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Trotz aller Dankbarkeit und Liebe, die den nun freien Richard mit Hilde verband, trieb es ihn doch vom Gerichtsgebäude aus zuerst zu seiner Mutter.
Hilde kränkte das keineswegs – im Gegenteil, sie fand es richtig so und bat ihn nur, mitkommen zu dürfen.
»Erst laß ich euch eine halbe Stunde allein«, sagte sie – »und dann fahren wir alle drei zu meinen Eltern.«
»Mama wird eine Freude haben!«, rief Richard. »Den Sohn zurück – und gleich noch eine Tochter dazu – und was für eine!«
»Wenn es nur nicht zu viel für sie wird«, erwiderte Hilde.
»I was! Vom Glück kann man schon einen tüchtigen Haufen vertragen.«
Sie stiegen in Hildes Wagen und fuhren in höchster Geschwindigkeit zu Frau Elsa. Hilde hielt unterwegs und kaufte einen großen Strauß roter Rosen.
Als sie in der vierten Etage, auf der Frau Elsa's Wohnung lag, anlangten und Hilde eben läuten wollte, zog Richard sie zurück und sagte:
»Nicht doch! Wir wollen sie überraschen – und ganz plötzlich beide vor ihr stehen.«
»Wie willst du denn hereinkommen?«
»Ich habe die Schlüssel noch von damals« – und er zog einen großen Schlüsselbund aus der Tasche, suchte ihn ab und sagte: »Der hier war's.«
Er öffnete – und sie schlichen auf Zehenspitzen Hand in Hand in die Wohnung, die aus Küche und Zimmer bestand.
Plötzlich blieben sie stehen, schlossen die Augen, drückten sich, ohne, daß sie es wußten, fest die Hand und begannen am ganzen Körper zu zittern.
So standen sie eine ganze Weile und starrten auf das Bett, in dem leblos Frau Elsa lag.
So – Hand in Hand – traten sie an das Bett heran – Hilde beugte sich über die Tote – umschlang sie mit beiden Armen und rief schluchzend:
»Mutter! Mutter! – Warum? Warum?«
Richard kniete vor dem Bett nieder, drückte sein Gesicht auf Frau Elsa's Hand und weinte in sich hinein.
Sie sahen nicht, daß durch die offene Tür Emil Gugenzeil trat. Auch er hatte Rosen in der Hand und kam, um als erster Frau Elsa zu dem Ausgang des Prozesses zu beglückwünschen.
Er sah sofort, was sich ereignet hatte – schloß behutsam hinter sich die Tür – blieb in der Küche stehen und nahm einen Brief vom Herd, auf dessen Umschlag stand:
»An meine lieben Kinder.«
Er nahm den Brief auf, trat an das Bett heran, legte seine Hand auf Hildes Schulter, half ihr hoch und reichte ihr den Brief.
Auch Richard erhob sich. Hilde öffnete den Brief und beide lasen:
»Meine geliebten Kinder!
Ich ertrage es nicht, mit der Lüge weiterzuleben. Ich habe Euch beide gleich liebgehabt. Denn für mich seid Ihr beide meine Kinder. Vor Gott aber bist du, Richard, Gugenzeils Sohn.
Versucht mich zu verstehen, statt über mich zu Gericht zu sitzen. Niemand kann Mensch und Richter zugleich sein. Denn wer die Tat eines andern menschlich begreift, wird ihn freisprechen!! Wenn Ihr Euch nur einen Bruchteil so lieb habt, wie ich Euch habe, dann werdet Ihr mein Unrecht gutmachen und Mann und Frau werden.
In diesem Wunsche segne ich Euch.
Eure arme Mutter.«
Richard faßte sich an den Kopf. Er verstand nicht. Aber Hilde führte ihn zur Chaiselongue. Sie setzte sich dicht zu ihm – erzählte ihm alles.
Nach einer Weile traten sie eng umschlungen an Frau Elsa's Bett. Sie schmückten es mit Rosen – und gelobten sich Treue.
Und als Richard Gugenzeil wenige Wochen später Hilde Krüger zum Traualtar führte, da legte Emil Gugenzeil ihre Hände ineinander und sagte:
»Habt euch lieb und vergeßt nie, daß eine gute Frau und Mutter sich für euch geopfert hat.«