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Der St. Louis-River jagte unter dem ersten kalten Nordsturm seine Wellen in den Fond du Lac, und die offen liegende Marquette-Bay war eine weiße Brandung. Dahin waren die guten Ankerplätze in der Thunder-Bay, dahin auch das milde Wetter. Der Quellstrom des mächtigen St. Lorenz gurgelte in der Tiefe und zog wilde Strömungen nach sich.
Solange die Levante im Nordkurs fuhr, lag sie unter Segeln, das Meer war gris und das schwere Schiff lief vor dem Wind. Quatember, Quatember! Der Nordsturm brachte Schnee und Hagel, die ersten Eiszapfen fielen aus der Luft, und bei dem heftigen Sturm rasten ermattete Möwen gegen die Bordwand. Nun war der Winter doch mit Sturm gekommen, nicht wie gewöhnlich mit einer starren Windflaute; mit Schnee und Sturm zog er einher, das Barometer fiel an einem Tag um zehn Grad. Vorn am Bug überzogen sich die Tannen weiß, ach, welch ein Anblick, die weißen Tannen!
Die grünen Gläser an den Bullaugen glitzerten, der Schaum der Wogen fegte das Eis vom Glas, das ganze Deck troff vor Nässe. Es wurde noch einmal milder, als die Levante die Höhe von Sault St. Marie passierte und durch den Kanal in den Huron-See eilte. Die Küste sandte einen warmen Hauch herüber, die Levante fuhr unter Dampf. Aber schon die Insel Manitoulin lag in eisigen Nebeln, der Himmel zeigte wieder ein gläsernes Gesicht.
Den langen Tag lag Jens in seiner Kajüte, der Steuermann kam und brachte neue Nachrichten, er hielt seinen Schwatz am Tage, oft kam er auch nachts. Sault St. Marie liegt achteraus, sagte der Steuermann, wir jagen an Manitoulin vorüber, es wird wieder kälter.
Sahen Sie Stamer? fragte Jens. Wie benimmt er sich? Ich muß immer ein Auge auf ihn haben, damit er nicht überschnappt.
Er trinkt, sagte der Steuermann, sein Freund feuert ihn an.
Und Scould?
Scould ist krank, er hat den schlechtesten Platz erwischt, er liegt im vorderen Laderaum auf dem Bauch und stöhnt.
Hören Sie, Steuermann, er ist der beste, geben Sie ihm eine Hängematte.
Der Steuermann fand auch, daß Scould der beste sei und versprach, ihm eine Hängematte unter das Luk im Laderaum zu hängen.
Er verdient die erste Kajüte, sagte Jens und nicht den Laderaum, wo er friert.
Der Steuermann widersprach. Die starken Kerle können die Kajütsluft nicht vertragen. Zwischendeck bleibt Zwischendeck, in späteren Jahren zehren sie von ihren Fahrten im Laderaum.
Jens aber grämte sich, daß Scould im Laderaum liegen mußte. –
Der Steuermann prophezeite Sturm, er ging, um Ölzeug für die Mannschaft auszukramen. Jens fand keine Ruhe, er dachte an Scoulds schlechte Lage. Stamer und Tucy hatten eine Kajüte neben dem Mannschaftslogis erwischt, es war ein Raum aus Eisenwänden, kalt und frostig, die Bootsmannskajüte. Der Bootsmann hatte sich geweigert, in dem Eisloch zu schlafen, er war ins warme Mannschaftslogis gekrochen. – –
Stamer kam, zum zweitenmal in acht Tagen betrat er Jens' Kajüte. Und wenn er trunken war, so sah man es ihm nicht an. Er sah schrecklich bleich aus und ging, als säße ihm ein Ladestock im Kreuz. Er rühmte sich auch, bei aller Trunkenheit gerade zu stehen und seinen Weg zu finden. Ihm, dem Fischer, könne Sturm nichts anhaben.
Er kam mit einer neuen Gehässigkeit heraus: Du läßt die Weihnachtsbäume durch Scould bewachen, wie?
Wozu soll ich sie bewachen lassen? Weil Scould im Laderaum schläft? Sei glücklich, daß du eine Kajüte erwischt hast.
Eine Kajüte? Dieses Eisloch! –
Du hast wieder getrunken, der Kapitän und sein Steuermann sind aufmerksam geworden. Du verdirbst die Mannschaft. – Aber Stamer rühmte sich, daß er noch eine Kiste auszutrinken habe. Laß Scould gefälligst aus dem Laderaum verschwinden, sagte er. Ich kann mich dort besser mit Tucy betrinken. Ich gebe Scould die Kajüte ab.
Die Kälte frißt dich im Laderaum auf!
Hoho! Ich ziehe in den Laderaum mit Tucy. Es ist auch nötig, daß ein Mann nach den Latten sieht, die Stapel fallen um … und plötzlich sah er Jens an, seine Augen flackerten, er wurde rot und wollte sein Gesicht verstecken, aber es zwang ihn, sein Gesicht ganz zu zeigen, als wolle er einem Verdacht von vornherein frech begegnen. Er reichte Jens seine zitternde und knochige Hand herüber. Na, sagte er, ich bringe Scould in der Eisenkajüte unter. Was grübelst du?
Jens übersah Stamers ausgestreckte Hand und sagte: Zieht ruhig in den Laderaum, macht euch einen Verschlag und bringt Scould gut unter. Ich blicke selber nach den Latten. – –
Der Tag ging zur Neige, Sturm stellte sich ein, über das eiserne Deck trampelte die Besatzung und zog die Zurrings an den Borten fest, Hammer und Schraubenschlüssel klirrten, die Maschine klopfte schneller, das ganze Schiff zitterte. Die Schiffsglocke schlug an, die Türen wurden verschlossen, die große Windtür am Niedergang wurde gedichtet und schloß sich wie ein Schott. Die Nottür zur Back hin wurde geöffnet, und eine Treppenleiter angeschraubt. Kapitän Streen kam von der Messe her, im engen Gang traf er mit Jens zusammen.
Es gibt Wind! sagte der Kapitän, Ihre Leute sind in dem oberen Laderaum untergekrochen. Warum das?
Das Eisenloch war ihnen zu kalt, sie wollen sich einen Verschlag hinter den Bäumen machen.
Das ist nicht üblich, erwiderte Kapitän Streen. Im Mannschaftslogis ist noch Platz.
Jens sah ihn fragend an.
Ja, ja, sagte der Kapitän, es ist eine schlechte Gesellschaft für meine Leute. Sagten Sie nicht, daß einer der Säufer Ihr Jäger war?
Er ist ein Fischer aus Sault St. Marie, der sein Eigentum verkaufte.
Ein Fischer? na, drei Gebete, wenn das je ein ordentlicher Fischer war.
Er hat sich ganz und gar verwandelt, sagte Jens.
Der Kapitän blickte ihn forschend an und sagte: Wissen Sie, daß Herr Vancour seine letzte Fahrt von Sault St. Marie auf der Levante machte! Er bewohnte Ihre Kajüte. Da Sie Freunde waren, dachte ich, daß es Sie ehrt, wenn ich Ihnen dieselbe Kajüte zuwies.
Jens zuckte mit keiner Miene, er fragte: Wann geschah es, daß sich Vancour aus dem Leben brachte?
Im Juli!
Und wann denken Sie, daß die Levante in Buffalo einläuft?
Zwischen dem zwölften und fünfzehnten Dezember. Ihre Bäume kommen rechtzeitig auf den Markt. Der Kapitän lächelte. Als er gegangen war, zog sich Jens schnell zurück, er blickte sich um, aber es zeigte sich nichts von Vancour, rein nichts. Er stellte sich aber Vancours Gestalt vor, seinen Kopf und die krausen Locken im Nacken, die breiten Finger, wie sie in der kleinen Kajüte gewühlt haben mögen. Aber nichts brachte ihm Vancour näher, Vancour hatte alle Pforten hinter sich geschlossen. –
Wind, Wind! Die Levante schlingerte in der See, Steilseen schlugen über Deck, die große Ladeluke mußte verschlossen werden, eine Persenning wurde darüber gelegt. Ein kleines Luk blieb für Stamer und Tucy offen. Sie hatten sich ihren Verschlag gemacht, in dem eine verschlossene Petroleumlampe brannte. Das Schott war herabgelassen. Der Tannenduft war erstickend, es rumpelte dort unten. Aber es war wärmer als in der Eisenkajüte, in welcher nun Scould lag. Es war der dritte Tag seiner Seekrankheit, nun wollte Scould sterben. Er bebte am ganzen Körper und schwor, daß er ein Waldgänger sei und kein Fahrensmann wie Stamer und Tucy. Er raffte sich zusammen, aber was nützte ihm seine riesige Stärke, er war zum Kinde geworden und lallte. Draußen vor dem Mannschaftslogis schrie der Steuermann: Raus, raus aus den Kojen, ihr Hunde, ihr sollt Kohlen nach vorn trimmen!
Scould hörte es und zitterte darum, daß ihn jemand aus der Matte werfen wollte. Er schrie und fluchte, darüber schlief er ein Stück ein, seine arme Seele murmelte: Ich bin nur ein Waldgänger …
Der Sturm legte sich in der Nacht, das Schiff stampfte schwer. Da erhob sich Jens, nahm eine Laterne und kämpfte sich über Deck zum Ladeluk, er schlug die schwere Persenning zur Seite. An Stamers Verschlag vorbei stieg er hinab, es war kein Licht zu sehen.
Er kletterte die eiserne Leiter hinab und kam in die Dunkelheit seiner Tannen. Soweit die Laterne leuchtete, sah er schwankende Tannenberge, aber noch hielt das Lattenwerk. Die Bäume schwitzten, die Luft war feucht und Jens fühlte erschrocken die Tannen an. Wenn jetzt die Nadeln blättern wollten, dann wäre eines Jahres Arbeit zunichte. Aber die Nadeln saßen noch fest an den Rippen. Er suchte die Gassen an der Bordwand ab, überall lagen Nadeln an der Erde, der Boden war ganz weich von Nadeln, die während des Sturms abgefallen sein mußten. Die Bäume scheuerten sich und bei der Masse der Tannen war es kein Wunder, wenn die Nadeln fielen. Darf aber ein frischer Baum nadeln? Die Luft ist stickig, das Schott muß hoch, sobald die See nachläßt.
Mit diesem Gedanken kehrte er um, er verirrte sich in dem Gewirr von Tannen und Gängen und blieb stehen, er besann sich auf die Richtung. Es war ihm aber nicht möglich, seinen Standort in dem großen Laderaum zu bestimmen. So ging er zur Bordwand zurück, von hier mußte er auf den Mittelgang stoßen. Er hielt die Laterne hoch und ging die schmale Gasse ab, eine Biegung kam – plötzlich stand Stamer vor ihm, der aus dem Finstern in das Licht trat. Er hatte einen Baum in der Hand, war ohne Jacke, das Hemd stand ihm an der Brust offen.
Vielleicht redet er irre, dachte Jens, er sieht aus wie ein Wahnsinniger. Und Stamer sprach ihn zuerst an. Sieh diesen Baum, sagte er leise, die Nadeln blättern …
Jens' Hirn arbeitete schnell, wo hat Stamer sein Licht, dachte er, wenn er einen trockenen Baum gefunden hat, dann muß er eine Laterne haben. Wo hast du deine Lampe? fragte er.
Stamer bückte sich, griff unter die Tannen und zog seine Laterne vor, er sagte: Ich hörte jemanden, ich löschte die Lampe. Ich bin jede Nacht hier unten und horche, ob die Nadeln fallen. Dies ist ein trockener Baum, was nun?
Es ist einer unter tausenden, erwiderte Jens. Du hast einen trockenen Baum gefunden.
Ich habe schon drei trockene Bäume gefunden, ich will sie dir zeigen.
Was sind drei trockene Bäume unter tausenden! sagte Jens und dachte, er sucht seit Tagen trockene Bäume, um mich in Schrecken zu jagen. Er soll mich aber nicht aus der Fassung bringen.
Ja, ja, du magst recht haben, murmelte Stamer. Aber die Sorge um die Tannen macht mich verrückt. Wann werden wir in Buffalo sein?
Jens wurde es müde, sich ausforschen zu lassen, dennoch sagte er sanft: Mach dir weiter keine Sorgen, wir sind in längstens zehn Tagen in Buffalo und laß hundert Bäume trocken sein, was macht es aus!
Stamer sagte: Dann wirst du in Buffalo stehen und die Bäume verkaufen. Wo stellst du dich auf? Am Buffalo-Platz vor der Börse, an der Canon-Street, in der Canadian-Allee … überall kannst du nicht stehen. Ich möchte dort stehen, wo Elson wohnt, in der Kolonie der Schauerleute, wenn es dir gefällig ist.
Jens sah ihn erstaunt an und dachte, mit welchem Eifer er spricht. Er sagte: Du kannst in der Kolonie stehen.
Stamer legte den Baum nieder und ging im schwanken Licht geradeaus, mit großer Sicherheit lief er durch die zweite Quergasse und stand auf dem Mittelgang, bald erreichten sie die Leiter. Stamer mußte sich im Dunkeln gut auskennen. Geh und klettere voraus, sagte Jens. Stamer kletterte schnell wie ein Affe die Leiter hinauf. Jens ging mit der Laterne an ihm vorbei, Stamer suchte im Dunkeln seinen Verschlag auf. Jens legte die Persenning wieder über die Luke und trat bei Scould ein. Scould war wach, er blinzelte ins Licht.
Die See hört auf zu schlagen, tröstete ihn Jens.
Ach, ich bin wie tot, wollt' mir nur glauben, ich bin kein Fahrensmann, seufzte Scould.
Höre, Stamer sucht bei Nacht trockene Bäume unter den Tannen. Du sollst ein Auge auf ihn haben!
Scould zog die Augen zusammen. Jens' Worte hatten ihn beeindruckt, er begann zu denken.