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Frau van Jörgens traute ihren Augen nicht, als ihr der Diener am frühen Morgen auf einem Tablett die Karte Johannes van Gudry reichte.
»Wie? – wer? – er selbst?«
Der Diener bejahte.
Ganz unbewußt wandte sie sich sofort zum Spiegel und steckte im Haar eine Nadel fest. Dann erst nahm sie die Karte auf, hielt sie zitternd in den Händen, schüttelte den Kopf, stampfte, als wollte sie einem inneren Widerstand begegnen, mit dem Fuß auf und sagte: »Nein! nein! – Sagen Sie, ich wäre krank – oder verreist – oder . . .«
In diesem Augenblick trat Johannes ein.
»Seit wann läßt man einen van Gudry antichambrieren?« fragte er, gab dem Diener ein Zeichen, sich zu entfernen, kam auf Frau van Jörgens zu und reichte ihr die Hand.
Die kämpfte schwer, hob langsam den Kopf, sah ihn kalt an und fragte: »Was haben Sie mir zu sagen, Herr van Gudry?«
Er hielt ihrem Blick stand, nahm ihre Hand, drückte sie und sagte: »Liebst du mich nicht mehr?«
»Wenn ich es täte – niemand würde es erfahren!«
»Auch ich nicht?«
»Sie zuletzt!«
Er führte die Hand an seine Lippen, küßte sie und sagte: »Ich danke dir!«
Frau van Jörgens fühlte, wie ihr Widerstand nachließ. Sie riß sich zusammen und fragte: »Warum sind Sie gekommen?«
»Um dir zu sagen, daß auch ich vergebens gegen meine Liebe angekämpft habe.«
Sie wandte sich zu ihm: »Wie? – ich verstehe nicht – du hättest gegen deine Liebe angekämpft?«
»Ich hatte geglaubt, daß es mir leicht fallen würde. – Warum ich das glaubte, weiß ich nicht! – Nun aber weiß ich: ich habe mich geirrt!«
Mit verhaltener Erregung sagte er das, die sich, obschon sie gemacht war, auf Frau van Jörgens übertrug.
»Und warum wolltest du . . .?« fragte sie zitternd.
»Weil ich ein Schuft bin. – Weil Reichtum, unermeßlicher Reichtum mich lockte. – Aber meine Liebe erwies sich als stärker.«
»Johannes!« jauchzte Frau van Jörgens auf und umschlang seinen Hals. Dann schloß sie die Augen.
Er legte pflichtgemäß seine Arme um sie, drückte sie an sich und sagte: »Ich wußte es!«
Und er überlegte, ob er noch hinzufügen sollte: »Ich wäre zugrunde gegangen ohne dich!« – Da vielleicht später noch eine Steigerung notwendig wurde, so ließ er es. Mit Entsetzen stellte er fest, daß ihm ihr Vorname entfallen war. Wie gut hätte es sich gemacht, und wieviel Worte hätte er sich erspart, wenn er so ganz aus den Tiefen heraus ein-, zweimal ihren Namen hervorgestoßen hätte.
»Und nun bleibst du bei mir?« fragte sie mit einer Bestimmtheit, die ihn erschreckte und ihm klarmachte, daß sein Vorstoß zu stürmisch gewesen war.
»Es hängt von dir ab,« erwiderte er und schloß die Augen, obschon er viel lieber die Ohren geschlossen hätte.
»Von mir? – Ja weißt du denn noch immer nicht . . .?«
Er wußte nur zu gut, daß er diese Frau betrügen, mißhandeln, von sich stoßen konnte und doch jederzeit nur die Hand auszustrecken brauchte, um sie wiederzugewinnen. Und so sagte er denn: »Ich muß erst frei sein – und du kannst mir dazu verhelfen.«
»Bestimme! – Du weißt, daß du dich auf mich verlassen kannst.«
»Ist dir nicht vor einiger Zeit dein wertvoller Halsschmuck gestohlen worden?«
»Allerdings!«
»Liegt dir daran, ihn zurückzubekommen?«
»Wie kannst du fragen? – Ich habe Tausende für die Recherchen verausgabt.«
»Dumm genug von dir! – Ich will dir die Kette zustellen, ohne daß du Kosten hast.«
»Wie ist das möglich?«
»Tu, was ich dir sage! – Geh' in einer Stunde zu Smith, dem bekannten Mietsbureau und sage, daß du sofort eine junge Gesellschafterin aus gutem Hause und ohne Anhang brauchst.«
»Ja – und?«
»Alles andere überlasse mir!«
»Was hat das mit der Kette zu tun? was vor allem mit uns?«
»Die Frau, die die Kette hat, steht unserer Wiedervereinigung im Wege.«
»Ich begreife noch immer nicht!«
»Du wirst also in einer Stunde bei Smith sein und dich etwa dreißig Minuten dort aufhalten.«
»Wenn du es wünschest.«
»Gegen Abend komme ich zu dir und wir feiern unsere Wiedervereinigung – einverstanden?«
»Hannes! welche Frage!«
Sie wollte schon wieder zärtlich werden. Aber er wehrte ab.
»Erst hilf mir das Hindernis aus dem Wege schaffen.«
Er gab ihr die Hand, küßte sie und ging.
Frau van Jörgens stand noch eine Zeitlang in Gedanken.
»Schändlich« – dachte sie – »mich so zu behandeln! – Bestimmt steckt dahinter wieder eine Schlechtigkeit! – Aber wozu mich wehren? Ich muss ja doch tun, was er will.«
Und genau eine Stunde später stieg sie vor dem Mietsbureau Smith aus ihrem Auto.
* * *
Frieda schloß in dieser Nacht kein Auge mehr.
Als sie am frühen Morgen dann Johannes das Frühstück aufs Zimmer brachte, gab der ihr für die Behandlung Kornelias nochmals genaue Anweisungen und entwickelte ihr den Plan so ausführlich, daß sie begeistert ausrief:
»Jetzt endlich glaube ich an Ihre Liebe, Johannes!«
Der war vor Staunen platt und sah sie fragend an.
»Auf solche Gedanken kann nur die Liebe kommen,« fuhr sie fort. »Die allein findet auch da den Weg, wo jede Möglichkeit verschlossen scheint.«
»Du phantasierst!« schalt Johannes.
Frieda lächelte überlegen: »Wir Frauen sehen schärfer und tiefer als ihr,« sagte sie. »Wenn Sie es sich selbst noch nicht gestehen, Johannes – die Art, in der Sie sich von dieser Kornelia befreien, verrät Sie!«
»Dich wird man bald einsperren müssen, dumme Person!« rief Johannes. Aber sie ließ sich den Glauben nicht nehmen; überlegen lächelnd schlug sie die Augen zu ihm auf und sagte:
»Sie werden es erleben! und zwar bald!«
Dann hüpfte sie kokett wie ein junges Mädchen aus dem Zimmer, sah sich an der Tür noch einmal nach ihm um, blinzelte ihm zu und sagte:
»Auf Wiederseh'n, Johannes! Auf Wiederseh'n !«
* * *
Kornelia hatte den Rest der Nacht sitzend und ohne sich auszukleiden auf der Chaiselongue verbracht. Als jetzt Frieda zu ihr ins Zimmer trat, fuhr sie erschrocken auf und rief: »Was ist?«
»Nichts ist! Was soll sein?« fragte Frieda, setzte ihr schönstes Lächeln auf und sagte: »Ich bin um Sie in Sorge. So geht das nicht weiter. Sie gehen zugrunde hier.«
Kornelia lächelte wehleidig: »Es ist das Beste, was mir geschehen kann !«
»Wie kann eine Frau in Ihrem Alter, die aussieht wie Sie, so sprechen? Sie fangen erst an zu leben.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ja!«
»Er hat Ihnen erzählt, daß ich fort wollte . . .?«
»Ich weiß alles! – Er sieht ein, daß er Sie nicht halten kann.«
»Tut er das? Tut er das wirklich?«
»Mein Wort darauf! – Und ich will Ihnen noch mehr verraten! Er meint es gut mit Ihnen!«
Kornelia zuckte zusammen.
»Läßt er mich fort?« fragte sie.
»Ja.«
»Ist das wahr?« rief sie erregt und schien neu aufzuleben.
»Er hat mir aufgetragen, mich in einem guten Hause nach einer Stelle als Gesellschafterin für Sie umzusehen.«
»Und Sie haben es getan?« fragte sie freudig.
»Nachts ging das schlecht! – Und dann – ich' wußte ja nicht, wie Sie darüber denken.«
»Für mich wäre das, als wenn man mir von neuem das Leben schenkte!«
»Das Geschenk kann Ihnen werden.«
»Wann?« fragte Kornelia.
»Das bestimmen Sie!«
»Heute! Sofort! Auf der Stelle!«
Die dicke Frieda lächelte: »Wir müssen doch erst etwas Passendes finden.«
»Wohin ich auch komme – besser als hier hinein passe ich sicher. – Nur fort von hier.«
»Man könnte ja mal bei einem der bekannteren Bureaus anläuten.«
»Ja! Tun Sie das!« drängte Kornelia.
»Gut! Ich werde nach dem Essen . . .« – sie machte absichtlich eine Pause, da sie Kornelias Widerspruch erhoffte, der dann auch sofort einsetzte:
»Warum nach dem Essen?« fragte Kornelia. »Warum nicht gleich? Es ist bald neun! Die Bureaus sind doch schon offen!«
Frieda lächelte und meinte:
»Wenn Sie es so eilig haben – meinetwegen! – Aber kommen Sie gleich mit an den Apparat!«
»Ist er fort?«
»Ich glaube!«
Sie ging voraus, Kornelia folgte zitternd und voller Erwartung.
»Ja, wo versuchen wir es nun zuerst?« fragte Frieda und sah unauffällig nach der Uhr.
»Ich weiß damit nicht Bescheid!«
Frieda ließ sich mit dem Bureau Knock-Madsen verbinden – oder sie tat doch so.
»Hören Sie,« rief sie in den Apparat – »ich suche für eine Dame aus der Gesellschaft in einer nur guten Familie einen Posten als Gesellschafterin. Die Dame legt mehr Wert auf gute Behandlung als auf hohes Gehalt. – Wie? – Ja, ich warte am Apparat!«
»Ist Aussicht?« fragte Kornelia erregt, »Was hat man gesagt?« Im selben Augenblick flötete Frieda auch schon wieder in den Apparat:
»Wie bitte? – Augenblicklich nicht? – Schade! – vielleicht wann? – Gut! Ich rufe in ein paar Tagen nochmal an!«
»Nichts?« sagte Kornelia und war verzweifelt.
»Ob ich's noch wo anders versuch«?« fragte Frieda.
Kornelia drängte stürmisch: »Bitte bitte!«
Frieda machte ein nachdenkliches Gesicht und meinte: »Es käme höchstens noch Smith in Frage. – Versuchen Sie einmal selbst Ihr Glück!«
Kornelia suchte die Nummer und stellte die Verbindung her. Und als sich das Bureau Smith meldete wiederholte sie zitternd vor Erregung alles, was zuvor Frieda gesagt hatte.
Der Herr am Apparat erwiderte: »Bitte, warten Sie einen Augenblick!«
Dieser Augenblick schien Kornelia endlos. Dabei erschien er gleich darauf – und zwar nach Friedas Empfinden viel zu schnell – wieder am Apparat und sagte:
»Zufällig sucht hier grade eine Dame eine Gesellschafterin. Aber sie muß allerbeste Kinderstube, Bildung und gute Manieren haben!«
»Habe ich – ich schwöre es Ihnen!«
»Und gut aussehen müßte die Dame auch.«
»Sie kann mich ja sehen.«
»Das wäre das Beste! – Einen Moment! die Dame bemüht sich selbst an den Apparat.«
»Hier bin ich!« rief Kornelia unbeherrscht, und die Dame am Apparat lachte und meinte:
»Ich brauche jemand, der mir Gesellschaft leistet, Sprachen beherrscht, mir vorliest, vorspielt, und dabei Dame genug ist, um meiner Dienerschaft gegenüber Autorität zu haben.«
»Ich schwöre es Ihnen! ich verspreche es Ihnen! das alles kann ich! Ich hatte selbst Diener . . .«
»Pscht!« flüsterte Frieda und schubste sie. »Reden Sie nicht zu viel!«
Und die Dame am Telefon sagte: »Dann stellen Sie sich bitte bei mir vor!«
»Schrecklich gern! Wann soll ich . . .?«
»Heute noch!«
»Ich komme!« rief Kornelia und wollte den Hörer anhängen. »Namen! Adresse!« brüllte Frieda. »Sie wissen ja gar nicht wohin?«
Und Kornelia, die vor Erregung am ganzen Körper flog, rief in den Apparat: »Wohin, bitte, soll ich kommen?«
Die Dame am Telefon erwiderte: »Zu Frau van Jörgens, Fisterplatz 9.«
Und Name und Adresse gingen Kornelia ein wie eine heilige Verkündigung. Sie schloß die Augen und wiederholte: »Frau van Jörgens, Fisterplatz 9.«
Frieda sah sie an, lächelte und sagte: »Das nenne ich Glück!«
* * *