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II.

Die alte Frau Falk, die eine sehr impulsive Natur und äußerst empfänglich für alles Schöne war, hatte sich in ihre Schwiegertochter von Anfang an verliebt. Zeit ihres Lebens war sie in irgend jemand verliebt gewesen und hatte, sobald sie Ulla sah, sogleich erklärt, daß sie »das Reizendste« auf der Welt wäre. Seitdem hatte ihre Stimmung häufig gewechselt, denn sobald sie ihren Sohn verstimmt sah, wurde sie sehr böse auf Ulla; sah er aber wieder glücklich aus, dann wußte sie nicht, was sie ihr vor Zärtlichkeit anthun sollte. Sie war nicht im geringsten eifersüchtig, wie sie überhaupt im allgemeinen niemals an sich dachte. Alle um sich herum glücklich zu sehen, war ihr einziger Wunsch; wenn aber einer unfreundlich gegen den andern war und somit den Frieden des Zusammenlebens störte, dann war sie ohne Erbarmen gegen den Schuldigen. Sowohl Schüler wie Lehrer liebten sie, hatten aber gleichzeitig großen Respekt vor ihr. Selbst die Lehrer bemühten sich eifrig, sich nicht ihren Unwillen zuzuziehen – und die kleine, rotbäckige, dicke, alte Frau mit den blitzenden braunen Augen und den raschen Bewegungen war weit und breit in der ganzen Gegend eine hoch angesehene und verehrte Persönlichkeit, die alle in wichtigen Angelegenheiten um Rat fragten und deren bestimmte und entscheidende Urteile vielen Familien im Umkreis von mehreren Meilen zur Richtschnur ihrer Handlungsweise dienten.

Falk und sie waren nicht immer ein und derselben Meinung, aber sie vermieden es, an einander zu geraten, weil sie beide heftig und eigensinnig waren. Trotzdem hatte die Mutter großen Einfluß auf ihn behalten und war die einzige in seiner Umgebung, die ihn kritisirte und dadurch ein nützliches Gegengewicht der Bewunderung gegenüber bildete, die ihm in der ganzen Gegend zu teil wurde.

Im Herbst trat ein Ereignis ein, das einen ernsten Zusammenstoß zwischen Ulla und der Mutter veranlaßte.

Frau Falk, die schon lange Ullas Liebling, Margit, mit mißtrauischem Auge beobachtet hatte, rief diese eines Tages plötzlich zu sich in ihr Privatzimmer und hatte eine lange Unterredung mit ihr. Margit kam weinend heraus, und als sie Ulla mit sich in ihr Zimmer nahm, beichtete sie ihr alles. Er war es, Gunnar, den Ulla den ersten Morgen auf der Alm gesehen hatte – er pflegte oft die Sonnabendabende zu kommen und sie hatte ihn so sehr gern – und so – war sie in das Unglück geraten. Und nun wollte sie die alte Frau Falk nach Hause zu ihrem Vater schicken, aber lieber wollte sie sterben, als zu dem gehen, denn er war von jeher so gräßlich hart gegen sie gewesen und er wollte, daß sie sich mit einem reichen Bauer, einem Witwer, verheiraten sollte, den sie nicht leiden konnte – und wenn sie ihren Gunnar nicht bekäme, dann wollte sie sterben.

Ulla streichelte sie und erklärte, sie würde sie bei sich behalten, sie sollte nicht nach Hause zum Vater müssen, und Falk würde schon auswirken, daß sie ihren Gunnar heiraten dürfte.

Da aber Gunnar Ulfven ein dritter Sohn war, hatte er keine Aussicht, daheim einen eigenen Bauernhof zu bekommen; deshalb schlug Ulla vor, er solle nach Amerika gehen und dort sein Auskommen suchen und, sobald er genug hätte, Margit mit dem Kinde nachholen. Bis dahin wollte sie Ulla bei sich behalten.

Als Frau Falk von diesem Vorschlag hörte, widersetzte sie sich ihm energisch. Wohin sollte das führen, wenn der Leiter einer Schule den Leichtsinn einer Schülerin auf diese Weise noch ermunterte? Das wäre ein schönes Beispiel für die ganze Schule.

Ulla dagegen fragte, ob es ein besseres Beispiel wäre, das Mädchen nach Hause zum Vater zu schicken und sie zu etwas so Unmoralischem zwingen zu lassen, wie ihrer Liebe untreu zu werden und einen andern zu heiraten.

Falk, der sonst nichts weniger als unentschlossen zu sein pflegte, schwankte lange zwischen den dringenden Forderungen von Ulla und der Mutter hin und her. Er reiste zu Margits Vater und bot all seinen Einfluß auf, ihn von dem Unrecht zu überzeugen, das er begehen würde, wenn er die Tochter gegen ihren Willen an einen andern verheiratete als den, dem sie sich selbst schon hingegeben hatte. Aber die Auffassung des Bauern über diese Dinge war eine so grundverschiedene von der seinigen, daß es unmöglich war, den alten Åsen, Å = O. einen der selbständigsten Hofbesitzer der ganzen Gegend, zu überreden. Margit sollte mit seiner Einwilligung nie und nimmer einen solchen Habenichts heiraten, wie der jüngste Sohn des so wie so schon unbedeutenden Hofes Ulfven wäre; willigte sie nicht ein, den reichen Bauern Helgestad zu nehmen, der ehrenwert genug war, an seinem Wort fest zu halten, obgleich sie das Kind hatte, so könnte sie als Dienstmädchen in die weite Welt gehen oder als was sie sonst wollte, nach Åsen sollte sie ihren Fuß nicht wieder setzen.

Nach dieser Unterredung ging Falk vollständig auf Ullas Seite über. Die Mutter beruhigte sich auch. Gunnar wurde mit Geldunterstützung von Falk und Ulla nach Amerika geschickt und Margit durfte bleiben. Aber Frau Falk bewachte sie in der ganzen Zeit auf das strengste und erlaubte ihr nicht, mit der Jugend der Schule zusammen zu kommen. Es war bei ihr ein starkes Mißtrauen gegen Margit erwacht und sie behauptete, daß diese leichtsinnig von Natur wäre und daß man nicht mehr auf ihre Tugend bauen könnte.

Dies war der einzige streitige Punkt zwischen Ulla und Frau Falk. Margit war unzertrennlich vereinigt mit Ullas teuersten Erinnerungen und über ihrem Bild ruhte ein Abglanz von der Klarheit jener Sommertage und der Feiertagsstimmung der Hochfjälls. Sie wollte nur Gutes von ihr glauben. Margits zurückhaltendes, vorsichtiges Wesen schien ihr der Beweis einer tiefen Natur zu sein.

»Sie gleicht der Gegend, in der ich sie zuerst sah,« pflegte Ulla zu sagen. »Die Poesie des Schweigens liegt über sie ausgegossen.«

Ulla hatte außerdem noch besondere Veranlassung, für Margits jetzige Lage Teilnahme zu hegen, denn sie selbst sollte auch Mutter werden. Mit ihrer gewöhnlichen Fähigkeit, die Wirklichkeit sich fern zu halten, bis diese sie gefangen nahm, hatte sie in den ersten Monaten ihren Zustand vergessen; er spielte keine Rolle in ihren Träumen, und wenn sie an den nächsten Sommer dachte, ertappte sie sich darauf, wie sie sich mit Falk in den Fjällen frei herum streifend oder hinauf nach Westland in die wunderlichen, tiefen Fjords segelnd dachte.

Aber in demselben Maße, wie sie schwerfälliger und weniger beweglich wurde, fingen auch ihre Phantasien an, einen andern Charakter zu bekommen. Obgleich sie nicht glaubte, daß sie sterben würde, und keine Angst vor dem hatte, was ihr bevorstand, phantasirte sie doch viel vom Tode. Sie sah sich selbst kalt und leblos da liegen, sie stellte sich auf das lebhafteste den Schmerz ihres Mannes und die hilflose Lage des kleinen Kindes vor. Sie dachte auch daran, wie die Nachricht von ihrem Tode die Künstlerkreise in Rom erreichen, welche Bestürzung sie hervorrufen würde, welch allgemeine Teilnahme, daß eine so berühmte Künstlerin so plötzlich verschieden war! Und mit welcher Pietät man ihr halb fertiges Gemälde betrachten würde! Man würde es ausstellen und darüber trauern, daß ein so bedeutendes Kunstwerk unvollendet bleiben sollte.

Auch an ihre Cousine Eglantine dachte sie und kam mit sich darüber ins reine, daß Falk sie heiraten müßte. Ihre Taubheit war freilich ein Hindernis, aber niemand konnte ihn mit größerer Hingabe lieben wie sie, und dann hatte Etty auch in vieler Beziehung Aehnlichkeit mit ihr, was sie ihm doppelt teuer machen würde. Und für ihren kleinen Jungen würde sie die beste Mutter werden. Dem Kinde würde es keine Schwierigkeiten machen, die wunderliche Sprache der Taubstummen zu verstehen, die ihm ebenso natürlich erscheinen würde wie die gewöhnliche, ja noch natürlicher; vielleicht würde sie ihm gar wie die einzig richtige klingen, denn es war ja seine Mutter, die so sprach. Und Etty würde von diesen kleinen Kinderlippen ebenso fließend und leicht lesen lernen wie in einem Buche.

Bei dieser letzten Vorstellung hielt sie sich länger auf; sie erschien ihr so hübsch, daß sie sich förmlich in sie verliebte und nachzudenken anfing, wie sie sie malen könnte. Die Mutter im Vordergrund in voller Beleuchtung, den Kopf des Kindes zwischen ihren Händen haltend, die großen Augen mit gespannter Aufmerksamkeit auf den kleinen, ausdrucksvoll verzogenen Mund geheftet, gleichsam das Wort des Lebens von diesen Lippen saugend – im Hintergrund eine Gruppe Kinder in Gesellschaftskleidern, alle ungeduldig über den Zustand, in den das Kind die taubstumme Mutter versetzt, welche kein anderes, nur ihr eigenes Kind versteht. Sie wurde über diese Phantasie so gerührt, daß sie zu weinen anfing. Als aber Falk sie fragte, ob sie betrübt wäre, antwortete sie schluchzend: »Nein, im Gegenteil, sehr fröhlich!«

Und sie war es auch. Ihre sorglose, hoffnungsfreudige Natur hielt sie während der ganzen Zeit aufrecht und sie folgte nur mit einer gewissermaßen gespannten Neugier dem mystischen Entwicklungsprozeß, der mit ihr vor sich ging.

Falk erschien sie wie eine wirkliche Heldin, als er sah, wie weit entfernt sie von Angst und Weichlichkeit war.



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