Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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27. Kapitel.

Annas erste Liebe.

Einige Tage nach Georgs Liebeserklärung saß Anna an ihrem rosenumrankten Fenster und blickte sinnend auf die Fluten, welche in übermütigem Strudel drunten hinabzogen. Die Morgensonne beschien ihr fröhliches Antlitz, und ihre Strahlen blinkten nicht glänzender als die Züge des glücklichen Weibes.

Niemand wußte um ihr Glück, als er und sie. Denn Georg hatte von ihr verlangt, daß sie vorläufig das süße Geheimnis nicht vor den Augen der Welt enthülle. Er gab vor, seine alte Mutter erst langsam auf diese Wendung der Dinge vorbereiten zu müssen, und statt langatmige Briefe zu schreiben, die alte Dame persönlich mit der frohen Botschaft zu überraschen. Noch ein anderer Grund hatte ihn geleitet, und auch diesen hatte er Anna nicht verschwiegen.

Georg hatte ihr erzählt, daß Asta in früheren Zeiten seine Geliebte gewesen sei, und daß er das Verhältnis sofort gelöst habe, als er Anna zum ersten Male gesehen.

Anna runzelte die Stirn, als sie daran dachte, aber schnell verschwand das Zeichen der Eifersucht von ihrem Antlitz.

Hatte sie denn ein Recht auf seine Vergangenheit, da er so großmütig war, die ihrige zu vergessen?

Sie hatte ihm nichts verschwiegen. Er kannte ihr Schicksal, wie dasjenige ihrer Mutter und ihres Bruders. Und trotz alledem hatte er sich nicht beirren lassen und ihr immer wieder die Frage vorgelegt, ob sie sein Weib werden wolle. 203 Ja, jetzt fühlte sie sich stark und mutig. An der Seite des geliebten Mannes wollte sie mit Kraft und Ausdauer der ganzen Welt trotzen, und in der Liebe zu ihm die ganze Glückseligkeit des Daseins empfinden.

Während sie so sann und grübelte, tauchten vor ihrer Seele zwei liebe und teure Gestalten auf, Dubski und Sanders. Sie gedachte der Stunden, wo diese beiden treuen Männer ihr in schwerer Zeit zur Seite gestanden, wo dieselben uneigennützig und selbstlos ihr rettend und helfend beigesprungen waren, und das beruhigende Gefühl, an ihnen zwei wahre und aufrichtige Freunde zu besitzen, goß linderndes Öl auf die bewegten Wellen ihrer Seele.

Ihr Gewissen schlug, wenn sie daran dachte, daß Sanders dort fern in der Heimat auf sie als seine Braut harrte, und daß es eigentlich nicht recht gewesen sei, ihm die Treue zu brechen, wenn sie ihm dieselbe auch nicht durch einen Schwur gelobt hatte.

In der ersten Zeit ihres Aufenthaltes hatte sie regelmäßig mit den Freunden korrespondiert, aber jetzt, nachdem ihre Leidenschaft zum Ausbruch gekommen, waren die Briefe jener unbeantwortet geblieben. Sie betrachtete ihren Mangel an Offenheit als eine Entweihung ihrer Liebe, und so beschloß sie, durch ein aufrichtiges und ehrliches Bekenntnis die Schuld an die Freundschaft abzutragen und ihr übervolles Herz zu erleichtern.

So nahm sie denn die Feder zur Hand und schrieb ihm.

Kaum hatte sie den Brief beendet, sah sie nach der Uhr. Hastig sprang sie auf, denn es war die Zeit, wo sie ihren Georg treffen wollte.

Schnell nahm sie Hut und Schirm und eilte dem Waldesrande zu, wo Berndt sie bereits erwartete.

Sie flog ihm an den Hals, und er erwiderte stürmisch ihre Begrüßung.

204 »Soeben,« begann sie, »habe ich an Sanders geschrieben, daß ich Dich ein ganz klein bißchen lieb habe, Du böser Mann.«

Berndt runzelte die Stirn.

»Du hattest mir doch versprochen, vorläufig noch alles geheim zu halten.«

Anna errötete verlegen und erwiderte dann beschämt:

»Soviel Glück auf einmal kann doch kein Mensch für sich behalten.«

»Schadet auch nichts,« meinte Georg lächelnd, »denn Bartels schließt in drei Tagen und dann sind wir sowieso in Berlin.«

»Und dann,« sagte Anna glückselig, indem sie ihn auf den Mund küßte, »dann brauche ich mich nicht erst im Walde zu verstecken, wenn ich meinen Georg küssen will.« 205

 


 


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