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Dr. Kargert hatte von Johannes van Gudry ein Telegramm aus Paris erhalten. Es lautet:
Höre von Kornelia van Vestrums rätselhaftem Verschwinden. Bin erschüttert, zumal mich mitschuldig fühle. Habe begründeten Verdacht auf Detektiv, dessen nach Frankreich weisende Spuren ich verfolge. Kornelia muß und wird gefunden werden. Sie hören von mir
Johannes van Gudry.
Mit diesem Telegramm war Kargert nach Schloß Vestrum geeilt und hatte der völlig gebrochenen Amme, unter Hinweis auf das Telegramm, freudig berichtet: »Wir haben einen Bundesgenossen!«
»Ich werde alle Tage hoffnungsloser« erwiderte die Amme. »Herr van Gudry meint es gewiß gut, aber wie soll er es anstellen, Frankreich nach unserer Kornelia abzusuchen.«
»Wenn einer es kann, so ist er es. Er hat internationale Beziehungen, ist in London ebenso zu Hause wie in Paris. Vor allem aber hat er den Mut, zu handeln, wenn es darauf ankommt.«
»Sie rechnen nicht mit Kornelias Scham und Empfindsamkeit.«
Damit grade hatte Kargert von der ersten Stunde an gerechnet und gewußt, daß Kornelia auch dann für ihn verloren sei, wenn es ihr eines Tages gelingen würde, sich aus den Händen dieses Detektivs zu retten. Er hatte gegen diesen Gedanken später angekämpft und sich gesagt, daß es ja doch tausenderlei andere Möglichkeiten für ihr Verschwinden gäbe, ohne sich auch nur eine einzige dieser Möglichkeiten vorstellen zu können. Und nun kam die Amme mit eben diesem Einwand, über den er sich grade mühsam hinweggetäuscht hatte.
Unter diesem Eindruck war er verstimmt nach Hause gegangen und hatte ohne besonderes Interesse seine Klienten angehört und ihnen Rat erteilt. Da brachte ihm der Diener eine Karte, auf der stand:
Ehrengard van Jörgens
wünscht Sie in Angelegenheit des Herrn
Johannes van Gudry dringend zu sprechen.
Er ließ sie sofort vor, und eine tiefverschleierte Dame mit hellblondem Haar, die sehr erregt schien und ihre Ungeduld kaum meistern konnte, trat an seinen Schreibtisch und sagte, ohne daß Kargert auch nur Zeit hatte, sich vorzustellen:
»Wenn Sie wissen wollen, wer Kornelia van Vestrum entführt hat, ich kann es Ihnen sagen!«
»Wir wissen es,« erwiderte Kargert. »Ein Detektiv, dessen Persönlichkeit wir zwar nicht einwandfrei feststellen konnten, dem wir aber bereits auf der Spur sind.«
»Einen Detektiv?« fragte Frau van Jörgens. »Nun! ich kann Ihnen verraten, daß Herr van Gudry dahinter steckt.«
Kargert sprang auf.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ihnen scheint nicht bekannt zu sein, daß Herr van Gudry ein internationaler Hochstapler ist.«
»Herr van Gudry ist mein Freund!«
»Sehr unbedacht, Herr Advokat, derartige Freundschaften zu schließen.«
»Ich muß doch bitten . . .«
Frau van Jörgens lächelte spöttisch und sagte: »Ich hatte geglaubt, daß er nur auf Frauen so faszinierend wirkt.«
»Mit welchen Beweisen können Sie Ihre unerhörte Behauptung stützen?«
»Der weibliche Instinkt.«
Dr. Kargert zog die Schultern in die Höhe und fragte: »Ist das alles?«
»Es ist das Untrüglichste und Zuverlässigste. Aber wenn es Ihnen nicht genügt – – er selbst hat es mir gesagt.«
»Was?«
»Daß er Kornelia van Vestrum in seine Hände bringen werde.«
»Wann hat er Ihnen das gesagt.«
Frau van Jörgens nannte den Zeitpunkt – oder doch ungefähr.
»Da kannte er sie ja noch garnicht – oder er hatte sie eben erst kennen gelernt.«
»Eins wie das andere besagt nichts. Denn, ihm kam es nicht auf die Frau, sondern auf ihr Vermögen an.«
»Um sich in dessen Besitz zu setzen, wäre der Weg einer gewaltsamen Entführung zum Mindesten ungeeignet. Im Übrigen, ich sagte Ihnen schon, daß als Entführer nur der Detektiv in Frage kommt.«
»Der am Ende auch Herr van Gudry war.«
Kargert stand auf: »Gnädige Frau, wenn Sie mich als Klientin in eigner Sache aufsuchen, so stehe ich Ihnen ganz zur Verfügung. Auf derartige Geschichten kann ich mich mit Rücksicht auf die Zeit meiner Klienten« – und dabei wies er auf die Tür zum Sprechzimmer – »leider nicht einlassen.«
Frau van Jörgens schlug den Schleier zurück. Ein bildschönes, wachsbleiches, vergrämtes Gesicht kam zum Vorschein.
»Glauben Sie, eine Frau wie ich würde hierher kommen und aus irgendeiner Laune heraus einen Mann verdächtigen? – Sie behaupten, Johannes van Gudry sei Ihr Freund, Sie glauben, ihn zu kennen! – Denken Sie an mich! Was kümmert mich Kornelia van Vestrum? Ein Opfer mehr oder weniger, wer fragt danach?«
Sie legte den Schleier wieder um und streifte sich die schwarzen Schweden, die sie in der Erregung abgezogen hatte, wieder über die Hände.
Kargert sah sie scharf an, stutzte einen Augenblick und sagte: »Wenn Sie nur irgendetwas Positives wüßten.«
Frau van Jörgen schüttelte den Kopf und sagte:
»Lassen Sie nur. Es hat ja keinen Zweck. Und wenn ich Ihnen den Beweis hier auf diesen beiden Händen brächte – in Form eines Briefes etwa von seiner Hand – er brauchte nur so zu machen« – und dabei machte sie eine kurze Handbewegung – »und Sie glaubten ihm mehr als mir. Mir geht es ja doch genau so. Und am Ende hat er ganz recht, daß er uns seine Überlegenheit fühlen läßt.«
Kargerts Eitelkeit war getroffen.
»Sie irren, gnädige Frau, wenn Sie mich für leichtgläubig halten. Ich glaube, gerade Ihnen den Beweis des Gegenteils erbracht zu haben, wiederholen Sie Ihre Behauptungen in seiner Gegenwart . . .?«
»Gern! geben Sie mir die Gelegenheit!«
»Herr van Gudry ist zur Zeit in Frankreich.«
»Woher wissen Sie das?«
Kargert holte das Telegramm hervor und reichte es ihr mit überlegenem Lächeln.
Sie las es und meinte: »Das besagt nicht viel!«
»Nun zum Mindesten doch, daß er in Frankreich ist.«
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte: »Wieso?«
Er wies nochmals auf das Telegramm und zwar auf die Stelle, wo Paris stand.
»Muß er das aufgegeben haben?« fragte sie.
Da knüllte er das Telegramm zusammen und sagte ärgerlich: »So quer wie Sie kann nur eine Frau denken.«
»Oder . . . Johannes van Gudry,« ergänzte sie, verbeugte sich und ging.
Kargert saß noch eine Weile lang in Gedanken, ehe er auf den Knopf drückte und den nächsten Klienten eintreten ließ.
* * *