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Richard Krüger hatte sich in Paris schnell eingelebt. Ein glücklicher Zufall hatte seine Jazzband zu Ciro geführt, wo sie nun schon das dritte Jahr mit gleich großem Erfolg musizierte. Viele Gäste aus Ostende verkehrten hier und protegierten den jungen Deutschen, der jetzt nur noch Violine spielte. Zu den ständigen Gästen gehörte auch ein türkischer Prinz, dessen Geliebte, Aga Tramm, eine Russin von ungewöhnlicher Schönheit, Gefallen an dem jungen Geiger fand.
Und nun folgte die hunderttausendmal erlebte und ebenso oft von Dichtern geschilderte Liebesepisode, deren Helden ein junger Geiger und eine leidenschaftliche, schöne Frau sind. Auch das Liebesidyll Richard Krügers und Aga Tramms wies keine sonderlichen Abweichungen von dem üblichen Verlauf solcher Liebesabenteuer auf, die schon ihre Tradition haben und unter ganz bestimmten Gesetzen abzulaufen pflegen. Müßig also, zu schildern, wie die große Kurtisane Feuer fing und den jungen Geiger allabendlich an ihren Tisch zitierte, damit er »nur für sie« spiele. Mit dem obligaten Fünfhundertfrancschein, den sie – zum stillen Ärger des Prinzen – dem Jungen jede Nacht zusteckte – nicht ohne dabei die Finger ihrer Hand länger als es nötig war, in Berührung mit seiner zu lassen –, drückte sie ihm eines Nachts einen Zettel in die Hand, auf dem stand: »Ich erwarte Sie morgen nachmittag um vier in der Confiserie Boissier.«
Richard zögerte. Aber seine Kameraden redeten ihm zu. »Das sind unsere Chancen«, sagten sie. »Ein Dummkopf, wer sie nicht nützt.«
Aga Tramm, die fünfzehn Jahre älter als Richard war, ergriff mit der Leidenschaft, die sie wirklich für den Jungen empfand, und mit der Routine, über die sie verfügte, mit beiden Händen Besitz von ihm. Sie machte das Kind zum Mann und den Mann – wenigstens äußerlich – zu einem Kavalier. Er ließ beim ersten englischen Schneider in der Rue Royal arbeiten und trug Maßschuhe von Hellstern am Place Vendôme. Er lenkte seinen Graham Paige, frühstückte bei Bevry oder Larue. Er trug Handschuhe von Glenat und Wäsche aus dem Maison Blanc. Sein Batisttuch roch nach Chanel 22 oder Le Sien und die vollen blonden Haare, für die so viele Pariserinnen schwärmten, vertraute er keinem anderen an als Calon.
Kein Wunder, daß er bei dieser grandiosen Entwicklung nicht oft an Frau Elsa und seine Kindheit dachte. Die täglichen Briefe, die von der Mutter kamen, überflog er oft nur. Und wenn sie sich immer wieder beklagte, daß er keine ihrer Fragen beantwortete, so schrieb er, daß sein Beruf ihm keine Zeit zu ausführlicher Korrespondenz lasse. Aber seine Briefe – waren es auch selten mehr als zwei im Monat – waren voller Liebe und Dankbarkeit für seine Mutter. Er schickte ihr jetzt regelmäßig fünfhundert Mark im Monat – und Frau Elsa konnte ihrer Klientel gar nicht genug von dem berühmten Sohn erzählen. Kam eine ihrer Kundinnen nach Paris, so gab sie ihr Grüße, oft auch eine kleine Handarbeit mit, die Richard dankbar lächelnd in Empfang nahm, um sie dann abends im untersten Fach der Kommode zu verbergen.
Jeder, der ihn sah, lobte sein Aussehen und seine Kunst – und sie schwärmten der Mutter so viel von dem Jungen vor, daß sie eines Tages beschloß, sich auf drei Tage freizumachen, und ihn in Paris zu überraschen.
Sie fuhr eine Nacht und einen halben Tag und kam um vier Uhr nachmittag an der Gare du Nord an. Sie führte nur eine Handtasche und ein Paket für ihren Sohn bei sich. Seine Adresse: 26 Avenue de Villiers, hatte sie sich auf einen Zettel geschrieben, den sie einem Chauffeur in die Hand drückte. Der erkannte sofort die orts- und sprachenunkundige Fremde und führte sie auf Umwegen zur Avenue de Villiers.
Mit klopfendem Herzen stieg Frau Elsa die zwei Treppen eines herrschaftlichen Hauses hinauf. Hier las sie an der Tür das Schild: »Charles Blanc« –, bei dem ihr Sohn wohnte. Sie läutete nicht gleich, sondern stand lange Zeit vor der Tür und malte sich das Gesicht ihres Jungen aus, wenn man ihm melden würde, eine ältere Dame wünsche ihn zu sprechen – und sie trat ein.
Endlich läutete sie. Eine ältere Dame öffnete. Frau Elsa nannte den Namen ihres Sohnes.
»Um die Zeit ist er immer fort.«
Frau Elsa verstand nicht.
»Ich bin die Mutter«, sagte sie, »er ist mein Sohn.«
»Ah so!« erwiderte die Dame auf Deutsch, das sie mäßig sprach, und bat Frau Elsa, einzutreten.
»Schön hat er's hier«, sagte Frau Elsa – noch ehe sie sein Zimmer betrat. Dann aber, als sie drin war, die kostbaren Möbel, die vielen Blumen und in Riesenrahmen die Bilder der Aga Tramm, deren Widmungen sie glücklicherweise nicht lesen konnte, sah, wandte sie sich an die Dame und sagte:
»Hier wohnt doch mein Sohn nicht?«
»Doch! Doch! – Er werden viel geliebt von die Dame, das da überall herumstehen.«
»Geliebt? – Mein Junge? – Ja, wer ist die Frau?«
»Oh, sie sein nicht mehr ganz jung – aber sie haben einen reichen Freund.«
»Mein Sohn ist nicht reich.«
»Wie sollen eine Musikant reich sein? Eine Musikant, der haben eine Figur wie Ihr Sohn – Sie verstehen mir? – brauchen keine Geld, werden überall geliebt.«
»Und wo ist mein Sohn jetzt?«
»Wo sollen er sein anders als bei sie? Sie protegieren ihn und er hat viel von die Frau.«
»Und er ist zufrieden damit?« – Frau Elsa hielt noch immer Handtasche und Paket in der Hand.
»Aber ja! Warum sollen der Junge nicht glücklich sein, wo er werden so verwöhnt von die schöne Frau?«
Und er hat mir nicht ein Wort von ihr geschrieben, dachte Frau Elsa.
»Sie glauben, er wird sie heiraten?«
»Aber nein! Sie haben doch den reichen Prinzen aus die Türkei. Madame sein viel zu klug, um den aufzugeben wegen eine Musikant.«
»Wie gräßlich!« entfuhr es Frau Elsa. Dann legte sie Tasche und Paket auf einen Stuhl und fragte:
»Glauben Sie, daß ich ihn störe?«
»Eine Mutter stören nie.«
»Ich bin eine einfache Frau.«
»Dann seien Sie stolz auf Ihre Sohn, das ist eine große Musikant.«
»Wann wird er kommen?«
»Gegen drei Uhr früh.«
»Und bis dahin?«
»Er spielen bei Ciro. Madame können hingehen, ihn hören.«
»Da passe ich wohl nicht hin.«
»Eine Mutter passen überall hin, wo ihre Sohn ist.«
»Ich werde mir doch lieber erst ein Zimmer suchen.«
»Das werden Ihre Sohn sehr übelnehmen, wenn Sie wohnen nicht hier. Ich haben ein Zimmer nach das Garten raus.«
»Gut! Gut! Ich nehme es.« – Sie nahm Handtasche und Paket wieder auf und schien gar nicht schnell genug aus dem Zimmer herauskommen zu können.
Sie blieb den ganzen Abend über auf ihrem Zimmer, aß eine Kleinigkeit, die Madame Blanc ihr brachte und legte gegen zwölf Uhr einen Zettel in Richards Zimmer, auf dem stand:
»Guten Tag, mein Sohn. Ich wollte dich nur kurz mal wiedersehen. Vergiß aber nicht, morgen, wenn du aufgestanden bist, in mein Zimmer, das erste vom Flur links, zu kommen.
Deine Mutter.«
Das Paket mit den selbstgebackenen Mürbekuchen, die er immer so gern gegessen hatte, das außer den Kuchen ein paar Krawatten und Taschentücher und eine Photographie von Hilde Gugenzeil enthielt, die sie der Mamsell abgebettelt hatte und die seit einem Jahr auf ihrem Nachttisch stand – dies Paket machte sie gar nicht erst auf, sondern stellte es in eine Ecke. Dann zog sie sich halb aus und rückte ihren Stuhl zur Tür, um ihren Sohn wenigstens zu hören, wenn er nach Hause kam.
Es war gegen vier Uhr früh, als Richard im Frack, hohem Hut und Abendmantel, in einer von Erfolg und Alkohol seligen Stimmung, nach Hause kam.
Frau Elsa hörte ihn und drückte das Ohr fest an die Tür, damit kein Schritt ihr entginge – und als er einen Pariser Schlager halblaut vor sich hin summte, hielt sie den Atem an.
Er war noch im Hut und Mantel, als er den Zettel Frau Elsas fand. Er stutzte einen Augenblick lang und überlegte, ob es wahr sein könne – dann riß er die Tür auf und stürzte in Frau Elsas Zimmer hinein. Er überrannte sie fast, hob sie mitsamt dem Stuhl in die Höhe, ließ den Stuhl dann abgleiten, schloß sie in seine Arme und küßte sie wohl ein dutzendmal auf den Mund.
Als er sie endlich losließ, sank sie auf einen Sessel, rang nach Luft und sagte schließlich:
»Hat das gut getan.«
Richard benahm sich wie ein Junge. Er setzte sich auf ihren Schoß und überhäufte sie mit Zärtlichkeiten.
Als Frau Elsa ihn fragte:
»Wen hast du lieber als mich?« erwiderte er:
»Niemanden! Nicht mal mich selbst.«
»Und die schöne Dame – deren Bilder in deinem Zimmer stehen?«
»Das ist eine dunkle Sache – hat aber mit Liebe nichts zu tun – wenigstens nicht auf meiner Seite.«
»Gib sie auf.«
»Wenn ich sie aufgebe, warten schon sechs andere.«
»Hast du denn nicht Angst, daß sie dich ruinieren und einen schlechten Menschen aus dir machen?«
»Die Gefahr besteht – aber dann brauchst nur du zu kommen – nur auf eine Viertelstunde – dann ist alles vorbei und ich habe mich wieder.«
»Und du versprichst mir, daß du mich rufst, wenn du fühlst, daß du schwach wirst und unter den Einfluß einer schlechten Frau gerätst?«
»Mein Ehrenwort, Mutter!«
»Und es nicht laufen läßt – aus falscher Gêne oder aus Rücksicht auf mich.«
»Ich schwöre es dir! – Aber nun, Mutter, feiern wir unser Wiedersehen.«
»Jetzt um vier Uhr früh?«
»Du kannst ausschlafen morgen.«
»Und du?«
»Ich auch. Um vier Uhr geh ich – aber nein, solange du hier bist, habe ich Zeit bis acht. Um acht muß ich bei Ciro sein.«
»Existiert nicht für mich, solange du hier bist.«
»Aber sie hilft dir doch.«
»Wie meinst du das?«
»Hat sie dich nicht vorwärtsgebracht?«
»Nun ja! Sie hat – du siehst ja – wie gefalle ich dir übrigens in dem neuen Frack?«
»Hat sie dir den etwa geschenkt?«
»Was wäre schon dabei, wo sie monatlich vierzigtausend Franken zu verzehren hat.«
»Das Geld vom Prinzen.«
»Woher weißt du, Mutter?«
»Man hat es mir erzählt.«
»Ich habe nie darüber nachgedacht, von wo das Geld kommt. Aber du hast recht. Es kommt von ihm. Ich werde sie noch heute vor die Entscheidung stellen. Sie soll wählen zwischen ihm und mir.«
»Sie wird den Prinzen wählen.«
»Vielleicht.«
»Wird es dir dann schlechter gehen?«
»Ich sagte ja schon: es warten sechs.«
»Und wie sind die?«
Richard dachte nach. Dann sagte er:
»Genau so. – Sie überhäufen mich schon jetzt mit Blumen und Geschenken.«
Frau Elsa atmete schwer und sagte:
»Es war wohl doch falsch, daß ich dich habe deinen Neigungen nachgehen lassen. Wenn du das Gymnasium zu Ende besuchst hättest . . .«
». . . wäre ich heute in irgendeiner deutschen Provinzstadt, während ich jetzt in der Welt herumkomme und was erlebe. Es kommt ja doch nicht darauf an, wie lange man lebt, sondern wie man lebt. Lieber zehn Jahre so, als fünfzig Jahre lang als kleiner Beamter.«
»Und wenn die zehn Jahre um sind – was dann?«
»Ich bin ja noch so jung, Mutter! Es können auch zwanzig sein.«
»Und wenn die zwanzig Jahre um sind – oder die dreißig. Dann bist du immer noch kein alter Mann.«
»Mach dir keine Sorgen! Ich gehe nicht unter. Solange du lebst, nicht!«
»Und wenn ich nicht mehr lebe?«
»Dann werde ich dich genau so in meinem Herzen trage wie heute.«
»Mein guter Junge.«
»Und die Erinnerung an dich wird mich davor bewahren, je etwas Unrechtes zu tun.«
»Das hört sich gut an.«
»Es hört sich nicht nur so an – es ist so.«
Sie blieben bis zum Morgen zusammen – und es war ihnen, als wenn sie nie getrennt gewesen wären. Als Frau Elsa von Hilde Gugenzeil und der mißglückten Verlobung mit ihrem Vetter Karl erzählte, amüsierte Richard sich köstlich.
»Die läßt sich keinen Mann aufdrängen – die wußte als Kind schon, was sie will. Nur schade, daß sie nicht musikalisch ist.«
»Weshalb bedauerst du das, wo du doch nicht mit ihr zusammenkommst?«
»Man hat so ein paar Dinge, an die man gern denkt. Dazu gehört auch die Hilde. Wenn ich mich mal einsam fühle . . .«
»Kommt das denn vor?«
»In letzter Zeit weniger – aber früher oft. Da habe ich dann oft an Hilde gedacht. So ein Mädel, das bei aller Schnoddrigkeit doch nie verleugnet, daß es ein Herz hat.«
»Hat sie dich das fühlen lassen?«
»Ich hab's gefühlt – ob sie sich selbst darüber bewußt war, weiß ich nicht.«
»Schade, daß ihr so auseinander gekommen seid.«
»Wenn sie was für die Musik übriggehabt hätte – ich glaube, ich hätte sie mir damals geholt, als ich von Ostende nach Paris ging!«
»Du hast ja Größenwahn, Richard! Als ob die ihr glänzendes Leben für dich aufgegeben hätte! Im übrigen war sie noch ein Kind.«
»Was hat sie von dem Glanz? Das Leben lernt so eine nie kennen.«
»Es ist schon besser, du schlägst sie dir aus dem Kopf.«
»Das habe ich längst getan. Aber als Erinnerung bleibt es schön. Und um die nicht zu zerstören, ist es am besten, man erfährt nichts mehr von ihr.«
»Man sagt, sie tanzt wie ein Gott.«
»Das hat sie damals schon getan.«
»Musik und Tanz, paßt das denn nicht zusammen? Und wer so tanzen kann wie sie, der muß doch auch musikalisch sein.«
»Laß, Mutter! Du rührst nur alte Wunden auf.«
»So gern hast du sie gehabt?«
»Ja – und nein! Es hat ja doch keinen Sinn.«
»Es muß ja nicht alles Sinn haben, Kind! Wenn ich zum Beispiel bedenke, daß ich jetzt bei dir in Paris sitze, während die Hilde . . .«
»Erlaub' mal, ich denke doch, ich stehe dir näher als sie.«
»Gewiß! Gewiß! Aber manchmal, da ist es mir, als wenn sie zu uns gehörte.«
»Du mußt jetzt schlafen, Mama – die lange Reise – und das Wiedersehen – du siehst ganz matt aus – komm!«
Er half ihr auf und begann, sie auszuziehen.
»Aber, Junge, was fällt dir ein! Ich werde mich doch von dir nicht . . .«
»Du wirst dich heute von mir ins Bett bringen lassen.«
»Aber das geht doch nicht.«
Sie hatte das Kleid schon aus.
»So – und jetzt drehe ich mich um – ja, wo ist denn dein Nachthemd?«
»Denke dir, ich habe es vergessen.«
»Dann hole ich schnell ein Pyjama von mir.«
»Aber ich passe doch nicht in so etwas hinein.«
»Du wirst geliebt darin aussehen.«
Er eilte in sein Zimmer, nahm ein Pyjama aus dem Schrank, kehrte damit an ihre Tür zurück, klopfte, öffnete so weit, daß man grade mit der Hand hindurch konnte und reichte ihr das Pyjama durch die Türspalte.
Frau Elsa zog es sich über, rief:
»Jetzt kannst du kommen« und huschte eilig ins Bett.
Richard trat ein.
»Nichts gönnst du einem«, sagte er – »ich hätte so gern gesehen, wie du im Pyjama aussiehst. Bitte, bitte, steh noch einmal auf.«
»Aber, Junge, du bist ja toll.«
Er ging dicht an ihr Bett heran, nahm sie beim Arm und half ihr heraus.
»Also wie eine Dame, wie eine richtige Dame!«
»Ich und eine Dame! Eine Frau, die ihr Leben lang immer nur gearbeitet hat.«
»Glaub mir, man sieht das nicht. Du hättest noch einmal heiraten sollen. Du kannst es heute noch. Wer dich so sieht.«
»Verulke doch deine alte Mutter nicht.«
»Mir gefällst du, Muttchen. Und morgen gehen wir zusammen in das Maison blanc – und ich kaufe dir ein paar Pyjamas.«
»Nein! Um Himmels willen, nein!«
»Wenn du nicht mitkommst, kaufe ich sie allein. Aber ob sie dann passen?«
»Versprich mir, daß du das nicht tust. In Berlin lachen sie mich aus damit. Und dann – von welchem Gelde würdest du sie kaufen?«
»Ich verdiene doch, Mama. Und was ich dir schenke, kaufe ich nur von meinem verdienten Geld.«
»Aber keine Pyjama, Junge!«
Er versprach es ihr, schloß sie noch einmal in seine Arme, küßte sie und kehrte dann in sein Zimmer zurück.
Er nahm die Bilder Aga Tramms vom Nachttisch, Schreibtisch und Flügel – und schloß sie ein. Dann legte er sich ins Bett, nahm den Hörer vom Telephon und ließ sich mit Aga Tramm verbinden:
»Ja?« klang die verschlafene Stimme einer Frau.
»Bitte, rüttle dich wach.«
»Du, Richard? Was ist? Mitten in der Nacht.«
»Höre bitte genau zu.«
»Ich höre.«
»Meine Mama hat mich überrascht.«
»Womit?«
»Mit sich selbst. Denke dir, sie ist da!«
»Wie nett!«
»Nicht wahr?«
»Auf wie lange denn?«
»Auf drei Tage.«
»Das ist reichlich.«
»Mir lange nicht genug.«
»Ich hoffe, daß ich nicht darunter leiden werde.«
»Selbstverständlich können wir uns die nächsten Tage nicht sehen.«
»Du scherzst.«
»Es ist mein voller Ernst.«
»Ja, willst du mir deine Mutter denn nicht vorstellen?«
»Sie weiß, daß du meine Geliebte bist.«
»Geliebte ist gut.«
»Was bist du denn?«
»Du bist mein Spielzeug – mein Zeitvertreib.«
»Du bist wahnsinnig!«
»Siehst du, das habe ich nur gesagt, um dich aufzumuntern. Du weißt, daß ich dich liebe, nur dich.«
»Darum handelt es sich ja im Augenblick nicht.«
»Nur darum handelt es sich – und zwar immer nur darum.«
»Es handelt sich um meine Mutter.«
»Wann wirst du mich ihr vorstellen?«
»Gar nicht.«
»Genierst du dich?«
»Ja. Sie ist eine einfache Frau und ich werde ihr nicht zumuten, mit meiner Geliebten zusammenzukommen.«
»Du, das sag' noch mal.«
»Du hast mich doch verstanden?«
»Ich habe noch nie einen Mann gekannt, der schon am frühen Morgen solche Witze reißt.«
»Es ist mein Ernst! Ich habe es dir schon mal gesagt. Meine Mutter ist mir heilig.«
»Und ich? – Was bin ich dir?«
»Eine Laune – ein Zeitvertreib.«
»Wie dumm, diese Revanche!«
»Also, Kind, ob dumm, ob nicht dumm – bis meine Mutter wieder fort ist, sehen wir uns nicht!«
»Ich werde noch heute deine Mutter besuchen – mit einem großen Strauß Orchideen natürlich – und ihr sagen, was für einen furchtbar einfältigen Sohn sie hat.«
»Ich werde Weisung geben, daß du nicht eingelassen wirst.«
»Ja, bist du denn toll geworden?«
»Nur nicht mehr ganz so blöd wie ich war. Du hast mich gedemütigt.«
»Das ist schlechtes Theater.«
»Du hast mir Geschenke gemacht – mir auch mit Geld ausgeholfen.«
»Ich möchte dir raten, in ein Kloster zu gehen.«
»Soweit bin ich noch nicht. Die bloße Tatsache, daß meine Mutter da ist, hat genügt, daß ich mich auf mich selbst besonnen habe.«
»Ein Kitsch, was du da zusammenredest.«
»Ich habe mir gedacht, daß du mich verstehen wirst.«
»Alles, was du sagst, ist dunkelste Provinz. Du kommst mir vor, wie der Sohn eines Pastors, der vor der Konfirmation steht und den man nachts bei der Köchin erwischt hat.«
»Laß die Vergleiche und versprich mir, daß du meinen Wunsch respektierst.«
»Entweder wir lunchen heute mit deiner Mutter bei Henry – ihr seid natürlich meine Gäste – oder . . .«
»Oder?«
»Oder ich verzichte auf ein Wiedersehen.«
»Dann sehen wir uns also nicht wieder.«
»Gute Nacht, mein Schaf!«
Aga Tramm hing an – und es gelang ihm nicht mehr, die Verbindung wiederherzustellen.