Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII.

Das Wetter war unsicher geworden und Falk entschloß sich, während der Nacht innerhalb der Schären vor Anker zu gehen. Ulla schlief in der Kajüte, er legte sich draußen auf dem Boden des Bootes hin und deckte sich mit einem Segel zu. Er hatte schon oft so geschlafen, wenn Gäste bei ihm an Bord waren.

Mitten in der Nacht wurde Ulla von einem prasselnden Geräusch geweckt. Sie guckte aus dem Fenster und sah, daß es in Strömen goß. Und bei diesem Wetter lag Falk draußen. Das konnte sie doch unmöglich länger zugeben; sie mußte ihn bitten, herein zu kommen. Dennoch wurde sie wieder zweifelhaft, sagte sich, daß er an so etwas gewöhnt sei, und legte sich wieder zum Schlafen hin, aber der Schlaf wollte nicht kommen.

Es regnete auch zu entsetzlich.

Sie betrachtete ihren Anzug. Es war ein leichter, behaglicher Morgenrock aus einem persischen Shawl, auf der einen Achsel in die Höhe genommen; weich und geschmeidig umfloß er ihre hohe, schlanke, biegsame Gestalt. Sie nahm ihren kleinen Handspiegel vor und ordnete ihr Haar. Endlich entschloß sie sich, ihn herein zu rufen.

Sie machte ein paar schwankende Schritte dem Ausgang zu – sogar hier in den Schären schaukelte es stark – und stolperte mit ausgestreckten Händen gegen die Thüre, die aufsprang, fuhr mit dem Kopfe hinaus und wurde im Augenblick so durchnäßt, daß ihr Haar tropfte.

»Falk,« rief sie, »Sie müssen hereinkommen. Ich kann es nicht ertragen, Sie bei dem Wetter draußen zu wissen.«

Beim Klang ihrer Stimme sprang er augenblicklich auf. Sie stand in der Kajütenthüre und hielt sie nur mit Mühe offen, auf der einen Seite – Schulter, Arm und Kopf – schon von Wasser triefend.

»So kommen Sie doch,« rief sie. »Wie lange soll ich denn noch so stehen?«

Er kam vor zu ihr, schob sie vor sich in die Kajüte hinein und zog die Thüre hinter sich zu.

»Sie sind doch gut,« sagte er mit einem kurzen Lachen. »Sie haben ein durchaus weibliches Herz. Sie können keinen Hund naß werden sehen.«

»Einen Hund ja, auch einen Menschen dazu – aber Sie nicht,« sagte sie freundlich und reichte ihm ihre Hand hin.

Er nahm sie nicht, sondern sah befangen aus und vermied es, sie anzusehen.

»Da Sie so freundlich sind, mir einen Unterschlupf anzubieten, will ich etwas schlafen,« sagte er und legte sich auf das Sofa mit dem Rücken nach ihr hin. »Lange dauert es keinesfalls. Sobald das Gewitter vorüber ist, segeln wir weiter.«

Sie saß zusammengekauert in der Ecke ihres Sofas und sah seinen Nacken mit dem dichten, durchweichten Haar. Es ärgerte sie etwas, daß er ihr so den Rücken zukehrte.

»Ich glaube, Sie sehnen sich sehr, vorwärts zu kommen,« sagte sie.

Er fuhr in sitzende Stellung in die Höhe, stieß den Filz weg, den er über sich gedeckt hatte, so daß er auf den Boden fiel, und wandte sich zu ihr.

»Ja, ich fange an, mich nach dem Vorwärtskommen zu sehnen,« sagte er, »sehne mich, unter andere Menschen zu kommen. Dieses Alleinsein mit Ihnen wird mir nachgerade zur Qual.«

Ulla durchbebte ein Zittern bei diesem plötzlichen Ausbruch, den sie doch längst erwartet und in der Luft liegend empfunden hatte.

»Für mich ist dies eine glückliche Zeit gewesen,« sagte sie und spielte mit den Fransen eines weißen Shawls, den sie um die Schultern geworfen hatte.

»Ich kann es einfach nicht mehr aushalten,« rief er.

Das berührte sie unangenehm, schnürte ihr die Brust vor Angst zusammen. Für sie war es das Ideal des Lebens gewesen, das Ziel, von dem Mann und Weib träumen, und das sie doch niemals zu ergreifen wagen, so gebunden, wie sie sind, von tausend Rücksichten und Vorurteilen, die ihren Weg nach allen Richtungen hin einengen. Dieses Zusammenleben in voller Freiheit, ohne daß eines auf das andere ein Recht hat, ohne die Zukunftsperspektive, die ein Versprechen gibt, diese Liebesfülle, die gleichsam die ganze Atmosphäre mit Blumenduft und Sonnenschein erfüllt, aber sich auszusprechen fürchtet, weil Worte immer matter sind als Gefühle, dieses sorglose Traumleben, dieses Genießen des Augenblicks, ohne vorwärts oder rückwärts zu sehen – das war für ihre ästhetisch angelegte Natur die Vollkommenheit des Glückes.

»Ich weiß, Sie lieben es, mit der Liebe zu spielen,« fuhr er fort. »Ich habe Ihre Erzählung von dem jungen Italiener nicht vergessen. Als er anfing, Sie wirklich ernst zu lieben, amüsirte Sie das Ganze nicht mehr genug und Sie waren froh, als er starb. Auch ich würde Ihnen bald lästig werden, wenn wir lange so allein zusammen lebten. Für mich ist die Liebe nicht wie für Sie ein Spiel – für mich ist sie Ernst, fürchterlicher Ernst.«

Sie sah in sein bleiches, aufgeregtes Gesicht und begriff, daß die Zeit des Träumens vorüber war. Nicht konventionelle Rücksichten oder gesellschaftliche Sitten zwangen sie, ihn zurück zu weisen, sondern die Natur der Liebe selbst.

Aber sie fürchtete diese Zurückweisung. Sie fühlte, daß sie sich einer solchen Liebe wie der seinen nicht halb geben könnte, und bebte doch vor den Forderungen, die er an sie stellen könnte, zurück. Noch wollte sie sich nicht ergeben, noch wollte sie einen letzten Versuch machen, um ihre Freiheit zu kämpfen.

»Auch für mich ist es voller Ernst,« sagte sie und hielt sich mit beiden Händen am Sofasitz fest, während ihr Oberkörper durch das Schaukeln des Schiffes hin und her bewegt wurde. »Und gerade deshalb habe ich solche Angst davor.«

»So werde ich Sie nicht weiter quälen,« sagte er, sprang auf und drückte sich den Südwester tief in den Nacken, während er versuchte, fest zu stehen. »Ich kann Ihnen allerdings nicht so dienstbar sein, die Malaria zu bekommen und zu sterben, aber ich werde trotzdem Ihren Weg nicht wieder kreuzen.«

Mit einem einzigen großen Schritt war er an der Thüre, stieß sie auf, bückte den Kopf in der niedrigen Oeffnung und ging hinaus. In dem kurzen Augenblick, bis er die Thüre hinter sich zumachte, jagte der Wind Ströme von Regen herein.

Ulla stand allein in der Kajüte und lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand. Ein Blitz zuckte in dem Augenblick durch das Fenster und gleich darauf folgte ein rollender Donner. Die Wogen begannen das Boot zu peitschen und es mit solcher Gewalt auf die Seite zu werfen, daß sie hinfiel und Filz und Kissen vom Sofa über sie her.

Einen Augenblick blieb sie wie betäubt liegen und ein Gefühl tiefsten Schmerzes und Lebensüberdrusses bemächtigte sich ihrer. Wäre es nicht im Grunde das Beste, wenn sie in dieser Gewitternacht zusammen umkämen, da sie doch nicht zusammen leben konnten bei so verschiedenen Ansprüchen an das Glück – sie empfand die bitteren Worte, die er noch eben gegen sie ausgestoßen hatte, wie den Anfang eines lebenslänglichen Kampfes, wenn sie vereinigt würden – sie würde niemals alles das geben können, was er forderte; Friede, Gleichgewicht und Harmonie würden aus ihrem Leben verschwinden, wenn sie sich mit einem Manne vereinigte, der sie immer von sich selbst abzuziehen strebte. Und doch erschien ihr ohne ihn zu leben fast ebenso unmöglich. Ohne ihn gab es keine Zukunft, kein Leben mehr für sie.

Eine unendliche Müdigkeit bemächtigte sich ihrer. Ja, wenn alles vorbei wäre, alles vorbei! Ein Windstoß, der das Boot umstürzte, – von seinen Armen umschlungen, ein kurzer Kampf mit den Wogen, die sie hinabzogen, – und dann Friede, ewiger Friede!

Aber was war das? Hatte der Sturm den Anker losgerissen? Das Boot trieb ja in rasender Fahrt vorwärts.

Sie richtete sich auf und rutschte knieend an die Thüre, die sie aufstieß. Zuerst sah sie nichts vor strömendem Regen. Als sich aber ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten – oder, richtiger gesagt, an die durch dichten Nebel verdunkelte Helligkeit der nordischen Sommernacht, im Gegensatz zum Lampenschein in der Kajüte – konnte sie sehen, daß Falk sich nicht wieder hingelegt hatte. Versuchte er, den Anker wieder fest zu machen?

Nein, in der Thüre stehend, taumelte sie zurück. Die Segel waren aufgezogen. Er saß am Steuer. Er segelte. Mit dem Gewitter über ihren Häuptern. Er hatte ihre Gedanken erraten. Wollte er sie in das Verderben segeln?

Ja, sie war in seinen Händen, er konnte mit ihr machen, was er wollte. Sie erstaunte über die Widersprüche in ihrer eigenen Natur – sie, die vor allem um ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit kämpfte, sie liebte ihn in diesem Augenblick, wo die Umstände ihr Schicksal so völlig in seine Hände legten, daß sogar ihr Leben von ihm abhing.

Sie hüllte sich in seinen rauhen Filz ein und näherte sich ihm, wenn auch mit großer Schwierigkeit, mit den Händen an den Bänken festhaltend und halb auf dem Boden des Bootes hinrutschend.

Er saß zusammengesunken, den Kopf zurückgeworfen, und wandte keinen Blick von Wasser und Wetter ab. So bemerkte er sie erst, als er ihren Ellenbogen an seinem Knie fühlte. Sie stützte ihr Kinn in die Hände, sah ihm in das Gesicht und sagte lächelnd: »Du Tollkopf, willst Du uns in den Grund segeln?«

Er fuhr zusammen, neigte sich zu ihr herab, ergriff mit seiner freien Hand ihr Haupt und bog es zurück, während er ihr mit einem durchbohrenden Blick in die Augen sah. Er glaubte, sie käme aus Todesangst vor seine Füße gekrochen und wollte mit diesem zärtlichen Lächeln und dem anschmiegenden Wesen um ihr Leben bitten.

»Wenn Sie sich fürchten, will ich den Anker wieder auswerfen,« sagte er und ließ sie los.

Sie ließ die Arme sinken, legte den Kopf auf seine Kniee und sagte: »Nein, segle. Ich liebe Dich; ich habe den Mut, mit Dir zu sterben.«

Er war nahe daran, das Steuer fahren zu lassen, sie in seine Arme zu nehmen und das Boot treiben zu lassen, wohin es wollte. Aber er beherrschte sich, drückte mit seiner freien Hand ihr Haupt noch fester an sich und flüsterte: »Aber nicht, mit mir zu leben?«

Sie antwortete nicht und er wagte nicht, seine Frage noch einmal zu wiederholen. Aber in der Art, wie sie sich während dieser ganzen Gewitternacht an ihn anschmiegte, lag etwas von der Hingebung, nach der er sich so leidenschaftlich sehnte.



 << zurück weiter >>