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In Saint-Omer lebte einst ein Edelmann und Waffenherold des Königs, der eine gute und getreue Ehefrau zur Gattin hatte. Die war vordem schon einmal verheiratet gewesen, und aus dieser Ehe war ihr ein Sohn geblieben, den sie in die zweite Ehe mitbrachte. Obwohl nun der wackere Gesell solch gute ehrsame Frau hatte, war er allenthalben bei Tag und Nacht hinter Liebesabenteuern her, wo er nur irgend die Möglichkeit dazu fand.
Im Winter freilich entstehen leichter Schwierigkeiten, als wenn man zu anderen Jahreszeiten auf der Liebesjagd ist, und deshalb kam er auf den Gedanken und zu dem Entschluß, außerhalb seines Hauses keinerlei Seitensprünge zu machen. Er hatte nämlich bei sich im Hause ein sehr nettes hübsches junges Mädel. Das war die Kammerfrau seiner Gemahlin, und er gedachte Mittel und Wege zu finden, um ihr, wenn möglich, ein zärtlicher Diener zu sein. Kurz und gut, durch Geschenke und Versprechungen erlangte er schließlich die Erlaubnis, alles zu tun, was er wollte, – wenn das auch nicht ohne Mühe ging, weil seine Frau immer hinter ihnen her war. Denn sie kannte schon die Neigungen ihres Mannes.
Aber Amor, der seinen eifrigen Anhängern stets beisteht und hilft, schärfte die Erfindungsgabe seines wackeren und getreuen Knechtes, also daß er einen Ausweg fand, sein Spielchen zu spielen: Der Edelmann gab nämlich vor, sich schrecklich erkältet zu haben, und ob dieser geheuchelten schweren Krankheit sagte er zu seiner Frau: »Liebwerte Gefährtin, sieh einmal: ich bin so schwer krank, wie es ärger nicht sein kann. Ich muß mich ins Bett legen, und darum bitte ich such, schickt auch all die anderen ins Bett, damit niemand Lärm macht, und dann kommt zu mir in unser Zimmer.«
Der guten Frau ging die Krankheit ihres Gatten arg zu Herzen. Sie tat nach seinem Geheiß, holte dann zwei schöne Decken, wärmte sie, und nachdem ihr Mann sich gelegt hatte, deckte sie ihn gut damit zu. Als er nun längere Zeit gehörig in Hitze gekommen war, meinte er:
»Liebste, das genügt. Ich bin jetzt ganz wohl, dank Gott und Eurer Hilfe. Ihr habt Euch ja auch gar viel Mühe gemacht. Bitte kommt nun und legt Euch bei mir ins Bett.«
Sie hatte nur den Wunsch, für die Gesundheit und Ruhe ihres Mannes zu sorgen und tat daher, wie er es angeordnet hatte. So schnell sie konnte, schlief sie ein. Sobald aber unser verliebter Herr merkte, daß sie schlief, machte er sich ganz sacht aus dem Bett hinaus und schlüpfte zu dem Bette der ersehnten Kammerfrau, das in der Nähe stand. Dort wollte er sein Versprechen erfüllen. Er wurde mit offenen Armen aufgenommen, fand einen liebeskampfbereiten Partner, und die zwei brachen so viele Lanzen miteinander, daß sie schließlich beide todmüde wurden und vereinbarten, Arm in Arm schlafend die Nacht zu verbringen.
Wie es einem nun manchmal begegnet, wenn er in unbehaglicher oder trübseliger Stimmung einschläft: wacht er auf, so ist der drückende Gedanke das erste, was ihm wieder vor Augen steht, und manchmal ist er sogar der Grund seines Erwachens. So erging es auch der Ehefrau. Aber trotzdem sie so besorgt um ihren Mann gewesen war, hatte sie doch nicht genügend über ihn gewacht, denn nun ward sie inne, daß er sein Bett verlassen hatte. Sie tastete nach seinem Kopfkissen und fand, daß die Stelle, wo er gelegen hatte, ganz kalt war, daß er also dort schon lange nicht mehr gelegen hatte. Nun sprang sie ganz verzweifelt auf und nahm ihr Hemd und ihren Unterrock, während sie zu sich selbst sagte:
»Was bist du für ein arges, nachlässiges Ding! Wenn du durch deine Unaufmerksamkeit schuld daran bist, daß dein Mann zugrunde geht, dann bist du eine ganz nichtwürdige Frau und hast dir die schwersten Vorwürfe zu machen. Ach, warum habe ich mich heut nacht niedergelegt und derart dem Schlafe hingegeben? Ach, Jungfrau Maria, gib meinem Herzen die Freude wieder und sorge, daß durch meine Schuld kein Unheil entsteht. Ich würde mich ewig mit Vorwürfen quälen, wenn er des Todes wäre!«
Nach solchen kummervollen Klagen machte sie sich eilends auf und ging, Licht zu suchen. Sie wollte sich von ihrer Kammerfrau helfen lassen, nach ihrem Manne Ausschau zu halten, und deshalb kam sie zu ihr in das Zimmer, um sie aus dem Bette zu holen. Und da fand sie denn auch richtig das zärtliche Pärchen Arm in Arm schlafend an Ort und Stelle, und ihr schien, daß die beiden heut nacht keine Mühe gescheut hatten, denn sie schliefen so fest, daß sie auch durch das Hereinkommen nicht geweckt wurden, selbst nicht durch das Licht, das in die Stube gebracht wurde.
Die Frau war tiefbeglückt zu sehen, daß ihr Mann nicht so krank und elend war, wie sie es gefürchtet und bangen Herzens ausgemalt hatte. Ader trotzdem ging sie hinaus, holte ihre Kinder und die Hausleute, führte sie in die Stube und zeigte ihnen das hübsche Paar schärfte ihnen aber zugleich dringend ein, sie sollten nichts davon verlauten zu lassen. Dann fragte sie alle Zeugen leise, wer das dort im Bett der Kammerfrau sei und in deren Armen ruhe. Und die Kinder bestätigten, daß es ihr Vater, die Knechte, daß es ihr Herr sei.
Nunmehr schickte sie alle wieder hinaus und hieß sie schlafen gehen, denn zum Aufstehen war es noch zu früh; und auch sie verfügte sich wieder in ihr Bett, aber schlafen konnte sie kaum, und so lag sie, bis die Stunde des Aufstehens kam.
Indessen erwachte, reichlich viel später, auch das zärtliche Liebespärchen, und beide nahmen gar liebevoll voneinander Abschied. Unser Hausherr kehrte stillschweigend in sein Bett zurück und schlüpfte neben seiner Frau in die Federn. Diese ihrerseits tat, als merkte sie nichts und als läge sie fest im Schlaf, und darüber war er inniglich erfreut, denn er vermeinte, daß sie von seinem glücklichen Abenteuer nichts erfahren habe. Im Innersten nämlich hatte er gar gewaltige Angst und Sorge, sowohl um seines Friedens willen als des Mägdeleins wegen.
Richtig versank unser Hausherr von neuem in festen Schlaf. Die gute Hausfrau aber tat auch fürder kein Auge zu, und als die Stunde des Aufstehens kam, erhob sie sich, um ihrem Manne ein Gutes anzutun und ihm stärkende Nahrung nach der abführenden Medizin zu geben, die er heut nacht genommen hatte. Sie ließ die Hausleute aufstehen, rief die Kammerfrau und hieß sie, die zwei schönsten Kapaune aus dem Hühnerstall zu holen und sorglich zuzubereiten; selbst solle sie sich in die Schlachtstube begeben, das beste Stück Rindfleisch verlangen, das sich auftreiben ließ, es im ganzen schön in Wasser kochen, gut durchziehen lassen, und kurz alles tun, was sie so wohl zu tun wisse, denn sie sei ja gar meisterlich geschickt, kräftige Suppen zu machen. Das Zöflein wollte von ganzem Herzen seiner Herrin und mehr noch seinem Herrn zu Gefallen sein, diesem aus Liebe, jener aus Furcht, und versprach deshalb, alles aufs beste auszuführen.
Derweile begab sich die gute Hausfrau zur Messe. Auf dem Rückwege ging sie beim Hause ihres Sohnes vorbei, von dem weiter oben die Rede war, und forderte ihn auf, zum Essen zu ihrem Manne zu kommen und drei oder vier wackere Gefährten, die sie ihm nannte, mitzubringen. Dann ging sie heim und erkundigte sich in der Küche, ob auch die Brühe nicht aus Unvorsichtigkeit übergekocht war, denn sie hatte an der Unvorsichtigkeit der Nacht genug. Aber Gott sei Dank, damit war es nichts: der Ehemann hatte nirgends gestört, denn er war in die Kirche gegangen.
Inzwischen ging der Sohn der Hausfrau zu den Freunden, die sie ihm genannt hatte, und lud sie ein. Es waren das die ärgsten Spaßmacher der ganzen Stadt Saint-Omer. Der Ehemann aber, der jetzt von der Messe heimkam, überhäufte seine Frau mit Umarmungen und Küssen und wünschte ihr einen recht guten Morgen. Also tat auch sie, aber von ihren Gedanken ließ sie sich nicht abbringen. Sie versicherte ihm nur, wie froh sie sei, ihn wieder so wohl und gesund zu sehen, und dafür dankte er ihr und sagte:
»Wirklich, ich bin wieder ganz gut auf den Beinen, Liebste, und nach meinem Kirchgange bedünkt es mich, daß ich ganz gehörigen Hunger habe. Ich würde gern essen, wenn es Euch recht ist.«
Darauf meinte sie:
»Freilich ist's mir recht, aber man muß noch etwas mit dem Essen warten, bis es fertig ist und die und die, die wir heute zu Gaste gebeten haben, angelangt sind.«
»Zu Gast gebeten?« verwunderte er sich. »Aus welchem Grunde denn? Mir liegt nichts dran und es wäre mir lieber, sie blieben fort, denn es sind so arge Spottvögel, daß sie mich unaufhörlich aufziehen werden, wenn sie hören, daß ich krank gewesen bin. Wenigstens seid so gut, Schönste, und sagt ihnen, bitte, nur davon nichts. Und dann noch etwas anderes: Was bekommen sie denn zu essen?«
Sie erklärte ihm, deshalb brauche er sich nicht zu besorgen, sie würden schon genug zu essen haben, denn sie habe die beiden schönsten Kapaune der Wirtschaft herrichten lassen und obendrein ihm zu Ehren ein treffliches Grützbrot. Darüber war er sehr froh und versicherte ihr, daß sie ihre Sache gut gemacht habe.
Bald nachher kamen die Gäste zusammen mit dem Sohn der Hausfrau. Als alles bereit war, gingen sie zu Tische, setzten sich und ließen es sich wohlschmecken, tranken auch, bald der eine, bald der andere, einen kräftigen Schluck auf das besondere Wohl des Hausherrn. Dann aber meinte dieser zu seinem Stiefsohne:
»Johann, mein Lieber, bitte, trinkt auf das Wohl Eurer Mutter und greift dann gut zu!«
Der Sohn war gern dazu bereit, und als er eben auf das Wohl seiner Mutter getrunken hatte, kam die Kammerfrau, die das Essen auftrug, an den Tisch. Daraufhin und anknüpfend an den Trunk rief die Hausfrau sie herbei und sagte:
»Kommt her, holde Hausgefährtin, trinkt auch Ihr auf mein Wohl! Ich will Euch Bescheid tun.«
»Holde Gattin,« erkundigte sich unser Liebesjünger, »woher plötzlich diese große Zärtlichkeit? Der Schlag mag dreinfahren, wenn das nicht eine gewaltige Neuigkeit ist!«
»Aber das ist doch wirklich meine zuverlässige, getreue Gefährtin! Erscheint Euch das so erstaunlich?«
»Ei, ei, Johanna, bedenket, was Ihr da sagt. Man könnte ja geradezu denken, daß zwischen ihr und mir irgend etwas sei!«
»Und warum denn auch nicht?« entgegnete die Frau. »Habe ich Euch heut nacht denn nicht Arm in Arm in ihrem Bette schlafend gefunden?«
»In ihrem Bette?!« rief er.
»Aber freilich, so ist's,« erwiderte sie.
»Auf mein Wort, meine Herren, damit ist es nichts. Sie sagt das nur, um mich zu ärgern und das arme Mädel in Verlegenheit zu bringen. Denn kein Mensch hat mich so gefunden.«
»Wirklich nicht?« spottet« sie. »Nun, Ihr werdet es ja hören und ich will es Euch von allen Leuten unseres Hauses bestätigen lassen.«
Alsbald rief sie ihre Kinder und die Hausleute an, die bei Tische saßen, und fragte sie, ob sie nicht ihren Vater im Bette der Kammerfrau gesehen hätten. Die bestätigten, daß es wahr sei, aber der Vater fuhr sie an:
»Ihr lügt ja, ihr bösen Buben, eure Mutter hat euch das nur vorgesprochen!«
»Nehmt es uns nicht übel, Vater, aber wir selbst haben Euch dort liegen gesehen, und ebenso sahen es auch unsere Leute.«
»Und was sagt ihr dazu?« wandte sich die Frau an die Dienerschaft.
»Es ist wahrhaftig wahr!« erwiderten sie. Nun gab's ein gewaltiges Gelächter bei den Gästen, die dabei waren, und der Hausherr erlebte eine Hatz, bis er nicht mehr konnte. Denn seine Frau erzähle allen, wie er sich krank gestellt und was er alles angerichtet hatte, ebenso, wie alles, was sie selbst getan und welche Vorbereitungen sie getroffen hatte, um ihn zu feiern: wie sie dies Essen hatte richten und seine Freunde hatte bitten lassen. Und die gingen gar nachdrücklich auf jede Einzelheit ein, also daß er aufs tiefste beschämt war, kaum noch wußte, wie er sich in seiner Verlegenheit helfen sollte, und schließlich keinen anderen Ausweg fand als zu erklären:
»Da also alle gegen mich sind, muß ich eben schweigen und zugeben, was gegen mich behauptet wird. Denn ich allein kann gegen euch alle nicht aufkommen.«
Dann ordnete er an, die Tafel aufzuheben, und nachdem sie sich gesegnet hatten, rief er seinen Stiefsohn und sagte:
»Johann, liebster Freund, bitte nehmt mich in Schutz, wenn die andern mir so etwas zum Vorwurf machen, und schützt meine Ehre. Kümmert Euch auch um das arme Mädel, damit sie bekommt, was wir ihr schuldig sind. Bezahlt sie reichlich, damit sie nicht zu klagen hat, und schickt sie dann weg. Denn ich weiß gar wohl, Eure Mutter wird sie im Hause nicht länger bei sich dulden.«
Der Stiefsohn ging und tat, wie ihm geheißen war, und kehrte dann zu den Gefährten zurück, die er mitgebracht hatte. Er fand sie im Gespräche mit seiner Mutter, der sie für die gastliche Aufnahme dankten. Dann nahmen sie Abschied und gingen hinweg. Die andern aber blieben im Hause und man darf wohl annehmen, daß es zwischen ihnen noch so manche Aussprache setzte, der verliebte Edelmann aber hatte bei diesem Mittagessen sicherlich noch nicht den letzten bitteren Tropfen seiner Leidensschale geleert.
Man kann hier passend wie von Hunden, Vögeln und Waffen auch von der Liebe sagen: Auf eine Freude tausend Schmerzen. Und wenn jemand mit diesen nicht zugleich fürlieb nehmen will, dann darf er auch mit jenen nichts zu tun haben wollen.
So also, wie hier steht, verlief für den wackeren Edelmann der Seitensprung, den er sich geleistet hatte, und alles hat sich wahrhaftiglich so zugetragen, wie hier berichtet ist.