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V.

Den andern Tag herrschte große Aufregung unter den Badegästen. Frau Krabbe war heftig erkrankt und der Badearzt war schon mit dem frühesten Morgen geholt worden; es hatte sich ein Gerücht verbreitet, man wußte nicht wie oder woher, sie hätte eine Morphiumflasche ausgetrunken in der Absicht, sich aus Verzweiflung das Leben zu nehmen, weil Falk sie verführt und darauf verstoßen hätte.

Man sah den ganzen Vormittag Gruppen von Badegästen, die etwas sehen oder hören wollten, vor der Krabbeschen Villa auf und ab gehen. Ulla Rosenhane hatte versucht, bei der Kranken vorgelassen zu werden, war aber abschläglich beschieden worden. Nur Frau Möller, die Schwester des Arztes, war hineingelassen worden, oder hatte sich, richtiger gesagt, hinein gedrängt, wie überall, wo sie glaubte, nützen zu können.

Falk wurde verschiedenemale in der Nähe der Villa bemerkt, traf auch einmal mit Ulla dort zusammen. Er konnte dem Wunsche nicht widerstehen, dahinter zu kommen, ob sie diese Nacht am Fenster gewesen war, oder ob nur seine Einbildung ihm etwas vorgespiegelt hätte.

»Sie waren diese Nacht wohl lange auf, Fräulein,« sagte er. »Als ich um ein Uhr nach Hause kam, glaubte ich Sie am offenen Fenster zu sehen.«

Diese Frage genirte Ulla offenbar; sie antwortete ausweichend, sie wüßte nicht, wann sie eingeschlafen wäre.

Falk schöpfte aus dieser Antwort die Ueberzeugung, daß sie alles gesehen hätte und ärgerte sich über diesen Mangel an Ehrlichkeit, ihn heimlich hinter der Gardine stehend zu beobachten und dann alles abzuleugnen!

Da kam der Doktor von der Kranken heraus und Falk ging auf ihn zu, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Da der Doktor ebenso gut wie alle anderen wußte, daß Falk der Held in diesem Trauerspiel war, hielt er sich für berechtigt, ihm den Verlauf der Vergiftungsgeschichte mitzuteilen. Er nahm ihn unter den Arm und sie entfernten sich ein Stück von den Anwesenden.

»Sie hatte etwas Morphium im Hause seit einem schweren Anfall neuralgischer Schmerzen diesen Sommer, wo sie ein paar Einspritzungen bekommen mußte. Davon hat sie etwas genommen, aber so wenig, daß sie überzeugt sein konnte, es würde ihr nicht das Leben kosten. Es ist ja nichts weiter als Schauspielerei; sie will Aufsehen erregen und Skandal machen, um Sie fest zu kriegen, weiter ist es nichts. Wäre es Ernst gewesen, hätte sie nicht gleich nach mir geschickt, sowie sie etwas zu brechen anfing – und dann gleich laut zu schreien, so daß es das Mädchen hörte: ›Ich habe Gift genommen, aber es war zu wenig; geben Sie mir mehr, Doktor, geben Sie mir mehr. Ich will sterben!‹ – Teufelskomödie!«

»Kann ich mich vollkommen darauf verlassen?« fragte Falk.

»Ja, Sie hören ja die Fakta. Glauben Sie, daß ein Mensch, der wirklich sterben will, sich so beträgt?«

»Sie ist offenbar eine sehr leidenschaftliche Natur.«

»I, Gott bewahre, aber feig ist sie. Ich kenne sie schon lange. Zu einem entschlossenen Schritt hat sie ihr Lebtag keinen Mut gehabt.«

Als Herr Krabbe zu Mittag von seinem Fischfang heimkehrte, war schon alle Gefahr vorüber und man sagte ihm zunächst nur, daß Anna etwas unwohl wäre und ihn deshalb nicht sehen könnte.

Anna selbst war von ihrer Absicht, sterben zu wollen, überzeugt und beklagte sich bei Frau Möller bitter, daß man sie zwingen wollte, gegen ihren Willen zu leben. Gleichzeitig aber hoffte sie, daß die Nachricht ihres Selbstmordversuchs nicht verfehlen würde, auf Falk einen tiefen Eindruck zu machen.

Als der ganze Tag verging, ohne daß dieser etwas von sich hören ließ, sank ihr der Mut; und am Abend ließ sie schließlich ihrem Mann sagen, sie könnte ihn jetzt wieder sehen.

Sie reichte ihm mit ungewöhnlicher Freundlichkeit die Hand, ließ sich von ihm auf die Stirn küssen und sagte: »Höre auf keines der Gerüchte, die jetzt über mich ausgesprengt werden mögen. Zwischen Falk und mir hat nie ein Verhältnis bestanden, das schwöre ich Dir bei Gott, wenn auch meine letzte Stunde geschlagen hätte.«

Am nächsten Tage besuchte Krabbe Falk auf seinem Zimmer. Er war anfangs sehr befangen, da er sich überhaupt seinem norwegischen Duzbruder gegenüber etwas genirt fühlte und sein Anliegen ebenso unnötig wie unbehaglich fand.

»Na ja, das Gerücht ist so voller Dummheiten,« fing er plötzlich an, als ob Falk etwas darüber gesagt hätte. »Aber ich frage nicht viel nach solchem Geklatsch. Etwas Courmacherei – Herrgott – junges Blut, oder wäre es etwas Schlimmeres? Das allein will ich wissen. Daß sie ein bißchen verliebt ist, na, das habe ich lange gesehen, aber das geht vorüber,« fügte er mit einer abweisenden Handbewegung hinzu. »Dergleichen geht stets vorüber. Aber von Schweinereien will ich nichts wissen!« stieß er plötzlich heraus. »Meine Frau verschwört sich hoch und teuer, daß keine Rede davon ist. Aber sieh, auf Frauenzimmer ist kein Verlaß,« setzte er in gutmütigerem Ton hinzu. Er war stets überzeugt, daß alle Fehler seiner Frau ihrem ganzen Geschlecht eigen wären und beurteilte sie deshalb als solche mit großer Nachsicht.

»Aber Du, mein lieber Duzbruder Falk, ein Mann vom Kopf bis zu den Füßen, weshalb auch die Frauen auf Dich so versessen sind, rein heraus mit der Sprache, Ehrenmensch!«

»Es ist nie zwischen Deiner Frau und mir etwas anderes gewesen als eine ganz gewöhnliche Courmacherei,« antwortete Falk, »und auch damit ist es nun vorbei.«

»Schön,« rief Krabbe und schlug Falk kräftig auf die Schulter. »Laß uns jetzt hinunter in die Schweizerei gehen und einen Toddy trinken, damit die Leute sehen, daß wir gute Freunde sind, dann hört das Geschwätz am ersten auf. Das ist der Rat meiner Frau und sie ist eine verdammt kluge Frau. Trifft den Nagel auf den Kopf,« fügte er vergnügt hinzu und deutete auf seine Stirn, während er »Bruder« Falk unter den Arm griff und ihn mit sich fort auf den Weg zur Restauration zog.



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