Artur Landsberger
Mensch und Richter
Artur Landsberger

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XI.

Emil Gugenzeil empfand diese Mission als höchst unbequem. Von jeher hatte zwischen ihm und Frau Kaete die stille Vereinbarung gegolten: alles Geschäftliche erledige ich, alles, was die Familie angeht, erledigst du.

Zwar hatte Frau Kaete ihm klargemacht, daß in diesem Fall das Geschäftliche mindestens so wichtig sei wie das rein Menschliche – für das, wie sie sich ausdrückte, später noch Zeit genug sei. Und sie hatte hinzugefügt: »Wo das Materielle stimmt, stimmt meist auch das Menschliche.« – Gugenzeil brauchte sich nur vorzustellen, wie seine Ehe aussehen würde, wenn Frau Kaete mit materiellen Sorgen zu kämpfen hätte. Diese Vorstellung war so niederdrückend, daß er es als Vater für seine Pflicht hielt, selbst nach Hamburg zu fahren.

Schwager und Schwägerin empfingen ihn mit offenen Armen – und ihre Freude, den Sohn Karl anständig zu verheiraten, war so groß, daß Gugenzeil, der gewiegte Geschäftsmann, stutzig wurde.

»Eine Ehe mit euerm Sohn«, sagte er – »ist ein Experiment.« – Sie gaben das zu. – »Wenn ich meine einzige Tochter für dieses Experiment zur Verfügung stelle, muß ich Sicherheiten verlangen.«

»Welcher Art?« fragte die Schwägerin, die auch während der weiteren Verhandlung das Wort führte.

»Materieller natürlich«, erwiderte Gugenzeil.

»Ihr wollt aus der Verbindung doch kein Geschäft machen?«

»Ich rechne folgendermaßen: so, wie die Hilde jetzt ist, siebzehnjährig, hübsch, unberührt und einzige Erbin einer angesehenen Familie, kann sie heiraten, wen sie will. Als Frau eures Karl wird man sich sagen: ›Was kann schon viel dran sein an einem Mädel, das den nimmt?‹«

»Stimmt!« sagte der Schwager – aber die Schwägerin fuhr ihm über den Mund und sagte:

»Ich versteh' dich nicht!« – Dann wandte sie sich an Gugenzeil und fuhr fort: »Was dran ist, weißt du ja ganz genau, lieber Schwager. Sonst säßest du ja nicht hier.«

»Dran – für wen?« fragte Gugenzeil. »Für mich handelt es sich um meine Tochter. Wenn die Ehe nicht hält und Hilde kommt zu uns zurück, so hat sie um mindestens dreißig Prozent an Wert verloren. Für diese dreißig Prozent muß ich Sicherheiten haben.«

»Was heißt das in Zahlen ausgedrückt?«

»Eine Million, die ihr am Tage der Hochzeit zu überschreiben sind.«

»Da es sich um Geld handelt, das auf diese Weise unserem Sohne verlorengeht, so müssen wir ihn fragen«, erwiderte die Schwägerin – und sie gab ihrem Mann ein Zeichen, ihn kommen zu lassen.

Inzwischen betrachteten sie die neuesten Aufnahmen von Hilde, die Gugenzeil mitgebracht hatte.

»Na«, sagte die Schwägerin – »sie wird nicht ganz so schön sein.«

»Fünfzig Prozent genügt auch«, erwiderte ihr Mann – aber Gugenzeil erklärte:

»Sie ist noch um hundert Prozent schöner. Ihr habt sie ja vor zwei Jahren in Scheveningen gesehn.«

»Da war sie noch ein Kind.«

»Das ist sie heute noch.«

Karl, der Sohn, betrat das Zimmer und begrüßte Gugenzeil.

»Fein, Onkel, daß du wieder mal da bist. Im Alkazar sind jetzt zweihundert Mädel – eine immer hübscher als die andere.«

»Das ist ja eine nette Einführung«, schalt die Mutter. »Dein Onkel hat andere Sorgen.«

»So? – dann hat er sich aber nicht zu seinem Vorteil verändert. Im vorigen Jahr haben wir uns jedenfalls glänzend im Alkazar amüsiert.«

»Es ist ja schließlich keine Lasterhöhle«, erwiderte Gugenzeil, dem es nicht gerade angenehm war, in diesem Augenblick daran erinnert zu werden.

»Derartige Lokale existieren von heute ab nicht mehr für dich«, erklärte die Mutter.

Karl sah erstaunt alle drei der Reihe nach an. Dann fragte er ziemlich impertinent:

»Habt ihr eine Offensive gegen meine Männlichkeit vor?«

»Im Gegenteil!« erwiderte der Vater. »Du bist nun Manns genug, um dir eine Frau zu nehmen.«

»Eine? Ihr wart doch immer gegen ein festes Verhältnis.«

»Es handelt sich nicht um ein Verhältnis, sondern um eine Frau.«

»Den Unterschied verstehe ich nicht.«

»Du sollst heiraten.«

»Schon wieder mal?«

Nach einer Verlegenheitspause fragte Gugenzeil:

»Ist dieses Projekt denn schon häufiger an dich herangetreten?«

»Ich weiß ja nicht, welches heute zur Diskussion steht.«

»Deine Kusine, mein Kind.«

Wieder entstand eine Pause, dann fragte die Mutter:

»Was hast du dazu zu sagen, Karl?«

»Es hat ein Gutes.«

»Nämlich?«

»Die Familie vergrößert sich nicht.«

Die Mutter reichte ihm die Aufnahmen.

»Donnerwetter!« rief er. »Wem sieht sie nur ähnlich? – Richtig, der blonden Kaete vom Alkazar.«

»Laß die unschönen Vergleiche!« schalt die Mutter.

Karl hielt noch immer die Bilder in der Hand und erwiderte:

»Ist es vielleicht eine Schande, dem hübschesten Mädchen Hamburgs ähnlich zu sehen?«

»Wenn es eine Kokotte ist!«

»Mama! So ein Wort in deinem Mund!«

»Kannst du denn nicht einen Augenblick mal ernst sein?«

»Dazu habe ich in der Ehe noch Zeit genug.«

»Ich hoffe im Gegenteil, daß du als Mann meiner Tochter sehr vergnügt sein wirst.«

»Wenn du dafür sorgst, daß die Pinke nicht ausgeht.«

»Darum grade handelt es sich.«

»Darum handelt es sich immer und überall.«

»Du bist unser einziger Erbe«, sagte der Vater – und er erwiderte:

»Noch lebt ihr ja.«

»Onkel Emil Gugenzeil ist ein vorsichtiger Mann.«

»So? – und dann wählt er mich zum Schwiegersohn?«

»Er will seine Tochter sichern.«

»Deine Frau«, verbesserte Gugenzeil.

»Soll ich ein Keuschheitsgelübde ablegen?«

»Du gehst ja nicht in ein Kloster, sondern in die Ehe.«

»Einen Treueschwur also?«

»Unsinn! Wir sind moderne Menschen«, erwiderte Gugenzeil.

»Bist du Tante Kaete treu?«

»Ich habe gar keine Zeit dazu, es nicht zu sein.«

»Aber wenn du sie hättest?«

»Dann würde ich vermutlich zärtlicher zu meiner Frau sein.«

»Also, wie willst du Hilde sichern?«

»Indem dein Vater ihr am Tage der Ehe eine Million überschreibt.«

»Fein! Davon können wir drei Jahre lang leben!«

»Das Geld wird für Hilde festgelegt – für den Fall, daß du sie verläßt oder dich so aufführst, daß ihr eine Fortführung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann.«

»Und was gibst du Onkel?«

»Eine monatliche Rente von fünftausend Mark.«

»Na, da macht die Hilde ja ein gutes Geschäft.«

»Ich gehe auf das Geschäft nur ein«, erklärte der Vater – »wenn du den Willen und die Überzeugung hast, mit Hilde Gugenzeil eine gute Ehe zu führen.«

»Den Bildern nach könnte ich eine solche Erklärung abgeben.«

»Auf den Menschen kommt es an«, erwiderte die Mutter.

»Dazu kenne ich sie nicht genug.«

»Als du sie das letzte Mal gesehen hast, war sie zwölf Jahre alt.«

»Da habe ich sie natürlich gar nicht beachtet.«

»Also komm mit mir auf ein paar Tage nach Berlin.«

»Fein, Onkel!«

»Aber nicht, um zu bummeln«, sagte die Mutter.

»Das nur nebenbei.«

»Wir können ja immer einen Vorvertrag machen«, meinte Gugenzeil – »wo ich schon einmal hier bin.«

»Einverstanden«, erwiderte der Vater und bat Gugenzeil in sein Büro.

Am Abend desselben Tages noch fuhr Gugenzeil mit seinem Neffen nach Berlin.

 


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