Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Erst als Falk und Ulla die Treppe im Hotel hinauf gingen, bemerkte sie, daß er sein Bein mit größerer Schwierigkeit oder Vorsicht bewegte als bisher. Sie fragte ihn darnach, und er erzählte ihr nun von seinem Besuch beim Chirurgen, und daß er in das Krankenhaus und wahrscheinlich eine Operation durchmachen müßte.
»Eine Operation! Ist es so schlimm? Wird sie schmerzhaft?« fragte sie und erbleichte.
»Nun – das ist es nicht, was mich betrübt. Ich traure nur darüber, daß ich eine längere Zeit von Dir getrennt sein soll.«
»Warum das? Ich bleibe doch natürlich bei Dir.«
»In der Stadt, den ganzen letzten Teil des Sommers?«
»Was thut das! Glaubst Du, ich würde Dich verlassen, wenn Du krank bist?«
»Aber den Kleinen? Vergißt Du den?«
»Er ist ja doch fort – ich kann ja so wenig für ihn thun im Verhältnis zu dem, was ich hoffe Dir sein zu können.«
»Aber könntest Du es wirklich aushalten, ihn so lange Zeit gar nicht zu sehen? Es gibt ja tausend Kleinigkeiten, die bei einem so kleinen Kinde zu beachten sind und die die Bauernfrau dort doch nicht so versteht – und wir wollten beide so lange von ihm weg bleiben?«
»Aber die Mutter ist ja da.«
»Die Mutter würde höchstens ein paarmal während der ganzen Zeit hinkommen, da das Fahren auf dem holperigen Wege sie so angreift. Nein, ich habe mir die Sache ganz anders gedacht. Ich dachte, Du solltest während der Zeit meines Wegseins ganz auf den Bauernhof zum kleinen Rolf hinziehen.«
»So! Hast Du es so bestimmt? Und wann befiehlst Du, daß ich reisen soll?« fragte sie in einem Ton, der scherzhaft sein sollte, aber doch etwas spitzig klang. »Morgen? Oder heute abend vielleicht schon?«
Sie stand vom Sofa auf, wo sie zwischen ihm und der Seitenlehne eingeklemmt saß und wollte an ihm vorbei gehen, aber er ergriff ihre beiden Hände von rückwärts und hielt sie fest.
»Befiehlst! Ulla!« sagte er sanft. »Wenn ich wünsche, daß Du unser Kind nicht vergißt! Es ist so liebevoll von Dir, daß Du bei mir bleiben willst, aber es macht mich so schrecklich unglücklich, wenn ich fühle, daß Du nicht ebenso liebevoll an den kleinen Rolf denkst wie an mich.«
»Ich habe es Dir ja gleich gesagt,« entgegnete sie, »daß ich nicht im stande bin, mein Herz zu teilen. Es ist immer nur ein Gefühl, das mich auf einmal ganz erfüllt. Eben noch dachte ich an die Gemälde, nun wieder nur an Dich.«
Er legte eine ihrer Hände mit der Innenseite auf seinen Mund und küßte sie.
»Jetzt ist es abgemacht – ich reise –« sagte sie. »Aber erlaubst Du, daß ich noch einige Tage bleibe, um die Ausstellung noch ein paarmal zu besuchen?«
»Ja, das erlaube ich in Gnaden,« sagte er heiter. »Und mir werde ich erlauben, die paar Tage, so lange Du noch hier in der Stadt bist, im Hotel bei Dir zu bleiben.«
»Und dann sollst Du in das Krankenhaus. Ach, wie das gräßlich ist! Du mußt wohl chloroformirt werden, wenn es zur Operation kommt?«
»Nein,« antwortete er kurz, schob sie von sich und stand auf.
»Warum denn nicht?«
»Weil – weil ich es nicht will.«
Sie schlang ihre Arme um ihn.
»Rolf – ich weiß, warum Du es nicht willst. Aber Du mußt keine solchen Dummheiten machen – Du darfst es wirklich nicht – wozu soll das nützen? Das Geschehene wird ja dadurch nicht besser. Und glaubst Du, daß Du mir damit eine Freude machst, wenn Du Dich selbst dem unterwirfst – nein, höre 'mal, das wäre wirklich ein höchst unnötiger und verunglückter Heroismus …«
»Von irgend welchem Heroismus ist keine Rede,« antwortete er ungeduldig. »Laß uns lieber jetzt essen. Für einen ordentlichen Landmann ist das späte Essen ja entsetzlich.«
»Du bekommst hoffentlich ein hübsches Zimmer im Krankenhaus?« fragte Ulla, als sie bei Tisch saßen.
»Ja, ein prächtiges,« sagte er lächelnd. »So groß, daß zwanzig Betten darin Platz haben.«
»Zwanzig Betten! Aber – was soll denn das heißen? Du bekommst doch natürlich ein Zimmer für Dich?«
»Nein, das werde ich natürlich nicht bekommen, Frau Aristokratin. Warum sollte ich das?«
»Aber das ist doch selbstverständlich – Du wirst doch natürlich erste Klasse nehmen!«
»Warum? In dem großen Saal liegen brave Landleute, die vermögender sind als ich.«
»Ach, wieder Deine entsetzlichen Prinzipien! Aber Du hast doch feinere Gewohnheiten – oder wenigstens – nein, still, ich nehme das von den Gewohnheiten zurück, wenn Du willst, aber doch eine feinere Natur als sie. Du wirst mehr darunter leiden, unter den anderen zu liegen, ihren Jammer zu hören, und all das Elend, Unangenehme und Widerwärtige zu sehen, was in einem solchen gemeinsamen Saal vorkommen kann. Nein, Rolf, ich kann mich geradezu nicht in den Gedanken finden, Dich dort liegend zu wissen.«
Er unterbrach sie, indem er ihr die Hand auf den Mund legte. »Jetzt sprechen wir nicht weiter darüber,« sagte er.
»Rolf, ich könnte mich geradezu vor Dir fürchten, wenn Du so bist,« fiel Ulla ein. »Es ist eine gewisse Härte in Dir, die mich erschreckt. Wenn ich nun krank wäre und im Krankenhaus liegen müßte, würdest Du auch von mir fordern …«
»Fordern würde ich es nicht von Dir – und ich selbst würde grenzenlos leiden, wenn ich Dich dort liegen sehen sollte, aber trotzdem, scheint mir, würde ich wünschen, Du thätest es. Du weißt, daß es mir stets zuwider ist, diesen Unterschied zwischen den Klassen zu machen, aber nichts erscheint mir abstoßender, als von zwei kranken Menschen, die beide leiden, dem einen bessere Hilfe und Pflege angedeihen zu lassen als dem andern, wenn er nicht schwächer als der andere ist. Das, dünkt mich, sollte der einzige Unterschied sein, der gemacht werden dürfte, wenn es Menschenliebe genug in der Welt gäbe.«
»Ja, Du bist gut,« sagte Ulla innig. »Wenn wir anderen nur auch so wären.«
»Pah – schwatz doch nicht so,« unterbrach er sie. Er konnte es nicht vertragen, wenn man das rühmte, was er als so selbstverständliche Pflicht ansah, daß es ihm überhaupt gar nicht einfiel, auch nur einen Augenblick darüber im Zweifel zu sein, wie er handeln müsse.
Den Abend gingen sie noch etwas aus. Sie schlenderten nach dem Tivoli, wo Konzert war. Dort trafen sie wieder mit den beiden Malern zusammen, und Ulla citirte lachend Björnsons Ausspruch, Christiania wäre eine so kleine Stadt, daß alle Menschen in ein und derselben Barbierstube rasirt würden.
Als Lewi hörte, daß Falk in Christiania bleiben müßte und Ulla allein nach Hause reisen würde, schlug er gleich vor, ihr Gesellschaft zu leisten.
»Ich vermute, daß Du doch nicht allein im Segelboot zurückfährst,« sagte er. »Dann können wir wie andere zivilisirte Menschen mit dem Dampfschiff reisen, und nachher rund herum fahren, anstatt über Fjälle und solches Gewirr zu laufen.«
»Wollen Sie noch weiter ins Land reisen?« fragte Falk.
»Ja, Ihre Frau war so liebenswürdig, mich zu einem Besuch bei sich nach Jökelheim einzuladen.«
»Das thut mir wirklich leid,« fiel Falk ein, »aber im Sommer kann Ulla wohl keinen Besuch annehmen. Wir haben unser Kind in Pflege auf einem Bauernhof, der eine Meile von unserem Hofe entfernt liegt, und Ulla hatte vor, während meiner Abwesenheit so lange dorthin zu ziehen.«
»Ja, ein paar Wochen könnte ich schon zu Hause bleiben und Lewi bei uns aufnehmen,« wandte Ulla ein und sah Falk zweifelhaft an.
»Ach so,« fuhr dieser auf. »Ich hatte verstanden, daß Du nur unseres Kindes wegen nicht hier bei mir bliebst. Herr Lewi muß entschuldigen, wenn ich für keinen andern auf die Gesellschaft meiner Frau verzichte als nur für unser Kind.«
»Es thut mir wirklich leid und es erscheint ungastlich,« fügte er mit mehr Selbstbeherrschung hinzu, als er sah, wie Ulla rot wurde und ihm einen warnenden Blick zuwarf. »Ich verstehe vollkommen, welche große Freude es für Ulla sein würde, ihren Jugendfreund in ihrem Heim zu begrüßen. Aber wir dürfen vielleicht das nächste Jahr hoffen –«
Das hastig aufgestiegene Rot wich aus Ullas Gesicht, hinterließ aber auf der einen Wange einen roten Fleck, der bis hinab an den Hals ging. Ein nervöses Zucken spielte um ihre Lippen und ihre Augen flammten, als sie jetzt zum Maler sagte:
»Ja, verzeih mir, Lewi, es war unvorsichtig von mir, Dich einzuladen, ehe ich meinen Mann um Erlaubnis darum gebeten hatte. Du siehst nun, daß er es anders beschlossen hat, und ich kann deshalb nicht –«
Sie brach ab, weil ihr die Thränen im Halse steckten. Dann schlug sie Lewi ein paarmal leicht auf die Hand und lehnte sich zurück auf ihrem Stuhl, um der Musik aufmerksam zu lauschen.
Falk stand auf und zog Lewi mit sich fort auf einsamere Wege, wo sie ungestörter von Menschen sich aussprechen konnten. Ulla sah sie lange zusammen hin und her gehen, bis endlich Lewi allein zurück kam.
»Weißt Du, ich fange fast an zu begreifen, warum Du nicht ›Nein‹ sagen konntest, als er um Dich freite,« sagte er, während er sich neben Ulla setzte. »Auch sogar ohne Segelboot und Sturm und dergleichen künstliche Mittel. Wie der Mensch bitten und überreden kann, so etwas gibt es nicht mehr.«
»Warum hat er Dich denn gebeten?«
»Mit Dir nach Hause zu reisen und ein paar Wochen bei Dir zu bleiben. Er war wirklich rührend traurig darüber, daß Du böse auf ihn bist, und ich kam mit nichts Geringerem als dem Versprechen los, Dich zu begleiten.«
Das Konzert war zu Ende und Falk, der einige Bekannte getroffen hatte, verabschiedete sich von diesen, und kam, um Ulla abzuholen.
»Lewi hat mir versprochen, zu kommen. Bist Du nun mit mir zufrieden?« sagte er, als sie nach Hause gingen.
»Das sieht Dir so ähnlich,« antwortete sie lachend, mit Thränen in den Augen. »Es ist beinah ärgerlich, daß es niemals zu einem ordentlichen Zank zwischen uns kommt, nur weil Du so herzens- und seelengut bist, wenn Du auch manchmal so grimmig thust! Aber ich werde nun doch kein ordentliches Vergnügen an Lewis Besuch haben, da ich weiß, daß Du hier in dem großen Krankensaal liegst. Höre,« sagte sie eindringlich und innig, »wenn Du nur auch in dem Punkt noch nachgeben wolltest.«
»Wenn Du darüber mehr sprichst, betrübst Du mich,« schnitt er ihr kurz das Wort ab. »Es thut mir weh, wenn Du meine Beweggründe nicht verstehst. Es scheint mir doch so einfach, daß ich nicht anders handeln kann.«
»Ich nehme zurück, daß Du lieb bist. In gewissen Fällen bist Du eigensinnig wie der Tod.«
»Eigensinnig und hart,« rief er. »Das war es, was Du mir schon einmal vorgeworfen hast. Ja, vielleicht ist man zuweilen beides.«