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Wohl hat sich zu Engelland manch erhabenes und furchtbares Abenteuer abgespielt; aber die meisten würden nicht zu der vorliegenden Geschichte passen, wenn wir sie im Zusammenhang mit ihr erzählen wollten. Die Geschichte, die nunmehr folgen wird, um sich in den Rahmen dieser Chronika einzufügen, berichtet von einem gar hochgestellten edlen Herrn, einer der hochgeborensten Persönlichkeiten de»engelländischen Königreiches, einem riesig reichen und mächtigen Mann, dessen Name durch seine siegreichen Feldzüge und Eroberungen weithin berühmt wurde.
Der hatte in seinem Gefolge einen jungen, anmutigen Edelmann, der zu seinem engeren Hausbestande gehörte und sich seines herzlichsten Vertrauens, seiner innigsten Zuneigung und Liebe erfreute – aus vielerlei Gründen: denn der Jüngling war bildschön, außerordentlich gewandt und tüchtig und dabei gleichermaßen verschlagen wie klug-zurückhaltend. Und da der hohe Herr so in jeder Beziehung an ihm seine Freude hatte, so verheimlichte er ihm auch nicht seine Liebesabenteuer. Ja, es kam sogar mit der Zeit dahin, daß der junge Edelmann, in dem Bestreben, sich noch immer fester in der Gunst seines Herrn einzunisten, diesem bei den meisten Unternehmungen, die der Befriedigung seiner Liebeswünsche dienten, hilfreich zur Hand war.
Dies alles aber tat er nur, solange sein Herr noch unvermählt war. Nun geschah es jedoch nach einiger Zeit, daß einige Verwandte in fürsorglicher Freundschaft dem edlen Herrn so lange zusetzten, bis er sich mit einer bildschönen, tugendsamen und obendrein steinreichen Dame verheiratete. Darüber waren die Seinen hocherfreut und unter anderem unser Edelmann, der sich mit Recht seinen LieblingDer französische Text sagt ›mignon‹, was damals zumeist als ›Liebster‹ oder ›Herzliebster‹ gemeint wurde. Ich habe das Wort ›Liebling‹ gewählt, weil es nicht nur den ›engsten‹ Sinn den Wortes bezeichnet und dem Leser überläßt, wie er die Sache auffassen will. S. a. darüber das Vorwort. Th. v. K. nennen konnte und der nun voller Zufriedenheit erwog, wie sehr diese Ehe seinem Herrn zum Wohl und zur Ehre gereichte und wie sie ihn von allerlei Torheiten abbringen würde.
Mit dieser Überzeugung hatte er sich allerdings nicht unwesentlich geirrt. Denn als er eines Tages seinem Herrn seine Freude über dessen Ehe mit dieser schönen, lieben Gattin aussprach, sintemalen selbiger doch nun nicht mehr nötig habe, wie bisher immer hier und dort auf Abenteuer auszugehen – da erwiderte ihm seine Hoheit: er habe auf die Seitenwege noch längst nicht verzichtet; denn wenn er verheiratet sei, so wäre damit doch nicht gesagt, daß er aus holdem Minnedienste ausschiede, und er habe sogar die Absicht, sich nun um so lebhafter diesem Dienste zu widmen.
Sein Liebling konnte sich mit so schlimmen Vorsätzen gar nicht einverstanden erklären. Er erwiderte ihm, daß seine Seitensprünge nunmehr ein Ende haben müßten, maßen er eine Lebensgefährtin gefunden habe, die weder in Schönheit, noch in Tugend, noch in Edelmut und Güte ihresgleichen fände; seinetwegen könne ja sein Herr tun und lassen, was er wolle; aber er würde nun und nimmermehr einer anderen Frau eine Botschaft überbringen, die den Zweck hätte, die Herrin zu hintergehen und zu benachteiligen.
»Ich weiß nicht, was du da mit ›benachteiligen‹ meinst,« lächelte sein Herr. »Aber es ist dringend nötig, daß du dich von neuem an die Arbeit machst und mit dieser, jener, der und der wieder meine schönen Beziehungen anknüpfst, die ich inzwischen nur allzulange vernachlässigt hatte. Und denke nur nicht, daß es damit sein Bewenden hat.«
»Ach, hoher Herr,« sagte der Jüngling, »ich kann mich über Euch gar nicht genug wundern. Ihr macht Euch ja geradezu ein Vergnügen daraus, Frauen zu mißbrauchen, und daran tut Ihr nicht recht; Ihr wißt ja selbst besser als irgend ein anderer, daß von all den Frauen, die Ihr da eben aufzähltet, keine einzige an Schönheit oder sonstwie der Euren gleichkommt, und doch wollt Ihr Euch an sie wegwerfen, wo Ihr doch sicher sein könnt, daß Eure Gemahlin in den Tod betrübt sein würde, wenn sie Eure Seitensprünge erführe. Und mehr noch: Ihr solltet wissen, daß Ihr durch solches Tun Euer Seelenheil verscherzt.«
»Laß dein Predigen und richte aus, was ich dir aufgetragen habe.«
»Verzeiht, hoher Herr, aber wißt ein für allemal: lieber will ich sterben, ehe ich durch eine solche Handlungsweise das Einvernehmen zwischen Euch und Eurer Gemahlin trübe und Euch dabei der ewigen Verdammnis weihe! Ich bitte Euch, mir das nicht zu verübeln, denn von meinem Vorsatz werde ich nicht abgehen.«
Als der unternehmungslustige Ehemann inne ward, daß sein Liebling so fest entschlossen war, bestürmte er ihn vorläufig nicht weiter. Aber nachdem er während drei oder vier Tagen über die Angelegenheit nicht mehr gesprochen hatte, fragte er den Jüngling wie von ungefähr, was seine Lieblingsspeise sei. Der erwiderte, daß er nichts so sehr schätze wie Aalpastete.
»Weiß Gott, das ist ein leckeres Essen,« schmunzelte sein Herr. »Du hast wirklich keinen schlechten Geschmack.«
Und damit ging er über die Frage hinweg. Dann aber, als er sich zurückgezogen hatte, ließ er seine Hausmeister rufen und befahl ihnen aufs strengste: sie dürften seinem Liebling fortan nur mehr Aalpasteten beim Essen vorsetzen und sich darin durch nichts beirren lassen. Die Leute versprachen das auch voller Diensteifer und führten den Befehl pünktlichst aus. Denn schon am gleichen Tage bekam der Jüngling, als er sich in seinem Zimmer (wo er immer speiste) zum Essen niedersetzte, eine wundervolle, große Aalpastete vorgesetzt, die man dem Diener in der Küche für seinen Herrn übergeben hatte.
Der Jüngling war darüber hochbeglückt und aß davon soviel, als er nur in sich hineinbekam. Aber tags darauf kam das gleiche Gericht, und weitere fünf, sechs Tage immer wieder das gleiche. Nun hatte er die Sache ziemlich satt und fragte seinen Diener, ob es denn nur noch diese Pasteten im Hause gäbe.
»Ich jedenfalls bekomme nichts anderes, edler Herr,« erwiderte der Diener. »Wohl sehen wir, daß im großen Saal und den andern Zimmern andere Gerichte gereicht werden. Aber für Euch gibt man mir immer wieder diese Pasteten.«
Der junge Edelmann war, wie gesagt, voll kluger Zurückhaltung und beklagte sich höchstens einmal im allerdringendsten Notfalle. Deshalb ließ er noch einige Tage darüber hingehen und aß weiter, wenn auch schon mit merklichem Widerwillen, von den alltäglichen Pasteten. Aber dann traf es sich eines Tages, daß er mit dem Hausmeister zusammenspeiste, und wieder bekam er die unvermeidliche Pastete vorgesetzt. Da aber konnte er nun doch nicht mehr an sich halten, und er erkundigte sich, warum er denn nur immer dies eine einzige Gericht bekäme, während die anderen doch die reichste Abwechslung hätten.
»Beim gekreuzigten Heiland!« rief er. »Mir steht die Sache bis zum Halse! Ich sehe nur noch Pasteten und nichts als Pasteten. Und dabei gibt es doch wahrhaftig keinen Grund dafür, daß die Sache kein Ende nimmt: der Spaß dauert doch nun schon einen ganzen Monat, und ich bin bereits derart abgemagert, daß es mir mählig an Kräften fehlt. Ich muß Euch sagen, daß mir diese Behandlung recht wenig behagt.«
Daraus erwiderte der Hausmeister, daß sie daran nicht schuld seien, sondern der hohe Herr, der das so angeordnet habe. Und da dem Jüngling schon beim bloßen Gedanken, daß die Sache so weitergehen könne, übel wurde, so trug er seine Beschwerde nicht mehr erst lange bei sich herum, sondern brachte sie seinem Herrn vor; fragte ihn, weshalb er ihn so lange mit Aalpastete habe füttern lassen, und erkundigte sich, ob die Behauptung der Hausmeister wahr sei, daß er selbst ihnen verboten habe, ihm etwas anderes vorzusetzen.
Der hohe Herr fragte ihn statt aller Antwort: »Hast du mir nicht gesagt, daß Aalpastete deine Lieblingsspeise ist?«
»Weiß Gott, Herr, das habe ich freilich gesagt.«
»Dann also – worüber klagst du? Ich habe dir nur vorsetzen lassen, was du über alles liebst.«
»Zwischen lieben und lieben gibt es einen Unterschied, hoher Herr,« ereiferte sich sein Liebling. »Natürlich liebe ich es sehr, einmal, auch zwei- oder dreimal, hier und da Aalpasteten zu essen, weil mir nichts so gut schmeckt, wie diese. Aber damit ist doch noch nicht gesagt, daß ich alle Tage welche essen will und kein anderes Gericht mehr sehen mag. Das würde jedem Menschen auf die Dauer widerstehen und widerlich werden, und mein Magen hat von dem ewigen Pastetenessen so sehr genug, daß ich schon satt bin, wenn ich sie nur sehe. Beim grundgütigen Herrgott, hoher Herr, ordnet, bitte, an, daß man mir fortan wieder andere Gerichte vorsetzt, von denen ich essen kann, sonst gehe ich jämmerlich zugrunde.«
»Nun, siehst du wohl,« lächelte der hohe Herr. »Und warum glaubst du, daß ich nicht auf die Dauer den Appetit verlieren kann, wenn ich einmal etwas anderes als die Schönheit meiner Frau genießen will?! Du kannst sicher sein: ich habe diese Schönheit ebenso satt, wie du deine Pasteten, und ich möchte mich gern anderweitig wieder auffrischen, obgleich ich sie über alles liebe, so wie du dich nach anderen Gerichten sehnst, obgleich du Aalpasteten über alles schätzt. Kurz und gut: du bekommst diese Pasteten solange vorgesetzt, bis du ausführst, was ich dich geheißen habe. Und die Abwechslung, die du mir bietest, wird mich ebenso auffrischen, wie dich die anderen Gerichte, nach denen du Verlangen trägst.«
Als der Jüngling begriff, was für ein Geheimnis hinter der Sache steckte und welch schlauen Vergleich sein Herr da angestellt hatte, da schwand seine Hartnäckigkeit. Er gab nach und versprach seinem Herrn, all seine Wünsche bereitwilligst auszuführen, wenn er nur keine Pasteten mehr zu sehen bekäme.
So fand der hohe Herr die gewünschte Abwechslung, konnte sich von seiner Gemahlin erholen und verbrachte, dank der Beihilfe seines Lieblings, manch frohes Stündlein mit gutherzigen Schönen, so wie er sich vorgenommen hatte. Und sein Liebling wurde nicht mehr mit Aalpasteten gequält und lag wieder seinen früheren Pflichten ob.