringe ich Sie zum Reden! Sonst müssen Sie sich immer höflich mein Geschwätz anhören, aber jetzt sitze ich zu Ihren Füßen.«

»Es wäre sehr nett, wenn Sie wirklich zu meinen Füßen säßen, an einem Kamin.«

»Würden Sie einen Kamin für mich haben wollen?«

»Natürlich! Bitte, schimpfen Sie jetzt nicht mit mir! Lassen Sie den alten Mann faseln. Wie alt sind Sie, Carola?«

»Sechsundzwanzig, Guy.«

»Sechsundzwanzig! Mit sechsundzwanzig bin ich gerade von New York weg. Mit sechsundzwanzig habe ich die Patti singen hören. Und jetzt bin ich siebenundvierzig. Mir kommt's vor, als ob ich noch ein Kind wäre, und doch bin ich alt genug, um Ihr Vater zu sein. Es ist also ganz anständig und väterlich, wenn ich mir vorstelle, daß Sie zu meinen Füßen hocken … Natürlich hoffe ich, daß es das nicht ist, aber wir wollen auf die Moral Gopher Prairies Rücksicht nehmen, indem wir offiziell verkünden, daß es so ist … Diese Maßstäbe, denen Sie und ich uns fügen müssen! Ja, eines stimmt nicht mit Gopher Prairie, wenigstens nicht mit der herrschenden Klasse (und es gibt eine herrschende Klasse, trotz aller unserer Bekenntnisse zur Demokratie). Und das Sühnegeld, das wir Stammesherrscher zahlen, ist, daß unsere Untertanen uns jede Minute beobachten. Wir können uns nicht einen heilsamen Rausch antrinken und ausspannen. Wir müssen ganz korrekt sein in Sittlichkeit und unauffälligen Kleidern, wir dürfen unsere geschäftlichen Gaunereien nur auf traditionelle Weise machen, der keiner von uns genügen kann, und wir werden fürchterliche Heuchler. Unvermeidlich. Der witwenberaubende Armenpfleger der Romane kann nicht anders, er muß ein Heuchler sein. Die Witwen selber verlangen es! Sie bewundern ihn, weil er so salbungsvoll ist. Und sehen Sie mich an. Angenommen, ich würde es wagen, mich in – irgendeine schöne verheiratete Frau zu verlieben. Ich würde es mir selber nicht eingestehen. Ich kichere mit ekelhafter Lüsternheit über der Vie Parisienne, wenn ich eine Nummer in Chicago in die Hand bekomme, aber ich würde es nicht einmal versuchen, Sie bei der Hand zu halten. Ich bin fertig. Es ist die historische angelsächsische Methode, das Leben elend zu machen … Ach, meine Liebe, ich habe seit Jahren mit keinem Menschen über mich gesprochen.«

»Guy! Können wir nicht etwas mit der Stadt tun? Ernsthaft?«

»Nein, nichts!« Er erledigte die Frage wie ein Richter, der einen nicht zur Sache gehörigen Einwurf abweist; er kehrte zu Angelegenheiten zurück, die weniger unbequeme Energie forderten: »Merkwürdig. Die meisten Sorgen sind überflüssig. Wir haben die Natur besiegt, wir können sie dazu bringen, Weizen wachsen zu lassen, wir können Wärme erzeugen, wenn sie Schneestürme schickt. Und so treiben wir ganz einfach zum Vergnügen Unfug. Kriege, Politik, Rassenhaß, Arbeiterzwiste. Hier in Gopher Prairie haben wir die Felder gerodet und sind zivilisiert geworden, deshalb machen wir uns künstlich unglücklich, mit großen Kosten und unter vielen Mühen: die Methodisten können die Anglikaner nicht leiden, der Mann mit dem Hudson-Wagen macht sich über den Mann mit der kleinen Stinkkarre lustig. Und das schlimmste ist der kommerzielle Haß – der Lebensmittelhändler ist überzeugt, daß jeder Mensch, der nicht mit ihm Geschäfte macht, ihn ausraubt. Wirklich weh tut mir aber, daß man das ebenso von Anwälten und Ärzten (und ganz entschieden auch von ihren Frauen) sagen muß wie von den Kaufleuten. Die Ärzte – Sie wissen da ja Bescheid – wie können Ihr Mann und Westlake und Gould einander nicht ausstehen.«

»Nein! Das kann ich nicht zugeben!«

Er grinste.

»Ach, vielleicht hat Will ein oder zweimal, wenn er positiv von einem Fall Kenntnis gehabt hat, in dem Doktor – in dem einer der anderen Ärzte seine Patienten länger besucht hatte, als notwendig war, nur darüber gelacht, aber –«

Er grinste weiter.

»Nein, wirklich nicht! Und wenn Sie sagen, daß die Frauen der Ärzte an diesen Eifersüchteleien teilnehmen – Frau McGanum und ich haben ja nicht gerade viel Verkehr miteinander; sie ist so dumm. Aber ihre Mutter, Frau Westlake – freundlicher kann kein Mensch sein.«

»Ja, ich bin überzeugt, sie ist sehr nett. Aber an Ihrer Stelle, meine Liebe, würde ich ihr auch nicht mein Herz ausschütten. Ich bleibe dabei, daß es nur eine Akademikersgattin in diesem Orte gibt, die nicht intrigiert, und das sind Sie, Sie gesegneter, gläubiger Fremdkörper in der Stadt!«

»Ich will keine Schmeichelei! Ich will nicht glauben, daß die Medizin, das Priestertum der Heilkunde, zu einem pfennigfuchsenden Geschäft gemacht werden kann.«

»Sagen Sie: hat Ihnen Kennicott nie zu verstehen gegeben, Sie sollen zu irgendeiner alten Frau liebenswürdig sein, weil sie ihren Freundinnen sagt, welchen Arzt sie holen sollen? Aber ich hätte nicht –«

Ihr fielen einige Bemerkungen ein, die Kennicott hinsichtlich der Witwe Bogart gemacht hatte. Sie zuckte zusammen und blickte Guy flehentlich an.

Er sprang auf, ging nervös zu ihr und streichelte ihre Hand. Sie überlegte: ob sie wegen dieser Zärtlichkeit beleidigt sein sollte? Dann überlegte sie: ob ihm ihr Hut gefiel, der neue orientalische Turban aus rosa Silberbrokat?

Er ließ ihre Hand fallen. Sein Ellbogen streifte ihre Schulter. Er lief mit gebeugtem Rücken zu seinem Schreibtischstuhl zurück. Dort nahm er die Cloisonné-Vase in die Hand. An dieser vorbei sah er sie aus solcher Einsamkeit an, daß sie erschrak. Aber seine Augen wurden wieder unpersönlich, als er von den Eifersüchteleien Gopher Prairies sprach. Er unterbrach sich mit Schärfe: »Du guter Gott, Carola, Sie sind kein Geschworenengericht. Es ist Ihr gutes Recht, wenn Sie sich dieses Resümieren verbieten. Ich bin ein langweiliger alter Narr, der das Selbstverständliche analysiert, während Sie der Geist der Rebellion sind. Erzählen Sie mir von sich. Was ist Ihnen Gopher Prairie?«

»Etwas Widerwärtiges!«

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Wie denn?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht nur durch Zuhören. Das hab' ich heute abend nicht getan. Aber gewöhnlich – Kann ich nicht der Vertraute aus den alten französischen Stücken sein, die Zofe mit dem Spiegel und den treuen Ohren?«

»Ach, was gibt es denn schon anzuvertrauen? Die Leute riechen und schmecken nach nichts und sind stolz darauf. Und selbst wenn ich Sie schrecklich gern hätte, könnte ich nicht mit Ihnen reden, ohne daß zwanzig alte Hexen zuschauen und zischeln.«

»Aber Sie werden ab und zu einmal herkommen und sich mit mir unterhalten?«

»Das weiß ich noch gar nicht sicher. Ich bemühe mich, meine eigene ziemlich große Anlage zur Dummheit und Zufriedenheit weiterzuentwickeln. Alles Positive, was ich versucht habe, ist mir mißlungen. Ich sollte mich lieber ›eingewöhnen‹, wie es hier heißt, und mich damit zufrieden geben – nichts zu sein.«

»Werden Sie nicht zynisch. An Ihnen tut mir das weh. Das ist wie Blut auf dem Flügel eines Kolibri.«

»Ich bin kein Kolibri. Ich bin ein Falke; ein sehr kleiner, gefesselter Falke, von diesen großen weißen, wabbligen, kriechenden Hennen zu Tod gebissen. Aber ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie mich ein wenig gestärkt haben. Jetzt geh' ich nach Hause!«

»Bitte, bleiben Sie noch und trinken Sie Kaffee mit mir.«

»Ich würd' es gern tun. Aber es ist den Weibern schon gelungen, mich zu terrorisieren. Ich habe Angst davor, was die Leute sagen könnten.«

»Davor hab' ich keine Angst. Ich hätte nur Angst davor, was Sie sagen könnten.« Er ging schwerfällig zu ihr, nahm ihre leblose Hand. »Carola! Sind Sie heute abend hier glücklich gewesen? (Ja, ich möcht' es so gern!)«

Sie drückte rasch seine Hand, dann machte sie sich frei. Sie hatte nur wenig von der Neugier des Flirtens und gar nichts von der Intrigantenfreude an der Heimlichkeit. War sie das naive Mädchen, so war Guy Pollock der plumpe Junge. Er rannte im Büro umher; er bohrte die Fäuste in die Taschen. Er stammelte: »Ich – ich – ich – Ach, Teufel! Warum wache ich aus meiner Verstaubtheit dazu auf? Ich werde – Ich geh' hinaus und hol' die Dillons, und dann trinken wir alle Kaffee oder machen sonst etwas.«

»Die Dillons?«

»Ja. Wirklich ein recht anständiges junges Paar – Harvey Dillon und seine Frau. Er ist Zahnarzt, erst seit kurzem in der Stadt. Sie wohnen in einem Zimmer hinter seinem Arbeitsraum, so wie ich hier. Sie kennen fast keinen Menschen –«

»Ich hab' schon von ihnen gehört. Und nie hab' ich an einen Besuch gedacht. Ich schäme mich schrecklich. Holen Sie sie.«

Sie brach ab, aus keinem sehr klaren Grund, aber Ausdruck und Stammeln gestanden den Wunsch ein, sie hätten nie von den Dillons gesprochen. In gemachter Begeisterung sagte er: »Ausgezeichnet, ich hole sie.« Von der Tür warf er noch einen Blick auf sie, sie saß klein in dem abgeschabten Ledersessel. Er glitt hinaus und kam dann mit Doktor und Frau Dillon zurück.

Sie tranken zu viert ziemlich schlechten Kaffee, den Pollock auf einem Petroleumkocher bereitete. Sie lachten, sie sprachen von Minneapolis und waren außerordentlich taktvoll; und Carola ging durch den Novemberwind nach Hause.


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