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XIII.

Das Schlafzimmer der Mädchen, oben im Schulhaus, das an der einen schmalen Wandseite ein großes, viereckiges Fenster hatte, wurde zum Atelier ausersehen, und mit Hilfe von Draperien und Pappe, womit der untere Teil des Fensters zugesetzt wurde, eine passende Beleuchtung hergestellt.

Margit mußte sich auf eine Bettkante unter das Dach setzen, ihren Jungen auf dem Schoß, und eine Flechte ihres Haares aufgelöst nach vorn legen, damit er gehörig darin herumzausen konnte – was er auch sehr bald mit großem Vergnügen that. Ullas Erzählung von ihrem Besuch bei dem kleinen Rolf hatte Lewi zu dieser Anordnung veranlaßt. Bald lachte Margit, bald wurde sie böse, als aber schließlich der kleine Kerl ein paar Haarsträhnchen erwischte und so heftig daran zog, daß es weh that, wurde sie ganz rot im Gesicht und klapste ihn auf die Finger, versuchte aber doch, eine möglichst würdige Miene zu bewahren.

Diese kleine Scene entzückte Lewi. So wollte er das Motiv haben – diesen halb scherzenden, halb ernsthaften Streit zwischen der jungen Mutter, die selbst noch ein halbes Kind war, und dem großen, derben Jungen. Das fand er göttlich, viel göttlicher als alle Madonnen auf der ganzen Welt zusammen.

»Nicht wahr, Ulla,« sagte er mit seiner weichen, schleppenden Stimme, »es ist viel interessanter, eine Mutter mit ihrem Kleinen sich schlagen, als sie ihn küssen zu sehen. Das Küssen ist so altmodisch.«

Ulla faßte das Bild etwas anders auf als Lewi. Bei ihr war das Kind die Hauptsache – die Mutter bildete den Hintergrund, der Knabe stand auf ihren Knieen und sein unartiges, rundes, kleines Kindergesicht war an der Seite ihres Nackens voll en face zu sehen. Lewi nahm das Bild von der Seite, so daß er Mutter und Kind im Profil bekam. Er studirte besonders den Gesichtsausdruck der Mutter, ihre Stellung, als sie sich auf die Seite bog, um sich vor dem Kratzen des Kleinen zu schützen, ihr Rotwerden vor Aerger und doch zugleich den Ausdruck von Mutterstolz, der sich in ihrem Gesicht malte. Man sah auf seinem Bild, daß sie im Begriff war, dem Jungen im nächsten Augenblick einen Klaps mit ihrer breiten Hand zu geben – nicht um ihm eine mütterliche Züchtigung angedeihen zu lassen, sondern einen Schlag, den ein Kamerad dem andern gibt, wenn er beim Spiel gereizt wird.

Bald waren beide für ihre Arbeit lebhaft interessirt, die mehr wie eine Spielerei angefangen worden war, jetzt aber ihre ganze Aufmerksamkeit fesselte.

Eglantine hatte zu Ullas Ueberraschung gebeten, auch dabei sein und einen Versuch zu malen machen zu dürfen. Sie hatte zwar niemals Unterricht darin gehabt, hatte es aber für sich oft versucht, und war überzeugt, recht beanlagt dafür zu sein. Wenn sie nun zusehen könnte, wie die anderen es machten, würde sie viel dadurch lernen können. Sie saß hinter Lewis Stuhl und kopirte ihn. Das machte ihn so nervös, daß er bei jedem Laut von ihr in die Höhe fuhr, aber trotzdem wendete er sich immer freundlich zu ihr um, nickte oder schüttelte mit dem Kopfe und deutete mit dem Finger auf Fehler, deren freilich unendliche waren, und die er dennoch in der mildesten Form kritisirte, das heißt mit Lächeln und mit seinem Daumen – den letzteren setzte er auf ihre verklecksten Farben mitten in das Bild, das erstere, sanfte, richtete er an sie.

»Herrgott, daß sie auf die unglückselige Idee verfallen mußte, zu glauben, sie könnte malen!« sagte er seufzend zu Ulla.

Eglantine selbst war sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie fragte Ulla jeden Tag, ob sie nicht fände, daß sie Fortschritte machte, und ob sie nicht glaubte, daß sie Anlage habe. Und Ulla hatte nicht das Herz, sie aus dieser neuen Illusion zu reißen, die ihr einförmiges Leben so glücklich machte.

Eines Abends, als sie aufgehört hatten zu malen, ging Eglantine lange von einem Bild zum andern, und betrachtete alle drei mit größter Aufmerksamkeit. Es kam ihr vor, als ob ihr Bild das ähnlichste wäre. Einem objektiven Beobachter hätte das vielleicht unglaubhaft scheinen können, aber sie sagte sich, es könnte daher kommen, daß sie, obgleich ohne Vorstudien, doch vielleicht den angeborenen Blick für Aehnlichkeiten habe, der sich, wie sie oft hatte sagen hören, auch bei solchen fände, welche nicht die ersten technischen Kunstgriffe erlernt hatten. Diese Entdeckung machte sie so glücklich, daß sie nicht unterlassen konnte, Ulla zu fragen, welches der drei Gemälde sie am ähnlichsten fände.

»Ich weiß es nicht,« sagte Ulla arglos, »weder Lewi noch ich haben eigentlich an Aehnlichkeit gedacht – es soll nicht gerade ein Porträt sein, was wir machen, sondern eine Studie.«

»Das ist also die Erklärung,« dachte Eglantine.

»Aber ich,« rief sie mit freudestrahlendem Antlitz, »ich habe nur an die Aehnlichkeit gedacht. Und findest Du nicht, daß ich die recht gut getroffen habe?«

Ulla wurde ganz traurig über diese Frage. Zwischen dem Original und dem Porträt war keine andere Spur von Aehnlichkeit, als daß man letzterem ansehen konnte, es sollte einen Menschen darstellen – allenfalls konnte man auch noch erraten, daß es eine Frau sein sollte. Die großen, hervorstehenden Augen der Taubstummen hefteten sich mit ängstlich fragendem Blick an Ullas Gesicht – es war keine Möglichkeit, einer Antwort auszuweichen.

»Liebste Etty,« sagte Ulla innig und nahm ihren Kopf zwischen ihre beiden Hände, während sie nur mit den Lippen zu ihr sprach, damit es Lewi nicht hören sollte. »Ich möchte Dich nicht betrüben, aber ich glaube nicht, daß Du eigentliche Anlage zum Porträtiren hast – deshalb könntest Du aber doch für anderes Talent haben – vielleicht zum Komponiren –«

Ettys bewegliches Gesicht verdunkelte sich und Thränen traten ihr in die Augen, aber sie wandte sich ab, um es zu verbergen. Diesen ganzen Abend war sie verstimmt und traurig. Als sie jedoch am andern Morgen wieder zu malen anfing, wachten alle ihre schon erstorbenen Illusionen zu neuem Leben wieder auf. Man hatte es ja so oft gesagt, daß gerade die Nächsten nicht an einen glaubten. Würde aber ein so großer Maler wie Lewison sich so viel Mühe mit ihr gegeben haben, wenn sie kein Talent hätte?

Eines Mittags, als sich Lewi an einem Hügelabhang unter Erlen hingelegt hatte, um nach dem Essen zu ruhen, während Ulla und Etty mit Margits Jungen neben ihm spielten, bemerkte er mehrere Mädchen, die auf der Wiese beschäftigt waren, Heu in Haufen zusammen zu rechen und Margit unter ihnen. Die Sonne brannte glühend heiß und man erwartete Regen, deshalb hatte der Großknecht alle Mädchen vom Hofe mit zur Hilfe genommen, damit das Heu noch eiligst hereingebracht würde. Margit liebte solche Arbeiten und führte den Rechen mit rascher Sicherheit und ebenso würdigem Behagen. Sie hatte das weiße Unterhemdchen und das schwarze Mieder abgelegt und ging nur im Hemd und einem kurzen roten Unterrock.

Lewi war aufmerksam geworden, hatte sich auf den einen Ellenbogen gestützt und folgte ihr mit den Augen.

»Wonach guckst Du so?« fragte Ulla.

»So ist sie wirklich hübsch,« erwiderte er. »Dieser runde Hals, die braunen Arme – und wir setzen uns hin und malen sie in Jacke und langen Aermeln! Das soll nicht mehr geschehen.«

Ulla hatte schon früher daran gedacht, aber doch ihre Bedenken gehabt, es vorzuschlagen. Margit war wie eine Art Adoptivtochter oder jüngere Schwester im Hause, und Ulla hatte dasselbe Gefühl von Schamhaftigkeit für sie wie für sich selbst.

Sie sprach das gegen Lewi aus, der aber entgegnete ihr, daß er ihr einen so albernen Konventionalismus nicht zugetraut hätte. Hatte sie selbst nicht hundertmal auf Bällen Hals und Arme vor wildfremden Herren entblößt zur Schau getragen? Er wollte aber gar nicht einmal Margit so nahe treten wie jene ihr – das heißt, sie nicht um die Taille fassen, sie überhaupt nicht berühren, nur allein sie betrachten – auf drei Ellen Entfernung. Er rief Margit heran.

»So will ich Dich auf dem Bilde haben,« sagte er. »Zieh das nächstemal nicht wieder das dicke Hemdchen und Mieder an; so bist Du reizend. Es ist so uninteressant, weiße Hemden zu malen.«

Ulla war im Grunde froh, das weiße Unterhemd auf dem Bilde los zu sein, denn es war nicht zu leugnen, daß sich das Gesicht des Kindes mit seiner weißen Haut von der kräftigen, warmen Hautfarbe der Mutter bedeutend besser abhob.

Aber sie hatte nicht bemerkt, daß Margit nicht mehr unempfindlich dagegen blieb, unaufhörlich das Ziel der Blicke eines Malers zu sein. Wo diese jetzt auch ging und stand, glaubte sie sich beobachtet, ihr Gesichtsausdruck war so selbstbewußt geworden, so gleichsam verletzt sittsam, als dächte sie, Lewi wäre im Begriff, ihre eine Liebeserklärung zu machen, und sie müßte auf ihrer Hut sein. Obgleich er unaufhörlich betonte, daß das Lustige in dem Streit der Mutter mit ihrem Kinde ihn dazu bestimmt habe, sie zum Modell zu wählen, war sie doch überzeugt, daß er sie hübsch fände. Sie besah sich jetzt häufig im Spiegel und ärgerte sich mehr und mehr wirklich, wenn die Unarten des Jungen sie aus dem Gleichgewicht zu bringen drohten.

Falk hatte mehrere Tage nicht geschrieben. Ulla wußte, daß die Operation gelungen und er wieder wohl auf war, aber den Tag seiner Ankunft hatte er noch nicht bestimmt. Eines Vormittags, als sie gerade recht im Zuge mit dem Malen waren, trat er plötzlich in das Zimmer.

Er war in der letzten Zeit weit weg in Ullas Gedanken gewesen. Sie hatte sogar vergessen, wie sie auf dem Dampfboot mit dem Gefühl gesessen hatte, daß sie keine Freude empfinden könnte, so lange er weg wäre, daß der Gedanke, ihn in dem großen Krankensaal liegend zu wissen, ihr jedes Vergnügen am Sommer und an Lewis Besuch zerstören würde. Die letzten Wochen hatte sie nur ihrer Malerei gelebt, und selbst ihre Besuche bei dem kleinen Rolf waren immer flüchtiger geworden.

Aber in dem Augenblick, als sie seine Schritte auf der Treppe hörte und ihr Herz noch mehr als ihr Ohr ihr sagte, daß er es war, flog ein Erröten über ihr Antlitz, sie ließ Palette und Pinsel in den Schoß sinken und hatte ein Gefühl, als ob in ihrem Inneren vor Freude etwas zerspränge. Sie stand nicht auf, sprang ihm nicht entgegen, aber alles andere versank für sie in diesem Augenblick, sie hörte nur ihn, sie sah nur ihn, und als er zu ihr kam und sie küßte, strahlte ihr Gesicht in stiller Seligkeit so, daß sie völlig verwandelt erschien.

Lewi sah und beobachtete das alles, und eine gewaltsame Leidenschaft, die ihn selbst überraschte, kochte in ihm auf. Er war den letzten Winter in Rom allerdings in Ulla verliebt gewesen, glaubte aber, dieses Gefühl überwunden zu haben. Er war ja doch jetzt wochenlang ruhig tagaus tagein mit ihr zusammen gewesen, und hatte sich ganz gut darein gefunden, ein ziemlich gleichgültiger Freund und Kamerad zu sein, welcher weiß, daß er niemals mehr werden kann. Als er sie aber jetzt so versunken in einen andern sah, als er, wie in einer plötzlichen Offenbarung sah, wie diese sonst so zurückhaltende Frau lieben konnte – da ergriff ihn eine Art Wahnsinn, und er hätte sich auf Falk stürzen und ihn erwürgen können. Es war wie ein Schwindel – ein körperliches Uebelbefinden. Er war aufgestanden, seine Kniee wankten.

Aber es dauerte nur einen Augenblick. Falk zog seine Frau mit sich hinaus aus dem Zimmer, ohne die anderen auch nur zu grüßen.

Lewi setzte sich und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Als er wieder aufsah, stand Margit vor ihm. Er hörte sie fragen, was ihm fehlte, und ohne zu wissen, ob er träume oder wache, faßte er sie plötzlich um die Taille, zog sie auf sein Knie und küßte sie auf den Hals.

Es kam ihm wie heilender Balsam vor, seine Lippen auf diese warme Haut drücken zu können, und sie leistete keinen Widerstand. Etty bemerkte er nicht, hatte überhaupt vergessen, daß sie im Zimmer war. Er wußte nicht, wie lange es gedauert hatte, als er plötzlich Falk vor sich stehen sah. Dieser faßte Margit hart an der Schulter, riß sie empor und schleuderte sie in das Zimmer, darauf trat er zu Lewi, ergriff ihn an beiden Schultern und schüttelte ihn, während er vergebliche Anstrengungen machte, zu reden.

»Hinaus, hinaus aus meinem Hause – augenblicklich!« brach es endlich los.

Lewi war leichenblaß vor Wut, konnte aber kein Wort hervorbringen. Falk warf ihn förmlich vor die Thüre und machte diese zu, dann wandte er sich zu Margit:

»Du, die ich in mein Haus aufgenommen und wie eine Tochter behandelt habe!« rief er. »Geh, geh, geh! – Ich will Dich nicht mehr sehen.«

Margit fing laut zu weinen an, das Gesicht in ihre Hände gedrückt.

»Geh!« schrie er. »Krokodilsthränen! Komödienspiel! Fort!«

Margit ging, laut schluchzend. Etty war vor Scham, als Lewi Margit auf seine Kniee niederzog, zwischen die Dachbalken gekrochen. Jetzt stand sie da und hielt ihre fliegenden Hände krampfhaft gegen das Herz gedrückt, während ihr die Zähne klappernd zusammen schlugen.

Ulla dagegen, die Falk gefolgt war, hatte einen kalten, abweisenden Ausdruck bekommen. Einen solchen Ausbruch seiner Leidenschaft hatte sie noch nicht gesehen, es erschreckte sie nicht eigentlich, aber es stieß sie weit ab von dem Mann, den sie noch eben so liebevoll umarmt hatte. Welches Recht hatte er, sich zum Richter und Rächer zu machen – hatte ihm Lewi Rechenschaft für seine Handlungen abzulegen? Es lag etwas in diesem maßlosen Zorn, das sie verletzte, als ob er gegen sie gerichtet gewesen wäre.

Die starke Aufregung war für Ettys schwache Konstitution zu viel gewesen; ihr Blick wurde plötzlich leer und besinnungslos, sie griff nach einem Stuhl, warf ihn aber um und fiel mit einem Schrei zu Boden.

Sie hatte mitunter solche Anfälle, Ulla hatte es schon öfter gesehen, sie war aber selbst in solcher Aufregung, daß sie die Besinnung verlor und nur nach Wasser lief, statt die Ohnmächtige vom Boden aufzurichten.

Dieser Auftritt wirkte auf Falks Zorn augenblicklich abkühlend. Sein praktischer Sinn und seine Hilfsbereitschaft gewannen die Oberhand, er hob Etty rasch auf, legte sie auf ein Bett, warf sich neben sie auf die Kniee und überhäufte sie mit zärtlichen Worten.

»Meine Etty – meine Etty – was ist mit Dir? – sieh doch auf! – habe ich Dich erschreckt? Du Aermste – wie schäme ich mich jetzt meiner Heftigkeit – sei ruhig, Etty – Du sollst nie wieder so etwas zu fürchten haben.«

Sie öffnete langsam die Augen und sah ihn über sich hingebeugt, während er versuchte, ihr Korset aufzumachen, das er für zu eng hielt.

Es war nicht mehr nötig, der Anfall war vorüber, aber sie lag willenlos in seinen Händen. Das Blut stieg rasch in ihre Wangen, sie atmete tief und in langen Zügen, ihre Lippen waren halb geöffnet und die Augen feucht und schimmernd.

In diesem Augenblick verwandelte sich Ettys himmlische Liebe in eine rein irdische – ihre Phantasie begnügte sich nicht länger mit dem Gedanken, dem Geliebten in einem andern Leben anzugehören, sie träumte, sie gehöre ihm schon jetzt an, und sie bebte unter seiner Berührung.



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