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Lieber Artur Landsberger!
Du bittest mich um Mitteilung, ob Tilla Durieux und meine Wenigkeit einverstanden sind, daß die Idee unseres gemeinsam verschuldeten »Zerschnittenen Bildes des Franz Hals« von Dir auch zu einem Roman verwendet wird.
Ich denke: warum nicht? – und Frau Durieux, die ich gefragt habe, ist meiner Meinung. Warum denn wirklich nicht?
Der Film, »Das zerschnittene Bild des Frans Hals« (später haben wir es ja anders genannt), ist sozusagen der Beau reste eines sehr schönen Kartenhauses aus Schwatzabenden des letzten Winters. Die Durieux träumte vom Charakterfilm der Zukunft? ich meinte, es könnte auch der der Gegenwart werden, die Durieux kam plötzlich mit einem eigenen Filmstoff von verwirrend reicher Phantastik hervor, wir riefen Dich, den Praktiker . . . und im Nu hatten wir von Dir einen »Autorenvertrag« und beide einen schönen Haufen brauner Scheine in der Hand. So wurden wir Filmautoren, die berühmte Schauspielerin und der unberühmte Zeitungsmann. Unser Charakterfilm großen Stils ist ja freilich nicht zustande gekommen: Die Durieux, die die Hauptrolle hätte spielen sollen, mußte vorzeitig nach Wien, und nur auf sie waren Stoff und erstes Manuskript eingestellt gewesen; so wurde der Film etwas anderes. Ich habe, wie Du weißt, die fixe Idee, Filmdarstellerinnen vom Geschlecht der Asta Nielsen müßten ihrer mehrere, vielleicht eine ganze Generation, zu erzielen sein: die den Film zur Kunst heben helfen, Vermittlerinnen des Menschenausdruckes – wo heute noch hübsche, dumme, blinzelnde Puppen das Primadonnendiktat üben. In der Bestimmung des Films liegt etwas, das er bisher nicht hat erreichen können. Er könnte ein sehr viel stärkerer und sinnfälligerer Exponent der Zeit sein, über nur unserer Zeit, die, hastig, handlungsstark und kompakt, in der Explosivität und den Sensationen das Äquivalent vorläufig verlorener anderer Werte gibt, für die nächste käme er vielleicht schon zu spät, denn seine Kräfte sind aktuell, auch sie sind Explosion und Atemlosigkeit. Diese Zeit hält sich nicht in der Tiefe auf und geht nicht in die Breite: sie schießt, Rakete, mit Detonation ausschließlich vorwärts, aufwärts. Auf schmalster Basis der Mittel, etwa mit dem Theater verglichen – und nur wie im Stoß den Sinn und Ausdruck des Menschlichen verratend: so wirkt der Film. Der Schauspieler im Film, zum Beispiel, muß eine mit Riesendruck in ganz engen Wirkungskanal gepreßte immense Kraft spenden; denn die Energie, die im Theater das Wort, die Illusion echter Räume und die Unmittelbarkeit der Person ausstrahlen, muß durch die Kraftdichtigkeit nur einer einzigen Richtung ersetzt werden. In diesem Sinne sind Steinrück, Wegener, Werner Krauß und noch andere fast vollkommene Filmdarsteller – immerhin also eine ganze Kategorie. Daß die Porten oder die Negri ihre weiblichen Gegenstücke seien, kann niemand behaupten. Es gibt da bis heute nur die Nielsen. Aber ich werde den Gedanken nicht los, daß hier die Durieux, das absoluteste Ausdrucksgenie unseres Landes, dienstbar werden müßte. Um ihretwillen interessierte mich der von ihr erdachte Stoff unseres Films, in diesem Sinne gedachte ich sie selbst an die Sache zu fesseln, Als sie aber Berlin plötzlich verlassen mußte, fiel unser Plan, ließen wir Dir gern Stoff und Manuskript. Das Ganze war ja, für Frau Durieux und auch für mich, nicht viel mehr als ein etwas verdichtetes Luftschloß. Du magst also davon nehmen, wieviel noch übrig ist und Dir Freude macht. Schon die endgültige Fassung des Filmmanuskripts war ja ausschließlich Deine Arbeit, auf die wir keinen Einfluß mehr nahmen. Freilich bin ich sicher, der Film, unter Deinen immer überraschend geschickten Händen, wird auch so, wie er nun ohne die Durieux wurde, sein großes Publikum finden; und ebenso sicher, daß der Roman, den Du danach jetzt formen willst, Deine Leser nicht enttäuschen wird. Filmromane sind übrigens sympathischer als Romanfilme. Diese entstanden aus Verlegenheit. Die Filmdichter borgten sich die ihnen fehlende Erfindungskraft bei den Epikern, und das war mißlich; denn die Phantasie des Romanciers muß nicht dramatisch sein. Mit den Filmromanen ist es immerhin eine andere Sache. Sie werden geschrieben, weil der Zeitraum einer Filmstunde zwar genügt, das Publikum mit der äußern und innern Spannung eines starken Motivs aufzufüllen, nicht aber, es sogleich restlos »abreagieren« zu machen. Das eben ist noch die Schwäche des Films; Schwäche meist seiner weiblichen Darsteller. Ein Film ist Schund, wenn er nur Tatsachen und süße Gesichter präsentiert. In jedem dramatischen Tatsachengerippe noch so gröbsten Baus ist die Luft voll von Bakterien echten Lebens, Keimen bewegender Menschlichkeiten. Wenn der Zuschauer nur eine reizbare Seele ist, so wird aus Sudermann (noch aus Sudermann!) plus Zuhörer unter Umständen ein echtes Erlebnis. Du weißt gut, was ich meine. Das Filmmanuskript kann immer nur Tatsachengerippe gröbern Baus und allenfalls Winke für den Darsteller geben; dessen Sache ist es, die Bakterien des echten Lebens zu belichten. Aber von dem, was eine Henny Porten unter den Tisch fallen läßt, können hinterher noch zehn Romandichter leben. So wächst aus einem allgemeinen Mangel des Films diese Gattung, der Filmroman; um den Mangel nachträglich zu heilen, um den latent gebliebenen Rest von Dynamik des Stoffs noch nachträglich zur Auswirkung zu bringen, nutzbar zu machen. Die Gattung Filmroman zu verwerfen, weil es sehr schlechte Filmromane gibt, ist so schlimm, wie den Film selbst wegen schlechter Filme abzulehnen. Oder, sagen wir, den »Erdgeist« wegen des »Notrufs«. Als das Chaos des Kriegs im Lande war, trat die Literatur alle Rechte auf die Seele der Masse an das Kino ab. Es war fürchterlich. Der Filmroman: das könnte, sehr sinnvoll, die Zeremonie sein, mit der das Kino ein verwaltetes Szepter an die Literatur zurückgibt.
Dir, lieber Artur Landsberger, wünsche ich, daß Du die Gattung rechtfertigest und die Zeremonie weihest . . .
Venedig, Juni 1921.