Leo Leipziger
Mascotte
Leo Leipziger

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7. Kapitel.

Mutter Hanke.

Der selige Franz Georg Adalbert Hanke war Briefträger gewesen und hatte nach mehrjähriger fleißiger und treuer Arbeit das Unglück gehabt, auf vierzehn Tage beurlaubt zu werden. Das Pech bestand darin, daß er während dieser Ferienzeit an einem Tanzsonntag in der Lehmkute Fräulein Jette Müller kennen lernte und die traurige Eselei beging, diese junge. Dame zu heiraten.

Jette Müller war Dienstmädchen gewesen und hatte es in den zwei Jahren dieser Tätigkeit fertig gebracht, in ihrem Dienstbuche elf derartige Atteste zu vereinigen, daß ein weiteres Verbleiben in diesem Beruf absolut unmöglich war. Da sie ein hübsches, dralles Ding war, so wurde es ihr nicht schwer, schlecht, wenn auch nicht recht, weiter zu leben, und nachdem sie unzähligen Soldaten und Unteroffizieren die Treue gebrochen, schritt sie, den Myrthenkranz auf dem Haupte, mit Hanke zum Altar.

Der Myrthenkranz ward für ihn zur Dornenkrone, und nachdem die Gattin ihm drei Kinder geschenkt, brachten ihm häuslicher Zwist und das berufliche Treppenlaufen die Schwindsucht an den Hals. Da er sich und die drei Kinder nicht vor den Mißhandlungen der Megäre retten konnte, er ferner auch wußte, daß seine Tage gezählt seien, beschloß der unglückliche Mensch, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Nachdem ihn eines Tages Jette wieder einmal verhauen und ihm nichts zu essen gegeben hatte, schloß er sich in seine 47 Kammer ein und wurde am Abend erhängt vorgefunden. Auf seiner Brust hatte er einen Zettel befestigt, welcher die Worte trug: »Komm' ich auch in die Hölle 'rein, viel schlimmer kann es dort nicht sein!«

Das erste, womit Frau Hanke ihre Trauer begann, war, daß sie vor den gesamten Nachbarn in den gemeinsten Ausdrücken auf den Verstorbenen schimpfte, der sein ganzes Leben ein Nichtstuer gewesen sei und seine Familie so schändlich im Stich gelassen habe. Bei dieser Gelegenheit erreichte sie aber zum ersten Male der Arm der strafenden Gerechtigkeit, indem die empörten Hausgenossen eine so scharfe Lynchjustiz an der Megäre übten, daß der selige Gemahl gewiß seine Freude daran gehabt hätte.

Frau Hanke zog hierauf nach dem feinsten Westen, schaffte sich auf Abzahlung eine herrliche Einrichtung an und vermietete möblierte Zimmer. Bei ihrer Habgier und Brutalität vermochte es jedoch kein anständiger Mensch bei ihr auszuhalten, die Möbel wanderten auf dem Wege der Pfändung wieder in das Abzahlungsgeschäft zurück, und nachdem sie in drei bis vier Wohnungen dasselbe Manöver wiederholt, saß sie an einem schönen Sommerabend plötzlich mit ihren drei Kindern auf der Straße. Mit feuchten Blicken nahm sie von Berlin W. Abschied und beschloß, ihr Geschäft unter billigeren Bedingungen in einem anderen Stadtteil fortzusetzen.

Dieses Vorhaben gelang. In der Mulackstraße fand sie, was sie suchte, die passende Wohnung und die passenden Kunden. Als die beiden ältesten Kinder herangewachsen waren, mußten sie für den Haushalt Geld verdienen, und Frau Hanke kam in ihren Vermögensverhältnissen so weit vorwärts, daß die Schnapsflasche immer wieder gefüllt werden konnte.

48 Zwei Tage nach Annas Verschwinden saß Frau Hanke auf dem Holzschemel und schälte Kartoffeln. Das Messer war ihr jedoch bei der Arbeit aus den Händen gefallen; krampfhaft hielt sie die Schüssel mit den Beinen fest und stierte mit den branntweinverglasten Augen unbeweglich nach einem Winkel am Herd. Die Spuren ehemaliger Schönheit waren gänzlich verwischt. Es wäre unmöglich gewesen, in diesen rohen, vertierten Zügen noch etwas Sympathisches zu entdecken. Sie war dick, aufgeschwemmt, und schmutzig gekleidet. Die Füße steckten in braunen Filzpantinen, und das schwarze Haar hing zerzaust und verworren um den Kopf.

Die Tür wurde aufgerissen und die kleine Emmy schrie ins Zimmer: »Mutter, der Herr Schönlein kommt!«

»Wat schreist De denn so von wejen dem Affen,« schnauzte die Alte sie an. »So verrückt bin ick jar nich nach dem Kerl.«

Knarrende Männertritte ließen sich auf der Stiege vernehmen und gleich darauf trat Schönlein mit einem »Guten Morgen, Frau Hanke« ins Zimmer.

»Ist Anna noch nicht hier?« fragte er hierauf.

»Se woll'n mer woll noch uzen, schöner Max! Da haben Se sich heute jrade den scheensten Tag zu ausgesucht. Wenn man, wie ick, sein jeliebtes Kind verloren hat, denn is man nich ufjelegt, die scheensten Witze von de feinsten Herren zu genießen.« Und dabei wischte sie sich mit der schmutzigen Schürze aus den Augen eine Träne, deren Quelle natürlich auf den bereits genossenen Branntwein zurückzuführen war.

Als Emmy dieses sah, lachte sie laut auf, ein Umstand, welcher der Mutter die volle Besinnung wieder zurückgab. Sie ging wie eine Furie auf die Kleine los, packte sie beim Kragen und warf sie mit Gewalt die Treppe hinunter. Der Lärm und das Geschrei hatte natürlich eine Alarmierung der Hausbewohner zur Folge, und eine heisere Weiberstimme 49 rief kreischend herauf: »Na, Olle, heit wird woll wieder mit de Kinder Kejel jeschoben?«

Frau Hanke antwortete mit einem deutlichen Fluch, schmetterte die Türe wieder zu, und indem sie die Arme in die Hüften stemmte, trat sie dicht vor Schönlein hin: »Na, wat is denn nu mit de Anna?«

»Es ist alles in bester Ordnung. Die Blümel hat alles oben erfahren und Anna wird gleich hier sein. Der schwarze Kerl, mit dem sie ausgerückt ist, hat nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich mit dem Mädchen zu Dressel zu begeben, und hat dort alles anfahren lassen, was gut und teuer ist. Wie sie nun beim besten Essen sind, da kommt das Unglück mitten in den schönsten Champagner rein. Der Portier mit der goldenen Mütze tritt ins Zimmer und bittet den Herrn, auf einen Moment herauszukommen. Fünf Minuten später meldet er sich noch einmal und bittet die gnädige Frau, auf einen Moment herauszukommen. Aus den zweien waren aber vor der Türe vier geworden, denn die anderen beiden waren zwei Kriminalschutzleute, welche den durchgegangenen Kassierer schon lange gesucht hatten. Dann sind alle vier sehr fein erster Klasse nach dem Alexanderplatz gefahren und haben Anna auch dabehalten, weil sie Angst hatten, daß die kühle Nachtluft so einem feinen jungen Mädchen schaden könnte. Erst wollten sie ihr wegen Hehlerei an den Kragen, dann haben sie aber eingesehen, daß das Mädchen dazu noch viel zu dumm ist, und vor einer Stunde ist sie in Freiheit gesetzt worden.«

»Na, und wat wird nu werden?« erwiderte die praktische Alte, welche an derartige Vorgänge viel zu sehr gewöhnt war, um sie tragisch zu nehmen. Schönlein drehte verlegen seinen Hut.

»Ich muß Ihnen offen sagen, Frau Hanke, daß ich es nach diesen Vorfällen leider nicht mit meiner Ehre für vereinbar 50 halten kann, jetzt noch Anna, wie ich es einst beabsichtigte, zu heiraten.«

Die Alte brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Jungeken, mach' doch mit mir keene Zicken. Du Anna nich heiraten, nee, da is ja't Ende weg.«

In diesem Augenblick trat Anna, höchst elegant gekleidet, aber mit etwas abgespannten und übernächtigen Zügen, ins Zimmer.

»Du, Anna, er kann Dir nich mehr heiraten –«

Die Alte setzte sich und lachte krampfhaft weiter. Anna stimmte aus vollem Herzen mit ein, und Schönlein stand verdutzt und verlegen da. Nachdem Frau Hanke wieder einigermaßen zu sich gekommen war, griff sie, um sich zu stärken, zur Schnapsflasche; dann versetzte sie dem Pfropfen einen ordentlichen Schlag und wandte sich an Schönlein: »Na, scheener Max, wat soll denn nu die Kleene anfangen? Von wejen de Richtigkeet mißten Sie for de neechsten drei Monate doch wat for ihr dun. Aber ick weeß ja, von wejen de Einkünfte is jetzt nischt los, un Mutter, wat ick bin, will ooch leben. Na, Kinder, nu jebt Eich 'n Kuß, un denn, Mäxchen, ziehste schleunigst Leine un machst, daß de umjehend verschwindest. Von wejen det Heiraten brauchst De Dir keene Sorjen zu machen. Wenn ick mit de Ausstattung fertig bin, wer ick Dir schon schreiben.«

Und damit öffnete sie die Tür und knirschend, ohne sich umzublicken, verließ Schönlein das Zimmer.

»Also, Döchterken, wat woll'n wer nu dun? Mit de Streichhölzer wirste woll in die feine Kluft keen Jeschäft mehr machen!!«

»Na, Mutter, wenn't nach mir jinge, da hätt' ick eenen jroßen Wunsch. Ick mechte zu jerne danzen jehn!«

»Na warum sollst De denn nich, mein Kind,« fiel ihr die Alte ins Wort, und dabei blitzten ihre habgierigen Augen. 51 »Jung bist De, scheen bist De, warum sollst De Dir nich amüsieren? Wenn De erst mit die feinen Herrn sprechen wirst, die noch ville feiner sind, wie der Schönlein, denn kannst De erst wissen dun, wat in de Welt los is, un wenn De erst reich bist un bist berihmt, da biste ooch klug un hast ville Jeist. Wenn's Dir schlecht jeht, denn kannste bei Deine brave olle Mutter unterkriechen, un wenn's Dir jut jeht, wirste mir doch ooch nich verjessen.«

»Nee, nee, Mutter, darauf kannst Du Dich verlassen. Nu adje, ick will zur schwarzen Cläre, die will mir heute in ein feines Lokal einführen.«

Die Alte umarmte Anna, welche diese Liebkosung erwiderte. Sie warf noch einen Blick auf die Luke, in welcher sie so manche trübe Stunde erduldet, und ging langsam die Treppe hinunter, während die Alte ihr nachrief: »Denk' an Deine olle, brave Mutter!«

Auf der Straße angekommen, fand sie ihre kleine Schwester weinend vor der Türe stehen. Emmy klammerte sich an ihren Rock und schluchzte laut: »Liebe Anna, nimm mir doch mit!«

Anna beugte sich nieder, küßte das Schwesterchen auf Mund und Wange und flüsterte ihr zu: »Sei hübsch artig, dann komm' ich bald wieder und hole Dich!«

Sie sandte noch einen haßerfüllten Blick auf das Haus und schritt dann, unbekümmert um die frechen Redensarten, welche von allen Seiten und aus allen Fenstern auf sie herniederprasselten, der Wohnung ihrer Freundin zu. 52

 


 


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