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Kapitel XXIII.
Von den zusammengesetzten Ideen der Substanzen.

§ 1. Philal. Der Geist bemerkt, daß eine gewisse Anzahl von einfachen Ideen beständig zusammenbestehen, die, da man sie als einem einzigen Dinge zugehörig betrachtet, wenn sie so in einem Subjekt vereinigt sind, mit einem einzigen Namen bezeichnet werden … Daher kommt es, daß wir, obgleich es sich hier in Wahrheit um eine Anhäufung mehrerer miteinander verbundener Ideen handelt, in der Folge aus Unachtsamkeit geneigt sind, hiervon wie von einer einzigen einfachen Idee zu sprechen.

Theoph. In den gangbaren Ausdrücken sehe ich nichts, was als Unachtsamkeit getadelt zu werden verdient, denn wenngleich man nur ein einziges Subjekt und eine einzige Idee annimmt, so nimmt man doch damit noch nicht eine einzige einfache Idee an.

Philal. Da wir uns nicht vorstellen können, wie diese einfachen Ideen durch sich selbst bestehen können, so gewöhnen wir uns daran, etwas vorauszusetzen, was sie trägt ( substratum), auf dem sie ruhen und aus dem sie hervorgehen, und dem man deswegen den Namen Substanz gibt.

Theoph. Ich glaube, daß diese Denkweise begründet ist und daß wir uns getrost an sie gewöhnen und sie voraussetzen dürfen, da wir zunächst lediglich mehrere Prädikate an ein und demselben Subjekt denken, und die metaphorischen Worte »Träger« oder »Substrat« nur dies bedeuten, so daß ich nicht einsehe, warum man sich hierbei Schwierigkeiten macht. Kommt ja doch umgekehrt gerade das Konkrete (wie gelehrt, warm, leuchtend) uns eher in den Sinn, als die Abstraktionen oder Qualitäten (denn um Qualitäten, nicht um Ideen handelt es sich in dem substantiellen Gegenstand), wie Gelehrsamkeit, Wärme, Licht usw., die viel schwerer zu begreifen sind S. ob. Anm. 32.. Man kann sogar bezweifeln, ob diese Akzidenzien wirkliche Wesen sind, denn in der Tat sind sie sehr oft nur Beziehungen. Auch weiß man, daß gerade diese Abstraktionen am meisten Schwierigkeiten machen, wenn man sie auflösen will: und diejenigen, die mit den Spitzfindigkeiten der Scholastiker bekannt sind, wissen sehr wohl, daß die allerdornigsten Probleme auf einmal wegfallen, wenn man die abstrakten Wesen verbannt und sich entschließt, in der Regel nur von lauter konkreten Dingen zu reden und in den wissenschaftlichen Beweisen keine anderen Ausdrücke zuzulassen als solche, die substantielle Subjekte bezeichnen Vgl. Leibniz' Abhandlung »De stilo philosophico Nizolii«, Gerh. IV, 147 ff.. Die Schwierigkeit, die man hier erhebt, heißt also, wenn ich dies sagen darf, nodum quaerere in scirpo, und die Dinge auf den Kopf stellen, indem man die Qualitäten und andere abstrakte Termini als das Leichteste, die konkreten Wesen dagegen als etwas sehr Schwieriges ausgibt.

§ 2. Philal. Wir besitzen von der reinen Substanz im allgemeinen keinen anderen Begriff, als den von irgendeinem Subjekt, das uns gänzlich unbekannt ist und das wir nur als Träger der Eigenschaften voraussetzen. Wir sprechen wie Kinder, die man nicht sobald gefragt hat, was eine gewisse, ihnen unbekannte Sache sei, als sie die ihrer Meinung nach sehr befriedigende Antwort geben, es sei irgendwas: aber diese Redewendung bedeutet nur, daß sie nicht wissen, was es sei.

Theoph. Wenn man in der Substanz zweierlei, nämlich die Attribute oder Prädikate und das gemeinsame Subjekt dieser Prädikate unterscheidet, so ist es kein Wunder, daß man sich bei diesem Subjekt nichts Besonderes denken kann. Es muß wohl so sein, da man ja alle Attribute, durch die man irgendwelche Einzelbestimmtheit denken könnte, vorher bereits abgetrennt hat. Verlangt man also in diesem bloßen allgemeinen Subjekt mehr, als das, was dazu erforderlich ist, um zu denken, daß es sich um ein und dasselbe Ding handelt (z. B. um ein und dasselbe Ding, das versteht und will, sinnlich vorstellt und vernünftig schließt), so heißt dies etwas Unmögliches fordern und seiner eigenen Voraussetzung widersprechen, der gemäß man eine Abstraktion vollzogen und das Subjekt von seinen Eigenschaften oder Akzidenzien gesondert aufgefaßt hat. Die gleiche vorgebliche Schwierigkeit könnte man beim Begriff des Seins und überhaupt bei den allerklarsten und allerursprünglichsten Begriffen geltend machen: denn man könnte die Philosophen fragen, was sie sich denken, indem sie das bloße Ding überhaupt denken, da man auch von diesem, wenn einmal jede Einzelbestimmtheit ausgeschlossen ist, ebenso wenig zu sagen wissen wird, als man auf die Frage, was die reine Substanz überhaupt sei, zu antworten weiß. Ich glaube also, daß die Philosophen den Spott nicht verdienen, den man hier gegen sie richtet, indem man sie mit jenem indischen Weisen vergleicht, den man fragte, worauf denn die Erde ruhe und der zur Antwort gab, sie ruhe auf einen großen Elefanten, und als man weiter fragte, worauf der große Elefant ruhe, erwiderte: auf einer großen Schildkröte, schließlich aber, als man weiter in ihn drang, zu sagen, worauf sich denn die Schildkröte stütze, gezwungen war, zu erklären, es sei irgend etwas, er wisse selbst nicht was. Jedoch ist diese Betrachtung der Substanz, so unwichtig sie auch scheinen mag, nicht so leer und unfruchtbar, wie man denkt. Es ergeben sich hieraus für die Philosophie mehrere außerordentlich wichtige Folgerungen, die geeignet sind, ihr ein ganz neues Aussehen zu geben.

§4. Philal. Wir haben von der Substanz im allgemeinen keine klare Idee, und wir haben (§5) eine ebenso klare Idee vom Geiste, wie vom Körper; denn die Idee einer körperlichen Substanz in der Materie begreifen wir ebensowenig, wie die einer geistigen Substanz. Es geht uns damit beinahe so wie jenem jungen Doktor der Rechte, der dem Promoventen bei der Feierlichkeit zurief, er solle Doktor beider Rechte sagen, worauf dieser erwiderte: Sie haben recht, denn Sie wissen von dem einen ebensoviel wie von dem anderen.

Theoph. Was mich angeht, so glaube ich, daß diese Meinung von unserer Unwissenheit daher stammt, daß man eine Art der Erkenntnis fordert, die der Gegenstand nicht zuläßt. Das eigentliche Kennzeichen dafür, daß wir einen klaren und deutlichen Begriff von einem Dinge besitzen, liegt darin, daß wir von ihm viele Wahrheiten kraft apriorischer Beweise erkennen können, wie ich dies in einer Abhandlung über die Wahrheiten und die Ideen in der Leipziger »Acta eruditorum« vom Jahre 1684 gezeigt habe S. Band I, S. 22 ff..

§ 12. Philal. Wären unsere Sinne scharf genug, so würden die sinnlichen Eigenschaften, z. B. die gelbe Farbe des Goldes, verschwinden, und wir würden statt dessen eine bestimmte bewunderungswürdig feine Struktur der Teile sehen. Das zeigt sich ganz augenscheinlich in den Mikroskopen. Unsere gegenwärtige Erkenntnis entspricht dem Zustande, in welchem wir uns befinden. Eine vollkommene Erkenntnis der Dinge, die es umgeben, übersteigt vielleicht die Fähigkeit jedes endlichen Wesens. Unsere Fähigkeiten reichen aus, den Schöpfer zu erkennen und uns über unsere Pflichten zu belehren. Wenn unsere Sinne sehr viel lebhafter würden, so würde eine solche Veränderung mit unserer Natur unverträglich sein.

Theoph. Das alles ist wahr, und ich habe darüber schon etwas gesagt. Indessen bleibt nichtsdestoweniger die gelbe Farbe etwas Wirkliches, wie der Regenbogen, und wir sind allem Anschein nach zu einem Zustand bestimmt, der über unseren gegenwärtigen Zustand weit hinausgeht, ja werden selbst bis ins Unendliche fortschreiten können, denn es gibt in der körperlichen Natur keine Elemente. Gäbe es Atome, wie der Verfasser an einer anderen Stelle anzunehmen schien, so könnte die vollkommene Erkenntnis der Körper nicht die Kräfte jedes endlichen Wesens übersteigen. Wenn übrigens manche Farben oder Eigenschaften vor unseren Augen, falls sie besser bewaffnet oder schärfer wären, verschwinden würden, so müßten allem Anschein nach andere an ihrer Stelle entstehen: und es würde ein neues Wachstum unserer Erkenntnisschärfe nötig sein, um auch sie zum Verschwinden zu bringen, was bis ins Unendliche gehen könnte, wie dies mit der aktuellen Teilung der Materie in der Tat der Fall ist.

§ 13. Philal. Möglicherweise besteht einer der großen Vorzüge, die manche Geister über uns besitzen, darin, daß sie sich selbst Sinnesorgane bilden können, die ihrem gegenwärtigen Zwecke genau entsprechen.

Theoph. Wir tun das gleiche, indem wir uns Mikroskopen bauen, aber andere Geschöpfe können hierin vielleicht noch weiter gehen. Besäßen wir das Vermögen, unsere Augen selbst zu verwandeln, – wie wir es in gewisser Weise tatsächlich tun, je nachdem wir in der Nähe oder aus der Ferne sehen wollen, – so bedürfte es, um sie auf diese Weise umzugestalten, noch einer anderen näheren Vermittlung, denn es ist zum mindesten notwendig, daß sich alles gemäß den Gesetzen der Mechanik vollzieht, da der Geist nicht unmittelbar auf die Körper einwirken kann. Übrigens glaube ich auch, daß die Art, in der die Geister die Dinge erkennen, der unseren einigermaßen analog ist: selbst wenn sie vor uns den hübschen Vorteil hätten, den der phantasiereiche Cyrano gewissen beseelten Naturen in der Sonne zuschreibt, die aus einer unendlichen Menge von kleinen geflügelten Wesen bestehen sollen, welche, indem sie sich nach dem Gebot der herrschenden Seele bewegen, alle Arten von Körpern bilden S. Cyrano de Bergerac, L'histoire comique des états et des empires du soleil.. Es gibt nichts so Wunderbares, was der Mechanismus der Natur nicht hervorzubringen vermöchte, und ich glaube, daß die gelehrten Kirchenväter recht gehabt haben, den Engeln Leiber zuzuschreiben.

§ 15. Philal. Die Ideen des Denkens und der bewegenden Kraft, die wir in der Idee des Geistes finden, lassen sich ebenso klar und deutlich begreifen, wie die Idee der Ausdehnung, der Widerstandskraft und der Beweglichkeit, die wir in der Materie vorfinden.

Theoph. Was die Idee des Denkens anbetrifft, so stimme ich bei. Dagegen bin ich bezüglich der Idee, die wir von dem Vermögen haben, die Körper zu bewegen, anderer Ansicht, denn meinem System der prästabilierten Harmonie zufolge sind die Körper so eingerichtet, daß sie, einmal in Bewegung gesetzt, von selbst darin verharren, in dem Maße, wie die Tätigkeiten des Geistes es fordern. Diese Hypothese ist verständlich, die andere nicht.

Philal. Jeder Empfindungsakt gibt uns in gleicher Weise Erkenntnis des Körperlichen und des Geistigen, denn, indem das Gesicht und das Gehör mich erkennen läßt, daß es ein körperliches Sein außer mir gibt, weiß ich zur selben Zeit auf noch gewissere Art, daß es in mir ein geistiges Wesen gibt, welches sieht und hört.

Theoph. Dies ist vollkommen richtig und es trifft durchaus zu, daß das Dasein des Geistes sicherer ist als das der sinnlichen Gegenstände.

§ 19. Philal. Die Geister können wie die Körper nur dort wirken, wo sie sind und [da sie] in verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wirken Der Leibnizische Text ist hier nach dem Lockeschen Original ergänzt., so darf man auch allen endlichen Geistern Ortsveränderung zuschreiben.

Theoph. Das geschieht, glaube ich, mit Recht: denn der Ort ist nichts anderes als eine Ordnung des Zusammenbestehenden.

Philal. Man braucht nur die Trennung von Seele und Körper im Tode zu erwägen, um von der Bewegung der Seele überzeugt zu werden.

Theoph. Die Seele könnte aufhören in diesem bestimmten Körper zu wirken; und wenn sie, wie der Verfasser oben behauptet hat, völlig aufhören könnte zu denken, so könnte sie sich von diesem Körper trennen, ohne mit einem anderen vereinigt zu werden, so daß ihre Trennung ohne Bewegung vor sich gehen würde. Was mich betrifft, so glaube ich jedoch, daß sie immer denkt und empfindet, daß sie immer mit einem Körper verbunden ist, ja, daß sie niemals gänzlich und mit einem Male den Körper, mit dem sie verbunden ist, verläßt.

§ 21. Philal. Wenn jemand sagt, daß die Geister nicht in loco, sed in aliquo ubi (d. h. nicht an einem Orte, sondern in irgendeinem Wo) sind, so glaube ich nicht, daß man heutzutage auf eine solche Redensart viel Gewicht legen wird. Wenn sich aber jemand einbildet, daß sie einen vernünftigen Sinn gewinnen kann, so bitte ich ihn, diesen in gewöhnlicher, verständlicher Sprache auszudrücken und dann hieraus einen Beweisgrund dafür zu entnehmen, daß die Geister der Bewegung nicht fähig sind.

Theoph. Die Schulen haben drei Arten von Ubietät (Woheit) oder Arten, irgendwo zu sein, angenommen. Die erste wird circumscriptive genannt: man schreibt sie denjenigen im Raume befindlichen Körpern zu, die in ihm punctatim enthalten sind, so daß sie dadurch gemessen werden können, daß man die Punkte des räumlichen Dinges den Punkten des Raumes in eindeutiger Entsprechung zuordnet. Die zweite Art ist die definitive, nach der man definieren, d. h. bestimmen kann, daß das Ding, dem man eine Lage zuschreibt, in diesem oder jenem Raume ist, ohne feste Punkte oder Stellen angeben zu können, an denen es sich ausschließlich befindet. Auf diese Weise hat man sich die Gegenwart der Seele im Körper gedacht, – da man es nicht für möglich hielt, einen genauen Punkt anzugeben, an dem die Seele oder ein Teil von ihr sei, ohne daß sie sich zugleich in einem anderen Punkte befände. Noch heute sind viele gescheite Leute derselben Ansicht. Allerdings hat Descartes der Seele engere Schranken geben wollen, indem er ihr die Zirbeldrüse als eigentlichen Sitz anwies S. Descartes, Les passions de l'âme, Teil I, Art. 31-35., aber er hat gleichwohl nicht zu sagen gewagt, daß sie ausschließlich in einem Punkt dieser Drüse sich befinde; er hat damit also nichts gewonnen, und die Sache verhält sich in dieser Hinsicht nicht anders, als wenn man ihr den ganzen Körper zum Kerker oder Aufenthaltsort anwiese. Ich glaube, daß das, was man von den Seelen sagt, sich ähnlich auch von den Engeln behaupten läßt, von denen der große Lehrer von Aquino annahm, daß sie nur der Wirksamkeit nach an einem Orte wären Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologiae I, quaest. 76, und die Schrift »De unitate intellectus contra Averroistas«.: eine Wirksamkeit, die meiner Ansicht nach keine unmittelbare ist und sich auf die prästabilierte Harmonie zurückführen läßt. Die dritte Ubietät ist die repletive, welche man Gott zuschreibt, der das ganze Universum in noch eminenterem Sinne erfüllt als die Geister sich in ihren Körpern befinden, denn er wirkt unmittelbar auf alle Geschöpfe, indem er sie fortwährend hervorbringt, während die endlichen Geister einen unmittelbaren Einfluß oder eine unmittelbare Wirksamkeit nicht ausüben können. Ob diese Lehre der Schulen ins Lächerliche gezogen zu werden verdient, wie man es hier dem Anschein nach tun will, weiß ich nicht. Man wird jedoch in jedem Falle den Seelen eine gewisse Art von Bewegung zuschreiben können, wenigstens in bezug auf die Körper, mit denen sie verbunden sind, oder mit Bezug auf ihre Art der Perzeption.

§ 23. Philal. Wenn jemand sagte, er wisse nicht, wie er denkt, so würde ich antworten, daß er auch nicht wisse, wie die festen Teile des Körpers sich aneinander fügen, um ein ausgedehntes Ganzes zu bilden.

Theoph. Die Erklärung der Kohäsion hat ihre große Schwierigkeit, aber diese Kohäsion der Teile scheint nicht nötig zu sein, um ein ausgedehntes Ganzes zu bilden, denn auch von der vollkommen feinen und flüssigen Materie kann man sagen, daß sie ein Ausgedehntes bildet, ohne daß ihre Teile aneinander haften. Die Wahrheit zu sagen, glaube ich indes, daß die vollkommene Flüssigkeit nur der ersten Materie zukommt, daß sie also, ebenso wie die Ruhe, nur in der Abstraktion und als eine ursprüngliche Eigenschaft, besteht, nicht aber der zweiten Materie, so wie sie sich tatsächlich und mit ihren abgeleiteten Eigenschaften ausgestattet, vorfindet. Ich glaube nämlich nicht, daß es eine Masse von äußerster Feinheit gibt, und nehme vielmehr an, daß überall ein größerer oder geringerer Grad des Zusammenhangs unter den Teilen besteht, der von ihren miteinander übereinstimmenden Bewegungen herrührt: eine Übereinstimmung, die bei der Trennung der Teile gestört werden muß, was ohne eine gewisse Gewalt und einen gewissen Widerstand nicht möglich ist Vgl. hierzu Band II, S. 41 und S. 274 f.. Was übrigens die Natur der Perzeption und weiterhin des Denkens betrifft, so gehören beide freilich zu den ursprünglichsten Begriffen; ich glaube indessen, daß die Lehre von den substantiellen Einheiten oder Monaden beides bedeutend aufklären wird.

Philal. Was die Kohäsion anlangt, so erklären manche sie dadurch, daß die Oberflächen, an denen zwei Körper sich berühren, durch ein Medium, das sie umgibt, z. B. durch die Luft, gegeneinander gepreßt werden. Nun ist es allerdings richtig (§ 24), daß der Druck, den ein derartiges Medium ausübt, es verhindern kann, daß man zwei glatte Oberflächen voneinander in perpendikulärer Richtung entfernt; er kann aber nicht hindern, daß man sie durch eine Bewegung, die diesen Oberflächen parallel ist, voneinander trennt. Gäbe es also keine andere Ursache der Kohäsion der Körper, so würde es leicht sein, alle ihre Teile voneinander zu sondern, indem man sie auf diese Weise zur Seite gleiten ließe, wobei man eine beliebige Fläche wählen könnte, die die materielle Masse irgendwie schneidet.

Theoph. Dies wäre ohne Zweifel richtig, wenn die flachen, aufeinanderliegenden Teile sich in derselben Fläche oder in parallelen Flächen befänden; da dies aber nicht der Fall ist und nicht der Fall sein kann, so wird man, wenn man versucht, die einen zur Seite gleiten zu lassen, auf eine unendliche Menge anderer, deren Fläche mit der ersten Ebene einen Winkel bildet, offenbar eine ganz andere Wirkung ausüben. Denn man muß wissen, daß man die zwei kongruenten Oberflächen nicht nur dann, wenn die Richtung der Trennungsbewegung perpendikulär ist, sondern auch, wenn sie gegen die Oberfläche schräg ist, nur mit Mühe trennen kann. Auf diese Weise kann man annehmen, daß die polyedrischen Körper, die die Natur in Bergwerken und anderswo bildet, aus blätterartigen Schichten bestehen, die nach allen Richtungen aneinander haften. Ich gebe indessen zu, daß der Druck des umgebenden Mediums auf die glatten, aneinanderhaftenden Oberflächen nicht genügt, um den Grund der Kohäsion vollkommen zu erklären, denn man setzt stillschweigend dabei voraus, daß diese aneinanderschließenden Tafeln schon Kohäsion haben.

§ 27. Philal. Ich hatte angenommen, daß die Ausdehnung des Körpers nichts anderes als die Kohäsion der festen Teile ist.

Theoph. Dies scheint mir mit Ihren eigenen vorhergegangenen Erklärungen nicht übereinzukommen. Mir scheint, daß ein Körper, in dem innere Bewegungen vor sich gehen, oder dessen Teile eine Tätigkeit besitzen, vermöge deren sie sich voneinander loszulösen streben (wie dies, glaube ich, immer der Fall ist), darum nicht aufhört, ausgedehnt zu sein. Somit scheint mir der Begriff der Ausdehnung von dem der Kohäsion gänzlich verschieden.

§28. Philal. Eine andere Idee, die wir vom Körper haben, ist das Vermögen, die Bewegung durch Stoß mitzuteilen, und eine andere, die wir von der Seele haben, ist das Vermögen, durch das Denken Bewegung hervorzubringen. Die Erfahrung liefert uns täglich diese beiden Ideen in völliger Evidenz; wenn wir aber tiefer nachforschen wollen, wie dies geschieht, so finden wir uns bei beiden gleichmäßig im Dunkeln. Denn was die Mitteilung der Bewegung betrifft, bei der ein Körper so viel Bewegung verliert, als ein anderer empfängt, welches der gewöhnlichste Fall ist, so begreifen wir hierbei nichts weiter, als eine Bewegung, die aus einem Körper in einen anderen übergeht; was ich für ebenso dunkel und unbegreiflich halte, als die Art, wie unser Geist durch das Denken unseren Körper in Bewegung setzt oder hemmt. Noch schwieriger ist es, die Zunahme der Bewegung mittels des Stoßes, wie man sie beobachtet oder in gewissen Fällen als tatsächlich vorfanden annimmt, zu erklären.

Theoph. Ich wundere mich nicht, wenn man bei einer Frage unübersteigliche Hindernisse findet, bei der man etwas so Unbegreifliches vorauszusetzen scheint, wie den Übergang eines Akzidenz von einem Subjekt in ein anderes. Ich sehe aber keinen Grund, der uns zu einer derartigen Voraussetzung zwingt, die kaum weniger befremdlich ist, als die scholastische Annahme von Akzidenzien ohne Subjekt, die man doch vorsichtigerweise nur der wunderbaren Tätigkeit der göttlichen Allmacht zuschrieb, während hier der Übergang ein ganz gewöhnlicher sein würde. Ich habe darüber schon oben etwas gesagt (Kap. 21, § 4), wo ich auch bemerkt habe, daß der Körper keineswegs soviel Bewegung verliert, wie er einem anderen gibt. Man scheint sich hierbei die Bewegung wie etwas Substantielles zu denken, etwa wie Salz, das sich im Wasser auflöst: ein Vergleich, dessen Rohault sich, wenn ich nicht irre, wirklich bedient hat Jacques Rohault (1620-1675); sein »Traité de Physique« (Paris 1671) gibt eine populäre Darstellung der Cartesischen Physik, die wesentlich zu ihrer Verbreitung beigetragen hat.. Ich füge hier hinzu, daß dies nicht einmal der gewöhnlichste Fall ist, denn ich habe anderswo gezeigt, daß dieselbe Quantität der Bewegung sich nur dann erhält, wenn die beiden aufeinander treffenden Körper vor dem Zusammenstoße nach derselben Richtung gehen und sich auch nach dem Stoße in derselben Richtung bewegen S. das »Specimen dynamicum« (1695), Band I, S. 256 ff. Über die Umbildung des Gesetzes der Erhaltung der Bewegungsquantität in den Satz der Erhaltung der algebraischen Summe der Bewegungsgröße s. Band I, 264, 279 f. (vgl. Band I, Anm. 201).. Allerdings stammen die wahren Gesetze der Bewegung von etwas Höherem, als die Materie es ist. Was das Vermögen, durch das Denken Bewegung hervorzubringen, betrifft, so haben wir meiner Überzeugung nach von ihm so wenig eine Idee, wie wir eine Erfahrung davon haben. Die Cartesianer selbst gestehen zu, daß die Seelen der Materie keine neue Kraft verleihen können; sie behaupten aber, daß sie der Kraft, die die Materie schon besaß, eine neue Bestimmung oder Richtung zu geben vermögen. Ich für meinen Teil behaupte, daß die Seelen weder in der Kraft, noch in der Richtung der Körper etwas ändern, daß das eine so unbegreiflich und widersinnig wäre, wie das andere, und daß man sich der prästabilierten Harmonie bedienen muß, um die Einheit von Seele und Leib zu erklären Vgl. Theodicee, I, § 61; Monadologie § 80 (Band II, S. 454)..

Philal. Es verlohnt sich, zu untersuchen, ob die tätige Kraft das eigentliche Attribut der Geister und die leidende Kraft das der Körper ist. Daraus ließe sich die Vermutung gewinnen, daß die geschaffenen Geister, da sie sowohl tätig als leidend sind, nicht gänzlich von der Materie getrennt sind, denn da der reine Geist, d. h. Gott, lediglich tätig, die reine Materie dagegen lediglich leidend ist, so darf man annehmen, daß die anderen Wesen, die zugleich tätig und leidend sind, an beiden teilhaben.

Theoph. Diese Gedanken sagen mir ungemein zu und drücken ganz meine Meinung aus, sofern man nur das Wort Geist so allgemein versteht, daß es alle Seelen umfaßt oder vielmehr (um noch allgemeiner zu reden) alle die substantiellen Entelechien oder Einheiten, welche mit den Geistern Analogie haben.

§31. Philal. Ich möchte, daß man mir in unserem Begriff von Geist etwas Verworreneres oder dem Widerspruch Näherliegendes zeigte, als jene Bestimmung, die im Begriff des Körpers selbst enthalten ist: ich meine die Teilbarkeit ins Unendliche.

Theoph. Was Sie hier sagen, um zu zeigen, daß wir die Natur des Geistes ebenso oder besser als die des Körpers verstehen, ist sehr wahr, und Fromond, der eigens ein Buch: De compositione continui geschrieben hat, hat es mit Recht Labyrinth betitelt. Das kommt aber von einer falschen Idee her, die man von der körperlichen Natur, wie auch vom Raume hat Das Buch des Fromondus » Labyrinthus sive de compositione continui«, auf das Leibniz mehrfach verweist, ist 1631 zu Antwerpen erschienen; über das »Labyrinth« des Continuums vgl. Theodicee (Vorrede, Gerh. VI, 29) und Band II, 499. Die Auflösung des Problems liegt für Leibniz in der Erkenntnis, daß der Raum und die Materie keine substantielle Wirklichkeit besitzen, sondern etwas rein »Ideelles« sind; vgl. Band II, S. 225 und Anm. 377..

§33. Philal. Selbst die Gottesidee weist den gleichen Ursprung wie die übrigen auf: denn die komplexe Idee, die wir von Gott besitzen, setzt sich aus einfachen Ideen zusammen, die wir durch Reflexion gewinnen und die wir vermöge der Idee des Unendlichen, über die wir verfügen, erweitern.

Theoph. Ich beziehe mich hierfür auf das, was ich schon mehrmals gesagt habe, um zu zeigen, daß alle Ideen, und besonders die von Gott, ursprünglich in uns sind, und wir nur unsere Aufmerksamkeit auf sie zu lenken brauchen, sowie vor allem, daß die Idee des Unendlichen sich nicht durch eine Erweiterung der endlichen Ideen bilden läßt.

§37. Philal. Die meisten einfachen Ideen, aus denen sich unsere komplexen Ideen von Substanzen zusammensetzen, sind recht betrachtet nur Kräfte, wenn wir auch noch so geneigt sind, sie für positive Eigenschaften zu halten.

Theoph. Ich denke, daß die Kräfte, die der Substanz nicht wesentlich sind und die keine bloße Fertigkeit, sondern auch eine gewisse Strebung enthalten, gerade das sind, was man unter realen Eigenschaften versteht oder verstehen sollte.


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