Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Kornelia war nach ihrer vorzeitigen Entlassung, über die sie nicht beglückt war, nach Vestrum gefahren, hatte das Dorf leer und die Kirche geschmückt gefunden.

Sie war dann über die Felder gegangen, Wege, die sie kaum kannte und die ihr endlos schienen.

Keine Menschenseele war ihr begegnet, obschon es kein Sonntag war.

Die Sonne ging eben unter, da sah sie in der Ferne, wie in Glut getaucht, Türme des Schlosses aufsteigen.

Vom Eindruck überwältigt blieb sie stehen. Sie, die sich auf Vestrum immer schwach, unfrei und gefährdet fühlte, hatte zum ersten Male das Empfinden der Ungebundenheit, der Stärke und Macht. Sie wollten sie nutzen – zum Guten für sich und die Andern.

Aber mit dem Anblick des stolzen Schlosses kehrte auch die Erinnerung an dessen vielhundertjährige Geschichte zurück. – Hatte sie sich von dem Fluch befreit, gebüßt und überwunden, so war es doch auch jetzt noch ihre Pflicht, das jahrhundertelang um des Rufes Willen bewahrte Geheimnis zu bewahren und es nur in äußerster Not preiszugeben.

So war sie bebenden und doch frohen und starken Herzens weitergegangen und in die Nähe des Parkes gelangt.

Ihre alten Linden grüßten sie als Erste. Unverrückbar standen die Stämme, denen weder die Zeit, noch Wankelmut und Schlechtigkeit der Menschen etwas anzuhaben vermochten. Aber die schweren Zweige, die sich zum Gruße eben noch langsam senkten und wieder hoben, gerieten durch einen Windstoß, der durch die Kronen fegte, plötzlich in stürmische Bewegung. Wie langgezogene Klagetöne eines Rieseninstrumentes klang ihr Rauschen. Und dazwischen glitten langgezogene dünne Laute, die wie Töne von verstimmten Saiten schlecht gestrichener Bratschen klangen. Eine Schlacht in Tönen, die Natur und Mensch sich lieferten.

Schnell schritt Kornelia vorwärts bis zum Gittertor – sah an großen Tafeln feiernde Menschen, die entsetzt vor ihr zurückwichen, schritt näher, sah Johannes van Gudry neben einer Frau im Brautstaat, die ihr glich und dem Bilde, das im Schlosse verborgen war.

Sie suchte Zusammenhänge und fand sie nicht; begehrte ihr Recht und wurde verhöhnt; fühlte ein großes Unrecht und fand nicht Einen, der zu ihr stand. – Da wurde sie stumm und ging.

Als sie wieder am Gitter stand, schlürfte etwas über den Kies – folgte ihr.

»Sollte doch einer?« dachte sie und wandte sich um. Und an ihr hoch sprang der Dackel, hoch und höher, überschlug sich und wimmerte vor Glück, bis sie ihn hochnahm, ihn an sich drückte und – nicht mehr allein war!

Sie ging dahin, wohin allein sie gehen konnte – zu Doktor Kargert, wo sie erfuhr, daß er zur Hochzeit seines Freundes van Gudry mit Kornelia auf Vestrum sei.

Da wußte Kornelia, daß sie für ihr Leben zu zittern hatte.

* * *


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