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Philal. Der Verstand gleicht einigermaßen einem ganz dunklen Zimmer, das nur einige kleine Öffnungen hat, um von außen die Bilder der äußeren sichtbaren Dinge einzulassen. Könnten die Bilder, die sich in diesem dunklen Zimmer abbilden, dort bleiben und in Ordnung aufgestellt werden, so daß man sie gelegentlich wiederfinden könnte, so bestünde zwischen diesem Zimmer und dem menschlichen Verstande eine große Ähnlichkeit.
Theoph. Um die Ähnlichkeit noch zu vergrößern, müßte man annehmen, daß in dem dunklen Zimmer eine Leinwand ausgespannt wäre, um die Bilder aufzunehmen, daß diese Leinwand aber keine ganz ebene Fläche bildete, sondern durch Falten (die die eingeborenen Erkenntnisse darstellen würden) unterbrochen wäre: daß weiter diese Leinwand oder Membran, wenn man sie spannt, eine Art Elastizität oder Wirkungskraft besäße, ja daß sie eine Tätigkeit oder Reaktion auszuüben vermöchte, die sowohl den älteren Falten als den neueren, die aus dem Eindruck der Bilder von außen stammen, angepaßt wäre. Und zwar müßte diese Tätigkeit in gewissen Schwingungen oder Oszillationen bestehen, wie man solche an einer angespannten Saite bemerkt, wenn man sie berührt, dergestalt, daß sie eine Art von musikalischem Ton von sich gäbe. Denn wir empfangen nicht allein Bilder oder Spuren in unserem Gehirn, sondern bilden auch neue, wenn wir komplexe Ideen betrachten. So muß also die unser Gehirn veranschaulichende Leinwand tätig und elastisch sein. Dieser Vergleich würde das, was im Gehirn vor sich geht, leidlich veranschaulichen, was aber die Seele betrifft, die eine einfache Substanz oder Monade ist, so stellt sie eben diese Mannigfaltigkeiten der ausgedehnten Massen ohne Ausdehnung dar und perzipiert sie.
§3. Philal. Die komplexen Ideen sind nun entweder Modi oder Substanzen oder Relationen.
Theoph. Diese Unterscheidung der Gegenstände unseres Denkens in Substanzen, Modi und Relationen gefällt mir ganz gut. Ich glaube, daß die Eigenschaften nur Modifikationen der Substanzen sind, und daß der Verstand zu ihnen noch die Relationen hinzufügt, eine Ansicht von größerer Tragweite, als man denkt Denn auf ihr beruht die ganze Monadenlehre: sofern als wahrhafte, vom willkürlichen Denken unabhängige Realitäten nunmehr nur noch die » Subjekte« der mannigfachen Modi und Beziehungen übrig bleiben (vgl. die Einleitung zu den Schriften über die Monadenlehre Band II, S. 84 ff., 91 ff.)..
Philal. Die Modi sind entweder einfache (wie ein Dutzend, ein Schock, die aus einfachen Ideen derselben Art, d. h. aus Einheiten gebildet sind) oder gemischte (wie die Schönheit), d. h. solche, in die einfache Ideen verschiedener Arten eingehen.
Theoph. Vielleicht sind Dutzend und Schock nur Relationen und bestehen nur in Beziehung auf den Verstand. Die Einheiten bestehen für sich, aber der Verstand faßt sie zusammen, mögen sie auch noch so zerstreut sein. Obgleich jedoch die Relationen aus dem Verstande stammen, sind sie doch nicht ohne Grund und Realität. Denn der höchste Verstand ist der Ursprung der Dinge, ja die Realität aller Dinge, die einfachen Substanzen ausgenommen, besteht nur in dem Grunde der Perzeptionen der Phänomene der einfachen Substanzen Denn alle Realität der Phaenomene besteht lediglich in ihrer Verknüpfung, geht also selbst auf Relationen, jedoch auf solche von notwendiger und allgemeiner Geltung, auf »ewige Wahrheiten« zurück. (Näheres bes. Band I, S. 287 und Band II, 401 ff.) Über das Verhältnis der »ewigen Wahrheiten« zum göttlichen Verstande s. z. B. Monadologie § 43 f. (Band II, S. 44;).. Hinsichtlich der gemischten Modi verhält es sich häufig ebenso, d. h. man müßte sie eher den Relationen zurechnen.
§6. Philal. Die Ideen von Substanzen bestehen in Verbindungen einfacher Ideen, wobei man diese Verbindungen als besondere und unterschiedene Dinge denkt, die durch sich selbst bestehen. Als die erste und ursprünglichste dieser Ideen betrachtet man hierbei immer den dunklen Begriff der Substanz, den man, was auch die Substanz an und für sich sein mag, unerkannt voraussetzt.
Theoph. Die Idee der Substanz ist nicht so dunkel, als man denkt. Man kann von ihr die gehörige Erkenntnis und die nämliche Erkenntnis, wie bei anderen Dingen gewinnen; ja die Erkenntnis des Konkreten ist sogar immer früher, als die des Abstrakten: man erkennt das Warme eher, als die Wärme Die ganze Differenz zwischen Leibniz' und Lockes Grundanschauung spricht sich hier in einem Worte aus. Für Leibniz ist die »Substanz« nicht die abstrakte »Grundlage«, die von allen Bestimmtheiten, wie sie die innere und äußere Erfahrung darbieten, losgelöst und daher selbst als ein schlechthin »Unbestimmtes« zu denken ist. Vielmehr ist sie die konkrete Einheit und Totalität aller dieser Bestimmtheiten selbst, da sie sie, als deren ursprüngliches Prinzip, aus sich hervorgehen lässt. Dieser Totalität gegenüber erscheint vielmehr jede Einzelbestimmung – die für Locke das eigentlich »Konkrete« bildet – als eine bloße Abstraktion: denn der Gedanke einer solchen Einzelheit kommt nur durch eine willkürliche Absonderung des Einzelnen vom »Ganzen«, von dem Gehalt und Gesetz der Gesamtreihe, der es als Glied und »Modifikation« angehört, zu stande. (Näheres s. Band II, S. 336, sowie Anm. 444 und 483.).
§ 7. Hinsichtlich der Substanzen gibt es noch zwei Arten von Ideen: einmal Ideen von Einzelsubstanzen, wie die eines Menschen oder eines Schafes; dann aber die Idee einer Vereinigung mehrerer Substanzen, z. B. die Idee eines Heeres von Menschen oder einer Herde von Schafen; denn auch solche Kollektivwesen bilden eine einzige Idee.
Theoph. Diese Einheit in der Idee von Aggregaten besteht in der Tat: aber im Grunde muß man gestehen, daß die Einheit der Kollektivwesen nur ein Verhältnis oder eine Beziehung ist, deren Grundlage in dem liegt, was sich in jeder Einzelsubstanz für sich genommen findet. So haben also diese Kollektivwesen keine andere vollkommene Einheit, als eine rein geistige, und folglich ist auch ihre Wesenheit in gewisser Hinsicht eine geistige oder phänomenale, wie die des Regenbogens am Himmel Vgl. hierzu bes. Leibniz' Briefwechsel mit Arnauld (Band II. S. 222 ff.)..