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24

Drei Wochen verliefen. Die Schlitten waren den Hang hinabgesaust, die letzten Flöße schwammen auf dem Kaministiquia und es war so, wie es Jens sagte, die reißenden Wasser hatten sich verlaufen. Zwei Flöße hatten den Hafen von Port Williams erreicht, sie lagen an der Außenmole vertäut. Das dritte Floß schoß durch die Stromschnellen, ein viertes und fünftes kam auf, sieben Flöße kamen sicher durch die schnellen Wasser des Kaministiquia. Das achte Floß kenterte, ein Mann ertrank, es war Michael Fis, drum weinte keiner, es war seine Schuld, er hatte heimlich getrunken und war seiner nicht Herr, als das Floß kenterte. Die halbe Ladung ging verloren, aber Scould, der das letzte Floß steuerte, rettete das Floß und machte es wieder flott. Er kam mit der halben Ladung im Hafen an. Tage darnach schwammen die Bäume in der Bay. Man lächelte in Port Williams über den Anblick der schwimmenden Weihnachtsbäume.

Nun lagen acht Flöße in einer Reihe an der Mole, der Tag kostete bares Geld, die Hafentaxe war nicht billig. Jens zahlte im Hafenamt, was er schuldig war. Man zählte den siebenten November. Vancours Schiff war noch nicht eingelaufen. Sieben Mann, darunter Scould und Varin, nahmen eine Arbeit auf dem Hafenbagger an; die anderen erhielten eine Unterschrift von Jens, die ihnen übers Jahr im April fünfhundert Dollar wert war. Sie bedankten sich für den reichen Lohn und überließen Madun die Unterschriften bei seiner Ehre. Sie zogen los, um noch vor dem Frost Sault St. Marie zu erreichen, wo sie zu dem Felljäger stießen. Madun war der einzig seßhafte in Port Williams, viel Stellmacherarbeit erwartete ihn. Die Schwestern kamen an jedem Abend in schönen warmen Kleidern in den Hafen, zogen am Bagger vorbei und begrüßten zuerst Scould und Varin, danach zogen sie zur Außenmole, wo Stamer sie empfing und auf das Floß geleitete, auf welchem eine Wohnbude stand, in der Jens hauste. Stamer wohnte mit seinem Gelde in einem Gasthof und brachte Tucy in einer Stiefelkammer unter. Versteht es nur, er wollte Tucy in seiner Nähe haben.

Die Schwestern waren sich gleich geblieben, Jeanne so zart und hochhinaus, sie trug niedrige Schuhe und Handschuhe aus feinem Leder, sie kam einer Dame gleich. Die jüngere Irene steckte ihr altes Spiel nicht auf, sie drängte sich in Stamers Nähe, seufzte und schmachtete, wehe aber, wenn ihr Stamer zu nahe kam. Einmal traf es sich, daß Jens unvermutet Zeuge eines Auftrittes war. Es geschah während der Flößerei auf dem Kaministiquia, als sie den ganzen Tag über an Stamers Seite gesessen war, hinter den Tannen verborgen vor Blicken. Stamer war gefangen von ihren Reizen und dem Alleinsein mit ihr, er vergaß sich und wollte sie küssen. Mit einem bösen Ton in der Stimme wies sie ihn zurecht und lachte seiner. Seitdem stellte er ihr nach und gab es nicht zu, daß sie mit Jens allein war. – –

Sie kamen wie gewöhnlich, Stamer empfing sie auf dem Floß. Die Bretterbude war nicht heizbar, ein Lager aus Holzrinde und Heu in der Ecke, eine Bank und eine Lampe an der Wand, das war die ganze Herrlichkeit. Sie traten ein, und Jeanne sagte gleich zu Jens: Es ist der siebente November und Ihr Schiff ist noch nicht eingelaufen.

Ich erwarte es jede Stunde, Jeanne!

Jeanne sagte: Stamer ist so verändert. Findest du es nicht, Jens? Seit er kein Gewehr mehr hat, ist er höflich geworden. – Sie redete Jens seit jener Nacht vertraulich an, vielleicht tat sie es, um Stamer zu peinigen.

Du und dein Stamer, sagte Irene und zog die Handschuhe von den Fingern. Ach, es ist schön bei Ihnen, ich möchte wohl …

Was möchtest du? fragte Jeanne leise.

Stamer sagte schnell: Sie möchte dort in der Ecke auf Jens' Lager schlafen.

Pfui, Sie Tölpel! sagte Jeanne und ihr ganzer Widerwille gegen Stamer lag in diesen Worten. Wie aber nahm es Irene auf? Sie zuckte mit keiner Miene und Jens dachte, Stamer vernichtete sich selber mit seiner Eifersucht. Er sagte aber zu Stamers Entschuldigung: Es war von Stamers Seite nur ein Scherz, Jeanne. Sollte es Sie aber wirklich gelüsten, dort zu liegen …

Ja! sagte sie sofort und freudestrahlend, ging zum Lager, kniete und setzte sich darauf. Jens schloß einen Atemzug lang die Augen, er war wie betäubt, daß sie seinen Worten sofort folgte. Stamer aber goß es Gift in die Adern, er wurde so bleich, daß Irene erschreckt ausrief: Was ist Ihnen, Stamer!

Jens gab ihr einen erstaunten Blick, sie zügelte sich, ging ebenfalls zum Lager und setzte sich zu Füßen, traurig wie eine Magdalena.

Und Stamer sagte gequält: Jetzt sitzen sie beide da, ich habe es zuerst gesagt, aber wehe mir, wenn ich es nur wage, etwas zu sagen …

Spielen wir blinde Kuh auf dem Floß, sagte Jeanne und blickte Jens bedeutsam an.

Besser in dieser Bude, sagte Stamer. Wir legen uns alle eine Binde vor die Augen.

Irene legte sich ganz auf das Lager zurück und sagte mit geschlossenen Augen: Wenn Sie mich anfaßten, Stamer, dann geschähe ein Unglück.

Stamer zitterte, nach einer Zeit sagte er dumpf: Woher kommt es nur, daß mich die Weiber so abtun? Wenn ich allein wäre … Aber mir geschieht ganz recht, in Jens' Gesellschaft … mit Bianca fing es an.

Wer ist Bianca! schrillte Irene hoch. Wer ist Bianca, Stamer! Sie kniff ihn in den Arm, ihr Gesicht war zornig.

Stamer wies mit dem Finger auf Jens: Fragen Sie ihn, der sie alle in seine Tasche spielt …

Weiter, sagte Jens, sprich weiter, Stamer, lüfte das Geheimnis, wie ging es zu, bis zum ›König von Portugal‹ und was geschah in der Nacht, als der Eisbrecher ausfuhr?

Ohne sich umzusehen, verließ Stamer das Floß. Jeanne zog ihre Handschuhe an und sagte mit gemachter Fröhlichkeit: Bianca …? welch ein Name, er kommt wohl aus den Staaten. Entschuldigen Sie, daß ich auf Ihrem Lager saß … Adieu.

Auf Wiedersehen, Jeanne. – Sie ging, draußen rief sie: Es ist das schönste Wetter, der Fischadler kreist, sieh nur, Irene!

Drinnen flüsterte Irene ihm zu: Das waren entsetzliche Minuten, ich zitterte, als er dich verhöhnte.

Er sagte: Warum schriest du denn Stamer so an?

Sie blickte ihn still an.

Stamer gefällt dir doch wohl besser als ich?

Nein!

Nun, warum schriest du ihn denn an und kniffst ihn in den Arm?

Es war wegen Jeanne, sie sollte glauben …

Ich ahnte es ja nicht, sagte er leise, nun geh deiner Schwester nach. Es macht Aufsehen in Port Williams, wenn du allein kommst. – Sie sagte ihm, daß sie wiederkäme und ging.

Und Jens war wieder allein mit seinen Sorgen. Dies war der siebente Tag des Monats und der Frachter war nicht gekommen. Er zitterte, wenn er daran dachte, daß ihn Vancour im Stich ließ. Voller Verzweiflung warf er sich auf das Lager und grübelte darüber nach, was dann geschähe. Er wäre als ein Betrüger abgestempelt, sieben Monate lang hatte er den Männern ihre Zeit gestohlen. Gegen einen Papierfetzen hatte er sie arbeiten lassen, keiner hatte ein Geldstück erhalten. Männer wie Scould und Varin arbeiteten auf dem Bagger um ihr Brot. Ihre Kleider waren abgerissen, und Madun hatte sieben Monate sein Geschäft im Stich gelassen. Die anderen wanderten auf der Straße nach Sault St. Marie, im Frühjahr würden sie zurückkommen und bei Madun anklopfen. Gib uns unsere Spargroschen, Alter!

Er trug viel auf dem Gewissen. Voller Gram lief er zum Hafenamt, zum wievielten Male!

Das Schiff ist noch nicht gemeldet, sagte der Hafenkapitän. Es ist auch kein Ankerplatz von der Reederei bestellt. Wie heißt denn der Reeder?

Vancour, Paul Vancour aus Buffalo.

Der Name ist gut, erwiderte der Beamte, aber es liegt bisher keine Meldung vor. Von Quirie, sagen Sie, kommt das Schiff?

Von Quirie!

Wollen Sie Ihre Fracht nicht versichern, mein Freund! Herrgott, was will Buffalo mit fünfzigtausend Tannen … Wir hatten drei Tage Sturm, vielleicht ist das Schiff aufgehalten, vom Kurs gekommen. Trösten Sie sich. Wenn ich Ihnen aber raten kann, so versichern Sie die Fracht. Es kann ein Sturm kommen, die Flöße reißen sich los. Ich tätige Versicherungen für Frachten an Land und auf See.

Später, erwiderte Jens und bedachte, daß er kein Geld mehr hatte, die Versicherung aufzunehmen. Voll Trauer stahl er sich auf sein Floß zurück. Stamer hat Geld, schlich es sich in seine Gedanken, aber dann stieß er hervor: Niemals! Lieber hacke ich mir die Hände ab! Ich will warten, bis das Schiff kommt … Doch wenn das Schiff nicht kommt … Es war nicht zum Ausdenken. Aber die Möglichkeit lag nahe, daß Vancour aus irgendeinem Grunde die Ordre zurückgezogen hatte. Und sei es, daß das Schiff auch nur acht Tage zu spät kommt, sie würden eine Rolle spielen, wenn der Frost frühzeitig einsetzt. Gesetzt den Fall, es käme eine Windstille, vor dem Frost kommt die große Flaute – und der schwere Frachtsegler liegt mit der kleinen Dampfmaschine im Superior fest. Kein Fetzen Wind in der Luft und die Zeit verstreicht grausam; zuletzt kommt das Schiff zu spät durch den Buffalo-Creek … Haha! ein Frachter mit fünfzigtausend Tannen kommt um einen Tag zu spät in Buffalo an.

Sein Gesicht verfärbte sich, er nahm aus der Ecke das Gewehr und betrachtete die Abzugshähne. Müde und verzweifelt setzte er sich auf die Bank, seine Gedanken flogen hin und her, die Verzweiflung hielt ihn in den Klauen.

Heuer ist es ein Jahr her, daß der Frost kam, über die Prärie ging die Frostfuchtel. An welchem Tage war es! Er konnte sich nicht besinnen, vielleicht, so dachte er, ist es der Todestag meines Hundes Stone. Darum bin ich so verzweifelt. Heuer vor einem Jahre …

Es klopfte an die rohe Bretterwand. Jemand kam, ihn zu erlösen. Er sprang auf und dachte: Sie ist es, Irene … Die Türe öffnete sich, er sah nicht gut im trüben Licht der kleinen Lampe, aber sie kam und begrüßte ihn. Er blieb erstarrt stehen und sah … Mein Gott, flüsterte er, du bist es, Jeanne!

Sie begrüßte ihn heiter.

Er fragte nicht viel. Gut, wie gut nur, daß eine kam; er führte sie zur Bank und sagte wie erlöst: Wie danke ich dir, daß du es bist, die zu mir kam …

... Daß ich es bin?

Ja, du und keine andere. Er schob den Riegel vor die Tür. Wir sind allein, flüsterte er. Jeanne, laß mich deine Hände sehen, nein, diese Hand, die linke, es ist die schwächere Hand, gib mir die Linke … und sage mir, was du denkst!

Liebster! sagte sie …

 

Stamer stand auf dem Floß, er horchte an den dünnen Brettern, nahm ein Messer und schnitt eine Kerbe in das Holz vor der Tür. Er hätte gern mehr erlauscht, aber Tucy störte ihn, er stand auf der Mole und pfiff. Das war um zwölf Uhr. Stamer zog sich zurück und ging mit Tucy über die Mole. In einer Anwandlung schenkte er Tucy zehn Dollar und sagte: Dafür, daß ich ihn endlich ertappt habe. Er hat Irene bei sich, hätte er Jeanne bei sich, so sollte es ihm hingehen, aber daß er sich Irene holte, die jüngere, von der ich eine Haarzausel auf der Brust trage …

 

Am Morgen nahm Jens die Schrotflinte und mietete einen Segelkahn, mit dem er weit in die bleierne Bay hinaussegelte. Drei Frachter sah er mit Kurs auf Quirie fahren, aber keiner kam von dort. Er schoß zwei fette Alke und ein verirrtes Wasserhuhn. Genug, um einige Tage das Leben zu fristen. Um Mittag gab er es auf. Warme Luft und mäßiger Wind; er sah dicke Forellen ziehen, eine Zeit fischte er mit der Hand nach ihnen und lachte sich eins. Blickte er aber über die See, so wurde ihm schwindlig vor Angst, denn es kamen keine Frachter mehr auf. Alle Freude war ihm vergällt, er segelte heim. Auf dem Floß erwartete ihn Tucy mit gespanntem Gesicht. Jens warf ihm die Alke und das Wasserhuhn vor die Füße. Rupfe das Federvieh, sagte er, was stehst du herum!

Ich habe Nachricht aus Sault St. Marie, sagte Tucy. Allister sucht mich, er will mit Fanny die Ehe eingehen.

Hahaha! So laß dir deine Frau teuer bezahlen!

Daran denke ich, sagte Tucy, aber glaubst du nicht, daß er seine Tochter Cornelia entrechtet?

Was habe ich mit euren schmutzigen Geschichten zu tun, sagte er barsch.

Ich will in Buffalo einen Anwalt nehmen, murmelte Tucy. Und da Jens schwieg, setzte er sich hin, rupfte die Alke und schwatzte weiter, ganz von dem Gedanken eingefangen, daß er seine Frau teuer an Allister verkaufen wollte. Wenn ich nicht in eine Scheidung eingehe, dann wird er sich überbieten, meinst du nicht! Er soll zahlen, denn er liebt sie sehr. Sie ist groß und stattlich, ein schönes Weib und wie sie ihn umgarnt hat! Sie schnitt ihm seinen Bart hübsch zu; du erinnerst dich doch noch, wie sein Bart beschaffen war? Sie zupfte ihm die grauen Haare aus, Allister muckste nicht, er lachte und drückte seinen Kopf gegen ihren Busen. Das war zu der Zeit, als Djib schon vergiftet war. Sie hat ihn vergiftet, ich lasse mir ein Bein ausreißen, wenn sie es nicht war. Damit fing mein Unglück an, ohne den Köter war ich machtlos gegen Allister. Zuletzt brachte er sich seinen Einsäer Fritjof mit, der mit mir knobeln mußte. Sie ließen mich gewinnen, jetzt überschaue ich es, sie ließen mich gewinnen, während Allister mit Fanny poussierte …

Der Ekel saß Jens im Halse und er dachte, wie bringe ich ihn fort vom Floß, jedes Wort besudelt mich. Und wenn ich ihn mit dem Kopf unter das Wasser tauche, er soll aufhören zu schwatzen.

Nun werde ich wieder zu Geld kommen, murmelte Tucy selbstzufrieden. Es bringt mir Geld, und mein Leben war nicht umsonst gelebt.

Jens sagte beherrscht: Nun geh, Tucy. Nimm die Alke mit, die du angefaßt hast.

Ja so, sagte Tucy, ich mußte dir das alles mitteilen, weil es auch dich betrifft.

Mich?

Ich denke an Fanny und an … Cornelia.

Pack dich! schrie Jens, pack dich, sonst werfe ich dich!

Tucy gab ihm einen bösen Blick und als er ging, sah ihm Jens zitternd nach. Denn dort ging einer, dem er einst von einem Ende der Welt bis zum anderen nachgereist war. Nun war er nur noch ein schmieriger Fleck in der Luft.

 

Aber es war, als sollte er keine Ruhe mehr finden. Stamer kam gegangen, Scould zur linken, Varin zur rechten. Sie hatten ihren ersten Lohn mit Stamer vertrunken, anstatt sich Brot und Kleider zu kaufen. Dem hübschen Varin stand die Bosheit im Gesicht geschrieben, er begann zu sprechen: Das Schiff kommt nicht, Herr Baumhändler, Sie schulden uns viel Geld!

Jens blieb ruhig. Ich bin kein Händler, ich habe einen Vertrag mit dir gemacht, Varin, ich halte den Vertrag.

Und wenn die Bäume hier verfaulen?

Es ist Gefahr, daß Frost kommt, sagte Stamer hintersinnig und schwankte unter seinem Rausch. Es kann Frost kommen und man muß den Dingen ins Auge sehen. Vielleicht ist es möglich, daß wir einige Fischkutter mieten, um mit einem geringen Teil der Bäume nach Buffalo zu kommen.

Dann schaffe hundert Fischkutter her, du Narr, aber nicht mit einem einzigen kannst du die Stürme im Superior überstehen. Und wenn die Flaute kommt, liegst du hundert Seemeilen unter Land und frierst ein.

Scould sagte drohend: Ich stehe für den Lohn meiner Freunde ein, ich fahre mit Ihnen nach Buffalo, und wenn Sie ohne Bäume fahren sollten, ich bleibe Ihnen auf den Fersen.

Scould, sagte Jens traurig, wer hat dir diese Worte ins Ohr geblasen?

Ja, Scould! rief Stamer, was erdreistest du dich! Geht, ich hatte gleich meine Zweifel, daß ihr ihm so kommen könnt. Geh, Varin, ich verhandele mit ihm!

Und Jens sah sprachlos zu, wie sie sich von Stamer dirigieren ließen, das Floß zu verlassen. Danach kam Stamer zu ihm und sagte: Sie wollten meutern. Ich habe sie beschwichtigt. Gut, daß die anderen nach Sault St. Marie unterwegs sind, sie würden uns in Stücke schlagen.

Das war eine Teufelei von dir! murmelte Jens.

Aber Stamer beteuerte ihm, daß er ihnen begegnete, als sie schon betrunken waren.

Du lügst! sagte Jens angeekelt.

Es ist keine Lüge, aber wir wollen sehen, wer besser lügt, du oder ich. Es geht mir dabei um nichts, als anständig vor dir zu erscheinen. Du hast mich lange genug geduckt, nun wollen wir sehen, wer mehr auf dem Gewissen hat, du oder ich. Hier! sagte er und wies mit dem Finger auf die Kerbe, die er am Abend zuvor in das Holz geschnitten hatte. Siehst du diese Kerbe! Ich schnitt sie gestern abend.

Gestern am Abend? –

Gestern abend gegen zwölf Uhr, entsinne dich, Irene war in deiner Bude, die Türe war verschlossen. Nun lüge, wenn du kannst, ich hörte euch!

Du hast gelauscht, murmelte er dumpf und bückte sich nach einem Kantholz.

Schlage mich nur tot! Mit einem Kantholz erschlägt er mich! Diesmal sehe ich wenigstens, welches Mordwerkzeug mich umbringen soll. Erst war es ein Beil, jetzt ist es ein Kantholz.

Er ließ das Holz fallen und sah Stamer mit nassen Augen an. Jetzt soll es gut sein zwischen uns, sagte er leise, wir wollen reinen Tisch machen. Ich nehme den toten Priester auf mein Gewissen, ich verführte Bianca, ich allein. Irene war gestern bei mir, du hörtest richtig, es war Irene und sie blieb nicht freiwillig, ich schloß die Tür ab … Es soll Klarheit zwischen uns sein, was quält dich noch?

Stamer biß auf seine Lippen und blickte an ihm vorbei, er rieb sich das Kinn und fragte plötzlich: Wer gab denn den Schuß ab, der den Priester traf?

Jens starrte ihn an und sagte mit gutem Willen: Ich war es.

Du Lügner! schrie Stamer, du willst mir den Schuß rauben, du willst mich ganz verrückt machen! Ich gab den Schuß ab. Es ist auch gelogen, daß du Bianca verführt hast, sie führte dich an der Nase herum, dich, dich!

Du willst nicht? sagte Jens und sah ihn eine Weile stumm an. Darauf warf er Angel und Schrotflinte in den Segelkahn, sprang nach, zog das Segel und pfiff vor sich hin. Segel klar! rief er lachend, schwenkte den Baum aus und segelte los.

Nach einer Stunde rollten einige Schüsse über die Bay, aber seine zitternde Hand traf weder Alk noch Wasserhuhn. Er war einfach auf der Jagd nach einem Essen. Nichts gelang ihm. Als er die Angel auswarf, war er unachtsam, ein starker Hecht trug ihm die Angel fort. Nichts, nichts! Hungrig segelte er heim, ging ins Hafenamt und sprach ein Wort mit dem Kapitän. Nichts.

Gegen Abend machte er sich fein und ging hungrig durch die alte Stadt hinauf, vorbei an den Zitadellen. Die Fischergassen kamen, Netze hingen auf der Straße und aus jedem Fenster drang der Geruch von gebratenen Fischen. Eine Kirche erhob sich auf einem Felsen, sie war aus Holz und Stein erbaut und hatte drei zierliche Türme. Der Glockenstuhl war durch Sturm zerstört. Auf dem Markt erhob sich die Burg des Gouverneurs, eine alte Kanone war aufgefahren, sie stammte aus der französischen Zeit. Weit in die Berge hinein zog sich die Neustadt, an den Hängen des Kaministiquia stand rot leuchtender Wein. In den Gärten blühte noch eine späte Rosenart; der Winter stand vor der Türe. In einem verwilderten Garten lag Maduns Haus, hinter dem Haus stand die Werkstatt, dort lag auch der Holzplatz.

Jens trat ein, er kam zum Nachtessen. Madun saß in einer alten Schürze zu Tisch, er aß mit dem Messer, die Schwestern blickten beschämt zu Boden. Madun schwieg die ganze Zeit, Jens konnte ihm ansehen, daß er an nichts dachte, auf seiner Stirn glänzte die Warze bräunlich, und die weißen Haare hingen ihm unordentlich über den Schläfen. Jeanne machte verliebte Augen, Irene wurde abwechselnd rot und blaß. Madun saß auf einem Sofa, aber er saß nur halb darauf, sein Lederschurz war mit Wagenfett beschmiert. Nach dem letzten Bissen stand er auf und verschwand. Kein Wort über das Ausbleiben des Schiffes war gesagt worden. Jeanne sagte einige belanglose Worte, sie streichelte Irenes Hände, welche dasaß und unsicher blickte.

Ich muß sehen, wie ich von hier fortkomme, dachte er. Aber es kam Besuch, eine junge Lehrerin kam, sie brachte Neuigkeiten für die Schwestern mit, mit einem Auge begrüßte sie Jens und redete aufgeregt von dem Pfarrer, der ein neues Edikt erlassen habe, das sich mit der Kleidung der jungen Mädchen zwischen sechzehn und zwanzig befaßte. Mehr Zucht verlangte das Edikt in Port Williams.

Jens fühlte sich überflüssig, er wollte gehen. Irene aber stellte sich in seinen Weg, sie zog ihn in eine Ecke und sagte: Ich kenne deine Gedanken.

Er lächelte sie an: In dieser Nacht muß das Schiff kommen.

Ach, flüsterte sie, daran dachte ich nicht … Ich schickte gestern abend Jeanne zu dir, ich kam nicht. Jeanne liebt dich so sehr … Sie preßte seine Hand.

Ich ahnte es, daß du Jeanne geschickt hast, du gute Seele …

Ja, flüsterte sie, sei nur gut zu ihr, sie hat den ganzen Tag vor Freude gesungen.

Und du?

Sprich nicht von mir, flüsterte sie.

Du bist sehr hart gegen dich, sagte er leise.

Ach nein, erwiderte sie lächelnd, ich kannte vor ihr die Liebe, lange vor ihr, obgleich sie die ältere ist. Ja, denke dir, ich liebte einen Mann, als ich siebzehn Jahre war, er fühlte sich zu Jeanne hingezogen, aber ich liebte ihn und beging einen kleinen Betrug. Ich ging zu ihm und sagte ihm, daß Jeanne einen anderen liebe, da gab er sich mit mir zufrieden; ich war ihm so dankbar, das war meine seligste Zeit. Gestern abend habe ich alles zurückerstattet. Verzeih mir.

Er wurde rot über ihren Betrug, doch wußte er nichts zu entgegnen; er trachtete, das Haus zu verlassen. Aber Jeanne und die junge Lehrerin wandten sich an ihn mit Fragen über dieses Edikt der Kirche. Wie nun ein junges Mädchen gekleidet gehen solle? Es sei ja zum Lachen, aber die Lehrerschaft habe sich dem Pfarrer angeschlossen. Die junge Lehrerin ereiferte sich, sie sei für eine freie Kleidung. Sie war zwanzig Jahre alt, groß und frisch, hatte rötliche Haare, ihre Augen wirkten blaß.

Es wurde spät. Jeanne lachte viel, sie blickte aufgeregt und fragend Jens an. Er aber war versunken in sein Unglück und schüttelte den Kopf. Sie wurde traurig. Er erhob sich. Morgen, sagte er ihr, morgen, wenn mein Schiff einläuft!

Es ergab sich, daß die junge Lehrerin den gleichen Weg hatte, sie wohnte am Hafen, gar nicht weit von der Außenmole fort. Sie hatte die Flöße mit den Bäumen gesehen, jawohl. Auch Jens wollte sie kennen. Als sie zusammen durch den Garten gingen, sah Jens Madun in seiner Werkstatt stehen, den Kopf tief über die Hobelbank gebeugt. Jeanne preßte Jens' Hand, Irene stand stumm in der Tür. Jeanne flüsterte ihm etwas zu, ihre Augen flackerten wie zitternde Sterne, am Gartentor küßte sie ihn. Die Lehrerin blickte sich um und lächelte.

Es war eine helle Nacht, die Lehrerin begleitete ihn bis zur Mole, sie schenkte ihm eine Blume und kam weiter mit bis zum Floß. Es war kein Schiff eingelaufen, aber der große, rote Hafenball am Ausgang der Mole hing hoch in den Lüften, ein Zeichen, daß der Lotse in der Bay war, um ein Schiff in den Hafen einzubringen.

Sehen Sie den roten Ball? fragte er.

Ja, sagte die junge Lehrerin, er hängt hoch, der Lotse bringt ein Schiff in den Hafen.

Dann ist es mein Schiff, sagte er und griff überglücklich die Hand der Lehrerin. Es ist mein Schiff, in drei Tagen segeln die Bäume nach Buffalo.

Sie fahren mit? fragte sie und schritt an seiner Seite über das Floß. Wenn es nun nicht Ihr Schiff ist? fragte sie, dann bleiben sie noch einige Tage länger in Port Williams!

Er blickte sie verständnislos an.

Eine Stunde später lief ein Frachter in den Hafen ein, die Segel waren gestrichen, es war ein altes Schiff, das Heck ragte hoch aus dem Wasser, nach backbord hatte es Schlagseite. Als der Bug an der Mole vorüberglitt, las Jens den Namen des Schiffes: Oxford, es kam aus Sault St. Marie. Es war nicht sein Schiff.

Ist es Ihr Schiff? fragte die junge Lehrerin aufgeregt.

Es ist ein fremdes Schiff, sagte er dumpf.

Ach! Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Dann bleiben Sie noch, flüsterte sie. Vielleicht kommt es morgen, nur einen Tag später!

Sie hieß Margrit. Es war nach Mitternacht, der rote Hafenball sank hernieder.


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