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16

Weshalb an ein Mädchen denken, das ihn einen Hausmann nannte! Wie verblendet er war, ihren Liebsten zu schonen wegen eines eingebildeten Streichelns an seinen Händen!

Er erinnerte sich an alles von der ersten Minute dieser Begegnung an, wie sie lachte und fröhlich war, ihre Hand lag im Arm des jungen Mannes. Als sie ihn aber sah, saß ihr der Schreck in den Gliedern. Schmach, nichts als Schmach!

Als er am Abend sein Zimmer betrat, stand es fest, daß er Buffalo verließ. Nun war es Morgen, er hatte den Hausknecht gerufen, seinen rechten Stiefel auf den Leisten zu schlagen. Er wartete auf den Stiefel, es war ihm niemand zur Hand, der ihm den Fuß mit Öl einrieb. Eine Schmach, daß er selber seinen Fuß ölen mußte, während sein Stiefel auf dem Leisten steckte.

Die ganze Nacht hatte es wie wild gefroren, an den Scheiben hing eine Eiskruste. Jetzt war es hoher Morgen, der Ofen glühte und von den Scheiben tropfte es. Morgen ist Weihnachten, in einigen Stunden ist es so weit, in dieser Nacht noch wird er reisen.

Der Hausknecht kam die Treppe hoch. Hoho! her mit dem Stiefel und einen Träger für meinen Seesack!

Es klopfte. Bleiben Sie draußen, die Tür ist verschlossen und einen Träger, Hausknecht, ich reise!

Es klopfte abermals.

Was gibt es, Hausknecht!

Ich bin es, Gordon Wills.

Die Stimme kenne ich, dachte er und schloß die Türe auf, vor ihm stand der Student, der ihn gestern schlug; er wurde rot und es zuckte in seinen Händen, ihn zu schlagen.

Geben Sie mir ruhig den Schlag zurück, sagte Gordon Wills, ich will wieder mit Ihnen auf gleicher Stufe stehen.

Treten Sie ein! sagte Jens entwaffnet. Sie heißen Gordon Wills? Bis jetzt wußte ich den Namen des Menschen nicht, der mich schlug.

Verzeihen Sie mir, murmelte der Student.

Ich reise in einer Stunde, mein Stiefel steckt auf dem Leisten, ich hoffe, es stört Sie nicht.

Ich bitte, daß Sie mir den Schlag vergeben …

Auch meine Rechnung ist bestellt, murmelte Jens, ich will niemandem etwas schuldig bleiben. Er schielte den Student an.

Ja, vergeben Sie mir denn?

Wenn Ihnen daran liegt!

Warum schlugen Sie nicht zurück? Ich bin in Ihrer Schuld, alle haben mich verachtet, weil ich zuerst schlug und Sie haben nicht geschlagen. Ich habe es bei Gott nicht nötig, hier zu stehen und zu betteln …

Gehen Sie! Ich habe den Schlag vergessen, Sie brauchen sich nicht klein zu machen.

Nun dann, ich danke. Aber sagen Sie, warum hatten Sie Tränen in den Augen, als ich zugeschlagen hatte? Sie weinten offenbar, ich wollte Ihnen keine Schmach antun, es kam nur, weil Sie die Dame beleidigten.

Hat sie darüber gesprochen? fragte Jens gespannt.

Sie sprach nicht darüber.

Was stellten Sie an, als ich ging?

Der Student runzelte die Stirn.

Nun, wollen Sie nicht antworten! Hat Cornelia Sie darum geküßt, daß Sie mich schlugen?

Herr!

Wenn Sie Ehre im Leibe haben, dann machen Sie Ihren sinnlosen Schlag wieder gut. Ich hätte Sie wie einen Hund schlagen können. Ich tat Ihnen nichts, weil mich eine Stimme mahnte, Ihnen zu vergeben. Was tat Cornelia?

Sie blickte mich nicht an, sie ließ mich stehen.

Und Sie? Sie ließen sich das gefallen, nachdem Sie mich geschlagen hatten! Sie sind ein hübscher Mensch, Gordon Wills, Sie haben doch Ehre in der Brust, aber geben Sie sich nicht mit Weibern ab. Sie sahen so stolz aus und ich dachte, wer weiß, was für ein kalter Herzensbrecher Sie wären … Wie alt sind Sie denn? Ja, da schweigen Sie, jetzt am Tage sehe ich es Ihnen an, wie jung Sie noch sind. Gehen Sie, ich vergebe Ihnen dreimal den Schlag …

Und Sie reisen?

Ich reise nicht. Schlagen Sie mich, Gordon Wills, hier auf die andere Wange. Ich bin in Ihrer Schuld!

Der junge Mann wich zurück.

Sie wollen mich nicht schlagen, höhnte ihn Jens. Ich bin in Ihrer Schuld, hören Sie doch, Sie hübscher Schwächling! Ich schlage nicht wieder, nehmen Sie sich zusammen und schlagen Sie mich!

Sie sind verrückt, erwiderte Gordon Wills und zog sich zurück. Dreimal verrückt, daß ich zu Ihnen kam! … er schlug die Tür hinter sich zu und sprang die Treppe hinab.

 

Gegen Abend hatte Jens eine Unterredung mit Vancour. Sie befanden sich in einem großen Zimmer, das mit vielen Blumen geschmückt war. Es war alles zum Fest vorbereitet. Vancour hatte Geschenke auf einem Tisch stehen, welche seine Angestellten am Morgen hatten überreichen lassen. Auf den Fensterbänken lagen weitere Geschenke zur Schau. Hafenarbeiter und Seeleute hatten einen Rauchtisch übersandt, der Zoll sandte Zigarren durch einen vertrauten Mann.

Es sei spät, meinte Vancour, er erwarte nunmehr seine Gäste … Auf einem Stuhl lag ein Damenschal; er winkte versteckt seinem Diener, den Schal fortzutragen.

Sagen Sie, Vancour, es sind alles treue Leute, die Ihnen die Geschenke überreichten!

Es ist üblich, erwiderte Vancour sanft. Ha! Ich sehe, Sie haben neue Stiefel an, wie ich mich freue, daß Sie etwas auf sich halten … ja, ja, Sie sehen mich in Aufregung, mein Freund. Geschenke, Blumen, was halten Sie von diesem Tintenfaß? Eine Reliquie aus dem Besitz eines europäischen Fürsten. Napoleon hieß er, er war nachmals Kaiser der Franzosen.

Sie sprachen von anderen Dingen, Vancour schickte seinen Diener fort. – Übrigens war es klug von Ihnen, wie Sie Gordon Wills abfahren ließen. Daß Sie nicht zurückgeschlagen haben, hat Cornelia getroffen. Welch ein Mann Sie sind! Aus einer Unterlassung wächst Ihnen das Glück zu.

Es war keine Überlegung im Spiel, sagte Jens beschämt.

Das können Sie gut hinterher sagen, ich durchschaue Sie, ein neunmal Gehenkter steckt in Ihnen! lachte Vancour. Als Sie davongingen, blickte sie Ihnen nach, ich glaube, sie rief sogar Ihren Namen … Mein Gott, Ihr Fuß schleppte, mir selber blutete das Herz … Weshalb stehen Sie so schnell auf?

Sie erwarten Gäste, sagte er.

Bleiben Sie doch eine Weile, es amüsiert mich, den Fall mit Ihnen zu überlegen. Sie ist von Ihnen belehrt worden, wie unwissend und dumm die reichen jungen Leute sind. Ich selber hatte mehr von Gordon erwartet, ich glaubte, er würde Sie auf eine andere Weise schurigeln. Aber Sie waren ihm über, Cornelia kennt nun den Wert erfahrener Männer.

Was Sie sich da zurechtlegen! erwiderte er. Ich versichere Ihnen, es war keine Überlegung dabei. Wer war das andere junge Mädchen?

Vancour blickte überrascht auf. Sie kennen sie nicht? Es war eine Dame meiner Verwandtschaft. Gefiel sie Ihnen? Sie heißt Kitty und ist zwanzig Jahre alt.

Nach einer Zeit sagte Jens: Ich bitte Sie um einen Rat. Ich möchte eine Arbeit annehmen …

Ja! sagte Vancour schnell, eine Stellung in Quirie, oder auch in Sault St. Marie. Dort vertreten Sie meine eigene Person, Sie können unbeschränkt handeln als Paul Vancour.

Nein, ich will in Buffalo bleiben.

Sehen Sie, so sind Sie, unberechenbar und unvernünftig. Sie wollen in Buffalo zu Geld kommen, das gibt es nicht. Sie müssen in entlegenen Orten anfangen. In Buffalo gibt es zuviel strebsame Menschen, hier läuft einer dem andern den Rang ab.

Ich gehe unter Ihre Packer als Schauermann …

Als Arbeiter? Sie sind wahnsinnig!

In diesem Augenblick öffnete sich eine Stubentür, der Diener schob die Flügeltüren auseinander, die ersten Gäste waren eingetroffen. Durch die Räume kamen Stimmen und ungezwungenes Lachen. Zuerst betrat Vancours junge Verwandte das Zimmer, der Abglanz froher Laune trat mit ihr ein, ihre Augen blitzten, sie sah Jens von der Seite an und sagte: Kommen Sie Vancour, wo steckten Sie denn?

Kitty, raunte Vancour in Jens' Ohren und sagte: Nun geht alles seinen Gang. Aber hören Sie, als Packer und Schauermann in meiner untersten Garde … ich müßte ja ein Narr sein!

Die junge Dame musterte Jens mit unverhohlener Neugierde. Sie bleiben? fragte sie leise und blickte ihn gut an.

Jens verbeugte sich vor ihr, es ist also keine Verwandte, dachte er und lachte innerlich über Vancours Lüge. Leben Sie wohl! murmelte er und verbeugte sich abermals.

Vancour hielt ihn nicht zurück, er sagte nur: Ja, leben Sie wohl … An der Tür stieß er mit dem Diener zusammen, der einen geschmückten Tannenbaum hereintrug. Hinter ihm tauchten lachende Gäste auf, sie riefen Vancour an und achteten nicht auf Jens. Im Vorübergehen zählte er vier junge Männer, an der Wand lehnte ein Mädchen, sie hatte die Hände auf dem Rücken, als sie Jens sah, stellte sie sich straff hin. Es war Maria, die weiße Maria, sie war als Gouvernante gekleidet; in einer schwarzen Bluse mit hohem Kragen, im Haar trug sie ein weißes Häubchen.

Er kam auf den langen Flur, niemand folgte ihm. Der Gang war erleuchtet, er hörte Stimmen von mehreren Damen, sie kamen ihm aus dem Hof entgegen. Die Pforte öffnete sich, und ehe er sich's versah, stand er zwei jungen Damen gegenüber, die ihn anlachten. Schnee lag auf ihren Kragen, sie warfen die Kappen ab, ein Duft von Heliotrop zog an ihm vorüber, die Holzdielen knarrten unter ihren schnellen Schritten. –

Vor dem Hause kehrte ein Schlitten in einer langen Schleife um und jagte davon, zwei Laternen brannten durch die Dunkelheit. Schnee fiel, in der Nähe läutete in kurzen, schnellen Stößen eine Glocke, es summte in der Luft, von dem Stadtturm blies eine Fanfare.

Über die Straße kamen neue Lichter, ein Schlitten näherte sich schnell, die Pferde hielten dicht vor ihm; eine Dame steigt aus, sie sieht kaum auf, der Kutscher führt sie am Arm.

Jens steht starr und hält den Atem an. Lill, lill, läuteten die Schellen am Pferdegeschirr … lill, lill …

Jens! rief die Dame aus der Dunkelheit.

Er setzte sich in Gang, es war ganz dunkel um ihn.

Jens! hörte er wieder rufen, und ein Rascheln im Dunkeln, schließlich die Stimme des Kutschers, welcher sagt: Hier, meine Dame, Sie haben sich verirrt. Welche Dunkelheit!

Lill, lill, lill! –

Es wurde still, über den Hof fiel ein Licht, die Pforte schlug laut zu und Jens ging langsam zum Hause zurück.

Nacht. Am Himmel wurde es wieder hell, und die Sterne flimmerten. Über den Häusern brauste das Licht der Nacht, Mond und Sterne, mein Gott, nie vorher glänzten sie prächtiger.

Auf der Straße stand ein Mann, stand Jens. Es war die erste Stunde der Nacht. Aus Vancours Hof kam eine Gestalt, den Pelz übergehängt, sie ging über die Straße zum Gasthof. Jens ging ihr nach, an der Schwelle des Hauses trafen sie sich.

Sie erfaßte seine Hand und drückte sie gegen ihr Herz. Verzeih mir, du, stammelte sie, daß er dich schlug. Ich küsse dich dafür …

Sie küßte ihn und lachte.

Warum lachst du? fragte er leise.

Warum? … Sie suchen mich nun im Hause, jetzt, ein jeder sucht mich. Darüber lache ich, und daß ich hier stehe und friere.

Willst du eintreten?

Ja, sagte sie einfach, führe mich auf dein Zimmer.

Er hörte ihr erschrocken zu. Wie? sie will auf ein fremdes Zimmer, in einen elenden Gasthof. – – Geh! sagte er leise, kehre um zu deinen Freunden.

Nachdem! sagte sie leise und umarmte ihn. Sie zog ihn zur Tür hin.

Nein, sagte er, Cornelia, halt! Du bist ehrvergessen!

Sie umarmte ihn und drängte sich an ihn, sie stammelte und warf den Kopf zurück, ihr Gesicht war eiskalt. Etwas schluchzte in ihm, er umarmte sie und zog ihre Gestalt wärmend an sich. Eine Ahnung kam ihm Und er flüsterte: Es ist doch nicht das, was man dir über mich gesagt hat!

Daß du meinen Vater schlugst? Du hast ihn geschlagen, wimmerte sie plötzlich, gestehe es nur, du schlugst meinen guten Vater.

Ich schlug ihn einmal …

Warum schlugst du ihn?

Er wollte, daß ich ihn schlug, ganz gewiß, es war sein Wille …

Du schlugst ihn wegen einer Frau?

Nein!

Sie küßte ihn hastig und lächelte: Für deine Lügen, Jens, und für dein großes Herz …

Ich will dir erzählen, was geschah.

Sprich nicht; war es nicht Louison, die du auch liebtest?

Das war vordem …

Oh, du bist nicht eine Nacht ohne Liebe …

Cornelia!

Aus Vancours Hof trat eine Gestalt und spähte die Straße hinab, sie blickte links, sie blickte rechts und pfiff. Cornelia zuckte zusammen, sie stellte sich ins Dunkle der Tür.

Es ist Arnulf, flüsterte sie, ich kenne ihn nach seinem Pfiff. Es ist der Schwede, er singt so schön …

Du kennst ihn gut?

Nimm mich auf dein Zimmer, flüsterte sie, ich will eine Stunde bei dir bleiben!

Wie großmütig du bist, Cornelia. In St. Martin schenktest du mir Tag und Nacht.

Ich kannte nur dich, flüsterte sie.

Geh! Geh zurück … du frierst!

Ja, wohin ist meine Wärme! Mein Herz ist wie ausgetrunken … Wer, sagte ich, war es, der da pfiff?

Arnulf! sagtest du.

Ich habe mich geirrt, es war doch nicht Arnulf, es war Lion, du kennst ihn nicht, er ist Geiger und kommt aus Mexiko. Gewiß war es Lion, sein Pfiff klang eigentümlich. Sag du mir, wie er klang … Ich kenne mich nicht mehr aus!

Es war ein zärtlicher Pfiff, murmelte er und umarmte sie. Komm, sagte er, komm in die Wärme meines Zimmers … Sie lag matt in seinen Armen, ihre Knie bebten und ihre Füße suchten zitternd die Erde. Es war Lion, flüsterte sie, nun laß mich ziehen, Lion hat mich gerufen.

Er ließ sie los, ihre Schultern zuckten, einmal schluchzte sie auf, sie ging langsam und suchend zur Straße. Hier stand sie und lauschte.

Er hielt nicht länger an sich, lief ihr nach und umschlang sie. Denk an St. Martin, flüsterte er gramvoll, ich bleibe dir nahe, Cornelia, gehe ruhig zu Lion, zu Vancour und Arnulf …

Als Gordon dich schlug, habe ich ihn fortgeschickt, murmelte sie.

Sie nahm weinend Abschied, Lion pfiff, sagte sie und küßte ihn heiß. Aber glaube du nicht, daß ich etwas mit ihm habe. Ich möchte ihn bei all seiner Schönheit nicht so küssen wie dich.


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