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Hinterhaus. Stube und Küche zur ebenen Erde. In einem Lehnstuhl sitzt die Friseuse Elsa Krüger – eigentlich liegt sie eher, denn der bleiche Kopf der Zweiundzwanzigjährigen ruht auf der Stuhllehne, und mit dem kraftlos herabhängenden rechten Arm bewegt sie eine Wiege, in der ein neugeborenes Kind liegt. Ihr Mann, der Vater des Kindes, ist seit fünf Monaten tot. Die Pflege während seiner langen Krankheit brachte sie um Ersparnisse und Stellung. Seit drei Monaten ist sie die Miete schuldig.
Vor der zarten jungen Frau im Lehnstuhl sitzt der ehemalige Wachtmeister, jetzige Verwalter von elf Häusern, die dem Fabrikanten Emil Gugenzeil gehören.
»Also, Sie wollen mich auf die Straße setzen«, sagt die junge Frau und weist auf das neugeborene Kind in der Wiege – »das dürfen Sie ja gar nicht.«
»Warum haben Sie mir, als ich das letzte Mal bei Ihnen war, nicht gesagt, daß Sie ein Kind erwarten?«
»Was hätte das wohl geändert?«
»Wir hätten die Wohnung nicht weitervermietet.«
»Das sagen Sie jetzt.«
»Mein Wort darauf! Wir sind doch Menschen.«
»Heut vielleicht – weil das Kind Sie rührt – aber als Sie das letzte Mal hier waren . . .«
»Ich weiß.«
»Sie wissen, wie häßlich Sie zu mir waren! Wie konnte ich da über so etwas mit Ihnen reden?«
»Es tut mir leid. Und wenn es noch zu ändern ginge – aber der neue Mieter zieht morgen ein.«
»Dann gehe ich natürlich.«
»Sie müssen das Kind doch irgendwo unterbringen – es gibt Anstalten, die es aufnehmen –, bis Sie etwas anderes gefunden haben.«
»Das Kind wo unterbringen? – Wenn ich ihm das hier« – und sie wies auf ihre Brust – »mitgeben könnte.«
»Ich werde mit Herrn Gugenzeil sprechen.«
»Der hat andere Sorgen.«
»Die gleichen – denn seine Frau wird heute oder morgen niederkommen.«
»Ich weiß.«
»Wenn er erst selbst ein Baby hat, wird er begreifen, was es heißt, so dazusitzen wie Sie.«
Der Verwalter stand auf und gab Frau Krüger die Hand. Sie sah ihn an und sagte:
»Vielen Dank. Ich wußte gar nicht, daß Sie gut sind.«
»Im allgemeinen bin ich es auch nicht. Aber so ein Kind« – er beugte sich über die Wiege – »was wird das schon für eine Jugend haben.«
Die junge Frau senkte den Kopf und beherrschte sich, bis der Verwalter draußen war. Dann nahm sie das Kind aus der Wiege, legte es sich an die Brust, betrachtete es und sagte schluchzend:
»Er hat ja so recht! Wozu – Wozu?«