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Hilde fuhr mit dem Neun-Uhr-Zug nach Brüssel. Sie stieg in einem Hotel auf der Place Royal ab und setzte sich sofort nach ihrer Ankunft mit dem Juwelier Josef Brix am Marché aux Herbes in Verbindung:
»Herr Brix selbst am Apparat?«
»Jawohl, Madame.«
»Ich habe ein seltenes Familienstück, ein Hals- und zwei Armbänder aus brasilianischen Brillanten zu verkaufen. Interessiert es Sie?«
»Aber natürlich – obgleich brasilianische Brillanten . . .«
»Ich weiß, aber erst sehen Sie sich die Stücke an.«
»Wann darf ich kommen?«
»Sofort!«
Sie nannte ihren Namen und ihr Hotel – und wenige Minuten später meldete ihr der Hotelportier Herrn Brix.
Hilde hatte ein Appartement mit Salon, Schlafzimmer, Bad und Zofenstube genommen und gleich nach ihrer Ankunft vom Gärtner nebenan ein paar schöne Blumensträuße bringen lassen, die dem etwas steifen Salon Wärme und Behaglichkeit gaben.
Josef Brix trug ein kurzes Jackett, gestreifte Hosen, helle Handschuhe und einen Zylinder. Er hatte einen Spitzbart und trug mit Würde einen Bauch vor sich her, dessen Umfang er durch eine besonders starke goldene Chatelaine und ein herabhängendes Monocle abzuschwächen suchte.
Josef Brix hatte nach dem Telephongespräch erwartet, sich einer älteren, behäbigen Dame gegenüberzusehen, auf die er trotz seines Äußeren und seiner fünfzig Jahre immer noch einen gewinnenden Eindruck machte – und war daher überrascht, als ihm ein äußerst elegantes und hübsches junges Mädchen gegenüberstand, das er ihrem Äußern nach und nach dem Akzent, mit dem sie französisch sprach, eher für eine Schwedin als für eine Deutsche gehalten hätte. Alles dies von Hilde vielleicht Beabsichtigte, für ihn aber Unvermutete nahm ihm die Sicherheit, mit der er sonst in ähnlichen Fällen aufzutreten pflegte.
»Verzeihung, ich bin doch hier richtig bei Frau Gugenzeil aus Berlin?«
»Fräulein bitte – ich hatte Frau gesagt, um Ihnen Vertrauen einzuflößen.«
»Ich bringe dem Fräulein Gugenzeil genau das gleiche entgegen.«
»Bitte, nehmen Sie Platz.« – Als er saß, fuhr sie fort: »Ich muß Ihnen zunächst etwas von meinen persönlichen Verhältnissen sagen.«
»Wenn Sie sich von Ihrem Familienschmuck trennen, werden Sie es nicht leichten Herzens tun.«
»Sie meinen aus Not. Das trifft nicht zu. Es geht mir gut, aber ich bin abergläubisch. Ich habe den Schmuck dreimal getragen und er hat mir dreimal Unglück gebracht.«
»Nichts Ernstes hoffentlich.«
»Sie sehen, ich lebe.«
»Ich bin glücklich, es feststellen zu dürfen.«
»Ich denke, wir erledigen nun das Geschäftliche.«
»Gnädigste wollten mir doch von Ihrem persönlichen Verhältnissen erzählen.«
»Müssen Sie noch mehr wissen als den Grund, aus dem ich verkaufe?«
»Sie sind volljährig?«
»Zweiundzwanzig.«
»Darf ich Ihren Paß sehen?«
»Höflich ist das nicht – aber hier ist er.«
Sie reichte ihm den Paß – und er erwiderte:
»Es ist sogar ein Kompliment. Denn ich bin nur schönen Frauen gegenüber vorsichtig.«
»Aus welchem Grunde?«
»Weil ich mich kenne und daher weiß, wie leicht ich schönen Frauen gegenüber jede Vorsicht außer acht lasse.«
»Meine Großmutter hat mir den Schmuck testamentarisch vermacht.«
»Kann ich das Testament sehen?«
»Nein! das können Sie nicht. Aber Papa hat Geschäftsfreunde in Brüssel. Erkundigen Sie sich nach mir – aber Sie brauchen ihnen nicht gerade den Grund zu nennen, aus dem ich hier bin.«
»Mir würde ein Name genügen.«
»Romedenne, Place de Bronchère.«
»Ein guter Bekannter – Sie gestatten?« – Er ging an den Apparat und stellte die Verbindung her.
»Sag, Romedenne, kennst du einen Fabrikanten namens Emil Gugenzeil in Berlin?«
»Ein steinreicher Mann, dem du jeden Kredit geben kannst.«
»Weißt du etwas von seiner Tochter?«
»Eine der besten Partien Berlins. Außerdem gescheit, schick, bildhübsch. Der Mann, der die bekommt, kann sich gratulieren.«
»Danke!« – Er hing an und wandte sich wieder zu Hilde: »Ihre Identität ist einwandfrei festgestellt.«
»Was hat Romedenne gesagt von mir?«
»Gescheit, schick und bildhübsch.«
»Er hat mich nur zweimal im Leben gesehen.«
»Und ich nur einmal – und kaum fünf Minuten –, aber es genügt, um zu erkennen, daß er recht hat.«
»Also dann endlich zum Geschäft.« – Sie holte den Schmuck aus dem Handkoffer und legte ihn vor Brix auf den Tisch.
Der sprang auf und rief: »Das ist ja kostbar!« – Er merkte sofort seinen Fehler und fuhr fort: »Daß heißt, er verblüfft wie alle brasilianischen Edelsteine im ersten Augenblick.«
»Schränken Sie Ihr Lob nicht ein und geben Sie zu, daß er besonders kostbar ist.«
»Ich habe Ihnen ja vorhin gesagt, daß ich Damen wie Ihnen gegenüber nicht vorsichtig genug bin.« – Er besah sich den Schmuck genau und sagte: »Er ist wert dreimal . . .«
»Nein!« fiel ihm Hilde ins Wort.
»Sie wissen ja gar nicht, was ich sagen wollte.«
»Ich weiß genau, daß er das Doppelte von dem wert ist, was Sie sagen wollten. Im übrigen: er ist in Berlin bereits taxiert und ich hätte ihn dort verkauft, wenn ich nicht gefürchtet hätte, es spricht sich herum. Und ein junges Mädchen, das seinen Schmuck verkauft, hebt nicht gerade ihren Kredit.«
»Ich verstehe – und wie hoch hat man den Schmuck in Berlin taxiert?«
»Auf 150 000 Mark.«
»Er ist gerade die Hälfte wert.«
»Stimmt. Fünfundsiebzigtausend Mark. So hat man ihn auch taxiert.«
»Sie sagten doch eben . . .«
»Ich wollte nur vorbeugen, daß Sie zu niedrig taxieren. – Wollen Sie mir also 75 000 Mark dafür geben?«
»Muß ich mich heute noch entscheiden?«
»Aber nein! Ich verbinde bei meiner Reise das Nützliche mit dem Angenehmen und kopiere im Musée Royale den Memlingschen Martertod des heiligen Sebastian.«
»Sie malen auch?«
»Wieso auch? Ich handle ja nicht gewerbsmäßig mit Juwelen.«
»Einer Frau, die so schön und so gescheit ist wie Sie, sollte es genügen, da zu sein.«
»Glauben Sie, daß Sie den Schmuck billiger bekommen, wenn Sie mir so plumpe Komplimente machen?«
»Ihnen braucht man keine Komplimente zu machen, sondern nur die Wahrheit zu sagen.«
»Glauben Sie nicht etwa, daß ich eine Künstlerin bin?«
»Ich kaufe Ihnen die Kopie ungesehen ab.«
»Das ist sehr unvorsichtig von Ihnen. Sind Sie in Ihren Geschäften auch so leichtsinnig? – Aber ja, ich erinnere mich! Sie sind doch der Juwelier, der im D-Zug Paris–Berlin überfallen und beraubt worden ist.«
»Der bin ich – aber wieso führen Sie das auf Leichtsinn zurück?«
»Erzählen Sie jedem Mitreisenden – zumal, wenn Sie allein mit ihm im Coupé sitzen – wie wertvollen Schmuck Sie bei sich haben?«
»Habe ich das getan?«
»Es stand in den Zeitungen.«
»Da steht viel.«
»Es betraf Ihre eigene Aussage – wenn ich nicht irre.«
»Ich erinnere mich – ja – ich habe es gesagt. Bestimmt hat dieser Hochstapler mir durch suggestive Kraft die Erklärung entlockt. Anders ist es ja gar nicht zu erklären, daß ich einem wildfremden Menschen verrate, was ich bei mir trage.«
»Er soll nicht vorbestraft und ein guter Musikant sein.«
»Soll! – er hat Jahre lang in Paris gelebt. Ich möchte seinem Vorleben nicht nachspüren.«
»Vielleicht wäre das ganz amüsant.«
»Ich weiß genug von ihm.«
»Wieso? Sie haben ihn doch erst auf der Reise kennengelernt – oder?«
»Natürlich habe ich das. Aber er hat so viel erzählt, daß ich mir gleich dachte, da stimmt was nicht.«
»Und trotzdem haben Sie sich ihm anvertraut?«
»Das war vorher – oder später – ich weiß es selbst nicht mehr. Wieso interessiert Sie der Fall?«
»Nicht übermäßig. Aber da Sie das Gespräch darauf brachten.«
»So? Habe ich? – Das weiß ich gar nicht. Vermutlich, weil Sie aus Berlin kommen – und ich gerade meine Zeugenladung bekommen habe.«
»Vielleicht. Bestimmt aber werde ich mich kommissarisch vernehmen lassen. Denn man muß solche Leute unschädlich machen.«
»Der Ansicht bin ich auch. – Sie lieben Berlin nicht?«
»Doch! Sehr. Ich mache große Geschäfte dort.«
»Und trotzdem nehmen Sie die Gelegenheit nicht wahr?«
»Ich hasse das Gericht.«
»Sonderbar – ich liebe es.«
»Kennen Sie es denn?«
»Ja. Ich interessiere mich für alles – und treibe vieles, aber nur dilettantenhaft. Ich treibe allerlei Sport, male ein wenig, singe, spiele Klavier – denken Sie, ich fechte sogar, – Degen und Florett – und seit einem halben Jahr gehe ich jede Woche zweimal boxen.«
»Sie sind ja ein Universalgenie.«
»Von allem ein bißchen – betriebe ich nur eine Kunst und die ernstlich, so wäre das mehr.«
»Was hat das aber mit dem Gericht zu tun?«
»Richtig! Das Wichtigste vergaß ich. Seit ein paar Wochen besuche ich Gerichtsverhandlungen.«
»Weshalb denn das?«
»Aus psychologischem Interesse. Und das reizt mich so, daß ich vermutlich vieles andere, was ich jetzt schon vernachlässige, ganz aufgeben werde – nur, um dies eine gründlich zu betreiben.«
»Was kann Sie daran interessieren? Ein Verbrecher ist wie der andere – genau wie ein Einbruch dem andern gleicht.«
»Im Gegenteil – gerade die Unterschiede sind das Interessante. Und wenn man sich weniger mit der Tat und mehr mit dem Angeklagten als Menschen beschäftigen würde, so käme es seltener vor, daß ein Unschuldiger verurteilt und ein Schuldiger freigesprochen wird.«
»Ist das denn so wichtig?«
»Erlauben Sie mal! Ich finde den Gedanken furchtbar, daß ein Unschuldiger bestraft wird.«
»Es kommt oft vor, daß jemand die Tat, derentwegen er verurteilt wird, nicht begangen hat – dafür aber eine andere.«
»Eine andere? – Wie ist das möglich?«
»Die Gewohnheitsverbrecher werden selten gefaßt. Die meisten ihrer Verbrechen bleiben ungesühnt.«
»Halten Sie diesen – wie heißt er doch? – Krüger – auch für einen Gewohnheitsverbrecher?«
»Für einen tollwütigen Hund, den man niederknallen sollte.«
»Hätten Sie ihn niedergeknallt, wenn Sie einen Revolver gehabt hätten?«
»Ich hatte ja einen.«
»Wie! – Sie hatten . . .«
»Er hatte ihn – aber ich habe mit ihm gekämpft und ihm die Waffe entwunden. Ich hatte sie also.«
»Und weshalb haben Sie ihn nicht niedergeknallt? – Sie waren doch in Gefahr und hätten in Notwehr gehandelt.«
»Ich wollte den Tatbestand nicht verwischen.«
»Er war Ihnen mehr wert als Ihr Leben? – Sonderbar!«
»Ich bin kaltblütig – auch im Augenblick der Gefahr.«
»Und kräftig müssen Sie sein – kräftiger als Sie aussehen, wenn es Ihnen gelang, ihn niederzuringen. Denn in den Zeitungen steht, daß er jung und kräftig ist.«
»Die Not gibt Kraft.«
»Ich möchte Ihnen nicht im Streit begegnen.«
»Ich bitte Sie! Einer Dame gegenüber würde ich niemals meine Kräfte in Anwendung bringen.«
»Wollen Sie mir das versprechen?«
»Wie sonderbar.«
»Ich meine, Sie könnten mir den Schmuck jetzt doch auch mit Gewalt entwenden.«
»Was denken Sie von mir?«
»Etwa so!« – Sie versetzte ihm einen Kinnhaken. – Er verlor das Bewußtsein – taumelte und fiel zu Boden. – Sie zerwühlte hastig ihr Haar, riß sich das Kleid vom Leibe, steckte ihm einen Fetzen davon in die linke, einen Revolver, den sie unter einem Kissen des Sofas hervorzog, in die rechte Hand, brachte ihm ein paar Kratzwunden bei, warf den Schmuck auf die Erde und rief, als ihm das Bewußtsein wiederkehrte und er sich mühsam erhob, um Hilfe.
Ein Herr und eine Dame, die gerade auf dem Flur waren, stürzten ins Zimmer. Der Juwelier stand verdattert mit gläsernen Augen, den Revolver in der rechten, Fetzen von Kleid in der linken Hand Hilde gegenüber. Auf der Erde zwischen beiden lag der Schmuck.
»Dieser Herr hat mich überfallen und mir mit dem Revolver in der Hand den Schmuck entrissen«, sagte Hilde. »Bitte, veranlassen Sie seine Verhaftung.«
»Sie – lügt!« brachte der Juwelier mühsam hervor. Aber die Dame erwiderte:
»Mein Herr! Ich bin Hoteldetektivin. Die Situation ist so eindeutig wie möglich.« – Sie nahm ihm den Revolver aus der Hand und sagte: »Sie sind verhaftet.«
Der Juwelier übersah die Situation. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Er sagte sich, die Wahrheit würde ihm niemand glauben. So verfiel er auf den Gedanken, zu erklären:
»Der Schmuck gehört mir. Sie suchte ihn mir zu entreißen. Da ich alt und schwach bin, so setzte ich mich mit dem Revolver zur Wehr. Als sie sah, daß sie verspielt hatte – und aus Furcht vor dem Revolver rief sie um Hilfe.«
»Halten Sie ihn fest im Auge«, rief Hilde dem Herrn zu, eilte an ihren Koffer, entnahm ihm eine Mappe mit Papieren, unter denen sich eine Photographie des Schmuckes, seine Herkunft und der Name des Besitzers, Hilde Gugenzeil, befand.
Sie reichte dem Herrn die Photographie. Der gab sie erst an die Dame weiter, reichte sie dann dem Juwelier und sagte:
»Sie sind überführt.«
Der Juwelier, der sich verloren sah, obschon er sich im Recht wußte, bat den Herrn und die Dame, ihn nur einen Augenblick lang mit Fräulein Gugenzeil allein zu lassen.
»Zu welchem Zweck?« fragte die Dame.
»Um mich als Gentleman, der sich aus unbegreiflichen Gründen vergaß, bei ihr zu entschuldigen.«
»Das können Sie auch in unserer Gegenwart tun.«
»Tun Sie ihm den Gefallen«, bat Hilde – »aber untersuchen Sie erst, ob er auch weiter keine Waffen bei sich hat.«
Der Herr befühlte seine Taschen und stellte drei gefüllte Brieftaschen, eine Platinuhr mit Platinkette, ein goldenes Zigarettenetui und ein Bund Aluminiumschlüssel fest.
»Bitte, wo soll ich den Revolver gehabt haben?« fragte Brix.
»Er hat ihn aus der hinteren Hosentasche hervorgezogen«, erklärte Hilde – und der Herr stellte fest:
»Stimmt! Der Knopf der hinteren Hosentasche ist geöffnet.«
Da gab der Juwelier endgültig jeden weiteren Widerstand auf.
Der Herr und die Dame gingen ins Nebenzimmer. An der Tür wandte sich der Herr um und sagte:
»Wenn Sie uns brauchen, gnädiges Fräulein, – es genügt ein Ruf.«
»Ich werde schon allein mit ihm fertig«, erwiderte Hilde und schloß hinter ihnen die Tür. Dann ging sie dicht an Brix heran und fragte:
»Was wollen Sie noch?«
»Sie sind ein Ungeheuer! Wie kann ein Mensch, der aussieht wie Sie, so handeln?«
»Ist das alles, was Sie mir zu sagen haben? Ich dachte, Sie wollten sich bei mir entschuldigen.«
»Sie sind wahnsinnig. Sie wissen doch genau, daß Sie mich überrumpelt haben. Weshalb haben Sie das getan? Es muß doch einen Grund haben.«
»Genau wie der angebliche Überfall auf Sie in dem D-Zug Paris–Berlin einen Grund haben muß.«
Brix zuckte zusammen und sagte:
»Deshalb also . . . jetzt verstehe ich.«
»Sind Sie jetzt bereit, mir eine Aufklärung zu geben.«
»Ganz unmöglich.«
Hilde wandte sich zur Tür und sagte:
»Dann kann ich die beiden wieder hereinrufen?«
Brix überlegte: Würde man ihm glauben, wenn er jetzt erklärte, das Ganze sei ein Racheakt gewesen von Freunden des Musikanten Krüger? Konnte man nach dieser Erklärung aber nicht mit gleichem Recht auch seine Darstellung von dem Überfall in der Eisenbahn anzweifeln? Wenn dies Fräulein Gugenzeil einen so gewagten Coup unternahm, wußte sie mehr. Was aber geschah, wenn sie seine eidliche Aussage, die er dieser Tage machen mußte, widerlegte? Er war sich klar: es lag Verrat vor. Und er brauchte auch nicht lange zu suchen, um zu wissen, von wo der Verrat kam. Aga Tramm liebte den jungen Musikanten und suchte ihn zu retten.
»Aga Tramm«, wiederholte er halblaut – und Hilde, die ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, sprang auf ihn zu und wiederholte laut:
»Aga Tramm! Ich kenne das Geheimnis.«
»Wenn Sie es kennen, warum quälen Sie mich?«
»Sie müssen es mir bestätigen.«
»Es wird schon richtig sein, was Sie wissen.«
»Reden Sie – oder –« Sie wies wieder zur Tür. »Bedenken Sie, wenn die Brüsseler Blätter heute abend in großen Lettern den Raubüberfall des bekannten Juweliers Brix auf ein deutsches junges Mädchen verkünden.«
»Es wird niemand glauben.«
»Ihnen aber hat man geglaubt.«
»Es war klüger eingefädelt«, erwiderte der Juwelier, der jetzt den ersten Schreck überwunden hatte. »Und dann: Wer ist der Musikant Krüger aus Berlin? Ihn kennt niemand. Aber den Juwelier Brix kennt jeder Mensch – in Brüssel, in Paris, in London und in Berlin.«
»Sie werden doch jetzt nicht wagen, die Schilderung, die Sie über den Überfall im D-Zug gegeben haben, aufrechtzuerhalten?«
»Halten Sie nicht auch an Ihrer Schilderung hier fest?«
»Ich mache sie rückgängig, wenn Sie mir die Wahrheit sagen.«
»Was nutzt mir das? Die Beamten sind verpflichtet, mich festzunehmen. Man wird mich vor Gericht stellen – und wenn mein Leumund weniger gilt als Ihr Eid, so wird man mich verurteilen – genau so, wie man den jungen Menschen auf meinen Eid hin ins Zuchthaus schicken wird.«
»Auf zwei Meineide hin?«
»Sie sehen, wie lückenhaft die Justiz ist und wie leicht es ist, ihr ein Schnippchen zu schlagen.«
»Das darf nie und nimmer geschehen – das eine sowenig wie das andere.«
»Ihre Schuld, mein Fräulein! Sie haben schlecht gearbeitet.«
»Wenn ich die Beamten nun fortschicke?«
»Die lassen sich nicht kommandieren. Und wenn Sie ihnen jetzt erzählen würden, der Überfall sei fingiert gewesen, so werden sie annehmen, Sie seien von mir bestochen. Das schadet Ihnen und hilft mir nicht.«
»Ich bin überzeugt, daß es mir gelingt.«
»Was wollen Sie ihnen sagen?«
»Daß es eine Eifersuchtsszene war.«
»Dann bleibt noch immer die Bedrohung mit dem Revolver bestehen.«
»Daß Sie sich so dagegen sträuben. Geben Sie mir die verlangte Aufklärung – und ich schwöre Ihnen, daß die Beamten Sie nicht anrühren.«
»So sicher sind Sie Ihrer Leute?«
»Wieso meiner Leute?«
Der Juwelier Brix setzte die verschlagenste Miene von der Welt auf, öffnete die Tür, hinter der die beiden standen, stellte sich vor sie hin und erklärte mit großer Pose:
»Bitte, verhaften Sie mich.«
Der Herr und die Dame waren so verdutzt, daß sie zunächst kein Wort herausbrachten. Dann wandten sie sich an Hilde und fragten:
»Was sollen wir tun?«
»Lassen Sie ihn laufen.«
Brix trat noch ein paar Schritte näher an die Leute heran und sagte in sehr bestimmtem Ton:
»Ich bestehe darauf, daß Sie mich verhaften. – Ich habe bereits mit dem Polizeipräfekten, einem guten Freund von mir, telephoniert, daß ich seinen Beamten keinen Widerstand entgegensetzen werde.«
»Sie lügen«, rief Hilde, die sah, daß sie verspielt hatte.
»Wollen Sie mir den Herrn und die Dame nicht vorstellen?« fragte Brix und schlug sich an den Kopf. »Wie konnte ich nur auf solch einen plumpen Schwindel hereinfallen? Allein an dem schlechten Französisch hätte ich es erkennen müssen. Aber die Wallonen sprechen auch nicht besser.« – Er trat an den Herrn heran und sagte: »Sie sind vermutlich der Liebhaber von Fräulein Gugenzeil?«
»Was fällt Ihnen ein? Ich bin ihr Chauffeur.«
»Dann sind Sie also die Zofe«, fuhr Brix fort und betrachtete die Dame genau. »Ein allerliebster Racker. Aber die Gnädige ist mir lieber.«
»Schweigen Sie«, befahl Hilde. Aber der Juwelier erklärte:
»Ich glaube doch, daß ich das Recht habe, hier zu reden.«
»So lassen Sie uns doch verhaften.«
»Aber nein! Dazu habe ich viel zuviel Sinn für Humor.«
»Mir ist durchaus nicht lächerlich zumute.«
»Das begreif ich. – Sie waren also so fest davon überzeugt, mich auf diesen, übrigens ausgezeichneten Bluff hin zum Reden zu bringen, daß Sie gar nicht mit der Möglichkeit gerechnet haben, die Verhaftung ausführen zu müssen?«
»Ich hatte eben weniger Glück als Sie damals.«
»Das scheint mir auch. Aber wollen Sie nun nicht Ihre Domestiken fortschicken, damit wir endlich das Geschäft erledigen können.«
Hilde gab den beiden ein Zeichen, auf das hin sie wie zwei begossene Pudel abzogen. Als sie draußen waren, nahm Brix die Halskette auf und sagte:
»Ich darf Ihnen also einen Scheck über 75 000 Franken ausstellen?«
»Mark«, verbesserte Hilde – aber der Juwelier wiederholte und betonte es – indem er mit der Füllfeder den Scheck schrieb:
»Franken.«
Er reichte Hilde den Scheck und sagte:
»Die kleine Differenz verrechnen Sie wohl auf die besonderen Umstände, unter denen der Verkauf sich vollzog.«
»Sie lassen sich Ihr Schweigen erkaufen? Sie sind kein Gentleman.«
»Nach der Richtung hin haben wir uns wohl beide nichts vorzuwerfen«, erwiderte er, nahm ihre Hand und küßte sie.
Dann ging er zur Tür, wandte sich um und sagte:
»Werden Sie mir nicht das Vergnügen machen, heute abend mit mir zu soupieren?«
»Nein!«
»Auch nicht um den Preis des Schmuckes? – Sie sehen, wieviel mir an Ihrer Gesellschaft liegt.«
»Wenn Sie glauben, daß wir noch nicht quitt sind – bitte!« – Sie nahm den Scheck und zerriß ihn.
»Schade!« sagte der Juwelier Brix und legte den Schmuck auf den Tisch zurück. »Ich hatte nach allem den Eindruck, daß wir uns gut verstehen würden.«
Hilde schwieg. Er verbeugte sich und ging.