Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Neunzehntes Kapitel.

»Sonst noch was gefällig??« fragte Brigitte als Johannes sie in Gemeinschaft mit dem Arzte wieder einmal stundenlang gequält hatte.

»Jetzt kommt die Hauptsache!« erwiderte Johannes.

»Ich bin am Ende meiner Kraft!«

»Bravo!« sagte der Arzt. »Wie gewählt sie spricht. Als wenn sie tatsächlich auf einem Schlosse großgezogen wäre.«

»Meine Schule!« erwiderte Johannes. »Sie spricht nicht nur wie eine Dame, sie fühlt, und nicht wahr, Brigitte, sie ißt auch so.«

»Als ob ich das nicht immer getan hätte!«

Da lachte Johannes laut auf und sagte: »So eine Frechheit! Die Teller hat sie abgeleckt und die Tunke aus der Sauciere getrunken.«

»Um dich zu reizen!«

»So ein Schwindel! Vielleicht hast du dich auch meinetwegen mit dem Messer in den Mund geschnitten.«

»Selbstredend! Wenn ich gewohnt gewesen wäre, mit dem Messer zu essen, wäre es mir bestimmt nicht passiert.«

»Dumm ist sie nicht,« sagte Johannes zu dem Arzt. »Sie hat sich schnell umgestellt. Nur gegen Kunst und Literatur ist sie völlig immun.«

Er holte aus einem Versteck hinter der Tapete einen Rembrandt hervor und stellte ihn neben einen Kokoschka, der an der Wand hing.

»Welches Bild glaubst du,« fragte er sie, »stammt aus einer älteren Zeit? Ich will es dir erleichtern: das eine ist ein paar hundert Jahre, das andere ein paar Monate alt.«

»Willst du mich frotzeln?« fragte sie. »Das sieht doch ein Blinder!« – Und auf dem Kokoschka weisend, sagte sie: »Da war die Malerei ja noch Klexerei! das wirkt wie hingeschmissen. Man kann sich dabei denken was man will; was Richtiges oder was Falsches! Es hängt von der Stimmung ab.« –

»Du meinst also, daß dieser Kokoschka der Ältere ist?«

»Natürlich! Und das redest du mir auch nicht aus.«

»Ein völlig hoffnungsloser Fall!« entschied Johannes. Dann spannte er eine Leinewand auf, die den ganzen Grundriß des Schlosses Vestrum enthielt. Es stellte sich heraus, daß Brigitte sich in den Räumen bereits genau auskannte.

»Wo haben Sie das her?« fragte der Arzt.

»Von meinem Faktotum Peter Last, der seit vierzehn Tagen im Schloß wohnt.«

»Nanu? was tut er da?«

»Er macht Feststellungen, wie Sie sehen, von denen Brigitte, die künftige Schloßherrin, profitiert. Sie darf sich doch nicht blamieren und muß sich auskennen, wenn sie in das Schloß ihrer Väter zurückkehrt.«

»Das begreife ich, aber wie haben sie diesen Peter Last da eingeschmuggelt?«

Johannes ging an einen Schrank und zeigte dem Arzt die Kopie eines Briefes, der aus Madrid datiert und an die Amme in Schloß Vestrum gerichtet war. Es war darin erst von seinen Bemühungen um Kornelia die Rede, die sicheren Erfolg versprachen. Dann hieß es weiter:

»Der Überbringer dieser Zeilen ist ein Landsmann von mir, namens Pieter Longaard, der in Madrid Kunstgeschichte studiert und von der Fakultät mit einer Arbeit über holländische Meister des siebzehnten Jahrhunderts betraut ist. Da ich weiß, daß sich in Ihrer Bibliothek für seine Arbeit wertvolle Handschriften befinden, so bitte ich Herrn Longaard, für dessen Persönlichkeit ich volle Verantwortung übernehme, zu erlauben, in der Bibliothek des Schlosses zu arbeiten.« –

»Sie sind zu Größerem geboren!« sagte der Arzt und lachte laut.

»Menschen wie ich hängen von der Konjunktur ab,« erwiderte Johannes. »Napoleon wäre in meinem Milieu auch nicht Kaiser von Frankreich geworden.«

»Was habt Ihr heute mit mir vor?« fragte Brigitte. »Wenn Ihr Euch soviel Honig ums Maul schmiert, weiß ich schon, daß ich die Leidtragende bin.«

»Also, Herr van Gudry,« sagte der Arzt, »Ihre Schülerin pflegt eine Konversation! Wenn man bedenkt, daß sie vor vier Wochen noch Kellnerin im »Strammen . .  . . .«

»Halt's Maul!« fiel ihm Brigitte ins Wort und schlug ihn mit der Hand derart auf den Mund, daß er aufschrie und sich dabei in die Zunge biß.

Johannes packte Brigitte wütend beim Arm und sagte leise: »Diesen Rückfall in dein früheres Leben sollst du mir teuer bezahlen.«

»Es kann dir passieren, daß ich dir davonlaufe.«

»Wobei du mehr verlieren würdest als ich.«

»Das ist ja das Dumme!«

»Oder das Gute! – Und zwar für uns Beide! Wir gehören für absehbare Zeit zusammen und müssen uns daher an einander gewöhnen.«

»Wenn du so eklig bist, gewöhne ich mich nie an dich!«

»Ich will versuchen, mich zu bessern,« versprach Johannes, worauf Brigitte auffuhr und rief:

»Ach du lieber Gott, was mag mir bevorstehen, daß du so sprichst!«

»Sie kennt Sie besser als Sie glauben,« meinte der Arzt. »Ich meine daher auch, daß wir ihr ohne viel Umschweife sagen, um was es sich handelt.«

»Also los!« drängte Brigitte. »Aber eins sage ich Euch: wenn es sich etwa herausstellen sollte, daß diese Kornelia nur einen Arm oder ein Bein oder gar falsche Haare hat – verstümmeln lasse ich mich nicht!«

»Auch nicht nötig!« erwidert« Johannes. »Du sollst dich nur verblöden lassen.«

Brigitte wich zurück.

»Auf den Kopf schlagen lasse ich mich' nicht! wenn Kornelia eine Idiotin ist, so kann ich ja verrückt spielen.«

»Nein! So eine Intelligenz!« rief der Arzt, und Johannes lächelte, nahm Brigitte bei der Hand und sagte:

»Darum eben handelt es sich.«

»Ihr wollt mich einsperren?« fragte sie ängstlich.

»Ja! – Das heißt, vorübergehend.«

»In eine Gummizelle! – Hinter Gitter?«

»Aber nein! Du sollst ja nicht gemeingefährlich sein, sondern nur blöde.«

»Nur ist gut! Als ob das bei meiner Intelligenz eine Kleinigkeit wäre.«

»Grade, dank deiner Intelligenz wird es dir leicht fallen.«

»Was hab' ich zu tun?«

»Das wird der Arzt dir sagen!«

»Und, was wichtiger ist, auf wie lange?«

»Ein paar Wochen nur.«

»Und dann?«

»Ist der Weg frei.«

»Dein Wort darauf!« – Sie streckte ihm die Hand hin. Eben wollte er einschlagen, da zog sie schnell die Hand zurück, wandte sich an den Arzt und sagte: »Versprechen Sie's mir lieber, Doktor!«

»So eine Frechheit!« sagte Johannes.

»Wahrheiten pflegen selten höflich zu sein,« erwiderte Brigitte.

»Diese Frau ist köstlich!« sagte der Arzt und drückte Brigitte die Hand.

Johannes ging aus dem Zimmer. Als ihn der Arzt nach einer Stunde wieder hereinrief, fragte er: »Na! wie hat sie sich angestellt?«

Der Arzt erwiderte: »Fragen Sie sie selbst!«

Brigitte sah auf einem Sessel und kehrte ihm den Rücken zu.

Johannes rief: »Brigitte!«

Sie rührte sich nicht.

»Ach so!« sagte er lachend. »Ich verstehe. Also denn: Kornelia! He!!!«

Brigitte rührte sich nicht.

»Was bedeutet das?« sagte Johannes.

Der Arzt zog die Schultern hoch, machte ein bedenkliches Gesicht und sagte: »Es ist eine alte Erfahrung, daß es leichter ist, Menschen krank als gesund zu machen.«

»Was denn?« fragte Johannes unsicher.

»Die Kranke leidet an zeitweisen Bewußtseinstrübungen und hat völlig ihr Gedächtnis verloren.«

Johannes war an den Sessel herangetreten. Im ersten Augenblick erschrak er. War eine so vollendete Verstellung möglich? Er selbst war ja Künstler in diesem Fach, das er als Wissenschaft auffaßte und betrieb. Aber jeder Kunst waren Grenzen gezogen. Hier waren sie überwunden. Der Kopf Brigittes schien plötzlich schief am Genick zu sitzen. Man hatte das Gefühl, als müßte er jeden Augenblick abrutschen. Die Augen quollen weit aus den Höhlen hervor, glotzten, als wollten sie herauskullern. Der Mund war schief und schloß nicht, die Unterlippe war herabgezogen. Auch die Schultern hingen herab, und man hatte den Eindruck, als müsse man den ganzen Körper, der zusammengeklappt schien, aufrichten.

Johannes staunte Brigitte an.

»So beschäftigen Sie sich doch mit ihr,« drängte der Arzt.

»Eine Künstlerin ersten Ranges!« sagte Johannes, und zu Brigitte gewandt fuhr er fort: »hältst du es lange in der Stellung aus?«

Brigitte rührte sich nicht.

»Wo kommst du her?« fragte Johannes.

Brigittes Ausdruck wurde noch blöder.

»Von oben,« lallte sie.

»Prachtvoll!« rief Johannes und rieb sich die Hände.

»Kennst du eine Kellnerin namens Brigitte?«

Sie sah ihn verständnislos an.

»Kennst du Kornelia van Vestrum?«

Brigitte hob den Kopf ein wenig und tat interessiert. Ihre Brust hob und senkte sich wie bei einer starken Gemütserregung. Die Augen wurden größer und standen voller Tränen.

»Eine Künstlerin! Eine große Künstlerin!« rief Johannes. Er nahm ihre Hand!, die kalt und ohne Willen schien. »Bist du am Ende auch gelähmt?« fragte er.

Sie gab keine Antwort.

»Kennst du Johannes van Gudry?«

Sie lächelte blöd.

»Aber deine Amme kennst du doch?«

Sie verzog keine Miene.

»Wo warst du, bevor du hier herkamst?«

Brigitte dachte nach, schüttelte den Kopf und sagte: »Ich weiß nicht!«

»Wie heißt du denn?«

Sie lächelte und schloß die Augen.

»So sag's doch,« drängte Johannes.

»Ich hab's vergessen.«.

»An was denkst du denn so den ganzen Tag über?«

»An mich!«

»Gibt es denn da so viel nachzudenken?«

»Ich weiß nicht.«

»Jedenfalls: Dies Verrücktspielen liegt dir ausgezeichnet.«

»Es ist himmlisch bequem, so blöd zu sein,« erwiderte Brigitte, worauf Johannes meinte:

»Um so mehr mußt du in unbewachten Augenblicken normal üben. Sonst wird das Idiotische bei dir zur zweiten Natur, und wir haben dich auf dem Gewissen.«

»Das würde dich, sofern es nicht deine Pläne kreuzt, wenig stören!« erwiderte Brigitte.

»Wie du mich kennst!« sagte Johannes. »Jedenfalls bist du als Wertobjekt bei mir seit heute im Kurse gestiegen. Du kannst sämtliche Galerien Europas plündern und wirst auf Grund medizinischer Gutachten nie zur Verantwortung gezogen werden.«

Johannes war in dieser Hoffnung, deren Verwirklichung nur von der Frage abhing, ob es ihm gelang, Brigitte zu seiner Kreatur zu machen, so glücklich, daß er ihre Hände ergriff und beinahe mit Pathos, über das er selbst staunte, sagte: »Brigitte, ich glaube, du und ich, wir könnten einander lieb haben!«

»Jetzt, wo du mir meine Veranlagung gezeigt hast,« erwiderte Brigitte trocken, »ist es für mich am Ende einträglicher, mich selbständig zu machen.«

»So undankbar wirst du nicht sein!«

»Jeder ist sich selbst der Nächste.«

»Ohne mich säßest du heute noch als Kell . . .«

»Pscht!« rief Brigitte und hielt ihm den Mund zu. »Wenn du mich noch einmal daran erinnerst, nehme ich meine alten Manieren wieder an, und du kannst mit mir von vorn beginnen.«

Und da Brigitte unberechenbar und zu allem fähig war, so schwieg Johannes.

* * *


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