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Nach Berlin zurückgekehrt, hatte Anna vollauf zu tun, um sich in die neuen Lebensverhältnisse hineinzufinden.
Sie bezog eine bescheidene möblierte Wohnung von zwei Zimmern, welche im dritten Stocke eines Hauses in der Brückenstraße und in der Nähe des Theaters lag.
Von ihrer Monatsgage, welche sechshundert Mark betrug, schickte sie pünktlich jeden Ersten zweihundert Mark an Emmys Pensionsvorsteherin, und es wurde ihr nicht immer leicht, den nötigen Toilettenaufwand und ihr Leben von dem Reste zu bestreiten.
Stolz lehnte sie jede pekuniäre Hilfe ab, welche Dubski ihr anbot, und nahm nur die Einladungen zu den Abendmahlzeiten an, welche sie oft nach Theaterschluß mit dem alten Freunde und Sanders vereinigten.
Mit rastlosem Fleiße arbeitete sie an ihrer künstlerischen Vervollkommnung weiter, sie studierte die neuen Rollen unter der Leitung Sanders', und ihr Name fing an, in der deutschen Theaterwelt bekannt und geachtet zu werden.
Mit den Sportsmen, welche sie von früherer Zeit der kannte, hatte sie jede Fühlung aufgegeben, alle Souper-Einladungen refüsiert und dringende Anerbieten, welche in Gestalt von Schmuckgegenständen zu ihr gelangt waren, einfach zurückgeschickt.
Sanders' Leidenschaft für Anna war in stetem Zunehmen begriffen.
177 Statt seine Schauspielergesellschaft zusammenzustellen und die übliche Tournee zu unternehmen, war er untätig in Berlin geblieben, weil er sich dem Zauber der schönen blauen Augen nicht entziehen konnte. Oft klagte er Dubski sein Leid, wenn die beiden Anna nach Hause gebracht hatten, und stundenlang konnte er dann noch mit dem Freunde im Café sitzen und ihm lange Reden über Annas körperliche und geistige Vorzüge halten.
Als er wieder einmal seine Panegyrika hielt, platzte Dubski die Geduld und er beschloß, ihm endlich die Wahrheit zu sagen.
»Was nützen Ihnen, mein Lieber,« begann er, »die zarten Flötentöne der Liebe, welche Sie mir immer in beredter Weise zuflüstern. Sie kennen doch jetzt Annas Charakter viel zu gut, um nicht zu wissen, daß sie fest entschlossen ist, jeden Fehltritt in Zukunft zu vermeiden. Sie verläppern Ihre Zeit und werden auf diese Weise bald mit Ihren Ersparnissen fertig sein. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, wenn ich die Vermutung ausspreche, daß Anna Ihnen nicht die Herzensneigung entgegenbringt, welche Sie für unsere Freundin empfinden. Es kann Sie dies um so weniger beleidigen, als wir ja beide wissen, daß ihr Herz bisher ein Buch mit sieben Siegeln geblieben ist. Vorläufig ist noch kein einziges davon gelockert, und Ihr Liebeswerben erscheint mir daher äußerst zwecklos.«
»Aber ich will ja Anna heiraten,« platzte Sanders heraus.
»Hei–ra–ten!« erwiderte Dubski, indem er den Freund wie ein Meerungeheuer mit offenem Munde anstarrte. »Hei–ra–ten?! Ja, das ist ja ganz etwas anderes. Für einen so anständigen Menschen habe ich Sie ja gar nicht gehalten! Haben Sie sich die Sache auch überlegt?! Oder wollen Sie sich über mich lustig machen?!!«
178 »Durchaus nicht. Es ist mir heiliger Ernst. Sehen Sie, ich bin Theaterdirektor, noch dazu herumziehender, und habe schon dadurch mit der sogenannten Gesellschaft nichts zu tun. Anna ist für mich das Ideal des Weibes und der Künstlerin. Mein Geschäft blüht, und ich kann ihr eine gesicherte Existenz bieten. Unsereins ist daran gewöhnt, im Punkte der Liebe andere Anschauungen zu haben als der wackere Spießbürger, der an dem traulichen, behaglichen Ofen des Philistertums sitzt. Wie viele Pärchen habe ich nicht schon in meinem Personal gehabt, deren bessere Hälfte vor der Ehe ein paar dumme Streiche zu verzeichnen gehabt hat. Und doch sind sie nachher aufopfernde Ehefrauen und gute Mütter geworden.
Ibsen und die Franzosen predigen ja heutzutage den Leuten allabendlich durch uns, daß Moral, Familie, Ehe nur relative Begriffe sind, und mir dröhnt immer der Krach in die Ohren, mit welchem die mißverstandene Nora die Tür zuwirft und mit Verleugnung jeder Mutterliebe nicht nur den kleinlichen und engherzigen Gatten, sondern auch ihre schuldlosen Kinder verläßt. Ich bin auf die Vergangenheit nicht eifersüchtig, weil Anna weder Wahrendorff noch Sie geliebt hat. Und wenn sie meine Herzensneigung auch nur ein wenig erwidert, so bin ich überglücklich, in ihr die Gefährtin gefunden zu haben, welche ich so lange vergebens gesucht.«
»Sehr richtig und edel gedacht,« erwiderte Dubski. »Wenn ein Mann der sogenannten Gesellschaft diesen Schritt tut, so bedarf es einer großen Leidenschaft oder einer großen Charakterlosigkeit, um sich über das unangenehme Gefühl hinwegzusetzen, auf der Straße und im Theater denjenigen zu begegnen, welche früher ohne staatliche Genehmigung das Vergnügen genossen haben, zu welchem der Ehemann die standesamtliche Sanktion erhalten hat.
179 Bekanntlich ist die Diskretion nicht gerade die Tugend der Männer, besonders nicht der Ehemänner.
Es macht ihnen ein ausnehmendes Vergnügen, der angetrauten Gemahlin die Damen zu zeigen, mit denen sie früher in unerlaubtem Verkehr gestanden haben, und wenn diese noch dazu hübsch und sogar verheiratet ist, bildet es eine vorzügliche Manier, sich durch dieses Geständnis in den Augen der Gattin als Schwerenöter hinzustellen und den Glorienschein der Unwiderstehlichkeit um das haarlose Haupt zu ziehen. Die Frauen pflegen dann mit dem modern gewordenen Lorgnon die frühere Nebenbuhlerin eingehend zu betrachten, sich über ihre gesetzlich gefestigte Stellung doppelt zu freuen und den Stolz der definitiven Eroberung auf das angenehmste zu empfinden. Das beobachtete Pärchen selbst hat natürlich weniger Freude davon, Gegenstand dieser Blicke zu sein, und ich denke mir, offen gesagt, diese Situation auch etwas unbehaglich. Ich spreche das alles so offen aus, lieber Sanders, weil ich aufrichtige Freundschaft für Sie hege und Ihnen nicht in frivoler Weise zu einem Schritte zureden möchte, den Sie vielleicht später bedauern.«
Sanders lächelte.
»Glauben Sie nur, daß mir das alles auch schon im Kopfe herumgegangen ist. Nur liegt die Sache bei uns insofern anders, als wir ja nur sporadisch in Berlin auftauchen, ferner Anna auf der Bühne steht, und ich selbst von den indiskretesten Blicken nichts sehe, da ich hinter den Kulissen die Regie führe.
Im übrigen ist bekanntlich die Welt ebenso schlecht wie vergeßlich. Und diese beiden Eigenschaften pflegen sich zu kompensieren. Heute sind noch Annas und Wahrendorffs Namen in frischem Gedächtnis. Der arme Teufel ist aber tot, und trägt Anna erst meinen Namen, so wird binnen Jahresfrist aus der Wahrheit eine Legende, welche nur wenige 180 Eingeweihte erzählen; sind dann noch zwölf Monate ins Land geflossen, so bezeichnet bereits die Majorität derselben Gesellschaft die Legende als dreiste Unwahrheit und Verleumdung.
Jedenfalls aber – fügte er ernst hinzu – muß ich ein Ende machen, und zwar je eher, desto besser. Morgen hat Anna bei mir Stunde, und dann will ich sie fragen, ob sie mein Weib werden will.«
»Ich wünsche Ihnen und ihr von Herzen Glück,« meinte Dubski gerührt, »ich gönne ihr, daß ein Mann wie Sie sich ihrer erbarmt, und andererseits glaube ich bestimmt, daß Sie das gesuchte Glück bei ihr finden werden.«
Damit gingen die Freunde nach Haus, und Dubski rief dem Brautwerber beim Verlassen noch ein herzliches »Gut Heil!« zu.
Anna war am anderen Morgen nicht wenig erstaunt, als Sanders mit schwarzem Gehrocke und feierlichem Gesichtsausdruck bei ihr erschien. Sie wollte gerade nach der Ursache dieser Veränderung fragen, als Sanders ihre Hand nahm und sie bat, ihm in einer privaten Angelegenheit einen Augenblick Gehör zu schenken. So nahmen sie denn beide Platz und Sanders begann:
»Mein liebes Fräulein! Sie wissen, daß ich mich, seitdem ich das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft habe, lebhaft für Sie interessiere und Ihnen stets den Beweis geliefert habe, daß Sie an mir einen warmen Freund und aufrichtigen Ratgeber besitzen. Heute ist der Tag gekommen, wo ich Ihnen gestehen muß, daß ich nicht ganz selbstlos gehandelt habe.«
»Das ist schon das erste, was ich nicht glaube,« versetzte Anna lächelnd.
»Doch, doch! Haben Sie nur Geduld, Sie werden sich gleich davon überzeugen.
181 Sie wissen, daß ich Theaterdirektor bin und mir schmeicheln darf, in meiner bescheidenen Wirksamkeit mehr für wahre und edle Kunst getan zu haben, als die meisten der Herren, denen das Gold in den Beutel und die Orden in das Knopfloch geflogen sind. Ich bin also, um es kurz zu machen, hergekommen, um Ihnen ein Engagement anzubieten.«
»Sehr schmeichelhaft, Herr Direktor! Sie wissen, daß ich auf Ihren Rat nur bis zum ersten April mit Behnitz abgeschlossen habe und von da ab frei bin.«
»Schön, Fräulein! Nur möchte ich, ehe ich über die Gagenfrage mit Ihnen verhandle, einen Paragraphen unseres zukünftigen Kontraktes zu Ihrer Kenntnis bringen, von dessen Genehmigung Ihrerseits alles weitere abhängt.«
»Und der wäre?!« fragte Anna neugierig, da ihr das ganze Gebaren Sanders' etwas sonderbar vorkam.
»Sie müssen als Frau Direktorin mitgehen, meine Gnädigste. Mit denselben Machtbefugnissen wie ich, nur noch mit dem besonderen Privilegium, daß Frau Direktor Sanders auch dem Herrn Direktor Sanders unbedingt zu befehlen hat.«
»Ich verstehe Sie wahrhaftig nicht!«
»Nun denn, gerade heraus, werden Sie meine Frau!«
»Pfui, Herr Sanders,« erwiderte Anna, indem sie errötend aufstand. »Ich nehme an, daß Sie Scherz mit mir gemacht haben, denn ich kann im Ernst doch unmöglich glauben, daß ein so ehrlicher Kerl wie Sie mir in so krasser und deutlicher Weise die Proposition machen würde, seine Geliebte zu werden.«
»Aber was fällt Ihnen denn ein, Kind?! Dazu müßten Sie mich denn doch zu genau kennen. Ich schwöre Ihnen, es ist mein heiliger Ernst, ich will Sie kirchlich und standesamtlich heiraten. Mit allem, was drum und dran hängt, mit Aufgebot, Orgelklang und Hochzeitsessen.«
182 »Aber das ist ja gar nicht möglich!« schrie Anna auf, indem die Tränen ihr aus den Augen rollten. »Kann man denn eine Frau, wie mich, heiraten? Kann man jemanden sein Weib nennen, den man nicht achten kann?«
»Ich liebe und achte Sie,« versetzte Sanders einfach und schlicht.
Anna stürzte vor ihm auf die Knie nieder und küßte seine Hand.
»Dank, tausend Dank! Wenn Sie wüßten, welche Wohltat Sie mir durch diese Worte erwiesen haben, welches Glück Sie in meinem Herzen wachgerufen, welche unendliche Dankbarkeit ich für Sie fühle, Sie würden sich sagen, daß Sie die beste Tat Ihres Lebens begangen.
Aber lassen Sie es bei diesem schönen Augenblick, bei diesem süßen Traum bewenden, der ja nimmermehr zur Verwirklichung gelangen kann.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich eine Verworfene, eine Gefallene bin.«
»Die Reinigung ist schon halb vollzogen, und an meiner Hand wird die Läuterung vollendet werden.«
»Meine Mutter sitzt im Zuchthause!«
»Das ist die Schuld des Schicksals, nicht die Ihre!«
»Ich habe an Dubski, an Wahrendorff schlecht und gemein gehandelt!«
»Desto mehr werden Sie sich bemühen, ein gutes, redliches Weib zu werden.«
»Sie werden nach kurzer Zeit bereuen, ein unwürdiges Geschöpf an Ihre Seite gefesselt zu haben.«
»Ich bin nicht mehr jung genug, um einen entscheidenden Schritt fürs Leben ohne Überlegung zu unternehmen.«
»Sie fragen mich nicht einmal, ob ich Sie liebe.«
»Ich weiß, daß Sie mich achten. Die Liebe kann bei Ihnen nur langsam sprießen, und zeigt sich einst, wie ich hoffe, 183 ein Keim, so will ich dafür sorgen, daß er sich zur Blüte entfalte.«
»Hören Sie,« sagte Anna nach einer Pause. »Ihr Entschluß kam für mich so überraschend, daß ich mich erst sammeln muß, um darüber nachzudenken. Noch weiß ich nicht, was ich Ihnen sagen und antworten werde. Nur das eine mögen Sie mir glauben:
Wenn es in einem menschlichen Herzen eine wahre und innige Dankbarkeit gibt, ohne Trug und ohne Falsch, so ist es das Gefühl, welches ich für Ihren edlen Großmut in meinem Herzen hege. Ihnen verdanke ich es, daß ich wieder anfange, an Gott und die Menschen zu glauben. Jetzt fühle ich, daß es eine Verzeihung auf Erden gibt und kein Ort so dunkel und finster ist, wohin nicht ein Sonnenstrahl himmlischer Gnade seinen Weg finden könne.
Und nun lassen Sie mich allein, bester Freund, gehen Sie und kehren Sie morgen wieder.«
Sie ging auf Sanders zu und bot ihm ihre Lippen dar, auf welche er einen leidenschaftlichen Kuß drückte. – – –
Er hatte sie verlassen und Anna war allein.
Traurig saß sie lange Zeit nachdenklich da. Denn der Kuß, den der erste Mann in ihrem Leben mit lauteren und ehrlichen Absichten auf ihre Lippen gedrückt, hatte sie nicht erwärmt. Er war nicht hineingedrungen in ihr Herz und hatte ihr Blut nicht zum Wallen gebracht.
Und doch sehnte sie sich nach jenem Gefühl, von dem alle Dichter, die sie allabendlich interpretierte, so schöne Dinge zu sagen wußten.
»Werde ich niemals lieben?« seufzte sie schmerzlich auf. »Bin ich dazu verdammt, mein ganzes Leben allein zu sein?!« 184