Leo Leipziger
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Leo Leipziger

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10. Kapitel.

Dubski als Erzieher.

Der gute Constantin Dubski hatte Wort gehalten. Fräulein Anna nannte eine kleine, hübsche, aus drei Zimmern und Küche bestehende Gartenwohnung in der Bülowstraße ihr eigen und auf dem blanken Messingschilde über der elektrischen Klingel der Entree Tür prangte, schön graviert, der Name »Ana Hanke«.

Die ehemalige Ballhäuslerin war ihrem Beschützer dankbar und treu. Von irgendwelcher Neigung, welche dem Begriff der Liebe analog gewesen wäre, war bei ihr keine Rede, und sie war offen und wahrhaftig genug, Dubski über diesen Punkt nicht im Zweifel zu lassen.

Dubski dagegen liebte Anna aus vollem Herzen. Er erwies ihr so viele zarte und sinnige Aufmerksamkeiten und war für ihr Wohlergehen in so rührender Weise besorgt, daß alle seine Freunde von der Tiefe seiner Leidenschaft überzeugt waren. Auch Wahrendorff, welcher am längsten der pessimistischen Auffassung, daß es sich hier um eine flüchtige Laune, eine kurze Liaison handle, gehuldigt hatte, gestand seinen Irrtum ein, – aber erst, als er bei einem Zusammensein mit den beiden in etwas frivoler Weise gescherzt hatte und dafür von Dubski mit der Entziehung seiner Freundschaft bedroht worden war.

Annas Wohnungseinrichtung war gemütlich, wenn auch nicht luxuriös. Der Tapezierer hatte die übliche Dekoration geschaffen, war jedoch von der jungen Frau, deren Geschmack 67 sich immer mehr entwickelte, so stark korrigiert worden, daß das Ganze jetzt in der Tat einen überaus lauschigen und anheimelnden Eindruck gewährte.

Die beiden Liebesleute gingen wenig miteinander aus. Durch die früheren Enttäuschungen war Dubski argwöhnisch geworden, und seine eifersüchtige Liebe ließ ihn in jedem verlangenden Blicke irgendeines Mannes eine gewesene oder künftige Untreue seiner Geliebten wittern. Das sicherste Zeichen für die Tiefe seiner Empfindung kam in seiner Eifersucht auf die Vergangenheit zur Geltung. Trotzdem er nach dieser Richtung hin alles wußte und kannte, peinigte ihn doch der Gedanke Tag und Nacht, daß Anna ihm etwas verheimlicht haben könnte, und dann ließ er seine ohnmächtige Wut, das Geschehene nicht ändern zu können, an dem armen Mädchen aus, um sie gleich darauf wieder reumütig um Verzeihung zu bitten. Anna setzte diesen Verzweiflungsausbrüchen immer die sehr einfachen und vernünftigen Fragen entgegen. »Wußtest Du nicht, wer ich war? Bin ich etwa Deine Frau? Kannst Du an meiner Treue zweifeln? Was willst Du denn eigentlich?« Im übrigen hatte sie für die Seelenkämpfe des Verliebten nicht das geringste Verständnis.

Für Anna war Dubskis Klugheit der Anziehungspunkt, welcher sie an ihn fesselte. Sie fühlte von Tag zu Tag mehr, daß sie in geistiger Beziehung stetig Fortschritte machte, sie fing an, seine Lebensauffassung zu verstehen, den Zweck und die Ziele des Daseins zu begreifen. Mit einem wahren Feuereifer widmete sie sich allen möglichen Studien. Dubski ließ ihr deutschen und französischen Unterricht erteilen, sie lernte Geschichte und Geographie, trieb Musik, und es war eine Freude zu sehen, wie dies begabte und kluge Proletarierkind in Monaten das in sich aufnahm, wozu die höheren Töchter langer Jahre bedürfen. Mit einem heiligen 68 Ernst betrieb sie ihre Erziehung. Sie opferte jedes Vergnügen, wenn es in die Zeit der pflichtgemäßen Arbeit fiel, und sie hatte nur zweimal den Wunsch ausgesprochen, an großen Rennen, in welchem Wahrendorff hatte Pferde laufen lassen, teilzunehmen. Die Folgen waren jedoch bei Dubskis argwöhnischem Charakter so unangenehm gewesen, daß sie für die Zukunft auf derartige Amüsements verzichtete.

Wahrendorff war der einzige, der bei ihnen ein- und ausging. Auch dieser blasierte Lebemann fand Gefallen an dem Erwachen und Emporstreben Annas, wenn er sich auch nicht dazu verstehen konnte, die junge Frau völlig ernsthaft zu nehmen. Seine saloppe Art und Weise, mit ihr zu sprechen, kränkte sie in ihrer nimmer rastenden Eitelkeit und stachelte ihren Ehrgeiz. Gerade ihn, dem sie doch im Grunde ihre ganze jetzige Existenz verdankte, wollte sie zu ihren Füßen sehen, und nur der eine Gedanke beherrschte sie, ihn eines Tages in ihre Fesseln zu schlagen. Sie brachte geflissentlich das Gespräch auf ihn und ließ sich von Dubski, welcher, wie dies so oft im Leben vorkommt, bei all seiner Eifersucht dem Freunde gegenüber ohne jeden Argwohn war, alle Erlebnisse und Abenteuer Wahrendorffs schildern.

Sie wußte genau, mit wem er diniert, gespielt und soupiert hatte, ob er verloren oder ob das Glück ihm hold gewesen, welche Schauspielerin er gerade zur Favoritin erhoben und welcher er den Laufpaß gegeben hatte. Sie animierte Dubski, den Freund nicht zu vernachlässigen, um in die intimsten Details seines Lebens eingeweiht zu bleiben. Bei ihren gemeinschaftlichen Zusammenkünften versuchte sie sein Interesse zu erregen, indem sie zutreffende, boshafte und manchmal geistvolle Bemerkungen über seine Umgebung einstreute, und war überglücklich, wenn er sich in eine ernsthafte Diskussion über dies und jenes mit ihr einließ. Es wäre falsch anzunehmen, daß Annas Herz irgend welchen Anteil 69 an diesen Evaskünsten gehabt hätte. Nur die Eitelkeit und der Ehrgeiz waren die beiden Akkorde, welche ihre Seele vibrieren machten, ihren Fleiß und ihre Ausdauer immer aufs neue anspornten und aufstachelten.

Nachdem sie eines Tages wieder einmal in Annas Wohnung soupiert hatten, saßen sie plaudernd und rauchend im Wohnzimmer. Anna, eine Zigarette im Munde, lag in einem Schaukelstuhl zurückgelehnt und wiegte sich mit den winzigen Füßchen. Sie befand sich in der freundlichen Stimmung, welche feurige Weine und liebenswürdige Gesellschaft zu erzeugen pflegen.

»Apropos,« begann Wahrendorff, »wissen Sie, liebe Anna, daß es heute für lange Zeit das letzte Mal ist, daß ich das Vergnügen habe, mit Ihnen zusammen zu sein?!«

»Ja, ja,« lachte Dubski, »ich hab' es Dir noch nicht erzählt, unser lieber Franz geht nach Monte Carlo, und zwar diesmal, wie die bösen Zungen sagen, nicht allein.«

»Wer ist die Glückliche?« fragte Anna mit unbefangenem Lächeln, während sie feuerrot wurde und das Taschentuch krampfhaft in der Hand zerdrückte. »Etwa die bekannte Schauspielerin mit dem stimmungsvollen Vornamen Serafine?«

»Getroffen,« erwiderte lächelnd Wahrendorff. »Denken Sie, seit zehn Jahren gehe ich nach Monte Carlo, und noch nie hat der Schmetterling mit gebundenen Flügeln die Riviera berührt. Aber diesmal bin ich maßlos verliebt, und ich muß es endlich auch meinem so glücklichen Freunde Dubski nachmachen. Ein gewaltiger Stoß für mein Portemonnaie! Ich lasse in Nizza rennen und außer der Bedienung für meine Vollblüter reise ich mit Kammerdiener, Mätresse, deren Mutter und Kammerjungfer. Aus der Höhe dieser Ausgaben mögen Sie auf die Tiefe meines Gefühls schließen.«

70 »So schlimm wird es wohl nicht sein,« meinte Anna, »wenn Sie gleich nach Ihren geliebten Pferden an erster Stelle Ihren Kammerdiener erwähnen.«

»Das verstehst Du nicht, Anna,« unterbrach sie Dubski, »Robert und Brenke sind die besseren Teile von unserem eigenen Ich, und darum ist es nicht mehr wie recht und billig, daß wir als eingefleischte Egoisten ihrer immer zuerst gedenken. Wahrendorff sitzt in Aufregung am Spieltisch – Robert zerbricht sich in dieser Zeit den Kopf, wie es seinem Herrn gehen mag, der Gebieter kommt in den Morgenstunden nach Hause und schläft bis Mittag – Robert bereitet während dieser Zeit alles vor, um den gnädigen Herrn beim Erwachen zufriedenzustellen. Er weist aufdringliche Besuche ab und macht das Programm des Tages mit gewissenhafter Pünktlichkeit. Ich selbst schwelge in den Armen meiner schönen Anna – und Brenke schlägt zu Hause die Hände über dem Kopf zusammen und ruft traurig. ›Was soll aus meinem armen gnädigen Herrn werden?‹«

Bei diesen Worten sprang Anna auf. Sie war bleich geworden und ihre Augen glühten in dämonischem Feuer.

»Also Dein Diener,« zischte sie dem bestürzten Dubski, welcher die Wut Annas nicht begriff, ins Gesicht, »wagt es, mit Dir in solcher Weise über mich zu sprechen und Dich gegen mich aufzuhetzen? Und das nennst Du Liebe?!! Hättest Du mich doch gelassen, wo ich war, dann wäre mir wenigstens diese Erniedrigung vor Deinem Freunde erspart geblieben!«

In diesem Augenblicke sah Anna bezaubernd schön aus. Ihre aufgelösten Haare rollten über den braunen Samt des Schlafrocks herab, welcher ihre wundervollen jugendlichen Formen geschmeidig umgab.

Wahrendorff war perplex. Noch niemals hatte er in Annas Nähe das magnetische Fluidum gespürt, welches den 71 Mann durchrieselt, wenn eine begehrenswerte Sirene ihre verführerische Stimme erschallen läßt. Jetzt zum ersten Male sah er in Anna das Weib. Nicht die keusche Venus, sondern den satanischen Dämon der Wollust. Er betrachtete sie mit lüsternen Augen, und ihn durchdrang die Gier, diese Frau zu besitzen.

Anna triumphierte. Sie hatte wohl das Aufleuchten in seinem Antlitz gesehen und sie wußte aus Erfahrung, was diese Blicke bedeuten.

Alles dies hatte sich in wenigen Sekunden abgespielt, und Wahrendorff war aufgesprungen, um Anna zu begütigen. Er nahm ihre Hand in die seine, legte den Arm um ihren Hals und suchte sie zu beschwichtigen, indem er ihr vorstellte, daß Dubski doch nur in seiner Weise gescherzt habe. Als er jedoch das schlanke Weib in seinen Armen fühlte, versagten ihm die Worte, und er fühlte sich verlegen, als wenn er der Schuldige gewesen wäre.

»Bitte, Fräulein Anna,« flüsterte er ihr ins Ohr, »bitte, verzeihen Sie und sei'n Sie wieder gut.«

»Unter einer Bedingung,« stammelte Anna ebenso leise zurück, indem sie seine Hand fest an sich preßte und ihm die wundersamen Märchenaugen zuwandte.

»Bewilligt, auf Ehrenwort,« erwiderte Wahrendorff. Anna beugte sich zu ihm hinüber, so daß ihr Atem seinen Hals bestrich, und lispelte ihm leise ins Ohr: »Sie reisen allein nach Monte Carlo?!«

Wahrendorff wußte noch immer nicht, was mit ihm geschah, als Anna schon längst gnädig verzeihend Dubski die Hand zum Versöhnungskusse gereicht hatte. Dann bat sie die Herren, sie zu verlassen, da sie sich abgespannt und ermüdet fühle. –

Als die beiden die Straße betraten, fielen die weißen Flocken auf das Pflaster hernieder und tanzten in der kalten 72 Luft der Februarnacht herum, als ob auch bei ihnen Karneval wäre. Wahrendorff und Dubski, in kostbare Pelze gehüllt, schlugen den Weg zur Stadt zu Fuß ein. Je schweigsamer Wahrendorff war, desto mehr plauderte Dubski.

»Sehen Sie, lieber Freund,« begann Dubski, »es gibt nichts Schwierigeres und Lohnenderes in der ärztlichen Praxis, als die sogenannten Wiederbelebungsversuche. Dieses Experiment habe ich mit Anna auf dem Gebiete der Psychologie mit Glück ausgeführt. Verdorben, roh und verrottet fiel sie mir in die Hände. Ich habe es verstanden, aus dem vagabondierenden Bettelmädchen eine feinfühlige Dame hervorzuzaubern, aus dem verwilderten Unkraut eine edle Pflanze zu züchten. Und darum habe ich auch meinen Lohn erhalten, denn ich weiß, daß ich ein gutes Wesen zu sich selbst zurückgerufen und mir zum ewigen Danke verpflichtet habe.«

»In der Tat,« erwiderte Wahrendorff, und das hämische Lächeln, welches bei diesen Worten seine Lippen umspielte, ging für Dubski hinter dem emporgeklappten Pelzkragen verloren. »Sie sind ein vorzüglicher Erzieher, der moderne Pestalozzi für unsere Magdalenenstifte73

 


 


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